Peer-Journalismus
Das Netz hat viele Formen des Informationsaustauschs zu bieten. Aber kann es auch investigativen Journalismus? Nein, meinte Salman Rushdie in einem Vortrag auf einer Konferenz in A Coruña im September dieses Jahres.
Rushdie ist nicht nur ein verfolgter Autor (seit einer Fatwa des Ayatollah Khomeini muss er um sein Leben fürchten), sondern auch ein wirklich guter. Ausgehend von Überlegungen zur heutigen Funktion von Literatur betonte er nun, dass diese nach wie vor einen Informationswert und die Aufgabe habe, die Menschen gerade über komplexe Zusammenhänge oder versteckte Sachverhalte, die sich dem oberflächlichen Blick entziehen, aufzuklären. Eine Perspektive auf Literatur, die ich nach der oft gehörten Betonung der Spiel-, Fiktions- und Intertextualitätsdimension durch die Postmoderne als angenehm empfunden habe.
Der Hinweis, das Netz sei zwar zur Verbreitung von Meinungen und Argumenten gut geeignet, aber schlecht im investigativen Journalismus (IJ), fiel in diesem Zusammenhang. Rushdie schlug damit natürlich in eine Kerbe: Dass es nur für Meinungsaustausch, aber nicht für Wissenserzeugung geeignet sei, ist einer der Standardvorwürfe gegen das Internet. Die vielen Forschungsnetzwerke und Wissenschaftsplattformen beweisen das Gegenteil. Allerdings ist der IJ auf den ersten Blick tatsächlich wenig vertreten. Rushdies Vorwurf schien mir daher einer Überprüfung wert.
Was gibt es schon?
Eine erste Nachforschung mit Google ergab kaum einschlägige Ergebnisse. Daher habe ich mich an das netzwerk recherche gewandt, einen Verein zur Förderung des IJ. Günter Bartsch vom netzwerk recherche antwortete mir:
spontan fällt mir Jens Weinreich ein, der vorige Woche bei unserer Korruptionstagung von seinen Recherchen berichtet hat. Er arbeitet als freier Journalist und bloggt unter www.jensweinreich.de – in diesem Umfang ist er damit in Deutschland aber noch eher die Ausnahme.
Auf der Tagung berichteten auch die stern- bzw. stern.de-Redakteure Marcus Gatzke, Florian Güßgen und Johannes Röhrig von ihrer Arbeit – und betonten dabei am Beispiel des Bahn-Datenschutzskandals die Vorteile, die eine Online-Berichterstattung gegenüber bzw. in Kombination mit einem Print-Magazin bringt. Allerdings machten sie auch deutlich, dass die gedruckte Geschichte nach wie vor mehr Schlagkraft besitzt.
Drittes Beispiel: Der Verein Lobbycontrol deckt regelmäßig PR- und Lobby-Machenschaften auf. Der Kollege Boris Kartheuser, der u.a. auch für Monitor arbeitet, hat dort einige Monate gearbeitet und den Skandal um verdeckte PR bei der Deutschen Bahn (Berlinpolis etc.) aufgedeckt. Nun kann man fragen: Was hat die NGO-Arbeit mit investigativem Journalismus zu tun? In der Tat gibt es natürlich Unterschiede, was die Ziele angeht. Andererseits nimmt Lobbycontrol da Aufgaben war, die eigentlich Journalisten übernehmen sollten. […]
Alles in allem lässt sich feststellen, dass die Investigativrecherche im Netz – jedenfalls in Deutschland – noch recht gering ausgeprägt ist. Den Online-Medien (bzw. den Online-Ablegern von Zeitungen und Magazinen) fehlen häufig Personal und Mittel für aufwendige Recherchen.
Markus Beckedahl habe ich auch gefragt, ihm fiel neben Jens Weinreich noch Stefan Niggemeier ein, beides seien allerdings quasi Journalisten, die eben über ihre Ergebnisse bloggten. Man stoße aber immer wieder auf einzelne Fälle, in denen Blogger investigativ gearbeitet hätten. – Blogger sind also typischerweise im Einzelfall investigativ tätig (wenn es in ihrem gewählten Themenbereich grade etwas zu recherchieren gibt), sie sind „Laien“ im besten Sinne des Wortes, die das nicht gelernt haben, sondern aus Interesse an einem konkreten Thema investigativ tätig werden. (Man könnte spekulieren, dass solche Recherchen bislang weniger wahrgenommen werden als die von professionellen Journalisten, weil Journalismus-Preise usw. bislang auf Profis ausgerichtet sind.)
