Vorzüge und Abwandlungen des Freiwilligenspiels
(Voriger Artikel: Das Freiwilligenspiel)
Das vorgeschlagene Freiwilligenspiel zur selbstorganisierten Arbeitsaufteilung vermeidet weitgehend die Nachteile eines ganz informellen Modells der reinen Freiwilligkeit. Reine Freiwilligkeit kann zu einer äußerst unausgewogenen Lastenverteilung führen: Einzelne übernehmen möglicherweise viel mehr oder viel undankbarere (auch für ihr eigenes Empfinden) Aufgaben als andere, um zu verhindern, dass sie sonst womöglich liegen bleiben. Auch Verantwortungsgefühl gegenüber der Community kann dazu führen, das manche immer mehr Aufgaben übernehmen, da es kein Feedback dazu gibt, was von einer erwartet wird und wann man genug getan hat. Beim Freiwilligenspiel kann sich zwar jeder nach eigenem Ermessen stärker oder weniger stark engagieren, doch weiß man dabei immer, wie man relativ zum Durchschnittsbeitrag steht.
Bei reiner Freiwilligkeit droht auch, dass die Bedürfnisse derer, die etwas nicht selbst erledigen können, womöglich auf der Strecke bleiben, wenn sich niemand anders hinreichend motiviert fühlt, sich darum zu kümmern. Beim Freiwilligenspiel werden alle für die Organisation der umfassenden Quasi-Flatrate nötigen Aufgaben aufgeteilt und jede Freiwillige trägt ihren Anteil dazu bei. Das Raymond’sche „scratching an itch“ – etwas machen, dessen Ergebnisse einem selber wichtig sind (Raymond 2001) – ist hier als Motivator also weniger bedeutend. Ich kann ohne Weiteres Dinge machen, die mir liegen und die anderen zugute kommen und zugleich darauf vertrauen, dass sich andere um die für mich wichtigen Dinge kümmern.
Dass als wichtig empfundene Aufgaben womöglich liegen bleiben, weil alle lieber anderes machen, kann zwar nicht ganz ausgeschlossen werden, doch können die Syndikate dem zumindest entgegen wirken durch das Höhergewichten von „unbeliebten“ Aufgaben, für die es an Freiwilligen fehlt. Reine Freiwilligkeit kann auch langfristige Planung und Großprojekte schwierig machen, weil unklar ist, ob die interessierten Freiwilligen lange genug dabei bleiben und ob sich andernfalls motivierte Nachfolger für sie finden. Im Freiwilligenspiel ist das einfacher: Hat sich die Gesellschaft zur Durchführung eines Projekts entschlossen, werden alle dafür nötigen Aufgaben aufgeteilt und kommen potenziell für alle, die ihren Teil zur gesellschaftlichen Reproduktion beitragen wollen, in Frage.
Die problematischen Aspekte der Arbeitsteilung in traditionellen Commons sollten ebenfalls nicht auftreten. In traditionellen Commons hat die Einzelne kaum Wahlmöglichkeiten in Bezug auf die zu leistenden Aufgaben. Beim Freiwilligenspiel suchen sich alle gezielt die Tätigkeiten aus, die sie erledigen möchten, weil sie Lust darauf haben oder gut darin sind. Deshalb (und weil Aufgaben bei Bedarf hochgewichtet werden können) eignet sich das Spiel auch für die Organisation komplexer arbeitsteiliger Prozesse mit Dutzenden oder Hunderten unterschiedlicher Aufgaben, die verschiedene Talente und Qualifikationen erfordern. In traditionellen Commons werden dagegen meist nur relativ gleichförmige Arbeitspakete aufgeteilt. Alle müssen alles machen können oder Traditionen diktiert den Einzelnen, was sie zu tun haben, etwa in Form unterschiedlicher Geschlechterrollen.
In traditionellen Commons besteht in der Regel zudem eine Beitragspflicht. Ein individuelles Opt-out ist schwierig und muss von der Community akzeptiert werden. Im Freiwilligenspiel wird die Entscheidung zur Beteiligung und ihr genauer Umfang dagegen von den Einzelnen getroffen und muss nicht begründet werden.
