Automatische Gesellschaft
[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]
Die fetischismuskritische Richtung der marxschen Analyse betont den automatischen Charakter der kapitalistischen Vergesellschaftung. Und schließt manchmal daraus, dass eine freie, postkapitalistische Gesellschaft keinen automatischen Charakter haben dürfe. Warum das aus meiner Sicht falsch ist, soll in dieser Kolumne begründet werden. Zunächst jedoch ein paar Vorklärungen.
Im Marxismus spielt das „Kapital“ von Karl Marx eine zentrale Rolle. Dort rekonstruiert Marx in einer langen Argumentationskette wie der Kapitalismus funktioniert – im Prinzip. Beginnend mit der Analyse der Elementarform „Ware“ und ihrem Doppelcharakter von Gebrauchswert und Wert über die sich weiter entfaltenden Widersprüche bis hin zum Gegensatz von gesellschaftlicher Produktion und privater Aneignung bis schließlich zur Ausbeutung als Manifestation des Klassenwiderspruchs. Grosso modo wird diese Analyse von allen Marxist*innen geteilt. Doch was folgt daraus? Da zerlegt sich die Community in unzählige Strömungen.
Diese Strömungen bilden am Anfang und am Ende der marxschen Argumentationskette zwei Knubbel. Am Ende tummeln sich die Anhänger*innen der nach wie vor dominanten Richtung des klassenpolitischen Marxismus und am anderen die minoritären Strömungen des wertkritischen Marxismus. Zur Knubbelbildung kommt es durch unterschiedliche Einschätzungen: Für den Mehrheitsmarxismus ist das Ende wichtig, die Ausbeutung, die ungerechte Reichtumsverteilung und der Klassenwiderspruch, der in einen entsprechenden Kampf zu überführen sei. Für die Minderheit ist der Anfang wichtig, der erst das Ende hervorbringt, die privat-getrennte Produktion, die die Warenform und die anderen abgeleiteten Formen erzeugt – samt Fetischismus. Um diesen Begriff zu klären, ist noch eine Schleife nötig.
Für alle Gesellschaften ist klar, dass es die Menschen selbst sind, die sie herstellen. Dabei fangen die Menschen jedoch tagtäglich nicht von Null an, sondern orientieren sich am bereits Geschaffenen – materiell, symbolisch und sozial. Die vorgefundenen Formen bilden einen Satz an Nahelegungen. Es sind wirklich nur Nahelegungen und niemals Kausaldeterminanten, denn Menschen haben immer auch die Möglichkeit, anders zu handeln. Grundsätzlich. Wie leicht es möglich ist, von den Nahelegungen abzuweichen, hängt vom Grad der Unausweichlichkeit ab. Hängt meine Existenz unmittelbar an der Befolgung des Nahegelegten, ist eine Abweichung sehr risikoreich; ist sie relativ entkoppelt vom Nahegelegten, eröffnen sich größere Handlungsspielräume.
Nun könnte man denken, dass die Nahelegungen gerade im Kapitalismus als enorm flexibler und die Individualität betonende Gesellschaft ein sehr geringes Maß an Unausweichlichkeit haben. Dem ist jedoch nicht so. Der Kapitalismus kombiniert in brillianter Weise Freiheit und Zwang. Ich darf freiwillig das tun, was mir durch die Umstände nahegelegt wird. Niemand zwingt mich, ich kann es auch sein lassen, doch dann ist meine Existenz gefährdet – Pech gehabt. Dabei ist global betrachtet der Möglichkeitsraum extrem unterschiedlich groß – so wie auch die Existenzniveaus sehr unterschiedlich sind.
Karl Marx hat nun herausgefunden, woher dieser hohe Grad an Unausweichlichkeit kommt – und hat das Phänomen Fetischismus genannt. Dieser der „Nebelregion der religiösen Welt“ entnommene Begriff passt zwar auch auf vormoderne Gesellschaften, doch dort waren die Nahelegungen tatsächlich religiös konstruiert und mit personalem Zwang abgesichert. Im Kapitalismus ist der personale Zwang von einem sachlichen Zwang abgelöst worden, auch wenn dieser mitunter persönlich exekutiert wird. Die Kapitalist*innen, Spekulant*innen, Inkassoeintreiber*innen usw. sind nur Beteiligte an einem Automaten, den sie zwar in Gang halten, aber nicht wirklich kontrollieren können.
Woher kommt nun die automatisch verselbstständigte Unausweichlichkeit der kapitalistischen Ökonomie? Kurz gesagt: aus der Warenform. Wie oben schon erwähnt, besitzt die Ware zwei Seiten: eine Bedürfnisseite (der Gebrauchswert) und eine Tauschseite (der Wert). Einerseits befriedigt die Ware Bedürfnisse, andererseits sorgt ihr Wertsein für die Verteilung durch Tausch. Doch während wir uns kreativ-gestaltend der Bedürfnisseite zuwenden – entweder als genießende Konsument*innen oder als sorgfältige Produzent*innen – überlassen wir die Verteilung einem unkontrollierbaren Automechanismus, dem Markt. Es entstehen zwei Logiken, die gegeneinander kämpfen, eine von uns kontrollierbare Bedürfnislogik und eine unserer Kontrolle entzogene Verteilungslogik.
Die Verteilungslogik ist im Kern eine Verwertungslogik, bei der Geld auf Geld kybernetisch rückgekoppelt ist. Es muss sich permanent vermehren, um existieren zu können. Obwohl es mit der Finanzsphäre einen Raum gibt, in dem diese Rückkopplung scheinbar direkt funktioniert, braucht es am Ende immer eine reale Produktion, durch die das Geld gewissermaßen hindurch muss. Dort vermehrt es sich nur, wenn die produzierten Waren auch verkauft werden, also konkurrenzfähig sind. Das Geld muss sich vermehren, um in der nächsten Runde wiederum investiert zu werden und neue Waren zu produzieren. Da Investitionen immer auch Verbilligung der Produktion bedeuten, müssen mehr Waren als vorher produziert und verkauft werden, um den Stand zu halten oder auszubauen. Immer mehr Ressourcen werden verbraucht, CO2 wird zunehmend emittiert und der Kollaps systematisch vorbereitet.
Dieser sachliche rückgekoppelte Endloszusammenhang der Geldvermehrung und des Weltverbrauchs scheint ohne Menschen auszukommen, und tatsächlich spielen sie auch eine nur untergeordnete Rolle. Aus Sicht der Geldvermehrung sind sie entweder bloße Käufer*innen oder bloßes Humankapital, das in der Produktion neben anderen Materialien und Kapitalien vernutzt wird. Aus Sicht der lebendigen Menschen geht es allerdings um ihre Existenz. Verwertungs- und Bedürfnislogik knallen hier hart aufeinander, und wo Regulierungen fehlen, nehmen sie die bittersten Formen an.
Da Existenz und Verwertung so eng verkoppelt sind, erscheint der Kapitalismus wie ein Mega-Automat, der keinen Ausweg erlaubt. Die Nahelegungen erscheinen nicht mehr wie menschliche Wahlmöglichkeiten, sondern wie absolute Zwänge: Ich kann nur mehr wählen „wie“, aber nicht mehr „ob“ – Verwertung muss sein. Wie Goldfische im Glas wähnen wir uns im freien Ozean, solange wir nicht an die Grenzen des Glases stoßen. Das ist die bürgerliche Freiheit, Freiheit gepaart mit Zwang.
