Märkte jenseits des Kapitalismus? – Vorüberlegungen
In der linken Kapitalismuskritik ist es üblich (und auch ich habe das lange so gemacht), Märkte und Kapitalismus weitgehend gleichzusetzen und jede Kapitalismuskritik gleichzeitig als Kritik an Märkten als gesellschaftlichen Vermittlungsinstrument aufzufassen. Üblich ist dieselbe Gleichsetzung – nur nicht kritisch gesehen – aber auch in der Mainstream-Ökonomie (Neoklassische Synthese, auch kürzer und etwas ungenau „Neoklassik“ genannt). In letzterer wird der Begriff „Kapitalismus“ zwar oft vermieden und stattdessen von „Marktwirtschaft“ gesprochen (in Mankiw (2014) fällt der Begriff „market economy/economies“ viele Dutzend Male, während von „capitalism“ nur in ein paar Zitaten die Rede ist) – damit ist aber genau die von ihren Kritikerinnen „Kapitalismus“ genannte Produktionsweise gemeint, andere Spielarten von marktbasierten Ökonomien existieren vermeintlich nicht.
Schaut man sich allerdings die Geschichte an, stellt man schnell fest, dass Märkte als Institution sehr viel älter sind als der Kapitalismus und in vielen Gesellschaften eine größere oder kleinere Rolle spielten, ohne dass sich diese Gesellschaften deshalb in Richtung Kapitalismus entwickelt hätten. Gleichzeitig sind Märkte oder ähnliche Institutionen durchaus interessant, da sie ein Weg sind, voneinander ansonsten unabhängige Personen oder Personengruppen auf prinzipiell friedliche Weise miteinander in Kontakt zu bringen.
Zur Analyse und Kritik des neoklassischen Verständnisses von Märkten werde ich mich im Folgenden mit dem Lehrbuch Principles of Economics (Mankiw 2014) des US-amerikanischen Ökonomieprofessors N. Gregory Mankiw auseinandersetzen. Mankiw definiert den Begriff „Markt“ wie folgt:
Ein Markt ist eine Gruppe von Käufern und Verkäufern einer bestimmten Ware oder Dienstleistung. Die Käufer als Gruppe bestimmen die Nachfrage nach dem Produkt, und die Verkäufer als Gruppe bestimmen das Angebot des Produkts.
[A market is a group of buyers and sellers of a particular good or service. The buyers as a group determine the demand for the product, and the sellers as a group determine the supply of the product.] (Mankiw 2014, 66)
Neben dem Markt-Begriff werden hier gleich noch die für das Funktionieren von Märkten essenziellen Begriffe Nachfrage und Angebot eingeführt. Märkte drehen sich um den Akt des (Ver)Kaufens: Wenn sich Käuferin und Verkäuferin handelseinig werden, zahlt letztere der ersten die vereinbarte Geldsumme und erstere übergibt der letzteren die Ware oder erbringt für sie die vereinbarte Dienstleistung. Dies gilt so nur für die einfachste Art von Märkten, es gibt viele Varianten (z.B. Kauf auf Kredit; Ratenzahlung; Miete statt Kauf; Aufnahme eines Kredits, der später mit Zinsen zurückgezahlt werden muss). Doch die einfachste Akt der Markttransaktion ist die „paradigmatische“, die von den Ökonomen am liebsten betrachtet wird – wogegen auch nichts einzuwenden ist, solange die anderen Varianten nicht ganz vergessen werden.
Schon aus dieser einfachen Charakterisierung von Märkten ergeben sich einige wesentliche Eigenschaften:
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Dezentralität: Unterschiedliche Käufer und Verkäufer sind grundsätzlich voneinander unabhängig oder können dies jedenfalls sein (ggf. können sie miteinander zusammenarbeiten, aber sie müssen nicht).
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Freiwilligkeit: Eine Käuferin und eine Verkäuferin werden sich entweder handelseinig oder eben nicht. Sie müssen dazu (im Allgemeinen) nicht die Zustimmung irgendeiner dritten Partei einholen, und wenn eine der beteiligten Parteien nicht will, kommt kein Geschäft zustande.
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Faktischer Teilnahmezwang: Auch wenn der Abschluss einzelner Markttransaktionen freiwillig ist, besteht oft ein faktischer Zwang, überhaupt am Markt teilzunehmen, wenn lebensnotwendige oder dringend gewünschte Dinge nur über diesen erhältlich sind. Das gilt allerdings nicht nur für Märkte, sondern für jegliches Versorgungssystem – gibt es keine Alternativen, ist die Teilnahme unumgänglich. Bei Märkten wird man dabei allerdings vor besondere Hürden gestellt: Um teilnehmen zu können, muss man in aller Regel zunächst als erfolgreiche Verkäuferin auftreten (indem man etwa die eigene Arbeitskraft oder deren Produkte verkauft) – erst dann kann man zur Käuferin werden. Und das erfolgreiche Verkaufen kann schwierig sein, weil man sich dabei meist gegen andere Verkäufer durchsetzen muss, die dasselbe wollen.
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Offenheit: Käufer und Verkäufer können sich grundsätzlich selber überlegen, ob sie sich als solche auf dem Markt betätigen wollen – sie können sich auch entscheiden, gar nichts zu (ver)kaufen, wenn ihnen die vorliegenden Angebote nicht gefallen. Allerdings müssen sie dann die Konsequenzen tragen (auf die nicht gekaufte Ware bzw. das nicht eingenommene Geld verzichten). In vielen Fällen muss auch niemand die Erlaubnis einer dritten Partei einholen, um zur (Ver)Käuferin zu werden – allerdings gilt das nicht zwangsläufig für jeden Markt (ggf. müssen Käufer etwa eine staatliche Lizenz erwerben, um Waffen kaufen zu dürfen, oder Verkäuferinnen brauchen eine Lizenz, um bestimmte Dienstleistungen anbieten zu dürfen).
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Utilitarismus: Typischerweise werden Marktteilnehmer mit anderen ein Geschäft abschließen, wenn das für sie selber sinnvoll ist. Nicht die Situation des anderen, sondern der eigene erhoffte Vorteil ist Anlass für einen (Ver)Kauf. Natürlich muss das nicht so sein – eine kann eine Ware aus Mitleid mit dem Verkäufer erwerben oder weil sie ihn schätzt und ihm einen Gefallen tun möchte, auch wenn sie die Ware eigentlich nicht braucht oder den Preis für überhöht hält. Solche Entscheidungen kommen vor, sind jedoch dem Gutdünken der einzelnen überlassen. Zunächst legt die Marktsituation es nahe, unter all den einer gegenüberstehenden Käufern oder Verkäufern denjenigen herauszusuchen, der einer das beste Angebote macht, weitgehend unabhängig davon, wie sich das auf die Situation des ausgewählten und der verschmähten (Ver)Käuferinnen auswirkt.
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Herstellung von Verbindungen: Der naheliegende Utilitarismus bedeutet immerhin auch, dass Menschen oder Menschengruppen, die sonst nichts miteinander zu tun hätten, über Märkte miteinander in Kontakt und „ins Geschäft“ kommen, wenn ihnen das zweckmäßig erscheint. Märkte stellen also Verbindungen her, die es sonst nicht gäbe (jedenfalls nicht ohne alternative Institutionen, die sie hervorbringen würden). Allerdings sind diese Verbindungen aufgrund des beiderseitigen Utilitarismus oft von begrenzter Dauer: Wenn einer der beteiligten Parteien die Verbindung nicht mehr zweckmäßig erscheint (sie etwa einen alternativen Käufer oder Verkäufer findet, der ihr ein besseres Angebot macht), endet sie vermutlich.
Neben diesen allgemeinen Eigenschaften von Märkten, gibt es einige, die nicht zwingend vorhanden sind, auch wenn das im Alltagsverständnis und manchmal auch in der Neoklassik gerne angenommen wird. Nicht notwendig ist etwa, dass Verkäuferinnen und Käuferinnen gegeneinander konkurrieren – zwar ist die Möglichkeit von Konkurrenz immer gegeben, da ein zwischen zwei Beteiligten abgeschlossenes Geschäft das Angebot bzw. die Nachfrage für andere Marktteilnehmer reduziert, sofern diese begrenzt ist. Beteiligte können mit diesem Sachverhalt aber umgehen, indem sie sich untereinander absprechen – in der Neoklassik werden zwar meist nur Absprechen unter Verkäuferinnen behandelt, die auf Kosten der Käufer gehen („Kartell“), doch ist das nicht die einzige Möglichkeit von Absprachen.
Ebenso wenig ist es notwendig, dass alle oder viele Marktteilnehmer möglichst viel Gewinn machen wollen („Profitmaximierung“). Zwar werden Beteiligte immer irgendwelche Zwecke verfolgen, doch um welche Zwecke es sich handelt, wird durch die Marktform nicht festgelegt. Profitmaximierung ist dabei nur eine von zahlreichen Möglichkeiten, und zwar eine, die nur unter ganz bestimmten Bedingungen existiert und zweckmäßig ist – ein Punkt, auf den noch zurückzukommen sein wird.
Ist es sinnvoll, sich die Institution Markt jenseits allzu enger Annahmen über Konkurrenz und Profitmaximierung anzuschauen? Ich denke ja, weil Märkte eine direkte Folge explizit vereinbarter Gegenseitigkeit sind, insbesondere in den Formen „ich gebe, damit du gibst“ und „ich gebe, damit du machst“. Dabei stehen sich diejenigen, die ein Angebot machen, und diejenigen, die es annehmen (wenn sie wollen), gegenüber – und meistens gibt es mehrere Anbietende und mehrere Nachfragende, die grundsätzlich voneinander unabhängig sind. Somit existiert hier ein Markt – und wie ich gezeigt habe, dürfte explizit vereinbarte Gegenseitigkeit nicht so leicht überflüssig zu machen sein. Gleichzeitig zeigt die Geschichte, dass die bloße Existenz von Märkten keinesfalls direkt zum Kapitalismus geführt hat, dass also eine „Gesellschaft mit Märkten“ nicht zwangsläufig eine „kapitalistische Marktwirtschaft“ ist oder wird.
In diesem Kontext relevante Fragen sind etwa:
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Unter welchen Umständen können Märkte gedeihen und dauerhaft Bestand haben, die nicht von profitmaximierenden (also üblicherweise: kapitalistischen) Firmen dominiert werden?
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Wie lassen sich die Schwierigkeiten der Marktteilnahme lösen? Sind Märkte denkbar, in denen alle, die teilnehmen wollen, auch teilnehmen können?
Ich werde auf diese (und andere) Fragen zurückkommen. Dabei könnte sich herausstellen, dass Institutionen denkbar sind, die die obigen Bedingungen erfüllen, für die der Begriff „Markt“ aber nicht mehr gut passt. So verwende ich in Beitragen statt tauschen den Begriff Verteilungspool (kurz Pool) für eine Institution, die Anbieter und Nachfragende in Verbindung bringt, aber (zumindest nach meinem damaligen Verständnis) kein Markt ist, da unterschiedliche Anbieterinnen und Nachfragende nicht unabhängig voneinander agieren und da Zahlungen nicht direkt von letzteren an erstere fließen, sondern immer über den Pool gehen. Da es aber klarerweise zumindest viele Ähnlichkeiten zu Märkten gibt, könnte man für solche Arrangements den Begriff „marktähnliche Institutionen“ (MÄI) verwenden.