„Trittbrettfahrer“-Risiko und Beitragspflicht
Dass alle diese Entscheidung individuell treffen, führt allerdings auch zu dem Risiko, dass das Spiel mangels Freiwilliger kollabieren könnte. Jede Einzelne hat die Möglichkeit, sich als Freiwillige zu beteiligen oder nicht, kann aber in jedem Fall die produzierten Güter nutzen. Je mehr Menschen sich also nicht oder nur in geringem Maße beteiligen, desto höher wird die Arbeitsbelastung für die verbleibenden Freiwilligen.
Eine sinkende aktive Beteiligung könnte so zu einem Teufelskreis führen: Die noch Aktiven haben einerseits immer mehr zu tun und sehen andererseits immer mehr „Trittbrettfahrer“, die es sich auf ihre Kosten gut gehen lassen. Das könnte weitere Freiwillige zum Ausstieg bewegen und so bald das völlige Scheitern des Spiels bewirken. Dann hätten auch die Trittbrettfahrerinnen Pech gehabt; eine andere Lösung zur Aufteilung der anfallenden Tätigkeiten müsste gefunden werden.
In diesem Fall wäre eine Beitragspflicht nach dem Modell der traditionellen Commons die naheliegende Lösung. Die Erbringung des Durchschnittsbeitrags wäre dann nicht länger freiwillig, sondern für alle arbeitsfähigen Erwachsenen (z.B. zwischen 18 und 63) verpflichtend, sofern sie die per Quasiflat hergestellten Güter im vollem Umfang nutzen wollen. Individuell gewünschte Befreiungen von der Beitragspflicht wären zwar möglich, müssten aber beantragt und begründet werden. Die Koregion müsste ein Gremium einsetzen (z.B. per Los oder Wahl), das über solche Befreiungen entscheidet.
Verweigert man die eigenen Beteiligung, ohne dafür Gründe vorzubringen, die das Gremium akzeptiert, wären Sanktionen die unvermeidliche Konsequenz (andernfalls bestünde die Beitragspflicht nur auf dem Papier). Der Zugang zu bestimmten per Quasiflat zugänglich gemachten Gütern könnte verweigert oder eingeschränkt werden. Allerdings dürften die drohenden Sanktionen meiner Meinung nach nicht so gravierend sein, dass sie das Leben oder die Gesundheit der betroffenen Person gefährden könnten, da niemand das Recht hat, über Leben und Tod anderer Menschen zu entscheiden. Zumindest die Befriedigung lebenswichtiger Grundbedürfnisse müsste also weiterhin möglich sein.
Die Aufteilung der notwendigen Arbeiten würde durch die Beitragspflicht bürokratischer werden. Die Motivation vieler Beteiligter würde wahrscheinlich ein Stück weit sinken, weil sie nicht mehr freiwillig beitragen, sondern ihren Pflichtanteil erfüllen müssen. Dennoch würde sich auch diese Version der Quasiflat deutlich vom kapitalistischen Modell unterscheiden: Die Menschen würden die Erledigung der nötigen Aufgaben weiterhin unter sich aufteilen und so gemeinsam für die Befriedigung der Bedürfnisse aller arbeiten. Niemand müsste sich in Konkurrenz mit ungewissem Ausgang gegen andere durchsetzen.
Allerdings ist das Risiko, dass aufgrund zu vieler „Trittbrettfahrer“ eine Beitragspflicht nötig wird, meiner Einschätzung nach viel geringer als es heute scheinen mag. Menschen haben nicht nur konsumtive, sondern auch produktive Bedürfnisse – jahrein, jahraus nur bequem am Strand zu liegen oder Internetvideos zu gucken, würde wahrscheinlich die wenigsten dauerhaft glücklich machen. Gleichzeitig würde ein Trittbrettfahrerverhalten zur psychologisch unbefriedigenden Situation einer einseitigen Abhängigkeit führen. Man ist von anderen abhängig, ohne deren Aktivitäten man nicht überleben könnte (das gilt für alle Menschen in jeder Gesellschaft), gleichzeitig tut man aber nichts für andere, was die einseitige in eine gegenseitige Abhängigkeit auflösen würde. Auch die eventuell von Freundinnen oder Bekannten gezeigte Irritation oder Missbilligung, wenn man im Gegensatz zu ihnen nichts beiträgt, könnte eine abschreckende Wirkung entfalten.
