Erziehung und Lernen bei Frithjof Bergmann
Meine Einführung zu Frithjof Bergmanns Buch „Die Freiheit leben“ ist ja schon wieder eine Weile her. Jetzt habe ich endlich wieder etwas mehr Freizeit – eine gute Gelegenheit, noch darauf einzugehen, was Bergmann über Erziehung zu sagen hat. Über die Zusammenhang von Freiheit und Erziehung geht es in Kapital 6, mit mehr als hundert Seiten dem längsten des Buches.
Bergmann weist sowohl klassische „autoritäre“ als auch die seinerzeit (das Buch wurde ursprünglich 1977 veröffentlicht) modischen „anti-autoritären“ Erziehungsstile zurück. Wie alle Menschen brauchen Kinder Feedback, deshalb ist eine konsequent anti-autoritäre Erziehung als „Politik der Nichteinmischung“ nicht nur von den Eltern kaum durchzuhalten, sondern auch schlimm für das Kind, dem dieses Feedback verweigert wird. Schlimm ist es aber auch, das Kind zu verhätscheln oder zu „bemuttern“ – wenn dem Kind jeder Wunsch von den Lippen abgelesen wird, wird ihm die Chance genommen, sich seiner Wünsche selbst klar zu werden, sie zu artikulieren und sich um ihre Umsetzung zu bemühen.
Kinder und Lernende unterstützen, ohne sie zu bevormunden oder zu manipulieren
Gemäß Bergmanns zentraler These besteht Freiheit in der Möglichkeit, herauszufinden, was einem wichtig ist, und die Erkenntnis umzusetzen. Dementsprechend sollte eine Freie Erziehung Kinder darauf vorbereiten, dies tun zu können, und ihnen beim Erwerb der dafür nötigen Fähigkeiten helfen. Deshalb ist es auch problematisch, einem Kind mit subtilen Argumenten einreden zu wollen, dass ein bestimmtes Verhalten besser für es ist und das ist, „was es eigentlich will“ – solche „netten“ Überzeugungsversuche suggerieren dem Kind, das es selbst nicht weiß, was es will und was gut für es ist und dass es andere Menschen braucht, die ihm solche Entscheidungen abnehmen. Im Zweifelsfall sind deshalb klare Verbote (die aber trotzdem begründet werden sollten, Ergänzung von CS) vorzuziehen – dann kann (und muss) das Kind selbst entscheiden, ob es sie einsieht (wenn ihm die Begründung einleuchtet), ob es sie (aufgrund seines Vertrauens in die Erwachsene) bereitwillig oder (aufgrund ungleicher Machtverhältnisse) zähneknirschend akzeptiert oder ob es dagegen zu rebellieren versucht. Die Entscheidung liegt also beim Kind, wodurch seine Persönlichkeitsentwicklung gefördert und nicht (wie durch Suggestionen) behindert wird.
Falsch ist es auch, Kindern permanent zu „helfen“, in dem man ihnen erklärt, wie etwas funktioniert oder ihnen zeigt, wie sie etwas machen „müssen“ (wenn sie nicht gerade danach gefragt haben) – das nimmt den Kindern die Freude und das Selbstvertrauen, die daraus resultieren, selbst ein Problem gelöst oder eine Entdeckung gemacht zu haben.
Vieles weißt darauf hin, dass wir Fähigkeiten am besten erwerben und ausbauen, wenn und indem wir sie anwenden; und dass wir dasjenige am bereitwilligsten und deshalb besten lernen, von dem wir wissen, dass und wozu wir gebrauchen können. Alle Kinder lernen auf diese Weise ziemlich mühelos sprechen, um sich mit anderen Menschen unterhalten zu können und indem sie es tun. In der Schule lesen und schreiben zu lernen fällt dagegen vielen schwer und manche scheitern ganz, obwohl – oder gerade weil – dabei auf systematischen Unterricht, Drill und Tests gesetzt wird. (Und das, obwohl es sehr viel schwieriger ist, die zahlreichen Regeln und Bedeutungen einer Sprache zu erfassen und anzuwenden als der vergleichsweise kleine Schritt, zwischen gesprochenen Lauten und geschriebenen Zeichen zu übersetzen.)
