Peer-Ökonomie in der Diskussion II
Nach dem ersten Teil, dem Vortrag von Christian Siefkes, hier nun die aufbereiteten Mitschnitte des Workshops am nachfolgenden Tag. Mit 20 Teilnehmenden war die maximale Workshop-Größe ausgeschöpft. Die Diskussion war inhaltlich sehr kontrovers (»unbarmherzig«), im Ton und dem Aufeinandereingehen dennoch sehr freundlich und konstruktiv (»fortschreitend«). Zum Auftakt trug Uli Weiß eine sehr grundsätzliche Kritik am Modell der Peer-Ökonomie von Christian vor. Leider ist die Aufnahme dieses Teils misslungen 🙁
Daher gibt es nachfolgend nur die Notizvorlage von Uli, die Grundlage seines Beitrags war.
Die sich daran anschließende Diskussion wurde dann aber komplett aufgezeichnet. Ihr findet die drei Teile bei archive.org.
Kein Weg aus dem Kapitalismus (Uli Weiß)
Bemerkungen zu Christian Siefkes, BEITRAGEN STATT TAUSCHEN. MATERIELLE PRODUKTION NACH DEM MODELL FREIER SOFTWARE, AG SPAK Bücher Neu Ulm 2008
Christians Ausgangspunkt:
PEER PRODUKTION (u.a. die Freie Software, Wikipedia und Blogosphäre), Gemeingüter
„Ressourcen ohne Eigentümer, die ihre Verwendung kontrollieren könnten; sie sind für alle verfügbar, die sie nutzen wollen.“
„Menschen tragen zu einem Projekt bei weil ihnen dessen Erfolg wichtig ist, nicht um damit Geld zu verdienen.“
kein „Element des Zwangs“,
Peer-Produzent/innen handeln dagegen
- aus Vergnügen
- aus Leidenschaft
- aufgrund des Wunsches, etwas Nützliches zu tun und der Community etwas zurückzugeben
- „Sie tun einfach das, was sie gerne tun; es macht ihnen Spaß, interessante Probleme zu lösen, kreativ zu sein und etwa Nützliches zu schaffen.“
Es findet KEIN TAUSCH statt.
Besonderheit bisheriger Peer-Projekte: Es werden VIRTUELLE PRODUKTE hergestellt. Sie sind
- unbegrenzt vervielfältigbar, vernutzen sich nicht im Gebrauch
- werden ohne jegliche äquivalente Gegenleistung, ohne Tausch/Kauf von Konsumenten genutzt
Hier ist im Keim eine Grund-FORM KOMMUNISTISCHER Tätigkeit gegeben. Im Keim deshalb, weil sie nicht gesellschaftsbestimmend ist und weil sie selbst bisher eine funktionierende kapitalistische Produktion voraussetzt.
Die tatsächliche Aufhebung kapitalistischer Produktionsweise setzte mindestens dies voraus: In dieser Form solcher freier Tätigkeiten müssten auch diejenigen Produkte geschaffen werden, die sich im Verbrauch vernutzen und die jeweils neu zu produzieren wären. Analoges gilt für Dienstleistung
Eine zivilisationsverträgliche Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise ist identisch damit, dass SCHÖPFERISCHE TÄTIGKEIT (Arbeit) selbst das entscheidende MENSCHLICHE BEDÜRFNIS ist. In dieser Form kommunistischer Tätigkeit würden dann
- nicht nur virtuelle, unendlich verbreiterbare Produkte entstehen,
- solcherart menschlicher Selbstzweck wäre nicht nur wie bereits in aller Geschichte für menschliche Zuwendungen charakteristisch ist (bisher in Familien, in Freundschaft, Liebe).
- Es müssten in solcher Tätigkeit vielmehr ALLE MATERIELLEN BEDINGUNGEN menschlicher Existenz geschaffen werden.
Christian geht es um ein Modell, im dem die Prinzipien der freien Software tatsächlich verallgemeinert wären. Mit dieser Absichtserklärung nimmt er die Herausforderung an, eine Produktionsweise darzustellen, die vollständig auf dem Grundlage dieser freien schöpferischen Tätigkeit beruht.
In diesem REICH DER FREIHEIT ist wie in allen bisherigen Gesellschaften die gesellschaftliche NOTWENDIGKEIT ZU PRODUZIEREN nicht aufgehoben.
Was GRUNDSÄTZLICH ANDERS als in aller bisherigen Geschichte sein müsste, ist „nur“ die SOZIALE FORM, in der sich diese Notwendigkeit gegenüber den EINZELNEN INDIVIDUEN geltend macht. In freier Software-Produktion ist genau solches als Keim angelegt.
Ausgeschlossen dagegen ist eine Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus, in der diese ewige Notwendigkeit menschlicher Existenz – die zu produzieren – gegenüber den EINZELNEN INDIVIDUEN und ihren GEMEINSCHAFTEN durch irgendeinen ÄUSSEREN ZWANG durchgesetzt wird.
Auch der stumme ZWANG DER ÖKONOMIE, der wie im Kapitalismus die einzelnen Individuen in Lohnarbeit oder in andere Funktionen der Kapitalverwertung treibt, ist ein solcher. Soll auch dieser Zwang ausgeschlossen sein, muss das einzelne Individuum zu seinen Lebensmitteln kommen können, OHNE selbst ein ÄQUIVALENT leisten zu müssen. Wo (außerhalb von Sklaverei, Leibeigenschaft, Frondienst) das nicht gegeben ist, wo (arbeitsfähige) Menschen zu ihrem Anspruch auf Lebensmittel nur über das Ableisten lebendiger Arbeit oder über Geld kommen, da herrschen Tauschverhältnisse. Das gilt jedenfalls für eine hocharbeitsteilige Produktionsweise. Unabhängig ob freie Konkurrenz dominiert, ob Genossenschaften eine tragende Grundstruktur der Produktion sind oder ob eher Monopole, Staatsmonopole eingeschlossen, handeln, und auch unabhängig davon, wie groß das Maß von Produktionsplanung ist – in einer solchen Produktionsweise sind die bestimmenden Produktionsverhältnisse durch WERT vermittelt.
BEITRAGEN STATT TAUSCHEN aber das FLATRATE-PRINZIP FUNKTIONIERT NICHT
Wie wird nun Christian mit dieser selbst gestellten Herausforderung fertig? Er setzt eine Grundannahme, die seinen ganzen Entwurf in eine bestimmte Richtung treibt:
Für die meisten nichtvirtuellen Produkte und Dienstleistungen gilt: Das unbegrenzte, nicht an äquivalente Gegenleistung gebundene Nutzen von Produkten – also das das FLATRATE-PRINZIP – FUNKTIONIERT NICHT. Gemessen an den heute herrschenden Verhältnisse und Gewohnheiten ist das eine realistische Einschätzung. Aber genau diese Verhältnisse will er ja infrage stellen und zwar entlang der freien Tätigkeiten, die viele Peer-Produktionen tragen.
Wenn es nicht doch wieder auf Tausch, auf Arbeitszwang hinauslaufen soll, dem etwa der doppelt freie Lohnarbeiter heute unterworfen ist, wenn das Bedürfnis nach schöpferischer Tätigkeit nicht tragfähig genug sein soll, wie stellt er dann den Zusammenhang zwischen der gesellschaftlichen Notwendigkeit von Produktion und den einzelnen konsumbedürftigen Individuen her?
Das darauf antwortende Grundprinzip wird zunächst an einer solchen gedachten GEMEINSCHAFT entwickelt, die in Peer-Produktion diejenigen Güter herstellt, die die Beteiligten selbst brauchen. Hier ist wie in der urkommunistischen Sippe der Zusammenhang zwischen verausgabter Arbeit und befriedigtem Bedürfnis des einzelnen Individuums und der ganzen Gemeinschaft noch ein UNMITTELBARER.
Auch wenn diese SELBSTVERSORGUNGSGEMEINSCHAFT noch KEINE Gesellschaft ist – für ein Gedankenexperiment ist ein solcher Einstieg völlig berechtigt. Auf dieser Ebene greift der grundsätzliche Einwand von Werner I., Hubert H. und Matthias S. – bei Christians Modell handele es sich nicht um eine Gesellschaft – noch nicht. Ausgehend von solcher gedanklichen Zellform ist für die Wahrhaftigkeit des Aufsteigens vom Abstrakten zum Konkreten, der gedanklichen Rekonstruktion von Gesellschaft entlang der Logik der mit der Zellform gesetzten Grundkategorien für unsere Fragestellung Folgendes entscheidend: In Richtung welcher WELCHER SOZIALER FORM treibt die daraus entfaltete Produktionsweise? Kann es – streng der gesetzten Logik folgend – eine sein, die die kapitalistische tatsächlich aufheben könnte?
Christian schreitet dann auch von dieser Gedankenzelle ausgehend, von seinem Grundprinzip, nach dem der Zusammenhang zwischen Notwendigkeit von Produktion und dem einzelnen Individuum geregelt ist, fort zu Gemeinschaften von Gemeinschaften, zur Vielfalt von hocharbeitsteilig produzierter Güter, also zur Gesellschaft.
Zur Erinnerung: Es ist eine Gesellschaft, in der die einzelnen Individuen in ihren Projekten/Pools nur einen Bruchteil dessen herstellen können, was sie für eigene Konsumtion und Produktion benötigen. Es ist eine Kooperation auf gesellschaftlicher, z.T. globaler Stufenleiter erforderlich und zwar unter der Voraussetzung, dass das Bedürfnis an SCHÖPFERISCHE TÄTIGKEIT für eine hinreichende Produktion noch NICHT TRAGFÄHIG ist. Und es soll eine Gesellschaft sein, in deren Produktionsweise sich die gesellschaftlichen Notwendigkeiten gegenüber dem einzelnen Individuum NICHT als ZWANG zur Geltung bringen.
Eine spannende Sache, jedenfalls für den Geschichtsmaterialisten, der mit Marx und nach den real-“sozialistischen“ Erfahrungen von Folgendem ausgeht: Wenn die PRODUKTIVITÄT und der CHARAKTER menschlicher Arbeit noch nicht solches Niveau erreicht hat, dass gelten kann – „Jeder nach seinen Fähigkeiten – jedem nach seinen Bedürfnissen“ – dann muss jeder Versuch, eine Produktionsweise aufzuheben, die auf Tausch, auf Wert gegründet ist, zwingend wieder „in der alten Scheiße“ landen.
Christians Buch ist nichts weniger als der Versuch, dies zu widerlegen.
Wie stellt Christian nun unter der behaupteten Voraussetzungen mangelnder menschlicher Schöpferkraft den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit von Produktion und den Konsumtionsbedürfnissen der einzelnen Individuen her? Er findet ein MASS, nach dem der Produktions- und der Konsumtionsanteil des Einzelnen geregelt werden soll – die ARBEIT. GEWICHTETE ARBEIT und PRODUKTE werden VERSTEIGERT. Für ein Gedankenexperiment, das den Tausch ausschließen soll, ist dies ziemlich überraschend.
Abgesehen von Flatrate-Produkten haben arbeitsfähige Menschen, die keine solche Arbeit annehmen, keinen Anspruch auf die erzeugnisse. Das, was eigentlich ausgeschlossen werden sollte – der Arbeitszwang –, ist damit wieder eingeführt, wobei Art, Ort, Zeitpunkt und Dauer der Arbeit frei gewählt werden kann. Damit haben wir es hier mit dem Ideal der KAPITALISTISCHEN FORM von Arbeit und Arbeitszwang zu tun – freie LOHNARBEIT.
Die PRODUKTE, die versteigert werden, erwirbt der Käufer (einzelne Individuen bzw. Produktionsgemeinschaften, territoriale oder sonstige Pools), indem durch Arbeit erworbene Äquivalente eingetauscht werden. Die Produkte sind so für die Produzenten, Verkäufer nicht einfach nützliche Dinge, Gebrauchswerte. Es sind WAREN.
Entlang des von Christian gesetzten Grundprinzips ist auch nachweisbar, dass von den potentiellen Produzenten nicht Arbeit ersteigert wird (dies der Schein im Kapitalismus und ausgedrückt in Begriffen wie „Arbeitgeber“ und „Arbeitnehmer“). Es ist vielmehr es ihr Arbeitsvermögen, das sie sie – zeitlich begrenzt – verkaufen, die Wert und Mehrwert schaffende WARE ARBEITSKRAFT.
Noch einmal zu Christians Versuchsanordnung. Wir haben
- eine hocharbeitsteilige global vernetzte Produktion
- arbeitsfähige und bedürftige Individuen, die Güter benötigen, die ihnen mehrheitlich nur die Gesellschaft zur Verfügung stellen kann
- eine Produktivität der menschlichen Arbeit, die noch nicht ein solches Niveau und noch nicht eine solche soziale Form hat, dass die Produktionstätigkeiten selbst das entscheidende menschliche Bedürfnis sein könnte,
- ein Zusammenhang zwischen Bedürfnisbefriedigung der Individuen und der Arbeit, der sich als Zwang gegenüber dem einzelnen Individuum zur Geltung bringen muss.
Einen solchen Zwang haben entgegen der vorrevolutionären Annahmen mit dem Übergang zu NÖP einst die Bolschewiki akzeptieren müssen. In die gleiche Richtung zeigte auch der Wechsel der DDR-Losung, zunächst: „Vom Ich zum Wir“, später: „Ich leiste was, ich leiste mir was“. Hier ging es um das stärkere Geltendmachen der Kategorien der Warenproduktion mit dem sogenannten Neuen Ökonomischen System. In Bezug auf die einzelnen produzierenden und konsumierenden Individuen bedeutete das das Ansprechen und Fördern des individuellen Eigennutzes, um einen zwingenderen Zusammenhang zwischen Arbeitseinsatz und Zugang zur den Waren der „sozialistsichen“ Warenproduktion herzustellen. Die vorläufige Unmöglichkeit massenhaft freier Tätigkeit führte über die staatskapitalistische Form von Warenproduktion – mit dem auch für die westliche frühkapitalistsiche urpsrüngliche Akkumulation charakteristischen hohen Anteil an nicht-ökonomischen Zwang – wieder in mehr (neo-)liberale Varianten, also in „die alte Scheiße.“
Wo Menschen Güter nur dadurch erwerben können, dass sie ein bestimmtes Quantum an Arbeit leisten, ist deren Produktionstätigkeit kein Selbstzweck, nicht selbst Bedürfnis, sondern das Mittel zum Zweck.
Gerade auch weil sie frei über Ort, Art und Maß der Verausgabung ihrer Arbeitskraft entscheiden, werden sie von einem Automatismus beherrscht, den sie – die Massen der sich an den Versteigerungen beteiligenden Menschen – selbst in Gang setzen. Hinter aller Rücken, exekutiert von den Akteuren selbst, wird – bei Christian soll das mittels High-tech und mathematischen Modellen sozusagen in Echtzeit geschehen – die Gewichtung der eigenen Arbeitskraft festgelegt.
Von FREIHEIT in dem Sinne, dass die sich als gesellschaftlich begreifenden und kooperierenden INDIVIDUEN ihre gesellschaftlichen VERHÄLTNISSE tatsächlich BEHERRSCHEN, kann hier KEINE REDE sein.
ÜBERPRODUKTIONEN, KRISEN, ARBEITSLOSIGKEIT und ARMUT sollen in Christians Konzept vermieden werden und zwar dadurch, dass ohne das Dazwischentreten eines kapitalistischen Finanzsystems, ohne die soziale Vermittlung über Wert ein für die einzelnen Individuen enger, zwingender Zusammenhang zwischen verausgabter Arbeit und dem Anspruch an Gütern hergestellt wird.
Das erinnert an PROUDHON: Arbeitszettel als Anspruch auf Güter, Ausschalten von Banken usw. sollten Müßiggang, arbeitsloses Einkommen, Gegensatz von reich und arm verhindern. Nachfolger wie SILVIO GESELL: ähnlich.