Und nicht zuletzt ist das Freiwilligenspiel so konzipiert, dass es der Einzelnen leicht zugängliche Informationen dazu bietet, in welchem Umfang und auf welche Weisen sie sich an der allgemeinen gesellschaftlichen Vorsorge beteiligen kann. Dieses Feedback verpflichtet zwar zu nichts, dürfte aber den Effekt haben, dass man die eigene Rolle im gesellschaftlichen Prozess überdenkt und sich entsprechend verhält.
„Entbürokratisierung“ zur reinen Freiwilligkeit
Auch wenn es niemand formelle Pflichten auferlegt, ist das Freiwilligenspiel immer noch mit einer gewissen Bürokratie verbunden. Das wäre unnötig, wenn die Menschen die anfallenden Tätigkeiten spontan unter sich aufteilen würden, ohne auf die Feedbackmechanismen des Freiwilligenspiels angewiesen zu sein. Es dürfte auch dann noch Listen der zu erledigenden Aufgaben und der auszufüllenden Tätigkeitsfelder geben, doch alle würden spontan im eigenen Ermessen entscheiden, ob und in welchem Umfang sie sich einbringen. Wenn sich dies als ausreichend erweist, um für alle gewünschten Tätigkeiten jemand zu finden, der sie zum richtigen Zeitpunkt erledigt, würden die Bieterrunden und die Zeiterfassung des Freiwilligenspiels überflüssig.
Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn der Wunsch vieler Menschen, sich auf sinnvolle und für andere nützliche Weise zu betätigen, groß genug ist, um alle zu erledigenden Aufgaben abzudecken (und potenziell noch mehr). Eine Annäherung an diesen Zustand kann von zwei Seiten aus erfolgen. Einerseits dadurch, dass der Umfang der benötigten Aufgaben – insbesondere von solchen, auf die wenige Lust haben – aufgrund von höherer Automatisierung und verbesserter gesellschaftlicher Organisation zusammenschrumpft. Und andererseits dadurch, dass sich die Haltung der Menschen zur Arbeit dahingehend entwickelt, diese – zumindest in begrenztem Umfang und in ihrer selbstbestimmten und selbstorganisierten Variante – nicht mehr als lästige Notwendigkeit anzusehen, sondern als befriedigenden Teil des Lebens.
Ein völliger Verzicht auf die Feedbackmechanismen des Freiwilligenspiels ist allerdings nur dann empfehlenswert, wenn sichergestellt ist, dass die Tücken der reinen Freiwilligkeit vermieden werden. Wenn also alle mit den übernommenen Aufgaben zufrieden sind, statt dass sich manche aus Verantwortungsgefühl abrackern, während andere nur tun, worauf sie Lust haben. Sofern Eigenarbeit verbreitet ist, sollte sie nicht dazu führen, dass Einzelne ausgeschlossen werden, weil sie diese Tätigkeiten nicht selbst übernehmen können oder wollen und es niemand gibt, die sie ihnen abnimmt.
Es ist gut möglich, dass die gesellschaftliche Entwicklung in einer cosyndikalistischen Gesellschaft in diese Richtung gehen wird. Die Aushandlungsprozesse des Freiwilligenspiels könnten sich mit der Zeit als unnötig formell erweisen und zugunsten reiner, spontaner Freiwilligkeit fallen gelassen werden.
Sollte diese Entwicklung nicht eintreten, sondern sich die Spielregeln des Freiwilligenspiels (wahrscheinlich in weiterentwickelter Form) weiterhin als sinnvoll erweisen, wäre das aus meiner Sicht aber auch kein Beinbruch.
Die am Schluss des letzten Teils aufgeworfene Frage nach dem Umgang mit schlecht delegierbaren Tätigkeiten (z.B. sich um die eigenen Kinder kümmern) ist noch offen geblieben, aber der nächste Artikel kommt bestimmt.
(Fortsetzung: Nicht-aufteilbare Arbeiten im Freiwilligenspiel)
Literatur
- Raymond, Eric S. (2001): The Cathedral & the Bazaar. 2. Aufl. Sebastopol: O’Reilly.
Das erinnert mich sehr an das System von Arakis im „Planet der Habenichtse“.
@Benni: Ja, da gibt’s sicher große Ähnlichkeiten, aber auch einige Unterschiede. In Le Guins Anarchismus gibt es eine Beitragspflicht, wenn ich mich recht entsinne? Die diskutiere ich hier zwar als Möglichkeit, aber ich hoffe ja doch, dass es ohne sie gehen wird.