Ich halte die Beschäftigung mit Märkten bzw. MÄI jenseits des engen, auf Konkurrenz und Profitmaximierung basierenden Standardparadigmas auch deshalb für wichtig, weil von Kritikerinnen ebenso wie von Befürwortern des Kapitalismus gerne zwei Schlüsse gezogen werden, die ich inzwischen für falsch halte: Zum einen, dass eine Gesellschaft, in der Märkte eine größere Rolle spielen, notwendigerweise kapitalistisch ist oder wird; zum anderen, dass Märkte, um vernünftig zu funktionieren, ein erbittertes Konkurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Anbietern voraussetzen. Letzterer Fehlschluss wird gerne auch von denjenigen begangen, die ersteren vermeiden, weshalb ich etwa die „marktsozialistischen“ Ansätze, die mir bislang untergekommen sind, wenig überzeugend finde – sie setzen Märkte pauschal mit Konkurrenzmärkten (competitive markets) gleich, weshalb der Wikipedia-Artikel „Marktsozialismus“ inzwischen konsequenterweise zu einer Weiterleitung auf „Konkurrenzsozialismus“ gemacht wurde. Dass eine Gesellschaft, die zwar nicht mehr kapitalistisch sein will, in der sich aber immer noch alle gegenseitig niederkonkurrieren müssen, nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss sein kann, liegt für mich auf der Hand.
(Fortsetzung: Märkte für reale, aber nicht für „fiktive“ Waren wie Arbeitskraft und Land?)
Literatur
Mankiw, N. Gregory. 2014. Principles of Economics. 7. Aufl. Stamford, CT: Cengage Learning.
Kleine Anmerkung zur Reihung von Waren und Dienstleistungen: Dienstleistungen, die zum Verkauf stehen und gekauft werden (müssen), sind natürlich auch Waren.
Der entscheidende Unterschied einer tendenziell kapitalistischen (und dabei womöglich immer noch vor-industriellen, wie im 18.Jh.) Marktwirtschaft zu einer nicht-kapitalistischen ist:
In einer kapitalistischen Marktwirtschaft ist die Reproduktion einer grossen Zahl der Markt-Teilnehmer von der regelmässigen Wiederholung des Verkaufsaktes abhängig, zugleich ist die Arbeitsteilung zwischen ihnen soweit fortgeschritten, dass diese Wiederholung nur durch Einkauf von Produktionsfaktoren am Markt möglich ist.
Damit entfallen auf spezifisch kapitalistischen Märkten wichtige „Eigenschaften“, die oben angeführt worden sind:
die sog. Dezentralität (die Wortwahl, wie auch die bei nachfolgenden Bezeichnungen, erschliesst sich nicht ganz): „Unterschiedliche Käufer und Verkäufer sind grundsätzlich voneinander unabhängig.“ Nein – bei (selbst vor-industriell bereits) fortgeschrittener Arbeitsteilung sind sie dies genau NICHT mehr.
die sog. Freiwilligkeit: fortgeschrittene Arbeitsteilung bedeutet meist auch: Investitionen für Produktionsmittel; daraus ergeben sich sowohl Hindernisse, ein spezielles Angebot zu machen, als auch, sich aus einem speziellen Gütermarkt zurückzuziehen und das jeweilige Geschäft zu liquidieren. Umgekehrt sind Käufer in gewissem Mass auf das einzukaufende Gut angewiesen, können es eventuell nicht substituieren; die Anbieter haben soweit immer ein relatives Monopol, das noch verstärkt wird, wenn der Zutritt zu einem Markt, etwa um ein solches Monopol zu brechen, „Kapital“ erfordert. (Echte Konkurrenz setzt daher Möglichkeit der jederzeitigen Kapital-Sammlung (und entsprechende Rechtsformen) zur Brechung von Monopolen und Extra-Profiten voraus: Aktien, Anleihen, Kreditwesen. Grundbesitz („knappe“ Rohstoffe) ist hierfür eine Schranke.)
Marktteilnahme-Zwang: Der wächst im Mass, wie Subsistenz-Reproduktion zB wegen Ausschluss von Landbesitz und nötigen Produktionsmitteln unmöglich geworden ist. Liberale Konzepte geraten hier unter Druck, die Antwort ist dann heute BGE, früher war das die Forderung nach Landreform und Gleichverteilung der bebaubaren Fläche. (Nicht berücksichtigt die Malthus-Einwände wg „unreguliertem“ Bevölkerungswachstum einerseits, die unterschiedlich verteilten Chancen auf Ertragssteigerung auf gegebner Fläche – wiederum durch vorzuschiessende Investitionen – auf der andern Seite.)
sog. Offenheit: ist eigentlich kein neuer Punkt, weil es immer weiter nur um die Entscheidung geht, Käufe/Verkäufe (und insofern Marktteilnahme zu Reproduktionszwecken) zu unterlassen; wenn das „vorübergehend“ geschieht, in Form von Verkäufer- oder Käufer-Kartellen, dann um „Marktmacht“ auszuüben und höhere Preise zu erpressen. Wie man am „Arbeitsmarkt“ sieht, kann solche Erpressung auf Gegenseitigkeit beruhen.
der sog. Utilitarismus: wenn Produktionsfaktoren eingekauft werden müssen, gibt es eine klare technische Grenze für Wiederholbarkeit des „Tauschs“: Jede Einheit Produkt muss WENIGSTENS den Kauf der für ihre Produktion nötigen Einheiten an Produktionsfaktoren ermöglichen, anders ausgedrückt, der Verkäufer des Produkts muss „auf seine Kosten kommen“, das schliesst die eigene Reproduktion (man muss davon leben können) mit ein. Alles, was jenseits davon an Einkommen erwirtschaftbar ist, wäre dann erstmal Überschuss-Einkommen („Profit“). – Was im Zusammenhang damit gern vergessen wird: Bereits eine produktive arbeitsteilige vor-industrielle Produktionsweise (etwa mit ameliorierten Ackerböden und städtischen Manufakturen) erwirtschaftet normalerweise tatsächlich Überschüsse (ein Mehrprodukt) (es handelt sich, genauer gesagt, um ein Potential), die sich in Gestalt von „Profiten“ auf die Gesamtheit der Marktteilnehmer (die es in ihrer Gesamtheit eben auch erzeugen) verteilen – oder zB durch Besteuerung auf dabei Begünstigte umverteilt werden. Das Dumme ist; niemand weiss so genau, wie hoch dieser Überschuss ist; Überschüsse der einen werden gegen solche der andern getauscht, aber in Abhängigkeit von Präferenzen bei der Verausgabung von Überschuss-Einkommen (im Gegensatz zu Reproduktions-NOTWENDIGKEITEN im bezug auf den Basis- oder „Reprodukt“-Anteil eines Branchenprodukts). Weshalb die Profitrate der einzelnen Branchen auch unterschiedlich und wechselhaft ist (verbunden mit Skalenvor- und Nachteilen, wenn das gehandelte Gesamtgütervolumen auf einem Teilmarkt wächst oder schrumpft).
„Konkurrenz“ ergibt sich angesichts der genannten Zwänge, in die sich die Markt-„Eigenschaften“ bei zunehmender Arbeitsteilung verwandeln, allein schon durch die Unvorhersehbarkeit der Angebots- und Nachfrage-Verhältnisse und der Unmöglichkeit, ohne Verlust die Branche zu wechseln (oder als Käufer auf Güter zu verzichten). Konkurrenz wird darum ja gelobt als DER „Mechanismus“ zum Ausgleich von „Markt-Ungleichgewichten“; unterstellt ist, dass in unübersehbaren dynamischen Verhältnissen solche ununterbrochen entstehen. Darum die neoliberal behauptete Unvermeidbarkeit und zugleich Erwünschtheit von Konkurrenz.
„Gewinn“ (vgl. das zu Utilitarismus Gesagte) ist, wie Marx/Engels nicht müde wurden zu betonen, nicht einfach ein erpresserischer Preisaufschlag (der „im Kreis herum“ weitergegeben, auf seine Urheber zurückkommen würde), sondern ein fakultativer Real-Überschuss an Gütern, der in jeder Branche abhängig vom Mehrprodukt-Potential der Branche („Kapazitäten“; im „Kapital“ als: absoluter (Branchen)Arbeitstag aller Arbeiter der Branche: Gesamtarbeitszeit pro Zeiteinheit) tatsächlich erzeugt werden kann – und auch erzeugt wird, im Mass wie er nachgefragt wird von ihrerseits erfolgreichen Überschuss-Anbietern anderer Branchen. Also auch hier wird ein Sachverhalt, der tief in der (arbeitsteiligen, produktiven) Produktionsweise wurzelt, in den Verkehrsformen (Produktionsverhältnissen) der „Marktwirtschaft“ abgebildet und „bewirtschaftet“. Und auch hier spielt Intransparenz und Mangel an Vorab-Planung und -Koordination (der Güter-Allokation) für Verläufe und Resultate dieser Bewirtschaftung (durch „Konkurrenz“) eine grosse Rolle. Die Frage ist, ob DIESE Eigenschaften solche der marktwirtschaftlichen Organisation von Arbeitsteilung sind, oder unvermeidliche Begleiterscheinungen sind des Ausmasses an Arbeitsteilung, das sich mit modern-industriellem Produzieren verbindet.
MaW: Die Produktivkräfte geben, entsprechend der Marx/Engels-Arbeitshypothese, den möglichen Produktionsverhältnissen die Rahmenbedingungen vor – und beschränken (uU massiv) die Gestaltungsmöglichkeiten von Vergesellschaftungsreformern.
Die Frage: Wie wird über die Produktionsmittel verfügt, wie sind sie auf Marktteilnehmer verteilt?, ist unter modern-arbeitsteiligen Markt-Voraussetzungen nach wie vor die Schlüsselfrage. Das gilt auch für „sozialistische Märkte“. Und darüber ist hier bei keimform auch schon ausgiebig debattiert worden.
Ich denke nicht, dass man zu einer realistischen Wahrnehmung der Probleme kommt, wie sie in der privateigentümlichen Bestimmung der Produktion für den Verkauf auf einem Markt notwendig angelegt sind, wenn man von idealistischen Begriffsdefinitionen von „Marktwirtschaft“ ausgeht und Schlüsse per Definition zieht, wie dass die Marktteilnehmer*innen ja keineswegs den Profit (also die für den Erhalt von Wettbewerbsfähigkeit notwendige Steigerung ihrer Kaufkraft) als Zweck verfolgen müssen.
Das krankt vielleicht auch daran, dass hier ansonsten stets vom Kampf zweier Logiken ausgegangen wird und man sich auf der Stelle zwischen Commons-Logik und Markt-Logik zu entscheiden hat, dass also nicht ausreichend über die mögliche Gestalt von Übergängen nachgedacht wird.
Wie das gehen könnte zeigt meines Erachtens Kate Raworth mit ihrer Doughnut Economics. Der hier verfolgte Ansatz ist, Staatshandeln, das Handeln der Privatwirtschaft / des Marktes, das der privaten Haushalte und das der Commons je auf ihren spezifischen Beitrag zu einer Weltwirtschaften zu verpflichten, das einerseits die Einhaltung bestimmter sozialer Mindeststandards (weltweit) ermöglicht und andererseits die Einhaltung ökologisch bestimmtter Grenzen erlaubt. Form follows function!