Christian geht nun zwar nicht von vor- oder frühkapitalistischen Verhältnissen der kleinen Warenproduktion (die Proudhons Vorstellungen seinerzeit eine gewisse Plausibilität verliehen), sondern von Kooperationsformen aus, denen der Peer-Produktion, die zum Teil an die Errungenschaften der High-tech-Produktion gebunden sind, an Produkte entwickelter kapitalistischer Verhältnisse. Das GRUNDPRINZIP aber, einen Zusammenhang zwischen Bedürfnisbefriedigung und Arbeit dadurch herstellen zu wollen, dass eine UNMITTELBAR ZWINGENDE ÄQUIVALENZ hergestellt und dadurch (angeblich) ein arbeitsfreies Einkommen, damit Reichtumsanhäufung ausgeschlossen wird, entspricht den Utopien dieser vormodernen Verhältnisse. Die Logik der Versuchsanordnung von Christian läuft auf die Verhältnisse kapitalistischer Warenproduktion hinaus. Von „Beitragen statt tauschen“ kann keine Rede sein.
Exkurs zu den Beziehungen zwischen (ökonomischer) GERECHTIGKEIT und sozialen GEGENSÄTZEN
Marx: In der kapitalistische Warenproduktion werden Äquivalente getauscht – bemessen nach der für die Herstellung der Waren (Ware Arbeitskraft eingeschlossen) gesellschaftlich notwendigen Arbeitzeit. In diesem Sinne ist die kapitalistische Produktionsweise eine durchaus gerechte Angelegenheit. Die extremen Gegensätze, Armut und Reichtum, kommen gerade infolge dieses Äquivalenzprinzips zustande.
Schon daraus ergibt sich, dass es Unsinn ist, den katastrophalen Folgen kapitalistischer Produktionsweise dadurch entgehen zu wollen,
- dass eine unmittelbar fassbaren Gerechtigkeit hergestellt wird: vor aller Augen sozusagen über den Versteigerungsmechanismus sich herstellende gerechte Aufteilung der Güter nach der geleisteten Arbeit,
- dass Geld bzw. der „Arbeitsschein“, das Arbeitszeitkontos oder eine sonstige Äquivalentform (dazu wird in Christians Text nichts gesagt, ist auch nicht zwingend notwendig) auf ein rein technisches Austauschmittel reduziert wird.
Mit der Arbeit, der lebendigen und in Form der durch Arbeit zu erwerbenden, akkumulierbaren Ansprüche geronnenen Arbeit als Vermittlungsglied wird vielmehr ein unhintergehbares soziales Verhältnis zwischen Menschen in Bezug auf Gegenstände (Güter, Waren) hergestellt: Die ARBEITSKRAFT wird damit selbst zur WARE.
Der Mechanismus der so unvermeidbaren Anwendung von Arbeitskraft, die kapitalistische Logik, setzt sich in Gang. Ob einzelne Privatunternehmer zum Zwecke der erweiterten Reproduktion ihres Kapitals Arbeitskräfte er- und Produkte versteigern (mit entsprechendem Mehrwert) oder ob wie in Christians Modell Gemeinschaften, Gemeinschaften von Gemeinschaften, Pools, also nicht formelle Eigentümer, sondern Besitzer, Nutzer der Produktionsmittel, faktisch das Gleiche tun, macht für die soziale Bestimmung dessen, was hier das vermittelte Glied ist – Lohnarbeit – keinen Unterschied.
Noch einige Indizien für die Wesensgleichheit der Vermittlungsformen in Christians Modell und in denen der kapitalistischen Produktionsweise:
In dem Maße, in dem er von den angenommenen Idealverhältnissen einer Gemeinschaft, die die von ihr benötigten Güter selbst herstellt (der konstruierten „Zellform“) voranschreitet zu konkreteren Bestimmungen einer Gemeinschaft von Gemeinschaften werden in seinem Text die „Analogien“ zu den heute herrschenden Verhältnissen immer massiver.
In der Logik seines Prinzips tauchen auf: Überproduktion, Akkumulation von Ansprüchen auf Arbeit (seitens einzelner Individuen, seitens von Gemeinschaften/Pools), damit (für größere Investitionen auch nötig) Verfügbarkeit über die Arbeitskräfte in größerem Stil, die nicht an die unmittelbare Einlösung von Äquivalenten gebunden sind.
Sonderinteressen von Individuen/Gruppen/(gewählten) Vertretern, Superstrukturen entstehen und zwar mit der Möglichkeit sie Kraft ihrer Verfügung über die Arbeitskraft anderer Menschen auch durchzusetzen. Die Logik des äquivalenten Austausches in einer hocharbeitsteiligen Gesellschaft konsequent weitergetrieben, führt zu KAPITAL- und MONOPOLBILDUNG.
Christian stößt – wie die reale „unsichtbare Hand des Marktes“ auch – zugleich an die GRENZEN seines PRINZIPS. Damit diese „Peer-Gesellschaft“ nicht völlig auseinanderfliegt, sich selbst auffrisst, muss der Mechanismus der Versteigerung immer wieder außer Kraft gesetzt werden:
- Umgang mit begrenzten natürlichen Ressourcen
- Erfüllung allgemeiner Aufgaben, die durch die Versteigerungswirtschaft nicht gewährleistet sind (Bildung, Erziehung …).
Hier, wo das Grundprinzip, dem die Menschen wie einem Automaten unterworfen sind, die Zivilisation nicht befördert, soll Vernunft direkt eingreifen. Gremien heben bei Christian die zerstörerische Spontaneität der Versteigerung auf. Quelle der Autorität solcher Gremien ist die BÜRGERLICHE DEMOKRATIE. Das Eingreifen der Gremien wird durch eine Art Steuer „finanziert“. Produkte werden zu diesem Zweck teurer verkauft, als sie „eigentlich“ sind. Es ist klar, jedes dieser Gremien muss wie auch im heutigen bürgerlichen Staat an einer funktionierenden Verwertung interessiert sein. Diese bemisst sich unter anderem am Grad der Wert- und Mehrwertproduktion mit all den bekannten Folgen für die Vernunft etwa der politischen Gremien.
Was Christian aus seiner Zellform, der Arbeit als zwingendes Vermittlungsglied zwischen gesellschaftlicher Notwendigkeit und den einzelnen Individuen sehr logisch entwickelt, läuft – sobald das Niveau der Gesellschaftlichkeit erreicht ist – auch auf den ganz normalen bürgerlichen Staat hinaus und zwar auf einen idealisierten.
Noch etwas zum Nachweis, dass Christian hier nicht die Keimform der Tätigkeiten zur Herstellung freie Software zur Grundlage seines Systems macht, sondern faktisch Lohnarbeit:
Die PRODUKTIONSTÄTIGKEIT, für die Christian ausdrücklich einen ÄUSSEREN ANTRIEB für notwendig hält, ist die UNGELIEBTE ARBEIT. Es ist eine Arbeit, die als OPFER angesehen wird. Man verrichtet sie nicht als Bedürfnis um ihrer selbst und um des konkreten Produktes Willen. Man leistet sie, um sich Ansprüche auf solche Güter zu erwerben, die von anderen Menschen hergestellt werden.
An den selbst hergestellten Gütern sind die Produzenten der Gebrauchswerte, die in solcherart Arbeit entstehen, nur insofern interessiert, als sie das Bedürfnis anderer Menschen sind oder sein können. Entscheidend ist, dass die anderen, fremden Menschen bereit sind, diese zu ersteigern und zwar gegen das Äquivalent der darin vergegenständlichten Arbeit, Lohnarbeit. Sicher ist da nichts. Zwischen notwendigen Investitionen und der Versteigerbarkeit von Produkten, dem dadurch dann tatsächlich erlangbaren Äquivalent, liegen die normalen Ungewissheiten. Werbung ist auch hier die unvermeidliche Folge.
Eine solche Arbeit ist, in Marxschen Kategorien ausgedrückt, zugleich KONKRETE, Gebrauchswert schaffende, und ABSTRAKTE ARBEIT – eine WERT SCHAFFENDE. Die Produkte sind WAREN mit der entsprechenden doppelten Eigenschaft: GEBRAUSCHWERT und TAUSCHWERT.
Marx sah in der Ware die Zellform der kapitalistischen Produktionsweise. Der inneren Logik der entsprechenden Wertkategorien folgend und das historische Vorhandensein freier Lohnarbeiter und der (Handels- bzw. Raub)-Kapitale voraussetzend, entwickelte er in Hegelscher Manier die innere Logik der kapitalistischen Produktionsweise.
Christian will daraus ausbrechen. Indem er aber genau auf das Grundprinzip setzt, das auch dem Bekämpften zugrunde liegt, landet er in Warenproduktion und Lohnarbeit.
Systematische Fehler bestehen unter anderem darin:
- Es wird versucht, einen Weg aus dem Kapitalismus zu denken, für den per Definition die notwendigen Voraussetzungen ausgeschlossen sind – die Möglichkeit, dass freie schöpferische Tätigkeit die Gesellschaft materiell trägt.
- Dagegen wird ein Arbeitszwang, der dem des doppelt freien Lohnarbeiters entspricht, als unverzichtbar angenommen.
- Es handelt sich um eine Fehleinschätzung des SOZIALEN CHARAKTERS seines Grundprinzips (äquivalenter Austausch) als ein angeblich dem der kapitalistischen Produktionsweise entgegengesetztes. Nicht verstanden wird, dass der stumme Zwangs der Ökonomie, der sich auch bei ihm als Notwendigkeit des Einzelnen darstellt, seine Arbeitskraft zu versteigern, die charakteristisch bürgerliche Form ist, in der sich die – nicht beherrschte – gesellschaftliche Notwendigkeit von Produktion gegenüber den einzelnen Individuen durchsetzt.
In der Peer-Produktion, in deren Kooperationsformen, stecken tatsächlich viele Momente, die zur KEIMFORM einer anderen, nichtwertförmigen Vergesellschaftung werden könnten. Dort wo die Grundprinzipien etwa der freien Software vorgestellt werden, stellt er für die Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus sehr Ermutigendes dar. Nur deren Grundprinzip – das der freien Tätigkeit und des freien Zugangs – macht er eben nicht nur Grundlage seines Entwurfs.
Was er theoretisch zu entwerfen beabsichtigte, bleibt als Aufgabe bestehen:
- Wie kann eine die Gesellschaft tragende Produktion auch außerhalb der Nische der Informationsgüter jenseits der Wertvermittlung funktionieren?
- Welche Voraussetzungen dafür müssten gegeben sein.
- Welche Momente existieren in der heutigen Gesellschaft bereits, die als Keimformen einer solchen Vergesellschaftung begriffen werden können?
- Welche soziale Träger können diese zur tragenden Bedingungen der Existenz machen?
- Welche Rolle kann Theorie spielen?: Selbstkritik entsprechender Projekte, die ständige Selbsvergesisserung: Worauf läuft das Projekt hinaus, welche inneren Zusammenhänge und welche äußeren gesellschaftlichen Bedingungen sind zu sichern, zu schaffen, dass die Praxen nicht in die Reproduktion des Alten einmünden?
Mit dem Blick auf Wirklichkeiten, darin eingeschlossen Formen der Peer-Produktion, muss diese Diskussion als eine theoretische geführt werden. Dabei geht es um die genannten Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie und es geht um unsere KOMMUNISMUSVORSTELLUNGEN, die offenkundig stark divergieren oder überhaupt noch nicht so ausgesprochen sind, dass sie selbst Gegenstand der Diskussion und Grundlage unserer WaK-Suche sein konnten. Im September 2009 findet ein Seminar genau zu diesem Thema statt.
Die WaK-Gruppe lädt hierzu und zu vorbereitenden Diskussionen herzlich ein.
Zu Uli Weiß‘ Kritik (in Notizform): Zunächst wird dort behauptet, das Flatrate-Modell funktioniere nicht (auch wenn der Nachweis dafür ausbleibt). Später wird versucht, nachzuweisen, warum, sobald man nicht das Flatrate-Modell verwendet, es reiner Kapitalismus sei. Weil sie also entweder nicht geht oder Kapitalismus ist, soll die PÖ, wie in der Überschrift groß behauptet wird, kein Weg aus dem Kapitalismus sein.
Übersehen wird dabei, dass Christian ja mit der Verteilungsmodellen nur verschiedene Arten beschreibt, wie der Zusammenhang zwischen Beiträgen und Verteilung funktionieren kann. Davon sind „Flatrate“ und „Production effort“ – bei letzterem sind die geleistete Arbeit proportional zu den entnommenen Beiträgen, was sich noch am ehesten dem kap. System der Lohnarbeit vergleichen lässt – nur zwei. Und auch zwischen diesen beiden kann man frei variieren (abgesehen davon, dass Christian ja sowieso nur Überlegungen dazu anstellt – die Projekte werden sich sicher nicht vorschreiben lassen, wie sie das machen, und vielleicht noch ganz andre Wege finden!).
Daher greift eine Kritik, die glaubt, es müsse überall entweder Flatrate gelten oder eine Verteilungsweise, bei der man für jede geleistete Stunde ein bestimmtes Äquivalent kriegt, daneben. Tatsächlich wird es vermutlich überall Flatrate sein, wo das geht – einfach wegen der Konkurrenz von Projekten: Wenn ein Projekt etwas mit der für die anderen weniger angenehmen eingeschränkten Verteilungsweise produziert, das auch mit Flatrate machbar ist, wird sicher ein anderes Projekt es verdrängen.
Tatsache ist aber nunmal, dass Flatrate nicht überall geht. Und für diesen Fall gibt’s die anderen Verteilungsweisen. Man muss aber auch bedenken, dass de facto ja sowieso die meisten Menschen bereits aus Interesse irgendwas machen werden – und ihnen das in den allermeisten Fällen als Aufwand anerkannt werden sind! Somit also gar kein großes Problem, wenn man für das eine oder andere Bedürfnis noch „weighted hours“ braucht.
Nun zum Vorwurf, das sei doch Kapitalismus: Diese Kritik geht davon aus, dass alles Kapitalismus ist, was irgendwie eine Verbindung von dem, was man zur Wirtschaft beiträgt, und dem, was man bekommt, vorsieht (und sei es auch, wie bei Christians Modell, nur in jenen Bereichen, bei denen es nicht anders geht). Das stimmt aber nicht; wer mal einen Blick in „Das Kapital“ von Marx geworfen hat, weiß, dass es nicht so simpel ist. Kapitalismus geht, laut Marx, nicht ohne (1) Tausch, auf dem der Wert beruht; nicht ohne (2) Geld (als Maß der Werte); nicht ohne (3) Kapital, mit dem Wertverwertung vorgenommen wird; und nicht ohne (4) industrielle Reservearmee (d.i. Arbeitslose). Nichts davon gibt es in der Peer-Ökonomie, wie Christian sie beschreibt:
(1) Getauscht wird nicht, weder direkt noch indirekt. Während ich (Äquivalententausch vorausgesetzt) im Kap. auch dann tausche, wenn ich Geld als allgemeines Äquivalent dazwischen nehme und meine Waren gegen Geld verkaufe sowie andere gegen Geld kaufe, tue ich es in einer PÖ nicht. In manchen Bereichen herrscht das Flatrate-Modell, so wie jetzt schon in der Freien Software. In anderen werde ich gewissermaßen in „weighted hours“ bezahlen müssen, aber das ist kein Geld (s. Punkt 2).
(2) Geld gibt es nicht, denn weighted hours sind kein „allgemeines Äquivalent“ für Wert, sondern – wenn man so will – ein allgemeines Äquivalent für Produktionsaufwand und -beliebtheit von Dingen. Das schlägt sich auch darin nieder, dass man sie nicht aufschatzen kann. Es wird wohl kaum jemand erlauben, dass dies geschieht, denn es hieße, dass man sich für die Zukunft verpflichten würde, diesen Aufwand noch an die Schatzenden zu leisten. Das wird schon dadurch verhindert, dass man ja in ein anderes Projekt bzw. -verteilungspool gehen kann. Schatzt also jemand auf, wird er/sie rasch dumm dastehen.