Und wenn ich mich nicht irre, gibt es dort eine Behörde, die die Arbeitseinsätze koordiniert und Leute dahin schickt, wo jemand gebraucht wird, auch wenn sie darauf keine Lust haben? Das finde ich hochproblematisch und denke, dass es mit freiwilliger Aufteilung und der Möglichkeit der „Höhergewichtung“ vermeidbar sein sollte.
Nein, es gibt keine Beitragspflicht auf Arakis. Aber teilweise soziale Ächtung, wenn man nicht beiträgt und teilweise eine Erziehung, die sehr früh Kinder stigmatisiert, die „egoisieren“.
Ja, es gibt eine Behörde, aber die ist auch sehr Software-driven. Der Unterschied liegt da vermutlich im (fiktiven) Detail. Ich glaube dass das bei Le Guin noch ziemlich zentralistisch gewirkt hat hat auch mit der Prä-Internet-Entstehungszeit zu tun. Möglicherweise war das auch von diesem Chilenischen System (CyberSyn) inspiriert.
„Der Zugang zu bestimmten per Quasiflat zugänglich gemachten Gütern könnte verweigert oder eingeschränkt werden“
Ich denke, das ist aus weiteren Gründen problematisch. Wenn der Durchschnittsbeitrag nicht entsprechend reduziert wird, dann werden die Güter trotzdem hergestellt und bleiben dann entweder nutzlos im Warenhaus stehen oder müssen anderen geschenkt werden, obwohl sie die nicht brauchen und nicht bestellt haben. Das ist eine Zeit- und Ressourcenverschwendung. Wenn aber der Durchschnittsbeitrag entsprechend reduziert wird (angenommen dass man im Voraus schon weiß, wie viele Trittbrettfahrer es gibt, was wahrscheinlich nicht der Fall ist), damit entsprechend weniger produziert wird, dann könnte das möglicherweise dazu führen, dass man sehr gerne auf diese Sanktionen zurückgreift, weil die anderen Menschen dann weniger Arbeit zu leisten haben, ohne dass ihr eigener Zugang eingeschränkt wird. Das könnte sogar mit der Zeit die Basis eines neuen Klassenkonflikts werden. Ist das vielleicht übertrieben?
Du hast die Beitragspflicht aber schon als problematisch dargestellt, deshalb glaube/hoffe ich, wir sind mehr oder weniger dergleichen Meinung. Zum Freiwilligenspiel selbst hab ich gar keine Einwendungen 🙂
Ich habe den Eindruck, dieses System (Quasiflat) ist hauptsächlich für gemeinschaftlich notwendige Dienstleistungen und nicht für Luxusgüter gedacht, oder? Dann wäre es sowieso nicht möglich, den Zugang der Trittbrettfahrer einzuschränken, weil es sich schon immer um Grundbedürfnisse handelt. Das Freiwilligenspiel könnte auch für Luxusgüter funktionieren, denke ich. Ich erwartete aber, Du wolltest für Luxusgüter eine neue Version des Systems von deinem Buch vorschlagen, wobei der Verbraucher für die notwendige Arbeit zuständig ist.
Ich freue mich drauf, Deine Meinungen zu lesen, da ich dieses Thema äußerst wichtig und interessant finde. (Ich bitte um Entschuldigung, wenn es hier Fehler gibt / etwas sinnlos ist; Deutsch ist nicht meine Sprache!)
Hallo Justin, danke für deinen Beitrag, dein deutsch ist sehr gut zu verstehen! 🙂
Ich denke nicht, denn tatsächlich würden die anderen ja immer noch mehr zu tun haben im Vergleich zu der Variante, dass die „Trittbrettfahrer_innen“ eben nicht Trittbrett fahren, sondern selbst etwas beitragen. Zum einen, weil diese ja auf jeden Fall gewisse Grundbedürfnisse haben, von denen die anderen sie nicht abschneiden können. Und zum anderen aufgrund der „economies of scale“ — wenn 10% weniger von etwas produziert werden, verringert sich die nötige Arbeit in den wenigsten Fällen um 10%, sondern vielleicht um 5 bis 8% — wenn überhaupt.
