Buchtipp: „Solidarische Ökonomie & Commons“ von Andrea*s Exner und Brigitte Kratzwald
Nach Massimo De Angelis‘ „Omnia Sunt Communia“ habe ich den kurzen Band „Solidarische Ökonomie & Commons“ von Andrea*s Exner und Brigitte Kratzwald (erschienen 2012) aus der Intro-Reihe des Mandelbaum-Verlags gelesen. Darin geben die Autor*innen eine Einführung in die Thematik von Commons und Solidarischer Ökonomie, eingebettet in eine Kritik an Marktwirtschaft und Kapitalismus sowie die Perspektive gesellschaftlicher Transformation, bei der auch Kämpfe und politisches Bewusstsein eine wichtige Rolle spielen. Gerade ist im Mandelbaum-Verlag eine erweiterte und aktualisierte Neuauflage erschienen, durch die das Buch hoffentlich wieder mehr in die Diskussion kommen wird. Die darin vorgenommenen Aktualisierungen werden in dieser Rezension nicht berücksichtigt, da mir nur die ältere Ausgabe vorlag (auf die sich auch die Seitenangaben beziehen).
Commons und Solidarische Ökonomie verstehen Exner und Kratzwald nicht als einheitliche Theoriegebäude und klar abgrenzbare Bewegungen, sondern als „strategische Diskurse und eine Vielfalt konkreter Praktiken“ (S.9). Ihnen geht es darum, das emanzipatorische Potential dieser Praktiken herauszuarbeiten, welches darin besteht, dass Commons und Solidarische Ökonomien mit Lohnarbeit, Warenproduktion und Äquivalententausch brechen und somit zu einer echten Alternative zum Kapitalismus werden können – „sofern sie Teil kämpferischer sozialer Bewegungen sind, die sich nicht damit begnügen wollen, die Krisen des Kapitalismus abzufedern“ (S.9). Nach einem einleitenden Vorwort beginnen die Autor*innen mit einer knappen Kritik an Marktwirtschaft und Kapitalismus, worunter sie auch den Staatssozialismus als „staatlich geplante Marktwirtschaft“ (S.12), die nicht mit Warenproduktion, Lohnarbeit und Konkurrenz bricht, fassen. Dieser Kritikteil fällt – der Form einer Einführung entsprechend – relativ kurz aus und einige Punkte hätten sicherlich noch ausführlicher diskutiert werden können. Trotzdem gelingt es ihnen sehr gut, in die grundlegenden Funktionsweisen des Kapitalismus (wie das strukturelle Konfliktverhältnis des Marktes, die Verselbstständigung, den Wachstumszwang oder das Klassenverhältnis) einzuführen – vor allem, weil sie den wertkritischen Fokus auf Warenproduktion und Tausch zusammenbringen mit dem grundlegenden Klassenverhältnis:
„Dass der Markt die Menschen trennt und nur über das Geld in einen sachlichen Zusammenhang bringt, ist das Ergebnis der Spaltung zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und denen, die gezwungen sind, sich ihnen zu verkaufen.“
S.15
Im zweiten Kapitel „Die Produktion der Commons“ führen sie dann in die Konzepte von Commons und Solidarischer Ökonomie ein. Dabei machen sie sich, wie auch sonst viele kapitalismuskritische Commons-Theorien, für einen Fokus auf das Commoning und gegen ein rein güterzentriertes Commons-Verständnis stark:
„Commons sind nicht – Commons werden gemacht. Sie entstehen durch Aneignung und Selbstermächtigung immer dann, wenn Menschen etwas für so wichtig halten, dass sie es als ihr Eigenes betrachten, sich darum kümmern und Verantwortung dafür übernehmen; deshalb auch darüber bestimmen wollen, wie diese Ressource genutzt wird.“
S.23
Sie bestimmen Commons – ähnlich wie De Angelis – über drei Elemente: Die Ressource (die stofflich oder immateriell sein kann), die Menschen, die sie nutzen, und der Aushandlungsprozess über die Nutzung der Ressource:
„Commons sind eine soziale Beziehung und sie entstehen aus einer sozialen Praxis, die wir Commoning nennen, die gemeinsame Sorge um etwas, sei es ein Gemeinschaftsgarten, ein genossenschaftliches Unternehmen oder der freie Internetzugang.“
S.23
In ihrer „emanzipatorischen Idealform“ überwinden Commons dabei „Privateigentum, Knappheit, Lohnarbeit, Wettbewerb und Markt“ (S.23). Da sie sich aber in einer kapitalistischen Umgebung befinden, können sie diese Idealform nie ganz verwirklichen, sondern nur in diese Richtung hinwirken, etwa durch „kreative ‚dissidente Praktiken‘ im Umgang mit Arbeit, Geld und Privateigentum, die über den Kapitalismus hinausweisen.“ (S.23). Für soziale Kämpfe, die auch immer Praxen des Commoning sind, „die sich rund um immaterielle Ressourcen entfalten wie soziale Beziehungen, Wissen, Deutungen der Welt, Leidenschaften oder auch Institutionen, die daraus neu entstehen“ (S.25), bedeutet eine Bezugnahme auf Commons eine wesentliche Veränderung ihrer Ausrichtung:
„Ging es in der globalisierungskritischen Bewegung an der Wende zum 21. Jahrhundert im globalen Norden fast ausschließlich darum, von den Regierungen bessere Regulierungen oder Umverteilung zu fordern, wird nun auch im Norden die Legitimation dieser Regierungen und ihre Fähigkeit solche Regulierungen durchzusetzen, grundsätzlich infrage gestellt.“
S.24
Nach einer Vorstellung von Garret Hardins Behauptung der „Tragödie der Allmende“ und Elinor Ostroms Kritik daran gehen Exner und Kratzwald auf den Begriff der Reziprozität ein, der zentral für ihr Commonsverständnis ist. Dabei beziehen sie sich auf Karl Polanyi und grenzen Reziprozität vom Tausch ab: Während der Tausch auf dem Markt mit dem Austausch gleichwertiger Güter abgeschlossen ist, geht es bei Reziprozität (etwa in Systemen der wechselseitigen Gabe) nicht nur um Austausch von Gütern, sondern auch um die Herstellung von Beziehungen und sozialem Zusammenhalt (S.30). Commons bilden dadurch eine „Antithese zum Tausch“ (S.31). Reziprozität ist jedoch nicht zwangsläufig emanzipatorisch, sondern kann auch herrschaftsförmig sein, etwa in der patriarchalen Ehe (S.30). Unbezahlte Reproduktionsarbeit verliert durch die Isolation in Privathaushalten ihr emanzipatorisches Potential: „Erst durch einen Zusammenschluss von Menschen und ihren Haushalten können solche Tätigkeiten die Form von (emanzipatorischen) Commons annehmen“ (S.36).
Neben einem Mittel, den Lebensunterhalt durch reziproke Beziehungen zu sichern, stellen Commons darüber hinaus oft auch einen Ort des Widerstands dar, „an dem man zusammenkam, Fragen und Probleme besprach und sich mitunter organisierte, um sich der Willkür der Herrschenden zu widersetzen“ (S.35).
Da eine symmetrische, egalitäre Reziprozität für die Autor*innen auch mit dem Begriff der Solidarität gefasst werden kann (S.37), ist der Bezug auf Solidarische Ökonomie naheliegend. Der Begriff wurde in den 80er Jahren in Chile von Luis Razeto geprägt und hat – anders als der Begriff der Commons – eine begriffliche Vereindeutlichung erfahren, die auch durch ein staatliches Sekretariat festgeschrieben ist. Demnach wird Solidarische Ökonomie definiert durch die vier Merkmale Beitrag zum Lebensunterhalt, Selbstverwaltung, Kooperation und solidarische Beziehungen zur Gesellschaft (S.39). Tausch und Markt werden dabei nicht abgelehnt, die Reziprozität bleibt auf den Binnenraum der Projekte und Betriebe beschränkt – ein Widerspruch, der dann im Nachhinein durch die Herstellung solidarischer Beziehungen zum Außen behoben werden soll. Wenn diese die Form von solidarischen Produktionsketten und -netzen annehmen, lässt sich somit das Tauschprinzip wenigstens zurückdrängen.