@Christian, du schreibst:
„In diesem Kontext relevante Fragen sind etwa:
Unter welchen Umständen können Märkte gedeihen
und dauerhaft Bestand haben, die nicht von profitmaximierenden (also
üblicherweise: kapitalistischen) Firmen dominiert werden?
Wie lassen sich die Schwierigkeiten der
Marktteilnahme lösen? Sind Märkte denkbar, in denen alle, die teilnehmen
wollen, auch teilnehmen können?“
—
Norbert Bernholt schlägt eine „Partizipatorische Unternehmensverfassung“ vor, die quasi auf einem sozialisierten Markt gründet. Dabei sollen paritätisch besetzte betriebliche wie regionale Wirtschaftsräten gegründet werden, welche das Marktgeschehen sozusagen einbetten und somit Profitzwang wie Vernichtungskonkurrenz unnötig werden lassen sollen.
Das Konzept beginnt ab Seite 10: http://www.akademie-solidarische-oekonomie.de/wp-content/uploads/2017/11/mythosmarkt.pdf/aufsatz_in_zeitschrift_fur_sozialokonomie_id.pdf
Märkte sind wohl in erster Linie Folge der privateigentümlichen Produktion von Gebrauchswerten, die sich diejenigen, die meinen, ihrer zu bedürfen, nicht anders aneignen können, als sie gegen Geld (entsprechend ihres – letztlich vom gesellschaftlich notwendigen Arbeitsaufwands zur Reproduktion dieses Gebrauchswertes bestimmten und mittels Konkurrenz ermittelten – Tauschwertes) einzutauschen, was die Eigentümer der unter ihrer Regie produzierten und zum Verkauf stehenden Nutzpotenziale in die Lage versetz, sich deren Tauschwerte anzueignen.
Die Konkurrenz ist – einschließlich des ständigen Bemühens, diese auszuschalten – der große Fortschrittsmotor, ein beständiger Stachel zur Produktion immer mehr und qualitativ am Ende immer anspruchsvollerer Gebrauchswerte, die zugleich zu einem immer höheren Organisationsgrad der Produktion (zweckgerichteten Ressourceennutzung) führt und damit die Grundlagen sowohl der Notwendigkeit als auch der Möglichkeit legt, den von Marx/Engels konstatierten Widerspruch zwischen einerseits dem gesellschaftlichen Charakter der kapitalistischen Produktion und andererseits der privaten (von der Notwendigkeit sozialer bzw. ökologscher Rücksichtnahmen befreiter) Aneignung der Produktionsergebnisse – öko-kommunistisch – aufheben zu können.
Marx/Engels: Die deutsche Ideologie. MEW Bd. 3, S. 69
Marx: Zur Kritik der politischen Ökonomie, MEW Bd. 13, S. 8-9
Immerhin scheint sich die Ahnung anzubahmen, dass für die – öko-kommunistische – Transformation der derzeitigen Arbeitsteilung auf Basis der Selbstbereicherungsökonomie zu einem globalen Für- und Voneinander auf Grundlage eines weltgemeinschaftlich bestimmtes Ressourcen- bzw. Nachhaltigkeitsmanagements erst einmal in die Konkurrrenzverhältnisse einzugreifen wäre, d.h. sozial und ökologsch vernünftige Standards durchgesetzt werden müssten oder mittels Ökosteuern und -zölle dagegen vorzugehen wäre, dass Raubbau am Markt belohnt wird usw. Das Proplem hier könnte sein, dass man meint, bereits „jenseits“ nicht nur „des Marktes“ sondern auch des (dafür notwendigen) Staates zu sein.
Es bleibt halt die Frage, wie von Christian formuliert, ob es moderne (!) Märkte geben kann auf denen die Anbieter nicht gezwungen sind ständig Kapital zu verwerten bzw. es moderne Märkte geben kann, wo Geld gar nicht zu Kapital wird/werden muss.
Falls ja, ließen sich „sozialisierte Märkte“ in einer nachkapitalistischen Ökonomie denken. Falls nicht, müsste es wiederum um völlig andere Alternativen gehen, deren Funktionieren vollkommen unklar ist. Letztlich zieht sich daran seit Jahrzehnten die gesamte Debatte um eine emanzipatorisch-nichtkapitalistische Ökonomie auf und scheint nicht weiterzukommen.
Scheinbar allein schon deshalb weil jeder den Begriffen etwas anderes zuordnet und die ihnen verbundene „Funktionslogik“ mal diese oder jene Zwangsläufigkeit oder diesen oder jenen Spielraum unterstellt. All das scheint aber nicht wirklich auf bleibende Erkenntnis hinauszulaufen.
zunächst Nachtrag @Christian:
Es ist ja nicht so, dass die „profit-maximierenden“ Betriebe wüssten, welcher Teil ihres Produkt-Ausstosses pro Zeiteinheit „Gewinn“ repräsentiert, und welcher ihre Kosten (in dieser Zeiteinheit) ersetzt. Das SCHÄTZEN sie mal grob in Gestalt eines Kostpreises, auf den sie einen ebenso geschätzten Profit aufschlagen; der so entstandene Angebotspreis ihrer Ware muss dann zu einem ABSATZ führen, der halbwegs pro Zeiteinheit wenigstens die Kosten einbringt (die Zeiteinheit, für die kalkuliert wird, ist dehnbar). Wenn der Absatz zu langsam geht, können sie am Preis drehen, aber wenn (jeweiliger) Preis x Absatz nicht die Kosten pro Zeiteinheit ersetzt, Reserven und Kreditlinie aufgebraucht sind, dann ist der Betrieb zahlungsunfähig (die „Profitmaximierung“ geschieht notgedrungen blind, und vor allem durch Kostensenkung um (beinah) jeden Preis).
Im Insolvenzfall hat dann die Konkurrenz, die unvermeidlich-erwünschte, mal wieder gewirkt – aber wie? Im nachhinein. Es sind Güter fehl-alloziert worden; es sind Entscheidungen getroffen worden weitgehend ohne Kenntnis der wichtigsten Parameter, von denen der Fortbestand des Betriebs abhing; die Komplexität der Gesamtwirtschaft macht es unmöglich. Markt ist das Versprechen, trotz dieser Komplexität, ohne nötige Kenntnis, einfach weiterwursteln zu können. Im nachhinein – wird ja irgendwann noch irgendwie alles gut. Das ist Religion – irgendwie ideal, bis auf weiteres darf es geglaubt werden; wie im einzelnen, ist egal.
Die Produktionsmittel-Verwaltung (Eigentum daran als „Recht auf (die genannte blinde) Verfügung darüber“) in einer mit ständig neuen technologischen Umwälz-Optionen konfrontierten modernen Riesen-Industrie-Wirtschaft ist das Problem: Wie verhält sich der Markt dazu?
Klar: Wenn die Wirtschaft statisch wird und Forschung nicht mehr in Produktion umgesetzt werden soll – wenn Dynamik nur noch vorkommt, wenn und weil mal jemand seine Berufstätigkeit wechseln möchte, und im allgemeinen „Geben-um-zu-bekommen“ vorübergehend ein kleines Ungleichgewicht entsteht – da, in dieser vergleichsweise unbedeutenden Unübersichtlichkeit, wo im grossen ganzen immer alles gleich bleibt („ceteris paribus“) – könntest du es mal mit den angeführten professoralen Lehrbuch-Weisheiten probieren. Märkte ohne Dynamik – Märkte, in denen die Bewirtschaftung der Produktionsmittel anderweitig geschieht (demarchisch?) – die sind allerdings „entschärft“; dadurch, dass die realen Probleme nicht mehr von und auf Märkten gelöst werden müssen. Bloss… die Probleme verschwinden so nicht. Man entgeht dem von mir besprochenen Trilemma nicht so leicht…
@HHH #1:
Ja, so die marxistische Terminologie, die ich auch sinnvoll finde. Neoklassiker wie Mankiw sehen es anders, weshalb sie dann eben häufig schwerfällige Kopplungen wie „Ware oder Dienstleistung“ (statt einfach „Ware“) verwenden müssen.
#3:
Ich sprach an der Stelle von Profitmaximierung, nicht von Profit. Interessanterweise wissen Neoklassiker wie Mankiw genau, dass keineswegs alle Anbieter am Markt die Profitmaximierung zum Ziel haben — dass sie das tun würden, ist nur eine vereinfachende „Idealisierung“, die die Neoklassiker gerne vornehmen (Marx im Übrigen ebenso). Solche Vereinfachungen sind im Rahmen einer Modellbildung legitim, doch muss man sich dabei immer im Klaren sein, dass die Realität (auch im Kapitalismus, von nichtkapitalistischen Märkten ganz zu schweigen) komplexer ist.
Aktiengesellschaften sind in der Tat zur Profitmaximierung verpflichtet, sonst machen sie sich ggf. gegenüber ihren Aktionären strafbar. Aber bei kleinen Betrieben sind oft andere Motive mindestens ebenso wichtig — das Café, das jemand aus Eitelkeit oder zur „Selbstverwirklichung“ betreibt; der Betrieb, mit dem Leute ihnen wichtige Nischen-Produktlinien auf den Markt bringen wollen, der aber noch so klein ist, dass sich das kaum „rechnet“ (galt in der Anfangszeit für so manchen Bio- oder veganen Anbieter); die Handwerkerin, die einen lukrativen Auftrag ablehnt, weil er gegen ihre ethischen oder professionellen Standards verstößt, etc. (Ich habe mich selbst während meiner Zeiten als selbständiger Softwareentwickler nicht immer konsequent profitmaximierend verhalten, sondern gelegentlich Aufträge aus ethischen Gründen abgelehnt; und ich weiß, dass ich da keineswegs der einzige bin.)
Das ist die Anbieterseite. Dass die Nachfragenden — insbesondere wenn sie Privatpersonen sind — keineswegs immer ihre „Profite maximieren“, d.h. ihre Kosten minimieren wollen, sondern auch mal teurere Produkte kaufen, weil sie z.B. „fair“, „bio“ oder „nachhaltig“ sind, ist sowieso klar.
Naja, mit Verpflichtungen ist es so eine Sache. Wenn die großen Unternehmen weiterhin ihre Profite maximieren (siehe Aktiengesellschaften) und dabei gegeneinander konkurrieren müssen, werden sie zwangsläufig ihre Verpflichtungen auf solch eine Weise erfüllen, die diese übergeordneten Notwendigkeiten möglichst wenig stört. Sei es, dass sie erfolgreich für möglichst wenig/schwache Verpflichtungen werben (ein Großteil aller Lobbyaktivitäten von Firmen dürften diesem Ziel dienen, und das oft sehr erfolgreich), dass sie irgendwelche Schlupflöcher finden und ausnutzen oder dass sie schlichtweg lügen und betrügen, um das Einhalten der Verpflichtung bloß vorzutäuschen (vgl. die deutsche Autoindustrie).