Ja, ich denke eben, dass sowas eventuell nötig werden könnte, aber besser fände ich es auf jeden Fall, wenn es ohne ginge!
Also der Übergang zwischen Grundbedarf und Luxusgütern ist ja fließend. Grundsätzlich ist das Konzept auf jeden Fall auch für letztere gedacht, solange eine Mehrheit der Bewohner_innen der jeweiligen Region damit einverstanden ist, diese Dinge allen Interessent_innen zugänglich zu machen und den dafür nötigen Aufwand zu teilen.
Wo das nicht der Fall ist, können sich die Interessent_innen wiederum selbst zusammentun und den Aufwand in irgendeiner Form teilen, ja.
Grundsätzlich bin ich mit der Quasiflat in der vorgeschlagenen Variante noch nicht so ganz glücklich, weil es eben fest umrissene Regionen dafür braucht und in jeder Region Abstimmungen dazu, was Teil der Quasiflat werden soll. Lieber wäre mit ein „stigmergischeres“ System, das keine klaren Grenzen und keine Abstimmungen braucht, sondern auf freiwilliger Selbstorganisation basiert — wo Leute sich zusammen tun, um für alle in ihrer Nachbarschaft bestimmte Güter/Dienste/Infrastrukturen bereitzustellen. Muss aber noch etwas in mich gehen, bevor ich mehr dazu schreibe.
Was die Beitragspflicht angeht: einverstanden.
Ich würde sagen, dieses System weicht ziemlich weit von demjenigen Deines Buchs ab. Das System des Buchs („peerconomy“) ist doch „stigmergischer“ und braucht keine Abstimmungen dieser Art, hat aber immer noch eine Art Quasiflat mit eingeschlossen, in Form der sogenannten lokalen Assoziation (die eine Beitragspflicht haben sollte).
Bei „peerconomy“ kann die Menge der Arbeit jeder Zeit steigen oder sinken und die Beitragenden suchen sich stigmergisch ihre Arbeit aus. Kurz: Selbstorganisation. Dagegen ist es bei der Quasiflat im Voraus bekannt, wieviel Arbeit zu leisten ist und auch wer es zu tun hat. Deswegen könnte man sagen, die Quasiflat ist eine Art Planwirtschaft.
Es wäre interessant, wenn du deine Gedanken beim Wechsel von dem einen zum anderen System kurz erleuchten könntest…? Ich denke, der größte Nachteil von peerconomy war es, dass neben den hier genannten Nachteilen einer Beitragspflicht auch ein vielleicht bürokratisches ‚Befreiungssystem‘ notwendig ist.
Ich auch denke, dass beide Systeme zusammenleben können. Das heißt, einige Produkte und Dienste werden geplant und durch die Quasiflat bereitgestellt. Für den Rest sorgen Peer-Projekte. Für diese müssten Verbraucher_innen oder Beitragende selbst die notwendige Arbeit leisten, könnten aber ihren Beitrag zu beliebigen Peer-Projekten beisteuern. In diesem Fall wäre es unmöglich, zu Projekten der Quasiflat beizusteuern, weil diese Arbeit schon durchs Freiwilligenspiel ‚erledigt‘ ist.
Ein Peer-Projekt dürfte sich aber bei der lokalen Assoziation „Kollektivierung der Arbeit“ beantragen. Es müsste nachweisen, dass das Projekt zum Wohle der Gemeinschaft zur Verfügung steht und müsste eine Schätzung der Arbeitmenge abgeben. Dann fände eine Abstimmung statt. Danach wäre die Arbeit Teil des Freiwilligenspiels.
Jedoch gäbe es vielleicht einen Mittelweg. Einige Peer-Projekte bräuchten wohl „Inputs“, z.B. Rohstoffe, die vielleicht schon Teil der im Rahmen der Quasiflat organisierte Arbeit sind. Dann könnte diese Arbeit nach Abstimmung kollektiviert werden, um sich genau diese „economies of scale“ zunutze zu machen 🙂 Für den Rest der Arbeit (d.h. die Herstellung selbst) wären dann die Beitragenden selbst verantwortlich, und sie könnten den Aufwand ihren Nutzer_innen weiterleiten. (Es gibt wohl zwischen diesen Gruppen keinen deutlichen Unterschied.)