Die Geschichte der Commons ist eine Geschichte von Kämpfen
Im Kapitel „Commons als umkämpftes Feld“ widmen sich die Autor*innen der Geschichte der Commons (v.a. in Bezug auf Europa und Nordamerika) von der Magna Carta von 1215, in der die Existenz von Commons-Land anerkannt wurde, bis hin zu den Neuen Sozialen Bewegungen. Dabei distanzieren sie sich von einem romantisierenden Blick auf die Commons im Mittelalter:
„Wenn wir uns in der aktuellen Commons-Diskussion auf diese historischen Fakten berufen, so ist das kein nostalgischer oder gar romantisierender Rückblick in eine „gute alte Zeit“. Es muss uns immer klar sein, dass die historischen Commons Teil einer Feudalgesellschaft waren. Die mit ihnen verbundenen Freiheiten waren nur im engen Rahmen damaliger Herrschaftsverhältnisse möglich. Wir müssen heute dagegen Praktiken und Institutionalisierungen finden, die eine gesellschaftliche Weiterentwicklung, eine Transformation über den Kapitalismus hinaus bedeuten, nicht eine Rückkehr zu seinen feudalen Wurzeln. Wir müssen neu bestimmen, was unsere Commons und wer die Commoners sind, wer also auf diese bedingungslosen Rechte des Zugangs zu lebensnotwendigen Ressourcen Anspruch hat, mit welchen Regeln, die alle seither erkämpften oder eingeforderten Rechte von Frauen, ethnischen Minderheiten usw. implizieren, die auch die Naturverhältnisse einbeziehen und zur Lösung der Rohstoff- und Klimakrise beitragen.“
S.53f
Darüber hinaus weisen die Autor*innen auf Formen des Commoning in verschiedenen sozialen Bewegungen hin. So schuf sich die frühe Arbeiter*innenbewegung mit solidarischen Versicherungssystemen, Streikfonds, Einkaufsgenossenschaften und Bestrebungen der Landaneignung eigene Commons. Im 19. Jahrhundert seien Kämpfe um diese Commons (die die Autor*innen als Kämpfe gegen die Lohnarbeit deuten) tatsächlich häufiger gewesen als Kämpfe um bessere Bedingungen innerhalb der Lohnarbeit (S.54f). 1968 und in den Folgejahren sehen die Autor*innen Commoning zum einen als Voraussetzung für gegenkulturelle, feministische und Black-Power- und viele weitere Bewegungen und zum anderen gab es in diesen Bewegungen vielfache Kämpfe um Aneignung von Commons:
„Der Kampf um Freiräume, Jugendzentren, Kulturlokale, nicht-kommerzielle Medien, besetzte Häuser, die Aneignung von Waren ohne Tausch, die Selbstreduktion der Zahlungen für Miete, Strom und Heizung, die selbstdefinierte Freifahrt in öffentlichen Verkehrsmitteln waren allesamt Praktiken des Commoning. Sie nahmen in Italien epidemische Formen an. Bereichsweise, je nach Vehemenz ihres Vorwärtsdrängens und der Effektivität der staatlichen Gegenwehr, gelang es diesen Kämpfen für eine Zeit lang Commons zu konstituieren.“
S.61
