Leben in zwei Welten
[Dieser Artikel erschien im Katalog zur Ausstellung »/unvermittelt für einen Arbeitsbegriff jenseits von Überarbeitung und Mangel«, 13.12.2008 bis 1.2.2009 in der NGBK, Oranienstr. 25, Berlin-Kreuzberg; vgl. auch die Artikel hier und hier]
Erfahrungen aus der Freien Software- und Kulturbewegung
Netzwerke sind weder a priori sinnvoll oder besser geeignet als andere Kooperationsformen, um bestimmte Ziele zu erreichen. Die Frage ist vielmehr, worin das Ziel besteht, wofür Netzwerke also genutzt werden sollen. Das Profit realisierende Unternehmen hat die Vorteile der Vernetzung ebenso entdeckt, wie die Freie Software- und Kulturbewegung. Doch was ist der spezifische Unterschied?
Den Unterschied möchte ich in Form von „zwei Welten“ beschreiben, in denen wir uns täglich bewegen. Die eine „Welt“ nenne ich die der Selbstverwertung, die andere die der Selbstentfaltung. Schon die Ähnlichkeit der Bezeichnungen deutet an, dass die „Welten“ nicht strikt von einander getrennt sind, sondern durchaus ineinander übergehen – vor allem dann, wenn man sich nicht klar macht, was man eigentlich tut.
Die Welt der Selbstverwertung ist die Welt der Ökonomie und des Sich-Rechnen-Müssens. In dieser Welt habe ich ein instrumentelles Verhältnis zu mir und zu anderen: Ich lasse andere für mich arbeiten und setze mich auf Kosten anderer durch. Dies tue ich nicht, weil ich ein schlechter Mensch bin, sondern weil die Strukturen der Verwertungslogik kaum anderes zulassen: Ich komme nur voran, wenn andere das nicht tun. Netzwerken heißt hier nur, taktische Bündnisse gegen andere schließen, um sich selbst effektiver zu platzieren.
Im Bereich der Software finden wir diese Logik bei der proprietären Software, also bei der Eigentümer-Software. Proprietäre Software basiert auf einer Exklusionslogik, andere müssen von der Nutzung der Software und von den veränderbaren Quellen ausgeschlossen werden. Kooperation ist hier wesentlich erzwungen, weil Menschen sich hier als Entwickler_innen verdingen müssen. Netzwerke haben hier den Charakter abgeschotteter interner Kooperationen und Seilschaften. Die Tendenz zur Monopolbildung ist eine Folge.
Die Welt der Selbstentfaltung ist die Welt der Freiheit und der Bedürfnisse im ganz allgemeinen Sinne. In dieser Welt bin ich ganz bei mir und den anderen: Ich kann mit anderen im Netzwerk tätig sein und betrachte die anderen als meine Entfaltungsvoraussetzung. Auch dies tue ich nicht, weil ich ein guter Mensch bin, sondern weil die Welt der menschlichen Freiheit anderes nicht duldet: Wer ausschließt, kommt hier nicht gut an. Netzwerken hat hier die Chance zu einer freien Kooperation zu werden.
Im Bereich der Software finden wir diese Logik bei der Freien Software, die ihre Quellen für jeden offen legt und jeden zur Kooperation einlädt. Freie Software basiert auf einer Inklusionslogik, je mehr Menschen sich an einem Projekt beteiligen, desto mehr haben sowohl das Projekt wie der Einzelne davon. Die Kooperation ist grundsätzlich frei, niemand muss Freie Software entwickeln, sondern die, die es tun, tun es freiwillig. Freie Software kennt kein Eigentum, sondern nur Besitz, denn während Eigentum verkaufbar ist, ist Besitzer_in diejenige, die die Software gerade nutzt. Folglich tendiert Freie Software zu Vielfalt, Kreativität und Qualität.
Nun sind wir alle gezwungen, Geld zu verdienen, um unter den gegebenen Bedingungen unser Dasein zu fristen. Lässt sich nicht die Seite der Selbstentfaltung dafür nutzen, auf der Seite der Selbstverwertung Geld zu machen? Selbstverständlich ist das möglich, und ich habe vorher auch betont, dass die Welten nicht strikt geschieden sind. Doch wenn dies geschieht, dann wird die Welt der Selbstentfaltung sukzessive den Paradigmen der Verwertungswelt untergeordnet: Sie wird langsam zerstört. Beide Welten sind strukturell unvereinbar!
Machen wir uns also nichts vor, internalisieren wir nicht den äußeren Zwang und verklären wir ihn nicht zu eigenem Wollen. Selbstbestimmung und Selbstentfaltung gibt es nur jenseits von Ware, Wert, Geld und Markt. Das gilt auch für freie Netzwerke.
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