„Weighted hours“ sind also nichts weiter als ein Weg, geleisteten und entnommenen Aufwand zu koordinieren. Sie können nicht gespart oder investiert werden, sie entwerten sich nicht, mit ihnen kann nicht spekuliert werden. Das klingt doch ziemlich wenig kapitalistisch, oder? Für diejenigen, die sich mit Marx auskennen, kommt der wichtigste Punkt hinzu: Sie sind nicht Maß der Werte.
(3) Kapital gibt’s auch nicht. Würde jemand versuchen, mit „weighted hours“ zu investieren, würde dies aus mehreren Gründen nicht gehen: (a) Sie können nicht aufgeschatzt und aufbewahrt werden. Ohne das ist aber keine Investition möglich, bis zum Zurückkriegen mit „Mehr-weightedhours“ wäre die Investition bereits abgelaufen. (b) Niemand wird für jemand anderen mitarbeiten, wenn er/sie auch direkt seine/ihre Beiträge anerkennen lassen kann. Die Unsitte des Kap., dass die Arbeit der einen die Profite der anderen erarbeitet, beruht ja nur darauf, dass sie gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und somit für andere mitzuarbeiten. Hier sind sie es nicht.
(4) Ein wichtiger und schöner Punkt, der den meisten Menschen mit unverdorbenem Blick als Vorteil spontan einleuchtet: Arbeitslosigkeit kann es in der PÖ per definitionem nicht geben – denn diese beruht ja darauf, dass die notwendige (und durch Rationalisierung so weit wie möglich reduzierte) Arbeit verteilt wird! Ist sie getan, ist man arbeitslos – aber im schönen Sinne, denn es ist nichts mehr zu tun! Sind nun doch noch Bedürfnisse unerfüllt, wird man sich, gemeinsam mit Gleichgesinnten, wieder an die Arbeit machen – aber nur dann. Die Absurdität der „Arbeitslosigkeit“ entsteht nur aus dem Widerspruch im Kap., dass die einen ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um leben zu können, während für die Käufer diese Arbeitskraft Unkosten sind und dieser Einkauf daher so weit wie möglich reduziert (und auch so schlecht wie möglich bezahlt) wird. Auch das kann man im 1. Band des „Kapital“, beginnend mit dem dritten Abschnitt, im Detail nachlesen.
Weitere wichtige Unterschiede folgen aus diesen Punkten. Hier muss ich abkürzen, daher nur weniges: Aus (2) folgt, dass es keine Reichen und Armen gibt – man kann höchstens diese Woche etwas mehr beitragen und sich damit etwas mehr Beiträge ‚holen‘. Soziale Unterschiede, sofern sie auf Arm/Reich beruhen, würden verschwinden – keineswegs aber jene Differenzierungen, die auf unterschiedlichen Interessen beruhen, diese würden sich sogar mehr ausprägen! Also keine Zwangsangleichung wie in totalitären Systemen.
Aus (3): Ebenso verschwinden würden Hierarchien. Niemand könnte mehr jemand anderem sagen, was er/sie zu tun hat – weder direkt im Unternehmen als „Chef“, noch indirekt durch viel Geld (heute kann man ja als reicher Mensch ganze Menschenmassen in Bewegung setzen, ohne ihnen einen direkten Befehl zu geben). All dies würde ersatzlos wegfallen.
Der Staat, aber auch Verbrechen, Justiz und Gefängnisse würden zumindest zu jenen Teilen wegfallen, die heute auf dem Eigentumsregime, der extremen sozialen Ungleichheit und der Notwendigkeit, bei all dem noch die „soziale Ruhe“ und eine reibungslose Wertverwertung aufrechtzuerhalten, beruhen. Welcher Anteil das ist, mag jedeR selbst entscheiden – ich würde sagen, ein ziemlich großer.
Außerdem gibt es keinen Verwertungszwang mehr, und es werden einfach die Aufgaben, die ausreichend Leute für erledigenswert halten, direkt erledigt oder aber ‚ausgeschrieben‘. D.h. es wird für immer Schluss sein mit den „Sachzwängen“, wegen denen irgendwas ‚ja wünschenswert wäre, aber nicht geht‘, während man andererseits den Unternehmen Subventionen in den Arsch schiebt und den Reichen die Steuern senkt. Schluss damit! Für immer! Stattdessen wird man sich einigen, was nötig ist, und genau das zusammen tun. Kinder- und Altenbetreuung, Umweltschutz, behindertengerechte Gestaltung der Lebenswelt, Kunstförderung: Nichts würde mehr daran hindern, diese allgemein als positiv anerkannten, aber im Kap. schlecht zum Verwertungszwang passenden Bedürfnisse vollständig zu erfüllen. (Technisch ausgedrückt liegt das daran, dass es keine Indirektion der Bedürfnisbefriedigung mehr gibt; vgl. http://peerconomy.org/text/peer-economy.pdf, S. 77).
Wer eine solche Gesellschaft noch für einen Kapitalismus hält, muss ein sehr idealisiertes Bild des Kapitalismus haben!
Ob wir diese Gesellschaft wollen oder nicht, hängt allerdings von uns ab. Möglich ist sie; aber realisieren müssen wir sie schon selbst. Es gibt keinerlei historischen Automatismus (das glaubte auch Marx, zumindest der späte, nicht, wie Michael Heinrich in seiner Dissertation gezeigt hat).
Mir würde sie zusagen – vielleicht findet sich ja jemand, der mitmachen möchte, diese Gesellschaft zu schaffen?
Fazit: PÖ kann man gut oder schlecht finden, Kapitalismus ist sie ganz sicher nicht, denn sie hat keines seiner wesentlichen Merkmale. Wer daran zweifelt, möge sich fragen, ob eine Gesellschaft ohne Tausch, Wert, Geld und Kapital; ohne Investieren, Abkassieren, Banken und Überproduktionskrisen; ohne Arbeitslosigkeit und „Sachzwänge“; eine Gesellschaft, in der alles, was von vielen (oder wenigen Engagierten) für nötig gehalten wird, auch gemacht wird, während es keinen Zwang gibt, darüber hinaus etwas zu tun und „Arbeitsplätze zu schaffen“ und damit Umwelt und Zukunft zu ruinieren – ob das noch Kapitalismus ist!
@Martin: Wenn Du schreibst:
„Tatsache ist aber nunmal, dass Flatrate nicht überall geht.“
dann ist das genau das, was Uli Christian vorwirft, nämlich dass er diese Tatsache vorraussetzt, obwohl sie seiner Ansicht nach keine ist. Diese grundsätzilche Kritik teile ich durchaus – so wie ja auch Stefan, wenn ich ihn richtig verstanden hab. Allerdings ziehe ich einen anderen Schluß als Uli – und ganz ähnlich zB. Stefan Merten. Ich finde das kein Argument _gegen_ PÖ, sondern _dafür_. Jede Keimform braucht Momente des Alten, damit sie als Keimform funktionieren kann. Bei PÖ ist das eben das bestehen bleiben eines Zusammenhangs von Beitrag und Entnahme.
Hallo Uli, schön, wenn du bestätigst, was ich schon im Herbst 2007 schrieb – dass das Versteigerungsmodell nichts anderes als eine Wertform ist. Wenn man das mal akzeptiert, dann hat Christians Ansatz aber doch einen interessanten Aspekt: Er entwirft ein Modell, wo es nur Unternehmer und keine Lohnarbeiter gibt, also jede(r) auf „eigene Rechnung“ arbeitet (so war es jedenfalls im Original). Das mal konsequent zu Ende zu denken fände ich wirklich spannend. Schließlich weiß selbst ein Vereinsvorsitzender mit ABM-Kräften, dass neben den Lohnkosten vor allem die Frage der Sachkosten steht. Die Frage kommt in Christians Auktionismus gar nicht vor, ob also derjenige, der 20 GS mit geringem Ressourceneinsatz arbeitet, nicht doch dem vorzuziehen ist, der 10 GS mit hohem Ressourceneinsatz arbeitet.
Deine zentrale These „Die Arbeitskraft wird damit selbst zur Ware“ hat etwa Rubens bereits auseinandergenommen – es geht erstens nicht um Arbeitskraft, sondern um Lohnarbeit (gemessen in Arbeitskraft mal Zeit) und zweitens ist es keine Ware ist, sondern ein Verdingungsverhältnis. Neben dem Dimensionsargument von Ruben wende ich vor allem ein, dass es ein grundlegender Unterschied ist, einen Menschen oder ein Pferd für einen Tag zu mieten (MEW 23, S. 200), da ersteres ein Verhältnis innerhalb der menschlichen Gattung ist und damit innerhalb des Wertverhältnisses zu behandeln und nicht wie eine Ware als Target, auf dem sich das Wertverhältnis ausdrückt im Sinne von (MEW 23, S. 52 ff.).
Und natürlich um die Frage, ob das Wertverhältnis oder das Ausbeutungsverhältnis abzuschaffen ist, und wenn zweiteres, wie dieses mit ersterem verbunden ist. Ob Ausbeutung also wirklich ein personales oder nicht doch ein strukturelles Verhältnis ist.
@Martin: Wenn du den Nerv hast, dann höre dir mal die Diskussion an. Dort argumentiert Uli deutlicher an Beispielen, warum er denkt, dass es sich trotzdem um Wert handelt, was da zwischen den Peers »ausgetauscht« wird. Ich teile das nicht und habe Uli auch einen Kategorienfehler vorgeworfen (war ja klar, dass HGG zu Uli ins Boot steigt), aber dennoch verweist er aus meiner Sicht auf etwas hin, das ich dann im Verlaufe der Diskussion die »relative Instabilität« der Peer-Ökonomie genannt habe.
Diese Instabilität geht m.E. ursächlich auf die Kopplung von Geben und Nehmen (Beitragen und Entnehmen) zurück: Solange diese Kopplung existiert, wird es immer Menschen geben, die ihre relative Bevorteilung (durch Qualifikation, physische Ausstattung, materielle Ausgangsvoraussetzungen, örtliche Lage oder was auch immer) ausnutzen werden. Da das innerhalb der PÖ schlecht geht — im Gegensatz zu Kritik_innen sehe ich da nicht so viele Möglichkeiten –, wird es Ausweichbewegungen in parallele Zirkulationen geben, die dann wieder marktähnlichen Charakter bekommen. Das Zurückfallen in die Marktwirtschaft konstatiert Christian in seinem Buch ja auch als Möglichkeit.
In dem Buch geht Christian legitimerweise von einer etablierten und somit idealisiert stabilen PÖ aus. Das geht auch nicht anders, wenn man so ein Modell konsistent durchdenken will. Aber was viele Kritiker_innen — oft verwechseln aber manchmal eben zurecht — anmahnen, ist, den Übergang zur PÖ zu theoretisieren und diskutieren. Wenn man das nämlich angeht, dann, glaube ich, wird deutlich werden, dass die PÖ nur Durchgangsstadium zu einer Gesellschaft sein kann, wo Geben und Nehmen vollständig entkoppelt sind, nicht aber eine Art dauerhafter Zustand. Die PÖ drängt also in Richtung Kommunismus oder fällt wieder zurück in den Kapitalismus.
„Instabilität“ der PÖ wg. (1) Rückfall in den Kap. oder (2) „Vorwärtsfallen“ in den Kommunismus: Beides erscheint mir schwer begründbar.
Zu (1): Ich könnte mir schon vorstellen, dass – gerade am Anfang – einige noch Kapitalismus machen wollen. Schwierig wird es für sie allerdings, (a) weil sie vermutlich wenig ArbeiterInnen finden werden. Denn jedeR ArbeiterIn, das habe ich ja oben schon gesagt, arbeitet ceteris paribus im Kap. für den Kapitalisten mit, in der PÖ nicht.
(b) Man denke auch an die größere Effektivität der PÖ, die ich hier mal skizziert hatte: http://www.keimform.de/2008/12/11/hubert-herfurth-gesellschaftlichkeitsdefizit-in-der-peer-oekonomie/#comment-15567 Der Rückfall in ein wesentliches ineffektiveres System, in dem man für dasselbe sehr viel mehr arbeiten muss, erscheint mir sehr unwahrscheinlich und wäre auch ein historisches Novum.
Aber einen „Selbstversorgungskapitalismus“, d.h. Kapitalisten ohne Kapital, Arbeiter, Wertverwertung usw., gibt es nicht. Was ich mir dagegen schon vorstellen könnte, ist, dass einige „einfachen Produktentausch“ – barter, wie es auch bei Marx manchmal heißt – machen werden. Aber von dort werden sie nicht weiterkommen. Denn der Kap. ging ja nicht einfach los, weil er so toll war und so effizient (obwohl das heute in jedem VWL-Lehrbuch impliziert wird). Er ging los, weil die Commons geklaut worden waren (Marx nennt das „die sogenannte ursprüngliche Akkumulation“) und es somit Leute gab, die Kapital hatten (auch durch andere Entwicklungen, etwa die frühimperialistischen Raubzüge v.a. in Mittel- und Südamerika und die Enteignung der Kirchengüter), und andererseits Leute gab, die ihre Arbeitskraft verkaufen mussten. Beides würde in der PÖ nicht der Fall sein.
Wie soll aber ohne solche Voraussetzungen ein Rückfall in den Kap. möglich sein?
Zu (2): Ich stimme dir zu darin, dass ‚die Rechnerei‘ vielleicht schon bald weitgehend aufhören wird. Einfach weil man feststellt, dass man genug für alle hat.
Also von mir aus: Kommunismus! Mir ist aber doch wichtig an dem Modell, dass es zeigt, wie man mit Knappheit umgehen kann, wo es sie gibt. Man denke z.B. an die „Häuser direkt am Strand“. Es ist klar, dass es eben davon nicht genug für alle gibt, sonst müsste man alle Strände vollbauen und die Umwelt ruinieren. Dito für Häuser mitten im Grünen und toller Aussicht. Was ich schlecht fände, wäre, wenn auf Basis eines „eigentlich kriegt jedeR alles“-Prinzips dann die Frage aufkäme, wer denn nun solche Häuser bewohnen (nicht: Eigentümer sein!) darf, und dann die zurücktreten, die bescheidener sind und ihre eigenen Bedürfnisse zurückstellen.
@StefanMz: Was ist Peer-Ökonomie? Meiner Meinung nach macht dieser Begriff da Sinn, wo die gesellschaftlich vorherrschende Produktionsweise auf den Prinzipien der commonsbasierten Peer-Produktion aufbaut, die ich ja gerne wie folgt zusammenfasse:
1. Peer-Produktion basiert auf Beiträgen (nicht auf Tausch).
2. Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation (nicht auf Zwang oder
Befehl).
3. Peer-Produktion basiert auf Commons (Gemeingütern) und Besitz (nicht
auf Eigentum).
Diese Prinzipien ermöglichen eine Kopplung zwischen Geben und Neben (insbesondere wenn es nicht anders geht), erzwingen sie aber nicht. Warum du diese Kopplung (von der ich annehme, dass sie mal existieren wird und mal nicht, je nach Anwendungsfeld und gesellschaftlichem Entwicklungsstand) zum notwendigen Merkmal der Peer-Ökonomie erklären willst (sozusagen zu einem 4. Prinzip) und daher dann von „Instabilität“ oder „Übergangsmodell“ sprichst, ist mir unverständlich…
@Stefan: „war ja klar, dass HGG zu Uli ins Boot steigt“ – keineswegs, denn Uli kommt aus seiner traditionsmarxistischen Schiene (mal wieder) nicht raus. Da geht die Kritik von Werner Imhof schon deutlich weiter. Meine Frage ist, wieviel Aufwandsverrechnung (nicht nur von Arbeitsaufwand) eine „Assoziation freier und gleichgestellter, nach einem gemeinsamen und rationellen Plan bewußt tätiger Produzenten“ (MEW 18, S. 62) treiben muss und wird. Dass die Sache mit dem „gemeinsamen und rationellen Plan“ heute, wo man die Bewegungsgesetze komplexer dynamischer Systeme (gutes Buch dazu – R. Dawkins: Der blinde Uhrmacher) besser versteht, nicht linear-deterministisch zu denken ist, sondern nur als kon-kurrent (im Sinne der Debatte etwa zum Kooperenz-Papier), ist für mich dabei gesetzt. Bleibt die Frage, wo die Keime „bewußt tätiger Produzenten“ im Heute zu finden sind. Dass dies nicht die (auf höheren Befehl hin tätigen) Lohnarbeiter sind, sondern Unternehmer – und hier für mich namentlich das Unternehmer-Prekariat – scheint mir logisch. Wenn ich dann sehe, dass genau dieses Prekariat in einigem Umfang „Peer-Produktion“ betreibt, besonders an Stellen, wo ihm schlicht Liquidität oder gar die finanzielle Basis fehlt, dann scheint mir die Frage nach den Parallelen in dieser Gesellschaft schon gerechtfertigt. Aber dazu müsste man Christians Aufwandsrechnungsmodell, besonders im Anhang seines Buchs, mal ernst nehmen.