Zurück zu den Knubbeln. Der Mehrheitsknubbel des Marxismus nimmt nun an, dass die Gesellschaft gut und gerecht eingerichtet werden könnte, wenn erst die Betreiber*innen von den Hebeln der politökonomischen Macht verdrängt würden. Sie denken, der Mega-Automat sei navigierbar. Der Minderheitsknubbel meint hingegen, der Automat sei nur minimal regulierbar, doch niemals steuerbar im Sinne menschlicher Bedürfnisbefriedigung für alle. Kurz: Der Automatismus selbst sei das Problem.
Dass der erste Knubbel einer Illusion aufsitzt, kann ich an dieser Stelle nur behaupten, nicht belegen. Dass der zweite Knubbel manchmal über das Ziel hinausschießt und den Automatismus selbst zum Problem erklärt, ist hier mein Thema. Denn irgendwie stimmt das und doch gleichzeitig auch nicht.
Es stimmt, dass der kapitalistische Mega-Automat immer weiterlaufen muss, um die Existenz der Menschen zu sichern, die sie gleichzeitig untergräbt. In der Filmserie „Snowpiercer“ wird dies durch einen Zug symbolisiert, der durch eine nach einem Klimakollaps gefrorene Welt immer weiter fahren muss, um die Existenz der mitfahrenden Restmenschheit zu sichern. Weder Ausstieg noch Anhalten ist eine Alternative, solange es keine anderen Weisen der Existenzsicherung gibt.
Doch gäbe es sie, hätte die neue Gesellschaft keine Automatismen? Müssten alle Angelegenheiten transparent und klar durch alle Menschen geregelt werden, so dass nichts mehr hinter ihrem Rücken abläuft? Dies anzunehmen hieße, Kapitalismus und Gesellschaft identisch zu setzen, würde bestreiten, dass es vor dem Kapitalismus Gesellschaften gab oder nach diesem geben könne. Es würde die kapitalistische Form zur Naturform gesellschaftlicher Organisation erklären.
Ohne einen gesellschaftlichen Automatismus wäre die Organisation auf das Niveau von Stämmen heruntergebracht, in denen die Beziehungen unmittelbar interpersonal gestaltet sind. Transparent, aber unfrei, denn Freiheit erwächst aus Vermitteltheit. Sie erwächst daraus, dass ich nicht von bestimmten Personen abhängig bin, sondern von allgemeinen „Anderen“, die automatisch, also auch ohne mein Zutun oder Wissen Dinge regeln, die für meine Existenz wichtig sind. Abhängig sein von konkreten Personen ist immer angstbesetzt, doch es geht darum, ohne Angst abhängig sein zu können. Dazu braucht es Automatismen, braucht es Vermittlung. Nicht automatische Vermittlung als solche ist also das Problem, sondern ihre Funktionsweise. Die Frage ist nicht, ob wir eine gesellschaftliche Vermittlung haben, sondern wodurch sie hergestellt wird.
Im Kapitalismus ist der Treiber die Verwertungslogik. Sie ist endlos-expansiv, exkludierend und unkontrollierbar. In einer freien Gesellschaft könnte die Vermittlung von den Bedürfnissen der Menschen angetrieben, inkludierend und grundsätzlich gestaltbar sein. Die Gestaltbarkeit ergäbe sich aus Abwesenheit von fremdgetriebenen Zwängen außerhalb der Bedürfnisse der Menschen. Gleichzeitig bedeutete sie nicht, dass jeden Tag aufs Neue entschieden werden müsste, was zu tun ist.
Grundsätzlich reproduziert sich eine freie Gesellschaft selbst. Alltägliche Nahelegungen sorgten dafür, dass gesellschaftliche Stabilität entsteht. Doch der automatischen Erhaltung stünden Veränderungen nicht entgegen. Die Aufwände wären allerdings unterschiedlich groß, je nach Reichweite der Änderungen oder Neuerungen. Beträfen sie die gesamte Gesellschaft, wäre eine gesamtgesellschaftliche Verständigung erforderlich und auch möglich. Eine freie Gesellschaft wäre gestaltbar ohne ihren automatisch-vermittelnden Charakter zu verlieren.
Lieber Stefan,
ich wende mich gegen deine Behauptung, dass “ohne einen gesellschaftlichen Automatismus die Organisation auf das Niveau von Stämmnen heruntergebracht” würde und ich widerspreche, dass der “Minderheitsknubbel” der wertkritischen Marxisten sowas im Sinn hat. Ich sage nichts gegen gesellschaftliche Vermittlung, allerdings darf es keine automatische sein!
Moishe Postone schreibt über Mittel-/Unmittelbarkeit: “…daß gesellschaftliche Verhältnisse – also Formen gesellschaftlicher Interdependenz – nicht als entweder unmittelbare oder mittelbare vorgestellt werden können. Die Marxsche Kritik zielt vielmehr auf den Charakter der gesellschaftlichen Vermittlung im Kapitalismus und nicht auf den simplen Umstand, daß gesellschaftliche Verhältnisse vermittelt sind. Gesellschaftliche Interdependenz ist stets vermittelt (unvermittelte Interdependenz ist ein Widerspruch in sich). Was eine Gesellschaft charakterisiert, ist der spezifische Charakter dieser Vermittlung. Die Marxsche Analyse stellt eine Kritik der durch Arbeit vermittelten gesellschaftlichen Beziehungen dar, ausgehend von einem Standpunkt, auf dem sich historisch die Möglichkeit anderer gesellschaftlicher und politischer Vermittlungen zeigt. Als solche kritisiert sie die Formen gesellschaftlicher Vermittlung und stellt sich nicht auf den Standpunkt einer Unmittelbarkeit, von dem aus sie die Vermitteltheit generell kritisieren würde.” Moishe Postone –Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, S.89
Die Automatik im Kapitalismus abschalten, hieße den Wert abzuschaffen. Wie kann das gehen? Ich meine, dass du in deinem Interview im Februar für Future-Histories
schon ein gutes Beispiel gegeben hast. Du sagtest, dass eine Weltklimakonferenz nichts anderes als ein Meta-Commons sei. Genauso sehe ich das auch. Die Coronaviren halten der Menschheit zur Zeit einen Spiegel vor Augen. Sie zwingen uns dazu, über die Wert-Automatik nachzudenken. Alle Menschen brauchen Impfstoffe und Rufe werden laut, die Patente für die Impfstoffherstellung freizugeben. Richtig so! Jetzt fehlt nur noch ein Gedankenschritt mehr, um auf die Forderung zu kommen, auch alle anderen wichtigen Güter von der Verwertungslogik zu befreien. Was mit Impfstoff geht, ginge doch auch mit Lebensmitteln und Autos, oder nicht? Wir bräuchten nur ein paar Meta-Commons, die sich mit der Ausarbeitung von Prioritätenlisten für die Verteilung von Lebensmitteln oder Autos beschäftigen würden. So eine Liste sähe für Lebensmittel naturgemäß etwas anders aus als für Autos. Lebensmittel müssten – wie Impfstoffe – sofort in alle Länder gebracht werden. Auf der Prio-Liste für Autos ständen sicher oben Krankenwagen und Feuerwehrautos, dagegen würden Privatautos in die unterste Prio-Gruppe abrutschen.
Nochmal Moishe Postone: “Wert ist eine sich selbst vermittelnde Form von Reichtum, stofflicher Reichtum ist er jedoch nicht. Die Abschaffung der ersteren Form zieht notwendigerweise die Konstituierung neuer Formen gesellschaftlicher Vermittlung nach sich, von denen viele vermutlich politischen Charakter haben werden (was keinesfalls notwendigerweise eine hierarchische, staatszentrierte Form der Verwaltung bedeutet).” Moishe Postone – Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft, S.561f.