Als Beispiele zwei Skandale, die hauptsächlich im Internet aufgeklärt wurden:
– Die Sicherheitsmängel der Diebold-Wahlmaschinen, die z.B. der Podcast Sploitcast durch Nachbau der Schlüssel recherchierte.
– Jürgen Rüttgers üble Sprüche über Rumänen und Chinesen, bei einem Wahlkampfauftritt, die von Anwesenden auf youtube eingestellt wurden (und mehr als nur ein Ausrutscher sind, weil Rüttgers seine rassistische Einstellung und Ablehnung des Asylrechts schon einmal mit großem Erfolg bei der „Kinder statt Inder“-Kampagne demonstriert hatte, also offenbar ganz bewusst Rassismus und Ausländerfeindlichkeit hoffähig machen will).
Investigativ war gestern?
Die genannten Beispiele zeigen, dass das Internet durchaus etwas im Bereich IJ zu bieten hat; insgesamt scheint er aber doch noch dünn vertreten zu sein. Allerdings sind anspruchsvolle investigative Recherchen auch in den ‚klassischen‘ IJ-Medien (Fernsehen und vor allem Zeitungen) seltener geworden. Denn obwohl IJ, wenn er erfolgreich ist, neben jeder Menge Ärger auch Ruhm und Auflagensteigerungen bringen kann, leistet es sich kaum eine Zeitung mehr, aufwändige Recherchen zu finanzieren. Eine Rolle spielt dabei sicher, dass sich Anwälte auf Unterlassungsklagen, Persönlichkeitsrechte usw. spezialisiert haben und rascher und skrupelloser geklagt wird als früher. Auch direkte Zensur (etwa durch den übergeordneten Konzern – es gibt kaum mehr unabhängige Zeitungen – oder durch ängstliche Chefredakteure) ist in einer Zeit gesellschaftlicher Reaktion, in der die Gesellschaft von ihrer eigenen Organisationsform nichts wissen will und höchstens Fehlleistungen einzelner Funktionsträger aufgedeckt werden dürfen, häufiger geworden.
Und zu schlechter Letzt scheint die Justiz immer weniger auf Seiten der Journalisten zu stehen und nimmt schon einmal flott Ermittlungen wegen „Geheimnisverrats“ auf, wenn skandalöse Details aus Behörden oder Geheimdiensten durchsickern – während die Skandale selbst oft nicht zu Anklagen und noch viel seltener zu Verurteilungen führen. Die Justiz scheint es in unserer Zeit nicht mehr nötig zu haben, ihren behaupteten objektiven Status im bürgerlichen Staat zu demonstrieren; sie kann mehr oder minder offen den Interessen der Mächtigen und des Kapitals dienen. (Ein Beispiel dafür, wie die Justiz gegen die Schuldigen an einem Riesenskandal nur zögerlich wegen „Ordnungswidrigkeiten“ ermittelt und diese Verfahren dann auch so rasch wie irgend möglich wieder einstellt, ist der Bestechungsskandal bei Siemens.)
Auch wenn staatliche Insitutionen lieber den Maulwurf in den eigenen Reihen suchen, der die Presse informiert hat, als die ans Licht gekommenen Skandale ernst zu nehmen (in diesem Fall immerhin ein 142faches Massaker, das durch einen skrupellos lügenden Militär angeordnet wurde), scheint niemanden zu stören. – Es gibt also eine ganze Reihe von Gründen dafür, dass investigativer Journalismus heute zu einer Seltenheit geworden ist. Die Zeitungen selbst schieben ihr geringes Engagement für IJ allerdings am liebsten auf den durch das Internet verursachten Auflagen- und Anzeigenschwund: Man habe schlicht kein Geld mehr für die nötige aufwändige Recherche …
Auch insoweit dies tatsächlich stimmt, ist der (fast schon zum keimform-Mantra gewordene 🙂 ) Hinweis auf die Kapitalismus-Abhängigkeit des Problems nötig: Was dem Internet hier zur Last gelegt wird, sind Wirkungen, die es nur unter Bedingungen des Kapitalismus hat. Das Internet ist nicht an und für sich dem investigativen Journalismus abträglich, aber in einer Gesellschaft, in der aufwändige Recherchen meist nur als Fulltime-Job möglich sind und auch zusätzlich viel Geld kosten können (für Flüge, Unterbringung, Kauf von Informationen usw.), ist er im Rahmen von Blogs praktisch unmöglich und für Online-Nachrichtenportale (die einen sehr viel höheren Artikeldurchsatz bei geringerer Finanzdecke haben als traditionelle Medien) schwierig. In einer solchen Gesellschaft schadet es auch (durch Konkurrenz um Auflage und Werbung) den anderen Medien und verengt deren Spielraum. All dies gilt in einer Peer-Ökonomie nicht.