Wer sich ganz ohne Lehrpläne und Drill eine Sprache aneignen kann (also praktisch jedes Kind), kann sich vermutlich auf dieselbe Weise noch ganz andere Fähigkeiten aneignen, solange die nötigen Rahmenbedingungen erfüllt sind: man muss motiviert sind, d.h. in etwa erfassen, warum man etwas wissen oder können muss; man muss Möglichkeiten zur praktischen Anwendung im Sinne eines „Learning by Doing“ haben; und man braucht Menschen, die die gewünschte Fähigkeit selbst beherrschen und einem zeigen können, wie man sie erlernen und verwenden kann. Die letzte Voraussetzung ist dabei vermutlich die schwerste.
Japanische Gärten
Den dafür nötigen Unterrichtsstil vergleicht Bergmann mit dem japanischen Stil des Gartenbauens, im Gegensatz zum preußischen Stil. Der „preußische“ Stil besteht darin, erstmal das Gelände mit dem Bulldozer zu planieren, alles säuberlich in Rechtecke aufzuteilen, großzügig Unkrautvernichtungsmittel zu sprühen und dann fein säuberlich eine Reihe von Rüben an die nächste pflanzt – so etwa verfahren heutige Schulen gern mit dem Geist und den Fähigkeiten der Schüler, die ihnen in die Hände fallen. Japanische Gärten dagegen beginnen mit den Bäumen, Sträuchern und Steinen, die schon vorhanden sind und die dann sorgfältig und liebevoll gepflegt und beschnitten werden und um weitere Steine und Pflanzen ergänzt werden, bis die ganze Schönheit des Geländes voll zutage tritt.
Die industriemäßige Organisation der heutigen Schule führt sehr leicht zu einer Monotonie, die bei vielen Schülern Gleichgültigkeit und Abneigung gegen den behandelten „Stoff“ sowie gegen das Lernen selbst hervorruft – die Schüler stumpfen ab und verlieren einen Teil ihrer Lern- und Lebensfreude; ihre Neugier wird nicht ermutigt und gefördert, sondern eingeschläfert. Insofern kann die Schule einen sehr viel schlimmeren Effekt haben, als nur bloße „Zeitverschwendung“ zu sein (und Zeitverschwendung scheint der Unterricht sowieso nicht selten zu sein, denn einen Großteil des durchgenommenen Stoffs hat man ein paar Jahre später sowieso wieder vergessen.)
Das wichtigste an der Erziehung sollte sein, den Schüler/innen (bzw. Lernenden) die Durchführung ihrer eigene Projekte zu ermöglichen und sie dabei zu unterstützen – die „Projekte“ sollten dabei nicht fest vorgegeben und ergebnisoffen sein. Wissen und Fähigkeiten können im Rahmen und im Kontext solcher Projekte erworben und erprobt werden. Die Anwendbarkeit des so Gelernten in dem jeweiligen Projekt kann dabei für die für den Lernerfolg so wichtige Motivation sorgen – man weiß, warum man etwas lernt und hat nicht nur das Gefühl, „nur für die Schule“ zu lernen. Daneben und begleitend kann es gelegentlich „vorlesungsartige“ Veranstaltungen ähnlich dem heute noch weitgehend vorherrschenden Frontalunterricht geben – aber nicht mehr als wenige Stunden pro Woche, um die heutige Monotonie zu vermeiden.
Häufig könnte Lernen auch gemäß einen Meister/in-und-Lehrlings-Modell erfolgen, wobei die Lernenden (ob Kinder oder Jugendliche oder Erwachsene) in eine Organisation oder ein Projekt als Lehrlinge einsteigen und im Rahmen realer Tätigkeiten nach und nach eingelernt werden.
A. S. Neill: Kinder als ebenbürtig betrachten
Bergmann setzt sich auch detailliert mit A. S. Neill, dem Gründer von Summerhill, auseinander. Er bedauert, dass Neills Ideen oft als bloße „anti-autoritäre“ Permissivität interpretiert worden sind (ein Missverständnis, an dem Neill selbst nicht ganz unschuldig ist). Tatsächlich betrachtet Neill die Kinder seiner Schule als ihm ebenbürtig. Er ärgert sich über sie und schimpft deshalb mit ihnen, wenn sie Dinge, die ihm wichtig sind, kaputt machen (so wie sich in so einer Situation vermutlich jede/r ärgern würde – diesen Ärger auszudrücken ist sicher besser als ihn still in sich hineinzufressen); wenn er aber wahrnimmt, dass das Kaputtmachen ein Akt der Rebellion, der Auflehnung gegen eine frühere Unterdrückung ist, dann ermutigt er sie sogar darin (er „würde selbst mitmachen“). In beiden Fällen ist er von bloßer passiver Permissivität weit entfernt, es geht ihm darum, „das Richtige“ zu tun und dem Kind das Feedback zu geben, das es braucht.
