Prinzipien der Bildung von Communities (nach Ostrom)
Nobelpreisträgerin Elinor Ostrom hat zahlreiche Beispiele für funktionierende Commons (Gemeingüter) und die sie tragenden Communities (Gemeinschaften) gesammelt. Aus dieser Erfahrung hat sie Prinzipien bei der Bildung von »Gruppen«, »Institutionen«, »Netzwerken« oder einfach »Communities« abgeleitet. Diese sind (nach Hartzog):
- Die Grenzen der Gruppe sind klar definiert.
- Die Nutzungsregeln der kollektiven Güter sind gut auf lokale Bedürfnisse und Bedingungen abgestimmt.
- Die meisten Individuen, die von solchen Regeln betroffen sind, können sich an der Veränderung der Regeln beteiligen.
- Die Rechte der Mitglieder der Gemeinschaft, ihre eigenen Regeln zu entwickeln, wird von externen Autoritäten respektiert.
- Es gibt ein System der Beobachtung des Verhaltens der Mitglieder durch die Mitglieder selbst.
- Es wird ein abgestuftes Sanktionssystem verwendet.
- Die Mitglieder der Gemeinschaft haben Zugang zu niedrig-schwelligen Konfliktlösungsmechanismen.
Das ist doch eine gute Grundlage für eine Diskussion!
[Update: Der zu ergänzende 8. Punkt, der die Communities im engeren Sinne überschreitet, heißt »Eingebettete Institutionen« und meint die Verknüpfung der Commons über mehrere Ebenen (»polycentric governance«]
Hallo
Ich zitiere mal:
„…Das ist doch eine gute Grundlage für eine Diskussion!“
Also ich musste als erst mal mehr Hintergrundmateriel lesen, um überhaupt erst einmal einen Überblick darüber zu erhalten, um was es da allgemein geht. Dabei habe ich mir gleich mal das Buch von Elinor Ostrom, “ Die Verfassung der Allmende“ zum Kaufen und lesen vorgemerkt, weils für meine Belange hilfreich scheint. Zu 1. sollte statt nur Grenzen auch das Wort Werte mit Impleziert werden. Punkt 4. verwirrt mich etwas:
„Die Rechte der Mitglieder der Gemeinschaft, ihre eigenen Regeln zu entwickeln, wird von externen Autoritäten respektiert.“
Da hat eine Community nun den wenigsten Einfluss, was andere von einen Denken oder halten. Natürlich kann man sich „Positiv“ nach aussen geben und so Rückkoppelnd auf das Erscheinungsbild anderen gegenüber hoffen, das da was „Positives“ zurück kommt. Aber wer sind denn nun die „externen Autoritäten“? Vater Staat, die UNO, der Papst, Richard Stallman, …?
Sollte man nicht eher davon sprechen, das eine Community auch nach aussen hin offen sein und bleiben muss, damit Sie sich in Zukunft dadurch nicht in eine Situation begibt, die es anderen Autoritäten unmöglich macht, weiterhin zu Kommunizieren um mit den kleinsten gemeinsamen Nenner doch noch Kooperativ einen Ausweg auszuhandeln?
Autoritäten haben immer was mit Macht zu tuen. Ob gute oder Böse Autoritäten! Also mir ist der 4. Punkt völlig unklar im Kontex mit den anderen 6 Punkten.
MfG Herr Schmidt
@Herr Schmidt:
Ich denke, da ist tatsächlich nur gemeint, was da steht, nämlich dass das Recht der Gemeinschaftsmitglieder, ihre eigenen Regeln zu entwickeln und umzusetzen, von den lokalen Machthabern (Staat, Polizei…) akzeptiert wird. Die schönsten Regelsysteme nutzen nämlich nicht viel, wenn sie nicht oder nur „im Untergrund“ umgesetzt werden können.
Lokalwährungen haben z.B. regelmäßig große Probleme damit, dass sich der Staat die Währungshoheit vorbehält und es deshalb gar nicht gern sieht, dass sich Leute ihre eigene Parallelwährung schaffen. (Nicht dass ich Lokalwährungen als erfolgreiche Commons-Communities ansehen würde, sondern nur als Beispiel wo Meinungsverschiedenheiten mit dem Staat zu Problemen führen können.)
Eine gute Diskussionsgrundlage ist es allemal. Ich selber versuche in meiner Diplomarbeit Ostroms institutionenanalytischen Bezugsrahmen auf eine Gruppe/Gemeinschaft/ein Netzwerk von Leuten anzuwenden, die für sich und andere kochen.
Ich habe versucht rauszufinden wie Ostrom die obigen Prinzipien (sie nennt das glaub‘ ich: Bauplan für funktionierende Allmenderessourcen) aufgestellt hat. Ich habe mir ihre Doktorarbeit reingezogen, die Verfassung der Allmende natürlich auch und dabei ist mir aufgefallen, dass Ostrom entweder eine Methoden-Schlampe ist, die sich einen Dreck um methodisch sauberes Vorgehen schert oder aber so sehr in ihrem institutionenökonomischen Denken drin ist, dass sie gar nicht auf die Idee kommt, dass die von ihr in ihren Fallstudien erhobenen Daten irgendwie abhängig von ihrer Position als westliche Institutionenökonomin sein könnten.
Letztlich geht Ostrom mit ihrem Schema vom homo oeconomicus aus, der in einer Welt begrenzter Ressourcen lebt. Alles was sie in ihren so gerühmten Fallstudien tut ist: die von ihr erhobenen Daten auf dieses Schema anpassen. Ihr einziger Verdienst ist dabei m.E. dass sie den Wirtschaftsleuten das Offensichtliche begreifbar macht: dass nicht nur Staat oder Markt Regeln für einen Umgang mit Ressourcen finden können, sondern auch Leute wie Du und ich. Die obigen Prinzipien sind aber m.E. schon wieder klassisch vom homo oeconomicus her gedacht.
Da es aber weder einen homo oeconomicus, noch eine Welt begrenzter Ressourcen an sich gibt, sondern beide Ausgangspunkte schon ein Kind einer gewissen Zeit und eines gewissen Denkens sind, halte ich Ostroms Bauprinzipien mittlerweile für großen Schrott. Sehr problematisch finde ich auch eine „Anwendung“ dieser Prinzipien auf Gruppen, die zusammen etwas machen. Diese haben möglicherweise, ja sogar wahrscheinlich völlig andere Vorstellungen von einem „erfolgreichen“ wirtschaften als dies in Ostroms institutionenökonomischer Welt möglich ist.