@Christoph: Ich stimme dir im wesentlichen zu und sehe keinen Widerspruch. Ich vermute, dass dich das Adjektiv „automatisch“ zum Widerspruch reizte. Gemein, denn ich habe es bewusst eingesetzt 🙂
Es scheint mir eine Frage der Nomenklatur zu sein: Um den systemischen, selbstreferenziellen und -erhaltenden Charakter von (jeglicher) Gesellschaft zu betonen, nenne ich diesen „automatisch“. Dem steht die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit der Menschen nicht entgegen. Die steht ja auch der automatischen Wertvermittlung nicht entgegen. Ebenso nicht der „automatischen“ Bedürfnisvermittlung – so will ich die commonistische Vermittlung mal nennen.
Bei den von Postone erwähnten „politischen“ Vermittlungen frage ich mich, ob die nicht ein (gedankliches) Überbleibstel der Wertvergesellschaftung sind. Was soll das sein, wenn die gesellschaftliche Vermittlung ohnehin die der Bedürfnisse aller Menschen ist? Vielleicht ist es meine Unterscheidung (für einmal erreichte commonistische Verhältnisse, also spekulativ) von „Routinevermittlungen“, die sich alltäglich nicht ändern, und jenen, die aus Gründen da raus fallen: Weil sie Änderungen enthalten, Neuerungen, Störungen oder andere Abweichungen. Meine Vermutung ist jedoch, dass die Alltäglichkeit der Routine sehr hoch ist und die Abweichungen eher selten. Aus systemischer Sicht sind beide Aspekte der gesellschaftlichen Selbsterhaltung – also des gescholtenen „Automatismus“ 😉
„Karl Marx hat nun herausgefunden, woher dieser hohe Grad an Unausweichlichkeit kommt – und hat das Phänomen Fetischismus genannt.“
Marx hat nicht ein Phänomen der Unausweichlichkeit „Fetischismus“ genannt, sondern das Phänomen, dass „den Menschen die gesellschaftlichen Charaktere ihrer eignen Arbeit als gegenständliche Charaktere der Arbeitsprodukte selbst, als gesellschaftliche Natureigenschaften dieser Dinge“ zurückgespiegelt werden. Und dass „daher auch das gesellschaftliche Verhältnis der Produzenten zur Gesamtarbeit als ein außer ihnen existierendes gesellschaftliches Verhältnis von Gegenständen“ erscheinen. Objektiv erscheinen. Aber nicht „die ganze Wahrheit sind“.
Korrekt, Annette. Ist meine journalistische Interpretation, mein Versuch die Wirkung auf die Menschen fassbar zu machen. Ich fand „Nahegelegtheit“ zu schwach und hab mich dieses Mal für (Grade der) „Unausweichlichkeit“ entschieden.
@Stefan (1): Ich glaube, dass Moishe Postone mit “politischen Vermittlungen” transparente Institutionen meint, die gesellschaftlichen Reichtum verteilen sollen, der -anders als der Wert- sich nicht automatisch verteilt. Es gibt noch eine Stelle, die so ähnlich klingt, im Buch auf S. 592: “Während der traditionelle Marxismus dazu tendiert, Vermittlung mit Markt gleichzusetzen und auf dessen Ersetzung durch öffentliche Verwaltung zielt, ergibt sich aus der Marxschen Kritik ohne weiteres die Möglichkeit politischer Vermittlungsformen in einer postkapitalistischen Gesellschaft -also die Vorstellung einer politischen, öffentlichen Sphäre im Sozialismus-, die außerhalb des formalen Staatsapparates läge.
@Stefan (2): An einer anderen Stelle sagst du, im Kapitalismus sei der personale Zwang von einem sachlichen Zwang abgelöst worden, auch wenn dieser mitunter persönlich exekutiert werde. Die Kapitalist*innen, Spekulant*innen, Inkassoeintreiber*innen usw. seien nur Beteiligte an einem Automaten, den sie zwar in Gang halten würden, aber nicht wirklich kontrollieren könnten. Mir gefällt an dieser Stelle nicht so gut, dass du nur die unbeliebtesten Charaktere unserer Gesellschaft aufzählst, Kapitalist*innen, Spekulant*innen, Inkassoeintreiber*innen. Damit richtest du das Augenmerk auf Personen, statt auf die “sachlichen Zwänge”. Diesen in der Tat gesellschaftlichen Zwängen sind wir leider alle unterworfen, auch weit weniger verdächtige Personen, wie z.B. Eltern, die nur ihre Kinder in die Schule bringen, halten auf diese Weise den Automaten in Gang und exekutieren entsprechende Zwänge. Woher kommen die? Der >>sachliche Zwang<< im Kapitalismus resultiert aus der historisch einzigartigen Funktion der Arbeit ein gesellschaftliches System zu errichten. “In nicht-kapitalistischen Gesellschaften wird die Arbeit auf der Grundlage manifester gesellschaftlicher Verhältnisse verteilt, in einer Gesellschaft jedoch, die durch die Universalität der Warenform gekennzeichnet ist, erhält kein Individuum von anderen produzierte, in transparenten gesellschaftlichen Verhältnissen vermittelte Güter. Es ist die entweder unmittelbare oder die in Produkten ausgedrückte Arbeit selbst, die diese Verhältnisse ablöst, indem sie als >objektives< Mittel dazu dient, die Produkte Anderer zu erwerben. Arbeit selbst konstituiert eine gesellschaftliche Vermittlung anstelle transparenter gesellschaftlicher Verhältnisse. Eine neue Form von Interdependenz entsteht: Niemand konsumiert, was er produziert, und dennoch fungiert die Arbeit des Einen – oder deren Produkte – als das notwendige Mittel, um Produkte von Anderen zu erhalten. Damit besetzen die Arbeit und ihre Produkte im Resultat die Funktion der Vermittlung anstelle manifester gesellschaftlicher Verhältnisse.” (Postone, 231f.) “Im Kapitalismus ist
gesellschaftliche Arbeit nicht nur Gegenstand von Herrschaft und Ausbeutung, sondern selbst deren wesentlicher Grund.” (Postone, 199)
@Anette: Im Kapitel über Abstrakte Arbeit und Fetisch schreibt Moishe Postone, dass Arbeit in ihrer historisch bestimmten Funktion als gesellschaftlich vermittelnde Tätigkeit die »Substanz des Werts», also das die Gesellschaftsformation bestimmende Wesen sei. Es verstehe sich keinesfalls von selbst, einer Gesellschaftsformation ein Wesen zuzusprechen und die Kategorie des Wesens setze die Kategorie einer Erscheinungsform voraus. In anderen Gesellschaften seien produktive Tätigkeiten in eine transparente gesellschaftliche Matrix eingebettet und deshalb weder >Wesen< noch >Erscheinungsform<. Nur im Kapitalismus sei Arbeit das Wesen der Gesellschaft. In anderen Gesellschaftsformationen spiele Arbeit keine derartige Rolle, oder nur marginal. Daraus folge, dass die Funktion der Arbeit, gesellschaftliche Vermittlung zu konstituieren, keine wesenhafte Eigenschaft der Arbeit selbst sei. Sie sei in keinem Merkmal menschlicher Arbeit als solcher aufzufinden. Dass der Vermittlungscharakter der Arbeit als Arbeit im physiologischen Sinne erscheine, das mache den Wesenskern des kapitalistischen Fetischs aus.
