Der partizipatorische Wertekapitalismus
[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]
Im zweiten Teil der kleinen Serie über gesellschaftliche Planung wende ich mich einem alten anarchistisch motivierten Modell zu, der Partizipatorischen Ökonomie, kurz: Parecon. Nach einer kurzen Skizze folgt eine ausgewählte Kritik in neun Punkten.
Das Parecon-Modell legt fünf Werte zugrunde: Selbstverwaltung, Gerechtigkeit, Solidarität, Vielfalt und Öko-Nachhaltigkeit. Es gibt keine Privateigentümer:innen von Produktionsmitteln, keine Chef:innen, keinen Marktwettbewerb und keine zentrale Planung, allerdings Staat, Geld, Preise, Tausch, Lohnarbeit und Privateigentum an Konsummitteln. Die Betriebe werden von Arbeiter:innenräten geführt (AR), die in hierarchischen Branchenföderationen organisiert sind. Auf der Konsumseite gibt es ebenso hierarchisch organisierte Verbraucher:innenräte (VR) sowie dezentrale Nachbarschafts- und Betroffenengruppen (CAPs). Entlohnt wird nicht der Wert der Arbeitskraft, sondern die Opferbereitschaft, hart zu arbeiten. Jene, die nicht arbeiten können, bekommen ein durchschnittliches Ersatzgeld. „Ausbalancierte Jobs“ sollen dafür sorgen, dass „befähigende“ und „entmündigende“ Tätigkeitsanteile gleichermaßen vorhanden sind.
Kernstück ist der jährliche Prozess der partizipatorischen Planung. Darin legen AR und VR ihre Produktions- und Konsumziele vor. Vom zentralen Iteration Facilitation Board (IFB) werden Externalitäten (Umweltschäden etc.) eingepreist, um daraus soziale Kosten und Nutzen und schließlich Preise für Waren und Arbeitskräfte zu berechnen. Diese Daten werden von unten nach oben in mehreren Runden aggregiert, verglichen, angepasst und verfeinert, bis Nachfrage und Angebot annähernd in einem Gleichgewicht stehen und der Plan fixiert werden kann. – Zur Kritik.
(1) Parecon ist ein moralisches Sollensmodell. Die Menschen sollen sich so-und-so verhalten, damit die Gesellschaft funktioniert – paraphrasierte Beispiele: „Wir sollten so handeln, dass alle profitieren“; „Wir sollten uns für den Nachbarn interessieren“; „In Fragen der Migration sollten die Menschen eine solidarische Politik bevorzugen“ etc. Doch wie werden die Menschen zu dem, was das Modell voraussetzt?
(2) Parecon behauptet mit Klassen gebrochen zu haben. So gäbe es keine Chef:innen mehr. Das ist ein Klassiker der Verwechselung von Funktion und Person wie er nicht nur im Anarchismus zu finden ist. Sobald Güter als Waren produziert werden, gibt es die Verdopplung in Gebrauchswert und Wert bzw. Geld. Die Verwertungslogik besteht darin, das eingesetzte Geld unter Ausbeutung von Arbeitskraft zu vermehren. Das sind die Funktionen von Kapital und Arbeit. Im Kapitalismus sind diese Funktionen mit Kapitalist:innen und Arbeiter:innen personal direkt besetzt. Schafft man die Kapitalist:innen ab, bleibt die Kapitalfunktion solange bestehen wie auch die Basis, die Warenproduktion, erhalten bleibt. Die Kapitalfunktion wird dann von anderen Personen exekutiert, z.B. paradoxerweise von den Arbeiter:innen selbst.
(3) Parecon erliegt der Illusion, dass eine gute Politik das Wirken der Kapitalfunktion ersetzen könne. Das wird auch Voluntarismus genannt. Es ist eine Folge der Verwechselung von Funktion und Person: Keine Kapitalist:innen mehr, keine Kapitalfunktion mehr, freie Bahn für die Politik – so der Fehlschluss. Dieser Voluntarismus ist aus dem Realsozialismus bekannt. Auch dort sollte Politik zum Besten der Menschen gegen die hinterrücks wirkende Verwertungslogik verwirklicht werden. Das geht solange gut, bis sich schließlich der Wert „als regelndes Naturgesetz gewaltsam durchsetzt, wie etwa das Gesetz der Schwere, wenn einem das Haus über dem Kopf zusammenpurzelt“ – so Karl Marx in passender Voraussicht.