Nochmal kurz zu den methodischen Problemen: Wie z.B. will man herausfinden, ob die Grenzen der Gruppe klar definiert sind? Als ob man das so einfach sehen oder herausfinden könnte. Man kann ja schlecht einfach die Gruppenmitglieder fragen, und darauf hoffen, dass sie ihr implizites Wissen zur Ausgrenzung Fremder oder Neuer eins zu eins explizit machen. Überhaupt was soll das sein: eine Gruppe? Sind wir, die wir hier diskutieren schon eine Gruppe?
Nee, du. Geh mir wech mit Ostrom 😉
Wie Benni schon mal erwähnt hat, kommt Ostrom ganz klar aus dem bürgerlich-liberalen Ökonomiedenken. Es geht also nicht um unkritische Übernahme von Ostroms Ansätzen, sondern um kritische Würdigung. Gleichfalls ist zu berücksichtigen, dass »Prinzipien« eigentlich immer problematisch sind, wenn sie ontisch (=Eigenschaft des Seins) verstanden werden — nach dem Motto: »Natürlicher Weise funktionieren Gruppen eben so«. Das sollten wir doch aber hinbekommen können, oder?
Ja, der Punkt 4 muss anstößig sein, d.h. er sollte uns anstoßen weiter zu denken wenn es um eine allgemeine menschliche Emanzipation geht (das Faktische unser heutigen Situation ist wohl realistisch erfasst). Versteht man »externe Autorität« allgemeiner als nur Staat o.dgl., also zum Beispiel als »Gesellschaft«, dann ergibt der Satz einen Sinn: Jede Community muss auch Regeln aufstellen können, die anderen in der Gesellschaft nicht passen und dennoch von diesen respektiert werden. Das ist das gleiche Verhältnis wie bei der Freiheit des Individuums: Sie findet ihre Grenze dort, wo andere eingeschränkt werden.
Selbstentfaltung hingegen bedeutet noch mehr. Hierbei geht es nicht bloß darum, Handlungsfreiheiten und Grenzen anderer zu respektieren, sondern bei der Selbstentfaltung sind das Individuum und die Anderen sozusagen positiv rückgekoppelt: Die Entfaltung des Individuums ist die Voraussetzung für die Entfaltung der anderen und umgekehrt. Diese Erkenntnis ist nun auf Communities zu übertragen: Die Entfaltung der Community ist die Voraussetzung der Entfaltung aller Communities und umgekehrt. Es geht also nicht um bloßes »Ertragen« der Andersartigkeit der jeweils anderen Gruppen, sondern um eine positive Integration der Unterschiede. Die Einheit der Differenzen 🙂
Sehr spannend sich vorzustellen was für Bedingungen vorhanden sein müssen, damit dieser Satz für ein drogenabhängiges oder schizophrenes oder an Alzheimer erkranktes Individuum und seine Familie zutrifft.
@Torsten:
Ja, genau darum geht’s.
@ StefanMZ
Okay, ich verstehe. Danke fürs Klären.
Wobei ich mich immer noch ein Bisschen frage, was „Individuum“, „die Anderen“ und „Entfaltung“ heißt. Aber vielleicht werden diese Details ja durch die (oder meine) Praxis geklärt.
Ich denke, der Community-Begriff, der hier verwendet wird, ist ein wenig idealisiert. Gleichzeitig ist es in der Analyse der Commons (wenn man an Linebaughs Vorstellung des commoning denkt) aber der zentrale Begriff.
Ich habe das Gefühl, dass community zu sehr im Kontrast zu Nicht-Community gesehen wird (oben als externe Autorität) , und dass durch diesen Kontrast alle intra-community-Probleme (ungleiche Machtverhältnisse, die den Zugang regeln) etwas zu kurz kommen. Gleichzeitig habe ich so meine Zweifel, inwiefern die Grenzen einer Community jemals klar definiert sein könnten und ob nicht eher der historische Wandel Normalfall einer Community (und damit vielleicht auch der commons?) ist. Geht denn Ostrom zum Beispiel sehr auf Konflikte und Wandel ein? Und wie erklärt sie diese? Falls sie wirklich den homo oeconomicus vor Augen hat fände ich es spannend zu erfahren, wie Menschen zu Kooperation (und damit zu community) kommen können, wenn sie eigentlich qua Theorie utilitaristische Automaten sind. Aber die Praxis kümmert sich Gott sei dank nicht immer um die Theorie.
@Torsten:
Ja, genau darum geht’s.
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„Falls sie wirklich den homo oeconomicus vor Augen hat fände ich es spannend zu erfahren, wie Menschen zu Kooperation (und damit zu community) kommen können, wenn sie eigentlich qua Theorie utilitaristische Automaten sind.“
Hallo
Ich denke es ist die Not! Elinor Ostrom hat doch in der Wasserwirtschaft ihre Erkentnisse gesammelt und daher abgeleitet. Egal, welches Verhältnis man ihr jetzt gegenüber hat (Torsten), Sie beschäftigte sich zu einer Zeit mit einen Thema, das den damaliegen „Verantwortlichen Politikern“ wie Sie weit vorrausschauend berechnet haben, eines Tages ein enormes Problem haben würden. Wasser. Und ich denke mal, das die Leute, die dieses Problem erkannten, nicht Otto-Normalverbraucher waren sondern Verantwortliche Bereitsteller und zwar mit einen Verantwortungsbewustsein. Sonst hätte man ja nicht eine Elinor Ostrom dort an diesen Thema forschen lassen (finanziell).
Villeicht ist es immer nur die Not, die homo oeconomicus, den utilitaristischen Automaten zusammen Kooperien lässt.
Villeicht hat Sie unter Punkt 1. „Die Grenzen der Gruppe sind klar definiert.“ keine Werte mit als Grundlage aufgeführt, was ich ja bemängelte, weil die Not nur ein Ziel kennt, die Grenze zu erlangen, wo das Problem nicht mehr relevant ist.
Die Not bindet uns förmlich, sogar in super große Gruppen, da wird dann Zielorientiert bedingungslos Kooperiert bis zur Grenze, also der Auflösung des Problems und deshalb zerfällt dieser Superorganismus wieder in ein sich „jeder-für-sich-selbst-automaten“ auseinander, bzw. Famiele, Clan und jedenfalls wieder kleinere Gruppen.
