Copyfarleft — eine Kritik
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Die folgende Kritik von Dmytri Kleiners Aufsatz »Copyfarleft und Copyjustright« (Orginal erschienen im Mute-Magazin) hat drei Teile. Zunächst diskutiere ich die allgemeinen theoretischen Grundlagen, dann die Übertragung dieser Grundlagen auf den Bereich der Informationsgüter und anschließend das Copyfarleft-Konzept. Eine zusammenfassende Kritik folgt zum Abschluss.
1. Eigentum als Schlüssel?
Dmytri Kleiner verwendet eine sehr schlichte Version eines traditionell-marxistischen Ansatzes, den ich hier manches Mal in Schutz nehmen muss, obwohl ich ihn inhaltlich selbst kritisiere. Es mag sein, dass die Schlichtheit aus der Absicht resultierte, verständlich zu bleiben. Gleichwohl muss ich diese schlichte Argumentation zugrunde legen. Sie geht so:
- Eigentum steht gegen Freiheit
- Eigentümer stehen gegen eigentumslose Arbeiter
- Eigentümer können Eigentumslose für sich arbeiten lassen
- Eigentümer zahlen nur Subsistenz der Arbeiter und kassieren den Rest als Rente
- Rente ist also Diebstahl an den Produzenten
- Eigentum ist Diebstahl
Mit »Eigentum« ist das Privateigentum an Produktionsmitteln gemeint, es wird im Text nur an zwei Stellen eher nebenbei erwähnt. Ein affirmativer Bezug auf David Ricardo muss dafür herhalten, um ein sogenanntes »ehernes Lohngesetz« zu behaupten, jedoch nicht zu begründen. Ricardo wird damit zitiert, dass es einen »natürlichen Preis der Arbeit« gäbe, der der Subsistenz des Arbeiters und der Klasse entspreche. Den darüberhinaus gehenden Ertrag, den der »Eigentümer« einstreicht, nennt der Autor »Rente«.
Puh, da steckt eine Menge an Unverständnis drin. Ich versuche mich an der Entschlüsselung.
Es gibt keinen »natürlichen Preis der Arbeit«. Der Autor muss ebenso wie Ricardo ein solches Konstrukt behaupten, um erklären zu können, warum es überhaupt einen Anteil gibt, den der »Eigentümer« für sich behalten kann. In Wirklichkeit versteht der Autor weder den Unterschied zwischen Arbeitskraft und Arbeit, noch den zwischen Wert und Preis, noch den zwischen Rente und Profit. Diese drei Begriffspaare seien im Folgenden erklärt.
1.1. Arbeitskraft und Arbeit
Der »Eigentümer« kauft die Arbeitskraft (also das »Tun«) und nicht die Arbeit (also das »Getane«). Die Arbeitskraft ist eine Ware, deren Wert eine Größe ist, die gesellschaftlich-durchschnittlich beim Tausch Ware gegen Geld — Arbeitskraft gegen Lohn — gebildet wird und den Wieder-/Herstellungskosten dieser Ware entspricht.
Die Ware Arbeitskraft hat zwei Besonderheiten. Erstens hängen die Wieder-/Herstellungskosten vom gesellschaftlich-kulturellen Niveau der Reproduktion ab. Heute gehören dazu z.B. Computerspiele, die es vor 100 Jahren nicht gab etc. Die Teilhabe an diesen gesellschaftlich-kulturellen Möglichkeiten fällt den Arbeitskraftverkäufern jedoch nicht automatisch in den Schoß, sondern sie muss — teilweise heftig umkämpft — ökonomisch (Arbeitskämpfe) und politisch (Organisationen) durchgesetzt werden. Manche nennen das Klassenkampf.
Zweitens ist die Arbeitskraft als einzige Ware in der Lage, mehr Produkte bzw. Wert zu produzieren als zu ihrer eigenen Wieder-/Herstellung erforderlich sind. Diesen Anteil nennt man Mehrprodukt, oder als Wert formuliert Mehrwert. Die Formulierung als Wert ist hier zutreffender, weil die Arbeitskraftverkäufer ja nicht die von ihnen hergestellten Güter erhalten, sondern den in Geld ausgedrückten Wert der erfolgreich verkauften Produkte. Doch es sei noch einmal betont: Die Arbeitenden erhalten nicht den Wert ihrer Arbeit, sondern den Wert ihrer Arbeitskraft als Lohn.
Der Tausch Lohn gegen Arbeitskraft ist durchaus gerecht. Es handelt sich ökonomisch gesehen um einen Äquivalententausch. Das gilt — immer in gesellschaftlich-durchschnittlicher Sicht — für jeden Warentausch. Eine Kritik des Warentausches als „ungerecht“ geht also am Problem vorbei. Das gilt auch dann, wenn man die unglaubliche Ungleichverteilung der Ressourcen weltweit aufzeigt wie das der Autor tut. Der Skandal besteht also nicht darin, dass der Kapitalismus ungerecht sei, sondern darin, dass gerechter Tausch systematisch Ungleichheit produziert.
1.2. Wert und Preis
Um die systematische gerechte Produktion von Ungleichheit verstehen zu können, muss man den Unterschied zwischen Wert und Preis begreifen. Das ist nicht einfach, ignoriert die traditionelle Wirtschaftswissenschaft den Wert doch fast völlig und argumentiert ausschließlich in Begriffen des Preises. Solche suggestiven Beispiele wie die des berühmten Glases Wasser in der Wüste verleihen der Anschauung hohe Plausibilität, dass der Preis nur durch Angebot und Nachfrage entstehe. Das ist auch nicht völlig falsch, ist jedoch nur der kleinere Teil der Wahrheit.