#6:
Ja, ich glaube mittlerweile, dass es eine gravierende Schwäche des Keimformansatzes ist, sich Transformation mehr oder weniger als Aufbau von Parallelinstitutionen vorzustellen, die mit den „alten“ Institutionen (wie Markt und Staat) möglichst wenig zu tun haben und diesen so lange aus dem Weg gehen, bis sie eines Tages in der Lage sind, den Laden komplett zu übernehmen und die alten Institutionen zu verdrängen. Schaut man sich hingegen reale geschichtliche Prozesse an, geht da sehr viel „durcheinander“ und es sind eigentlich immer schon vorhandene Institutionen, die sich verändern, statt dass komplett „neue“ Parallelinstitutionen an ihre Stelle treten würden.
Daraus folgt aber keinesfalls, dass es „der Staat“ (oder „der Markt“) schon richten wird, ohne selbst einen ganz massiven Transformationsprozess durchlaufen zu haben. Um die Transformation kommen wir nicht herum, aber die Vorstellung, die „alten“ Institutionen komplett wegschmeißen zu können und zu müssen, ist vermutlich ein Fehler.
Ich komme aus einer Kleinstadt-Handwerksmeisterfamilie und ja: bei meinen Eltern stand über alles der gute Ruf, die Anerkennung in der Stadt, niemandem einen Grund zu geben, schlecht über einen zu reden. Gesellen wurden auch in Flauten mit irgend etwas beschäftigt, auch wenns für den Betrieb dann finanziell eng wurde. Es ging relativ altpatriarchal-gutmütig zu.
Und sicher: Auch in Großbetrieben kann es Nischen der sozio-ökologischen Vernunft geben d.h. Engagement für gesellschaftliche Ziele, Bemühungen, Entlassungen zu vermeiden oder auch dann eine menschen- bzw. umweltfreundliche Firmenidentität aufzubauen, wenn sich das nicht gleich rechnen sollte. Aber das ist nicht das Wesen der kapitalistischer Prduktionsbedingungen und diese Dinge konservieren zu wollen halte ich auch nicht für einen möglichen Ansatz für die notwendige Transformation der (globalen) Produktionsbedingungen bzw. Bedingungen des menschlichen Stoffaustausches mit der Natur.
Auch übrigens nicht „die Konkurrenz“ für alles Übel der Welt (bzw. des Kapitalismus) verantwortlich zu machen.
Es kommt mir ein wenig so vor, dass dies eine weitere Runde der Moralisierung struktureller Probleme werden könnte und der Kritik imperialer Lebensstile nun die Kritik unmoralischer Profitstile beiseite gestellt wird.
Den Ansatz der Donut Ökonomie hast du vielleicht missverstanden. Es geht tatsächlich um Strukturveränderungen, d.h. Strukturen, Möglichkeiten des Eingreifens durchzusetzen, die Staaten bzw. die Staatengemeinschaft in die Lage versetzen (versetzt) die Rahmenbedingungen für sowohl die Privatwirtschaft /Märkte als auch für die privaten Haushalte und die Commons so zu setzen, dass sie das Ihre dazu beitragen, dass die notwendigen sozialen Standards und die ökologischen Grenzen weltweit eingehalten werden können /müssen.
@franziska #2:
Genau, das gilt allerdings auch in jeder anderen Gesellschaft, die an Arbeitsteilung festhält — und letztere halte ich für unhintergehbar (ich weiß, dass du das ggf. anders siehst). Auch in einer commonsbasierten Gesellschaft ohne Märkte stellt sich etwa die Frage, wie der Zugang zu Produktionsmitteln und den damit produzierten Gütern geregelt wird und wie sichergestellt wird, dass es nicht manchen an wichtigen Gütern mangeln, weil andere die notwendigen Produktionsmittel bzw. Ressourcen für sich selbst in Beschlag genommen haben. Also ja, das ist eine wichtige Frage, über die man sich Gedanken machen muss, ganz unabhängig davon, ob man sich eine Gesellschaft „jenseits des Marktes“ oder „mit Märkten“ vorstellt.
#8:
Genau, und das beste Gegenmittel dürfte eine Abstimmung der Produzenten untereinander sein, weshalb die Frage ist, wie diese miteinander kooperieren und sich untereinander abstimmen können, ohne dass dies auf Kosten der Nutzer_innen geht und ohne dass es eine „allmächtige“ Zentralinstanz braucht (die dann wieder Risiken des Machtmissbrauchs mit sich bringen würde).
@Perikles #4: Der Link auf den erwähnten Text von Norbert Bernholt funktioniert nicht, gibt es den Text noch anderswo?
@Christian. Seltsamerweise geht der Link nicht mehr. Dieser hier müsste gehen: http://www.akademie-solidarische-oekonomie.de/wp-content/uploads/2017/11/mythosmarkt.pdf
Sollte er aus irgendeinem Grund nicht gehen, solltest du per Suchmaschine fündig werden. Der Text heißt „Das Ende des Mythos Markt“ von Norbert Bernholt auf der Website der „Akademie Solidarische Ökonomie“.
Wieso nur der Produzenten untereinander? Diktatur des Proletariats? Hieße die Organisation von Übergängen zur (öko-) kommunistsch bestimmten Produktion nicht das Möglich- bzw. Notwendigmachen von Absprachen / Abstimmungen zwischen denen, die produzieren (wollen) und Sachverwaltern sozial bzw. ökologisch bestimmter Belange?
Ist es nicht etwas kurzgegriffen, lediglich auf neue (öko-kommunistisch bestimmte) Formen der Arbeitsteilung zu zielen, wo doch neue (öko-kommunistisch bestimmte) Arten der Teilung von Mühen, Genuss / Entwicklungschancen, Sorge, (etwa um die Reproduktionsfähigkeit der Naturreichtümen) Regelsetzen und Kontrolle ihrer Einhaltung usw. notwendig wären?
Aus meiner Sicht geht es nicht um ein quantitatives (was heißt „größere Rolle“?), sondern ein qualitatives Problem: Wenn in einer Gesellschaft Märkte die bestimmende Rolle der gesellschaftlichen Vermittlung einnehmen, dann handelt es sich um Kapitalismus. Zweitens,
Das ist doch ein neoklassisches Argument, keines von Kapitalismuskritiker*innen oder? Ich erkenne nicht den Sinn, Kritiker*innen und Befürworter*innen in einen Topf zu schmeissen.
(kurze Zusammenfassung einer Diskussion, die ich gerade mit Christian im irc hatte):
Ist es nicht ganz simpel so, dass Märkte dann kapitalistisch sind, wenn auch Land und Arbeitskraft regelmäßig und überwiegend auf dem Markt gehandelt werden?
Postkapitalistische Märkte wären also erst dann möglich, wenn Land und Arbeitskraft nicht mehr auf dem Markt gehandelt würden. Z.B. durch ein simples Verbot, so wie heute Sklavenhandel verboten ist. (Über die Durchsetzbarkeit eines solchen Verbots ist damit erst mal noch nix gesagt)
@Stefan:
Zum ersten „Fehlschluss“:
Bestimmend (und das notwendigerweise!) sind Märkte, wenn und weil Arbeitsteilung, (darauf beruhende) Produktivität und beständige Umwälzung der Technologie so weit fortgschritten sind, dass „traditionellere“ Eigentums- und Verteilungs“mechanismen“ sich als hinderlich erweisen.
Zum zweiten „Fehlschluss“:
Das Wort „erbittert“ kann man ruhig weglassen. Konkurriert wird ausnahmslos um den Erhalt der eigenen Einkommensquelle; die Verlierer stehen erstmal ohne eine da, und können zusehen, ob sie im grossen Rattenrennen ein andres Hamsterrad (Kapital und/oder Arbeitsplatz) für sich finden.
Es gibt dafür heutzutage genau noch zwei Rechtfertigungen:
a) Moderne Riesen-Wirtschaften mit ihrer Fortschritts-Dynamik sind, wenn überhaupt, nur so zu steuern;
b) die Fortschritts-Dynamik, von der alle profitieren (und die alle wollen), bedarf dieses Stachels der Konkurrenz (so nochmal. einfach als Axiom, ohne Begründung, bei Perikles‘ Link-Autor Bernholt).
Aber: Die (unvermeidliche! darum gibt es sie ja!) Intransparenz der Märkte sorgt dann dafür, dass Marktteilnehmer aka Konkurrenten niemals wissen, wann sie „genug“ dafür getan haben, um mit ihrem Produkt und Preis (und vor kurzem erwirtschafteten Gewinnen: Kreditwürdigkeit) am Markt zu bestehen, und ihr Geschäft weiterbetreiben zu können. Das ist die Kehrseite (das „Erbitterte“ darin) von a) und b), und wird dafür inkaufgenommen.
zwischendurch @Christian: Hier ist nicht umsonst vor einiger Zeit der Marxsche Begriff des im kapitalistischen Sinne „Produktiven“ erörtert worden – ein Zentralbegriff der politischen Ökonomie. Denn da geht es um die Frage, welche Branchen in einer modernen Volks- oder Weltwirtschaft wirklich Wert erzeugen, indem sie eine Station in der Reproduktion der aktuell massgeblichen industriellen „Produktivkräfte“ (und ihres anderweitig verwendbaren Überschusses) besetzen. Die Idyllen der Café-Betreiber und Dienstleister, die ausserhalb dieser industriellen Basis operieren, werden mit „Revenue“ (Marx) bezahlt, und das heisst: sie werden vom kap.Lebensmittelsektor miternährt (als Teil der Reproduktion der Arbeitskraft), oder aus dem Überschuss (aka Mehrwert). An der eigentlichen Reproduktion und am ständigen Produktiverwerden des eigentlichen Kapitals, stofflich gesprochen: der industriellen Basis-Reproduktion incl. Arbeitskräften (Qualifizierung), nehmen sie nicht teil – insofern laufen sie „ausser Konkurrenz“. Soviel zu Stefans Erinnerung an die Vermittlungsform UND (füge ich hinzu) zugehörige Produktionsweise, die in Volks- und WeltWirtschaft BESTIMMEND ist.
@Benni: Und was ist mit den Produktionsmitteln? Und wie wird „Land“ (Immobilien, Rohstoffquellen, anders nutzbare Naturräume) dann mit Zwecken verbunden – von wem? Woher beziehen die Arbeitskraft-Besitzer ihr Einkommen – wer erarbeitet es, wer trifft die Entscheidungen, wer was produziert? Was genau leistet da noch ein „Markt“? Und was geschieht bei „Misserfolg“ am Markt?
Anders gefragt: Diese beiden „Verbote“ unterstellt – WIE sollen („postkapitalistische“) Märkte da denn noch möglich sein (wenn nicht DDR2.0 und wenn nicht Wolfram Pfreundschuhs Modell und vergleichbare vorausgesetzt werden sollen – in diesen Fällen würde man kaum noch von „Märkten“ sprechen).