@Martin#6: Du gehst von einer etablierten und funktionierenden PÖ aus, ich nicht. Mich beschäftigt die Transitionsphase, und da will ich die Einwände von Werner, Hubert und Uli schon ernst nehmen (bislang hatte ich keine Zeit mich dazu zu äußern, vielleicht später mal).
Die Frage ist nicht, ob »einige noch Kapitalismus machen wollen«, weil ja auch im Kapitalismus die wenigsten »Kapitalismus machen wollen«, sondern einfach ihr Leben reproduzieren. Auf mein Argument, dass Leute ihre Möglichkeiten auf der Grundlage real vorhandener Unterschiede ausnutzen werden, um sich die Arbeit Anderer anzueignen, bist du nicht eingegangen. Ich will das mal beispielhaft ausführen. Es ist ein Spiel mit dem Modell und insofern wie das Modell selbst fiktiv.
Im Versteigerungsmechanismus — der ja immerhin voluntaristisch, sprich: nicht-äquivalent ist — werden Unterschiede in der Wertigkeit von Arbeiten erzeugt. Zwar ist diese Bewertung im Vergleich zur normalen kapitalistischen Bewertung auf dem Markt tendenziell umgekehrt, aber dennoch bietet jede gestaffelte Wertigkeit der Beiträge eine Ausnutzbarkeit. Das gilt gerade für Phasen der relativen Armut, und eine Übergangsphase zum Commonismus (nenne ich das jetzt mal) wird mit der durch den Kapitalismus real produzierten massenhaften Armut zu kämpfen haben. So finde ich den Hinweis berechtigt, dass eine unbeliebte Tätigkeit zwar hoch bewertet wird, dies aber nur so lange gilt, wie die Teilnehmenden aufgrund ihrer Qualifikation nicht auf andere Tätigkeiten ausweichen können. Verrückterweise könnte bei massenhafter Unterqualifikation plötzlich eine echte Scheisstätigkeit als »beliebt« erscheinen, weil den Leuten nichts anderes übrig bleibt und sie sich gegenseitig die Beitragsbewertung runterkonkurrieren. Ich verweise in diesen Fall auch immer auf die Möglichkeit der eigenen Weiterqualifikation, die — da nützliche Tätigkeit — ebenfalls als Beitrag gesellschaftlich anerkannt wird. Aber das hat seine Grenzen: Es können schlicht nicht alle Unterqualifizierten in die Qualifikation gehen, weil dann zu wenige da sind, für die sich in der Qualifikation befindlichen Menschen »mitzuproduzieren«, da deren Beitragsanforderungen stark ansteigen würde (die und die das vermutlich nicht einsehen). — Bei solchen Verwerfungen finden die Menschen ihre Wege, um über die Runden zu kommen, und die historische Erfahrung zeigt, dass dies meistens Wege der Ausnutzung von Ungleichheit auf Kosten von Anderen sind (außer in extremen Notzeiten). Es ist nicht vergleichbar, aber in Kuba kannst du solche Ausnutzung von Ungleichheit angesichts relativer Armut beobachten (Dollarbesitzer vs. Dollarlose). Nach der Einführung privater Bauernmärkte, waren diese im Nu voll mit Waren, die sonst nicht zu bekommen sind.
Ich denke nun, dass eine solche Phase relativer Instabilität erst in einer globalen Reichtumsgesellschaft überwunden sein kann. Dann aber braucht es keine Beitragen-Entnahme-Kopplung mehr, und dann werden solche lokalen Fragen wie »Haus am Strand« auch anders gelöst werden.
Die Herausforderung für uns ist also, die Transitionsphase weiter theoretisch und praktisch zu durchdringen. Und in der Klärung sind solche Kritiken wie die der Frage der Aneignung vorhandener Produktionsmittel (neben dem Bau völlig neuer) oder die Frage der Gesellschaftlichkeit mit einzubauen. Stets nur darauf zu verweisen, dass das Modell in seiner Idealität weitgehend »wasserdicht« ist, hilft da nicht so sehr weiter (auch wenn man es gegen unsinnige Einwände verteidigen muss).
@Christian#7: Die Kopplung von Geben und Nehmen ist doch nun mal drin in deinem Modell, und sie spielt eine prominente Rolle. Die Begründung, warum das notwendig ist, ist auch konsistent. Der Hinweis darauf, dass sie »nur« von Fall zu Fall genutzt wird, klingt jetzt wie ein Ausweichen. Und du verweist ja auch immer darauf, dass sie auch in der heutigen Peer-Produktion (und ihren drei Prinzipien) bereits enthalten ist, weshalb die PÖ da nichts Neues dazu packt.
Kritisch hinterfragen will ich deine Formulierung der »Kopplung zwischen Geben und Neben (insbesondere wenn es nicht anders geht)«. Es gibt kein außersoziales »wenn es nicht anders geht«, sondern das ist der Kern der sozialen Form, auf die auch Uli hinaus wollte.
@HGG: *Lol*, Uli als Traditionsmarxist! Nennt man das eine Projektion? 😉
Nee, mal ernst: Du willst den Wert und die Aufwands(ver)rechnung beibehalten, Uli gerade nicht. Ihr kritisiert also von entgegengesetzten Polen, irrt euch aber beide — meiner Meinung nach — darin, dass es in dem PÖ-Modell um Wert geht.
In der PÖ können die Leute prinzipiell alles tun, was sie tun können . Im Kap. können sie das nicht. Heute müssen beispielsweise Millionen von Menschen putzen. Anzunehmen, dass die alle „nichts anderes können“, erscheint mir als unfein. Sie haben im Kap. keine Möglichkeit, etwas anderes zu machen. Sagen wir, jemand hat handwerkliche Fähigkeiten, aber muss putzen gehen, weil er/sie es nie geschafft hat, einen Handwerksbetrieb aufzubauen. Gleichzeitig müssen heute viele Handwerker 60 Stunden pro Monat arbeiten, um als Handwerker zu überleben. Dito für Architekten, Musiker, Journalisten: Überall gibt es viele, die etwas können aber nicht ausüben dürfen, während sich diejenigen, die diese Tätigkeiten machen, halb totarbeiten müssen, um sie weiterhin machen zu können.
Dies hängt natürlich – da sage ich dir ja nichts Neues! – mit der Konkurrenz- und Knappheitslogik des Kap. zusammen: Unternehmen und Selbständige verdrängen sich gegenseitig, Arbeitskräfte müssen zahlenmäßig so weit wie möglich reduziert und daher maximal ausgebeutet werden. Nichts davon gibt es in der PÖ. JedeR, der etwas (als sinnvoll Anerkanntes) kann, kann es tun. Gleichzeitig muss niemand mehr tun, als er/sie will. Dieselbe Tätigkeitsmenge wird schlicht auf alle verteilt, die es machen wollen.
Das sind enorme Veränderungen, die dafür sorgen würden. dass schlagartig zahlreiche Menschen aus uninteressanten in (für sie) interessantere Tätigkeiten wechseln könnten. Von denen, die dann immer noch putzen gehen müssten, könnte sich zudem ein erheblicher Teil qualifizieren. Und alle die gar nichts anderes finden, was sie lieber machen wollen, und auch nicht den Weg der Qualifizierung wählen, müssten aufgrund der – durch diese Faktoren – schlagartig höheren Gewichte zumindest sehr viel weniger putzen als bisher, um sich ihre Bedürfnisse zu erfüllen.
Das von dir angesprochene Problem scheint mir also, nach genauerer Betrachtung, nur noch darin zu bestehen, dass beim Übergang vom Kap. zur PÖ die Gewichtungen für unbeliebte Tätigkeiten anfangs noch nicht so hoch liegen werden, wie später. Anfangs würden wohl mehr Menschen putzen, als langfristig. Aber das ergibt sich automatisch daraus, dass die PÖ nicht alle negativen Folgen des Kap. auf einen Schlag beseitigen kann – das kann man doch auch nicht sinnvoll verlangen, oder?
Wie?
@alle: Aus meiner Sicht zeigt das Beispiel mit dem „Haus am Strand“ ziemlich gut, wie Durcheinander die Diskussion ist. Mit den alten Kriterien lässt sich eine neue Gesellschaft weder fassen noch ‚machen‘. Mit den ‚alten‘ Menschen auch nicht, weshalb die Schaffung des ’neuen‘ Menschen schon mal scheinbar ‚bewußt‘ auf der Tagesordnung stand – wie sehr der Schuss nach hinten los ging dürfte den meisten inzwischen bekannt sein. Die notwendige Veränderung der Menschen kann also nicht von einigen wenigen anderen Menschen geschaffen werden, sondern nur durch die Menschen und ihre Tätigkeit selbst wie durch die Verhältnisse die diese Veränderung initiieren und notwendig bedingen. In der bisherigen Diskussion erscheint ja das Bedürfnis nach dem besagten „Haus am Strand“ sozusagen als naturgegeben, die soziale, also selbst gesellschaftliche Bedingtheit dieses Bedürfnisses wird weitestgehend ausgeblendet (wie mir scheint auch beim Uli, weshalb seine Argumentation m. E. so mechanisch und technisch wirkt). Da die Knappheit bestimmter Dinge definitiv nicht aufzuheben ist – nichts anderes zeigt ja das genannte Beispiel ziemlich schlagend – wäre das Streben nach einer anderen Gesellschaft (zumindest unter diesem Gesichtspunkt) sozusagen dauerhaft für die Katz. Erst die Bedingtheit der Bedürfnisse selbst durch die Gesellschaft eröffnet einen anderen Blick, weil er die ahistorische Statik durch die historisch bedingten Möglichkeiten un der daran hängenden Dynamik bricht. Mir kommt es daher so vor, als wenn das Projekteschmieden etwa im Sinne der P-Ö genau über die eigentlich zu sehende ‚Unmöglichkeit‘ hinwegtäuschen soll – obwohl diese ‚Unmöglichkeit‘ nicht weiter reicht als die aktuelle gesellschaftliche Situation selbst – der sie als Schein ja entspringt. @Martins Vorwurf an @Werner er hätte kein Interesse an Veränderung bzw. Angst davor transportiert selbst die Angst vor der sonst vorhandenen Unmöglichkeit die Weerner im Blick von Martin wieder einsetzt. @HGG mit seinem Glauben an den „prekären Unternehmer“ sitzt diesem Schein genauso auf! Gegen diese Unmöglichkeit braucht ihr einen Stein der Weisen, eine „Keimform“ die diese Unmöglichkeit aufzuheben hilft (Partei und Staat sind hier die bereits abgearbeiteten Steine die ihre Untauglichkeit schon demonstrieren konnten). Diese Demonstration liegt den heutigen Individuen jedoch als persönliche bzw. geschichtliche Erfahrung vor, weshalb sie sich aus guten Gründen nicht mehr von jedem ‚Revolutionsaufruf‘ angesprochen fühlen. Die für die Veränderung notwendige neue, positive Gesellschaftlichkeit (es ist der größte Irrtum der bisherigen Veränderungsbemühungen, diese als gegeben voraus zu setzen) verschanzt und verbirgt sich z. B. unter der immer weiter zunehmenden Abhängigkeit jedes Einzelnen von allen anderen und es kommt nicht von ungefähr, dass @Christian glaubt, sich dieses Problems durch die Floskeln vom gemeinsamen Interesse entledigen zu können. Vom eigenen Interesse auf die Interessen der anderen lässt sich so eben genau nicht umschalten. Denn die negativ verstandene Abhängigkeit von den anderen wird ja erst dadurch aufgehoben, dass im Blick der anderen genau nicht die eigenen Interessen die 1. Geige spielen, aber genau das umgeht Christian. Im Gegensatz zu Ulis Anspruchsposition (die Bedürfnisse des einzelnen/kein Zwang also ein irdisches Paradies) benötigt diese Position zunächst die Leistung eben dieses Einzelnen und erst aus der Wechselwirkung dieser mit den Leistungen aller anderen wird dann das, worum es geht!
@Stefan: Der Kurzschluss, jemanden, der gelegentlich traditionsmarxistisch argumentiert, gleich voll und ganz als Traditionsmarxisten zu bezeichnen, ist deiner, nicht meiner. Für mich verläuft die – durchaus gelegentlich quälende – Suche nach „Wegen aus dem Kapitalismus“ wesentlich komplexer.
Ansonsten halten wir uns doch einfach an Ulis Text. Er enthält zunächst einen analytischen Teil, der reicht von
Wie stellt Christian nun unter der behaupteten Voraussetzungen mangelnder menschlicher Schöpferkraft den Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit von Produktion und den Konsumtionsbedürfnissen der einzelnen Individuen her? Er findet ein MASS, nach dem der Produktions- und der Konsumtionsanteil des Einzelnen geregelt werden soll – die ARBEIT. GEWICHTETE ARBEIT und PRODUKTE werden VERSTEIGERT. Für ein Gedankenexperiment, das den Tausch ausschließen soll, ist dies ziemlich überraschend.
bis
Die Logik der Versuchsanordnung von Christian läuft auf die Verhältnisse kapitalistischer Warenproduktion hinaus. Von „Beitragen statt tauschen“ kann keine Rede sein.
Dieser Teil enthält, nach der von mir geteilten Analyse, dass nicht Arbeit „ersteigert“, sondern (dort noch korrekt) „Arbeitsvermögen … zeitlich begrenzt verkauft“ wird, den ersten – für mich traditionsmarxistischen – Kurzschluss, diesen „Verkauf“ als Waren- und nicht als Verdingungsverhältnis zu interpretieren.
Das wird dann weiter untersetzt
Noch einige Indizien für die Wesensgleichheit der Vermittlungsformen in Christians Modell und in denen der kapitalistischen Produktionsweise: In dem Maße, in dem er … voranschreitet zu konkreteren Bestimmungen einer Gemeinschaft von Gemeinschaften (Hervorhebung hgg), werden in seinem Text die „Analogien“ zu den heute herrschenden Verhältnissen immer massiver.
Christian stößt – wie die reale „unsichtbare Hand des Marktes“ auch – zugleich an die GRENZEN seines PRINZIPS. Damit diese „Peer-Gesellschaft“ nicht völlig auseinanderfliegt, sich selbst auffrisst, muss der Mechanismus der Versteigerung immer wieder außer Kraft gesetzt werden …
Noch etwas zum Nachweis, dass Christian hier nicht die Keimform der Tätigkeiten zur Herstellung freie Software zur Grundlage seines Systems macht, sondern faktisch Lohnarbeit: Die PRODUKTIONSTÄTIGKEIT, für die Christian ausdrücklich einen ÄUSSEREN ANTRIEB für notwendig hält, ist die UNGELIEBTE ARBEIT. Es ist eine Arbeit, die als OPFER angesehen wird. …
Alles Fragen, die ich ebenfalls lange gestellt habe.
Dann gehen unsere theoretischen Positionen in der Tat auseinander, insbesondere in der Frage deiner – aus meiner Sicht ebenfalls traditionsmarxistisch bedingten – semantischen Überladung der Wertkategorie
Du willst den Wert und die Aufwands(ver)rechnung beibehalten, Uli gerade nicht.