Um die Punkte weiter zu verpflechten und auch weiter beim Thema zu bleiben, folgendes: Was zieht die Menschen in eine Großstadt wie L.A. an, wenn landeinwärts doch so viel Land (wüste) zum Leben (selbstentfaltung) bereitsteht? Das ist primär die Angst vor dem Wasserproblem das dort herrscht! Also ist die Angst zu verdursten größer als das bedürfnis nach selbstentfaltung. Not erzeugt Angst und diese erzeugt in Uns den Kompromiss von bedingungsloser Kooperation. Extremtes Beispiel ist der Krieg.
Komischerweise kann die Not nach selbstentfaltung in L.A. und anderen Ansammlungen auch wieder so groß werden, das sich homo-oeconomicus, der utilitaristische Automat, sich überwindet und kooperativfreundlich wird, sich in die Wasserlose Wüste begibt und am „Burning Man“ teilnimmt. Aber auch nur deswegen, weil das Wasserproblem Technisch für ALLE gelöst wurde. Wenn da die Verantwortlichen Veranstalter (Bereitsteller, siehe oben) nicht mitgedacht hätten, sondern auf jeden einzelnen Otto-Normalverbraucher gesetzt hätten, der sich sein Wasser selbst mitbringen muss, wäre das ganze nicht das geworden, was es heute ist.
Fazit: Angst vor der Not…
MfG Herr Schmidt
Diesen Zweifeln schließe ich mich an. Im Rahmen meiner Diplomarbeit erforsche ich gerade eine“Gruppe“ von Menschen, die zusammen für sich und andere billiges veganes Essen kochen. Mein erster Ansatz war Ostroms „Methode“ (die ja leider keine ist) auf diese Gruppe „anzuwenden“. Im Laufe der teilnehmenden Beobachtungen, der Auswertung der Gespräche und der Analyse von Dokumenten wurde mir klar, dass es unmöglich ist, das Vorhandensein auch nur eines der sieben Kriterien, die Ostrom für die Bildung von Commuties oben definiert, herauszufinden.
Was ist denn eine Grenze und verläuft sie? Die „gültigen“ Antworten ändern sich nicht nur im Laufe der Zeit, sondern werden auch von unterschiedlichen Leuten unterschiedlich interpretiert. Und das was der Forscher als Grenze sieht, muss noch lange keine Grenze sein.
Das Problem bei Ostrom ist, dass man von ihr sagt sie hätte Feldstudien betrieben. Ein Anthropologe oder ein Ethnologe würde über diese Art der Feldforschung lachen. Was Ostrom gemacht hat, also Informationen aus Dokumenten abgelesen, diese Informationen zusammengefasst, Experimente darauf aufgebaut und daraus Aussagen darüber abgeleitet, wie diese Ressourcennutzer „in der Wirklichkeit“ mit ihren Ressourcen umgehen, gilt in der Ethnographie seit Jahrzehnten als Kulturimperialismus. Da hätte die Ökonomie noch ganz schön was nachzuholen, wenn sie das überwinden wöllte. Was sie nicht tun wird, weil es der Ökonomie nicht um Verstehen, sondern um Bestimmen (im doppelten Sinne) geht.
Im Prinzip erklärt sie ja, wie es eine Gruppe von Allmenderessourcennutzern schafft, die institutionellen Bedingungen so anzupassen, dass die Allmenderessource „nachhaltig“ genutzt werden kann. Auf Konflikte geht sie ein, diese können in den Arenen geklärt werden, die eine Gruppe hat um eben Entscheidungen zu treffen. Allerdings erkennt sie nicht, dass ein Konflikt und eine Entscheidung nicht für alle Gruppenmitglieder das selbe bedeuten.
M.E. hat sich das Menschenbild des homo oeconomicus soweit gegen eine Widerlegbarkeit immunisiert, dass es auch in der Kooperation eine Maximierung des eigenen Nutzens in einer Welt begrenzter Ressourcen erkennt. Ostrom kritisiert ja stark Mancur Olsons Logik kollektiven Handelns, die besagt, dass homini oeconomici nicht kooperieren können, weil sie eben egoistisch sind.
Genau die Frage, wie homo oecs es hinbekommen, zu kooperieren, beantwortet ja Ostrom, z.B. in der Verfassung der Allmende.
Gut möglich. Allerdings lässt die Not einen homo oeconomicus auch erstmal entstehen. Die Wirtschaftstheorie geht (so wie ich das bisher verstehe) von einer Welt begrenzter Ressourcen aus. Daher ist Not aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht eigentlich eine ziemlich geile Sache, weil man dann ein System hat, in dem sich Homines oeconomici (das sollte der Plural sein) überhaupt denken lassen können.
@Herr Schmidt und Torsten:
Im Grunde geht es gar nicht um eine Kritik von Ostroms Ansätzen (welcher Ansatz wäre schon frei von Kritik?), sondern eher um ergänzende Fragen. Eine dieser (meiner) Fragen bezieht sich auf die community, die das commoning braucht, um Gemeingut hervorzugringen. Im Grunde gibt es hinsicht der Frage, wann Individuuen kooperieren zwei Ansätze. Der erste, der utilitaritisch-indivdiualistische sagt, dass Ego ein Nutzenmaximierer ist und aufgrund knapper Güter und beschränkter Mittel nach eigenem Nutzen handelt. Wenn man dieser Theorie folgt, gibt es nur einen tautologischen Auswerk, um Kooperation zu erklären, nämlich den, dass Kooperation letztlich utilitaristisch für Ego wirkt, da es seine natürlich und soziale Reproduktion zulässt. Streng genommen kann dieser Ansatz eigentlich gar keine Entstehung von Kooperation erklären, da diese für Ego nicht rational ist (das ist das, was uns die neo-klassische Wirtschaftstheorie einreden will). Der andere Ansatz erklärt Ego als völlig von Kultur oder sozialer Gruppe bestimmt. Neben den ökonomischen tritt hier der altruistische Automat, der stets das Wohl der Gruppe imm Auge hat. Dieser Theorie nach können Konflikte eigentlich nur selten entstehen, und falls doch dann nur, wenn Kultur und/oder soziale Gruppe versagen.