Auch wenn er schimpft, tut er das aus praktischen Empfinden, ohne moralische Gründe ins Feld zu führen. Er ärgert sich, wenn ein Kind seine Kartoffeln zerstört, weil es damit seine Mühe, die er auf ihre Pflege verwendet hatte, ignoriert und zunichte macht, aber er denunziert das Verhalten des Kindes nicht als „böse“ oder „schlecht“; es geht ihm nicht darum, dem Kind ein „schlechtes Gewissen“ zu machen.
Neill nimmt Kinder ernst, er behandelt sie nicht als Erwachsene (was sie ja nicht sind), aber als ihm selbst und anderen Erwachsenen ebenbürtig; er behandelt sie mit derselben Würde, die Erwachsene erwarten und bekommen würden. Hier ist der Kontrast zum heute Üblichen besonders auffällig: viele Eltern und andere Erwachsene reden mit Kindern in einem Tonfall und mit einer Erwartungshaltung („du tust was ich sage“), die sie Erwachsenen gegenüber nie gebrauchen würden und die Erwachsene auch nie akzeptieren würden. Er vermeidet es, Kinder zu demütigen oder ihnen Angst einzuflößen, denn Demütigungen und Ängste (die nicht dasselbe sind wie Vorsicht im Umgang mit realen Gefahren und Risiken) behindern die Entwicklung eines gesunden Selbstvertrauens, und Selbstvertrauen ist eine essenzielle Basis für ein freiheitliches, selbstbestimmtes Leben.
Bergmann kritisiert an Neill (neben der Tatsache, dass er selbst Missverständnisse in Bezug auf sein Freiheitskonzept provoziert hat), dass Summerhill als Schule noch weitgehend konventionellen Unterrichtsmethoden folgt, zu wenig Spielraum für forschende Wissbegierde und selbstbestimmte, selbstgestaltete Lern- und Entdeckungsprozesse legt.
Insgesamt bewegen sich Bergmanns Ausführungen zu Erziehung, zur Gestaltung von Lernprozessen und um Umgang mit Kindern und Jugendlichen auf einem hohen Niveau, sie bleiben – vermutlich gewollt – eher abstrakt. Er liefert keine konkreten Handlungsanweisungen und „Patentrezepte“, wohl aber – meiner Meinung nach – wertvolle und inspirierende Anregungen.
Wenn Bergmann das wirklich so schreibt, dann enthält das einen IMHO entscheidenden Denkfehler: Solange Kindheit (von Erwachsenen) nur ein Vorbereiten auf ein erst späteres (erwachsenes) richtiges Leben sein soll, ist Selbstentfaltung von Kindern nicht möglich, weil ja dann ihre eigenen Vorstellungen hinten angestellt werden hinter ein von den Erwachsenen gesetztes Ziel.
Interessant scheint es mir zu sein, diese Überlegungen zur freien Erziehung – die mir sehr brauchbar erscheinen – auf die jetzige Situation anzuwenden. Die Erziehung im Sinne eines „japanischen Gartens“ bedeutet ja beispielsweise: individuellere Erziehung; Berücksichtigung persönlicher Neigungen; Pflege und Ausbau des Vorhandenen; Anerkennung von Fähigkeiten außerhalb des gewöhnlichen Fächerkanons. Vieles davon wurde ja in den großen Reformbemühungen des 20. Jahrhunderts schon versucht. Selbst so etwas wie „Hochbegabtenförderung“ – in der Linken lange negativ konnotiert – ist darin enthalten, denn vermutlich schließt der Ansatz mit ein, dass nicht jeder Klavier spielen lernen muss, aber diejenigen, die besonders interessiert und talentiert sind, speziell gefördert werden sollten.