In „Neue Einhegungen – neue Kämpfe um Commons“ geht es dann um aktuelle Beispiele von Commons und zwar konkret entlang der Themen digitale Commons und Ernährung. In beiden Bereichen gibt es neue Einhegungen durch das „geistige Eigentum“ in Form von Copyright und Saatgut-Patenten, aber auch neue Formen des Commoning. Es wird deutlich, dass sich diese jedoch auch in verschiedene Richtungen entwickeln können. Während etwa die Free Software Foundation einen explizit politischen Anspruch hat, gründete sich in Abgrenzung dazu die Open-Source-Bewegung, die zwar auch den Quellcode freigab aber keinen politischen Anspruch erhob und bei der es darum ging, auf Basis dieser Commons neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Beim Thema Ernährung stellen die Autor*innen dann verschiedene Projekte von Food-Coops hin zur Solidarischen Landwirtschaft vor. Sie machen jedoch deutlich, wie sehr auch diese Praktiken durch das kapitalistische Umfeld beschränkt bleiben – irgendwo muss schließlich das Geld herkommen um Geräte und Produzent*innen zu bezahlen. Trotz der teilweisen Umverteilung zwischen den Konsument*innen bleiben solche Projekte davon abhängig, dass es zahlungskräftige Konsument*innen gibt, zumal kleinbäuerliche Produktion meist teurer ist als industrielle Landwirtschaft. Eine verallgemeinerbare Perspektive fehlt daher. Nichtsdestotrotz sehen die Autor*innen ein emanzipatorisches Potential, das darin besteht, dass bewusst darüber reflektiert werden kann, wer wofür wie viel Geld zahlt und somit „ans Licht [kommt], was nach Marx normalerweise ‚hinter dem Rücken der Akteure‘ geschieht“ (S.86):
„Das emanzipatorische Potenzial solcher Projekte hängt davon ab, ob sie sich in diese Richtung weiter entwickeln können und sich an umfangreicheren sozialen Kämpfen, auch Arbeitskämpfen, beteiligen.“
S.87
Politisches Bewusstsein ist entscheidend
Auch im Zusammenschluss zu größeren Netzwerken solidarischer Ökonomien sehen die Autor*innen eine Möglichkeit, die Unabhängigkeit von Staat und Markt zu erweitern. Darum geht es schließlich im Kapitel „Solidarische Ökonomie als Commons-Netzwerk: von Halbinseln gegen den Strom zur Gewinnung von Land“. Worauf es dabei ankommt, skizzieren sie vor allem an der Gegenüberstellung der Kooperativenverbände Cecosesola in Venezuela und Mondragon aus Spanien. Während letzterer eine klare Schichtung zwischen Belegschaft und Management hat und wie ein kapitalistisches Unternehmen agiert, gibt es bei Cecosesola viel Commoning und die Einkommen richten sich nach den Bedürfnissen. Politisches Bewusstsein bei den Mitgliedern zu schaffen ist ein wichtiges Ziel, denn Cecosesola „zielt explizit auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft“ (S.103). Interne Demokratie führt nicht automatisch zu solidarischer Kooperation nach außen, stattdessen sind politisches Bewusstsein und die Einbettung in soziale Bewegungen für Exner und Kratzwald die entscheidenden Faktoren, die die Entwicklung von Kooperativen in Richtung Commons statt in Richtung kapitalistischer Unternehmen beeinflussen, was auch von ihnen zitierte Studien zu Kooperativen in Venezuela und Argentinien nahelegen. Einige Beobachtungen zur Kibbutz-Bewegung und zum Verhältnis venezolanischer Kooperativen zur bolivarischen Regierung runden das Kapitel ab. In Bezug auf Venezuela stellen sie fest, dass in den gemeinsam mit dem Staat geleiteten Betrieben „sich der Konflikt zwischen Kapital und Arbeit oft als Konflikt der dort Tätigen mit dem Staat“ reproduziert, der zudem teilweise explizit gegen die Aneignung durch die Belegschaften arbeitete, vor allem bei strategisch wichtigen Unternehmen (S.121f).