Hauptschwierigkeit beim Verstehen von Wert ist die Tatsache, dass Wert keine dingliche auch nur irgendwie an die Materialität des Gutes oder seiner Verteilungsumstände gebundene Eigenschaft ist. Wert ist Ausdruck für ein Verhältnis. Im Sandkastenfall wie ihn Marx durchgespielt hat, lautet die Formel »x Ware A = y Ware B«. Eine Ware A drückt ihr Wertsein in Proportionen von Ware B aus. Überträgt man dies auf alle Waren, dann drücken sich alle Waren gegenseitig ineinander wertmäßig aus.
Das, was in der Gleichung verglichen wird, muss etwas allen Waren Gemeinsames sein. Es ist die Arbeitszeit, die zur Herstellung der Waren erforderlich ist. Um sich das Vergleichen zu vereinfachen, wurde eine spezielle Ware aus der Vergleicherei »ausgekoppelt« und diente nun allen anderen Waren als Maßstab, als allgemeines Äquivalent. Das ist das Geld. Es ist selbst nichts wert, kann aber Wert darstellen. Das ist schick, denn mit Geld kann man alles, was Wert — halt: was einen Preis hat — kaufen.
Wert als solchen gibt es nicht, er ist ja nur ein Verhältnis. Um sich auszudrücken, braucht Wert Waren. Eine Ware ist ein Gut, dass für den Tausch hergestellt wird. Der Wert drückt dann das im Tausch realisierte Wertverhältnis aus. Trotzdem entsteht der Wert nicht im Tausch, sondern — obgleich bloßes Verhältnis — ist er schon vorher »da«. Denn das, was dort verglichen wird, ist gleiche menschliche Arbeit oder Arbeitszeit, die in die Produkte gesteckt wurde. Im Tausch wird nur realisiert, was vorher schon »da« war. Das »da sein« des Wertes ist hier Anführungsstriche gesetzt, weil er ja nicht dinglich »da« ist, sondern sozusagen als Potenz, später einmal — beim Verkauf — erfolgreich einen Vergleich eingehen zu können.
Kommt es nicht zum Tausch, dann wird der »potenzielle Wert« nicht realisiert, sondern verfällt. Die »verfallene Arbeitszeit« muss nun auf die anderen Produkte rechnerisch draufaddiert werden, denn Wert ist nicht bloß ein einzelnes Sandkasten-Verhältnis wie oben gezeigt, sondern ein allgemeines oder gesellschaftliches Verhältnis. Kurz: Beim Wert geht’s um die gesellschaftlichen Durchschnitte gleicher menschlicher Arbeiten in den Produkten, die im Tausch verglichen werden.
Da der Wert ein gesellschaftliches Verhältnis ausdrückt, hat noch niemand den Wert einer Transaktion gesehen oder berechnet. Um eine einzelne Transaktion vollziehen zu können, gibt es den Preis. Der Preis ist sozusagen der Zahlenausdruck des Werts. Hier kommen nun Angebot und Nachfrage ins Spiel, also die Umstände beim Tausch. Der Preis kann vom Wert abweichen, und meistens tut er das wohl auch. Gesamtgesellschaftlich (also heute global) und über die Zeit der Warenproduktion (wer weiss wie lange noch) gerechnet muss gelten: Wertsumme = Preissumme. Ok, das können wir als konkrete Rechenaufgabe also knicken.
Wichtig ist nur: Der Preis muss sein Fundament im Wert haben, er kann sich nicht grundsätzlich vom Wert entkoppeln. Lokal und zeitlich verschoben kann er es allerdings schon. Deswegen kann das Glas Wasser in der Wüste extrem teuer sein, während es anderswo umsonst zu haben ist. Deswegen können Aktienkurse in die Höhe gehen (als Option auf zukünftige Wertrealisierung), auch wenn aktuell nur heisse Luft im Angebot ist. »Luftrauslassen« aka »Krise« bringt Wert und Preis aktuell wieder in die Nähe zueinander.
Um nun das Rätsel der weltweiten Ungleichverteilung aufzulösen: Die Ungleichverteilung ist nicht Ausdruck der Umstände des Tausches aka »terms of trade«, ist also keine Frage der Preisbildung, keine Frage Un-/Gerechtigkeit, keine Frage der globalen Regulation, keine Frage der Politik und auch keine Frage des Eigentums (dazu komme ich noch), sondern eine Frage der unterschiedlichen Produktivität. — Huch, wieso das?
Vorher habe ich von dem Faktor Produktivität abgesehen, also von der Frage, wieviele Güter je Arbeitszeit produziert werden. Im Tausch wird in Wahrheit nicht Arbeitszeit unabhängig von der Produktivität miteinander verglichen. Es gilt also nicht »eine Stunde x = eine Stunde y«, sondern z.B. »eine Stunde x = zehn Stunden y«, wobei x und y bei unterschiedlicher Produktivität verausgabte Arbeitszeiten sind. Zeigt die Gleichung »1 Std. x = 10 Std. y« einen durchschnittlichen, wertmäßig äquivalenten, also gerechten Tausch, dann werden in dieser Zeit vom gleichen Produkt gleiche Mengen hergestellt, also gleiche Mengen Arbeit in einen Produkt vergegenständlicht. Handelt es sich um unterschiedliche Produkte, dann kommt es zu den stofflich absurden, aber ökonomisch gerechten Austauschrelationen von »ein Traktor = 500 Sack Getreide« (mit historisch zunehmender Getreidemenge), wie sie in jedem Schulbuch zu finden sind.