(4) Parecon schreibt den Arbeitszwang fort. Lohn wird an Leistung, gar Opferbereitschaft, gekoppelt. Ohne „materielle Interessiertheit“, so hieß das im Realsozialismus, keine Leistung. Leistung gibt es nur mit Zuckerbrot und Peitsche. Die darf zwar kleiner und weniger brutal sein, als im reinen Kapitalismus, aber verzichten will Parecon darauf nicht.
(5) Der Voluntarismus findet sich auch beim Wert der Ware Arbeitskraft. Moralisch motiviert wird besonders knechtende Arbeit höher entlohnt als etwa qualifizierte Arbeit. Qualifikation lohnt sich im konsumerischen Sinne damit nicht, auch das gab es im Realsozialismus. Die Folgen sind Schattenmärkte, in denen für qualifizierte Arbeiten außerhalb des Plans mehr Geld zu erlangen ist. Solche Arbeiten und überproportionale Entnahmen aus dem Konsumfond führen dann zu ökonomischen Verzerrungen, denen die Planer:innen wiederum gegenzusteuern versuchen, was weitere Ausweichbewegungen hervorbringt etc.
(6) Entgegen ihres Selbstbildes ist Parecon ein zentral koordiniertes Modell. Zwar wird bottom-up geplant, doch die gesellschaftliche Koordination erfolgt von einem zentralen Punkt aus, dem IFB. Es liefert die (Preis-) Daten, an denen sich die Planungsebenen orientieren müssen, um gesellschaftlich zu einer ökonomischen Kohärenz zu kommen. Partizipatorisch dürfen AR und VR die weiter wirkende Wertlogik der Kapitalfunktion – modifiziert durch die moralisch-politischen Imperative – umsetzen.
(7) Parecon simuliert eine Marktwirtschaft. Die iterativen Planungsrunden dienen dazu, die bottom-up gemeldeten und aggregierten Produktionskapazitäten der AR wie die entsprechenden Konsumwünsche der VR in eine Balance zu bringen, wobei Preise als Indikatoren dienen. Der Marktaustausch wird vorab simuliert und dann als Snapshot, dem Plan, eingefroren. Wie alle Modelle, die auf Konsumanmeldungen basieren, bestehen zwischen den Planzyklen wenig Anpassungsmöglichkeiten.
(8) Es gibt eine branchenbezogene Koordination, aber keine entlang der Produktionsketten vom Rohstoff zum Endprodukt. Implizit muss das IFB diese Aufgabe übernehmen, obwohl es eigentlich nur Datenlieferant sein soll. Diese Unklarheit findet sind sich in vielen Modellen, die sich als dezentral ausgeben, aber dennoch implizit eine zentrale Koordination voraussetzen.
(9) Wie in allen Warenmodellen führt die Entlohnung im Produktionsbereich zur Abwertung und Abspaltung von Care-Tätigkeiten. Dem soll mit „Zuschüssen“ für Care-Arbeit und moralischen „Prinzipien“ entgegengewirkt werden. Doch die Erfolgswahrscheinlichkeit ist gering – obsiegt materielle Macht doch stets über die Moral.
In diesem Zusammenhang vielleicht interessant, an die Diskussion zu erinnern, die ich vor über 10 Jahren mit Michael Albert über sein Parecon-Modell und peercommonistische Alternativen geführt habe. Auf deutsch in gekürzter Fassung erschienen in der Contraste und auch hier im Blog (Teil 1, Teil 2) zu finden. Bei einigem, was ich damals schrieb, wäre ich heute vorsichtiger, aber viele meiner Kritikpunkte an Parecon würde ich weiterhin für berechtigt halten.
Was ich damals nicht gesagt habe und auch an deiner Kritik nicht überzeugend finde, ist die Idee, Parecon wäre selbst eine Spielart des Kapitalismus, die du spöttisch „partizipatorischer Wertekapitalismus“ nennst. Das wird nicht begründet und wird dem Modell auch nicht gerecht. Anders als im Kapitalismus ist dort die Geldvermehrung (Wertverwertung) ja gerade nicht mehr das wesentliche Ziel fast aller Produktion. Soviel muss man Albert schon zugestehen.
Ich verweise stattdessen darauf, dass Parecon wie der Kapitalismus auf Lohnarbeit basiert, was allerlei Probleme mit sich bringen kann. Aber nicht jedes Lohnarbeits-basierte System ist kapitalistisch, auch wenn das bei manchen (lohn)arbeitskritischen Linken eine beliebte Unterstellung zu sein scheint. So leicht sollte die Kritik es sich aber nicht machen, wenn sie zum Erkenntnisgewinn beitragen möchte.