@ Stefan und Anette
Ich habe in den letzten Wochen das Kapitel über Abstrakte Arbeit von Moishe Postone mehrmals vorwärts, rückwärts und seitwärts gelesen. Ich las es auch vor Jahren schon, doch immer wieder beschlich mich das Gefühl, es nicht richtig verstanden zu haben. Als ich gestern für Anette versuchte, das Kapitel über Abstrakte Arbeit und Fetisch zusammenzufassen, da hat es endlich bei mir Klick gemacht!
Plötzlich sehe ich klar: Ja, wir leben in einem System! Das System sieht aber nicht aus wie ein System, sondern nur wie ein verdammt großer Haufen Arbeit von Arbeit, wie es sie anscheinend schon immer gab. Das System fühlt sich aber an wie ein System, ist auch ein System und alle Menschen spüren den Druck, den dieses System ausübt. Weil es aber so natürlich daherkommt wie ein Haufen Arbeit, denken alle, dass Gesellschaft schon immer irgendwie ein “System” hatte. Also, früher war das anders. Früher gab es gesellschaftliche Beziehungen und die entschieden darüber, wer was wo und wie arbeitete. Im Kapitalismus ist es gerade umgekehrt, da macht die (abstrakte) Arbeit die Matrix der gesellschaftlichen Beziehungen.
Stefan,
mir fiel dazu gestern noch das Schaubild ein, dass im Buch Kapitalismus aufheben auf S. 161 steht. Ganz oben links steht der Begriff Gesellschaft und darunter der Begriff Systemform. Dann werden zwei Systemformen nebeneinander gestellt, Kapitalismus und Commonismus. Merkst du jetzt, wie sehr auch du und Simon verinnerlicht habt, dass wir in einem System leben? So sehr, dass ihr euch den Commonismus auch nur wieder als “System” vorstellen könnt. Kapitalismus aufheben hieße aber, sich vom Systemgedanken zu befreien. Gleichbedeutend hieße das, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass die Gesellschaft eine Automatik benötigen würde.
Noch eine Tafel in dem Schaubild ist nicht richtig. Als Vermittlungsinstanz im Kapitalismus steht da Markt. Richtig wäre also Abstrakte Arbeit. Markt und/oder Plan sind notwendige Erscheinungsformen im Kapitalismus, stellen aber nicht das System her, sondern verteilen nur die durch die abstrakte Arbeit geschaffenen Werte.
@Christoph: Wenn du schreibst „Kapitalismus aufheben hieße aber, sich vom Systemgedanken zu befreien. Gleichbedeutend hieße das, sich von dem Gedanken zu verabschieden, dass die Gesellschaft eine Automatik benötigen würde“ – dann sehe ich darin genau jene überschießende Verallgemeinerung, die mit der fetischistischen Systemlogik jegliches gesellschaftliches System verabschieden und zu vormodernen Verhältnissen (die auch als System begriffen werden können, aber das nur am Rande) zurück will. Vielleicht nicht bewusst, aber in der Konsequenz.
Ich sehe auch einen Widerspruch zu deiner Begrüßung von Vermittlung und deiner Ablehnung eines Systems: Jede transpersonale Vermittlung konstituiert notwendig einen systemischen Zusammenhang. Oder umgekehrt: Jeder gesellschaftliche Zusammenhang braucht eine transpersonale Vermittlung. Wenn dir „System“ als Wort nicht behagt, dann setze „Gesellschaft“ an die Stelle. Oder eben „Gesellschaftsform“ statt „Systemform“. Es meint das Gleiche.
Wenn Postone meint, dass politische Institutionen den geschaffenen Reichtum „verteilen“ müssten, dann klingt das sehr nach einer entbettenen Instanz, die andere Kriterien der „Verteilung“ hat, als aus der bedürfnisgetriebenen Vermittlung selbst erwächst. Das scheint mir noch sehr nahe an den bürgerlichen Denkformen dran zu sein.
Ich könnte eine Stunde weiter aus Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft von Moishe Postone zitieren. Das Werk ist grundlegend! Ich behaupte, es wird so alt werden wie Das Kaptial von Karl Marx, wenn nicht eine Atombombe alle Bücher vorher zerstört. Wenn du magst, könnte ich dir ein durchsuchbares pdf von dem Buch zukommen lassen, ich würde mich sehr freuen, wenn du es liest.
@Christoph: Vielen Dank für dein Angebot! Ich besitze das Buch und habe es auch gelesen. Ich finde es gut, bin aber nicht komplett zufrieden. Trotz seiner Herkunft von Hegel hat Postone leider keinen wirklichen Begriff von Aufhebung, auch wenn er etwa die Worte „bestimmte Negation“ verwendet. Auch dieses Defizit teilt Postone mit fetischismuskritischen Marx-Lesarten. Seine Abhebung ggü. letzteren ist hingegen, dass er einen Begriff von Vermittlung hat.
@ Stefan: Du sagst, Postone kommt von Hegel her. Ich antworte darauf mal locker-flockig: Hegel stand an der Wiege der bürgerlichen Gesellschaft, war einer ihrer klügsten Köpfe und Karl Marx hat ihn gelesen. Postone fiel auf, dass Marx im Kapital Hegelsche Kategorien wie Subjekt, Substanz und Totalität aufgenommen hat. Postone sagt, dass aus der Behauptung von Marx, dass das Kapital (…) das totale Subjekt sei, sich eindeutig ergebe, dass die historische Negation des Kapitalismus nicht die Verwirklichung, sondern die Abschaffung der Totalität bedeuten würde. (vgl. Kapitel Arbeit und Totalität: Marx und Hegel, S.133) Marx wolle Hegels Dialektik gesellschaftlich begründen und dadurch seine eigene Kritik stützen. (ebd S.136)
Du sagst weiter, Postone habe keinen Begriff von Aufhebung. Dagegen wende ich ein, dass es ein zentrales Anliegen von Postone ist, auf die stetig wachsende Möglichkeit der Aufhebung hinzuweisen und er analysiert, was überhaupt aufzuheben wäre, vergleiche etwa sein Kapitel über Abstrakte Arbeit und Entfremdung (S.245-257). Darin geht es wieder um die zu kritisierende gesellschaftliche Totalität.
Ich will noch untermauern, warum sich stofflicher Reichtum nicht selbst verteilt, warum also eine Automatische Gesellschaft auch dann nicht denkbar ist, wenn stofflicher Reichtum die dominante Reichtumsform wäre. Das liegt daran, was stofflicher Reichtum eigentlich ist und wie er nur “gemessen” werden kann. Stofflicher Reichtum sind all die vielen verschiedenen konkreten Güter, die als Ausdrücke all der verschiedenen Arten konkreter Arbeit unter Einwirkung auf Rohmaterialien und die Umwelt geschaffen werden. Mit stofflichem Reichtum ist aber auch das im Lauf der Zeit angesammelte gesellschaftliche Wissen und die erworbenen Fähigkeiten der arbeitenden Bevölkerung gemeint. Quelle stofflichen Reichtums ist zudem nicht nur die abstrakte Arbeitszeit (die die Substanz des Wertes ist), sondern auch die Natur. (MEW 19, 15). Das “Messen” stofflichen Reichtums hängt also von den qualitativen Besonderheiten des Produkts, der es produzierenden Tätigkeiten, der Bedürfnisse, die es befriedigen mag, und auch von Gewohnheiten ab. Ich zitiere nochmal Postone: “Die Art, den stofflichen Reichtum zu messen, geschieht auf eine besondere und nicht auf eine allgemeine Weise. Um zum vorherrschenden Maß des Reichtums zu werden, muß sie auf verschiedene Weise durch gesellschaftliche Beziehungen vermittelt werden. Stofflicher Reichtum vermittelt sich gesellschaftlich nicht selbst: wo er die vorherrschende gesellschaftliche Form des Reichtums ist, wird er durch offene gesellschaftliche Beziehungen >bewertet< und verteilt – aufgrund traditioneller gesellschaftlicher Bindungen, Machtverhältnissen, bewußter Entscheidungen, Nützlichkeitserwägungen und anderem mehr. Die Dominanz stofflichen Reichtums als der gesellschaftlichen Form des Reichtums ist mit einer manifesten gesellschaftlichen Form der Vermittlung verbunden.”