Marcel Mauss, ein früher ethnologe/soziologe zu beginn des 20. Jh. hat festgestellt, dass sich das soziale Handeln immer zwischen diesen Polen bewegt und dass das Phänomen der Gabe dasjenige ist, dass Kooperation zulässt, weil es, als zunächst egoistischer Akt, Konflikte vermeiden und Allianzen schmieden möchte. Altruismus und Utilitarismus fallen in der Gabe zusammen. Zu Marcel Mauss gibt es noch viel zu sagen, aber ein wesentlicher Punkt für mich ist, dass sein Fokus auf die Beziehung Geben-Annehmen-Erwidern weg führt von sehr schwierigen Versuchen community (und damit commoning ) zu erklären und eher den Schwerpunkt auf soziale Beziehungen selbst legt. Villeicht sind es ja die sozialen Beziehungen selbst, die den Wert (nicht nur) eines commons begründen. „Not“ ist natürlich immer vorhanden, wenn darunter die Not zur Kooperation versteht, ohne die wir so gut wie nichts erreichen würden. Vielleicht ließe sich Marcel Mauss an Ostrom „andocken“, von daher bin ich gespannt auf die Reaktion der Ostrom-Experten hier.
Viele Grüße,
Ralf
Spannend. Ich frage mich nur, ob man dabei das Menschenbild aufrechterhalten kann, von dem Ostrom ausgeht. M.E. würde „Mauss an Ostrom andocken“ bedeuten, dass Mauss die MS „Ökonomie“ entert, das Ruder übernimmt und den Kahn während der Fahrt komplett umbaut. Schöne Vorstellung, zumahl die Ökonomen ja immer frecher werden und behaupten mit ihrem homo oeconomicus alles machen und erklären zu können (siehe Gary Becker, siehe Kirchgässners „homo oeconomicus„).
Ich denke, dass Problem ist vielleicht nicht, Mauss an Ostrom anzudocken, sondern das Resultat dieses Andockens einer breiten Rezeption und Kritik zuzuführen.
Du hast Recht: Das Problem des Andockens ist eher das Problem der Rezeption und der Kritik. Vielleicht sollte man hier einen Blick nach Frankreich werfen, wo Leute wie Alain Caillé oder Jean Loius Laville Mauss wiederentdecken (wobei er in Frankreich wohl nie wirklich vergessen war) und ihn als 3. Weg der Soziologie sehen. Interessant auch für die Anderen in diesem Blog/Thread ist vielleicht folgende Adresse:
Rethinking Economies
Hier findet man viel zu Mauss und Polanyi (noch so ein Wiederentdeckter!) Ich könnte mir gut vorstellen, dass das empirisch erbrachte Material von Ostrom und Co. (zu Deiner Kritik an Ihr wüsste ich gerne mehr, zumal ich glaube, dass Du wie ich Ethnologe bist, oder?) sehr gut zu einer auf Mauss basierenden Sozialtheorie passen könnte. Was dies für das theoretische Konsequenzen nach sich zöge für die Definition der Commons wäre wirklich spannend zu sehen. Aber zurück zum Thema: wie machen wir weiter mit „Der Bildung von communities“ ?
Die Website von „Rethinking Economies“ habe ich mir mal angeschaut. So viel soll da allerdings nicht geändert werden:
Hm – also nicht mal auf den Homo oeconomicus will man verzichten? Und kein Wort von Marx. Dafür gibt’s einen Kongress zum Thema „Moral economies“. Klingt für mich ein bisschen nach schickem Krisen-Zeitgeist-Projekt ohne Ambitionen eines echten Neuanfangs.
Mit „traditional economic anthropology“ ist aber was anderes gemeint als „traditional economics„: nämlich, dass man sich die ökonomische Praxis der Menschen via Feldforschung anschaut, und nicht, wie die neo-klassische Theorie, eine bestimmte Anthropologie des Menschen einfach postuliert. Und zu „moral economies“: Zeitgeistig ist das gewiss nicht, denn schon E.P. Thompson, einer der berühmtesten britischen marxistischen Historiker und geistiger Ziehvater von Peter Linebaugh hat diesen Begriff verwendet. Aber natürlich erfahren Denkrichtungen besonders in Krisenzeiten eine gewisse Renaissance, aber das gilt für die commons genauso.
Feldforschung ist (wie alle Empirie) immer nur so gut, wie die Theorien, die man zugrunde legt. —
Adam Smith hat auch eine „Theory of Moral Sentiments“ geschrieben. Vor einiger Zeit habe ich den Vortrag eines Wirtschaftswissenschaftlers angehört, der erläuterte, dass dieses (lange Zeit ähnlich Newtons Alchimie als Fauxpas ignorierte) Werk nun eine Renaissance in der WiWi erlebe, als der „andere Smith“ oder so. Man hat offenbar den Zusammenhang zwischen einem System, dass Egoismus erzwingt und immense Ungerechtigkeit erzeugt, und der Notwendigkeit von Moral nicht erkannt. Im rechten Denken ist beides eng verbunden: Die Unantastbarkeit des Eigentums (wie auch der anderen vorhandenen gesellschaftlichen Privilegien), und die Moral als Gegenmittel gegen die dadurch entstehenden gesellschaftlichen Spannungen. Vor der Durchsetzung des Kap. spielte der heute allgegenwärtige Moraldiskurs daher auch eine geringe Rolle (vgl. 18. Jh. vs. 19. Jh.). Eine kapitalistische Gesellschaft ohne ständige Moralpredigt würde vermutlich relativ schnell auseinanderfliegen.
Wenn man den Kapitalismus stabilisieren möchte, lohnt es sich, in der Krise ‚moralische‘ Varianten des (kapitalistischen) Wirtschaftens anzuschauen, z.B. den angeblich ‚zinslosen Kapitalismus‘ der islamischen Länder, die viel größere Reichtumsunterschiede als z.B. die USA oder Israel haben, sich diesen Ländern aber aufgrund ihrer moralischen Heuchelei überlegen fühlen.
Dem würde ich entgegen halten, dass Theorie sich nach Empirie zu richten hat und nicht umgekehrt. Beispielsweise kann es theoretisch zwar richtig sein, dass der Kapitalismus „Egoismus erzwingt“, wie Du sagts, aber dass sich trotz allem Menschen anders verhalten als die Theorie es möchte. Was machen wir dann? Zur Moral würde ich sagen, dass der linke Diskurs nicht weniger an moralische Vorstellungen anknüpft, wie sonst sollte man die Forderung nach einer „gerechteren Gesellschaft“ bezeichnen. Ich finde es daher auch sinnlos, Moral als Begriff insgesamt zu verdammen, sondern sie die jeweilige „diskursive Aufladung“ anschauen.
