Piraten und Knappheit und Eigentum

Ich geb’s zu: Ich habe letztens in Berlin mit der Zweitstimme die Piraten gewählt. Diese Stimme war aber nur eine halbe Stimme. Wie ich das meine, erkläre ich im folgenden anhand der widersprüchlichen Positionen der Piraten zu Knappheit und Eigentum.

Die Piratenpartei hat in ihren 10 Thesen zur Netzpolitik in der fünften These den Begriff der Knappheit verwendet. Dort heißt es:

Die Güter der materiellen Welt sind begrenzt und erschöpflich. Was der eine Mensch besitzt oder verbraucht, darauf muss der andere verzichten. Immaterielle Güter hingegen können beliebig oft vervielfältigt werden. In der Informationsgesellschaft gibt es keine natürliche Knappheit an immateriellen Gütern. Die Tragödie unserer Zeit besteht jedoch darin, dass mit Gesetzen eine künstliche Verknappung an immateriellen Gütern erzeugt wird.

Das hört sich erstmal gut an, erst beim genauen Hinsehen wird ein zentrales Ideologem der Piraten sichtbar. Worin besteht es?

Unausgesprochen werden den immateriellen Gütern, für die es »keine natürliche Knappheit« geben soll, die materiellen Güter gegenübergestellt, denen wohl — so die Implikation — eine »natürliche Knappheit« zukomme. Richtigerweise wird einleitend festgestellt, dass die »Güter der materiellen Welt … begrenzt und erschöpflich« sind, doch der Übergang zur Knappheit geschieht implizit: begrenzt/erschöpflich = knapp lautet der Schluss, den die Leser_in sich denken darf. Dieser (Kurz-) Schluss ist nicht unüblich, und die allermeisten werden ihn mitgehen. Dennoch ist es ein Kurzschluss. Warum? Zwei Aspekte werden vernachlässigt.

Erstens setzt die Vervielfältigung von immateriellen Gütern die Existenz einer materiellen Infrastruktur voraus, die mit begrenzten/erschöpflichen Gütern aufgebaut und unterhalten werden muss. Bei digitalen Informationsgütern liegt das auf der Hand (stoffliche Infrastruktur des Internets), aber auch wenn man etwa nur an die persönliche Weitergabe von Wissen denkt, müssen die beteiligten Menschen stoffliche Ressourcen nutzen und verbrauchen (sprich: ihre Existenz erhalten), um dies tun zu können. Ist jedoch einmal eine Infrastruktur vorhaben — dies ist der charmante und sichtbare Aspekt bei digitalen Informationsgütern –, so ist der Aufwand zur Güter-Vervielfältigung gering.

Fazit: Um immaterielle Güter herstellen, nutzen und vervielfältigen zu können, müssen stoffliche Ressourcen, Energie und Aufwand aufgewandt werden.

Zweitens gilt das gleiche grundsätzlich genauso für stoffliche Verbrauchsgüter: Um materielle Güter herstellen, nutzen und vervielfältigen zu können, müssen stoffliche Ressourcen, Energie und Aufwand aufgewandt werden. Allerdings fallen die stofflichen Ressourcen, die Energie und der menschliche Herstell- und Erhaltungsaufwand an anderen Stellen an. Es scheint so zu sein, als ob die Verhältnisse bei stofflichen Gütern ganz anders liegen als bei immateriellen Gütern. Es scheint so zu sein, als ob Immaterialgüter natürlich unknapp und stoffliche Güter natürlich knapp seien. Dem ist aber nicht so, und das liegt am Begriff der…

…Knappheit

Knappheit wird bei den Piraten (wie in der Gütertheorie üblich) als naturale Eigenschaft der Güter angesehen. Tatsächlich ist es jedoch eine soziale Eigenschaft des menschlichen Herstell- und Erhaltungsprozesses dieser Güter. Die Verwechselung von Gütereigenschaft mit der sozialen Art und Weise ihrer Herstellung und Erhaltung habe ich kürzlich für Commons und Ware diskutiert. Dort stellte sich heraus, dass Commons wie Ware keine »Dinge« sind, sondern zwei unterschiedliche Formen, Güter (im weitesten Sinne) herzustellen und zu erhalten. In dem Artikel wurden die Unterschiede nicht weiter besprochen. Einen wesentlichen Unterschied können wir uns nun anhand des Begriffs der Knappheit klar machen.

Güter, die als Waren hergestellt werden, müssen knapp sein. Anderenfalls sind sie nicht verkaufbar. Völlig unabhängig von ihrer Beschaffenheit (ob stofflich oder nichtstofflich) oder ihrer potenziellen Verfügbarkeit (reichlich oder begrenzt) muss dafür gesorgt werden, dass das Gut nicht erreicht, bekommen und genutzt werden kann, solange kein Äquivalent (üblicherweise Geld) in die Gegenrichtung fließt. Und dafür wird aktiv gesorgt: Das Lager, in dem die begehrten stofflichen Dinge lagern, wird abgesperrt und bewacht, und die unerlaubte Entnahme wird als Diebstahl verfolgt (selbst aus Abfall-Containern). Das Digitalgut wird abgesperrt (Kopierschutz u.a.) und bewacht (DRM u.a.), und die unerlaubte Entnahme (aka Raubkopie) wird als Diebstahl verfolgt. Da gibt es keinen wesentlichen Unterschied!