1.3. Rente und Profit
Das alles kennt Dmytri Kleiner nicht, oder es interessiert ihn nicht. Für ihn sind Arbeitszeit und Arbeit anscheinend das Gleiche. Wahrscheinlich würde er bestreiten, dass die Arbeitszeit im Mittel gerecht entlohnt wird. Und er kennt auch nicht den Begriff Mehrwert (surplus value) für den Wertanteil der Produkte, den die Arbeitskraft mehr hergestellt, als sie selber wert ist. Zur Rehabilitierung des traditionellen Marxismus muss das aber klar gestellt werden.
Bezieht man den Mehrwert auf das investierte Kapital, so nennt man den Mehrwert Profit. Statt des Begriffs Mehrwert oder Profit, den sich der Eigentümer als Ertrag aus dem Mehrprodukt aneignet, verwendet der Autor den Begriff »Rente« (hier war ich mir allerdings unsicher bei der Übersetzung von »rent«, was wörtlich eher »Miete« oder »Mietzins« bedeutet).
»Rente« wird vom Autor eingeführt als »ökonomische Einnahme für das Überlassen des Eigentums zur Nutzung durch Andere«. Bezieht man diese Formulierung etwa auf den Boden, so wird damit halbwegs sinnvoll die »Grundrente« definiert. Bezieht man es jedoch auf die Vernutzung von Arbeitskraft und meint mit »Eigentum« die Produktionsmittel, ist die Formulierung unsinnig.
Der »Eigentümer« (der Produktionsmittel) überlässt keineswegs sein Eigentum zur Nutzung durch die Arbeiter, sondern umgekehrt kauft er die Ware Arbeitskraft ein, um sie an seinen Produktionsmitteln einzusetzen. Und nur weil es seine Produktionsmittel sind und nicht die der Arbeiter, kann er sich auch den geschaffenen Wert aneignen und auf dem Markt realisieren (d.h. die Waren verkaufen). Aus dem realisierten Wert wird schließlich die Ware Arbeitskraft bezahlt (=Lohn), und aus dem geschaffenen Mehrwert ggf. ein Rentier, der seinen Boden zur Verfügung stellt (=Grundrente). Den Ertrag des »Eigentümers« der Produktionsmittel ist jedoch keine »Rente«, sondern »Profit«.
Damit kann auch die »Rente« genauer bestimmt werden: Es ist die Bezahlung einer Leistung aus anderswo geschaffenem Wert. Denn im Fall des Bodens schafft der Boden keinen Wert, sondern der Bodeneigentümer muss aus dem »anderwo«, nämlich aus der Vernutzung von Arbeitskraft in der Produktion, geschaffenem Wert bezahlt werden.
2. Übertragung auf Informationsgüter
Vielleicht hat Dmytri Kleiner den Begriff »Rente« undifferenziert für jegliche »Einnahme« von »Eigentümern« verwendet, weil sie schließlich doch wieder relativ gut auf die Übertragung auf Informationsgüter passt. Die eingesparte Differenzierung erlaubt die Benennung einer einheitlichen Ursache: Das Eigentum ist schuld. Damit befindet sich der Autor — trotz aller theoretischer »Eigenheiten« vorher — wieder im gemeinsamen Boot mit seriösen Kritikerinnen und Kritiker, die in traditionell-marxistischer Perspektive argumentieren.
»Eigentümer« sind im Fall der Informationsgüter die Kontrolleure der Mittel zur Verwertung — statt wie vorher die Kontrolleure der Produktionsmittel. Per Vertrag treten die Produzenten alle Verwertunsgrechte an die »Eigentümer« (hier: der Verwertungsmittel) ab, die ihre nur die »Subsistenzmittel«, also die Reproduktionskosten ihre Arbeitskraft, ausbezahlen. Also irgendwie wie gehabt, »ehernes Gesetz« oder so — genauer wird das nicht begründet.
Vor der Kritik, die unten folgt, sei hier angemerkt: Das ist einfach empirisch falsch. Die übergroße Zahl etwa der Künstler erhalten keineswegs die »Subsistenzmittel«, sondern so wenig, dass es selbst zum bloßen physischen Überleben nicht ausreichen würde. Andererseits gibt es eine sehr kleine Künstlergruppe, die extrem hohe Einnahmen erzielt, trotz des Abtretens aller Verwertungsrechte an die Mittlerindustrie. Es gibt einfach keinen inhaltlich-strukturellen Bezug von Einkunft und Reproduktionskosten wie im Falle des Verkaufes von Arbeitskraft. Hier wird keine Arbeitskraft verkauft, sondern es werden Verträge zwischen Rechtssubjekten, zwischen Unternehmen geschlossen. Dass dabei die Mittlerindustrie eine große ökonomische Macht hat, Bedingungen zu diktieren, steht auf einem anderen Blatt — das trifft genauso z.B. auf die Beziehungen von VW zur seinen Zuliefern zu.
Da nun das Copyleft nicht das »Eigentum« tangiert, kann es das angeblich auch hier bestehende »eherne Gesetz« der »ungerechten« Teilhabe am Reichtum genauso wenig ändern wie Copyright oder »Copyjustright« (etwa die Creative Commons Lizenzen). Im Gegenteil: Da Copyleft nur die Nutzung regelt, können auch die »Eigentümer« die Produkte nutzen.