Das ist nichts anderes als ein dogmatischer Glaubenssatz. Ich möchte verstehen, was „Aufwands(ver)rechnung“ in dieser Gesellschaft trägt, inwiefern sie in „Gemeinschaften von Gemeinschaften“ unumgänglich ist (wie in allen praktischen Kommune-Experimente in arbeitsteilig organisierten Gesellschaften, die ich kenne) und deshalb auch für eine tragfähige Kommunismusvorstellung erforderlich sind. Ansonsten ist Ulis Quintessenz
Mit dem Blick auf Wirklichkeiten, darin eingeschlossen Formen der Peer-Produktion, muss diese Diskussion als eine theoretische geführt werden. Dabei geht es um die genannten Kategorien der Kritik der politischen Ökonomie und es geht um unsere KOMMUNISMUSVORSTELLUNGEN, die offenkundig stark divergieren oder überhaupt noch nicht so ausgesprochen sind, dass sie selbst Gegenstand der Diskussion und Grundlage unserer WaK-Suche sein konnten
aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen.
@benni #3: Ich stelle mir gerne vor, dass es eines Tages ganz ohne Rechnerei geht. Aber ich denke halt, man kann nicht beweisen, dass es so kommen wird. Und solange finde ich es besser, zeigen zu können, wie man mit verbleibender Knappheit umgeht.
Allerdings möchte ich mir den Verzicht aufs Rechnen nicht damit erkaufen, dass ich einen „neuen Menschen“ verlange, wie Hubert es hier für nötig hält. Das führt, wie Hubert ja auch zu Recht anmerkt, leicht zu Moralapostelei und schließlich schlimmstenfalls zum verordneten Verzicht auf bestimmte Bedürfnisse wie im Realsoz. Ich möchte die Menschen nicht verändern – ich will das System verändern. Das ist für mich das Entscheidende beim Linken Denken: Die Menschen zu akzeptieren und die Systeme in Frage zu stellen.
Das Tolle an Christians Modell ist für mich, dass es genau das tut. Es stellt keinerlei Anforderungen an die Menschen, etwa der Art: Strandhäuser (fette Limousinen; 20 Paar Schuhe; eine Yacht …) braucht doch niemand. Es zeigt, dass man den Kap. durch ein System ersetzen kann, das vernünftig und sehr viel besser als der Kapitalismus ist, ohne den Menschen verändern zu wollen. Damit kann man dann auf Argumente, es ginge aus diesem oder jenem Grund nicht, reagieren und diese widerlegen.
@Martin na großartig, dieser Geschichtsidealismus nimmt ja schon bombastische Züge an. Frage 1: Ist das System – das Du ändern willst – also unabhängig von den Menschen entstanden, hat mit diesen also nicht soviel zu tun? Frage 2: Wenn Du das System änderst, bleibt ‚der Mensch‘ also der gleiche der er zuvor war? Frage 3: Da Du „das Linke Denken“ zumindest ein Stück weit für die von dir angestrebten Veränderungen für notwendig erachtest, müssten ja zumindest die noch nicht Linken Menschen für diese Veränderungen links werden, oder? Du scheinst ja ein ganz pfiffiger Vogel zu sein!
@Hubert: Ach, zu glauben, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt und es also nötig ist, zunächst einmal die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern, damit sich dann auch die Menschen und ihr Bewusstsein ändern, ist also „idealistisch“? Und „materialistisch“ ist es dann vermutlich, wenn man (wie du anscheinend?) glaubt, dass das Bewusstsein der Menschen ihr Sein bestimmt und sich also zunächst die Menschen selbst und ihr Bewusstsein verändern müssen, bevor sie dann die gesellschaftlichen Verhältnisse ändern können? Diese Verwendung der Begriffe „idealistisch“ und „materialistisch“ ist … na sagen wir mal, „unorthodox“ 😉
eine allerletzte Antwort @Christian.
Teil 1: … ist die Veränderung der Menschen also doch notwendig, wenn auch erst ‚danach‘ ?
Teil 2: die Dialektik ist für Marxisten ein weitgehend unverständliches Gebiet, wieso hätten sie auch sonst Marxisten werden müssen, schließlich brauchen sie ja was, wo sie sich dran festhalten und Autorität ausstrahlen können – die Realität bietet nicht so viele feste Griffe die Halt (und Autorität) geben.
Also nichts für ungut: machts besser und lasst euch durch Idioten nicht aufhalten!
1. Peer-Produktion basiert auf Beiträgen
2. Peer-Produktion basiert auf freier Kooperation
3. Peer-Produktion basiert auf Commons
Hallo
ich lese Euch alle und verfolge…
Ihr redet von Häusern, Rechnen und Putzen…
Ich komme aus der Realität, den Menschen die Mit-Machen statt zu Diskutieren, wie man und Frau es machen könnte, sollte, ect…
Gleich vor weg: es putzen immer die selben, genau wie die, die immer nur Party machen!
Genau die richten sich nicht nach „Beitragen statt Tauschen“ und Handeln den Commens teils Hard mit den Fäusten aus.
Die Projekte, die als Unterbau das Werk „Beitragen statt Tauschen“ mit in Ihren Statuten (Daran zu rütteln MUSS Tabu sein) Implantiert haben, haben überhaupt ne Changs auf überleben auf diesen Planeten. Denn nur diese haben den Kopf frei, sich auf die Wirklichen Probleme zu Konzentrienen und Lösungen zu finden, „und die nötige Bereitschaft überhaupt“, die Lösung zu Akzeptieren und den Prozess der Lösungs-Entwicklung Geistig sowie Handelnd wirklich zu unterstützen.
Über 1., 2. und 3. sollte grundlegend zugrunde liegen:
0. Die Großzügigkeit des Wesens
Die „Großzügigkeit zu Besitzen“, wirklich Beizutragen für ne Gute Sache, statt zu Tauschen und dann im Hinterhirn zu Hoffen, das es anschließend Freibier gibt.
Das ist das Ursächliche UR-Problem.
Warum ist die Welt so schlecht?
Weil wir etwa gezwungen werden, ein Haus am Meer zu kaufen statt zum Meer zu fahren und dann beim Fischer mal nachzufragen, ob man mal Unterkommen kann und auch dem Erlebnis Meer dadurch erleben kann?
Jeder entscheidet vom ersten bis zum letzten Atemzug hier selbst. Das es meinstens nur für den Mut reicht, schnell zum Supermarkt billig Kartoffeln, statt zum Bauern nachhaltig, beweist die Realität genug.
Bei dieser kleinkariertheit, wenn einer dann kommen sollte und sagt, das er aber „Bio-kartoffeln im Supermarkt“…
…der beweist nur, das er weiter sämtliche Verantwortung auf andere abwälst, also überhaupt nicht großzügig handeln tut.
Das ist der Dreh und Angelpunkt Euer ganzen Diskussion.
Ist das Wesen (über das Ihr hier immer Redet) überhaupt selbst Bereit, den Besitz den es hat, den Mut zur aktiven Bereitschaft aufzubringen oder bleibt es das Wesen, ja, heimlich mit anderen immer nur im Internet oder der Stammkneipe zu diskutieren und dann aber wieder zur Arbeit ans Band und sich dann aber als Opfer zu fühlen.
Opfer sein ist leicht, Kinderleicht! (provozierent, aber Sarkastisch, weils ne Menschliche Tragödie ist)
Aber Täter werden, ist garnicht so einfach und schon garnicht Kinderleicht. Denn dazu muss man Verantwortungvoller Mensch sein, Erfahrung macht den Menschen, also t (zeit, lebenszeit) und die sind es, die einfach den Besen in die Hand nehmen und schon mal anfangen…das ist der einzig wahre Besitz, den jeder Mensch hat aber in den seltesten Fällen anwendet.
Den Mut zu haben, seine Großzugigleit für das schöne einzusetzen.
Dieser Welt und sein eigenes persönliche Leben!
[Anmerkung: Dieser Kommentar wurde erneurt, da er vorher nicht vollständig erschien]
Hallo Martin,
erforderlich wäre eine viel tiefergehende Kritik als meine an Christian und Deine an mir. Trotzdem hier einige Notizen:
»Uli Weiß … behauptet, das Flatrate-Modell funktioniere nicht.«
Ich habe mich in unserer WaK-Runde am Mittwoch belehren lassen, dass ich den Flatrate-Begriff falsch verwende. Bestimmte Produkte können da zwar uneingeschränkt genutzt werden, aber nur unter der Bedingung dass der Konsument zuvor eine bestimmte eigene Leistung eingebracht hat. Wenn das Flatrate bedeutet, dann geht es mir um noch viel mehr: Um uneingeschränkte Nutzung von Produkten, für die die einzelnen Individuen keinerlei Vorleistung erbringen müssen.
Es ist tatsächlich meine große Hoffnung, dass auch bei Produkten, die sich im Konsum verbrauchen und nicht unendlich kopierbar sind, eine solche freie Produktion und Konsumtion mögliche ist, wie wir sie etwa bei freier Software vorfinden. Produktion und Verbrauch von Produktionsmitteln und Dienstleistungen sind hier mit eingeschlossen.
Die Frage ist: Entstehen im Kapitalismus solche Voraussetzungen, die, wenn sich assoziierende Menschen diese sich auf neue soziale Weise aneignen, es ermöglichen, dass das gesellschaftliche Prinzip »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« möglich wird?
Wenn wir diese Bedingungen und die sozialen Bewegungen, durch die diese Möglichkeiten gesellschaftbestimmend werden können, praktisch und theoretisch nicht finden bzw. benennen können, müsste ich jede Hoffnung auf Wege aus dem Kapitalismus aufgeben.
Wenn ich es richtig sehe, hat Marx erstmalig in der Kritik am Gothaer Programm der Sozialdemokratie eine erste Phase des Kommunismus angenommen, genannt Sozialismus. In diesem sollte gelten: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Leistungen«. Ich sehe in der Suche nach einer solchen Übergangsgesellschaft kein Projekt, das einen Übergang vom Kapitalismus zum Kommunismus eröffnen könnte. Es ist nicht nur historisch-praktisch gescheitert. Der reale „Sozialismus“ bzw. „Kommunismus“, in dem dies Prinzip galt, erwies sich als eine Form – nachholender – kapitalistischer Entwicklung. In diesem Prinzip etwas potentiell Kommunistisches zu sehen, widerspricht auch Marx‘ Grundannahmen in seiner Kritiken der Politischen Ökonomie. Für die Arbeiterbewegung und darüber hinaus war dies Konzept allerdings eine sehr plausible Vorstellung, eine geradezu notwendige und zwar unter solchen historischen Bedingungen, da es in der gegebenen Wirklichkeit sozusagen überhaupt noch keine dafür tragfähigen Voraussetzungen gab.
Christian behauptet nun, die Prinzipien der Peer-Ökonomie auf ihre Verallgemeinerbarkeit zu prüfen. In Bezug auf das, was ich in der Suche nach Wegen aus dem Kapitalismus tatsächlich als keimformhaft etwa an der freien Software-Produktionsweise ansehe, tut er genau das nicht. Für die Akteure der Freien Software wie für die Nutzer gibt es keinerlei Äquivalent zwischen dem Anteil an der Produktion und der individuellen Nutzung der Ergebnisse. Die schöpferische Tätigkeit selbst und der Genuss am funktionierenden Produkt, das sind hier die entscheidende Antrieb für die Herstellung nützlicher Dinge, die jeder Mensch in Anspruch nehmen kann ohne selbst ein Äquivalent bieten zu müssen. Genau diese besondere soziale Form von Produktion und Verbrauch ist das perspektivreich Neue, das, wenn es denn verallgemeinerbar würde, tatsächlich über die kapitalistische Produktionsweise hinausführte.
Christian setzt aber die Annahme, dass wesentliche Güter nach diesem Prinzip nicht hergestellt bzw. verbraucht werden könnten. Es müsse ein zwingenden Zusammenhang zwischen den Arbeitsleistungen der einzelnen Individuen und ihren Möglichkeiten des Konsums hergestellt werden. Sein ganzes Modell der Ver- und Ersteigerung von Arbeiten und von Produkten dient dazu, diesen Zusammenhang für die einzelnen Individuen zwingend herzustellen, also genau das in Gang zu setzen, was für die Produktion etwa von freier Software eben NICHT charakteristisch ist.
Es hilft nicht, die Sache dadurch zu »entschärfen« oder zu verwässern, dass du erklärst, Christian nehme ja »verschiedene … Zusammenhänge zwischen Beiträgen und Verteilung« an. Es gäbe außer der “Production effort” (Aufwand?) ja auch noch die “Flatrate”. Man könne ja zwischen beiden frei variieren und außerdem werden sich »die Projekte … sicher nicht vorschreiben lassen, wie sie das machen, und vielleicht noch ganz andre Wege finden« und dass »sowieso die meisten Menschen bereits aus Interesse irgendwas machen werden«.
Mir geht es um eben um jenen Bereich, für den Christian den Zwang zu Äquivalenz annimmt und wofür er ja auch sein ganzes Modell gewichteter Arbeit und entsprechenden Anspruchs an Produktion entwickelt.
Beide Prinzipien, einmal das der freien Produktion und uneingeschränkten Nutzung und zum anderen das einer Produktion, die Menschen deshalb an sich bindet, weil sie damit Anspruch auf andere Produkte erwerben und die die Produkte nur durch entsprechende Gegenleistung zur Verfügung stellt, sind von EINANDER AUSSCHLIESSENDER SOZIALER Qualität. Es geht nicht darum, eine parallele Existenz tatsächlich oder potentiell gegensätzlicher Produktionsweisen in Frage zu stellen (was ja längst Wirklichkeit ist – siehe die Existenz der Freien Software). Es geht mir um ein Verständnis darum, dass es eine völlig falsche Suchrichtung ist, gerade in solche Formen von Peer-Ökonomie wieder Prinzipien der bürgerlichen Äquivalenz-Verhältnisse implantieren zu wollen. M.E. tut Christian genau dies.
Eine historische Analogie: Die Arbeit eines Leibeigenen auf dem Gut des (Feudal-)Herren einerseits und andererseits die (technisch) gleiche Tätigkeit eines Lohnarbeitert (des Tagelöhners etwa) ist von gegensätzlicher sozialer Qualität. Auch wenn sie bezogen auf die Gesamtproduktion der damaligen Gesellschaften noch marginal war: Es war die Arbeit des Lohnarbeiters in den frühen Manufakturen und die entsprechend Tätigkeit des Unternehmers, die zur Keimform der kapitalistischen Produktionsweise wurde, und nicht die – selbst wenn es technisch gleiche Tätigkeiten sein sollten – die von Sklaven, Leibeigenen, Fronarbeitern in den Wirtschaften der Feudalherren geleistet wurden.
Worum es mir also geht: Wir müssen über die SOZIALEN FORMEN von Produktion, Bedürfnissen und Konsumtion reden.
Christian versucht das, aber es gelingt ihm nicht. Meine Frage nach der sozialen Form der Tätigkeit, die Christian für den Bereich für notwendig erachtet, für den er das Prinzip freier Software-Produktion nicht für geeignet hält, wird von ihm und anderen nicht angenommen. Die Tatsache etwa, dass die Individuen zwischen der Art, dem Ort, dem Maß usw. der zu ersteigernden Arbeiten wählen können (dies auch nur in den glücklichen Fällen – setzt ich hinzu), wird als Ausdruck von Freiheit gewertet. Es wird übersehen, dass es genau diejenige Freiheit und damit auch derjenige Zwang ist, dem der kapitalistische Lohnarbeiter auch unterworfen ist.
Mir wird entgegnet, es sei doch alles anders gemeint. Ich verstünde das ganze Anliegen und die ganze Konstruktion nicht. Es werde doch ein direkter Zusammenhang zwischen Bedürfnissen, Produktionsaufwand, Anteil des Einzelnen an diesem und dementsprechend an den Produkten hergestellt. Da werde nichts über den kapitalistischen Markt vermittelt. Der gesellschaftliche Charakter von Produktion werde direkt hergestellt und nicht hinter dem Rücken der Produzenten, da es keine voneinander isolierte Privatproduktion gäbe.
