Copy Light: Freie Software und globale Emanzipation
Konzerne wie Microsoft setzten in den 1980er Jahren Eigentümer-Software durch, die erworben werden muss. Als Gegenmodell entwickelte sich die Bewegung der Freien Software. Gerade in Ländern des Südens unterläuft Freie Software die Ausgrenzung von NutzerInnen. Darüber hinaus kann sie ein Signalgeber für eine verwertungsfreie Produktion sein.
Von Stefan Meretz
Seit Mitte der 1980er Jahre ist eine neue Softwareklasse in die Welt getreten: Freie Software. Doch neu war eigentlich nur das Attribut „frei“, denn alle Software war zuvor frei verfügbar. Dies änderte sich erst in dem Maße, wie Software als eigenständige Ware gehandelt werden konnte und nicht mehr nur Zugabe zur Hardware war. Voraussetzung, um aus freier Software (mit kleinem „f“) eine Ware zu machen, war die künstliche Verknappung durch Zurückhalten des Quelltextes und strikter Anwendung des Copyright. Aus freier Software wurde proprietäre Software: Eigentümer-Software.
Die Bewegung der Freien Software (mit großem „F“) begründete Richard Stallman mit dem GNU-Projekt als vollständig freies Betriebssystem. Es war eine Reaktion auf die zunehmende Einschränkung der wissenschaftlichen Kommunikation zwischen den EntwicklerInnen. Die Kooperation zwischen den EntwicklerInnen und zwischen EntwicklerInnen und NutzerInnen wurde beschränkt und kanalisiert. Mit proprietärer Software wurden aus NutzerInnen KundInnen und aus der Kommunikation mit EntwicklerInnen wurden Callcenter-Anfragen in Indien.
Das GNU-Projekt setzte der Privatisierung des Gemeinguts Software eine explizite Freiheitsdefinition entgegen. Aus freier Software wurde Freie Software, die vier Freiheiten garantiert: Erstens Nutzung zu jedem Zweck, zweitens Studium und Anpassung der Funktionsweise, drittens Weitergabe von Kopien, viertens Weitergabe von Verbesserungen. Voraussetzung für die Punkte zwei und vier ist, dass der Quelltext der Software offen liegt („open source“) und frei zugänglich ist. Dem Schutz der Freien Software dienen Lizenzen, die die Freiheiten festschreiben. Die bekannteste freie Lizenz, die GNU GPL („General Public License“), legt über die vier Freiheiten hinaus noch eine weitere Regel fest: Die Lizenz darf bei Weitergabe nicht verändert werden. Wenn GPL-lizensierte Software innerhalb einer anderen Software genutzt wird, muss die resultierende Software ihrerseits der GPL unterliegen. Dieser „virale Freiheitseffekt“, der die freie Verwendung eines Werks gegen die ursprüngliche Intention des Urheberrechts erzwingt, wird auch „Copyleft“ genannt.
Die Welt der Software ist heute zweigeteilt in proprietäre und Freie Software. Proprietäre Software darf dabei nicht kurzschlüssig mit kommerzieller und Freie Software mit kostenloser Software gleichgesetzt werden. So kann proprietäre Software kostenlos sein und Freie Software von Unternehmen entwickelt werden. Gleichwohl verhindern die vier Freiheiten, dass Software künstlich verknappt wird. Insofern ist tatsächlich für die EndanwenderInnen Freie Software häufig kostenlos. Ihr wesentliches Merkmal sind jedoch die Freiheiten, die mit ihr kommen.
Von Copyright zu Copyleft
Was bedeutet Freie Software für die Länder des Südens? Zunächst sollte man nur Vorteile vermuten, doch es gibt es auch negative Effekte. Freie Software basiert auf freien Lizenzen, und freie Lizenzen setzen ein starkes Copyright voraus, das sie benutzen, um die freie Nutzung sicherzustellen. Damit befördert Freie Software allerdings implizit ein Copyright-Regime, welches auch WTO (Welthandelsorganisation) und WIPO (Weltorganisation für geistiges Eigentum) in den Südländern durchgesetzt sehen wollen. Zwar dreht etwa das Copyleft der GPL die Exklusionslogik des Copyright um (was ihr subversives Moment im Norden ausmacht), im Süden wird aber zunächst einmal die Logik des Copyright bestärkt, die in der Alltagspraxis bisher mitunter kaum eine Rolle spielte.