In der anarchistischen Literatur gibt es auch eine (kleine) Debatte über die Beitragspflicht und Funktionsweise der Wirtschaft, jedoch ist die „Postrevolution“ für die meisten Anarchist_innen von geringerer Bedeutung, was mich immer zu Wundern bringt. Es ist eine wichtige Debatte!
Kropotkin hat in einem seiner Bücher ein Beispiel angegeben, wobei eine Person „einfach“ einen Anteil der Arbeit in der Klavierfabrik beisteuert, um „bald“ ihr eigenes Klavier nach Hause mitnehmen zu können. Es fehlen aber weitere Details. Kropotkin war bestimmt Vertreter der freien Selbstorganisation. Er fühlte sich bestimmt bei der heutigen Peer-Produktion zu Hause. Murray Bookchin war aber Vertreter der Kollektivierung, eine demokratisch geplante Wirtschaft. Ein solches System taucht auch bei Michael Alberts Parecon auf. Der Punkt: es gibt unterschiedliche Meinungen, die aber nirgendwo anerkannt werden. Es ist eine Debatte, die aber von niemandem debattiert wird 😀 Der Grund dafür: die Anarchist_innen glauben, dass die Funktionsweise einer neuen Gesellschaft ausschließlich durch einen konkreten Klassenkampf auftauchen wird. Bis die Revolution wollen sie nichts über ihr Wirtschaftssystem wissen! Dann müssen wir ewig warten.
Deswegen finde ich besondere Wichtigkeit an deinem Werk und freue mich auf weitere Diskussion.
Danke
@Justin:
Den Unterschied würde ich so nicht sehen. In beiden Fällen suchen sich die Beitragenden stigmergisch ihre Arbeit aus (zu welchem Projekt sie welche Tätigkeiten beitragen wollen). Und auch bei der Quasiflat ist ja erstmal nicht genau bekannt, wie viel Arbeit anfallen wird, weil das davon abhängt, wer wie viel von den per Flatrate verteilten Gütern nachfragen wird. Schätzungen sind möglich aufgrund der Erfahrungswerte aus den Vorjahren, aber dasselbe gilt auch für das Peerconomy-Modell.
Die Quasiflat ist im Wesentlichen eines der Modelle, die ich schon in meinem Buch diskutiert habe, dort unter dem Namen „Flatrate“. Und dort schlage ich ja „lokale Assoziationen“ vor, die für bestimmte Orte oder Regionen Infrastruktureinrichtungen wie Straßen, Gesundheitsversorgung, Bildung etc. per Flatrate organisieren. In dem jetzigen Modell ist das selbstorganisierte Angebot dieser „lokale Assoziationen“ (bzw. Koregionen) ausgeweitet und umfasst auch Wohnraum, Lebensmittel und andere Dinge des Alltagsbedarfs — dafür hatte ich damals an andere Verteilmodelle gedacht.
Aber der wichtigste Unterschied ist, dass ich damals immer von einer impliziten Beitragspflicht ausgegangen bin, nämlich von einer „Kopplung von Geben und Nehmen“. Mit dem Freiwilligenspiel versuche ich jetzt, Geben und Nehmen zu entkoppeln und diese Beitragspflicht aufzuheben — immer mit dem Zusatz, dass unklar ist, ob das jederzeit und überall gelingen kann.
Genau, ich denke auch, dass es für Güter, die nicht Teil der Quasiflat sind, „Verteilungspools“ geben könnte, wie ich sie in meinem Buch vorschlage. Sprich jede, die solche Güter will, trägt zu an diesem Pool beteiligten Projekten Arbeit bei, um so zum Entstehen der gewünschten Güter beizutragen. Vielleicht kann es auch da mit der Zeit zu einer Entkopplung von Geben und Nehmen kommen, weil sich rein freiwillig erbrachte Beiträge als ausreichend erweisen, aber das ist noch spekulativer als bei der Quasiflat.
Ja, das ist ebenfalls das „Beitragen um zu nutzen“-Modell, nur ohne Verteilungspool. Ich finde die Variante mit Verteilungspool aber praktikabler, weil ich ja vielleicht ein Klavier möchte, ohne meine Talente in irgendeiner Weise beim Klavierbau zu sehen. Und weil ich wahrscheinlich eine ganze Reihe solcher „Extraprodukte“ möchte, ohne aber zu jedem der herstellenden Projekte individuell Arbeit beitragen zu können.