Da Ursache schon bestimmt ist — das »Eigentum« –, liegt auch die Lösung nahe: Ändern der Eigentumsverhältnisse. Die Arbeiter müssen selbst die Betriebe besitzen und über die Produktions- und Verwertungsmittel verfügen. Nur so kann eine gerechtere Verteilung erreicht, weil die Arbeiter als Eigentümer dann selbst über die Verteilung des Reichtums entscheiden können. Daran müssen schließlich auch die Lizenzen gemessen werden, und weil die bisherigen Lizenzen alle samt das »Eigentum« und damit die Reichtumsverteilung nicht berühren, muss eine neue Lizenz her.
3. Copyfarleft
Eine »linke« Copyleft-Lizenz muss zwischen zwei Arten von »Eigentum« unterscheiden: Arbeiter-Eigentum und »Eigentümer«-Eigentum. Oder anders formuliert: Zwischen jenen, die selbst arbeiten und jenen, die Lohnarbeit einsetzen: »(E)s muss für Arbeiter möglich sein, Geld zu verdienen durch Anwendung eigener Arbeit auf gegenseitig genutzes Eigentum. Es soll aber unmöglich sein für Eigentümer, Geld durch Nutzung von Lohnarbeit zu verdienen.«
Die Arbeiter-Eigentümer sollen sich dabei aus dem Allgemeingüter-Bestand (den »Commons«) bedienen können, weil sie Teil der Commons sind. Die Arbeiter-Eigentümer pflegen also einen gemeinsamen Pool an Informationsgütern, der jedoch für »Eigentümer«, die Lohnarbeit anwenden, nicht zugänglich sein soll. Die Arbeiter-Eigentümer sollen also »drinnen« sein dürfen (»endogen«), während die »Eigentümer« draußen bleiben müssen (»exogen«).
Das heisst: »Eine Copyfarleft-Lizenz muss eine allgemeingüterbasierte kommerzielle Nutzung erlauben, während gleichzeitig die Fähigkeit Lohnarbeit auszubeuten abgelehnt wird.« Das leistet bisher keine andere Lizenz, denn: »“Nicht-kommerziell“ ist keine passsende Weise, die notwendigen endogen-exogene Grenze zu beschreiben. Jedoch gibt es keine andere Commons-Lizenz, die einen verwendbaren rechtlichen Rahmen für allgemeingüterbasierte Produzenten bietet.«
Copyfarleft ist also der Versuch, über eine rechtliche Kodifizierung zwei Ökonomien zu schaffen: Eine allgemeingüterbasierte und eine lohnarbeitsbasierte Ökonomie.
4. Kritik
Zentaler Fehler von Dmytri Kleiner ist die Nicht-Unterscheidung von Arbeitskraft und Arbeit. Ich bin nicht sonderlich vertraut der Geschichte der Theorie der Arbeiterbewegung, aber meiner Erinnerung nach war es Ferdinand Lassalle, der ähnlich wie der Autor den »unverkürzten Arbeitsertrag« einforderte. Das wurde — auch soweit in erinnere — von Karl Marx in der »Kritik am Gothaer Programm« zerlegt. Auch der Begriff »ehernes Lohngesetz«, der zwar inhaltlich auf Ricardo zurückgeht, wurde von Lassalle geprägt und verwendet, um eine gesetzliche Festlegung einer Art Mindestlohn zu fordern.
Insgesamt scheint sich der Autor trotz einiger »linker« Rhetorik doch eher an der vormarxschen und bürgerlichen Ökonomietheorie zu orientieren. Trotzdem formuliert er eine Eigentumskritik, wie sie in der Arbeiterbewegung weit verbreitet war und noch immer vom traditionellen Marxismus vertreten wird: Wenn erst die Produktionsmittel in den Händen der Arbeiter sind, dann können diese auch über den Wert inkl. Mehrwertes selbst verfügen und für eine gerechtere Verteilung sorgen.
Traditionell gab es zwei Wege, das Ziel der Verfügung über die Produktionsmittel und damit die Arbeitsresultate zu erlagen: Revolution und Reform. Beide orientierten auf die politische Machterringung des Staates, ob über einen »Umsturz« (wie auch immer) oder über Wahlen. Der Autor hingegen schlägt vor, schrittweise die Betriebe in »Arbeitereigentum« zu überführen, die untereinander über die gemeinsam gepflegten Allgemeingüter (Commons) miteinander verbunden sind. Helfen soll dabei die Copyfarleft-Lizenz, die die entsprechende rechtliche Absicherung liefert.
Ich finde hier weniger interessant, ob die Vorstellung, die Eigentumsverhältnisse über eine Lizenz zu verändern, »naiv« genannt werden kann. Wichtiger ist mir, hier klar zu sehen, dass sich der Autor nicht wesentlich von anderen Kritiker/innen des Eigentums unterscheidet: Er will zwar die Eigentumsverfügung verändern, aber keineswegs die warengesellschaftliche Logik, auf der mit dem Eigentum operiert wird, antasten.
Mit warengesellschaftlicher Logik meine ich den »Mechanismus«, dass getrennte Privatproduzenten — egal, ob individuelle oder kollektive — ihre Produkte als Waren auf den Markt bringen müssen, um ihren Wert zu realisieren. Wie traditonell üblich wird die »Produktion« als etwas Neutrales angesehen, während einzig um die Verteilung des Mehrwerts (fälschlich als »Rente« bezeichnet) gestritten wird. Das ändert unterm Strich — gar nichts.
Auch das angebliche »eherne Lohngesetz« — also die Tatsache, dass der Lohn den notwendigen Reproduktionsmitteln entspricht — wird nicht verändert. Auch ein arbeitereigenes Unternehmen muss sich um die Verwertung ihrer Produkte als Waren kümmern, muss in der Konkurrenz mithalten, muss investieren, muss mit Partnern kooperieren, muss Konkurrenten ausstechen — und kann nur den Wert der Ware Arbeitskraft bezahlen. Solche »arbeitereigenen« Hightech-Firmen wie etwa die »Telekommunisten« hat denn auch schon gegeben.