Grundlage des Copyright und damit auch des Copyleft ist der Begriff des „geistigen Eigentums“, ein ideologischer Kampfbegriff, der im Zuge der WIPO-Gründung 1967 eingeführt wurde. In Analogie zum Sacheigentum behauptet der Begriff ein gleichermaßen exkludierendes (eine Sache kann nur von Einem besessen werden) wie rivalisierendes (eine Sache kann gleichzeitig nur von Einem genutzt werden) Verhältnis von NutzerIn und Sache. Für Informations- und Kulturgüter gilt dieses Verhältnis jedoch grundsätzlich nicht, da diese ohne Einschränkung an andere weitergegeben und genutzt werden können. Insbesondere die Exklusion von der Nutzung muss erst künstlich, d.h. explizit rechtsförmig hergestellt werden. Auf Grundlage des behaupteten „geistigen Eigentums“ wurden verschiedene Monopolrechte (Copyright, Patentrecht, Markenrecht) formuliert, die einzig dazu dienen, NutzerInnen vom Zugriff auf ein reichhaltig vorhandenes Gut abzuhalten. Dass diese Exklusion die im Kapitalismus notwendige Verwertungsgrundlage für Verlage, AutorInnen etc. darstellt, ändert nichts an dieser Tatsache.
Die ideologische Form des „geistigen Eigentums“ und abgeleiteter pejorativer Begriffe wie „Raubkopie“, „Piraterie“ oder „Plagiarismus“ ist für viele Kulturen insbesondere im Süden schlicht nicht nachzuvollziehen. Das Teilen, die nachbarschaftliche Hilfe und die Solidarität mit Armen hat hier noch einen wesentlich größeren Stellenwert – auch wenn dies mit zunehmender Durchsetzung der neoliberalen Imperative ins Rutschen gerät. Dennoch ist völlig unverständlich, warum etwas, das nicht weniger wird, wenn man es teilt, nicht weiter gegeben werden soll.
Die Aufnötigung geistiger Exklusions- und Monopolrechte gewinnt den Charakter eines globalen Umerziehungsprogramms, das die jeweiligen Regierungen an ihrer Bevölkerung exekutieren sollen. Die Regierungen werden in diese Rolle gepresst, wenn sie ihre Produkte auf dem Weltmarkt verkaufen wollen. Teilweise haben Schwellenländer auch ein eigenes Interesse entwickelt, ihre Entwicklungen zu monopolisieren und gewinnbringend global zu vermarkten. Der Wechsel vom „Raubkopierer“ zum Verfechter „geistigen Eigentums“ geschieht nicht zum ersten Mal. So war etwa Deutschland der größte „Plagiator“ der frühen Industrialisierung, bis es England überholte. Nun soll die heimische Industrie vor „intellektuellem Raub“ geschützt werden.
Von Copyleft zu Commons
Auf der positiven Seite der Freien Software stehen mehrere Aspekte. Zunächst einmal entspricht ihre auf Basis des Copyright/-left gegründete Philosophie viel eher dem traditionellen Herangehen sowie Ansätzen fortschrittlicher Initiativen in den Ländern des Südens als die Exklusionslogik der proprietären Software. Auf den Aspekt der Gemeinschaftlichkeit beziehen sich explizit bestimmte Linux-Distributionen wie zum Beispiel „Ubuntu“ (übersetzt aus Zulu/ Xhosa: „Ich bin, was ich bin, weil wir alle sind, was wir sind“). Freie Software stellt ferner einen realen Wissenstransfer vom Norden in den Süden dar, denn der Nutzungsanteil im Süden ist wesentlich höher als der eigene Beitragsanteil durch Mitentwicklung. Da Freie Software stets quelloffen ist und Software immer auch ein Produktionsmittel darstellt, vergrößert diese Form des Nord-Süd-Transfers nicht die Abhängigkeit vom Norden, wie das bei proprietärer Software der Fall ist.