@ Ralf Ullrich:
Ich würde es sehr spannend finden, zu diesem Thema außerhalb der Universität ein Forschungsprojekt zu starten. Seit langem frage ich mich z.B. warum sich an Wikipedia so viele Leute beteiligen und warum sich Wikinews (insbesondere die dt. Version) zunehmend zum Ein-Mann-Projekt wandelt. Vielleicht könnte man so eine Sache mal als außeruniversitäre Forschergemeinschaft beackern?
Zu Mauss Idee, dass Geschenke der Bildung und Aufrechterhaltung von sozialen Beziehungen dienen, ist mir noch eingefallen, dass damit auch der Gedanke der Selbstentfaltung, der in der P2p economy so wichtig scheint, ein bisschen ausgehebelt wird.
Es ist interessant, wie Praxen auch aus einer Mittel-Zum-Zweck-Perspektive gebildet werden: Hier die peer2peer economy als Mittel zum Zweck der Selbstentfaltung. Dort die Geschenke, als Mittel zum Zweck der Bildung von Gemeinschaft.
Hallo, also ich bin noch nicht ganz durch mit dem Lesen der Kommentare, aber ich habe schon gleich zu Anfang viele Fragen:
@Christian: Natürlich sind Lokalwährungen keine communities. Währungen sind Tauschmittel und keine Menschen. Aber könnte man Lokalwährungen nicht als geeignetes Instrument zur Unterstützung des Commoning betrachten?
@ Torsten: So Worte wie „Methoden-Schlampe“ sind sicher unnötig.
@ Stefan: Weiss jetzt wieder, warum ich die Zahl 8 im Kopf hatte. Das steht hier: http://commonsblog.wordpress.com/2008/09/16/prinzipien-des-commonsmanagements/
Später sicher noch etwas mehr. Gruß Silke
Hallo, zwei Dinge noch: Ich habe jetzt überall meine Ostrom-Papiere gesucht, mir dann mit Google-Books geholfen. Zuviel Papier zu Hause. 🙁
Ich verstehe diese 8 Prinzipien nicht als Kriterien für community-building (steht jedenfalls nirgends) sondern als Gelingensprinzipien für funktionierendes Ressourcenmanamgent. Insofern scheint mir die Überschrift des postings irreführend.
Ostrom beschreibt Bauprinzipien für robuste Allmendeinstitutionen. Sieben für kleinere und ein weiteres für komplexere Systeme. Das heißt, sie beschreibt Gelingensbedingungen – die müssen nicht immer alle erfüllt sein. Optimal wäre aber, wenn es so wäre, so ihre These. Ihr könnt ja nochmal hier nachlesen.
http://books.google.de/books?id=Ayoj1a05bHMC&printsec=frontcover&source=gbs_navlinks_s#v=onepage&q=Regeln&f=false (S.118 ff, wobei leider nicht alles online ist)
Die Regel 4 heißt im O-Ton:
„Die Überwacher, die aktiv den AR-Zustand und das Verhalten der Aneigner kontrollieren, sind den Aneignern gegenüber rechenschaftspflichtig oder sind selbst die Aneigner“.
Und soweit ich das im Kopf habe, hat sie in der „Verfassung der Allmende“ die „neuen Commons“ (und damit verbunden die global vernetzten communities noch nicht in der Weise im Kopf gehabt, wie das heute der Fall ist.) Ich weiss auch nicht, ob sie diese Prinzipien mal aktualisiert hat. Da würde ich gern die Wissenschaftler unter Euch fragen…
Ansonsten ärgere ich mich über dieses etwas geschichtslose Ostrom-Bashing. Ja, sie baut eine Brücke zu Methoden und Sprache der Institutionenökonomie und sie ist Institutionenökonomin. So what? Mir wäre es jedenfalls lieber gewesen, wir hätten mehr Ostroms gehabt….
Torsten, ich wüsste noch gern, wo sie ihre Kriterien als Methode beschreibt.
@Torsten: Ein außeruniversitäres Forschungsprojekt fände ich auch interessant!
Aber wieso hebelt Mauss die Vorstellung der Selbstentfaltung aus? Das verstehe ich nicht! brauch die Selbstentfaltung nicht ebenfalls einen sozialen Rahmen, in dem sie stattfinden kann? Sonst bliebe sie doch nichts weiter als eine marx’sche Robinsonade.
@Silke: Ich habe mich da an Paul B. Hartzog orientiert, der die Ostromschen Kriterien in eine einfachere Sprache übertragen hat (oder sind es tatsächlich aktualisierte Kriterien?). Hier zum Beispiel stellt Hartzog die Gelingenskriterien in den Kontext der Interaktion der Commoners mit der Ressource und miteinander (»two dilemmas«). So kam die Überschrift zustande, die ich nach wie vor nicht irreführend finde — auch wenn sie Ostrom so sicher nicht verwenden würde.
@Silke Helfrich: Aber ich denke auch nicht, dass es hier um Ostrom-bashing geht, wieso auch? Das ursrüngliche Posting verstand sich ja als Diskussionsgrundlage, und die findet doch gerade statt. Was ist dagegen einzuwenden? Und was ist mit geschichtslos gemeint?
@ Ralf: Ich habe erst konkret Ton und Wortwahl in Torstens Beitrag gemeint, mich dann aber gewundert, dass den Diskutanten hier auf dem Blog so ein Wort wie „Schlampe“ nicht aufstößt. Ich habe dann überlegt, wie das in der männlichen Form klingen würde. „Schlamper“ . Klingt ziemlich anders! Das semantische Äquivalent wäre ein anderes.
Mit „geschichtslos“ meine ich, dass dieses Werk, aus dem die Bauprinzipien stammen inzwischen um die 25 Jahre alt ist… die Forschung durchgehalten zu haben, ein internat. Netzwerk und eine Assoziation aufgebaut zu haben, wo ziemlich viele Leute ermutigt worden sind, commons überhaupt als Forschungsgegenstand über diese gedankendürre Zeit zu bringen, ist ein Verdienst, dass man eben kontextualisieren muss.