Ausgehend von Christians Grundannahme des zwingend herzustellenden Zusammenhangs zwischen der Arbeitsleistung des Einzelnen und seinem Anteil an den Produkten anzunehmen, dass das Ganze laufe auf einen ganz normalen Kapitalismus hinaus, das sei eine völlig ungerechtfertigte Unterstellung.
Hier dazu nur noch einmal dies:
Was Christian da entwickelt ist tatsächlich noch kein Kapitalismus. Man muss aber seine Annahmen auf die Höhe der längst erreichten (und nicht rücknehmbaren) Vergesellschaftung heben. Ich stimme den grundsätzlichen ökonomischen Einwände von Werner I. und den mehr philosophischen von Matthias zu, dass es sich bei Christian nicht um eine wirklich gesellschaftliche Produktion handelt und dass sein Konstrukt nicht in einer Gesellschaft von heutiger Ausdifferenzierung und Dynamik „spielt“. Ich meine auch, es handelt sich um ein Modell, das die Gemeinschaftsebene nicht wirklich verlässt (auch wenn von Gemeinschaften von Gemeinschaften, von Projektpools usw. die Rede ist). Auf dieser Ebene über den spezifischen sozialen Charakter seines Grundprinzips zu reden, ist nicht möglich eben weil der gesellschaftliche Charakter von Produktion, Konsumtion und Bedürfnissen hier gar nicht erfasst werden kann.
Ich habe Christians Grundprinzip des zwingenden Zusammenhangs (also der Äquivalenz) zwischen individuell verausgabter Arbeit und entsprechendem Anspruch auf in anderen Projekten produzierten Gütern ernst genommen und auf die Höhe gesellschaftlicher Produktion gehoben. Wer da nicht mitgeht, braucht sich mit meinen Einwänden nicht weiter zu beschäftigen. Tut man aber das, dann stellen sich – egal, was sich die Individuen, die Akteure einzelner Projekte wünschen – alle die für die kapitalistische Produktionsweise charakteristischen Formen her:
Die Arbeit ist Lohnarbeit, die Produkte sind Waren, deren Wert erst im Nachhinein gesellschaftlich anerkannt wird oder auch nicht, die gesellschaftlichen Beziehungen entwickeln sich hinter dem Rücken der Akteure, Überproduktion, Krisen, Insolvenzen usw. usw. – entpersonifieziertes, automatisches, sich selbst verwertendes automatisches Subjekt: Kapital sozusagen in seiner höchsten (gedanklichen) Entfaltung.
Der Witz ist ja der: Christian versucht durchaus, sich vielfältigere Verhältnisses vorzustellen. Wo er aber von der Urform der einzelnen Gemeinschaft, in der die Menschen die von ihnen benötigten Produkte selbst herstellen, aufzusteigen versucht in Richtung gesellschaftlicher Produktion, da stößt er selbst darauf. Entlang seinem Prinzip könnte etwa Überproduktion entstehen, könnte verausgabte Arbeit nicht anerkannt werden, sind ganze Lebensbereiche aus seinem Grundprinzip herauszunehmen (nicht wirklich, da etwa über die Gemeinschaften evtl. den Staat vermittelte Aufgaben wie Bildung usw. eine Art Steuereinnahmen voraussetzen). Hier verlässt er dann das Prinzip und setzt die personale Vereinbarung, Vernunft. Auch das ist die Beschreibung der bürgerlichen Gesellschaft (in den relativ glücklichen Zeiten der sogenannten sozialen Marktwirtschaft).
Diese Logik wirklich nachzuvollziehen, bedeutet, den SOZIALEN Charakter des ökonomischen Grundprinzips zu verstehen: Wo auf dem Niveau einer hohem Vergesellschaftung der Produktion freie Arbeiter tätig sein müssen, um sich einen Anspruch zu erarbeiten (das kann nur nach dem Äquivalenzprinzip erfolgen), mittels dessen sie dann gesellschaftlich hergestellte Produkte erwerben können, dort handelt es sich um Lohnarbeit. Wo Verfügungsberechtigte über Produktionsmittel – egal wie deren Verfügung zustande kommt, egal auch ob dies eine automatisch funtionierende Maschinerie der Verteigerung ist – den Zwang von Menschen, arbeiten zu müssen, nutzen (müssen), um eben deren Arbeit(skraft) anzuwenden, wo sich das Maß oder gar die Tatsache der gesellschaftliche Anerkennung (oder Nichtanerkennung) der so hergestellten Produkte sich in einer Versteigerung herausstellt, da handelt es sich um Warenproduktion – auf hohem Niveau ist das unvermeidbar eine kapitalistische.
All das will Christian nicht. Aber all das ist die Konsequenz seiner Logik – sobald ich sie auf das heutige Niveau von Vergesellschaftung beziehe.
Mir ist das deshalb wichtig, weil eben auf diese Weise Keim-FORMEN nicht zu finden sind. Wenn wir Wege aus dem Kapitalismus suchen, dann kommen wir nicht umhin, ausgehend von heutigen Möglichkeiten – wie den Produktions- und Nutzungsformen, die sich in der freien Software zeigen – diese Fragen zu beantworten:
Ist eine Produktionsweise möglich, die auf dem Prinzip »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« gründet? Wie können sich entsprechend bereits vorhandene Keimformen gegenüber der kapitalistischen Formen (des äquivalenten Austausches, der Anwendung von Lohnarbeit, der Warenproduktion) durchsetzen.
Drunter ist’s nicht zu machen. Durch keinerlei technische Tricks und Formeln lässt sich die soziale Form des äquivalenten Austauschs samt aller ihrer Konsequenzen aufheben.
Martin, noch ein wenig Polemik – Spaß muss sein.
Du schreibst: »Wer mal einen Blick in “Das Kapital” von Marx geworfen hat, weiß, dass Kapitalismus … nicht geht ohne (1) Tausch, auf dem der Wert beruht; nicht ohne (2) Geld (als Maß der Werte); nicht ohne (3) Kapital, mit dem Wertverwertung vorgenommen wird; und nicht ohne (4) industrielle Reservearmee (d.i. Arbeitslose). Nichts davon gibt es in der Peer-Ökonomie, wie Christian sie beschreibt.«
Hieran stimmt alles, nur nicht der letzte Satz.
»Tatsache ist aber nunmal, dass Flatrate nicht überall geht.« Wenn das stimmt, dann braucht man genau um an entsprechende Produkte zu kommen, »“weighted hours”«, in denen ich »gewissermaßen … bezahlen muss.«
»Aber das ist kein Geld … kein “allgemeines Äquivalent”«
So? Was ist das, was ich da in die Hand oder auf’s Konto bekomme (ich kann es ja auch akkumulieren für’s Sabbat-Jahr, und jedes Unternehmen, jede Gemeinde muss dies es auch tun).
Es ist »ein allgemeines Äquivalent für Produktionsaufwand und -beliebtheit von Dingen« ist?
Aha. Um die Dinge, die Du hier in einen Topf wirfst – allgemeines Äquivalent – und Beliebtheit (die sich in der Versteigerung herausstellt) müsste man über den Unterschied und den Zusammenhang zwischen Wert und Preis reden. Dass »“weighted hours”« kein Geld sei, keinen Wert repräsentiere, »schlägt sich auch darin nieder, dass man sie nicht aufschatzen kann.«
Man kann nicht nur, man muss (Individuen etwa für ein größeres Maß an Freiheit von Lohnarbeit), Staat, Investitionen. Das wird sofort klar, sobald man Gesellschaft, auch Produktion von Produktionsmitteln denkt – siehe Werner.
»“Weighted hours” sind also nichts weiter als ein Weg, geleisteten und entnommenen Aufwand zu koordinieren. Sie können nicht gespart oder investiert werden, sie entwerten sich nicht, mit ihnen kann nicht spekuliert werden.« Na gut.
»Die Unsitte des Kap., dass die Arbeit der einen die Profite der anderen erarbeitet, beruht ja nur darauf, dass sie gezwungen sind, ihre Arbeitskraft zu verkaufen und somit für andere mitzuarbeiten. Hier sind sie es nicht.«
Doppelter Irrtum. Es ist keine Unsitte des Kapitals sondern Ausdruck der Gerechtigkeit, des äquivalenten Tauschs, einschließlich dessen beim Kauf und Verkauf der Ware Arbeitskraft.
Die Individuen kommen an die Produkte, die in “weighted hours” hergestellt werden müssen, nur heran, indem sie ihre Punkte, Euros, Peer-Taler oder sonstige Äqivalentformen gegen diese austauschen, “weighted hours”. Um diese zu erlangen MÜSSEN sie sich in freier Entscheidung verdingen. Diese Leute sind nicht gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen? Was tun sie sonst?
Usw., usw. – entlang des angenommenen Grundprinzips kommt der ganze »schöne« Kapitalismus heraus.
Aber vielleicht haben wir doch Glück: »Es wird wohl kaum jemand erlauben.«
Tschuldigung.
@Uli: Wir scheinen zwei verschiedene Texte gelesen zu haben. Vorab: Weighted Hours (bei mit auch GS wie Gewichtete Stunden) ergeben sich aus einer Multiplikationsoperation eines Zeitmaßes mit einem Skalierungsfaktor. Das Zeitmaß ist offensichtlich nicht das der wirklich verbrauchten Zeit, sondern ein „durchschnittliches“. Der Skalierungsfaktor hat auch nix mit den Fähigkeiten der jeweiligen Person zu tun, sondern mit der „Reputation“ des Getanen, denn sonst solltest du doch einen wesentlich höheren Skalierungsfaktor fürs Programmieren bekommen als Christian, wo du’s doch erst lernen müsstest. Die Natur beider Faktoren ist also irgendwie objektiver Natur. Und wenn du den Skalierungsfaktor nicht so dimensionslos dastehen lässt wie bei Christian, sondern als das nimmst, wofür er da ist – Zeitmaße verschiedener Arbeiten auf einen Nenner zu bringen – und folglich in G/h misst (G=das hier hervorlugende ominöse „allgemeine Maß“ für Arbeit), dann hat dasselbe zahlenmäßige Ergebnis die Einheit G, so dass du GS auch gleich als „Goldstücke“ dechiffrieren kannst. Insofern kann ich deinen Schluss
nicht nachvollziehen (du forderst ja zu Recht, Theorie zu machen).
Auch
ist so allgemein nicht klar. Ich sag statt „aufschatzen“ allerdings lieber „akkumulieren“, weil dem Aufschatzen im engeren Sinne die Akkumulierbarkeit vorausgeht. Die sieht aber Christian durchaus in gewissem Umfang gegeben, denn er erlaubt ja mal zwei Wochen „GS zu machen“, um dann zwei weitereWochen „meine Ruhe“ zu haben.
Das ist aber auch die primäre Geldfunktion in einer Arbeitswerttheorie, aus der sich alle ihre schlechten sekundären Funktionen wie gespart oder investiert werden ergeben. Hier wäre also nicht hilflos zu sagen „wighted hours haben das nicht“, sondern es wären aktive Gegenstrategien zu entwickeln, dass diese Negativeffekte nicht eintreten.
Das setzt Lohnarbeit voraus. Christians Welt ist – ich schrieb es bereits – aus der oben entwickelten Perspektive heraus eine kapitalistische Welt, in der es allein Unternehmer, aber keine Lohnarbeiter gibt, also nur Leute, die „auf eigene Rechnung“ arbeiten. Dass es davon allein noch nicht besser wird, kann dir jeder Kleinunternehmer oder Handwerksmeister bestätigen. Was wäre in einem solchen Kontext alles anders und wo geht es in die „ganze alte Sch…“? Hier müsste nach meinem Verständnis der Theoriehebel angesetzt werden.
Meiner Meinung nach geht diese Diskussion am interessanten Kern des Problems vorbei. Das grundsätzliche Problem, das wir mit Geld assozieren, scheint mir: alles ist Ware, der private Tausch von Eigentum gegen Geld selbstverständlich.
Wenn es aber statt Eigentum hautpsächlich Besitzt gibt, das Eigentum aber ein Commons-Eigentum ist, und die Commoners Regelungen in Kraft halten, die eine Nutzung der Commons als Waren verhindern, würde die Welt schon wesentlich angenehmer sein.
Ich sehe es übrigens auch so, dass Christians Vorschlag bezüglich der gewichteten Arbeitskraft ein Geldreform-Vorschlag ist.
Grundlegende Änderung im ökonomischen Betriebsmodus ergibt sich meiner Ansicht erst, wenn wir die Algorithmen der Eigentumszuweisung, mit denen ja immer eine gesellschaftliche Übereinkunft einhergeht, ändern.
Ich habe den Kommentar Nr. 20 von Uli, der ziemlich zerschreddert war, mit dem mir von Uli zugesandten Text erneuert. Bei Interesse also bitte nochmal nachlesen.
@Uli: Da habe ich dann ja Eulen nach Athen getragen. Eine größere und m.E. wichtige Differenz bleibt mit dem letzten Abschnitt meiner Anmerkung #21 (Stichwort „Lohnarbeit“), die aus meiner Perspektive auszuloten lohnt.
Zu deiner (@Stefan: traditionsmarxistischen) Kommunismusvision
geht mir vieles im Kopf herum. Neben dem suspekten Dativ im zweiten Teil, der ja Bedürfnisbefriedigung irgendwie als Passivum setzt, ist es vor allem
(1) die strikte Zweiteilung – erst nach den Fähigkeiten produzieren, dann nach den Bedürfnissen konsumieren – und
(2) deine Vorstellung von entgrenzten Bedürfnissen.
Zu (1): Ich denke, hier wird die Entfremdung per se als Denkprämisse reingesteckt, denn welche Fähigkeiten sollen heute eingesetzt werden, damit morgen die materiellen Bedingungen für die dann vorhandenen Bedürfnisse vorhanden sind? Diese prinzipielle Prognosefähigkeit von Gesellschaft bedarf einer Antwort, die ich in deiner Kommunismusformel – jenseits eines Planansatzes, der aber per se den Subjekten entfremdet gegenübertritt – überhaupt nicht sehe. Da ist diese Gesellschaft mit „Markt“ schon einen großen Schritt weiter und Christians PÖ liefert hier entscheidende Ansätze für Neues in einer Gemeinschaft (von Kleinunternehmern, denn das jugoslawische Selbstverwaltungsmodell spielt ja keine Rolle), das sich aber nicht – du führst es aus – auf arbeitsteilige Gesellschaften ausdehnen lässt.
Zu (2): Diese Vorstellung entgrenzter Bedürfnisse ist ein Kind der Industriegesellschaft, die gerade auch an dem Punkt inzwischen vollständig in der Krise ist. „Jeder nach seinen Bedürfnissen“ (ich hab den Dativ schon mal durch den Substantiv ersetzt) kann aus ökologischen Gründen nicht ohne eine „sinnvolle“ Bedürfnisbeschränkung funktionieren. Dieser Punkt birgt aber ganz viel gesellschaftlichen Sprengstoff, um den auch eine kommunistische Gesellschaft nicht herumkommt. Christians PÖ enthält zu diesem Thema überhaupt nichts.
Hans-Gert,
ja, das ist traditionsmarxistisch und die Zweiteilung Fähigkeiten/Bedürfnisse bzw. Produktion/Verbrauch ist problematisch. Höchste Zeit, das zu präzisieren.
Noch einmal zu 1875 und zum konkreten Anlass, aus dem heraus Marx das sozialistische bzw. kommunistische Prinzip formulierte. Lassalles Ideen tauchten im Programm der dt. Soziademokratie auf, der, wie Marx meinte, theoretisch gebildetsten Arbeiterpartei. Entsetzt darüber versucht Marx u.a. Grundzüge einer kommunistischen Produktionsweise (sozialistische Übergangsgesellschaft und Kommunismus auf seiner eigenen Grundlage) zu erläutern und zwar in den Kategorien, die den Proletariern zugänglich waren. Das aber waren die der kapitalistischen Produktionsweise und des proletarischen Klassenkampfes um Sicherung und Verbesserung der Lebensweise der Arbeiter.