@franziska: Ich hab ja nicht gesagt, dass das möglich ist, ich wollte mich nur konstruktiv an Christians „Vorüberlegungen“ beteiligen. Ihn beschäftigt ja zur Zeit offensichtlich sehr die Frage, wo genau die Grenzen zwischen Markt und Kapitalismus verlaufen. Ich finde das durchaus eine wichtige Frage, bin aber nicht der Meinung, dass man aus der Existenz von Märkten ohne Kapitalismus in der Vergangenheit schließen kann, dass das auch in der Zukunft wieder möglich ist. Ich wollte nur die Bedingungen dafür aufzeigen, die man dann erfüllen müsste. Und ja, Produktionsmittel könnten dann durchaus noch Privateigentum sein und trotzdem gäbe es keinen Kapitalismus (ob das allerdings besonders erstrebenswert ist, was man dann statt dessen bekommt ist wieder ne andere Frage).
@Benni: Vielleicht war es zu undeutlich ausgedrückt, aber auch mir geht es um die begriffliche Fragestellung von Christian: Wenn die oder jene Voraussetzung weggelassen wird – wann würde man es*) (sinnvollerweise) noch „Markt(förmig)“, wann noch „kapitalistisch (Kapitalismus)“ nennen – wobei auch hilfsweise Neu-Zusammensetzungen wie „staatssozialistisch simulierter Kapitalismus“ (wie war das genau in der DDR?) oder „sozialistische Aktien“, „politisch regulierte (Preise und) Märkte“ usw infragekommen.
*) was genau ist es überhaupt, das man „Markt(förmig)“ oder „kapitalistisch (Kapitalismus)“ nennt?
Meine Hinweise fordern eigentlich immer nur dazu auf, die fundamentalen Eigenschaften der arbeitsteiligen Produktion, die da (wie immer) „bewirtschaftet“ werden soll, mit zum Ausgangspunkt der Betrachtung zu machen, also sich die Frage vorzulegen: Was ist auf dieser, der Produktions-Ebene, grundsätzlich (und womöglich höchst ziel-konflikt-trächtig) vorgesehen – und welche Beschränkungen und Anforderungen sind damit jeder möglichen Organisation oder „Vermittlungsform“ einer so ausgerichteten arbeitsteiligen Produktion vorgegeben:
– Blosse Subsistenz (ev auf hohem Niveau)?
– Investment für Forschung, Entwicklung, „Einführung“ von Innovationen incl. Abwicklung der je „überholten“ Produktion?
– Sicherung von Basis-Bedürfnisbefriedigung, mit anders organisierten Wirtschaftsbereichen jenseits davon?
– ökologische Rücksichten (auf welchem Niveau)?
– dezentrale (robuste, modulare, risiko-arme, wenig Spezialisierung erfordernde, zeit-sparende usw) Produktion?
– Achten auf maximale X-Produktivität? (X=Arbeit, Energie, Rohstoff, alle Produktionsfaktoren)?
– Herstellung gleicher Lebens- und Entwicklungschancen, womöglich weltweit? wie schnell? Ausgleich zwischenzeitlich auftretender Entwicklungs-Ungleichgewichte? mit oder ohne Umsiedlung oder Bevölkerungskontrolle?
– „Vergesellschaftbarkeit“ als Anforderung auch an die Produktions-Gestaltung?
usw
Als Kriterium für einen verallgemeinerten Begriff von „Marktförmigkeit“ der Bewirtschaftung arbeitsteiliger Produktion würde ich vorschlagen:
arbeitsteilig-gemeinsame Reproduktion ist dort organisiert in Form einer – „konditionierten“ (Geben normalerweise Bedingung für Bekommen), – „normalerweise“ regelmässig wiederholbaren
Austausch-Beziehung von teilnehmenden Einzel-WirtschaftsSubjekten (Personen, Gruppen, grösseren Gruppen mit anderer Organisation ihrer Binnenbeziehungen)
mit einem Güter-Korb („Markt“; Güter=Waren, Arbeitskraft-Benutzenlassen, Dienstleistung),
an den sie liefern, und
aus dem sie in – im wesentlichen „freiwillig“ von allen Beteiligten (über welche Mechanismen auch immer) bestimmten – Tausch-Relationen Güter entnehmen.
Die Bedingung „regelmässige Wiederholbarkeit“ schliesst ein, dass alle „Lieferanten“ die Chance haben, mit ihrem Produkt dessen Produktionsfaktoren, soweit sie sie nicht selbst herstellen, einzutauschen und sich dabei auch als Akteure zu reproduzieren (zu erhalten) (wie gut, wie gleich oder ungleich verglichen mit andern, ist schon nicht mehr gesagt).
Welche politischen Reserve-Mechanismen (Chancengleichheit als Startbedingung, Sozialstaat, Subventionen, Um- und Gleichverteilung usw) eingreifen, um solche Basis-Chancen-Gleichheit auf „Reproduktion als Güteranbieter“ (immer wieder-)herzustellen, ist damit nicht gesagt; nur vielleicht, dass sie, um WIRKLICHE Wiederholbarkeit des Austauschs für alle Teilnehmer auf Dauer zu gewährleisten, dringend erforderlich sind.
Ich schlage vor, eine solche „marktförmige“ Arbeitsteilungs-Organisation dann „kapitalistisch“ zu nennen, wenn zu den handelbaren Gütern auch Zugang zu Voraussetzungen (das sind normalerweise investierbare „Überschüsse“) für (un?)spezifisch produktivitäts-erhöhende Innovationen gehört.
(Zahlungsfähige Nachfrage auf sich ziehen durch Konsum-Innovationen, die es vorher nicht gab, wird als Spezialfall von Prod.erhöhung behandelt; die Details, warum, und wie das quantitativ zu behandeln wäre, führen zu weit).
Mit dieser Definition ist blosser Monopolbesitz an Produktionsmitteln (der etwa blosse „Arbeitskraftbesitzer“ ausschliesst) in einer Markt-förmigen Arbeitsteilungs-Organisation noch KEIN Kap.kriterium
(sowas kommt auch in Stände-Verhältnissen mit zB Zunftzwang oder bei landlosen Landarbeitern, die sich bei Grundherren verdingen müssen, vor);
wohl aber die früh-industrielle Form der Steigerung des Produktausstosses pro Zeit durch Rationalisierung von Handarbeit in Manufaktur-Betrieben.
Ebenso wird nicht zur Bedingung gemacht, dass nur eine beschränkte Zahl von Marktteilnehmern Zugang zu diesen Gütern hat – Kapitalismus im Sinne dieser abstrakten Definition wäre auch mit breiter Streuung der Erwerbschancen für den Zugang zu Produktivitäts-erhöhenden Innovationen (Vermögen; Kredit) vereinbar.
Nachtrag zu @Benni 16 und Erläuterung des vorstehenden Beitrags 19:
Land wurde mit der Wiederentdeckung des Römischen Rechts (Rechtsschule von Bologna) ab 1100 (!) zunehmend als „Eigentum“ behandelt und damit auch als „verkäuflich“ (verpfändbar/beleihbar, vererbbar usw) – eigentlich die („feudalen“) Rechte und Pflichten, die mit dem jeweiligen Territorium (noch immer) verbunden waren; denn auch die Produzenten dort hatten ja durchaus Rechte.
(Dieser Sachverhalt hat noch eine Extra-Pointe, weil ab dieser Zeit Eigentums-„Rechte“ mit „Urkunden“ nachgewiesen werden sollten, um „einklagbar“ zu sein; da es nur (unbestrittene) Gewohnheitsrechte oft unbestimmter Herkunft gab, wurden daraufhin ganze (klösterliche) Fälscher-Werkstätten damit beschäftigt, die Besitzansprüche mit einem fiktiven, „offiziell“ beurkundeten Verleihungsakt des Besitztitels, durch einen historisch Befugten (Kaiser, König usw der letzten 3 Jahrhunderte) zu verbriefen.
Wichtig ist mir hier: Territorial begründete Rechte wurden bereits viel früher als „Eigentum“ be- und dementsprechend ge-handelt – und zwar „flächendeckend“; das Ganze in England nochmal verschärft in Form der enclosure-Gesetzgebung und Umwandlung von „Feudalbeziehungen“ in privatrechtliche „Pachtverhältnisse“ (die kündbar waren) oder geradezu Eigentumstitel, lang bevor von Kapitalismus gesprochen wird.
(Vertreibung der „Pächter“ war explizit das Ziel dieser „berechtigten“ Privat-Aneignung von Land: Schafwolle für die frühe Textilindustrie war für die Neureichen Neu-Aristokraten (damit auch für den sich bildenden frühneuzeitlichen Staat) des Tudor-Age lohnender als die Abschöpfung kümmerlicher Agrarüberschüsse.)
Nebenbei: Der Handel mit Landwirtschaftsfläche etwa in der EU ist bis heute vielfach stark reglementiert: Vorkaufsrecht der Landwirte (und Gemeinden), Preiskontrolle. Erst recht reguliert war und ist die Ware Grund+Boden in speziell flächen-beplanten + bewirtschafteten Räumen: Gewerbe-, Wohngebiete, Naturschutzgebiete usw
Ähnlich für die „Ware“ Arbeitskraft, Tagelöhner, Landlose, „Proletarii“.
Es hat keinen Sinn darauf zu erwidern: dass da vor- und frühindustriell noch nicht die gesamte Arbeitskraft überwiegend am (städtischen) ArbeitsMarkt angeboten wurde. Das blieb nämlich noch lange so – auch in Zeiten, in denen sehr wohl bereits von Kapitalismus (früh-industriellem: ab ca 1750) gesprochen wird.
Aus beiden genannten Gründen kann das Ausmass der „Handelbarkeit“ von Land und Arbeitskraft auf entsprechenden „Märkten“ NICHT das Kriterium für „Kapitalismus“ vor oder während der Industriellen Revolution sein.
Richtig ist hingegen, zu sagen, dass die Investitionen (handelbare Überschuss-Güter!) zur Erhöhung von Bodenfruchtbarkeit (Düngung, Kalkung, Leguminosen-Zwischenfrucht; oder auch Baumwoll-Verarbeitbarkeit mit Maschinen: vor 1800) der entscheidende Schritt in den Agrar-, aber dadurch auch Industrie-Kapitalismus waren; letzteres, weil genau diese erfolgreichen Ameliorationen die Grundlage dafür boten, dass die mit „neuen“ Rechtstiteln von ihrem Land vertriebenen Paupers ab dem 18.Jahrhundert mit ihren Löhnen tendenziell tatsächlich Nahrungsmittel (und Billig-Textilien) kaufen konnten, und sich die Zahl der von einer Landwirtschafts-Arbeitskraft mit-ernährten Arbeitskräfte stetig erhöhte.
Das entspricht also eher meinem Kap.Kriterium oben im voraufgehenden Beitrag.
Der ökonomischen Theorie stellte dieses „Gut“ der Bodenverbesserung in verschärfter Weise die Aufgabe, Preise von Gütern aus „Kuppelproduktion“ zu erklären (davor schon physiokratische Fragestellung: Was ist Quelle des Überschusses übers eingesetzte Saatgut hinaus – die Arbeit, oder „die Natur“=der Boden?):
Ausgangsboden unterschiedlicher Güte (Grundeigentum; entsprechend der Ausgangs-Ertragsleistung bepreist)
+ (Boden-verbessernde Massnahmen
+ Saatgut
+ Löhne)(=alles zusammen Vorschuss des Agrarkapitalisten))
–>
Agrar-Produkt (Saatgutersatz + Arbeitskrafterhalt (Landarbeiter, Kalkbrenner etc) + Investition in bodenverbessernde Massnahmen)
+ Überschuss
+ längerfristig verbesserter Boden.