Güter, die als Commons hergestellt werden, müssen hingegen nicht knapp sein. Im Gegenteil geht es den Commons darum, möglichst für alle das herzustellen, was die beteiligten Commoners brauchen. Die Bedürfnisse sind der Maßstab. Bei nichtstofflichen Gütern — und hier kommt nun der Unterschied in der Beschaffenheit zum tragen — ist es einfacher, das Ziel der Bedürfnisbefriedigung zu erfüllen. Da die digitale Infrastruktur existiert und die meisten einen Pauschalzugang zu dieser abonniert haben (Flatrate) oder mitnutzen können, kann etwa der Wikipedia-Artikel zu Kosten gegen Null geladen und genutzt werden (open access). Was bei Commons ganz legal geht (die Freien Lizenzen machen’s möglich), geht technisch prinzipiell aber illegal auch bei proprietären Digitalgütern.

Bei stofflichen Commons wird der Zugriff unter den Commoners in der Regel so vereinbart, dass alle beteiligten Commoners einen fairen Anteil bekommen und die Commons erhalten bleiben. Der freie Zugriff wäre hier nur denkbar, wenn die Commons-Produktion die allgemeine Form der Produktion wäre und die beteiligten Produzenten dafür sorgen könnten, dass genug für alle da ist. Selbst wenn das nicht gelingen sollte — etwa weil aktuell bestimmte Ressourcen nicht ausreichend verfügbar sind –, so ist dies kein Grund dafür, Güter knapp zu produzieren. Im Gegenteil: Das Ziel ist, sie reichhaltig zu produzieren. Doch derzeit ist ohnehin die Ware als soziale Form der Produktion dominant, und der ist die Knappheit untrennbar eingeschrieben. Nix Knappheit, nix Ware.

Eigentum

Der Naturalisierung der Knappheit folgt die Naturalisierung des Eigentums auf dem Fuße. In einem Interview erklärt ein bayerischer Pirat:

… es gibt so etwas wie „geistiges Eigentum“ nicht. Das ist ein Kampfbegriff der Verwertungsindustrie. Auch Künstler erschaffen ein Werk nicht einfach aus dem Nichts. Sie greifen auf den Wissens- und Kulturschatz der Allgemeinheit zu und konstruieren durch Kombination und Modifikation etwas neues. (…) Das hat … nichts mit Eigentum zu tun. Moralisch gesehen ist Eigentum ein Prinzip für knappe Güter (“Du sollst nicht stehlen”). Informationen sind aber gerade heute nicht mehr knapp.

Hier haben wir alles beisammen: Knappheit und Eigentum seien nur ein »Prinzip für knappe Güter«. Knappheit wird naturalisiert, denn dies seien nur jene Güter, die man »stehlen« könne. Doch Stehlen, Diebstahl, ist eine juristische Definition, also eine soziale Form, die sich historisch herausgebildet hat und als Gesetz kodifiziert wurde. Dazu gehört aus Sicht des Gesetzes selbstverständlich auch der Diebstahl nichtstofflicher Güter. Dies wird schnell klar, wenn man sich den Begriff des Eigentums vergegenwärtigt. Auch hier gibt es viele schiefe Vorstellungen.

Eigentum ist nicht eine Sache, die einer Person gehört, es ist auch nicht die Herrschaft einer Person über eine Sache, sondern es handelt sich um eine Dreiecksbeziehung: Eigentum ist die Beziehung zwischen Personen in Bezug auf eine Sache, bei der die eine Person die andere Person vom Zugriff auf die Sache ausschließen kann. Eigentum ist ein Exklusionsrecht. Eigentum ist die kodifizierte Form einer sozialen Exklusionsbeziehung. Diese ist — im Gegensatz zu den Vorstellungen des bayerischen Piraten — auf alle Sachen (gleich ob stofflicher oder nichtstofflicher Natur) anwendbar. Warum?

Weil Eigentum gebraucht wird, um Knappheit herzustellen. Knappheit ist Exklusion von der Verfügung über eine Sache oder ein Ding, und Eigentum ist die rechtliche Grundlage dieser Exklusion. Dies begreift man allerdings nur, wenn man Knappheit als soziale Form Dinge herzustellen versteht und nicht als Eigenschaft des Dings selbst.

Wenn man das dann mal erkannt hat und weiterhin die Legitimität des sogenannten »geistigen Eigentums« in Frage stellt, dann muss man konsequent sein, und die Legitimität des Eigentums generell in Frage stellen. Dann muss man ganz allgemein erkennen, dass das »Eigentum … ein Kampfbegriff der Verwertungsindustrie« ist, denn genau das ist der Fall. Nur unterliegen leider die Piraten in Bezug auf die stofflichen Güter diesem Kampfbegriff, während sie ihn für nichtstoffliche Güter in Frage stellen.

Fazit: Eine Mischung aus immateriellem Kommunismus und stofflichem Neoliberalismus geht auf Dauer nicht zusammen.

Von mir haben die Piraten nur eine halbe Stimme bekommen.

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