Für beides ist die Zweiteilung von (Lohn-)Arbeit und Bedürfnisbefriedigung konstituierend. Offenkundig kann der Versuch, ausgehend von solchen Voraussetzungen, den Kommunismus als aufgehobenen Kapitalismus zu denken, nur schief gehen. (Deshalb auch meine Annahme: Ein den Kapitalismus übersteigendes Denken kann nur aus einer Praxis heraus bzw. bezogen auf solche erfolgen, die die faktische Aufhebung der Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise bedeutet.)
H.-G., dein Einwurf stimmt: In der Zweiteilung – »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen« – ist die Entfremdung schon gesetzt. (So auch bei Christian, der Bedürfnisbefriedigung der einzelnen Individuen an deren zuvor geleisteten Arbeit knüpft.)
Richtiger hätte Marx also sagen müssen: „Jeder nach seinen bzw. alle nach ihren Bedürfnissen.“ Punkt. Das aber war von 1875 aus und von den praktischen Bedürfnissen der Proletarier aus gesehen völlig undenkbar. Und wie wir sehen, haben wir in der WaK-Suche noch mit dem gleichen Problem zu kämpfen, dem der Traditionsmarxismus begreifbare Zugeständnisse machte – dies eine Bedingung seiner großen Wirksamkeit wie seiner Überholtheit.
„Jeder nach seinen Bedürfnissen“ setzt natürlich voraus, dass das schöpferische Tätigsein selbst das grundlegende Bedürfnis der Individuen ist und eben, dass diesem Bedürfnis folgend, die materiellen Voraussetzungen menschlicher Existenz tatsächlich auf hohem Niveau gesichert werden können.
„Diese Vorstellung entgrenzter Bedürfnisse ist ein Kind der (kapitalistischen – UW) Industriegesellschaft.“
Wenn wir uns auf diesen Sinn meiner Berufung auf Marx einigen könnten, dann erledigt sich dein 2. Einwand, mit dem du ansonsten (bei Beibehaltung der Zweiteilung von Fähigkeiten und Bedürfnissen) auch recht hättest:
Man muss noch dazu sagen, dass es sich bei den Individuen, die im Kommunismus nach ihren Bedürfnissen agieren, um Individuen handelt, die sich ihrer Gesellschaftlichkeit bewusst sind. Es geht dann etwa angesichts ökologischer Belastungen nicht um Bedürfnisbeschränkung (diese Vorstellung ist eine, in der o.g. Zweiteilung/Entfremdung gesetzt wäre). Die sozialen/ökologischen Bedingungen der eigenen gesellschaftlichen Existenz und die zukünftiger Generationen zu sichern, ist selbst Bedürfnis, ist Antrieb, etwa um in entsprechender schöpferischer Tätigkeit ressourcensparende/-ersetzende Lösungen zu finden.
@Uli #20: [Bin derzeit im Ausland und kaum im Netz, deshalb mit Verspätung.]
Ich verstehe schon, welche Vorstellungen dahinter stecken, wenn du z.B. ein Flatrate-Modell ‚für alle‘ forderst – und nicht nur für die Teilnehmer eines Projekts. Aber in der PÖ kann das nicht grundsätzlich verlangt werden. Denn der Grundgedanke der PÖ ist ja, dass man auch einfach mal ein Projekt aufziehen kann. Müsste man damit dann immer gleich ALLE Bedürfnisse einer bestimmten Art erfüllen, wäre das unmöglich.
Andererseits ist das aber noch lang nicht Kapitalismus, wie HGG immer meint von wegen: alle wären in der PÖ Unternehmer! Haha. Ich glaube, selbst die Kapitalisten wissen, dass Unternehmertum etwas andres ist als „Ich hab ne Idee und verwirkliche die jetzt (selber, mit meiner eigenen Arbeit!)“. Nur wenn man die kapitalistische Propaganda der Wirtschaftswissenschaften und ihrer (im wahrsten Sinne des Wortes) Marktschreier in den Medien wörtlich ernst nimmt, kann man sowas glauben und annehmen, dass „Eigeninitiative“ das Entscheidende beim Kap. ist. (Sorry HGG, ist nicht böse gemeint.)
Ganz im Gegenteil: Der Kap. macht mehr Eigeninitiative kaputt als er braucht, denn die Arbeiterklasse wird beständig als solche reproduziert – und deren ganze Initiative beschränkt sich dann darauf, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen darf. Nur eine Minderheit kann im Kap. seine Ideen und Vorstellungen verwirklichen, dafür wird immer explizit gesorgt.
In der PÖ kann das aber jedeR, und zudem ist die Bandbreite an Möglichkeiten viel größer, weil eine gute Idee nicht auch noch Profit machen muss – es reicht, wenn sich ausreichend Interessenten finden, die entweder Spaß daran haben, oder die Produkte haben wollen, oder beides.
Verlangt man dagegen, dass jedes produzierte Gut sofort allen Interessenten der Gesellschaft zur Verfügung gestellt wird, bleibt nur eine zentralisierte Planung, bei der Menschen höchstens Anträge stellen könnten – denn wenn etwas gemacht wird, müsste es sofort für alle gemacht werden. Das widerspricht also dem Geist der PÖ völlig. Andrerseits widerspräche es ihrem Geist aber auch, etwas für sich zu behalten, was man teilen kann. Das gilt natürlich insbesondere für Produktionsweisen, Baupläne, aber auch praktische Ratschläge. Damit steht also allen Interessenten immer offen, etwas, was bisher nur von einem Projekt für seine Mitglieder gemacht wird, einfach für sich selbst zu machen – oder in das andre Projekt einzutreten.
Aber es ist ja andersherum: Nicht die Produkte werden versteigert, sondern die Aufgaben; und über die wird tatsächlich vorher „gesellschaftlich“ entschieden, auch wenn das einzelne Verteilungspools natürlich unterschiedlich handhaben können. [Letzteres hat aber IMHO nur Vorteile: Wenn ich z.B. in einem Pool lebe, der meine (sagen wir, künstlerische) Arbeitsleistung (d.h. Beiträge) nicht anerkennt, kann ich in einen anderen gehen. Aber ich kann eben auch sagen, gut, ich mache ein paar Stunden die Woche was Unbeliebtes (etwa putzen).]
Jetzt kann man natürlich kritisieren, dass hier doch noch ein „Arbeitszwang“ bestehe. Tut es aber nur in dem allgemeinen Sinn, dass es in der Gesellschaft eben notwendige Aufgaben gibt (Stichwort: Produktion als Stoffwechsel mit der Natur, das muss es in jeder Gesellschaft geben) und die irgendwie verteilt werden müssen. IRGEND JEMAND muss in jeder Gesellschaft arbeiten, sonst verhungern und erfrieren alle. In einer PÖ-Gesellschaft werden nur die Arbeiten, von denen sich alle einig sind, dass sie notwendig sind, auf alle Menschen verteilt. Und je unbeliebter so ne Arbeit ist, desto weniger muss man davon machen. Fertig.
Weil dass das Prinzip ist, könnte ich mir gut vorstellen, dass auch gar nicht SO großzügig mit der Anerkennung von Beiträgen umgegangen wird. So mancher, der heute großkotzig als Professor lebt, aber Bücher schreibt, die niemanden interessieren (und ich kenne ne MENGE Leute dieser Art aus meiner Erfahrung im Uni- und Wissenschaftsbetrieb!), müssten dort eben zusätzlich, z.B., putzen. Dasselbe gilt für so manch andre, die sich heute lukrative Posten in Unternehmen oder Bürokratie gesichert haben.
ABER (und das ist ein ganz wichtiges aber!): Der Kap. nutzt den Arbeitszwang aus. wie du es auch sagst. EinePÖ würde ihn nicht ausnutzen, sondern nur die Arbeit verteilen, die zu tun ist. Wenn wir uns alle einig sind, dass x, y, z zu tun sind, und es dann auf alle verteilen und es kommen 20 Stunden pro Woche raus, dann sind es halt 20 Stunden. Tant pis. Aber NIEMAND MACHT DAMIT EINEN PROFIT, niemand lebt gut auf deine Kosten und niemand macht sich aus deiner Lage einen Vorteil, wie im Kap. And that’s the point.
(Übrigens werden’s wahrscheinlich viel weniger sein, eher vielleicht 5 oder so. Und ist das wirklich so schlimm? Lohnt es sich wirklich, wie ihr immer zu implizieren scheint, deshalb alles beim alten zu lassen? Ist es nicht ein Unterschied, ob man 40 Stunden für den Kapitalisten arbeitet oder 5 Stunden – okay, vielleicht auch 10 – die Tätigkeiten ausführt, von denen man vorher gemeinsam beschlossen hat, dass sie nötig sind?)
Noch ganz rasch zum Punkt „Gesellschaftlichkeit“: Hier wird auch gesellschaftlich überlegt, was man braucht, und da kommen dann vielleicht jene 5 – 10 Stunden raus. Oder es kommen 15 Stunden raus und das ist euch zu viel. Dann muss man sich eben zusammen setzen und sich überlegen, was man weglässt. Vielleicht braucht man ja doch keine Straßenbeleuchtung auf beiden Seiten der Straße, sondern nur auf einer? Auch in der PÖ kann man sparen, und somit die gemeinschaftlich – gesellschaftlich!! – zu machende Arbeit verringern. (Dagegen spart man heute allenthalben, um den Kapitalisten größere Profite zu ermöglichen.)
Allerdings ist in einer PÖ auch nicht ALLES gesellschafltich geplant. Wenn ich mich etwa mit Leuten zusammentue, um irgendwas zu bauen, zu entwerfen, whatever, dann ist das zunächst mal unsre Sache, und niemand kann uns daran hindern. Wenn die andern dann daran interessiert sind, können sie unsre Arbeitsleistung als Beiträge anerkennen. Dann müssen sie alle etwas mehr arbeiten. Aber offenbar ist es ihnen das ja dann auch wert.
Einen dem Kap. vergleichbaren Zwang gibt es hier also nirgendwo.
Noch ein paar kurze Anmerkungen zu deiner Polemik-Sektion: „Weighted hours“ sind kein Geld, weil sie in jeder Hinsicht anders funktionieren, was du ja auch tw. anerkannt hast. Aber auch das mit dem Aufschatzen ist wichtig: Es wird nicht gehen, weil ihr nur Aufwand untereinander teilt. Auch hier ist wieder der Blick in die bereits vorhandenen Formen der PÖ hilfreich. Nehmen wir an, du triffst dich mit Freunden, um Essen zu kochen. Vielleicht vereinbart ihr, dass eingie am Tag vorher einkaufen gehen und die andern zusammen kochen. Jemand sagt: Ich kann bei beiden Terminen nicht, kann erst am Abend kommen, aber ich kann am nächsten Morgen aufräumen. Auch gut. Aber wenn jemand sagt: Ich mache bei allen drei Terminen mit – Einkaufen, Kochen, Aufräumen -, möchte aber, dass ihr dafür alle in Zukunft für mich arbeitet – ich weiß noch nicht, wann, sage euch aber dann Bescheid; ihr müsst zur Verfügung stehen -, dann würdet ihr den doch auslachen, oder?
Wahrscheinlich würdet ihr diese Person nie wieder anrufen und seine Anrufe ignorieren. Also war’s wohl nix mit dem Aufschatzen.
Das ist PÖ: Man teilt sich die vorhandene Arbeit und ist pragmatisch dabei. Kein Problem, wenn eineR mal ne Woche mehr macht und die nächste weniger. Aber Schatzbildung und daraus entstehende Ansprüche – wohl kaum!
Natürlich arbeiten die Arbeiter für den Kapitalisten mit! Z.B. bei einer Mehrwertrate von 100 Prozent und einer 40-Stunden-Woche arbeiten die Arbeiter jeden Tag 4 Stunden für sich, 4 Stunden für den Kapitalisten. Genau die Hälfte ist dann für den Kapitalisten, davon lebt er/sie und lässt sich’s gutgehen. Natürlich verkaufen die Arbeiter die Arbeitskraft zu ihrem Wert – aber das ist ja grade die Schweinerei, dass sie die Arbeitskraft verkaufen und deshalb zu so unvorteilhaften Bedingungen arbeiten müssen! Gäbe es niemand, der das muss, gäbe es auch keinen Kap.
In der PÖ müssten sie also nur 4 Stunden arbeiten (dort wird ja kein Mehrwert erzeugt), und diese auch nur, wenn sie sich vorher geeinigt hätten, dass genau das, was in der entsprechenden kap. Gesellschaft getan wird, auch getan werden muss. (Das ist übrigens das „Gesellschaftliche“, was ihr immer so vermisst. Im Kap. gibt’s das nicht, da entscheidet der Unternehmer, dass jetzt dies und das getan wird, und alle sind ihm absurderweise noch dankbar dafür, dass er „Arbeit geschaffen hat“! Als ob das ein Verdienst wäre!)
Also: (1) können sie entscheiden, weniger zu tun, und (2) müssen sie bei dem, was sie tun, nicht für andere mitarbeiten, sondern nur ihren Anteil leisten. Und wie gesagt: Der muss in jedem Fall geleistet werden, von irgend jemand. Denn von allein tut die Arbeit sich nicht.
@Uli #26
Mit den Bedürfnissen ist das so eine Sache. Es ist ja nicht nur die ökologische Seite, die begrenzt, sondern Bedürfn isse sind inhärent widersprüchlich. Das beginnt schon bei den eigenen Bedürfnissen – wenigstens bei mir – wo die Zeit gar nicht ausreicht, alles mich Interessierende auch zu verfolgen. Dieses dauernde innere Spannungsfeld erfährt seine Ergänzung durch äußere, wo die Befriedigung von Bedürfnissen von anderen abhängt, die das vielleicht gerade vollkommen anders sehen. Jede und jeder, die/der in einer Partnerschaft lebt, weiß davon ein Lied zu singen. Ich behaute sogar, dass es genau diese inneren Bedürfniswidersprüche sind, die Gesellschaft vorantreiben.
Den „Punkt“ setzt du deshalb nach meinem Verständnis zu früh, dort geht der wirklich interessante Teil erst los. Ich denke auch, dass eine inhärent humane Gesellschaft primär an den Formen der Bewältigung von Bedürfniskonflikten zu erkennen ist, auch und insbesondere eine kommunistische. P2P-Ökonomie finde ich in dem Zusammenhang spannend, weil viele der Bedürfniskonflikte auch P2P-artig strukturiert sind.
@Martin #27:
Wenn „gewichtete Stunden“ eine Wertform ist (ich verwende „Wertform“ im Plural, um nicht in die Hegelfalle zu tappen), dann wäre die Frage, ob der Kloschrubber Lohnarbeiter (des Kollektivs) oder eigenständiger Unternehmer in der Art des Dachdeckermeisters ist, mit dem ich mich auf der Grundlage eines detaillierten Voranschlags (nicht nur der Kosten!) einige. Wie weit der Dachdeckermeister als Unternehmer auch noch Kapitalist ist (in einem bei dir impliziten Verständnis, das dann doch mal zu explizieren wäre, denn meiner kommt grade so über die Runden und hat keine hochspekulativen „toxischen“ Finanzprodukte „am Markt“ laufen, da fehlt schlicht die Knete) und wie weit gar „die kapitalistische Propaganda der Wirtschaftswissenschaften“ die realweltlichen Sorgen dieses Dachdeckermeisters erfassen, das wäre eine gesonderte Betrachtung wert. Nein, wer Ulis Forderung nach Theorie ernst nimmt, wird auch hier genauer hinschauen müssen. Stichwort „Creators and Owners“ bei Eben Moglen.