Puzzle: Wer kriegt hier als erwartbares Resultat von Konkurrenz was – gibts da Gesetzmässigkeiten?
(Auch Marx hat dazu natürlich eine von ihm nie veröffentlichte Theorie (der abs.Grundrente, in Manuskripten für den 3.Bd Kapital) beigesteuert, die mir leider nicht in jeder Hinsicht hieb- und stichfest erscheint (vorausgesetzt ist eine notorisch niedrige Kapitalintensität = niedrige org.Zusammensetzung in den extraktiven Industrien (Bergbau, Landwirtschaft). Naja. Das stimmt seit langem nicht mehr…) Die Neoklassik wiederum operiert hier bekanntlich mit den marginalen Ertrags-Zuwächsen pro nächst-zugesetzter Einheit des jeweils betrachteten Produktionsfaktors („Entlohnung“ im Verhältnis der „Faktor-Grenzproduktivitäten“).
Mehr Details zur Politischen Ökonomie zB hier:
http://www.selbstbestimmung-als-aufgabe.de/pages/untersuchungen-und-bemerkungen-zu/kommunismus-und-kommunalismus/forumsblog-fortsetzung-nicht-mehr-oeffentl.-2015ff.php
@franziska:
„Ich schlage vor, eine solche „marktförmige“ Arbeitsteilungs-Organisation dann „kapitalistisch“
zu nennen, wenn zu den handelbaren Gütern auch Zugang zu
Voraussetzungen (das sind normalerweise investierbare „Überschüsse“) für
(un?)spezifisch produktivitäts-erhöhende Innovationen gehört.“
da finden sich halt auch jede Menge Gegenbeispiele in der Geschichte wo der Überschuss schon vorhanden, aber eben nicht investiert wurde.
Märkte gibt es seit der Antike (und womöglich auch schon davor). Schon damals gab es unterschiedliche Ausprägungen:
A) Märkte für Grundgüter wurden im Altertum wie auch im Mittelalter reguliert in Bezug auf Preis und Qualität der Ware (Voraussetzung: eine funktionierende Obrigkeit). Der Markt war weniger ein Ort zur Preisfindung, sondern mehr zur Überwachung. Und das war durchaus im Sinne der Beteiligten, bspw. wurde dort die Eichung von Gewichten regelmäßig kontrolliert. Der Preis durfte (sofern die Obrigkeit ihren Pflichten nachkam) nicht unbegrenzt schwanken, um die Versorgung der Bevölkerung mit diesen lebensnotwendigen Gütern zu gewährleisten. Andernfalls konnte es nämlich zu Aufständen kommen…
Hinweis 1: Gilden und Innungen dienten ebenfalls der Regulierung und Preisfestsetzung. Nur halt nicht durch die Obrigkeit. Und mit Tendenz durch Monopolbildung.
Hinweis 2: In Notzeiten – Pest, Krieg, … – war die Obrigkeit nicht in der Lage, ihre Regulierungsfunktion auszuüben. Zu anderen Zeiten war sie vielleicht nicht gewillt, dies zu tun. Die Kontrolle hat also nicht immer gut funktioniert. Aber die Forderung an die Obrigkeit, die Grundversorgung (also auch den Markt mit Grundgütern) zu regulieren, kam immer auf, wenn die Bevölkerung hungerte.
B) In Bezug auf Luxusgüter der höchsten Klasse gab es diese Beschränkungen zwar nicht, aber auch dort existierte i.d.R. kein moderner Markt, denn meist gab es keine zwei Händler, die dasselbe Gut an demselben Ort zu derselben Zeit anboten – es herrschte also keine Konkurrenz. Der Händler schaute, das er so viel Geld (Profitmaximierung!) erhielt, wie ging, ohne die Geschäftsbeziehung zu den „Reichen und Mächtigen“ dauerhaft zu gefährden. Denn wenn die sich übervorteilt fühlten, konnte es ungemütlich werden…
C) Einen echten, unregulierten Markt gab es vor Beginn der Neuzeit am ehesten noch bei Gütern, die weder Grundbedürfnisse befriedigten noch „high end“-Luxus darstellten. Mit anderen Worten: bei Gütern für den „kleinen Luxus“. Die Konsumenten waren nicht mächtig genug, um sich mit Gewalt durchzusetzen, und nicht verzweifelte genug, um für ihren Luxus einen Aufstand anzuzetteln.
–> Fazit: Für mich ist ein Markt im modernen, kapitalistischen Sinne ein Ort (natürlich nicht im wörtlichen Sinne), an dem keine oder nur wenige marktfremden (!!) Ausgleichsmechanismen existieren. Je mehr Eingriffe (z.B. Arbeitsmarkt) desto weniger Kapitalismus/Marktwirtschaft. Je weniger Eingriffe (z.B. Börse) desto mehr Kapitalismus/Marktwirtschaft.
Damit möchte ich nicht behaupten, dass unser Arbeitsmarkt gut funktionieren würde, ganz im Gegenteil. Aber so richtig kapitalistisch ist der halt trotzdem nicht.
Und ich behaupte damit auch nicht, dass es möglich ist, Marktwirtschaft „human“ zu gestalten, wenn man nur genügend reguliert und in den Markt eingreift. Die Zersplitterung der Gesellschaft in Wirtschaft, Politik und Privatleben scheint mir ein wesentliches Kernproblem zu sein, das auf diese Weise nicht behoben wird.
Letzter Hinweis: Da die o.g. Zersplitterung IMHO die Ursache ist für unsere persönliche Freiheit, die wir aktuell genießen (selbst als HartzIV-Empfänger haben wir derzeit mehr Freiheiten als vor 200 oder gar 500 Jahren), habe ich den Verdacht, dass wir entgegen unserer Hoffnungen nicht zu wenig, sondern zu viel Freiheit haben… Ui, eine starke Behauptung, ich weiß. Möchte ich aber mal zur Debatte stellen.
@Stefan #15:
Das ist zunächst mal eine These. Ich denke @Benni #16 formuliert es präziser:
Wäre das nicht der Fall, gäbe es also nur Märkte für Produkte (inklusive produzierter Produktionsmittel), wäre eine Kapitalverwertung größeren Stils nicht mehr möglich, da diese ja gerade auf der Ausbeutung der Arbeitskraft anderer (und zu einem kleineren Teil auf der Monopolisierung von Land und anderen Naturressourcen zur Generierung von Rentenzahlungen) basiert.
Allerdings müsste dann der Umgang mit Land und Arbeitskraft auf eine andere (nicht marktförmige) Weise geregelt werden. Man könnte also sagen, dass Märkte dann zwar noch ein, aber nicht mehr das bestimmende Element der gesellschaftlichen Vermittlung wären, insofern ist das gar kein Widerspruch zu deiner (Stefans) These.
Wobei ein Ende der Lohnarbeit (= Arbeitskraft als Ware) in meinem Verständnis nicht heißen kann, dass es dann nur noch Einzelunternehmer_innen gäbe, sondern dass, wer erwerbsarbeitet, dabei Teil eines Kollektivbetriebs wird, in dem alle Mitarbeitenden gleichberechtigt entscheiden können. Mir ist klar, dass damit nicht alle Probleme der heutigen Gesellschaftsorganisation gelöst sind, aber ich glaube, das geht in eine vielversprechende Richtung. Ist aber noch genauer zu durchdenken.
Stefan:
Doch, wie gesagt, die Verfechter_innen des Marktsozialismus, die sich selbstverständlich als Kapitalismuskritiker_innen verstehen, sind ebenfalls vom Konkurrenzmechanismus überzeugt — jedenfalls soweit ich sie bislang studiert habe und auch nach dem, was die Wikipedia schreibt. Insofern springen hier (manche) Kritiker_innen und Befürworter_innen selbst in den gleichen Topf.
@Katrin.
Du stellst die Behauptung in den Raum wir hätten zu viel und nicht zu wenig Freiheit. Wie genau meinst du das? Worauf bezogen? Würde eine nachkapitalistische Ökonomie die einen emanzipatorischen Anspruch hegt deiner Ansicht nach die individuelle Wahlfreiheit einschränken müssen? Wenn ja, wie passt dies mit Emanzipation zusammen?
Vielleicht kannst du deine Aussage etwas genauer ausführen. Ich bin jedenfalls neugierig wie du es meinst.
@Benni 21: Du hast die Klammer fehl-interpretiert: Es sollte nur die ökonomische Quelle dieser gehandelten „Voraussetzungen“ benannt werden. Nicht alle (gehandelten) Überschüsse (Teile des Mehrprodukts) werden als „Voraussetzungen für Innovationen“ genutzt oder lassen sich dafür verwenden – selbst heute nicht; geschweige denn vor-kapitalistisch.
Unter anderm muss Wissen einerseits grundsätzlich „Eigentums-fähig“ und durch Kauf zugänglich (ein Markt dafür da) sein, und seine Verwendung als Handelsware (Lizenzen, Patente) muss rechtlich geregelt sein. Ebenso müssen Kapitalvorschüsse für oft langwierige Forschung, Entwicklung, Markteinführung mobilisierbar sein – auch hier müssen mögliche Beteiligungs- und Finanzierungsformen (zB Aktiengesellschaften, Anleihen etc) erfunden und rechtlich abgesichert sein.
@franziska: Patente wurden erst im 19. Jahrhundert eingeführt. Wissenskapitalisierung ist wohl eher erst ein Phänomen der reelen Subsumtion und kann deswegen nicht Teil der Definition für kapitalistische Märkte an sich sein.
Aktiengesellschaften sind historisch zwar alt genug, aber da sehe ich gar nicht den entscheidenden Unterschied. Ob das Kapital jetzt von einer einzelnen Person oder von einer Gruppe von Personen aufgebracht wird ist doch für seine Eigenschaft als Kapital ziemlich egal.
Bei diesem ganzen Ansatz hab ich das Gefühl Du willst Ursache und Wirkung vertauschen. Der Zwang zur Innovation ist doch Folge der kapitalistischen Produktionsweise und nicht deren Ursache.
@Perikles #24 schreibt in Bezug auf @Katrin #22:
Bitte führt diese Diskussion, wenn ihr sie führt, anderswo (z.B. per Mail), hier würde sie zu weit vom Artikelthema wegführen — siehe Kommentarregeln.
Katrin, deinen historischen Ausführungen kann ich ansonsten zustimmen, ich möchte aber nochmal darauf hinweisen, dass ich es für falsch halte, Märkte nur als entweder (weitgehend) unreguliert oder aber fremdreguliert (durch den Staat) aufzufassen. Es gibt — wie du ja auch erwähnst — durchaus Ansätze zur Selbstregulierung, historisch etwa durch Gilden. Dass diese auch wieder Probleme mit sich bringen können — etwa Ausschluss anderer Produzenten, hohe Preise, Verhinderung von Innovationen — will ich dabei keineswegs bestreiten, finde es aber trotzdem wichtig, diese Möglichkeit — die ja historisch über lange Zeit durchaus erfolgreich war — nicht zu vergessen.