Investigativer Journalismus gilt durchaus zu Recht als Speerspitze der Informations- und Nachrichtensphäre. Hier wird wirklich Neues herausgefunden und damit viele Fragen geklärt, die sich auf der Diskussionsebene sonst gar nicht sinnvoll lösen lassen. Dass im Netz manchmal zu viel diskutiert wird, dass eine Überbetonung der Meinungspluralität und eine Unterbetonung der Fakten stattfindet (die natürlich die Pluralität nicht überflüssig machen, aber oft das Spektrum angemessener Einschätzungen stark reduzieren), halte ich für eine berechtigte Kritik. Brächte das Netz keinen investigativen Journalismus hevor, wäre das jedenfalls eine Schwachstelle. Dass diese Schwachstelle nur für die Zeit des Kapitalismus gilt, ist ein gewisser Trost. Aber da investigativer Journalismus ja gerade zur Aufdeckung von Skandalen führt, hat er eine wichtige Funktion auch beim Übergang zur Peer-Ökonomie.
Wie könnte ein Peer-Journalismus aussehen?
Die von Günter Bartsch genannten Beispiele zeigen, dass im Netz durchaus Skandale aufgeklärt werden und es auf dem Weg ist, hier zu den Zeitungen aufzuschließen. Meine These ist aber, dass es noch mehr kann. Es könnte eine neue Form des Journalismus entstehen – der Peer-Journalismus. Dazu einige (noch ganz provisorische) Thesen:
1. Investigativer Journalismus ist von großer Wichtigkeit. Wenn das Netz keinen IJ zustande bringt, kann es die Funktionen der traditionellen Medien (Printmedien, Fernsehmagazine usw.) nicht vollständig übernehmen.
2. Die Veränderungen, die derzeit in vielen Bereichen stattfinden und die man als Entwicklungen in Richtung der Peer-Ökonomie deuten kann, werden auch vor dem Journalismus nicht halt machen. Vermutlich werden im Netz neue Formen des IJ entstehen, die diesen Entwicklungen entsprechen und daher als „Peer-Journalismus“ bezeichnet werden können.
3. Richtigen Peer-Journalismus scheint es noch nicht zu geben, aber einige Anfänge. Zu diesen gehören:
a. Microblogging (z.B. twittern) hat bereits zur blitzschnellen Meldung von Unglücken geführt, aber auch z.B. beim Aufstand im Iran eine wichtige Rolle zur Informationsverbreitung gespielt. Wenn Microblogging stärker verbreitet wäre, wäre die Vermischung von Journalist und Augenzeuge, das millionenfache Zeugentum und die Multiperspektivierung aller größeren Ereignisse möglich. Sogar verdeckte Ermittlungen könnten in einem gewissen Umfang überflüssig werden, nämlich immer dann, wenn sich Microblogger anonym aus Organisationen melden und als „Whistleblower“ fungieren.
Allerdings kann Microblogging beharrliches Nachforschen nicht ersetzen. Es werden sich kaum Informanten aus Mafia, Geheimdiensten, dem Militär oder der Führungsebene von Diktaturen mal eben per Twitter melden. Verdeckte Ermittlungen von Spezialisten werden weiterhin nötig sein. Denkbar ist jedoch, dass sich Microblogging mit investigativen Praktiken verbinden lässt, z.B. indem man auf Orte hinweist, an denen gerade etwas Wichtiges passiert, um Informationen aus bestimmten Organisationen oder geschlossenen Bereichen bittet, oder eine ‚verteilte Recherche‘ (s. unten) mit seiner Hilfe koordiniert.
b. Schwarmintelligenz im Investigativen Journalismus: Viele zusammen können viel herausfinden. Ähnlich wie bei ‚verteiltes Rechnen‘ (distributed computing) bei SETI@home und ähnlichen Projekten kann jedeR die Ressourcen, die er/sie besitzt, beitragen (z.B. Information; Zeit; Rechenleistung; Knobelfähigkeit; Erfahrung in bestimmten Aufgaben usw.), die dann fürs gemeinsame Lösen einer Aufgabe verwendet werden. Prinzipiell erscheint es denkbar, auf diese Art Skandale oder Unglücke zu untersuchen.