@ Stefan: Du stimmst mir recht leicht zu auf meine Bemerkung in meinem Kommentar oben. Du antwortest mir, es wäre deine „journalistische Interpretation, mein Versuch die Wirkung auf die Menschen fassbar zu machen“. Gleichzeitig reproduzierst Du in deinen Formulierungen und Deinen Kritiken am sog. „Arbeiterbewegungsmarxismus“ immer wieder, dass Du selbst auch ausgehst von einer „automatisch verselbstständigte[n] Unausweichlichkeit der kapitalistischen Ökonomie“. Und dies verwendest Du üblicherweise nicht nur „journalistisch“, sondern als Grundlage Deiner Marxismusinterpretation. Ich möchte dazu noch mal meine gesamte Argumentation dazu zu bedenken geben: https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2021/04/13/kampf-und-logik-klassenkampf-reloaded/
Bei Marx gab es noch Menschen, die man enteignen konnte. Und es gab Mangel. Heute haben wir die globale Wirtschaft und somit ist die Situation etwas unübersichtlicher.
Was wollt ihr eigentlich? Wenn ihr wirklich im Sinne von Marx lebt, müsstet ihr den Wunsch haben, etwas zu verändern. Aber die globale Wirtschaft kann man nicht enteignen. Es gibt auch niemanden, der das machen würde, denn dazu geht es uns nicht mehr schlecht genug.
Es gibt aber eine andere Möglichkeit, um das Kapital unschädlich zu machen, ohne enteignen zu müssen.
Mit einem weltweiten Referendum zur Geldentwertung könnte alles Geld abgeschafft werden. Da es dann nichts mehr zu vermehren gibt, gibt es keinen Profit und die meisten Probleme in unserer Gesellschaft wären gelöst.
Sicher klingt es verrückt, aber weiter zu diskutieren und alles so zu lassen wie es ist, ist noch verrückter. Zumal bei den heutigen Finanzmanipulationen eine Inflation und Wirtschaftskrise durchaus denkbar wäre, der man mit einer gezielten Maßnahme zuvor kommen könnte.
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@ Eberhard
Im Jahr 1721, also genau vor 300 Jahren, wurde in Derby, England, das erste erfolgreiche Beispiel einer Fabrik, die so aussah, wie wir uns heute noch eine Fabrik vorstellen, auf einer Insel im Fluss Derwent gebaut. Lombe’s Mühle war die erste erfolgreiche Seidenspinnerei in England und wahrscheinlich die erste vollmechanisierte Fabrik der Welt. Das Fabriksystem verbreitete sich langsam. Im Jahr 1765 gab es gerade einmal sieben Mühlen, die Organzin produzierten, obwohl eine, in der Nähe von Manchester, bis zum Ende des Jahrhunderts zweitausend Arbeiter hatte. Karl Marx wurde knapp hundert Jahre später 1818 geboren. Als er 1883 starb, hatte der Kapitalismus schon mächtig Fahrt aufgenommen, aber aus heutiger Sicht war die Zahl der Fabriken noch sehr übersichtlich. Du sagst, dass es damals im 19. Jahrhundert Mangel gab und heute ginge es uns nicht mehr schlecht genug. Das sehe ich anders. Damals gab es Mangel ganz anderer Art als heute. Damals waren die Fabriken dunkle und gefährliche Orte, heute fahren Roboter durch blitzsaubere menschenleere Hallen. Damals gab es nicht annähernd soviel Reichtum an Produkten, heute sind die Warenberge so groß, dass die Meere nicht mehr ausreichen, um den ganzen Müll aufzunehmen und, Zugang zu dem Warenberg hat nur noch ein Viertel der Menschheit, drei Viertel kriegen wenig oder gar nichts davon ab.
Waren gibt es eigentlich mehr als genug, man müsste sie nur besser verteilen. Und wer soll es verteilen? Enteignet werden muss niemand. Es ist völlig wumpe, ob ein Betrieb von einem Chef geleitet wird, oder von einem Kollektiv. Arbeit und Kapital sind die zwei Seiten derselben Medaille.
Was also tun. Nun ja, wie ich oben in schon sagte. Ich würde es machen wie mit den Prioritätenlisten bei der Verteilung der Corona-Impfstoffe. Eine Weltgesundheitskonferenz würde Impfstoffe und andere medizinische Güter verteilen. Eine Weltklimakonferenz würde eine Prioritätenliste erstellen für die Verteilung von fossilen Rohstoffen. Eine Welternährungskonferenz würde die Prioritäten bestimmen für die Verteilung von Lebensmitteln und eine Weltverkehrskonferenz würde bestimmen, mit welchen Verkehrsmitteln auf welchen Verkehrswegen die Menschheit sich hauptsächlich fortbewegen soll.
Angenommen das von dir vorgeschlagene Referendum hätte schon stattgefunden und die Gesellschaft hätte sich entschlossen, es in Zukunft einmal ohne Wertvergleiche zu versuchen. Dann würde man feststellen, dass es zwar viele Fabriken gibt, dass die aber sehr ungleich verteilt auf der Welt herumstehen. In China würde man vielleicht zur Abwechslung wieder gerne ein bisschen weniger arbeiten und würde sich auch freuen, wenn der Himmel mal wieder blau würde über Chinas Industriegebieten, während man an anderen Orten gerne etwas mehr arbeiten würde. Da wäre es ein Segen, wenn sich die Unternehmen gegenseitig die Betriebsgeheimnisse offenbaren würden. Dann könnten ganz nach Bedarf überall in der Welt kleine lokale Produktionen anlaufen.
Sicher, meine Rede klingt verrückt wie deine, doch die Coronaviren, der Klimawandel und andere exponentiell verlaufende Krisen zwingen die Menschheit über Alternativen nachzudenken und zwar schnell.
@Christoph: Du führst es vor, was ein weiteres Problem bei Postone ist. Wenn das Kapital die gesellschaftliche Totalität ist, dann ist es nicht abschaffbar, denn Totalitäten sind nicht abschaffbar. Jede Gesellschaft bildet immer eine Ganzheit, eine Totalität. Das Kapital und der gesellschaftliche Systemzusammenhang ist nur transformierbar. Weil Postone das aus meiner Sicht nicht ausreichend erkennt, kommt er auch zu keinem angemessenen Begriff der Aufhebung oder der bestimmten Negation (auch wenn eine Kapitelüberschrift so heißt).