@Christian: Danke für deinen Hinweis auf dein Gespräch mit Michael Albert, das ich in Vorbereitung auf die Kolumne noch mal gelesen habe (viele gute Argumente). Eine zweite Quelle war das Buch Anarchistische Gesellschaftsentwürfe, in dem sich viele Artikel zu unterschiedlichen Aspekten von Parecon finden. Ich war doch einigermaßen erstaunt, wie sehr der Kern von Parecon leider in der kapitalistischen Denke verhaftet ist, wie sehr die ganze Modellökonomie mit kapitalistischen Kategorien operiert – von Opportunitätskosten, Arbeitskosten, Preise, Kapital, etc. Als ich las, dass die ursprünglichen Autoren (alles Männer) in ihrer eigenen Profession, den Wirtschaftswissenschaften, wenigstens als diskutierbar anerkannt sein wollten, war ich nicht mehr so verwundert. Ich kann das Modell leider nicht anders bewerten als wie von mir getan. Ein leichter spöttischer Unterton kommt eher aus dem virtuellen Kopfschütteln über das Moralfundament, während ich dachte, dass antikapitalistische Modelle stets materialistisch fundiert sein sollten.
Die Frage, ob nicht in der Tat jedes lohnarbeitsbasierte System am Ende doch kapitalistisch ist, würde ich bejahen. Nicht allein wegen der der Lohnarbeit, sondern weil es Güter als Waren produziert und folgerichtig auch die Arbeit als Ware behandelt. Doch ich nenne solche Modelle (wie Parecon) „kapitalistisch, aber nicht voll entfaltet“, da es ja tatsächlich einige gut klingende Einschränkungen gibt (keine Ausbeutung etc.). Aber wenn einmal in der Realität implementiert (mal angenommen), dann führen die Widersprüche der Warenform auf kürzere oder längere Sicht zu ihrer Entfaltung (davon handelt aus meiner Sicht das „Kapital“ von Karl Marx). In Praxi haben wir das beim warenproduzierenden und lohnarbeitsbasierten Realsozialismus live erleben können.
Die geäußerste Kritik entbehrt leider jeglicher Grundlage und stellt die zentralen Aspekte einer Partizipatorischen Ökonomie fundamental falsch dar.
Behauptung: Es gibt in einer partizipatorischen Ökonomie „Geld“
In einer PE (Partizipatorischen Ökonomie) von „Geld“ zu sprechen ist schon ziemlich fragwürdig, da es kein frei zirkulierendes Zahlungsmittel, sondern lediglich quantifizierte Konsumanteile gibt, die aber nicht übertragen werden können. Außerdem: Preise sind nicht gleich Geld! (und eine numerische Größe zur Quantifizierung von Opportunitätskosten – also Preise – braucht es nunmal, wenn eine – wie auch immer geartete – komplexere Allokation einigermaßen effizient/nachhaltig funkionieren soll)
Falschbehauptung: Es gibt „Tausch“
Es gibt keinen Tausch, da es keinen Markt gibt! Die Produzent_innen (organisiert in selbstverwalteten Arbeiterinnenräten) aquirieren von der Gesellschaft befristet Produktionsmittel und versprechen dafür eine gewisse Menge Güter herzustellen. Es wäre aber vollkommen verfehlt, hierbei von einem „Tausch“ zu sprechen, weil die Produzent*innen keine Produkte verkaufen und dafür Geld einstreichen, sondern für ihren Aufwand gemäß ihres Einsatzes/erbrachten Opfern/der Lästigkeit ihrer Arbeit entschädigt werden (sie erhalten schlicht Konsumanteile, wenn sie etwas nützliches für die Gesellschaft herstellen und die soziale Kosten/Nutzen-Balance dabei positiv ist). Entsprechend würde es in einer PE auch keinen „Wert“, sondern nur noch Gebrauchswerte geben. Gleichermaßen gibt es in diesem Modell auch keine „Waren“.
Falschbehauptung: Es gib „Lohnarbeit“
Die Produzentinnen sind nicht bei irgendjemandem lohnangestellt, sondern arbeiten in selbstverwalteten Betrieben (Arbeiter*innenräten) und bekommen, wenn sie eine gesellschaftlich nützliche Arbeit erbringen eine Entschädigung von der Gesellschaft (also Konsumrechte), welche sich am Aufwand/den erbrachten Opfern/der Lästigkeit der Arbeit ausrichtet (s.o.).
Falschbehauptung: Es gibt „Privateigentum an Produktionsmitteln“
Die Produktionsmittel sind in einer PE ganz klar vergesellschaftete Commons, wie auch die natürlichen Ressourcen, und werden im Planungsverfahren an diejenigen Arbeiterinnenräte ausgeliehen, deren Produktionsvorschlag (im Regelfall) die beste (mindestens mal positive) soziale Kosten/Nutzen-Bilanz aufweisen.