Katrin:
Ich habe inzwischen gewisse Zweifel, dass diese „Zersplitterung“ überhaupt aufgehoben werden kann — mir scheint, wer auf ein Verschwinden der Sphärentrennung setzt, verbindet dabei implizit Hoffnungen auf eine „kleine Welt“, in der sich alle persönlich kennen und alle nett zueinander sind. Die Welt ist aber viel zu komplex geworden, als dass solche Verhältnisse jemals (wieder?) hergestellt werden könnten. Daher trifft es IMHO Frigga Haug mit ihrer Vier-in-einem-Perspektive (PDF) besser, wonach es in erster Linie darauf ankommt, eine fairere Aufgabenaufteilung über die Sphärengrenzen hinweg zu erreichen anstatt auf ein Ende der Sphärentrennung zu hoffen.
Auch das ist aber eine Debatte, die zu weit ab vom Artikelthema führen würde und nicht „nebenbei“ in ein paar Kommentaren geführt werden kann, sondern — mindestens — einen eigenen Artikel bräuchte. Den übrigens prinzipiell jede_r schreiben kann, siehe auch wieder unter Mitmachen!
@Christian
Ich halte es ebenfalls für zweifelhaft ob die Arbeitsteilung und die Aufteilung in Konsumenten und Produzenten vollkommen aufgehoben werden kann. Jenseits kleiner und überschaubarer Produktionszusammenhänge halte ich eine Vollidentität von Produktion und Konsumtion jenseits institutioneller Vermittlung in einer Massengesellschaft für schwerlich vorstellbar. Vor allem wenn individuelle Konsumwahlfreiheit gewährleistet bleiben soll (was m.M.n. unerlässlich ist, will man keine Verwaltungszentrale haben die alles überblickt und festlegt).
Denkbar ist aber eine institutionelle Vermittlung von Produktions- und Konsumgenossenschaften über Wirtschaftsräte oder ähnliche Dachverbände. Die Überlegungen des Gildensozialismus (https://de.wikipedia.org/wiki/Gildensozialismus) gehen in diese Richtung.
Beispielsweise war Karl Polanyi ein Sympathiesant einer Assoziation von modernen „Gilden“ und „Zünfte“ als mögliche Organisierung einer nachkapitalistischen Gesellschaft. Leider weiß ich nicht mehr wie seine Schrift heißt in welcher er seine Vorstellungen darlegt.
Eine weitere Frage besteht wie das Verhältnis zwischen Politik und Wirtschaft neu zu ordnen wäre. Womit die Frage besteht ob „sozialisierte Märkte“ im Stile des „Gildensozialismus“ es leisten können die Sphärentrennung zwischen Politik und Wirtschaft aufzuheben oder zumindest zu reduzieren und derart zu vermitteln, dass der Staat nur als eine von den Gemeinden und „Gilden“ abgeleitete Souveränität verstanden werden kann und somit keiner mehr im heutigen Sinne wäre. Entsprechende Entwicklungen gab es ja z.B. im Mittelalter mit den Städtebünden.
PS: Habe den Polyanyi-Artikel doch noch gefunden. Darin beschäftigt er sich mit dem Verhältnis von Märkten im (Gilden-)Sozialismus und der Problematik der sozialistischen Rechnungslegung (hier auf Deutsch: http://kpolanyi.scoolaid.net:8080/xmlui/handle/10694/155 – hier auf Englisch: http://eprints.lse.ac.uk/68105/1/Woodruff_Socialist%20accounting_2016.pdf)
Ludwig von Mises reagierte damals auf Polanyis Ausführungen und kritisierte diese: http://www.mises.de/public_home/article/193
@Benni: zur Patentrecht-Geschichte Wikipedia. engl. Statute of Monopolies 1624. deutsche Patentgesetze: ab BEGINN 19.Jh. (früh-industrielle Bedingungen in D)
kursive Neben-Bemerkungen bitte überspringen, falls sonst tl;dr
a) Mein Punkt war und ist: Kapitalismus beginnt zu „herrschen“, oder ein Markt oder eine Marktwirtschaft beginnen kapitalistisch zu werden, wenn und im Mass, wie sich Konkurrenzvorteile (Kosteneinsparung= Preis-Flexibilität und/oder Gewinnerhöhung) an einem Markt vor allem durch neu hinzukommende, innovative Produkte oder Herstellung bereits angebotener Produkte mit produktiveren Produktionsmethoden*) erzielen lassen, weshalb alle sachlichen Voraussetzungen für solche Innovationen (soweit private Verfügung darüber rechtlich zugestanden ist: Patentierung; Markenschutz; Investment-Beteiligung, Kredit(rück)forderung) zunehmend auch gehandelt werden (es gibt einen Markt dafür).
*) im einfachsten Fall beruhen diese auf Skalenvorteilen, somit auf quantitativer Ausdehnung der Produktion bzw Ausweitung von Marktanteilen
b) Nicht der ZWANG zur Innovation steht am Anfang; sondern die Flut an CHANCEN zu einer solchen incl. Chancen zu deren befristeten Verwertung, und dazu gehören eben auch Know-how (uU technisch angewandte Naturwissenschaft; speziell aber Ingenieurswissen), motivierte Arbeitskräfte, Investitions-freundliche Rechtssetzung (ev sogar staatliche Subventionierung), Absatzmärkte für ständig billigere Produkte (was wiederum weitere Innovationen befördert).
Anm. Das mit den Aktien ist nicht ganz egal, weil Kapitalgrösse eine Zutrittsschranke gerade für Innovationen ist: Kapitalsammlung und rechtlich sichere Abwicklung des Investments mehrerer Kapitalgeber (auch als Kreditgeber/empfänger) ist darum entscheidend.
Anm. Vergleich es nochmal mit der bestrittenen Ausgangs-These, wonach Kapitalismus dort realisiert sei, wo Land und Arbeitskraft „regelmäßig und überwiegend auf dem Markt gehandelt werden“. Land wurde früher ge- und verkauft; immer grössere Teile der Gesamt-Arbeitskraft (workforce) mussten erstmal aus der Landwirtschaft freigesetzt und mit Lohn reproduzierbar werden – das setzte bereits „kapitalistische“ Produktivitäts-Steigerungen voraus – den „Agrarkapitalismus“. – Ich frage mich, nebenbei, warum die Einbeziehung von Land (Rohstoffquellen, Ackerland: „Natur“) und Arbeitskraft als handelbare „Waren“ in entsprechende Märkte für euch als Kap.kriterium so wichtig ist. Kann es sein, dass da die Marxsche Theorie von Arbeit und Natur als den zwei Reichtumsquellen eine Rolle spielt? (darüber wäre dann zu diskutieren…)
Anm. „Chance“ (auch zur Lösung eines problems) steht immer am Anfang einer Epoche; dann kommen die Folgekosten und „Zwänge“; dann die Krise: in der zumindest spürbar wird, dass der (materiellen und gesellschaftlichen) Epochen-Zivilisationsstufe etwas Entscheidendes fehlt. Was es ist, das zumindest zentrale Probleme der Vorepoche löst, und insofern (als nächst-zu-entwickelndes) „fehlte“ zeigt sich, wenn Pioniere es hinreichend bis zu einem neuen „Paradigma“ (des Verhältnisses zu Welt und Andern) entwickelt haben.
Anm. Viele Kontroversen über Vor-Geschichte des Kapitalismus beruhen nach meiner Einschätzung auf einem historisch uninformierten bzw aus politischen Interessen hin-frisierten geschichtstheoretischen Vorurteil der marxistischen Tradition über die Vor-Epoche des Kapitalismus unter dem Namen „Feudalismus“. (Da gibt es immerhin Welthandel und frühneuzeitliche Staaten… und zivilisatorisch nachholende“Kolonien“. Vergleicht das mal mit sog. „Frühmittelalter“; und diese beiden widerum mit „Hochmittelalter“. Nach meinem Dafürhalten drei materiell fundamental unterschiedene Epochen.)
c) Wenn wir uns die historischen Beispiele wechselseitig um die Ohren hauen, dann doch immer, weil wir versuchen, den entscheidenden Schritt zu bestimmen, das Kern-Charakteristikum, das den Unterschied macht (keimform-theoretisch gesprochen: das den Funktionswechsel herbeiführt). Also prüfe ich nochmal auch mein Kriterium am historischen Verlauf: Kapitalismus gibt es genau darum in der früh-industriellen Phase VOR der eigentlichen industriellen Revolution (Mechanisierung mit Dampfmaschinen; Eisenbahn), weil der Austausch von Wissen und Produktionsmethoden durch die erste „Globalisierung“ (Kolonien, weltweiter Fern-Handel) und die sich durchsetzende innerbetriebliche Rationalisierungs-Strategie der „Manufaktur“ Massen an Produktivitäts-steigernden und zugleich Investitions-bedürftigen Innovationen erlaubte. Dieser Kapitalbedarf vervielfachte sich aber im Mass, wie Wissenschaft als Produktivkraft technologisch umgesetzt werden sollte: Die Industrie selbst war (und ist in vielen Hinsichten bis heute) ja ihr eigenes Labor, etwa was Metallurgie, Stahl-Herstellungsverfahren, Dampfkessel (explodierten!), aber auch „Feldversuche“ im Agrarwesen anging. Da war nichts sicher (Unternehmerrisiko!), und unzählige Vermögen wurden eben auch bei fehlschlagenden Experimenten und Unternehmensgründungen vernichtet. Die Wahrnehmung der Chancen durch die einen bedeutete dann Zwang für die andern – aber das war der allgemeine Markt-Konkurrenz-Mechanismus.
d) Die Frage oben, Benni, was das für eigenartige Märkte sind, wenn Land bzw dessen Produkte und Arbeitskraft nicht mehr über Angebot und Nachfrage bepreist und befristet von „Käufern“ (Pächtern, Investoren, Arbeitgebern), mit „Produktionsmitteln (ohne Rohprodukte)“ kombiniert, in erwartbar „lohnenden“ Warenproduktionen genutzt werden – die bezog sich, nochmal gesagt, durchaus auf die begriffliche Fragestellung. Eigenartige Markt-Verhältnisse sind das darum, weil durch Verbot des individuellen Anbietens von Landnutzung (befristet oder auf Dauer, durch Verkauf) und/oder Arbeitskraft (immer befristet) an sich automatisch (Anbieter-, Nutzer-)Kartelle geschaffen werden. Wenn zB Prod.mittel isoliert Privateigentum bleiben, und ihre Nutzung Nichteigentümern vorenthalten werden kann – dann wäre die Frage, was eine „marktförmige“ Behandlung dieses Sachverhalts noch auszeichnen würde: Ob, etwa, die Gemeinschaft der Kollektiv-Land- und Arbeitskraft-Eigentümer (wie immer sie deren Anwendung unter sich regeln) dann mit Prod.mittel-Eigentümern die Pacht/Miete für befristete Nutzung (Leasing-artig) aushandelt; den Prod.mittel-Eigentümern ist ja offenbar „Ankauf“ von Arbeitskraft untersagt. Entscheidend ist dann, wer da eigentlich die Regie über die Verteilung von Produktionsfaktoren auf Produktionsziele übernimmt (Produktionsmittel-leasende Genossenschaften von Produzenten?); wer sich das Produkt aneignet, ob es „marktförmig“ verkauft und mit „marktförmig“ oder aber kartellartig ausgehandelten Einkommen der Prod.faktor-Eigentümer (gemeinschaft(en)) erworben werden kann. Der Witz ist, dass auch Prod.mittel re-produziert werden müssen (so wie Gebäude); die Leasing-Kosten für Prod.mittel müssten sich grundsätzlich an Lebensdauer und Wiederbeschaffungswert orientieren. Wie immer, lässt sich auch hier annehmen, dass solch „eigenartige“ Teil-Märkte für Produktionsfaktor-Klassen in statischen Verhältnissen irgendwann zu haltbaren Preisgefügen finden. Die Probleme entstehen (wie ich immer wieder betone), wenn die Produktionsweise in allen Branchen ständig umgewälzt wird. Und das hat – solange Innovationen und die für sie nötigen Überschüsse nicht anderweitig geplant und bestimmt werden – eine Verteilung der Teilhabe an Innovations-Voraussetzungen nach Angebot und Nachfrage, allgemein: kapitalistische Verhältnisse zur Voraussetzung,
e) Im Kontext von Christians Fragestellung bzgl der Möglichkeit von Märkten, denen der kapitalistische Zahn gezogen ist, lautet die (aus meiner Definition folgende) These: Wenn auf Innovation nicht verzichtet werden soll, darf über Ausmass und Verwendung der für Innovationen nötigen Überschüsse über die blosse Reproduktion (uU auch Vervielfachung bestehender Produktion „ceteris paribus“, also ohne Skalenvor- oder Nachteile; sehr irreale Bedingung!) hinaus nicht durch Angebot und Nachfrage (dann wohl: Handel zwischen nicht kartellartig auftretenden Überschuss-Eigentümern (keine Ologo/Mono-Pole/Opsone) entschieden werden. Sonst… ist es leider Kapitalismus. Zumindest nach meiner Definition. – Was gäbe es gegen diesen Kap.begriff einzuwenden?