In einem abschließenden Kapitel unter dem Titel „Perspektiven“ fassen Exner und Kratzwald noch einmal die Bedeutung politischen Bewusstseins zusammen: Dieses sei notwendig, um die in commonsorientierten Ansätzen Solidarischer Ökonomie entwickelten und reproduzierten Beziehungsstrukturen, Bedürfnisse und Werte bewusst zu machen, zu stärken und weiterzuentwickeln, um in der feindlichen kapitalistischen Umwelt bestehen zu können und sich auszuweiten (S.126):
„Deshalb sind in allen eher positiv zu wertenden Beispielen sozialer Transformation das politische Bewusstsein und ein Bewusstsein des Kampfes oder des Widerstands ausschlaggebend: Sei es der ‚Genossenschaftsgeist‘ in einer Kooperative, die ‚Pionierspannung‘ in einer Kibbutz-Siedlung, die Orientierung am Anderen und der soziale Kampf in CECOSESOLA, die wehrhafte Autonomie in einer Basisbewegung in Venezuela.“
S.127
Für eine gesellschaftliche Verallgemeinerung commonsorientierter Solidarischer Ökonomie setzen Exner und Kratzwald auf eine Perspektive der Doppelmacht zwischen Staat, Kapital und Markt auf der einen, Commons-Bewegungen und solidarischen Ökonomien auf der anderen Seite, die letztlich auch auf Abbau und Auflösung der Staatsmacht zielen (S.128). Zu Möglichkeiten einer konkreteren Ausgestaltung dieser Perspektive beziehen sie sich zum einen auf den Text „Für einen Praktischen Sozialismus“ des Hans-Jürgen-Krahl-Instituts und zum anderen auf Robert Kurz‘ „Antiökonomie und Antipolitik“ (S.129ff). Für das Hans-Jürgen-Krahl-Institut könnte eine erneuerte Gewerkschaft gemeinsam mit einem sich ausdehnenden Sektor Solidarischer Ökonomie den Kapitalismus zu Fall bringen, indem die Gewerkschaft Betriebe in den Bankrott streikt, die dann mit einer umfunktionierten Streikkasse aufgekauft werden könnten. Für Robert Kurz (der sich später von seinem Text distanzierte) hingegen müsste eine Aufhebungsbewegung auf der Seite des Konsums anfangen, er knüpfte an die historischen Erfahrungen von Konsumgenossenschaften an, von denen aus der Produktionszusammenhang schrittweise aufgerollt und von der Verwertung entkoppelt werden könnte.
Eine lesenswerte Einführung in die Commons-Thematik
Insgesamt schaffen es Brigitte Kratzwald und Andrea*s Exner in diesem sehr kurzen Bändchen (unter 140 Seiten; in der erweiterten Neuauflage 196 Seiten) einen sehr großen Überblick zu geben sowohl über die Kritik an Kapitalismus, Begriffe und Konzepte von Commons und Solidarischer Ökonomie als auch ihrer Geschichte und Praxis und mögliche Perspektiven gesellschaftlicher Verallgemeinerung. Vieles kann dabei verständlicherweise nur angeschnitten werden, doch dafür gibt es nach jedem Abschnitt Literaturtipps zum weiterlesen. Dadurch stellt der Band eine exzellente Einleitung in die Commons-Thematik dar, die ich allen empfehlen würde, die sich neu mit ihr beschäftigen oder aber sie aus anderen Blickwinkeln als bisher betrachten wollen. Ich wundere mich, dass der Band in den deutschsprachigen Commons-Kontexten so wenig diskutiert wird; gerade weil in diesen der Fokus auf soziale Kämpfe, den Exner und Kratzwald stark machen, manchmal etwas fehlt.
Für mich waren vor allem die empirischen Beobachtungen zur Rolle des politischen Bewusstseins interessant, da dies in unseren Diskussionszusammenhängen bisher eine offene Frage war. Etwas unbefriedigend bleibt die Auseinandersetzung mit dem Reziprozitäts-Begriff, der für das Commons-Verständnis der Autor*innen zentral ist. Sie setzen Reziprozität als Gegenbegriff zum Tausch, jedoch vor allem hinsichtlich der Zeitlichkeit: Während eine Beziehung mit dem Tausch abgeschlossen ist, schafft Reziprozität langfristige Beziehungen. Weniger hinterfragt wird durch diese Perspektive die grundsätzliche Kopplung von Geben und Nehmen. Commons erscheinen dadurch vor allem als interpersonale Strukturen sozialer Verpflichtungen. Das mag auf die real existierenden Commons durchaus zutreffen. Für eine Commons-Gesellschaft mit transpersonalen Beziehungen des Commoning müsste der Reziprozitätsbegriff jedoch noch einmal anders gefasst werden. Doch immerhin kann er einige Stichpunkte liefern für das Nachdenken über eine gerechte Verteilung von Tätigkeiten jenseits des Tauschprinzips.