Falschbehauptung: „Parecon ist ein moralisches Sollensmodell“
In Publikationen zu PE wird immer wieder explizit auf das Defizit in anderen Modellen hingewiesen, dass hierbei die Menschen ständig einschätzen sollten, was ‚richtiges‘, gesellschaftlich vertretbares, oder moralisches Handeln sei, ohne dafür konkrete Anhaltspunkte zu haben (was man m.E. übrigens als Kritik genau so an ‚Commonismus‘ richten kann). Hingegen befördere eine partizipatorische Ökonomie solidarisches Handeln gerade automatisch durch das spezifische Set an Institutionen: Individuell nutzenmaximierendes Verhalten und gesellschaftlich sinnvolles Verhalten werden hierdurch zusammengebracht. Das eine befördert das andere und umgekehrt. Ich könnte außerdem, so ich das denn wollte, mich nicht im Geringsten für meine Nachbarn interessieren. Partizpation ist keine Pflicht!
Falschbehauptung: „Klassengesellschaft“
Hier wird es jetzt besonders diffus. Aufbauend auf den vorherigen gravierenden Fehlannahmen (es gäbe Wert, Kapitalakkumulation, Tausch) wird jetzt deduktiv darauf geschlossen, dass es gemäß dieser Prämissen ja auch Klassen geben würde, wobei nur die Arbeiter*innenklasse (wozu ja alle in dieser Ökonomie gehören würden, bis auf die, die nicht arbeiten können) genannt wird. (???)
Falschbehauptung: „Parecon schreibt den Arbeitszwang fort“
Ob es ein bedingungsloses Grundeinkommen gibt, oder nur diejenigen ein Durchschnittsgehalt bekommen, die nachweislich nicht arbeiten können, wird von PE nicht festgelegt, sondern ganz bewusst der demokratischen Willensbildung in einer zukünftigen Ökonomie überlassen.
Falschbehauptung: „Moralisch motiviert wird besonders knechtende Arbeit höher entlohnt als etwa qualifizierte Arbeit.“
Ob eine Arbeit mit höheren Konsumrechten entschädigt wird, hängt davon ab, ob sie höhere Opfer erfordert/anstrengender ist – ganz unabhängig davon, ob es sich dabei um qualifizierte Arbeite oder ‚einfache‘ Arbeit handelt. Wenn ich in einer PE (was nicht passieren würde, weil es ja Balanced-Job-Complexes gebe würde, die die Anstrengung/intellektuelle Befähigung möglichst nivellieren) den ganzen Tag an einem Fließband schuften würde und eine andere Person entspannt in ihrem klimatisierten Massage-Sessel sitzt und ledlich eine Stunde täglich qualifizierte IT-Arbeit verrichetet (und dabei die einzige Person ist, die das kann), die Arbeit als solche aber deutlich weniger antrengend ist/Opfer abverlangt als meine, ja, dann würde ich mehr bekommen. Das hochgradig ungerechte entgegengesetzte Modell findet unter kapitalistischen Bedingungen statt.
Falschbehauptung: „Entgegen ihres Selbstbildes ist Parecon ein zentral koordiniertes Modell. Zwar wird bottom-up geplant, doch die gesellschaftliche Koordination erfolgt von einem zentralen Punkt aus, dem IFB.“
Stimmt nicht! Das IFB aggregiert nur Angebot und Nachfrage und hat keinerlei weitere Kompetenzen, also keinen politischen Einfluss auf die Planung oder sonstige Entscheidungen. Von hier aus kann dementsprechend keine Manipulation/politische Agenda verfolgt werden. Die Planung erfolgt dezentral über die Eingaben der Arbeiter_innen und Konsument_innenräte. Man könnte das nach Hahnel auch durch einen Algorithmus machen lassen, was aber vermutlich etwas länger dauern würde (also mehr Iterationen bräuchte).
Falschbehauptung: „Wie alle Modelle, die auf Konsumanmeldungen basieren, bestehen zwischen den Planzyklen wenig Anpassungsmöglichkeiten.“
Während des Jahres gibt es vielfache Möglichkeiten, den Plan flexibel anzupassen. Zum einen werden sich viele Schwankungen ohnehin über die Räte-Ebenen hinaus ausgleichen. Die Arbeiter_innenräte sind ohnehin selbst bestrebt, möglichst entsprechend der gesellschaftlichen Nachfrage zu produzieren, um ihre versprochene SB/SC-Ratio (Soziale Kosten/Sozialer Nutzen-Bilanz) einzuhalten. Falls dann doch die Kapazitäten auf höherer Ebene umgeschichtet werden müssen, wird dies über den Austausch zwischen Kosumföderationen und Arbeiter_innenföderationen arrangiert.