Ich weiß schon, was stofflicher Reichtum bedeutet, und doch: Er verteilt sich in einer freien Gesellschaft selbst, weil wir die Selbste sind, die das tun. Vom Individuum geguckt, ist das jeweils eine begründete und intentionale Handlung, vom gesellschaftlichen Vermittlungszusammenhang aus betrachtet, ist es Selbstorganisation oder Selbstverteilung, wenn du so willst. Anzunehmen, dass die Verteilung nicht aus der Vermittlung hervorgeht, bedeutete, dass es immer eine Sonderinstanz braucht, die das tun. Dann bist du schnell beim Plan/Staat oder eben Markt, die die Verteilung „gerecht“ über den Wert vollziehen, weil das entbettete Instanzen gar nicht anders können.
@Annette: Die „automatisch verselbstständigte Unausweichlichkeit der kapitalistischen Ökonomie“ zu bestreiten, hieße dem Fetisch nun auch ideologisch aufzusitzen. Auch du wie wir alle müssen ihm huldigen, da unsere Existenzsicherung davon abhängt. Das macht alltäglich die Unausweichlichkeit aus – da hilft weder Klassenkampf noch Wertkritik. Doch die alltägliche Unausweichlichkeit ist keine historische, und da sind wir uns doch wohl auch einig. Dass die Verhältnisse umkämpft sind, ändert nichts am „automatischen Charakter“ der Kapitalverwertung, im Gegenteil, es ist Bestandteil seiner Verlaufsform.
@eberhard: Das Geld ist nötig, so lange es getrennte Privatproduktion gibt. Die gibt es, so lange es Privateigentum an Produktionsmitteln gibt. Das willst Du nicht antasten, wie Du auf Deiner Webseite schreibst. Also funktioniert das so nicht.
Eberhard will das Geld abschaffen, aber an den Beziehungen der Menschen möglichst nichts ändern, worauf Benni einwendet, dass das nicht funktionieren könne, weil Eberhard Privatarbeit und Eigentum an Produktionsmitteln nicht in Frage stellen würde. Bennis Ansicht entspricht wohl derjenigen des “Mehrheitsknubbels des Marxismus”, der annimmt, “dass die Gesellschaft gut und gerecht eingerichtet werden könnte, wenn erst die Betreiber*innen von den Hebeln der politökonomischen Macht verdrängt würden. Sie denken, der Mega-Automat sei navigierbar.” Ich meine hingegen wie der “Minderheitsknubbel”, dass der Automat nur minimal regulierbar ist, doch niemals steuerbar im Sinne menschlicher Bedürfnisbefriedigung.
Stefan sagt oben noch einen Satz, an dem ich anknüpfen will. Er sagt, weil Existenz und Verwertung so eng verkoppelt seien, erscheine der Kapitalismus wie ein Mega-Automat, der keinen Ausweg erlaube.
Ich sage dagegen, dass der Mega-Automat nicht nur eine Erscheinung ist, sondern eine verdammt handfeste Realität. Die Struktur der Riesenmaschine wurde und wird mit “Abstrakter Arbeit” errichtet. Es ist eine Gesellschaft entstanden, in der niemand mehr für sich selbst produziert, in der die Arbeit aller Produzenten nur noch als Mittel dient, mit dem die Produkte Anderer beschafft werden können. Hört sich nicht sehr aufregend an, ist es aber. Es sind Strukturen entstanden, die man nicht so leicht aus der Welt schaffen kann. Etwa die extreme Arbeitsteilung mit endlosen, undurchschaubaren Lieferketten, oder Monokulturen, nicht nur in der Landwirtschaft. Es gibt Länder, die sich auf Autos spezialisiert haben, so wie Deutschland oder die Slowakei. Andere Länder verkaufen nur Sojabohnen oder Rindfleisch, wieder andere haben nur Rohstoffe anzubieten. Zu den Strukturen gehört der Arbeitsplatz selbst, vor allem in der Großen Industrie, wo der Mensch nur als Rädchen im Getriebe gilt. Und weil den Produzenten im Prinzip gleich ist, welches Produkt sie herstellen, gibt es reichlich Produkte nur für Menschen mit Geld und für die werden sauviele Dinge angeboten, die der leichteren Verkäuflichkeit wegen auf menschliche Schwächen zielen. Was liebt Mensch am meisten? Sex & Drugs & Rock and Roll. Deshalb gibt es im Kapitalismus zwangsläufig ein Überangebot an Fastfoodverkäufern, Süßwarenherstellern, Drogenhändlern und Popmusikern. Sport und Spiel mag Mensch auch noch gerne, entsprechend übertrieben groß ist das Angebot auch in diesem Bereich.
Ich denke, dass die Herkulesaufgabe in einer postkapitalistischen Gesellschaft darin bestehen wird, den Mega-Automat so umzubauen, dass er bedienbar wird. Schritt für Schritt müssten beispielsweise die endlosen Lieferketten aufgebrochen werden, zum einen, weil der Planet es nicht mehr aushält, wenn 50.000 Frachtschiffe auf seinen Meeren hin- und herschippern, nur um die billigsten Teile zusammenzubringen, zum anderen, um die Produktion wieder transparent zu machen.
Ich weiß auch, dass es wahnsinnig schwierig sein wird, die Arbeitsteilung aufzuheben, da schon die Herstellung einfacher Produkte wie Waschmaschinen Kenntnisse und Fähigkeiten tausender verschiedener Menschen benötigt. Doch habe ich die Hoffnung, dass alle Produzenten sich gegenseitig ihre Patentrezepte verraten, damit der große „Strukturwandel“ gelingt.
@eberhard: ich gehöre zu gar keinem Knubbel! 😉
Die globalen Produktionsketten sind übrigens zwar manchmal ein Problem aber manchmal tatsächlich sogar energetisch vorteilhaft nicht nur nach Wert-Kriterien und in der Summe tatsächlich nicht unser größtes Problem und eines, das vergleichsweise einfach zu verbessern ist.
Letzten Endes ist dieses ständige vermeintlich linke rum hacken auf globaler Kooperation nichts anderes als provinziell. Wir brauchen mehr davon und nicht weniger. Wir brauchen auch nicht „weniger Arbeitsteilung“ sondern so viel oder so wenig wie die Leute halt Lust haben. Und Effizienz kann durchaus Spaß machen insbesondere wenn es einem Zeit verschafft Dinge zu tun, die man gerne tut. Und globale Produktionsketten haben nicht nur unter Wert-Bedingungen Effizienz-Vorteile.
@Benni
Ich verstehe unter globaler Kooperation etwas anderes als du. Ich sagte in meinem Kommentar am 17. April, dass ich die Hoffnung hätte, dass alle Produzenten sich gegenseitig ihre Patentrezepte verraten. Wenn ein Betrieb dem anderen seine Produktionsgeheimnisse verraten würde, wenn schließlich die gesamte Menschheit ihr gesammeltes Wissen teilen würde, wäre das die beste Voraussetzung für Kooperationen. Die kapitalistische Produktionsweise sorgt auch für “Kooperationen”, jedoch in einem fatal unfreien Sinn. In dieser Gesellschaft ist jeder von jedem abhängig. Große Industrie ist per Definition kapitalistische Produktionsweise, obwohl -oder gerade weil- dort viele Menschen in extrem arbeitsteiliger Weise zusammenarbeiten.