Danke für die schöne Rezension! Kleine Anmerkungen. Zitat mit Zitat: »…weil sie den wertkritischen Fokus auf Warenproduktion und Tausch zusammenbringen mit dem grundlegenden Klassenverhältnis: „Dass der Markt die Menschen trennt und nur über das Geld in einen sachlichen Zusammenhang bringt, ist das Ergebnis der Spaltung zwischen den Eigentümern der Produktionsmittel und denen, die gezwungen sind, sich ihnen zu verkaufen.“« — Ja, da wird Warenproduktion und Klassenverhältnis zusammengebracht, aber mehr durch nebeneinanderstellen. Das zitierte Argument blendet – wie so oft bei klassenfokussierten Argumentationen – aus, dass sich auch die Eigentümer:innen der PM voneinander trennen wie ebenso die Eigentümer:innen der erworbenen Komsumtionsmittel voneinander. Es ist also schon das Eigentum als solches, das die Spaltungen hervorbringt, nicht erst das besondere Klassenverhältnis.
Und zweitens: Ich erinnere mich, dass ich das Buch nicht überzeugend fand, weil es einen so starken Fokus auf das Bewusstsein als ausschlaggebende Voraussetzung für das Commoning gelegt hat. Das erschien (und erscheint mir noch immer) eine idealistische Schlagseite zu haben: Die Leute müssen das Richtige denken, dann klappt es. Doch so funktionieren Commons – auch bei sozialen Bewegungen – meist nicht. Es ist eher umgekehrt: Weil bestimmte materiale Praktiken für die Leute und ihre Bedürfnisse funktionieren und Bedeutung haben, entwickelt sich zum Teil auch ein anderes (auch widersprüchliches) Bewusstsein. So „materialistisch“ würde ich auch tatsächlich nach wie vor fragen: Was macht es nahelegend, sich gegen die Warenlogik zu verhalten, solidarisch zu kämpfen etc.? Die Forderung nach dem Primat eines entsprechenden emanzipatorischen Bewusstseins schien mir zu überdecken, dass vieles der Solidarischen Ökonomie gar nicht so anders ist, als die normale Warenproduktion. Auch wenn der Gründungsimpuls in den SolÖk ein anderer gewesen sein mag.
@Stefan:
Zum ersten Punkt: Ja ich stimme dir zu, es ist das Eigentum, dass die Spaltungen hervorbringt, und dazu führt, dass wir über Markt/Geld/Ware in Beziehung treten. Ich finde aber Marx‘ Argumentation in Kapitel Band 1 einleuchtend, dass sich diese Formen historisch erst verallgemeinert haben durch die Trennung der Menschen von ihren Produktions- bzw. Subsistenzmitteln, also der Schaffung einer Klasse von Lohnabhängigen. Außerdem frage ich mich, was wir eigentlich damit meinen, wenn wir sagen, das Eigentum sei die Grundlage. Denn Eigentum ist ja nicht einfach eine Verfügungsform, die sich zufällig so entwickelt hat als ideologische Vorstellung, sondern es haben ja konkret Leute ein Interesse daran, in dieser Form der absoluten Sachherrschaft über ihre Dinge zu verfügen, und das sind i.d.R. Leute mit viel Eigentum und dadurch kommt das Klassenverhältnis auch wieder als ziemlich grundlegend rein.
Zum zweiten: Das habe ich mich auch beim Lesen immer wieder gefragt, ob der Fokus auf Bewusstsein nicht doch recht idealistisch ist. Andererseits scheinen die empirischen Untersuchungen, die die Autor:innen zitieren, ihnen recht zu geben. Vielleicht lässt sich das aber auch nochmal materialistisch reinterpretieren, indem man fragt: Unter welchen Bedingungen entwickeln die Leute ein politisches Bewusstsein oder verorten ihre Commoning-Praxis in kämperischen Bewegungen? Ansonsten glaube ich sollte man es aber mit dem Materialismus auch nicht so weit treiben, dass gar kein Raum mehr für bewusstes Eingreifen bleibt. Selbst die krassesten Histomat*innen haben ja schließlich auch Agitation und Bewusstseinsarbeit betrieben.