Prominentes Beispiel ist die Berliner Firma PSI, eines der inzwischen wirklich großen Consultingunternehmen in D-Land. Nun allerdings nicht mehr »arbeitereigen«: Schrittweise wurde die kollektive Bestimmung zur bloßen Mitbestimmung und schließlich zum stinknormalen Unternehmen abgebaut. Das musste auch so kommen, die Gründe der »effektiveren Unternehmensführung« waren keinesfalls bloß vorgeschoben, sondern entspringen direkt der Verwertungslogik in der Konkurrenz.
Die Entwicklung, dass sich die Produkte menschlicher Tätigkeit »verselbstständigen«, sobald sie als Waren produziert werden und die Marx mit dem Begriff »Fetischismus« gefasst hat, ist eines der am meisten miss- oder unverstandenen Teile der Marxschen Theorie. Diese Verselbstständigung — Marx sprach vom »automatischen Subjekt« und meinte damit das sich selbst verwertende Kapital — ist ein paradoxes Resultat der Produktion von Gütern als Waren. Paradox ist es, weil wir es ja sind, die das tun, die das herstellen, was uns dann als Getanes, als Fremdes, als Sachzwang wieder gegenübertritt.
Um mal ein nicht so häufig verwendetes Zitat von Marx anzuführen: »So leben die Agenten der kapitalistischen Produktion in einer verzauberten Welt, und ihre eigenen Bedingungen erscheinen ihnen als Eigenschaften der Dinge, der stofflichen Elemente der Produktion.« (K. Marx, Theorien über den Mehrwert III, MEW 26.3, 503). Mit dem Begriff »Agenten« zielt Marx darauf ab, dass wir Ausführende, eben Agenten, einer unabhängig von uns, aber doch durch uns hergestellten Logik sind. Deren zwei wesentliche und innerhalb der Logik gegensätzliche Rollen sind die von »Eigentümer der Produktionsmittel« aka »Kapitalist« und Produktionsmittellosen aka »Arbeiter«. Der Klassenkampf ist vor diesem Hintergrund ein Verteilungskampf um den Mehrwert. Der tastet die Grundlage des Ganzen, die Warenproduktion, nicht an.
So ist der Autor nicht nur weit davon enfernt, den grundsätzlichen Zusammenhang der Warenproduktion zu kritisieren — dann notwendig eingeschlossen Tausch, Markt, Geld, Staat –, sondern er weisst eine solche Überlegung explizit zurück. Als ich ihn hier fragte, ob er »den Tauschwert retten wolle«, antwortete er: »Ich will nicht den Tausch abschaffen, ich will Eigentumsprivilegien abschaffen«. Das ist konsistent zum hier besprochenen Aufsatz.
Dmytri Kleiner will trotz aller radikalen Rhetorik die Grundlagen der Warenproduktion nicht antasten, sondern er will auf der Grundlage der Warenproduktion eine etwas gleichmäßigere Verteilung des Reichtums haben. Das wollten viele, das haben viele ausprobiert und wollen trotz aller Niederlagen immer noch viele: Sie werden es nicht bekommen. Es reicht schlicht nicht aus, die Verfügung über die Produktionsmittel zu erlangen, wenn sie weiter im gleichen Operationsmodus eingesetzt werden. Die Produktion ist eben nicht neutral, die scheinbar für beliebige Zwecke einsetzbar ist, sondern sie ist als Produktion voneinander getrennter Privatarbeiten notwendig Warenproduktion, deren Vermittlung erst ex post über den Wertvergleich geschieht — mit allem drum und dran (von Markt bis Staat bis Klimakatastrophe).
Fazit: Eine Eigentumskritik verbunden mit einer bloßen Mehrwertkritik greift entschieden zu kurz, erst eine Wertkritik kann die Grundlagen unserer Vergesellschaftung ins Visier nehmen (zum Verhältnis von Mehrwert- und Wertkritik vgl. »Mehrwert und Verwertung«). Denn genau darum geht es: Um eine neue Art und Weise der gesellschaftlichen Produktion unseres Lebens. Was eine Produktion jenseits der Verwertungslogik bedeuten kann, zeigt die Freie Software. Das Copyleft genau in der jetzigen Form hält ihr dabei den Rücken frei — nicht mehr, aber auch nicht weniger.
[Update]
Es gibt diesen Text jetzt auch absatzweise kommentierbar bei open theory.
There is also an english version of this text at keimform.de or at open theory incl. commenting paragraph by paragraph.
Im großen und ganzen hast Du sicher Recht, aber zwei Details:
Das ist IMHO etwas komplizierter. Die terms of trade sind Ausdruck des Versuches die unterschiedlichen Produktivitäten zu erhalten um so Herrschaft zu erhalten. Die ToT sorgen also dafür, dass die Produktivitätsunterschiede so bleiben wie sie sind und umgekehrt sorgen die Produktivitätsunterschiede dafür, dass die ToT so bleiben wie sie sind.
Vorsicht! Ob da Arbeitskraft verkauft wird oder nicht, lässt sich empirisch nicht ermitteln, da es da ja um kategoriale Bestimmungen geht. (Das erklärst Du doch sonst immer allen, Stefan 😉
@Benni:
Aber genau an dieser Stelle gings mir gerade um die Empirie auf Grundlage der kategorialen Bestimmung von „Arbeitskraft verkaufen“. Und da Ist doch so, dass Musiker nicht von der Mittlerindustrie angestellt werden und damit nicht Arbeiter, sondern Selbstständige oder Unternehmer sind, oder? Oder um es kategorial ausdrücken: Musiker haben ökonomisch einen anderen Status als Arbeiter.
