Der partizipatorische Wertekapitalismus

[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]

Im zweiten Teil der kleinen Serie über gesellschaftliche Planung wende ich mich einem alten anarchistisch motivierten Modell zu, der Partizipatorischen Ökonomie, kurz: Parecon. Nach einer kurzen Skizze folgt eine ausgewählte Kritik in neun Punkten.

Das Parecon-Modell legt fünf Werte zugrunde: Selbstverwaltung, Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt und Öko-Nachhaltigkeit. Es gibt keine Privateigentümer:innen von Produktionsmitteln, keine Chef:innen, keinen Marktwettbewerb und keine zentrale Planung, allerdings Staat, Geld, Preise, Tausch, Lohnarbeit und Privateigentum an Konsummitteln. Die Betriebe werden von Arbeiter:innenräten geführt (AR), die in hierarchischen Branchenföderationen organisiert sind. Auf der Konsumseite gibt es ebenso hierarchisch organisierte Verbraucher:innenräte (VR) sowie dezentrale Nachbarschafts- und Betroffenengruppen (CAPs). Entlohnt wird nicht der Wert der Arbeitskraft, sondern die Opferbereitschaft, hart zu arbeiten. Jene, die nicht arbeiten können, bekommen ein durchschnittliches Ersatzgeld. „Ausbalancierte Jobs“ sollen dafür sorgen, dass „befähigende“ und „entmündigende“ Tätigkeitsanteile gleichermaßen vorhanden sind.

Kernstück ist der jährliche Prozess der partizipatorischen Planung. Darin legen AR und VR ihre Produktions- und Konsumziele vor. Vom zentralen Iteration Facilitation Board (IFB) werden Externalitäten (Umweltschäden etc.) eingepreist, um daraus soziale Kosten und Nutzen und schließlich Preise für Waren und Arbeitskräfte zu berechnen. Diese Daten werden von unten nach oben in mehreren Runden aggregiert, verglichen, angepasst und verfeinert, bis Nachfrage und Angebot annähernd in einem Gleichgewicht stehen und der Plan fixiert werden kann. – Zur Kritik.

(1) Parecon ist ein moralisches Sollensmodell. Die Menschen sollen sich so-und-so verhalten, damit die Gesellschaft funktioniert – paraphrasierte Beispiele: „Wir sollten so handeln, dass alle profitieren“; „Wir sollten uns für den Nachbarn interessieren“; „In Fragen der Migration sollten die Menschen eine solidarische Politik bevorzugen“ etc. Doch wie werden die Menschen zu dem, was das Modell voraussetzt?

(2) Parecon behauptet mit Klassen gebrochen zu haben. So gäbe es keine Chef:innen mehr. Das ist ein Klassiker der Verwechselung von Funktion und Person wie er nicht nur im Anarchismus zu finden ist. Sobald Güter als Waren produziert werden, gibt es die Verdopplung in Gebrauchswert und Wert bzw. Geld. Die Verwertungslogik besteht darin, das eingesetzte Geld unter Ausbeutung von Arbeitskraft zu vermehren. Das sind die Funktionen von Kapital und Arbeit. Im Kapitalismus sind diese Funktionen mit Kapitalist:innen und Arbeiter:innen personal direkt besetzt. Schafft man die Kapitalist:innen ab, bleibt die Kapitalfunktion solange bestehen wie auch die Basis, die Warenproduktion, erhalten bleibt. Die Kapitalfunktion wird dann von anderen Personen exekutiert, z.B. paradoxerweise von den Arbeiter:innen selbst.

(3) Parecon erliegt der Illusion, dass eine gute Politik das Wirken der Kapitalfunktion ersetzen könne. Das wird auch Voluntarismus genannt. Es ist eine Folge der Verwechselung von Funktion und Person: Keine Kapitalist:innen mehr, keine Kapitalfunktion mehr, freie Bahn für die Politik – so der Fehlschluss. Dieser Voluntarismus ist aus dem Realsozialismus bekannt. Auch dort sollte Politik zum Besten der Menschen gegen die hinterrücks wirkende Verwertungslogik verwirklicht werden. Das geht solange gut, bis sich schließlich der Wert „als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt“ – so Karl Marx in passender Voraussicht.

(4) Parecon schreibt den Arbeitszwang fort. Lohn wird an Leistung, gar Opferbereitschaft, gekoppelt. Ohne „materielle Interessiertheit“, so hieß das im Realsozialismus, keine Leistung. Leistung gibt es nur mit Zuckerbrot und Peitsche. Die darf zwar kleiner und weniger brutal sein, als im reinen Kapitalismus, aber verzichten will Parecon darauf nicht.

(5) Der Voluntarismus findet sich auch beim Wert der Ware Arbeitskraft. Moralisch motiviert wird besonders knechtende Arbeit höher entlohnt als etwa qualifizierte Arbeit. Qualifikation lohnt sich im konsumerischen Sinne damit nicht, auch das gab es im Realsozialismus. Die Folgen sind Schattenmärkte, in denen für qualifizierte Arbeiten außerhalb des Plans mehr Geld zu erlangen ist. Solche Arbeiten und überproportionale Entnahmen aus dem Konsumfond führen dann zu ökonomischen Verzerrungen, denen die Planer:innen wiederum gegenzusteuern versuchen, was weitere Ausweichbewegungen hervorbringt etc.

(6) Entgegen ihres Selbstbildes ist Parecon ein zentral koordiniertes Modell. Zwar wird bottom-up geplant, doch die gesellschaftliche Koordination erfolgt von einem zentralen Punkt aus, dem IFB. Es liefert die (Preis-) Daten, an denen sich die Planungsebenen orientieren müssen, um gesellschaftlich zu einer ökonomischen Kohärenz zu kommen. Partizipatorisch dürfen AR und VR die weiter wirkende Wertlogik der Kapitalfunktion – modifiziert durch die moralisch-politischen Imperative – umsetzen.

(7) Parecon simuliert eine Marktwirtschaft. Die iterativen Planungsrunden dienen dazu, die bottom-up gemeldeten und aggregierten Produktionskapazitäten der AR wie die entsprechenden Konsumwünsche der VR in eine Balance zu bringen, wobei Preise als Indikatoren dienen. Der Marktaustausch wird vorab simuliert und dann als Snapshot, dem Plan, eingefroren. Wie alle Modelle, die auf Konsumanmeldungen basieren, bestehen zwischen den Planzyklen wenig Anpassungsmöglichkeiten.

(8) Es gibt eine branchenbezogene Koordination, aber keine entlang der Produktionsketten vom Rohstoff zum Endprodukt. Implizit muss das IFB diese Aufgabe übernehmen, obwohl es eigentlich nur Datenlieferant sein soll. Diese Unklarheit findet sind sich in vielen Modellen, die sich als dezentral ausgeben, aber dennoch implizit eine zentrale Koordination voraussetzen.

(9) Wie in allen Warenmodellen führt die Entlohnung im Produktionsbereich zur Abwertung und Abspaltung von Care-Tätigkeiten. Dem soll mit „Zuschüssen“ für Care-Arbeit und moralischen „Prinzipien“ entgegengewirkt werden. Doch die Erfolgswahrscheinlichkeit ist gering – obsiegt materielle Macht doch stets über die Moral.

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