Die Antwort darauf, warum die Reformbemühungen (z.B. in der Waldorfschule und anderen) steckengeblieben zu sein scheinen, besteht m.E. einfach in der kapitalistischen Gesellschaft und ihren Bedingungen. Sie erzielten oft positive Resultate, doch irgendwann wurde deutlich, dass die so erzogenen Menschen nicht ideal vorbereitet waren auf den Erfolg im Kapitalismus. Das hat vielleicht auch die Ausbreitung dieser Schulen verhindert, da die Eltern Vor- und Nachteile abwägen. Und wenn man jetzt auf die allgemeine (oft geradezu devote) Bewunderung des Bürgertums für China und Ostasien allgemein schaut, dann scheint mir das teilweise damit zusammenzuhängen, dass man dort wieder erziehen darf wie im 19. Jh. (in Japan wurde grade wieder die Prügelstrafe an den Schulen erlaubt). Für den Kapitalismus scheint das ganz fein zu sein (s. China!).
Bleiben für mich einige Fragen:
(a) Was kann man im Kapitalismus verwirklichen? (Z.B. projektorientiertes Lernen; Kinder als ebenbürtig betrachten)
(b) Womit muss man auf nachkapitalistische Zeiten waren? (Z.B. Erziehung unabhängig von den Anforderungen einer normierten Gesellschaft)
(c) Wie kann man den Kreislauf durchbrechen, dass eine „gute Erziehung“ im Kapitalismus die Kinder eben auch für diesen fit machen muss (wer das nicht ist, scheitert in der heutigen Gesellschaft vermutlich) und es daher problematisch oder sogar zynisch ist, Kinder – bevor die nicht-kapitalistische Gesellschaft nicht zumindest in Sichtweite ist – auf eine Art zu erziehen, die ihr späteres Scheitern in Kauf nimmt?
@martin: Ein Kind für den Kapitalismus fit machen, heißt dafür zu sorgen, dass es in der Lage ist, andere Leute auszukonkurieren. Mit anderen Worten: Jedes Kind, das ich fit mache, macht später ein anderes unfit. Sich auf dieses Spiel einzulassen, empfinde ich als zynisch.
@Benni:
Nein, hier war ja nicht von „Kindheit “, sondern von „Erziehung“ die Rede – sprich um einen Aspekt des Verhältnisses zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen.
Und auch hier ist das „Vorbereiten “ ja nur Teil des Ganzen, und damit gemeint ist:
@Martin: Ich glaube nicht, dass jemand, der auf die von Bergmann skizzierte Weise aufwächst, im Kapitalismus „scheitern“ würde – auch wenn sie oder er im Schnitt vielleicht weniger Geld verdienen würde (weil ihr/ihm andere Dinge wichtiger sind). Trotzdem wird sich im Kapitalismus ein solches Erziehungsmodell sicherlich nie großflächig durchsetzen, eben weil, wie du sagst, das heutige Erziehungsmodell für den Kapitalismus durchaus funktional ist.
IMHO wäre es illusorisch, zu glauben, dass man einzelne gesellschaftliche Strukturen unabhängig von den anderen einfach „austauschen“ kann. Innerhalb des Kapitalismus werden „freie“ Modell der Erziehung und des Lernens zwangsläufig nur ein Nischendasein führen können, ebenso wie alternative Wirtschaftsformen oder alternative Modelle der Alten- und Krankenversorgung zu einem Nischendasein verdammt sind.
Das soll uns aber nicht daran hindern, solche Modelle im Einzelnen bereits vorwegzunehmen und uns darüber Gedanken zu machen, wie man es später besser machen kann.
@Christian:
Das Beispiel mit dem Schreibenlernen ist prima, weil es genau in diesem Bereich gut dokumentierte Erfahrungen aus Freien und Demokratischen Schulen gibt, dass bisher noch _jedes_ Kind dort schreiben gelernt hat (wenn auch teilweise erst später als nach klassischem Lehrplan), obwohl niemand ihnen sagt, dass sie es tun sollen, ganz anders übrigens als unter der Fuchtel klassischer Erziehung, die den Kindern sagt, dass sie ein Interesse am Schreiben haben sollen. Eine Welt in der Lesen und Schreiben zu können eine sehr ermächtigende Fähigkeit ist, ist offensichtlich für Kinder mehr als genug Ermutigung.