@ Stefan: Ja, ich hatte Deine Quelle gesehen, deshalb bin ich nochmal zurück gegangen zum Ursprung. Da aus meiner Sicht communities nur ein Baustein von commons sind, gibt es m.E. auch einen Unterschied zwischen den „prinzipien gelingender communities“ und denen gelingender Commons. Da nehme ich mal mein Lieblingsbeispiel vom Wochenende: Prinzipien gelingender Communities würde ich auch auf die Golfplatzcommunity anwenden, Prinzipien gelingender Commons nicht. Und da sind wir wieder bei der Werte- äh… Zieldiskussion 🙂
@Silke: Die Einwände sind beide berechtigt, aber man könnte auch sagen, dass es funktionierende Commons gibt, obwohl die Communities weit weniger gut funktionieren. Ich denke da an einen Artikel vom James Fernández von 1984 aus The Question of the Commons (auch ein Artikel von Ostrom ist dabei), der sehr wohlwollend die Revitalsierung von Commons in Asturien beschreibt, aber gleichzeitig deutlich macht, dass Communties sich gegenüber dem Beobachter als geschlossen oder homogen präsentieren, im Innern aber von Machtverhätlnissen geprägt sind, die nach außen nicht thematisiert werden. Das heisst, dass manchmal lokale Klassenstrukturen in die Aneignung von Commons (als physische Ressource oder als Arbeit) eingreifen, und sich den Mehrwert einer Ressource (z. Bsp. in Form kommunaler Arbeit) anzueigenen. Daher mein vielleicht etwas nerviges Beharren auf Community als zentraler Bestandteil von Commons.
Gruß Ralf
@ Ralf, ja, ist mir einleuchtend – geht in Richtung, Commons nicht zu romanitisieren.
Da ich commons immer an communities gebunden denke, kann es m.E. gar kein „nerviges Beharren“ auf community geben.
@ Silke,
ooh, Methodenschlampe, hab ich das gesagt? Mmm tatsächlich. Ist wirklich bisschen grob, aber aus Ostroms Werken ist nun mal nicht herauszubekommen, wie sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit methodisch vorgegangen ist (Ostroms Doktorarbeit vertröstet den methodisch Interessierten z.B. mit dem Satz „The study was based primarily upon the use of documentary materials.“ S.17) . Da finde ich einen Rüffel schonmal angebracht. Was ist denn die korrekte Bezeichnung für Methodenschlampe?
Ich finde schon die von ihr verwendete Bezeichnung Institutionenanalyse falsch, m.E. betreibt sie Institutionendefinition. Als Methode wird Ostroms Vorgehen z.B. von Bernhard Miebach in Soziologische Handlungstheorie, Eine Einführung auf S.428 bezeichnet. Dort heißt es „Methode der empirischen Fallbeispiele (Ostrom)“ und auf S. 427 desselben Werke wird ihr Modell des institutionellen Wandels nochmal als Methode bezeichnet. Mir kam es nicht auf Ostrom-Bashing an, sondern eher darauf eine Heiligenverehrung zu vermeiden.
@ Ralf Ullrich
So wie ich seine Gabe verstehe, ist das Ziel des Tausches die Bildung und der Erhalt von sozialen Bindungen. Der Kula-Ring schafft keinen Mehrwert, mit dem sich der Einzelne irgendwas leisten könnte. Stattdessen schafft er nur Verpflichtungen (zur rechten Zeit mit dem richtigen Halsband am richtigen Ort sein), aus denen sich weitere Verpflichtungen ergeben (Beziehungen langfristig erhalten). Auch ein Potlatch scheint mir aus der Perspektive der Selbstentfaltung eher kontraproduktiv zu sein.
Bei Mauss scheinen Gebender und Nehmender durch den Geist des Geschenkes für immer miteinander verbunden zu sein, der dafür sorgt, dass sich beide immer wieder was schenken müssen.Für mich klingt das eher nach gegenseitiger Bindung als nach Selbstentfaltung.
Ich habe Mauss jetzt nicht vorliegen, vielleicht kennt er ja andere Formen der Gabe? Solche, die Selbstentfaltung zulassen?
Mmh…. ich habe leider wenig Ahnung von Marx (von Robinson schon mehr 😉 vielleicht müsste man auch noch klären, was Selbstentfaltung ist?
Na dann: wie machen wir das? Kann ich Dich irgendwie erreichen?
@Thorsten: „Selbstentfaltung“ als Begriff, wie er hier auf diesem Blog meist verwendet wird, meint Selbstentfaltung, die immer die Selbstentfaltung der anderen benötigt und bedingt. Insofern hat Ralf völlig recht. „Bindung“ ist nicht das Gegenteil von Selbstentfaltung, sondern deren Bedingung. Bindungslose Selbstentfaltung wird hier oft „Selbstverwirklichung“ genannt. Genau darin liegt auch einer der zentralen Unterschiede zum (neo-)liberalen Diskurs.
@Silke #21:
Das Geld als „allgemeines (wenn auch vielleicht nur lokales) Äquivalent“ verhindert das Commoning ja gerade. Das Verhältnis zu den anderen Community-Mitgliedern wird so notwendigerweise durch die Geld- und Tauschbeziehungen bestimmt. Commons kann es aber überhaupt nur geben, wo nicht verkauft und gekauft wird; und bei Communities gibt es im Allgemeinen zwar durch eine gewisse Reziprozität (wer aus der Community Nutzen zieht, gibt ihr zumeist auch etwas zurück – jedenfalls bei Offline-Communities), aber keine strenge Äquivalenz.
Geld ist immer ein Nullsummenspiel – wenn ich jemand anderem „zu viel“ zahle, erleide ich selbst einen Schaden, zahle ich „zu wenig“, leidet er/sie. Commoning zeichnet sich dagegen durch eine Positive-Summen-Logik aus: was mir nutzt, nutzt im Allgemeinen auch dem/der/den anderen – und umgekehrt. Deshalb gehen Commoning und Geld nicht zusammen.
[Dieser Kommentar war im Spamfilter hängen geblieben, Anm. CS.]