@Stefan: Hm, also nur weil jemand keinen Arbeitsvertrag hat, heisst das doch nicht, dass er nicht gezwungen wäre seine Arbeitskraft zu verkaufen. Musiker hatten ja nicht so die große Wahl in prä-Netz-Zeiten wen sie ihre Musik verbreiten lassen. Mein Urteil: Scheinselbstständig 😉 … aber jetzt wirds etwas offtopic, oder?
@Benni:
Ja klar, dann aber als Taxifahrer oder sonst was. — Ja, etwas offtopic.
I am very impressed that you have taken the time to author such a long and in depth response to my essay, my main motivation in writing is to stimulate thought and discussion and especially to learn from it and apply it to practise in venture communism. Thank you also for translating my original argument into German and thus opening the discussion to more people. I am a little disappointed that your critique is in German and thus I can not understand nor respond to it, as a result I suppose you will need to have this discussion without me. Please let me know if you do produce a English translation of your critique, otherwise, best wishes in your conversation, I hope some of the arguments I have raised help provide a context for your own analysis. If you are Berlin, perhaps you would like meet for a drink one day, I would very much like to understand your views on these topics, and perhaps help you better understand mine.
Cheers.
@Dmytri: Sorry, that my response is in german. It was hard for me to translate your text into german, I completely underestimated the task when I started. The other way around from german to english would even be much more harder for me to do. I would need help from a native speaker.
However, my motivation of doing a translation is low, because I don’t see a big discourse about this quite fundamental topic, its merely a niche debate (in a tiny niche). Yes, it would be fair, that at least you can read my critique, but I hoped that (being in Berlin) you could read german. Ok, maybe we can meet in Berlin some day:-)
Stefan, yes I understand and I really appreciate the work you have done in translating the article. My German is OK for common street talk, but not good enough to understand your critique, which is unfortunate as I would very much like to learn from it and respond to it. Please contact me whenever you are in Berlin, I would love to meet and talk.
Cheers.
Hallo Stefan, wiewohl Du das sicher weisst müsste in einer solchen Darstellung die Wertformproblematik unbedingt mit dargestellt werden.
Etwa so:
Da der Wert ein gesellschaftliches Verhältnis ausdrückt, hat noch niemand den Wert einer Transaktion gesehen oder berechnet. Dies ist auch gar nicht möglich, denn der Wert existiert zwar als Anspruch aller Arbeitsprodukte gesellschaftlich gültige Arbeit darzustellen, diese Gültigkeit ist in einer ungeplanten Wirtschaft aber immerzu eine prekäre, die sich erst im Tausch realisiert. Die Waren verschaffen dem Wert im Tausch zwar eine Form, einen quanitativen Ausdruck, doch diese ist immer auch in Gefahr nicht Wert zu sein, zum Beispiel wenn die Ware konsumiert wird oder verdirbt oder plötzlich zu viele Waren da sind. Im Geld hat der Wert einen gesellschaftlich gültigen Ausdruck erfahren, doch auch hier kann er sich nur erhalten wenn aus Geld Kapital wird. Unversehens ist aus der Gesellschaft des Äquivalententausches eine Gesellschaft geworden, in der ein neues, eigentümliches Subjekt entstanden ist, das einerseits die gesamte Gesellschaft dem Tauschprinzip unterwirft und zugleich die abenteuerlichsten Disproportionen der Weltgeschichte erzeugt.
@Franz:
Sehr schön, Franz, danke!
Dieser Text ist wie vieles in letzter Zeit meiner Aufmerksamkeit entgangen.
Hier scheint eine Gelegenheit, mein fortwährendes Unverständnis des „Werts“ und seiner Zusammenhänge ein wenig zu ergründen.
Das regt zum Sterben an, weil das Beispiel Erich Mühsam sehr typisch ist und ein gutes Beispiel. Warum haben andere Nationen gewisse Dinge besser im Griff? Eine Band wie Pantera wäre in Germany nie denkbar gewesen. Die Wurzelverhinderung befindet sich im Ansatz und das passiert hier jeden Tag bei Ausnahme-Freaks. Müssen wir denn alle ins Ausland, um mit Hohn und Spott zu arbeiten? (Boll) Mir wäre es lieber, wenn die grundsätzliche Annerkennung nicht über die Globalität sondern über Leute laufen würden, die ihr Wissen (Euer Wissen) auch anwenden würden. Wir diskutieren und andere werden annerkannt. O.k. vielleicht vereinfache ich es hier zu stark. Aber Tatsache ist, dass ich an dieser Diskussion teilnehme, mir die Augen blutig lese und eigentlich den Job machen will, den ich kann, um hier meine Steuern, die ich bezahlen würde, in Weiterbildung von Musik und Filmkunst zu buttern. Ich kann mich an die Frage erinnern: „wer ist eigentlich…?“ Dient diese zum weitermachen oder weitergejagt werden? Meint Ihr Lemmy Kilmister würde sich das alles durchlesen oder Fassbinder?? O.K.vielleicht ganz schlechter vergleich. Die hatten auch ne Crew…und nicht alles alleine gemacht..(Das müsste doch schon einiges ins Rechts-Licht stellen).