@Benni & Christian: Meine Frage war nur, was man bereits jetzt umsetzen kann und was vielleicht noch nicht. Das Beispiel mit dem Schreibenlernen ist tatsächlich erhellend, aber Rechnen gehört IMHO auch dazu. Viele Kinder haben Angst (oder falschen Respekt?) vor Mathematik und Rechnen – trotzdem ist es heutzutage wichtig, dass man ein wenig darüber lernt. Und auch nach dem (hoffentlich baldigen 🙂 ) Ende des Kapitalismus dürfte sich das nicht ändern. Es geht um Grundfähigkeiten, die der Einstieg für gewaltige Wissensgebiete sind. Wie kann ein Kind erahnen, was ihm entgeht, wenn es selbständig beschließt, nicht mehr als die Grundrechenarten zu lernen, weil es gerade von Zahlen und Formeln genervt ist?
Eine andere Frage hängt damit zusammen: Die Funktion der Schule zum Ausgleich von Prägungen etc. Wenn ein Kind mit 10 Jahren z.B. sagt: Ich will skateboarden, alles andere interessiert mich nicht!, gibt es meist auch Prägungen, die dazu führen. Vielleicht ist es nicht mit anderen Bereichen in Verbindung gekommen – wer weiß? Viele Menschen brauchen auch etwas Druck, um mit Dingen anzufangen, vor denen sie z.B. Angst haben – nachher sind sie dann oft sehr froh, dass es der Fall war! Zudem ist die Angst mehr ein „Ich könnte mich blamieren“ … wenn man etwas sowieso zu machen hat, ist die Einstiegsschwelle einfach geringer. Es klingt ideal, jedes Kind nur das machen zu lassen, was es will – aber am Ende könnten neue Ungerechtigkeiten entstehen: Dann entscheidet vielleicht noch stärker das Elternhaus als bisher. Unbestritten ist natürlich, dass man Leute nicht dauerhaft mit etwas quälen sollte, was sie gar nicht interessiert > daher flexible Lehrpläne.
@Benni: Ich habe mal (kurzzeitig) Musik studiert. Das machen eigentlich alle zum Spaß (nicht, um reich zu werden oder um andere auszustechen!), trotzdem sind die Anforderungen hoch. Ich habe bereut, dass ich es nie geschafft habe, regelmäßig zu üben (ich wusste natürlich, dass ich das muss, aber ich hatte die Disziplin dazu noch nicht). Auch nach dem Ende des Kap. werden die Anforderungen nicht sinken, schließlich geht niemand in ein Konzert, wenn andere weit besser spielen! Es ist verhängnisvoll und unfair, wenn Kindern jahrelang gesagt wird: Macht, was ihr wollt, und nur soviel ihr wollt – und irgendwann merken sie dann, dass sie mehr wollen (z.B. als Künstler auftreten) und der Schritt gelingt dann nicht mehr!
@Christian: „Selbstdisziplinierung“ ist zwar ein Wort, das du nie in den Mund nimmst, aber trotzdem weißt du natürlich, wie wichtig das ist. Schließlich beschäftigst du dich selbst damit und hast erkannt, dass regelmäßige und, ja, disziplinierte Arbeit an einer Sache die absolute Voraussetzung für jedes anspruchsvolle Vorhaben ist. Viele begabte Leute kriegen wenig auf die Reihe, weil sie das nie gelernt haben. Nicht jeder hat die Kraft oder die Energie, es sich selbständig anzueignen, nachdem auf der Schule viele Jahre nur Laissez-faire geherrscht hat.
@Benni: Und das ist dann auch nicht nur „fit, um andere Leute auszukonkurrieren“, sondern überhaupt fit dafür, irgendetwas Schwieriges, Anspruchsvolles (und damit Spannendes!) zu machen. Ich kenne viele Leute, die z.B. ihre Dissertation nicht fertig kriegen. Was hat das mit Konkurrenz zu tun? Auch „Systemzwänge“ (z.B. Prüfungsangst) kann man da, glaube ich, nicht verantwortlich machen – würden sie selbständig ein Buch schreiben, würden dieselben oder noch größere (da keine Rückmeldung) Probleme auftreten. Es ist schlichtweg so, dass man lernen muss, mit Frustphasen und Krisen umzugehen, auch aufzustehen und sich dranzusetzen wenn man keine Lust hat – auch monatelang!
Aber wie gesagt, grundsätzlich stimme ich mit Bergmanns Thesen schon überein. Allerdings wären genaue Umsetzungsideen schön.