f) Das Problem nicht-eigentumsförmiger, kollektiver, inklusiver, unkonditionierter usw Produktions-Organisation stellt sich beim Umgang nicht mit statischer Reproduktion (allerdings: wo gibts die, spätestens in fortgeschrittenen Industriegesellschaften?); sondern mit Innovation (und Grösse und Verteilung des Reichtums, der dafür aufzubringen ist). Das ist die eigentlich von mir vertretene These.
@franziska: ich bleibe dabei, ich glaube du beschreibst den schritt von der formellen zur reelen subsumtion unters kapital und nicht die entstehung des kapitalismus. aber ich schlage vor, wir lassen es dabei erst mal stehen.
Ok, aber ist die weitgehende Einbeziehung von Land und Arbeitskraft in den Markt (als (zT befristet) verkäufliche/vermietete und so auch gekaufte/gemietete) Güter dann etws andres als Subsumtion (wenn nein, könntest du kurz nochmal den Begriff der Subsumtion erläutern?)? Ist die Kontroverse nicht eher eine darüber, für Güter welcher Art ((un)befristet) es einen Markt geben muss, damit man (sinnvollerweise) von Kapitalismus spricht? Dein Gedanke, Benni, ist doch: Wenn „Innovation“ subsumiert wird, ist der Kap. schon da – weil Land und Arbeitskraft wesentlich markt-gängige Güter geworden sind. Der Gedanke mit der Subsumtion wiederholt also bloss die ursprüngliche Kontroverse: Wann wird eine Marktwirtschaft „kapitalistisch“?
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Die Diskussion über das entscheidende Differenz-Merkmal, durch das spezifisch kapitalistische Märkte sich von anderen unterscheiden, bezieht sich unmittelbar auf Christians Ausgangsartikel. Denn, wenn der Unterschied, auf den ICH hinweise, tatsächlich der entscheidende ist: Dann liegt der auf der Produktivkraftebene und eben nicht „nur“ auf der des Produktionsverhältnisses. Ich sage doch: Moderne Dauer-Umwälzung der Produktionstechnik (Produktivitätssteigerungen mit der Option, noch weiter führende Innovationen erforchen, erproben, umsetzen zu können und produktiver zu machen, um dasselbe zu wiederholen) ist auf die kapitalistische SCHEIN-Form ihrer Abbildung (in Preisen), Motivierung (Aussicht auf vorübergehende Innovationsgewinne) und Erzwingung (Verdrängung nichtinnovativer betriebe vom Markt) angewiesen. Sobald aber kollektive Zwecke ins Spiel kommen, rückt das Problem der Übersicht über die Gesamt-Information, die rationalen Entscheidungen im Konsens über den Verlauf des Gesamtprozesses zugrundeliegt, ins Zentrum.
Es geht hier nicht gegen eine „Gesellschaft, die an Arbeitsteilung festhält — und letztere halte ich für unhintergehbar (ich weiß, dass du das ggf. anders siehst)“ (Christian oben in 11), oder umgekehrt darum „ob die Arbeitsteilung und die Aufteilung in Konsumenten und Produzenten vollkommen aufgehoben werden kann“ (Perikles 28) – schon garnicht unter Bedingungen einer statischen, wenn auch auf hoher Stufenleiter zum Stillstand kommenden Reproduktion. Es geht darum, ob man dahin kommt, den Forschungs- und Entwicklungsprozess (darauf beruhende Arbeitsteilung) entlang von bewusst und im Konsens gesetzten Werten, Zeilen, Zwecken, auf sie hin, zu entwerfen und zu steuern. Was hier eben nicht ab-geteilt, ab-getrennt im Sinne der Exklusion, sondern ge-teilt, im Sinne der Inklusion, werden soll, sind, wie HHH oben in seinem Beitrag 14 sehr zurecht sagt, „Mühen, Genuss / Entwicklungschancen, Sorge (etwa um die
Reproduktionsfähigkeit der Naturreichtümen), Regelsetzen und Kontrolle
ihrer Einhaltung“ durfch ALLE.
(Verständiges) Entscheiden und ihm zugrundeliegendes Wissen können nicht beliebig delegiert werden. Das ist, meine ich, unser, und zugleich das nächste Epochenthema.
Und, nochmal: nicht-kapitalistische Märkte in statischen Reproduktionen (auch auf hohem Niveau) mögen die und jene Verteilung regulieren, produktion und Konsum vermitteln. Das meiste, was Hans-Hermann anspricht, liegt aber jenseits davon: Ich habe in der Moderne eine Stellung zur „Entwicklung aller“; und diese Stellung (so wie die jedes und jeder anderen) ist an meine eigne (und an die jedes (jeder anderen) Entwicklung (mein Wissen um das Ganze; meine Verarbeitungsfähigkeit für dieses Wissen) gebunden.
Prognose (in Bennis Terminologie):
Diejenige Lebens- oder Elementarform…
(mit unmittelbar stofflich wie aus direkt und indirekt darauf bezogenen Motiven begründeten „elementaren Handlungen“ und einer von allen bewusst geteilten und weiter-entwickelten „Bedeutungsstruktur“)
…wird sich in mittleren Fristen durchsetzen, die genau diese Bedingung erfüllt.
Anm. Die Prognose ist beinah schon eine Tautologie; ich bin heute nicht wirklich vergesellschaftet mit andern, Produzenten oder Konsumenten, denen der Entwicklungsprozess egal ist, oder die Einsicht und Bestimmung darüber delegieren, womöglich an „meritokratische“ Eliten. Mit diesen Leuten lebe ich nicht in derselben Gesellschaft, wir sind komplett getrennt, das Zusammenleben und -wirken mit ihnen ist anarchisch oder besser, anomisch, und völlig unberechenbar. Genau so erlebe ich auch meine nähere und weitere Umgebung; als eine, angesichts dieser beinah-anomischen Vergesellschaftung extrem prekäre und gefährdete. Nächste Woche könnte der Nuklearabtausch losgehen, und die Gesellschaften sind machtlos dagegen. SO sind die Verhältnisse, in denen wir gegenwsärtig vegetieren.
@franziska: Ich stimme dir soweit zu, dass man anhand rein abstrakter Kriterien wie „es gibt keinen Markt für X“ nicht entscheiden kann, ob eine Gesellschaft kapitalistisch dominiert wäre oder nicht. Dafür müsste man sich vielmehr genauer anschauen, wie die Dinge stattdessen funktionieren — also wenn es keinen Markt für Lohnarbeit gibt, aber weiterhin Geld und deshalb jedenfalls den Anreiz und vielleicht auch die Notwendigkeit, es zu verdienen, wie geht das dann? Würde der offizielle Arbeitsmarkt nicht womöglich nur durch einen inoffiziellen (Schwarz-)Markt ersetzt, so dass sich faktisch nicht viel ändert?
Derartige Fragen muss man anhand eines skizzierten Alternativansatzes kritisch durchdenken. Dafür muss die Alternative aber erstmal einigermaßen ausgearbeitet auf dem Tisch liegen, weshalb es im Kontext dieser Vorüberlegungen zu früh ist, solche Fragen entscheiden zu wollen. Ich glaube zudem, dass eine nichtkapitalistische Gesellschaft, in der Märkte aber noch eine größere Rolle spielen würden (ob man dann noch sinnvoll von „Marktwirtschaft“ reden kann oder nicht, wäre dann auch noch zu diskutieren), nicht nur eine Änderung erfordern würde (wie die Aufhebung des Marktes für Lohnarbeit), sondern eine ganze Reihe. Insofern macht es wirklich keinen Sinn, sich an solch einem Einzelpunkt aufzuhängen und zu glauben, durch Pauschalantworten zu diesem Einzelpunkt schon zu einem abschließenden Urteil kommen zu können.
Im Übrigen habe ich mein Kriterium für die kapitalistische Produktionsweise (als Kern jeder kapitalistischen Gesellschaft) schon genannt:
@Christian: Die dynamische (Innovations- und Investitions-trächtige) Komponente ist in deinem Kriterium versteckt in den beiden Begriffen „profitorientiert“ und (wichtiger) „in Konkurrenz“.
Der etwas lang geratene kursive Punkt d) in meinem Beitrag 30 oben sollte nur Konsequenzen nach der „Aufhebungsseite“ durchspielen, wenn „(das gesamte) Land und die Arbeitskraft werden als Waren gehandelt“ das entscheidende Kap.Kriterium wären – um herauszufinden, was vom Kap. mit der Unterbindung solchen Handels verschwinden würde, und was nicht.
Natürlich war meine Absicht dabei nicht, „durch Pauschalantworten zu diesem Einzelpunkt schon zu einem abschließenden Urteil kommen zu können“, und wenn deine Vorüberlegungen zu Entwürfen von Alternativskizzen führen, in denen kritisch zu durchdenken ist, was sich alles mit-ändern müsste, dann kann ich das nur begrüssen.
Beide Seiten, die Theorie des Bestehenden und seiner notwendigen Schädlichkeit ebenso wie die rationale Konstruktion der Alternative (Utopie und Transformation), gehören, weil begrifflich eng aneinander gebunden, gleichermassen zur „(Kritik der) Politischen Ökonomie“.
Wodurch entsteht Konkurrenz? Die Antwort ist relativ einfach. Da Angebot und Nachfrage, aus verschiedenen Gründen, nicht exakt gleich sind wird es immer zu einer Konkurrenz geben. Manchmal hilft es einen Blick in die Realität zu werfen.