Also mir stößt die Kritik sauer auf, da sie zwar lang ist, aber komplett am Thema vorbeigeht, weil krampfhaft versucht wird, hier eine unpassende Doktrin der Doktrin willen anzuwenden:
1. Dmytri Kleiner erwähnt in keiner Weise „Marxismus“ und beruft sich nicht auf Marx. Das ist Fehler Nr. 1. Dafür stützt sich Kleiner auf Ricardo (ein genialer Kunstgriff, wie ich finde), welcher auch Ansichten von Adam Smith übernommen hat, sowie auf Proudhon und eben nicht auf Marx! Das schrammt schon fast an einer Unverschämtheit vorbei, Kleiner für seine Zusammenfassung von Proudhons Kritik am Eigentum Unverständnis vorzuwerfen, zumal sie hier noch einmal „verdreht“ zusammengefasst wurde – was klar zeigt, dass nicht wirklich verstanden wurde, was kritisiert werden wollte.
2. Der natürliche Preis der Arbeit ergibt sich zwangsweise aus der Subsistenz des Arbeiters, da die Arbeit (Leistung * Zeit) nur dann erbracht werden kann, wenn seine Grundbedürfnisse erfüllt sind. Kleiner hat außerdem vollkommen recht, wenn er sagt, dass diese Subsistenz mehr ausmacht, als das reine Überleben, denn in unserer Zeit sind die Grundbedürfnisse andere, da sich auch die sozialen Rahmenbedingungen verändert haben. „Arbeitskraft“, was auch immer das sein soll, ist irrelevant. Das ist eine Spitzfindigkeit, die genau vom eigentlichen Punkt ablenkt, nämlich, dass der Arbeiter nicht im vollen Umfang die Früchte seiner Arbeit erhält, um es frei mit Adam Smith zu formulieren! Dies wird nur dadurch möglich, dass es überhaupt Privateigentum an Produktionsmitteln gibt. Kleiners Kritik – oder besser Proudhons Kritik – ist viel radikaler. Hieraus entwickelte sich auch das „eherne Lohngesetz“, welches übrigens Adam Smiths Begründung von Eigentum widerspricht, der ja den Aneignungsprozess in der Arbeit verortet. Der Arbeiter wird hier de jure zu Gunsten eines Eigentümers enteignet, obwohl a) der Arbeiter durch Arbeit einen Aneignungsprozess ausführt und b) es ja die Gesellschaft ist, und somit auch der Arbeiter, welche das Eigentum schützt, obwohl dies den eigenen Interessen widerspricht. Zu behaupten, dies wäre nur ein Äquivalententausch von Lohn gegen „Arbeitskraft“ und sei gerecht, zeugt davon, dass das eigentliche Problem nicht erkannt wurde: Die Enteignung von Arbeit durch Eigentum. Darum geht es und nicht um Kapitalismus, denn diese Form von Enteignung funktioniert auch ohne Kapitalismus. Der Staatssozialismus (welcher diesen Namen nicht verdient) ist ein gutes Beispiel dafür.
3. Kleiner beschränkt den Wertbegriff auf den Nutzwert und deutet an, dass Kunst, die ja keinen Nutzwert besitzt, einen anderen, symbolischen Wert für die „Freunde der Kunst“ besitzt. Marx‘ Wertbegriff ist in seiner Argumentation auch nicht notwendig, da Kleiner vom „natürlichen Preis“ ausgeht, also dem Preis, der nach Adam Smith aus den Gestehungskosten resultiert, was im Fall von Arbeit die Subsistenz des Arbeiters wäre. Dies entspricht in etwa dem Marxschen Wert. Darüber hinaus gäbe es noch einen Marktpreis. Dieser bestimmt aber nicht der Arbeiter, sondern derjenige, der sich dessen Arbeit angeeignet hat. Dies entspräche in etwa dem Neuwert, also der Summe aus Wert und Mehrwert. Um das Problem der Enteignung durch Eigentum zu beschreiben ist dieser Begriff allerdings absolut irrelevant. Es ist auch nicht wichtig, ob es sich um absolutem oder relativem Mehrwert handelt. Auch Angebot und Nachfrage spielen hier keine Rolle. Kurz: Dem Dieb ist es gleich, woher sein Beute stammt, in welchen Zusammenhang sie entstanden ist und in welchem Verhältnis sie einmal stand. Wichtig ist, dass er sie sich genommen hat.
4. Eine Rente ist Einkommen ohne Arbeitsleistung. In diesem Fall ein Einkommen, welches sich aus Eigentum ergibt. Ob dies im Endeffekt Profit darstellt, ist ebenfalls ohne Bedeutung. Es geht darum, dass Eigentum eine gesetzliche Einschränkung von Freiheiten zugunsten eines Eigentümers ist, was ihm erlaubt, nach Belieben über die Güter zu bestimmen, welche er sein Eigentum nennt, diese künstlich zu verknappen und mit einer Rente zu belegen. Dies kann Profit aus einem Handel sein, Profit durch Ausbeutung von Arbeitern, aber auch ein Pachtzins für ein Stück Land. Auch für eine Pacht müssen andere Arbeitsleistung erbringen. Rente ist also der richtige Begriff, da er allgemein gehalten ist. Profit und Kapital spielen als Begriffe in diesem Zusammenhang keine Rolle.