@Christian: Warum muss Erziehung ein „Aspekt des Verhältnisses zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen“ sein? Benni zuspitzend würde ich sagen: Erziehung verhindert Selbstentfaltung. Wikipedia beschreibt das schon ziemlich treffend:
Die vielen Lern-Experimente und Alternativ-Ansätze, obgleich sicher der klassischen Schule vorzuziehen, kommen mir oft nur vor wie raffinierte(re) Installationen zum gleichen Ziel. Das Bild des japanischen Gartens illustiert diesen Trick, ist doch auch dort vorausgesetzt, das Pflanzen notwendigerweise
— nach Maßgaben des Gärtners.
Ich glaube, es handelt sich um einen Konflikt, der unter kapitalistischen Bedingungen nicht lösbar ist, weil schlicht nur „Unterstützung“ und „respektvoller Umgang“ nicht funktionieren kann. Oder doch?
@Martin: Ich kann Dir nur empfehlen, dich mal ein bisschen mit der Praxis demokratischer Schulen auseinanderzusetzen – was in Deutschland leider schwierig ist, weil diese bisher hier nicht zugelassen werden. Alles was man da hört deutet daraufhin, dass alles was Du da an Problemen erwartest kein Problem ist oder sogar weniger ein Problem als in klassischen Schulen.
@Stefan: Danke für die Zuspitzung 😉
Ich denke, dass es kaum einen Bereich gibt, wo es so gut wie hier funktionieren kann, das hat vielleicht auch damit zu tun, dass das Wertgesetz hier nur vermittelt wirkt und nicht direkt wie im klassischen Produktionsprozeß. Es gibt ja jede Menge Initiativen in dem Bereich (aktive Schulen, freie Schulen, Sudbury, unerzogen, Antipädagogik,, …) die durchaus über das nur raffiniertere Manipulieren der Reformpädagogik hinaus wollen. „lösbar“ ist der Konflikt natürlich deswegen trotzdem nicht, aber vielleicht „lebbar“. Aber vielleicht ist auch umgekehrt der Kapitalismus nicht „lösbar“, solange Menschen nicht anders mit ihren Kindern leben.
danke stefan für deine anmerkung zum gartenbau, das ist die stelle gewesen, die mir beim lesen am meisten aufgestoßen ist. kinder werden imo nicht als unfertige menschen geboren, die erst noch zum richtigen menschen hingezogen und geformt werden müssen.
auch deine anmerkung zu lern-experimenten und alternativ-ansätzen deckt sich mit meinem eigenen empfinden. die einzigen ansätze, die ich bislang mitbekommen habe, bei denen jungen menschen wirklich die möglichkeit gelassen wird, ihre mitgebrachte fähigkeit genau zu wissen was sie wollen und brauchen, beim heranwachsen beizubehalten und sich die benötigten fähigkeiten mit leichtigkeit anzueignen, sind freie demokratische schulen ala sudbury (auf die benni schon hingewiesen hat), summerhill und radical unschooling.
mein vertrauen in das konstruktive, soziale, kreative und kooperative potential des menschen ist so groß, dass ich darin derzeit die einzige hoffnung sehe, wie dieses weltweit dauerleidproduzierende kapitalistische gesellschaftssystem überwunden werden könnte.
warum sollte nur unterstützung und respektvoller umgang nicht schon heute funktionieren können?
Die Abneigung gegen „Erziehung“, die hier teilweise durchkommt, scheint mir durch die Vorstellung von „Freiheit als absoluter Unabhängigkeit“ geprägt, die Bergmann ja zurückweist. Bergmann weist dem widersprechend darauf hin, dass jeder Mensch die Menschen seiner Umgebung beeinflusst und (bis zu einem gewissen Grad) prägt, und umgekehrt von diesen beeinflusst und geprägt wird. Und wenn diese Menschen Kinder sind – und zwar Kinder, die dir vertrauen –, wird dieser Einfluss vermutlich größere Auswirkungen auf ihr späteres Leben haben als bei Erwachsenen, eben weil du ihnen viele Erfahrungen und Kenntnisse voraus hast und weil Kinder noch nicht so „festgefahren“ sind wie Erwachsene.
Man kann dieses Prozess dann Erziehung nennen oder auch anders. Wichtig ist aber, dass man sich bewusst ist, dass er stattfindet, und dass man sich bemüht, ihn so gut wie möglich zu gestalten (und das Vertrauen der Kinder nicht zu enttäuschen).