Die USA begannen unter Donald Trump einen Handelskrieg gegen China, der auch von der Biden-Regierung fortgeführt werden wird. Vielfach war die Rede dabei von einem “Decoupling” der beiden Länder. Reell geht es bei dem Decoupling in erster Linie darum, wer die Hoheit auf dem Gebiet der Informationstechnologien behält. Eifersüchtig wachen die beiden Länder über ihre hochtechnologischen Betriebsgeheimnisse, von denen sie sich versprechen, die Nummer 1 bei der Kapitalproduktion zu bleiben (oder die neue Nummer 1 zu werden). Europa kann sich nicht so recht entscheiden, an wen sie sich in Zukunft mehr koppeln soll, an den alten “Kooperationspartner” USA oder an den Herausforderer aus China. Aus Angst, von China übervorteilt zu werden, konnte sich die EU leider auf zwei Gipfeln 2017/2019 nicht entschließen, Chinas “One Belt, One Road” Initiative beizutreten, ein, wie ich meine, grundvernünftiges Infrastrukturprojekt, das die Grundlage für globale Kooperationen legen wird auch für eine post-kapitalistischen Zukunft. Ärgerlich finde ich auch, wenn Chinas Aktivitäten in Afrika einseitig als Neo-Kolonialismus gebrandmarkt werden. Nach einer Untersuchung der Beratungsfirma McKinsey (2017) in acht afrikanischen Ländern, die zusammengenommen ungefähr zwei Drittel des BIP südlich der Sahara erwirtschaften, sind rund zwölf Prozent der afrikanischen Industrieproduktion im Jahr von chinesischen Firmen erarbeitet worden. In den meisten Ländern produzierten chinesische Firmen nicht für den Export, sondern für den Konsum der einheimischen Bevölkerung.
Ich bin für “Decoupling”, aber auf einer viel grundsätzlicheren Ebene. Es geht darum, die gegenseitige totale Abhängigkeit der Menschheit untereinander zu beenden, Dazu wäre es notwendig, die extreme Arbeitsteilung, die besonders in der Großen Industrie verwirklicht ist, abzuschaffen.
@christoph nein, es geht darum dass der menschheit ihre „gegenseitige totale Abhängigkeit“ überhaupt erst mal bewusst wird. Und diese Abhängigkeit ist ein physikalischer Fakt und die geht auch nicht mehr weg solange wir nicht einen Großteil der Menschheit umbringen wollen.
Menschliche Beziehungen sind nicht physikalischer Natur, erscheinen aber im Kapitalismus als solche, weil die Zwänge ohne jegliche direkte persönliche Herrschaft daherkommen. Dazu zitiere ich noch einmal eine längere Stelle von Moishe Postone aus seinem Kapitel über Abstrakte Arbeit und Entfremdung, S.249f. Bitte verzeiht mir solch langen Zitate, ich weiß nicht, wie ich es viel kürzer fassen soll.
“Dank dieser Struktur scheinen die eigenen Bedürfnisse – und nicht Gewaltandrohung oder andere gesellschaftliche Sanktionen – Ursprung dieser Notwendigkeit zu sein. Diese Naturalisierung abstrakter Herrschaft wird durch die Überschneidung zweier äußerst verschiedener, mit der gesellschaftlichen Arbeit verbundener Arten von Notwendigkeit verstärkt. In gewissem Sinne ist Arbeit eine notwendige Vorbedingung, das heißt eine transhistorische oder >naturgegebene< gesellschaftliche Notwendigkeit menschlicher gesellschaftlicher Existenz als solcher. Diese Notwendigkeit kann aber die Besonderheit warenproduzierender Arbeit verschleiern – nämlich die Tatsache, daß, auch wenn man das von einem Produzierte nicht konsumiert, diese Arbeit dennoch weiterhin das gesellschaftlich notwendige Mittel bleibt, um Produkte für den Konsum zu erlangen. Letzteres ist, im Gegensatz zur naturgegebenen, eine historisch bestimmte gesellschaftliche Notwendigkeit. (Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Notwendigkeit ist, wie sich zeigen wird, für das Verständnis des Marxschen Begriffes von Freiheit in der postkapitalistischen Gesellschaft wichtig.) Weil die besondere, gesellschaftlich vermittelnde Rolle, die die warenproduzierende Arbeit spielt, verschleiert ist, und diese Arbeit als Arbeit an sich erscheint, verschmelzen diese beiden Arten von Notwendigkeit in der Form einer einzigen, scheinbar transhistorisch gültigen: wer überleben will, muß arbeiten. So erscheint eine für den Kapitalismus spezifische Form gesellschaftlicher Notwendigkeit als >naturgegebene Ordnung der Dinge<. Diese scheinbar transhistorische Notwendigkeit – daß die Arbeit des Individuums die für seinen Konsum (oder den seiner Familie) notwendigen Mittel bereitstellt – dient als Grundlage einer fundamentalen Legitimationsideologie der kapitalistischen Gesellschaftsformation als ganzer in ihren verschiedenen Phasen. Als Affirmation der Grundstruktur des Kapitalismus geht eine solche Legitimationsideologie tiefer als solche Ideologien, die eng an besondere Phasen des Kapitalismus gebunden sind – etwa an den marktvermittelten Äquivalententausch.”
@christoph: Thema verfehlt. Die Abhängigkeit der Menschheit im Anthropozän ist ein physikalischer Fakt das hat null mit politischer Ökonomie oder Wert oder Philosophie oder whatever das ist, was Postone da macht zu tun. Selbst wenn morgen Kommunismus oder Absolutismus oder sonst irgendeine Einrichtung der Gesellschaft wäre, wären wir trotzdem darauf angewiesen, dass alle weniger Treibhausgase emmitieren.
Alles andere ist Klimaleugnerei.
Thema verfehlt?
Meinst du denn wir könnten uns aus der Krise ‚herausarbeiten‘?
Was bedeutet ein Satz wie „Die Abhängigkeit der Menschheit im Anthropozän hat null mit Ökonomie oder Wert zu tun“?
Und was ist Klimaleugnerei?
@Benni: Einspruch!
Der Klimawandel hat zu 100 % mit politischer Ökonomie oder Wert oder Philosophie zu tun, die Postone da beschreibt. Das vermeintliche Anthropozän wäre treffender mit dem Wort Kapitalozän beschrieben, ein Begriff, den Elmar Altvater geprägt hat. Von Christi Geburt bis 1700 n.Chr. wuchs die Weltwirtschaft durchschnittlich immer nur so plusminus Null Prozent, obwohl die Entwicklung der Menschheit in der Zeit auch nicht still stand. Erst seit 300 Jahren erleben wir eine Zeit, die jetzt Anthropozän heißen soll. Warum in drei Teufels Namen können die Anthropos eigentlich keine Pause einlegen? Warum müssen jetzt im Moment – mitten in einer tödlichen Pandemie – alle Fabriken weiter brummen? Welche Dynamik steckt dahinter? Glaub mir Benni, alles dreht sich darum in dem Buch Zeit, Arbeit und abstrakte Herrschaft.
@Keimformgemeinde
Ich frage mich in letzter Zeit immer häufiger, ob die Keimformplattform in erster Linie dazu da ist zu zeigen, wer welche Bücher gelesen hat und wer wie welchen Inhalt (falsch) interpretiert. Ich frage das nicht nur, weil das an vielen Stellen meinen geistigen Horizont überschreitet, sondern weil mir mein ebenfalls limitiertes Wissen von Marx sagt, dass es nicht darauf ankommt, die Welt verschieden zu interpretieren, es kommt darauf an sie zu verändern (11. Feuerbachthese – ja, ich weiß – ungenau zitiert!)