Diese Potenziale der Freien Software werden von einigen Südländern erkannt und durch staatliche Maßnahmen explizit, wenn auch in unterschiedlichem Ausmaß befördert. So haben Kuba, Vietnam, Venezuela, Peru, Brasilien, Kerala/Indien und andere Länder Programme zur Förderung und Einführung Freier Software etwa im Bildungssystem beschlossen. Gleichzeitig sind alle Südländer mit einer schwer aufzuknackenden Lock-in-Situation konfrontiert. „Lock-in“ bedeutet, dass ein Hersteller ein bestimmtes Marktsegment mit seinen Produkten besetzt und zum Quasi-Standard macht. So hat das proprietäre Betriebssystem „Windows“ in allen Ländern als Arbeitsplatzsystem eine nach wie vor monopolartige Stellung. Insbesondere über die proprietären Dateiformate und Systemschnittstellen wird der Datenaustausch und die Interoperabilität künstlich erschwert. Hinzu kommt die Gewohnheit der NutzerInnen, ein halbwegs bekanntes System einem Wechsel vorzuziehen. Die durchaus tolerierte Verbreitung von „Raubkopien“ stärkt den Monopolcharakter.
Die Beendigung der Nutzung proprietärer Software ist eine bewusste Aufgabe. Dort, wo diese Herausforderung mit sozialer Mobilisierung verbunden ist (etwa in Venezuela, wo Basisgruppen für Freie Software werben), könnte sie mittelfristig gelingen. Wo sie nur politisch-moralisch proklamiert und als staatlich verordnete Maßnahme aufgedrückt wird, besteht die Gefahr der Nichtakzeptanz in der Bevölkerung. Ein wichtiges Moment ist die Entwicklung einer eigenen Perspektive selbstbestimmter Entwicklung der postkolonialen Emanzipation. Ein Beispiel ist die Anpassung der Software an lokale sprachliche Verhältnisse. Das ist mit Freier Software unbeschränkt und in Eigentätigkeit möglich, während sich dies als kommerzielle Dienstleistung für Anbieter proprietärer Software oft nicht „rechnet“.
Über die genannten Widersprüchlichkeiten und Möglichkeiten Freier Software in den Ländern des Südens hinaus gibt es weitere Potenziale, die bislang kaum beachtet wurden. Die Ideen der Freien Software sind in vielen Bereichen von Kultur, Bildung, Wissenschaft, Design und Produktion aufgegriffen und verallgemeinert worden. Eine weltweite Bewegung der commons-basierten Peer-Produktion (Peer: der/die Gleichgestellte) ist im Entstehen begriffen. Sie kann durch drei Merkmale charakterisiert werden: Beiträge statt Tausch, freie Kooperation statt Zwang und schließlich Commons (Gemeingüter) statt Privateigentum. Christian Siefkes hat den Vorschlag der Peer-Ökonomie erarbeitet1, der beschreibt, wie die drei Prinzipien der commons-basierten Peer-Produktion für die Produktion physischer Güter verallgemeinert werden können.
Jenseits des Marktes
Insbesondere die Behandlung der Ressourcen als Gemeingüter oder als Besitz (das, was genutzt wird) statt als Eigentum (das, was verkauft werden kann) führt zu einer Annäherung von zwei globalen Bewegungen, die aus sehr unterschiedlichen Bezügen kommen. Zum einen sind dies die Bewegungen der Verteidigung des traditionellen Erbes der Menschheit („commons of the earth“), zum anderen die Bewegungen der Peer-Produktion, die mit der Freien Software ihre erste Ausdruckform fanden („commons of the mind“). So hat das 9. Weltsozialforum in Brasilien ein „Manifest zur Wiedergewinnung der Gemeingüter“2 beschlossen, das die beiden Aspekte zusammen bringt. Auch das deutsche Manifest „Gemeingüter stärken. Jetzt!“3 geht in diese Richtung.
Freie Software bringt also nicht als solche Emanzipation, sondern sie verweist auf die Möglichkeit, Lebensbedingungen jenseits von Markt, Geld und Staat selbst herstellen zu können. Freie Software ist ein erster Signalgeber für die Möglichkeit einer neuen commons-basierten Produktionsweise. Für die Länder des Südens könnte es also produktiv sein, Freie Software nicht nur zu nutzen, sondern sich die Produktionsweise Freier Software anzueignen und für eine eigene unabhängige Entwicklung zu nutzen.
Anmerkungen
1. Siehe http://is.gd/21U4c
2. Siehe http://is.gd/21TRT
3. Siehe http://is.gd/21TZI
Stefan Meretz ist Ingenieur und Informatiker und bloggt auf keimform.de. Lizenz: Creative Commons Namensnennung-Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 Deutschland
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Erschienen in: »iz3w — Zeitschrift zwischen Nord und Süd«, Nr. 315 (die aktuelle Ausgabe ist noch nicht sichtbar, wird dort aber in Kürze erscheinen).
Einzelhefte können auf der Website vom iz3w für 5,30 € bestellt werden.
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