@HGG: Legt man die Marxsche Theorie des Kapitalismus (wie sie im „Kapital“ dargestellt wird) zugrunde, dann sind Beitragende in der PÖ weder Lohnarbeiter noch Kapitalisten. Denn für Lohnarbeiter ist charakteristisch, dass sie „doppeltfrei“ sind: Sie haben keine Produktionsmittel, aber sind auch keine Sklaven und müssen keine Fronarbeit leisten (wie im Feudalismus). D.h. sie KÖNNEN ihre Lohnarbeit verkaufen (eine Freiheit), aber MÜSSEN es auch (weil sie frei sind von Produktionsmitteln).
Kapitalisten dagegen sind laut Marx Menschen, die sich ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie Kapital haben (und damit andere für sich arbeiten lassen). Das heißt übrigens nicht, dass sie nicht 60 Stunden im Büro sitzen, um das alles zu überwachen und dafür zu sorgen, dass das Kapital das Richtige macht, wie z.B. die Aldi-Brüder; es ist also keine Aussage über Faulheit oder Fließ der Kapitalisten. Aber das ist nicht die eigentliche, wertschaffende Arbeit (und es haben ja auch genug Leute Unternehmen und überwachen die nicht selbst, sondern bezahlen andere dafür).
Der Handwerker, von dem du sprichst, wäre nach Marx ein „kleiner Meister“ (dafür könnte er auch ein oder zwei Angestellte haben; entscheidend ist, dass er nicht von der Arbeit dieser Leute leben kann, sondern selber voll mitarbeitet).
Jetzt wirst du vielleicht sagen: Warum soll ich diese Unterscheidung akzeptieren? – Das kann man nur mit einem Verweis auf die Gesamtleistung der Marxschen Theorie beantworten. Wenn man sich mit Marx zu beschäftigen beginnt, glaubt man meist, man wüsste schon alles über den Kapitalismus (weil man z.B. jahrelang den Wirtschaftsteil bürgerlicher Zeitschriften gelesen, oder vielleicht sogar VWL studiert hat). Aber das Erstaunliche ist: Die Theorie von Marx ist nach wie vor die einzige, die zahlreiche Effekte überhaupt plausibel erklären kann. Aber man muss sie eben als Ganze kennen (und dafür mindestens das „Kapital“ sorgfältig gelesen haben, was leider mühselig ist, aber auch durchaus Spaß machen kann). Bei Marx hängen die Kategorien immer auf komplexe Art miteinander zusammen; dass die Unterscheidung zwischen „Kapitalist“ und „Arbeiter“, wie ich sie erläutert habe, Sinn macht, kann man daher nur erkennen, wenn man die Marxsche Theorie kennt und daher versteht, welche Funktion sie im Gesamtsystem hat. Leuchtet einem dieses dann ein, dann wird man auch die Unterscheidung akzeptieren.
Wenn man Marx zugrunde legt, dann ist in der PÖ also niemand Kapitalist (weil niemand von der Arbeit anderer lebt), aber auch niemand Lohnarbeiter (weil niemand seine Arbeitskraft verkauft). Dafür ist die Unterscheidung zwischen Arbeit und Arbeitskraft wichtig, die Christian hier kurz erklärt: Wer im Kap. seine Arbeitskraft verkauft, kriegt immer weniger dafür, als er arbeiten muss. Selbst wenn du also denkst, dass Beitragende in der PÖ vielleicht doch ihre „Arbeit verkaufen“ müssten (weil sie ja „weighted hours“ dafür kriegen), bleibt aus marxistischer Sicht die Tatsache, dass das eben nicht die Arbeitskraft ist. Und dieser Unterschied – so leicht man ihn übersieht – ist der zwischen Ausbeutung und keiner Ausbeutung; zwischen Mehrwert/Profit und keinem Mehrwert/Profit; und damit zwischen Kapitalismus und keinem Kapitalismus.
Dies sind alles, wenn man Marx kennt, ganz grundsätzliche Dinge. Wenn man Marx nicht kennt, müssen sie dagegen unverständlich bleiben. Ich kann mir gut vorstellen, dass ich, bevor ich Marx gelesen habe, selbst genauso gedacht hätte wie du jetzt: Es kann doch nur eines von beiden sein – Lohnarbeiter oder Kapitalist! – Man merkt nicht, dass man die Gegebenheiten des Vorhandenen um einen her als absolut setzt, dass man Systembedingungen gleich allgemeinen Realitätsbedingungen (’so ist eben jede Wirtschaft‘) setzt. Das ist genau der Fehler, den auch die gesamten heutigen Wiwis machen, weshalb sie – ohne dies zu wollen – ideologisch sind. —
Ansonsten noch ein letztes Mal zum leidigen „Kloschrubber“: Den würde es, in dem Kapitalismus vergleichbarer Form, in einer PÖ gar nicht geben, nicht mehr als es in einer Freundesgruppe den „Partysaubermacher“ gibt. Man macht das eben mal – nicht jedeR, aber die meisten -, und dann macht man mal wieder was andres. Die Vorstellung, man müsste sich auf einen Beruf festlegen, ist eine Übertragung von kapitalistischen Verhältnissen auf die PÖ. In der PÖ gibt es nicht dieselben Zwänge, sich auf etwas festzulegen, wie im Kap. Dies gilt vor allem, weil im Kap. immer die Arbeit knapp ist (dafür sorgen beständige Rationalisierungszwänge), gleichzeitig aber (trotz reichlich vorhandenen gesellschaftlichen Reichtums) die allermeisten Leute eine haben müssen. Daher muss ich sehen, dass ich mich irgendwo etabliere. In der PÖ ist es dagegen gut, wenn’s wenig zu tun gibt, dann müssen wir alle weniger tun.
Was Wahl der Tätigkeiten betrifft, gibt es nur (1) die Tatsache, dass ich das, was ich mache, ausreichend gut können muss, um es als Beitrag anerkannt zu kriegen (also ich kann nicht heute Arzt sein und nächste Woche Pilot, aber natürlich kann ich heute Putzen, nächste Woche Einkaufen gehen und übermorgen den Garten neu gestalten). (2) wird man auf die Gewichtungen der Tätigkeiten achten, die letztlich den gesellschaftlichen Bedarf anzeigen. Vielleicht bin ich ja Arzt, entscheide mich aber – weil es viele Ärzte gibt und die Gesellschaft mich daher in dieser Funktion daher nicht so dringlich braucht -, mal was ganz andres zu machen, z.B. den Garten zu pflegen oder einen Bus zu fahren. Das ist alles möglich, man kann also niemand als „Kloputzer“ abqualifizieren, wie du es tust.
@Martin: Wenn man Ökonomie bis hin zu Formeln im Sinne einer Arbeitswerttheorie treibt – und das macht nicht nur Marx im Band 1 des Kapitals, sondern auch Christian dankenswerterweise im Anhang seines Buchs – dann wirst du um eine Marxsche Prämisse nicht herumkommen, die dieser wie folgt formuliert (MEW 23, S. 119) „Begleiten wir nun irgendeinen Warenbesitzer, unseren altbekannten Leinweber z.B., zur Szene des Austauschprozesses, dem Warenmarkt“. Es ist also an der Stelle offensichtlich der Produzent, der „auf den Warenmarkt“ geht, allerdings nicht der Lohnarbeiter (den der Leinweber – hier ganz klar als Unternehmer – unabhängig vom eigenen Erfolg auf dem Markt entlohnen muss, falls er ein solches Verdingungsverhältnis begründet hatte). Diese terminologische Ungenauigkeit zieht sich durch den ganzen ersten Band und sollte vermieden werden, wenn man PÖ auf arbeitswerttheoretische Parallelen hin abklopft (mehr habe ich gar nicht vor). In dem Sinne arbeitet ein Lohnarbeiter auf (im Sinne der Arbeitswerttheorie) fremde Rechnung und ein Unternehmer – zum Beispiel ein Handswerksmeister wie eben dieser Leinweber – auf eigene Rechnung. Der eine bekommt sein Geld, wenn der Job getan ist, der andere, wenn das Projekt, für welches er Verantwortung übernommen hat, „am Markt“ erfolgreich war. Dass damals erst produziert und dann verkauft wurde, in einer Gesellschaft von Dienstleistungen dagegen erst ein Vertrag geschlossen, dann geleistet und hinterher abgerechnet wird (ich nehme an, auch bei Christians Auktionsmodell werden GS erst nach der Tat gutgeschrieben) ist für das Prinzipielle zweitrangig. Ich kann also deine Unterscheidung zwischen Handwerksmeistern und Kapitalisten auf der Ebene von Band 1 nicht nachvollziehen. Weitere Details dazu (einschließlich des Zeugnisses, dass ich nicht nur Marx, sondern auch die zeitgenössische Kritik, etwa von Peter Ruben, gelesen habe) findest du in meinem Arbeitswertpaper.
Dass eine Diskussion von Konsequenzen in der PÖ ernsthaft eröffnet worden wäre, wenn etwas – Kloschrubben zum Beispiel (was ein Bezug auf die konkreten Argumente im hinreichend bekannten Text „Das utopische Klo“ von Annette Schlemm und keine Abqualifizierung ist) – nicht erfolgreich abgeschlossen wird bzw. wie genau und durch wen die Abnahme erfolgt, ist mir nicht bekannt.
Band 1 kann aber halt nicht allein betrachtet werden. Und selbst innerhalb von Bd.1 hat man einen Aufbau. Marx geht immer eine Ebene nach der anderen durch und betrachtet nur, was dort schon bekannt ist; auf der Ebene des einfachen Warentausches kann man noch jeden Warenbesitzer auf den Markt begleiten. Später weiß man dann allerdings, dass die Arbeiter gar keine Waren zu verkaufen haben, außer ihre Arbeitskraft. Ganz genau weiß ich zwar nicht, an welcher Stelle in der Argumentation der Satz steht, da ich das Kapital hier nicht mit habe, aber jedenfalls ist das noch vor der Betrachtung des Produktionsprozesses und seiner Bedingungen, die Kapitalisten wie Arbeiter schaffen. Der entscheidende Punkt – wodurch sind die beiden bestimmt – ist also an der Stelle noch gar nicht eingeführt. Deshalb ist es dort noch egal, wie der Warenbesitzer an seine Ware gekommen ist.
Es ging nicht darum, ob man Marx gelesen hat, sondern ob man ihn ernst nimmt und seine Theorie zur Erklärung zugrunde legt. Wenn man das tut, kann man nicht auf die Ideen kommen, dass (a) PÖ-Beträger Lohnarbeiter oder Kapitalisten seien, dass sie (b) ihre Arbeitskraft verkaufen müssten, dass (c) weighted hours Geld seien und Wert ausdrückten oder dass (d) der Kapitalismus dasjenige System sei, in dem sich Eigeninitiative völlig frei entfalten kann, und daher im Umkehrschluss die Möglichkeit von „Eigeninitiative“ (in Form von Projektgründung) in der PÖ diese irgendwie Kap.-ähnlich machen würde.
Um diese Punkte zu klären, habe ich meine letzten Kommentare geschrieben. Weitere Unterschiede der PÖ zum Kap. habe ich – ebenfalls auf Basis von Marx – hier erläutert.
@Martin#27:
Das ist ein Irrtum, ein ziemlich populistischer obendrein. In den angeeigneten 4 Stunden des Kapitalisten ist auch jener Teil, der als Kapital wieder in die Verwertung eingehen muss, um in der Konkurrenz weiter zu bestehen. Diese Reinvestition ist Teil der gesellschaftlichen Reproduktion der Produktionsbedingungen, die selbstverständlich in einer PÖ auch aufgebracht werden müssten — sonst würde die PÖ tatsächlich schnell zusammenbrechen. Summarisch ist der Teil, den die Kapitalisten individuell verknuspern, relativ gering. Deswegen ist es gefährlicher Populismus, das übl(ich)e Szenario des schmarotzenden Kapitalisten aufzumachen, der nur einfach „weg“ müsste, und dann wäre alles gut. — Ja, das hast du nicht geschrieben, aber in diesem Fahrwasser bewegst du dich, das solltest du dir klar machen.
In der PÖ wird kein Mehrwert erzeugt, richtig, aber ein Mehrprodukt in jedem Fall. Sonst wäre es nämlich keine Gesellschaft.
Das ist sicher nicht das „Gesellschaftliche“. In der PÖ muss es keine Vorab-Einigung geben, sondern sie ergibt sich über die vorgeschlagenen Vermittlungsformen der PÖ (sowohl bei der Produktion wie bei der Konsumtion). Das ist das „Gesellschaftliche“, genauer: die gesellschaftliche Vermittlung, die allerdings manche KritikerInnen nicht verstehen. Umgekehrt liest sich dein Satz liest sich so, als ob im Kapitalismus die Unternehmer die „Gesellschaftlichkeit“ organisieren, weil sie entscheiden. Das kannst du nicht gemeint haben…
Zu dem Beispiel mit 4 zu 4 Stunden: Natürlich ist eine Mehrwertrate von 100 % aus heutiger Sicht etwas hochgegriffen, damals dürfte sie aber normal gewesen sein – mit entsprechend längeren Arbeitstagen allerdings, ich hätte wohl besser 6 : 6 Stunden schreiben sollen. Heute ist eine so hohe Mehrwertrate wohl eher unüblich.
Deinen Populismus-Vorwurf kann ich aber nicht nachvollziehen. Tatsächlich eignen sich die Kapi-talisten (eine Mehrwertrate von 100 % einmal vorausgesetzt) die Hälfte des produzierten Werts an. Der Wert des konstanten Kapitals wird ja nur übertragen. (Darauf hat’s aber zuvor auch schon einen Mehrwert gegeben, das heißt auch davon haben sich die Kapitalisten vorher mal einen entsprechenden Teil angeeignet.) Es ist also nicht nur kein Populismus, sondern durchaus richtig, zu sagen, dass (eine Mehrwertrate von 100 % vorausgesetzt) die Arbeiter die Hälfte der Zeit für die Kapitalisten arbeiten.
Richtig ist natürlich auch, dass die Kapitalisten diesen Mehrwert nicht komplett „verknuspern“. Zum Teil erweitern sie damit ihre Produktion, was sie in vielen Fällen wohl durchaus müssen, um in der Konkurrenz zu bestehen. Soweit gebe ich dir recht. Aber: Vorher hat ja bereits die Aneignung des Mehrwerts stattgefunden. Das habe ich gemeint, als ich gesagt habe, „die Arbeiter arbeiten für die Kapitalisten“. Denn der wiederinvestierte Wert gehört den Kapitalisten ja weiterhin. – Nehmen wir an, die Hälfte der 4 Stunden des Kapitalisten würde verkonsumiert und die Hälfte reinvestiert. Würdest du hier sagen, die Arbeiter haben 4 Stunden für sich und nur 2 Stunden für den Kapitalis-ten gearbeitet? Für wen hätten sie denn dann die restlichen 2 Stunden gearbeitet?
Die Vermittlungsformen an sich sind ja nicht der ganze Mechanismus. Es gibt auch ein starkes Element der Vereinbarung in der PÖ (auch wenn diese vielleicht laufend getroffen und angepasst werden und „vorab“ deshalb vielleicht irreführend ist). Es wird ja laufend vom Pool entschieden, welche Beiträge anerkannt werden und ggb.falls welche – zuvor noch gar nicht geleisteten – Arbei-ten „ausgeschrieben“ werden. So hatte ich das zumindest immer verstanden.
Die weighted hours verbinden dann ja nur diese Nachfrage – und die ist durchaus gesellschaftlich, oder zumindest gemeinschaftlich von einer großen Gruppe von Menschen bestimmt – mit den Inte-ressen und Vorlieben der Beitragenden.
Der Vermittlungsmechanismus ist also gegenüber der Überlegung, was will man eigentlich gemacht haben, durchaus sekundär. Deshalb denke ich ja auch, dass es kein Gesellschaftlichkeitsdefizit in der PÖ gibt.
Hallo @Chriastian,
habe mir erlaubt die Diskussion aus Anlass von Ulis Äußerunge zu ergänzen. Du findest das auf http://docs.google.com/View?docid=dfr5rqhg_1jdpvgrf5&pageview=1&hgd=1&hl=en
Gruß Hubert