4. IJ könnte gut im Rahmen eines journalistischen Peer-Projekts betrieben werden. Es ist daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis explizit IJ betreibende Projekte im Netz auftauchen. Rushdies These, dass Blogs nur zum Meinungsjournalismus taugen, mag heute noch plausibel erscheinen, aber das dürfte sich ändern, wenn die Peer-Ökonomie in immer mehr Bereichen menschlicher Tätigkeit Einzug hält und irgendwann auch den Journalismus erfasst. Dabei werden neue, den besonderen Möglichkeiten des Netzes entsprechende Formen des IJ entstehen.
5. Wie in allen Bereichen, bringt auch auch hier Peer-Ökonomie einen neuen ‚Spirit‘ in die Sache: Statt des einsamen Jägers, der der Wahrheit in einem mutigen Kampf gut gegen böse auf der Spur ist (und in dieser Form im 20. Jahrhundert das Medienbild des IJ bestimmte), werden in der Zukunft Teilen von Wissen, freie Kooperation, Zusammenarbeit über große Distanzen, Gebrauchswertorientierung, Dezentralisierung, Enthierarchisierung bestimmend. Diese neue Form des IJ kann dann als „Peer-Journalismus“ bezeichnet werden.
6. Allerdings werden sicherlich einige für den IJ typische Regeln gelten, die zu bestimmten Besonderheiten und Ausnahmen führen: Quellen müssen geschützt und daher geheim gehalten werden; das Wissen kann für die Dauer einer Recherche nur innerhalb des Rechercheteams geteilt, nach außen aber sorgfältig abgeschottet werden, um den Erfolg und die Beteiligten nicht zu gefährden.
Dadurch würde sicher eine größere Geschlossenheit bedingt, als sie bislang bei fast allen Projekten der Peer-Ökonomie zu beobachten ist. Wissen kann nicht immer sofort frei geteilt werden, was für die PÖ untypisch ist. Neu dem Team Beitretende können evt. nicht sofort mitmachen und müssten vielleicht sogar einen „Sicherheitscheck“ über sich ergehen lassen, da es sich ja auch um eingeschleuste Spitzel handeln kann, wenn etwa über Staatskorruption, Geheimdienste oder das Organisierte Verbrechen berichtet wird. (Interessant wäre auch, zu überlegen, ob solche Sonderregelungen auch für andere Bereiche mit hohem Gefahrenpotential und besonderen Sicherheitsanforderungen gelten werden, etwa den Umgang mit Sondermüll, den Abbau von Atomkraftwerken o.ä.; bislang hat sich die Peer-Ökonomie noch kaum mit solchen Bereichen beschäftigt.)
7. Es werden sich dabei auch rechtliche Fragen stellen, etwa da typischerweise Insider / Informanten nun direkt an Projekten teilnehmen können. Diese werden oft durch Knebelverträge, Schweigeverpflichtungen etc. gebunden sein und müssen geschützt werden, ohne dass eine mächtige Zeitung (oder andere Institution) als Garant der Anonymität zwischen Veröffentlichungsort (dem Ansatzpunkt der juristischen oder behördlichen Verfolgung) und InformantIn treten, wie dies bislang beim IJ häufig der Fall war. Die Garantie von Anonymität im Netz spielt hier eine entscheidende Rolle. Die Vorratsdatenspeicherung könnte sich damit verhängnisvoll auf die Möglichkeit eines Peer-Journalismus auswirken. InformantInnen wird es nur geben, wenn die Anonymität garantiert ist. (Wie gesagt hat schon heute die Justiz oft nichts Eiligeres zu tun, als bei sensationellen Enthüllungen sofort Ermittlungen aufzunehmen, um die Quelle ausfindig zu machen. Damit stellt sie sich auf die Seite der Verheimlicher und Vertuscher.)
8. Peer-Journalismus kann investigativen Journalismus zwar nicht ablösen, aber ergänzen.
Dies sind einige erste Überlegungen zum Thema „Peer-Ökonomie und Journalismus“, es fehlen sicher noch wichtige Punkte. Wie die Zukunft des investigativen Journalismus im Netz aussehen wird, ist noch offen. Ich würde mich aber nicht wundern, wenn er dort eine neue Form annehmen würde, die viel mit der Peer-Ökonomie und ihren typischen Eigenschaften zu tun hat.
Was mich etwas wundert ist, dass Du Wikileaks komplett nicht erwähnt hast. Das ist zwar selbst noch kein investigativer Journalismus – aber schon ein ziemlich interessanter Teil dessen.