@Christian: In welcher Hinsicht (analytisch, theoretisch, praktisch) und für wen (Forscher, Aktivist, Normalbürger) gehen Geld und commoning nicht zusammen? Ich wüßte nicht was dagegen spricht Geld (hier: lokales), wenn man es denn als soziale Beziehung und nicht als gegebenes Ding betrachtet,für andere Zwecke „umdefinieren“ oder besser: für eine andere Praxis verwenden zu können. Dies scheint ja bei den lokalen Währungen ab und an der Fall zu sein. Ich glaube ausserdem nicht, dass ein einziges Medium alleine so allmächtig ist alle Formen sozialer Beziehung zu dominieren, wie es oben anklingt. Interessant ist dazu vielleicht folgender Link (gerade nicht erreichbar) : http://thememorybank.co.uk/2010/01/16/building-economic-democracy-with-community-currencies/
@Christian:
Ist das wirklich so? Analytisch ja, hier sollte man tatsächlich die Dinge auseinanderhalten und die besondere Rolle des Geldes als Tauschmittel und Wertmaßstab berücksichtigen. Aber vielleicht gilt dies eben nur für Leute, die sich analytisch mit dem Thema befassen. Warum sollte für die Menschen, die lokale Währungssysteme benutzen nicht ein anderer als der (auch hier schon sehr selektiv verwendete, denn es gibt noch viele andere Formen von Tausch außer dem von Waren) Tauschwert im Vordergrund stehen? Geld schreibt uns ja nicht vor, wie man es zu verwenden hat oder welche Beziehungen es hervorbringen kann/soll. Da es Geld lange vor dem Kapitalismus gab, ist nicht der Stellenwert von Geld als Tauschmittel das Problem, sondern die soziale Praxis, in die es eingebunden ist. Warum sollten lokale Währungssysteme (als eines von vielen Mitteln) nicht zum Bestandteil eines commoning werden können bzw., warum widersprechen sich beide? Mir ist schon klar, dass Geld in seiner aktuellen Form letztlich ein Macht- und Herrschaftsverhältnis begründet, aber das gilt auch für symbolisches und kulturelles Kapital wie Kunstgenuss oder legitimer Geschmack, um nur zwei Beispiele zu nennen. Vielleicht fetischisieren wir Geld insgesamt zu sehr, wenn wir es diametral den commons gegenüberstellen.
@Ralf:
Das scheint mir zweifelhaft. Klar bedeutet Geld nicht automatisch Kapitalismus, aber in vorkapitalistischen Gesellschaften spielten Geld und Handel immer nur eine Nebenrolle. Einige Dinge wurden ge- und verkauft, aber der Großteil des Lebens wurde auf andere Weise organisiert, z.B. per Subsistenz oder (Feudalismus etc.) in direkten Abhängigkeitsverhältnissen.
Was sich seitdem geändert hat, ist dass Geld und Tausch heute in Hauptrolle spielen in der Organisation des Lebensnotwendigen.Wie man an den sozialen Praktiken etwas Nenneswertes verändern können sollte, wenn man andererseits an dieser Hauptrolle nicht rütteln will, bleibt mir schleierhaft.
Es ist doch so, Geld wird immer knapper. Und die Menschen brauchen Geld! Wovon sollen sie sonst leben? Da ist es doch gut, das Geld neu zu erfinden und Parallelwährungen zu schaffen! Vielleicht finden wir nette Institutionenökonominnen, die uns dabei helfen. Kritik der politischen Ökonomie war gestern, heute gibt es schließlich die Heinrich-Böll-Stiftung!
@Christian: Schon klar: Karl Polanyi hat schon sehr früh darauf hingewiesen, dass in unserer Form des Marktes andere soziale Formen disembedded sind im Vergleich zu dem, was er traditionelle Gesellschaften nannte. Die Frage ist ausserdem auch nicht, ob man an was rüttelt (ich würde denken, dass es den meisten in diesem Blog ums Rütteln geht) sondern wie. Unter pragmatischen Gesichtspunkten (nicht analytischen) haben Lokalwährungen sehr wohl einen Sinn, der u.a. auch im Rütteln besteht, aber eben nicht nur. Ähnlich wie bei OpenSource sind die Quellen immerhin offen: sie leiden nicht unter der künstlichen Knappheit, die das Geld normalerweise ausmacht, von dem gerade nur immer so viel erzeugt wird, dass es knapp bleibt umd somit zu einer Ware wird wie jede andere auch. Lokalwährungen haben aber aufgrund ihres geringen Geltungskreises eine andere Perspektive: sie entstehen aufgrund freier Übereinkunft, und erzeugen eben nicht das Gefühl, ihnen machtlos gegenüber zu stehen. Sie bleiben innerhalb des Kreises, aus dem sie stammen, was einen kleinen, aber analytisch signifikanten Unterschied ausmacht. Obwohl, und da gebe ich Dir Recht, einige Praktiken, die um und mit Lokalwährungen enstehen durchaus denen des Mainstream-Kapitalismus entsprechen, bringen sie andere soziale Formen hervor, vielleicht, weil sie die Reichweite des Geldes künstlich verknappen, und nicht das Geld selbst. Mit einer allgemeinen und für andere Kontexte gedachten Definition der Geldform kommt man vielleicht nicht weiter, aber das bliebe erst empirisch zu untersuchen.
@Geldpfuscher: What`s up? Nur weil in einem Posting die Vokabeln „Kritikt der politischen Ökonomie“ auftaucht, muss es noch lange nicht geistreich sein. Vielleicht sagts Du mal genauer, was Du meinst.
Ralf
Die „künstliche Knappheit“ des Gelds besteht nicht darin, dass irgendeine Zentralbank damit knausrig ist. Diese Vorstellung ist bei einem Teil der Linken verbreitet, die glauben, der Staat müsse nur nach Belieben Geld drucken oder sich verschulden, und die Knappheit würde verschwinden. Das ist natürlich Unsinn. Druckt die Zentralbank mehr Geld, entwertet es sich halt – man hat also nicht mehr Geld, sondern nur mehr Nullen auf den Scheinen. Marx hat dann gezeigt, was weniger offensichtlich ist: Dass die „künstliche Knappheit“ eine Eigenschaft ist, die Geld als Ausdruck des Werts im Kapitalismus erhält, weil dieser auf dem Äquivalententauschprinzip beruht: Ich kann nur etwas gegen ein bestimmtes Äquivalent tauschen, wenn andere es nicht gegen ein geringeres Äquivalent anderswo erhalten können. Daher müssen letztlich alle Waren immer knapp sein: Sie werden nur produziert, wenn sich das lohnt, und es lohnt sich nur, wenn sie nicht in Fülle vorhanden sind, denn dann würde niemand etwas anderes dafür hergeben.