Stefan, die „idealistische Schlagseite“ hat noch eine andere Seite. Wenn die Leute das falsche Bewusstsein haben, klappt es überhaupt nicht.
Ach ja, die alte Frage nach der Henne und dem Ei. Eigentum vs. Klassenverhältnis? Es ist also „schon das Eigentum als solches, das die Spaltungen hervorbringt, nicht erst das besondere Klassenverhältnis“. Welches Eigentum? Das Eigentum an Allod aus alten Zeiten in später deutschen Bereichen? Das feudale Eigentum? Was ist demgegenüber das Besondere des kapitalistischen Eigentums?
Dass sich, wenn man die Grundklassen als „historische Voraussetzung“ (nach Marx) vorausgesetzt, dann die Klassen ineinander noch mal konkurrenzmäßig aufspalten… das ändert doch am wesentlichen Gegensatz zwischen jenen, die durch die Kombination der „Arbeitsfaktoren“, über die sie aufgrund ihres Eigentums an Kapital verfügen können, über Ziel und Art und Weise der (Re-)Produktion entscheiden können und jenen, die dies aufgrund des Mangels an wesentlichen Lebens- und Produktionsmitteln dies nicht können, nichts. Die Widersprüche zwischen letzteren sind aufzuheben und die Widersprüche zwischen ersteren auszunutzen…
Vielen Dank auch für die Zsf! Mich würde wirklich der Reziprozitätsbegriff auf transpersonaler Ebene interessieren. Ich finde es auch wichtig den Reziprozitätsansatz bei Freiwilligkeit/Motivaiton zu stärken, weil es eben dann aus einem altruistischen „ich tue was für andere“ rauskommt und eben bedeutet „Ich tue etwas für andere, weil wir damit ein gemeinsames Netzwerk der Versorgung schaffen“ – das passt dann sehr gut zu KPs Handlungsfähigkeit und produktiven Bedürfnisse find ich. Damit gibt es eine gesellschaftliche Kopplung, wenn die wegfällt hab ich auch keine Lust mehr beizutragen. Da Commons aber häufig unterpersonal sind ist die Kopplung noch gemeinschaftlich und es ist nicht Tausch, aber eben eine gemeinschaftliche keine gesellschaftliche Reziprozität, die sich auch ziemlich anders anfühlt und viel direkter ist, wodurch sie näher zum Tausch gerückt wird.
Ich denk da an mein Hausprojekt wo es klar ist dass sich Leute nur ungern um andere Leute kümmern, wenn die sich gar nicht um sie kümmern. Meine Mitbewohnerin hat jetzt beschlossen einfach aufzuhören für ihre männlichen Mitbewohnis Emo-Care zu machen, wenn da nichts zurückkommt. Das schon ganz schön nahe an Tauschideen, aber gerade vor dem Hintergrund einer patriarchalen Aneignung weiblicher Sorgearbeit verständlich und wichtig. (Ich würde auch sagen, dass es meinem nicht-sorgenden Mitbewohner nicht wahnsinnig gut geht, da er durch seine fehlende Sorge nicht sehr stabile und tiefe Beziehungen aufbaut).
Trotzdem find ich dass Reziprozität/Gegenseitigkeit denn individualisierenden Fokus von Freiwilligkeit rausnimmt. Ich frage mich ob es nicht quasi eine inhaltliche Bestimmung des Commoning als Vermittlungsform ist. In dem Begriff ist sowohl Beitragen/Motivation die Grundlage der Arbeit/Tätigkeit und die Verteilung ist damit logischerweise nicht leistungsorientiert, wobei sie sehr wohl machtdurchdrungen sein kann. Wenn das so wäre stellt sich die Frage nach einem Verb. Friede verwendet ja in „Ausgetauscht“ das Verb „austauschen“ für nicht tauschlogikförmige Gegenseitigkeit, aber das ist mir etwas zu nahe dran.