Ungerechte Gerechtigkeit

neues-deutschland[Erschienen in der Kolumne »Krisenstab« im Neuen Deutschland vom 3.2.2014]

Stefan Meretz über Teilen und Tauschen

Menschen tauschen, immer, sie sind gleichsam »Tauschwesen«. Diese Aussage erscheint wie in Stein gemeißelt, unumstößlich, das war und ist so, und es wird immer so sein. Amen. Dabei werden hier zwei Dinge zusammengeworfen, die unterschieden gehören: Teilen und Tauschen.

Menschen stellen ihre Lebensbedingungen her. Dabei produziert nicht jedes Individuum die benötigten Güter für sich, sondern wir tun dies in der Regel für andere. Wir teilen die Güter, Dienste und Infrastrukturen, die wir schaffen, mit anderen. Fast immer. Oder anders gesagt: Wir teilen den Aufwand zur gesellschaftlichen Herstellung der Lebensbedingungen. Dies nennen wir gemeinhin Arbeitsteilung. Menschen sind von Natur aus kooperative »Teilwesen«.

Eine andere Frage ist, wie die arbeitsteilig hergestellten Güter geteilt – oder besser: verteilt – werden. Das hat sich historisch deutlich verändert. Heute erscheint uns der Tausch selbstverständlich, doch es wurde nicht immer getauscht. Tausch bedeutet, eine Leistung an eine Gegenleistung zu koppeln, egal wie diese Kopplung geschieht. Gibst du nichts, kriegst du nichts.

Der Äquivalententausch wie wir ihn heute kennen, ist eine Spezialform des Tausches. Beim Gleichheitstausch wird Gleiches mit Gleichem getauscht. Nun ergäbe das keinen Sinn, wenn sich Gleichheit auf identische Dinge bezöge. Doch Gleichheit bezieht sich hier auf Wertgleiches, wobei die Dinge verschieden sind. Hinter dem Wert verbirgt sich der durchschnittliche Aufwand, die jeweiligen Güter herzustellen. Der Äquivalententausch bricht Ungleiches herunter auf einen gemeinsamen und allgemeinen Maßstab, letztlich das Geld. Der Gleichheitstausch ist per Definition gerecht, denn es geht zwar nicht Gleiches, aber Gleichwertiges über den Tisch. Das ist der Sinn: Ungleiches gleichwertig, also gerecht verteilbar zu machen. Wo ist der Haken?

Der Gleichheitstausch erzeugt Ungleichheit und zwar systematisch. Das liegt an der unterschiedlichen Produktivität der Produzenten. Auf einem globalen Markt setzen die Produktivsten die Messlatte. Wird das Produkt in einer bestimmten Zeit hergestellt, so gilt diese Zeit als Äquivalent. Brauchen andere wesentlich länger für die Herstellung des gleichen Produkts, so erhalten sie dennoch nur das allgemein gültige Äquivalent. Braucht Produzent A für einen Traktor 1000 Stunden, Produzent B aber 1500 Stunden, dann kann Produzent B ebenfalls nur 1000 Stunden bzw. das Geldäquivalent dafür erlösen. Stellt Produzent B keine Traktoren her, sondern produziert Reis, dann sieht es unter Umständen noch ungünstiger für ihn aus. Will er das Geldäquivalent für einen Traktor – die angenommenen 1000 Stunden – durch Reisverkauf einnehmen, so muss er wegen der viel niedrigeren Produktivität 2000 Stunden aufwenden. Es werden also faktisch 1000 Stunden gegen 2000 Stunden getauscht, da die 2000 Stunden Reis doch nur 1000 Stunden Traktor wert sind. Verrückt, aber es ist so. Anders gesagt: Der gerechte Tausch ist ungerecht.

Die realen Güteraustauschverhältnisse werden Terms of Trade genannt. Bei unterschiedlicher Produktivität fließen stets mehr Güter (oder ihr Geldäquivalent) in Richtung der Hochproduktivregionen. Obwohl äquivalent, also gleich = gerecht getauscht wird. Deshalb geht es dem Hochproduktivland Deutschland in Europa vergleichsweise gut. Anders gesagt: Deutschland lebt auf Kosten der anderen. Durch gerechten Tausch, der ungerecht ausgeht. Systematisch.

Geht es auch anders? Ja, allerdings nicht auf der Basis von Tausch – oder dem, was dahinter steht: der Warenproduktion. Es geht ein wenig Fairtrade, wenn wir freiwillig mit jedem Kauf noch einen Betrag oben drauflegen. Das hilft, aber ändert grundsätzlich nichts, denn der gerecht-ungerechte Tausch läuft weiter. Auch staatlich festgelegte Preise sind eine Möglichkeit, doch am Ende muss auch diese Form des verordnet-ungleichen Tauschs finanziert werden.

Wer hingegen Güter und Dienste gleich(er) verteilt sehen will, muss gegen den Tausch optieren. Eine Alternative bietet der Commons-Ansatz, bei dem Ressourcen und Güter gemeinschaftlich hergestellt und gepflegt werden. Hier wird nicht getauscht, sondern es werden Beiträge geleistet. Die Ergebnisse werden nach selbstbestimmten Regeln fair und nach Bedürfnissen verteilt. Darin steckt eine andere Vorstellung von Gerechtigkeit: Alle sollen gut leben können.

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