Was ist und zu welchem Ende betreiben wir Antipolitik?
Seit Robert Kurz‘ Artikel „Anti-Politik und Anti-Ökonomie“ ist im Zusammenhang mit Keimformen oft von der sogenannten Antipoltik die Rede. Dieser Begriff ist für viele verwirrend und auch für mich ist er noch immer alles andere als geklärt.
Aus Leipzig erreichte mich nun kürzlich ein schon älterer Artikel (2002), der versucht genauer zu umreißen, was Antipolitik eigentlich sei. Das versucht er auf zwei Weisen. Zunächst wird eine lange Liste aufgeführt, die positiv darstellen soll, was antipolitisch ist. Da kann ich bei den meisten Punkten nicken, bei anderen wieder nicht. Schließlich versucht er den Begriff noch negativ zu bestimmen, also zu untersuchen, wie genau das Verhältnis von Politik und Antipolitik sich darstellt. Dabei wird ein erstaunlich simpler Politikbegriff unterstellt. Der reduziert sich nämlich auf
„Politik geht vom Staat aus oder ist auf ihn bezogen.“
Auch in Robert Kurzens Artikel wird von einem ähnlichen Politikbegriff ausgegangen, wenn auch mit blumigeren Worten.
Das hat mich angespornt mal in politikwissenschaftlicher Literatur zu stöbern. Ich wurde dann fündig im „Handbuch Politikwissenschaft„. Das ist zwar schon etwas angestaubt (1987), aber
dort heißt es unter dem Stichwort „Politik“ (ein Stichwort „Antipolitik“ gibt es leider nicht):
„Unter systematischen Aspekten lassen sich jedoch folgende inhaltliche Ebenen von Politik differenzieren:
- Politik beinhaltet Ziele, Zwecke und Normen;
- Politik bezieht sich auf den Staat;
- Politik bedeutet soziales Handeln.“
Neben der von den Antipolitikern genannten Ebene scheint es also durchaus noch weiteres zu geben, was man gemeinhin unter „Politik“ versteht, zumindestens an den Unis. Das führt natürlich zu einer Reihe von Fragen: Soll sich Antipolitik auch gegen die anderen beiden Bereiche der Politik wenden? Oder reduziert sie sich ganz simpel auf Anti-Staatlichkeit? Beide Extreme finde ich nicht besonders vielversprechend. Weder möchte ich ganz auf Ziele und Zwecke (und Normen?) noch auf soziales Handeln verzichten. Dennoch war mein intuitives Verständnis von Antipolitik immer weiter gefasst als nur als Kritik staatsbezogenen Handelns. Für mich ging es dabei immer auch um die Anzweiflung des „Wir„, die Instrumentalisierung des Gemeinwohls und den Kampf um Partikularinteressen nicht nur im Staat, sondern auch in Institutionen aller Art.
Wenn man sich der Begriffsgeschichte von „Antipolitik“ zuwendet stellt man fest, dass der Begriff bei osteuropäischen Dissidenten zur Zeit des Staatskommunismus sehr beliebt war. So findet man in einem ansonsten etwas verschwurbelten Text über diese Zeit eine interessante Definition von Antipolitik:
„Der Argwohn der Dissidenten gegenüber dem kommunistischen Staat und seiner offiziellen Ideologie, dem Marxismus, fand seinen Ausdruck in der Idee der Anti-Politik. Die Anti-Politik richtete sich nicht nur gegen den Staat, sondern gegen jegliche Form institutionalisierter Politik. Die Anti-Politik stand nicht nur dem Kommunismus feindlich gegenüber, sondern jeglicher dogmatischen politischen Ideologie. Dennoch wäre es ein grobes Mißverständnis, das Ideal der Anti-Politik als apolitisch zu betrachten. Im Gegenteil ermöglichte es, daß das Handeln des Einzelnen durch die Befreiung von den Beschränkungen institutionalisierter Politik und des schematischen Denkens innerhalb eines abstrakten ideologischen Rahmens authentische Bedeutsamkeit erlangte: In diesem Sinne wurde das Persönliche politisch. Das Ideal der Anti-Politik ermutigte die Menschen zu handeln, „als ob sie frei seien“ und die Verantwortung, die eben diese Freiheit mit sich bringt, zu übernehmen. Anti-Politik war also keine prinzipienlose Politik, sondern einfach eine „Politik ohne Cliché“.“
Das klingt sehr anschlußfähig an unsere Debatten. Vielleicht liegen da noch alte Perlen begraben?
Btw: Wenn man nach „Antipolitik“ googelt findet man neben einem weitverbreiteten Unwillen zu verstehen, daß Antipolitik nicht unpolitisch ist, auch noch Leute, die Antipolitik für eine Vorstufe des Totalitarismus halten. Aber letzteres hab ich ehrlich gesagt nicht kapiert, trotz lesen. Vielleicht kann mir das ja jemand erklären?
Also abgesehen davon, dass ich nicht weiß, ob „wir“ Antipolitik „betreiben“, frage ich auch auch, ob es überhaupt einen Unterschied zwischen Politik und Antipolitik gibt. Wenn es in dem von dir verlinkten „älteren Artikel“ z.B. heißt:
Abgesehen davon, dass „wir“, im Gegensatz zu allen anderen, ja eigentlich gerade nicht pessimistisch sind: Ist das, was dort vertreten wird, nicht einfach ein politisches Programm? (Was ich nicht schlimm finde, nur muss man nicht um den heißen Brei herumreden.)
Ja, über das „wir“ im Titel hab ich auch gegrübelt, ich habs dann stehen lassen, weils sonst nicht mehr so Schulaufsatzmässig klingt. Ich hab Dich also nur aus stilistischen Gründen zwangseingemeindet.
Eine Diskussion dieser Einzelpunkte macht sicherlich auch Sinn, und das mit dem Pessimismus hab ich auch nicht verstanden. Mir gings aber erstmal um die grundlegende begriffliche Ausgestaltung. Ich glaube schon, dass ein Begriff von „Anti-Politik“ Sinn machen kann, wenn er ein bisschen ausgereifter ist. Die weitverbreitete Rede vom „politisch-werden“ zB. als etwas an sich gutes finde ich schon immer sehr fragwürdig und ich stimme dem Autor des Artikels zu, wenn er Leuten, die wie Du argumentieren, entgegenhält:
Also ich verstehe zum einen darunter, dass Menschen ihr Leben jenseits von institutionalisierten Verfahren/Organisationen organisieren, einfach so. Dazu brauchen sie natürlich ein soziales Handeln, und ich behaupte sogar viel mehr soziales Handeln, als es in der Stellvertreter-Demokratie nötig ist.
Politik bedeutet außerdem das taktische Verhandeln um Vorteile, strategische Allianzen, Machtkämpfe, Intrigen usw. – auch das – nach meiner bescheidenen Meinung – ein überflüssiges Männerspiel.
@Mischka: Wie genau kann man Leben ohne Organisationen und Institutionen organisieren? Das erscheint mir unmöglich.
Ja, das scheint unmöglich?? Nennen wir es eine selbstbestimmte Organisiertheit, die nicht starr und festgeschrieben, sondern nach den jeweiligen Bedürfnissen der Beteiligten gebaut wird. Wo es darum geht, ein bestimmtes Problem zu lösen und nicht darum, Macht und Einfluss zu generieren. Wie das konkret aussehen kann, das kann man ja mal überlegen.
@mischka: Ja, _das_ ist nicht unmöglich, ist aber was anderes. Es ist genau die Suche nach _anderen_ Institutionen und Organisationen.
Hallo!
Ich bin gerade auf Euer Blog gestoßen, habe ein paar erste Posts gelesen, und finde es hier erst mal sehr interessant.
Ich bin gerade dabei eine eigene Website zu einem ähnlichen Themenbereich zu bauen: Demokratische Ökonomie, bzw. kooperatives Wirtschaftssystem.
Ich könnte mir vorstellen daß ein fruchtbarer Gedankenaustausch möglich ist. Wäre schön wenn Ihr Euch mal „bei mir“ umsehen würdet. – Ich werde mir Eure Seiten auf jeden Fall noch genauer ansehen. 🙂
Mischka:
benni:
Genau darum geht es in Fundort Mondragón (auf der Site): „Wie kann man Arbeit ohne starre Machthierarchien und nach den Bedürfnissen der Arbeitenden organisieren?“
Liebe Grüße,
Michaela.
@Michaela: Viel Erfolg für deinen Blog — bin gespannt, mehr über das Beispiel von Mondragón zu erfahren!
Hallo Stefan!
An sich soll es kein Blog sein. Ich habe nur WordPress als Content-Management-Software genommen, weil ich das kenne, und es bei einfacher Bedienung eigentlich alles bietet was icch brauche. Der Blog-Bereich wird wahrscheinlich so ziemlich totfallen, sobald das Buch komplett online ist.
Nein, die Website Fundort Mondragón soll dazu dienen, daß man das Buch lesen, herunterladen und kommentieren kann. Und das angeschlossene Forum soll die Möglichkeit geben über das bloße Kommentieren/Ergänzen/Berichtigen hinausegehende Diskussionen führen zu können.
Meine große Hoffnung wäre, daß diese Website zum Entstehen einer „Community“ beiträgt die das Thema Kooperation und demokratisierung der Wirtschaft interessiert, und einen Raum zur Vernetzung. Ich möchte dazu beitragen, daß so etwas wie die Mondragóner Kooperativen auch bei uns entstehen kann.
Liebe Grüße,
Michaela.