5. Wenn man Produktivität ins Spiel bringt, dann sollte man sich klar sein, dass in einer arbeitsteiligen Welt, nur die Gesamtproduktivität endgültig eine Aussagekraft besitzt, denn die eigene Produktivität hängt auch von anderen ab und im Endeffekt zählt nur die Gesamtversorgung mit Gütern und Dienstleistungen und nicht Einzelleistungen, die auf anderen aufbauen. Eine Betrachtung „1 Std. x = 10 Std. y“ ist sehr oberflächlich, funktioniert nicht so ohne Weiteres und hat kaum Bestand. Bei genauer Betrachtung resultiert ein solches Verhältnis aus eben diesen kritisierten Eigentumsverhältnissen und der künstlichen Verknappung. Oder wie will man bei einem Künstler, der ja abseits eines industriellen Produktionsprozesses steht, die Arbeitsproduktivität bemessen? Wie soll er sie steigern? Dass er nun zwei Kunstwerke am Tag fertigstellt anstatt eines im Monat? Wie vergleicht man einen Musiker mit einem Bildhauer? Das ist Quatsch und genauso wenig kann man das scheinbare Missverhältnis des Arbeitsergebnisses einer Putzfrau mit dem eines Raketentechnikers auf die erbrachte Arbeit übertragen, wenn Letztere bei beiden gleich war! Fakt ist nur, dass die Subsistenz eines Künstlers genauso gewahrt werden muss, wie die eines Arbeiters, einer Putzfrau oder eines Ingenieurs, zumal Kunst und Kultur auch schon immer zu den menschlichen Grundbedürfnissen zählten, gleichgültig wie arm und unproduktiv eine Gesellschaft war. Daraus resultiert nun einmal kein Verhältnis „1 Std. x = 10 Std. y“, sondern die Verhältnisse „1 Std. x = 1 Std. y“ und „10 St. Produkt A = 1 St. Produkt B“. Das ist etwas fundamental anderes und immer gerecht, solange nichts künstlich verknappt wird, da das Missverhältnis aus dem natürlichen Preis der Arbeit resultiert.
@Paul Roerijk: Kleiner beruft sich tatsächlich nicht auf Marx, aber ich bin nicht auf die Idee gekommen, das, was Marx theoretisch zerlegt hat (die bürgerlichen Ökonomen Ricardo und Smith, aber auch Proudon), ernsthaft als theoretische Grundlage in Erwägung zu ziehen. Ein Zurück hinter Marx schien mir ausgeschlossen, sondern bisher ging der Streit stets darum, wer den Marx angemessen interpretiert oder ob die Marxschen Kategorien positiv gewendet werden können etc. Das war ein Fehler von mir, ich sehe es ein (das hätte Dmytri Kleiner ja auch mal selbst sagen können). Da haben wir aneinander vorbeigeredet.
Insofern ist eine weitere Auseinandersetzung wenig sinnvoll, weil ich die ganzen bürgerlichen Kategorien, die Kleiner und du anwenden, für das Problem halte. Man kann den Kapitalismus nicht auf seiner eigenen Grundlage überwinden. Marx ist selber hinter seine eigene Kritik von Proudon u.a. zurückgefallen, als er in der »Kritik des Gothaer Programms« von der Arbeiterbewegung gedrängt all jene Illusionen als »erste Phase« des Kommunismus (dann Sozialismus genannt) zum Besten gab, die er vorher an Proudon u.a. kritisierte. Das, was dann Staatssozialismus wurde, war dann tatsächlich nichts anderes als Staatskapitalismus und kein Beginn einer anderen Produktionsweise.
Mein Fazit halte ich gleichwohl für nach wie vor gültig: »Dmytri Kleiner will trotz aller radikalen Rhetorik die Grundlagen der Warenproduktion nicht antasten, sondern er will auf der Grundlage der Warenproduktion eine etwas gleichmäßigere Verteilung des Reichtums haben« — ein legitimer Standpunkt, der schlicht nichts mit Überwindung von Kapitalismus zu tun hat.
Ich weiß, was du meinst – und du hast eingeschränkt ja auch recht –, aber es ging, wie ich es verstanden habe, um etwas anderes:
Kleiner bezieht seine Kritik eher auf eine Art post-industriellem Kapitalismus, welcher seine Macht aus „geistigem Eigentum“ zieht und fordert ein anti-kapitalistisches Gegenmodell zur bekannten, kapitalistischen Verwertungslogik.
Es geht ihm nicht um die industrielle Produktionsweise, macht aber deutlich, dass das Grundproblem des Kapitalismus immer im (zu weit gefassten) Eigentumsbegriff begründet liegt. Das weicht auch von Marx‘ Theorie nicht sonderlich weit ab und sollte auch das Problem gut genug beleuchten.
Kleiner bezieht sich in seiner Kritik vor allem auf die CreativeCommons-Lizenzen, die zum Einen die Produktions- und Verwertungsweise von Kreativen nicht wirklich antastet (im Gegensatz zur GPL), aber auch nicht sicherstellen kann, dass der Kreative für sein Schaffen ein Auskommen hat (etwas was die GPL auch nicht garantieren kann, aber bezüglich des Nutzwerts von Software, dies zumindest für Entwickler wahrscheinlicher macht). Das ist durchaus ein Problem, das sehe ich ein und ich verstehe seine Kritik – allerdings sehe ich derzeit keine andere Lösung, als eine Form des Mutualismus, z.B. durch die freiwillige Unterstützung der Künstler durch die Nutznießer. Das gilt aber dann für jegliches politisch-wirtschaftliches System. Ich fühle mich fast schon genötigt zu schreiben, dass so das Los des Künstlers ist…
*LOL*, voll revolutionär: »Unsere Fähigkeit die Gesellschaft zu verändern beginnt mit dem, was ich „soziale Investionsfähigkeit der Arbeiter“ genannt habe«.
Eine Kritik, die im Artikel fehlt, ist die Verkürzung von Reichtum auf monetären Reichtum. Sinnlicher Reichtum kommt bei Kleiner überhaupt nicht vor.