Falls aber mit dieser Plattform tatsächlich in erster Linie gesellschaftliche Veränderung angestrebt werden sollte, frage ich mich, warum wir nicht konkrete Versuche in diese Richtung diskutieren. Dazu einige Beispiele als kurzes Brainstorming
:- Bundesweite Demo aller (Real)Utopist*innen am Tag der Bundestagswahl
– analog zum Zukunft für alle-Kongreß einen Kongreß organisieren, wo es „nur“ um Wege/Realisierung unserer Utopien geht
– analog zu Aufstehen und Unteilbar eine Sammlungsbewegung von (Real) Utopisten*innen ins Leben rufen
– eine zentrale Website, die nur aus links und Literaturlisten zu Utopien besteht. (Ich finde es echt nervig, wenn ich Utopieinteressierten*innen 12 Websites und 10 Bücher-ihr kennt bestimmt noch mehr – empfehlen soll.
– Es gibt neben den üblichen (Vater, Mutter, Arbeit) tatsächlich auch Tag des Kusses, Tag der Jogginghose und ähnliches. Aber schon mal was vom Tag der Utopien gehört? Ich auch nicht!-
@düsberg: ja klar hat der kapitalismus das anthropozän hervor gebracht (ob es sonst auch aber später gekommen wäre, not sure, ist aber auch müßig), darüber brauchen wir uns nicht streiten. nur geht die globale Abhängigkeit halt nicht weg, wenn man den kapitalismus weglässt. außer du willst das eh kommende massensterben noch vervielfachen.
@lucki: diese regelmäßig aufpoppende diskussion über praxis statt theorie finde ich ehrlich gesagt zunehmend langweilig. mach doch praxis, niemand hält dich auf. und vor allem: theorie ist auch eine praxis und nicht jede_r muss sie mögen. Ich mag auch Deinen „Tag der Utopie“ nicht. Aber mach ihn doch, wenn Du es für sinnvoll hältst.
Im übrigen gab es erst kürzlich einen großen Utopiekongress (ich bin sicher, wenn Du hier bisschen runter scrollst findest du was dazu), also da läuft ja durchaus was an Vernetzung und Austausch. Du trägst Eulen nach Athen.
dass es allerdings eine schlechte form ist, theorie zu machen, sich seitenweise zitate an den kopf zu werfen oder ums bessere namedropping zu streiten, dass seh ich auch so.
@bärmann:
Warum reagierst du so dünnhäutig? Ich entschuldige mich nochmals für die langen Kommentare von mir hier. Ausschlaggebend waren Stefans Überlegungen zur “Automatischen Gesellschaft”. Es ist reiner Zufall, dass ich gerade dazu in den vergangenen Wochen intensiv etwas gelesen hatte. Nein, wahrscheinlich ist es gar kein
Zufall, denn diese “Systemfragen” treiben uns, darüber nachzudenken. Übrigens sehe ich das “System” nicht nur negativ. Immerhin hat der finanzmarktgetriebene Kapitalismus der vergangenen 50 Jahre dazu geführt, dass es seit 1980 keine katastrophalen Hungersnöte mehr gab! Erst seit 2017 drohen wieder Menschen massenweise an Hunger zu sterben, z.B. in Süd Sudan, Yemen, Nigeria und Äthiopien, siehe https://fews.net
Da kann ich nicht anders und muss noch einen Namen fallen lassen: Alex de Waal.
Alex de Waal stellte in seinem Buch Mass Starvation: The History and Future of Famine die These auf, dass es ausschließlich politische, also menschliche Entscheidungen sind und waren, die Menschen in Massen mit Hunger umbringen. Er fordert uns alle auf, gegen Politiken zu protestieren, die den Hunger zurückbringen. Er glaubt, dass das kriminelle Taten sind, die man vor ein Gericht bringen sollte. Er sagt, dass der Klimawandel nicht automatisch Hungersnöte produzieren würde. —
So jetzt habe ich fertig. Bärmann, komm, hab wieder gute Laune!
@Christoph
Ich kann mich deinen Ausführungen im Großen und Ganzen nur anschließen
@Stefan
Du schreibst:
Dass der erste Knubbel einer Illusion aufsitzt, kann ich an dieser Stelle nur behaupten, nicht belegen. Dass der zweite Knubbel manchmal über das Ziel hinausschießt und den Automatismus selbst zum Problem erklärt, ist hier mein Thema. Denn irgendwie stimmt das und doch gleichzeitig auch nicht.
Dass der erste Knubell einer Illusion aufsitzt, hat doch der „Real-Sozialismus“ der UdSSR und Co ziemlich gut bewiesen?! Selbst wenn man es irgendwie schaffen würde, die Klassenverhältnisse zu egalisieren – am Grundprinzip der „schönen Maschine“, also der nicht enden wollenden Wertakkumulation durch Ausbeutung abstrakter Arbeit zwecks Profitmacherei, würde das doch nichts ändern!? Man muss schon die Grundmechanismen im Ganzen außer Kraft setzen, und darauf beruft sich ja der „Minderheitenknubbel“ der Wertkritik und dem kann ich mich nur anschließen. Es muss einen klaren Bruch mit den aktuellen Verhältnissen geben, ansonsten rasen wir unweigerlich auf das Ende der Zivilsation zu.
Im Übrigen kritisiert die Wertkritik in erster Linie „nur“ die aktuellen Verhältnisse, betreibt aber keine konkrete Utopistik (sicherlich gibt es immer mal wieder Ansätze, aber das ist nicht wirklich deren Hauptthema).
Abschließend noch ein Wort zu den „Stämmen“:
Um ehrlich zu sein finde ich das Thema der „Stammesbildung“ gar nicht mal so abwegig. Zumindest im Kontext einer postkapitalistischen Vergesellschaftung könnte eine „DeGlobalisierung“ bzw. eine „ReRegionalisierung“ eine Option sein. Im Großen und Ganzen könnte das auch eher der menschlichen Bedürfnisbefriediung entsprechen. Wenn die Gebrauchsgüter des menschlichen Bedarfs aus „regionalen“ Gebieten kämen, würde man sich schonmal die globalen Lieferketten sparen (zumindest in der aktuellen Dimensionierung). Dennoch könnte man global vernetzt sein und Informationen und Daten austauschen (dann wäre das Internet wirklich mal sinnvoll genutzt). Das könnte auch den Staat in seiner aktuellen Form als Institution auflösen. Kleinere, regionalere Gemeinschaften wären schneller in der Abstimmung und Lösung von lokalen Problemen organisiert. Und ich könnte mir auch ein größerers Identifikationspotential innerhalb der regionalen Gruppe vorstellen (kulturelle Nähe durch Sprache und Gebräuche usw.) Das gibt es ja im Prinzip jetzt auch schon („mia san mia“). Damit möchte ich jetzt keinen Kleinstaatennationalismus befürworten, sondern nur auf die Möglichkeit verweisen, dass eine regionale Selbstverwaltung durch ein ausgeprägtes Identifikationspotential mit den regionalen Gegebenheiten durchaus einen positiven Effekt haben könnte (auch wenn die These sehr steil ist). Natürlich gilt es gleichzeitig, Grenzen aufzuheben, zumindest offen zu gestalten und Vorurteilen ggü anderen Kulturen, Sitten und Gebäruchen entgegenzuwirken.
Letztendlich könnten „Stämme“ mit den aktuell gegebenen technischen Mitteln besser in der Lage sein, eine regionale Selbstverwaltung zu organisieren, um damit eine nachhaltige und soziale Gesellschaft zu realisieren – gleichzeitig könnte man sich aber überregional vernetzen und somit das Beste aus beiden Welten realisieren.
Aber das geht jetzt schon sehr ins Utopische 🙂