Den Hinweis von Hanno auf Wikileaks finde ich wichtig. Aktuell gibt’s einen Aufruf, Wikileaks zu unterstützen. Besonders interessant — im Sinne eines Peer-IJ — finde ich die Überlegung, einen „Upload via Wikileaks“-Button einzubauen, um selbst anonym brisante Dokumente leaken zu können. Mehr bei Gulli.
mmhhh… auch ein hinweis auf wikinews fehlt. das ist doch DAS Beispiel für peer-journalismus schlechthin, oder habe ich das was falsch verstanden?
Danke für die Ergänzungen. – Wikinews scheint mir vorerst mehr eine Nachrichtensammlung zu sein und noch nicht die Eigenschaften eines Peer-Journalismus, wie ich ihn oben postuliert habe, zu besitzen.
WikiLeaks ist vielversprechender und könnte evt. die Grundlage des Peer-Journalismus werden. Bislang ist es vor allem eine Hilfe für einzelne „Whistleblower“, die jetzt nicht mehr den Umweg über trad. Medien gehen müssen. Es zeigt noch nicht den Weg zu einem wirklichen IJ im Internet – denn der wird ja grade dort nötig, wo sich nicht jemand findet, der Zugriff auf relevante Dokumente hat, erkennt dass sie veröffentlicht werden sollten, und dies auch tut. Dazu müssen noch weitere Elemente kommen: Wahrnehmung eines „Kontrollauftrags“ von außen; verdeckte Recherchen; Methoden der Verifizierung von Quellen bzw. Identifizierung von Fälschungen; Zusammenarbeit usw. Wie das abseits der trad. Medien gelöst werden kann, ist IMHO noch offen.
Auch das kann man Peer-Journalismus nennen: Das Social Web prophezeite die Katastrophe in Duisburg, indem es die Informationen vieler einzelner bündelte. Die Massenpanik auf der Love Parade in Duisburg wurde im Netz bis ins Detail vorhergesagt – in Kommentaren zu einem harmlos genug klingenden Artikel einer regionalen Nachrichtenseite („Bloss nicht in Flip-flops zur Loveparade„).
Tatsächlich trat die Katastrophe ein, als das Gelände wg. Überfüllung gesperrt wurde und tausende Menschen nachdrängten.
Vermutlich ignorierten die Veranstalter die offensichtlich zu geringe Größe des Geländes tw. aufgrund der ebenfalls engen Geländebedingungen in den beiden letzten Loveparades. Doch auch dazu hat das „Social Web“ mehr gewusst:
Nicht nur die Gefahr, auch der Ort der Katastrophe (der Tunnel) und die Schwere (Todesfälle) wurde richtig vorhergesagt (sogar schon am 7.6.):
Natürlich gibt es im Peer-Journalismus immer abweichende Meinungen. Im folgenden Fall erkennt man sie allerdings am Nachbeten dessen, was der neoliberale Konsens in den letzten Jahrzehnten ständig wiederholt hat – der Staat sei kontrollwütig, die Vorschriften in Deutschland besonders streng, die Sicherheitsvorkehrungen hoch (und damit die Kosten für Unternehmen):
Mündlich weitergegebene Insider-Infos ergänzen das Bild einer vorhergesehenen Katastrophe:
Auf einem anderen Blog wundert sich ein Anwohner:
Tatsächlich wurden nach der Panik weitere Zugänge zum Gelände (vermutlich die vom Anwohner erwähnten) geöffnet – warum nicht vorher?
Auch das Problem mit Menschen auf den Gleisen, das schon Stunden zuvor zeitweilig zur Sperrung des Bahnhofs geführt hatte, war vorher erkannt worden:
Und sogar die Abschaffung der Love-Parade nach der Katastrophe wurde von einem frustrierten Fan vorausgeahnt:
Kaum zu glauben – aber alle diese Kommentare wurden VOR der Katastrophe geschrieben. Aber wer hört schon auf Web-Kommentare auf regionalen Nachrichtenseiten, wenn vermeintlich fortschrittliche Medien es sich leisten können, Blogs pauschal als „Meinungsabsonderungsstellen“ zu diffamieren? Ob diese schreckliche Katastrophe dazu beiträgt, dass das Potential der Schwarmintelligenz im Netz endlich erkannt wird?
R.I.P., Love-Parade-Besucher! Und R.I.P. Love-Parade. Schlimm dass es mit dieser größten Party der Welt, die hedonistisch und friedlich war, so geendet hat.