Knappheit liegt im Kapitalismus also ganz tief im System drin: nämlich im Tauschprinzip. Da die Lokalwährungen mit dem Tauschprinzip nicht Schluss machen, sind sie genau dasselbe, was Währungen immer waren. Nur regionalisieren sie das Geld wieder – doch das gab es auch schon Jahrhunderte lang. Eine der großen Errungenschaften des Kapitalismus war es, die Lokalwährungen gerade abzuschaffen. Wenn Lokalwährungen sich durchsetzen würden, würde sich bald zeigen, dass sie letztlich wie eine Zentralwährung funktionieren, nur weit ineffizienter sind (wg. Umtausch, Unsicherheit von Wechselkursen usw.). Allerdings geht das sowieso nicht, weil der Stand der Produktivkräfte (Komplexität und Internationalität der Produktion) es unmöglich macht.
„Freie Übereinkunft“ ist nur ein anderer Ausdruck für Konvention, und eine solche ist das Geld immer. Man kann eine neue Konvention einführen, aber da ist nix Emanzipatorisches dran, wie es bei dir klingt. Die Etablierenden der Konvention können sich dabei selbstbestimmt vorkommen, aber sobald sie sich durchgesetzt hat, müssen sich die andern dran halten. Und dann gilt sowieso die Eigendynamik des Gelds wieder.
@Martin: Du behauptest für die Ökonomie die gleiche Autonomie vom Sozialen, wie dies der neoliberale Diskurs insgesamt behauptet. Diese Auffassung ist eines der grundlegenden Probleme unserer aktuellen Krise und hat weniger mit einer linken Vorstellung zu tun (wies sollte diese linke Vorstellung 2010 eigentlich aussehen, wo es die Linke gar nicht gibt?), sondern mit der einfachen Feststellung, dass die Ökonomie ein soziales Gefüge ist, wenn auch ein sehr komplexes. Ich bezweifle weder Deine tiefen Marx-Kentnisse noch die Tatsache, dass einige der Lokalwährungssysteme die sozialen Mechanismen reproduzieren, die für den sie umgebenden Kapitalismus typisch sind. Ich bezweifle aber sehr, dass sie nicht das Potential haben einen Unterschied zu machen.
Wenn man aber von „freier Übereinkunft“ als „… nur ein anderer Ausdruck für Konvention“ spricht, wie Du es oben tust, muss man sich fragen, ob man nicht das Wesentliche, nämlich die Erkenntnis, dass man soziale Beziehungen beeinflussen und vielleicht sogar mitbestimmen kann, übersieht und einfach für nichtig erklärt, weil die Umstände sowieso so sind, wie sie sind und so weiter…
Niemand zweifelt daran, dass eine der großen Aufgaben der commons-Debatte sein wird, wie sie das Lokale mit dem Globalen zu verbinden in der Lage sein wird, nur scheint mir die Auffassung, dass dies unmöglich sei, relativ unfruchtbar. Was wäre denn für Dich emanzipatorisch, wenn ich mal nachfragen darf ?
Kapitalismus und Geld hinter sich lassen, Peer-Ökonomie hat das Potential dazu. Lokalwährungen haben dagegen einen ganz anderen Zweck, den Christian Gelleri, Initiator des „Chiemgauer“, auf den Punkt bringt:
Also sollen die lokalen Unternehmen gegen die globalen geschützt werden. Das hat sicher seine Vorteile, allerdings nur für diese Unternehmen. Für alle anderen werden die Waren teurer (die Lokalwährung funktioniert da ähnlich einem Schutzzoll). Außerdem sind der „Mittelstand“ und mehr noch die Kleinunternehmen die schlimmsten Ausbeuter. Für sie gelten geringere Anforderungen bei Kündigungsschutz und Sozialleistungen; je kleiner das Unternehmen, desto mehr nimmt die Ausbeutung der Arbeitskraft eine patriarchalen Charakter an („Wir sitzen doch alle im selben Boot“); Betriebsräte gibt’s selten; usw. Allerdings ist es zweifelhaft, ob man mit Lokalwährungen wirklich die lokale Wirtschaft stützen kann, die Großunternehmen werden sich auch darauf einstellen und dann wird man halt in der lokalen McDonalds-Filiale mit dem „Chiemgauer“ bezahlen. So wie jetzt schon viele internationale Ketten (mit einer Ausnahme – Ikea, das seinen Erfolg sowieso dem „nationalen Flair“ eines Klischee-Schwedens verdankt) regionalisieren. Was dabei rauskommt, ist also die übliche Lokal-Folklore. Sieht man auch jetzt schon an Namensgebung („Sterntaler“ usw.)
Übrigens haben Lokalwährungen viele Zusammenhänge mit rechtem Gedankengut (und das gibt es durchaus noch 🙁 ):
– die bösen Großunternehmen (Amerikaner, Ausländer usw.), denen man die guten Unternehmen vor Ort entgegensetzt;
– Kritik am bösen anonymen Kapitalismus, dem man einen warmen traditionsbewussten Kapitalismus entgegen setzt;
– die Unterscheidung zwischen „schaffendem“ und „raffendem Kapital“, die hier in aller Unschuld wiederaufgegriffen wird durch die Behauptung, Geld müsse im Umlauf bleiben, dann sei es nützlich und sonst schädlich (wofür man das Prinzip des Schwundgelds von Silvio Gesell übernimmt, der krasse sozialdarwinistische Vorstellungen hatte);
– Unternehmen, die „in den richtigen Händen“ (nämlich denen aus dem eigenen Ort) sein sollen; usw.
Regionalismus (wovon Regionalwährungen nur ein Beispiel ist) bringt auch für die meisten keinen materiellen Vorteil. Er funktioniert nämlich über Verminderung der Konkurrenz auf der Angebotsseite, nämlich Schutz der lokalen Unternehmen vor den nicht-lokalen (z.B. ausländischen). Dieser Schutz ist möglich, aber geht auf Kosten der Arbeiter, die (a) mehr für die Produkte bezahlen müssen und (b) aus weniger konkurrierenden Unternehmen wählen können, daher weniger Lohn und schlechtere Bedingungen.
Dazu packt man dann noch ein wenig Sozialrhetorik („soziale Projekte fördern“), aber das hatten die Nazis auch schon drauf. Nee, Emanzipation sieht nun wirklich anders aus!
(Es geht mir nicht darum, deine Hoffnungen auf Veränderung zu zerstören. Ich wollte nur hier nochmal in aller Deutlichkeit auf die Risiken und Nebenwirkungen von Lokalwährungen hinweisen, auch zum kritischen Weiterlesen anregen. Es gibt wirklich heute vielversprechendere Ansätze, von denen viele übrigens hier auf keimform diskutiert werden! In diesem Sinne …)