Was die „Japanischen Gärten“ betrifft, habe ich mich auch gefragt, ob Bergmann da ein glückliches Bild gewählt hat. Gärten haben keinen eigenen Willen, Kinder und Lernende aber schon, deshalb führt der Vergleich natürlich leicht in die Irre. Aber hier ging es ja lediglich um die Überlegungen, in welcher Weise man Lernende dabei unterstützen kann, die von ihnen gewünschten Fähigkeiten und Kenntnisse zu erwerben:
Zur Frage, wie diese Menschen dieser anspruchsvollen Aufgabe am besten gerecht werden können, diskutiert Bergmann dann die verschiedenen Gartenbaustile. Es geht also nicht darum, andere den eigenen Vorstellungen in irgendeiner Weise unterzuordnen, sondern darum, wie man andere dabei unterstützen kann, ihr eigenes Potenzial gemäß ihren eigenen Wünsche und Vorstellungen am besten zu entfalten.
@Martin: Ich würde Benni zustimmen, dass man von den Praktiken existierender Ansätze sehr viel lernen kann. Und ich würde Learning All the Time von John Holt empfehlen – ein wunderschönes Buch zur Frage, wie Kinder lernen und wie man sie dabei unterstützen kann.
Holt macht auch klar, dass viele Probleme, wie die von dir genannte Mathe-Angst, im Wesentlichen erst durch den Unterricht ausgelöst werden – und bringt auch schöne Beispiele, wie man es besser machen kann.
Was die „Selbstdisziplin“ betrifft, ist das etwas, was IMHO – wie der Name schon sagt – nur aus einem selbst kommen kann (und dann tatsächlich sehr wichtig und auch psychologisch befriedigend ist – es ist ja sehr ärgerlich, wenn man Dinge nicht zu Ende kriegt, obwohl man eigentlich möchte oder sie nicht so gut macht wie man eigentlich wollte, und umgekehrt ein sehr gutes Gefühl, wenn es dann doch noch klappt). Disziplinierung durch andere wird (auch meiner Erfahrung nach) eher den gegenteiligen Effekt haben, nämlich dass man früher oder später mit der Sache nichts mehr zu tun haben will. Andere können einem aber dabei helfen, indem sie einen ermutigen, Dinge nicht gleich aufzugeben und durchzuhalten, auch wenn’s mal schwierig wird.
Und dass man Kinder (und durchaus auch Erwachsene) dazu ermutigen sollte (aber ohne Zwang!), auch Gebiete und Aktivitäten zu erkunden, mit denen sie sich sonst vielleicht nie beschäftigen würden, hatte ich ja auch schon betont. Wer seine Unterstützung für andere darauf beschränkt, nur auf die Wünsche zu reagieren, von denen sie schon wissen dass sie sie haben, tut ihnen IMHO keinen Gefallen, weil er/sie ihnen damit Welten vorenthält, die sich ihnen sonst vielleicht öffnen würden.
@Christian:
Völlige Übereinstimmung, das hat auch alles noch nix mit Erziehung zu tun, sondern nur mit menschlichen Umgangsformen, aber:
Ist damit nicht vereinbar. „Erziehung“ bedeutet immer das Vorhandensein eines Erziehungszieles, dass der Erzieher für den Zögling vorgibt. Das hat Stefan sehr gut deutlich gemacht. Und genau da fängt das Problem an. Selbstemtfaltung als Erziehungsziel ist ein Widerspruch in sich, dass ist ungefähr so sinnvoll wie der alte Spruch „sei spontan!“.
Aber ich denke mal so weit sind wir da letzten Endes garnicht auseinander.
Für mich unglaublich erhellend war in diesem Zusammenhang (wieder mal) Klaus Holzkamp mit seinem Artikel „We don’t need no education…“ (leider nicht online). Zentraler Satz vielleicht:
Annette Schlemm hat Holzkamps Artikel und anderes aufgearbeitet, auch sehr lesenswert:
http://www.thur.de/philo/kp/erziehung.htm
Daraus das Zitat:
Morus Markard hat in München einen Vortrag gehalten unter dem Titel „We don’t need no education! – Kann man zur Freiheit erzogen werden?“.
http://www.gegenentwurf-muenchen.de/mormar.htm
Daraus diese Frage: