Der Crowding-out oder Korrumpierungseffekt
In meinem re:publica-Vortrag zur »Politischen Ökonomie von Blogs« ging es unter anderem um die Auswirkungen von »Geld«, genauer: der »Geldlogik« oder »Wertlogik«, auf das Verhalten der Menschen. Dazu gibt es in der Forschung zahlreiche Untersuchungen. Obwohl ich sonst sehr skeptisch gegenüber psychologischen Experimenten bin, insbesondere wenn sie unter künstlichen Laborbedingungen stattfinden, sind die Evidenzen des im folgenden beschriebenen Versuchs recht eindeutig.
Man nehme eine freiwillige und unbezahlte Tätigkeit, die eine Gruppe von Menschen ausführt, und bestimme ihren »Output«. Dann bezahle man die Menschen (oder eine zweite Gruppe mit gleicher Tätigkeit) dafür, dass sie genau das tun sollen, was sie bisher getan haben, und bestimme wieder ihren »Output«. Ergebnis: Der »Output« fällt signifikant ab: Kinder malen weniger (Lepper 1973), Erwachsene puzzeln weniger (Deci 1975), Schüler lösen keine Mathe-Aufgaben mehr (Greene et al. 1976), Erwachsene im Gewichtsreduzierungsprogramm nehmen nicht mehr ab (Krohn 1993), Blutspender hören auf Blut zu spenden (Seabright 2002). Dutzende Studien berichten übereinstimmend von diesem Effekt. In der bislang umfassensten Meta-Studie konnten dies Deci, Koestner und Ryan (1999) anhand von 124 Untersuchungen zeigen (PDF).
In der Literatur wird dieses Ergebnis als Crowding-out oder Overjustification-Effekt bzw. im Deutschen als Korrumpierungseffekt verhandelt. Eine Diskussion fällt mir nicht leicht. Zwar spricht viel dafür, dass an diesem Effekt etwas dran ist, die Erklärungen halte ich jedoch für nur wenig brauchbar. Dazu gleich mehr.
Zwei wissenschaftliche Disziplinen interessieren sich für solche Forschungen, die Psychologie und die Wirtschaftswissenschaften. Beide sind hochgradig problematische Wissenschaften, weil sie überwiegend auf einem völlig verfehltem Konzept des Menschen als isoliertem Individuum oder homo oeconomicus aufsetzen. Damit kann ich mich hier nicht weiter auseinandersetzen. Ich verweise auf die Kritische Psychologie (Kritik am isolierten Individuum) oder auf Sabine Nuss (Kritik an der Principal-Agent-Theorie).
Nach der vorherrschenden Ökonomietheorie ist Crowding-out nicht möglich, da es einem grundlegenden ökonomischen »Gesetz« widerspricht, wonach mit zunehmenden Anreiz (wie Geld) die Leistung steigt. Weil es nicht ins Weltbild passte, wurde Crowding-out folglich als »Anomalie« betrachtet, die in der Praxis ohnehin keine Rolle spiele (da es dort ja nie ohne Geld abgehe). Ferner gäbe es zahlreiche Untersuchungen, die einen positiven Crowding-in oder Preis-Effekt zeigten und somit mit der ökonomischen Anreiztheorie übereinstimmten. Mit dem Erfolg von freiwilligen unbezahlten commons-basierten Tätigkeiten wie Freier Software oder Kultur (z.B. Wikipedia) wird nun jedoch der Crowding-out Effekt wieder interessant.
E. L. Deci bot 1971 mit seinem intuitiv eingängigen Modell einer Unterteilung in eine primäre »intrinsische« (von innen kommende) und eine sekundäre »extrinsische« (von außen kommende) Motivation einen Vorschlag, der die widersprüchlichen Beobachtungen integrierte. Das vorherrschende Modell der »Kognitivisten« wurde jedoch von der Fraktion der »Behavioristen« stets heftig attakiert. Den fruchtlosen Streit zweier Strömungen innerhalb der traditionellen Psychologie kann ich hier nicht auseinandernehmen. Ich will hier nur klarstellen, dass ich das Konzept »intrinsische« vs. »extrinsische« Motivation für problematisch halte, weil aus meiner Sicht Motivation sinnvoll nur eine subjektwissenschaftliche Kategorie sein kann und weder »von innen« noch »von außen« als einem gleichsam individuumsunabhängigen »Ort« kommen kann. Im folgenden lasse ich die Begriffe dennoch stehen, weil sie nun mal so benutzt werden.
Die im folgenden verwendeten Grafiken sind aus dem Vortrag von Matthias Stürmer »Crowding Effects: How Money Influences Open Source Projects and its Contributors« beim Linuxtag 2007 (Blogpost, PDF, Slideshare).
»Extrinsische Motivation« durch »Preiseffekt«
In der Principal-Agent-Theorie wird davon ausgegangen, dass durch monetäre Belohnungen (oder Bestrafungen) ein relativer Preiseffekt bzw.Disziplinierungseffekt eintritt. Aus Gründen der Belohnungsmaximierung (oder Strafvermeidung) wird mehr Leistung gebracht. Als Grafik sieht das so aus, wobei der Autor freundlicher Weise nur an positive »Incentives« denkt:
Quelle: Stürmer 2007 (Grafik klicken zum Vergrößern)
Nicht zufällig erinnert diese Vorstellung an entsprechende »Erziehungskonzepte«, die als Vorbereitung auf eine derartige »extrinsische Motivation« im späteren Berufsleben gelten können. Das Ergebnis wird in der Regel nicht als Folge eines strukturellen Zwangs interpretiert, in dem sich eine Person befindet (die ihre Arbeitskraft verkaufen muss), sondern in einem quasi »neutralen« Setting wird ein positiver (oder negativer) Reiz eingebracht, dem der »Organismus« folgt.
»Intrinsische Motivation« und »Crowding-out«
»Intrinsische Motivation« liegt vor, wenn etwas nicht als »Mittel zum Zweck« (z.B. der Erreichung von »Incentives«), sondern als »Selbstzweck« (aus Spaß oder Sinn) getan wird — so die klassische Vorstellung. An dieser Stelle sprechen wir von »Selbstentfaltung«, was aus meiner Sicht ein wesentlich geeigneterer Begriff ist (aber auch das kann ich hier nicht diskutieren). Der Selbstzweck wird nun »verdrängt« (crowd-out) oder »korrumpiert«, wenn »Incentives« ins Spiel kommen. Das zeigt die folgende schematische Darstellung:
Quelle: Stürmer 2007 (Grafik klicken zum Vergrößern)
Als Gründe für diesen »crowding-out« genannten Effekt werden angegeben (nach Frey und Jegen, 2001):
- Eingeschränkte Selbstbestimmung (»impaired self-determinnation«): Handeln als »Selbstzweck« wird verdrängt durch eine als externe Kontrolle wahrgenommene Intervention.
- Eingeschränktes Selbstwertgefühl (»impaired self-esteem«): Handeln als »Selbstzweck« wird durch externe Intervention als nicht »für sich wertvoll« gewertet, ein Gefühl der Bestechung oder Korrumpierung tritt ein.
Daraus werden zwei Schlüsse gezogen:
- Externe Interventionen verdrängen die »intrinsische Motivation«, wenn die betroffenen Menschen diese als Kontrolle wahrnehmen.
- Externe Interventionen erhöhen die »intrinsische Motivation«, wenn die betroffenen Menschen diese als Unterstützung wahrnehmen.
»Preiseffekt« und »Crowding-out«
Da »intrinsische« und »extrinsische Motivation« nie getrennt vorlägen, sondern immer gemeinsam aufträten, müsse man auch »Preiseffekt« und »Crowding-out« zusammen diskutieren. Damit ergibt sich folgendes schematisches Bild:
Quelle: Stürmer 2007 (Grafik klicken zum Vergrößern)
Wenn also die Tätigkeit aus »Selbstzweck« getan werde, sei eine Intervention (per »Incentives«) schädlich. Wird hingegen ohnehin die Tätigkeit aus Gründen der externen Bezahlung (oder anderer »Incentives«) getan, so kann eine erhöhte Bezahlung den »Output« vergrößern. Oder um es deutlicher zu sagen: Selbstentfaltung wird durch fremde Eingriffe zersetzt, während unter ohnehin entfremdeten Bedingungen eine angemessene Entlohnung erwartet wird: »Wenn ich schon arbeiten gehen muss, dann will ich dafür auch ordentlich bezahlt werden«.
Beispiel Debian und Dunc-Tank
Im September 2006 wurde das Projekt »Dunc-Tank« (DUNC = »Development Under Numismatic Control« = »coin-operated coding«) im Umfeld des Debian-Projekts mit dem Ziel gestartet, Release-Manager zu bezahlen, um das Erreichen der damaligen Release-Datums von Debian-Etch am 4. Dezember 2006 sicherzustellen. Zwei Releasemanager bekamen je rund 6000 Dollar. Das Ziel wurde dennoch nicht nur verfehlt (Etch kam erst im April 2007), sondern Dunc-Tank führte zu heftigem Stress im Debian-Projekt (vgl. auch das Positionspapier zu Dunc-Tank).
In Bezug auf den Crowding-out Effekt wird an diesem Beispiel eine weitere Dimension deutlich, die die individualisierte Sichtweise des »intrinsisch vs. extrinisch« nicht abbilden kann: Crowding-out ist auch ein soziales Phänomen. Es geht nicht bloß um die individuelle Motivation, sondern in Peer-Projekten ist die Motivation des gesamten Projekts davon betroffen. Und die ging bei Debian in die Knie. Viele fanden es ungerecht, unbezahlt freiwillig tätig sein zu sollen, während einzelne Personen bezahlt wurden. Etliche stellten ihre Mitarbeit ein oder reduzierten sie. Dass die bezahlten Release-Manager »Dunc-Tank« dennoch eher positiv sahen, verwundert vielleicht nicht unbedingt.
Fazit
Der Crowding-out Effekt existiert. Das ist für die Diskusison um Keimformen insofern nichts Neues, als dass die Verwertungslogik immer mit Entfremdung verbunden ist, und Selbstentfaltung und Entfremdung gehen nun mal nicht zusammen. Wenn nun sehr viele Untersuchungen (wie problematisch auch immer) diese These empirisch belegen, dann ist das eine interessante Bestätigung. Eine angemessene Interpretation können wir alledings von diesen Studien nicht erwarten, die müssen wir schon selber liefern: Freiheit gibt’s nur jenseits der Wertlogik, jenseits von Geld, Markt und Staat.
Darf ich es mal viel einfacher formulieren? Sobald ich Einsatz als Arbeit verstehe und nur als Arbeit entlohne werfe ich die Frage auf warum mir der Einsatz nicht mehr wert ist. Entlohnung hat eben nichts mit Belohnung zu tun. Schaffe ich es die Entlohnung an den Rand zu drücken, als notwendiges gesellschaftliches Übel und mich mit der Leistung und dem Arbeitswillen des anderen direkt auseinanderzusetzen und diesen zu loben und in seinem Tun zu bestätigen, dann motiviere ich ihn. Ich kann niemanden durch Bezahlung motivieren. Das weiß jeder gute Personalchef, jeder Lehrer, Ausbilder und alle Eltern. Es gibt nie soviel Taschengeld auf dieser Erde wie nötig wäre um all die kleinen Hilfen zu bezahlen, aber wenn auf ein ehrliches Danke ein klares „Aber fafür sind Kinder doch da!“ von einer Fünfjährigen kommt, dann ist das System erkannt.
Tut mir leid. Ist vielleicht nicht wissenschaftlich genug.
Hallo Stefan,
du scheinst kein Freund der Psychologie zu sein 😉
Auf der Wikiseite zum Korrumpierungseffekt ist übrigens ein Link zur Selbstbestimmungstheorie. Die beleuchtet den Crowding-Out-Effekt eventuell noch von einer anderen Seite?
Es gibt übrigens eine Arbeitsapier »Knowledge Blogs zwischen Kompetenz, Autonomie und sozialer Eingebundenheit«, die einen ähnlichen Crowding-Out-Effekt mit Hilfe des Selbstebestimmungstheorie untersuchen.
-Tim
@Jochen Hoff: Finde ich sehr gut überlegt. Deswegen bin ich dafür, Einsatz und Arbeit zu trennen: Ich setze mich gerne ein (und werde auch gerne dafür anerkannt), aber arbeiten tue ich nur notgedrungen. Schöner wär’s, wenn alles nur Einsatz wäre 🙂
@Tim Schlotfeld: Danke für die Tipps. Ich bin ein großer Freund der Psychologie. Stutzig macht mich nur, wenn es zu einem Thema 17 konkurrierende Theorien gibt, die alle den gleichen Gültigkeitsanspruch erheben. Das läuft meinem Wissenschaftsverständnis intuitiv zuwider 😉
Zwei (ergänzende) Anmerkungen:
– Wenn man für eine Arbeit in einem Team bezahlt wird, vergleicht man unwillkürlich die Höhe der Bezüge mit dem Wert der Arbeit der anderen Teammitglieder. Es ist völlig unvermeidlich, daß da Neid ensteht und das Gefühl, ungerecht behandelt (= bezahlt) zu werden. Dieses Problem hat man nicht, wenn keiner „objektiv“, über Geld, ergleichbar ist.
– Wer viel verdient – mehr, als der Rest der Teammitglieder -, fühlt sich wichtig, selbst wenn er das im Rahmen des Projekts gar nicht ist. In vielen Unternehmen führt das dazu, daß die – überproportional gut bezahlten – Manager ein überproportionales Gewicht erlangen. Das geht dann so weit, das die „höheren Etagen“ irgendwelche Prozesse und Abläufe erfinden, die sie gut beschäftigen, die aber für das Endresultat überflüssig oder sogar kontraproduktiv sein.
@StefanMz:
hehe 😉 Andererseits ist das selbst in der vermeintlich harten Welt der Physik nicht anders. Auch dort findest du verschiedenste Theorien, die die Welt erklären wollen. Letztenendes können wir auch hier nur Ereignisse wahrnehmen und sie entsprechend erklären. Also mal positivistisch gesprochen.
Eine nette Geschichte (zugesandt als pmail):
»Ein alter Mann wurde täglich von den Nachbarskindern gehänselt und beschimpft. Eines Tages griff er zu einer List. Er bot den Kindern eine Mark an, wenn sie am nächsten Tag wieder kämen und ihre Beschimpfung wiederholten. Die Kinder kamen, ärgerten ihn und holten sich dafür eine Mark ab. Und wieder versprach der alte Mann: „Wenn ihr morgen wiederkommt, dann gebe ich euch 50 Pfennig.“ Und wieder kamen die Kinder und beschimpften ihn gegen Bezahlung. Als der alte Mann sie aufforderte, ihn auch am nächsten Tag, diesmal allerdings gegen 20 Pfennig, zu ärgern, empörten sich die Kinder: Für sowenig Geld wollten sie ihn nicht beschimpfen. Von da an hatte der alte Mann seine Ruhe.« (nach Alfie Kohn)
Also ich hab vor langer Zeit sowas auch mal gelernt. Das war in einem Seminar über die Marx’sche Entfremdungstheorie…
Seltsam
=)
Sehr schönes Filmchen zum Crowding-out Effekt (auf englisch): What motivates us? [via]