Falschbehauptung: „Es gibt eine branchenbezogene Koordination, aber keine entlang der Produktionsketten vom Rohstoff zum Endprodukt. Implizit muss das IFB diese Aufgabe übernehmen, obwohl es eigentlich nur Datenlieferant sein soll.“
Schwer begreiflich, was hiermit gemeint sein soll. Die Koordination ‚vom Rohstoff zum Endprodukt‘ findet im Planungsprozess dadurch statt, dass die Arbeiter_innenräte natürlich wissen müssen, welchen Input (Produktionsfaktoren) sie benötigen, um einen gewissen Output zur Verfügung zu stellen und es eine Datenbank geben würde, in der alle Akteuere Einsicht zu Produkten/Produktionsmitteln/Ressourcen/Produktionsketten vornehmen könnten. Außerdem optiert Albert dafür, dass den preislichen auch qualitative Informationen hinzugefügt würden. Die Produktionskette wäre demnach vollkommen transparent.
Falschbehauptung: „Wie in allen Warenmodellen führt die Entlohnung im Produktionsbereich zur Abwertung und Abspaltung von Care-Tätigkeiten. Dem soll mit „Zuschüssen“ für Care-Arbeit und moralischen „Prinzipien“ entgegengewirkt werden.“
Robin Hahnel und Savvina Chowdhury haben angeregt, dass auch häusliche Care-/Reproduktions-Arbeit in einer PE entschädigt wird (nach Durchschnitts-Vergütung).
Insgesamt bin ich ziemlich fassungslos, wie vollkommen verkehrt das Modell hier portraitiert wird und würde mir im Interesse eines fruchtbaren Austauschs wirklich wünschen, dass das Konzept künftig zumindest in den Grundzügen einigermaßen korrekt rezipiert wird.
@Stefan Meretz Um nochmal auf Ihren Kommentar zur angeblich „kapitalistisch verhafteten Denke“ von PE Stellung zu nehmen:
Opportunitätskosten gibt es in jeder Ökonomie und impliziert keineswegs kapitalistische Denke. Im Interesse einer ressourcenschonenden/nachhaltigen Produktion ist es vielmehr absolut zentral, Opportunitätskosten in der Allokation zu berücksichtigen.
Von ‚Kapital‘ wird durch Vertreter_innen von PE nicht im marxistischen Sinne (’sich selbst verwertender Wert‘) gesprochen, sondern im Sinne der Mainstream-Ökonomie lediglich als Maschinen/Produktionsmittel. Das ist ein fundamentaler Unterschied!
Nur weil es nicht mit marxistischer Terminologie operiert, heißt dies nicht, dass das Modell nicht ‚materialistisch‘ fundiert wäre.
Und nochmal (s.o.): Partizipatorische Ökonomie umfasst keinen Markt, keinen Warentausch, keine Privatproduktion, kein Privateigentum an Produktionsmitteln, keine Lohnarbeit und keinen Zwang zu Kapitalakkumulation (und in der marxistischen Terminologie auch überhaupt kein Kapital (’sich selbst verwertender Wert‘), da es überhaupt keinen ‚Wert‘ mehr, sondern nur noch ‚Gebrauchswerte‘ geben würde.
Plädoyer für eine konstruktive Umgangsweise: Den „spöttischen Unterton“ sollte man sich m.E. verkneifen, wenn man tatsächlich an einer fruchtbaren Debatte interessiert ist.
@A.D.: Danke für deine Kritik. Ich habe keine Quellen angegeben (ist ja nur eine kurze Kolumne), was ich nun nachholen werde (wo ich gerade was finde, nicht vollständig), da ich viele meiner Aussagen nicht aus dem Ärmel getätigt habe, sondern auf Basis der mir vorliegenden Texte. Ich stütze mich vor allem auf die Texte in dem Buch „Anarchistische Gesellschaftsentwürfe“. Tatsächlich war auch ich ziemlich ungläubig, was da lesen musste. Manchmal mache ich es kurz und gebe nur die Seiten an, ggf. mit einem Zitat und Kommentar, wenn es sich um eine Interpretation meinerseits handelt.
(1) Geld: Es ist durchgängig die Rede von Preisen für Güter, die mit Löhnen bezahlt werden (auf sehr vielen Seiten), ebenso auch von Kapital, Zinsen, Kosten und Buchführung (S. 119-136). Nur weil das Geld nicht zirkuliert, ihm also einige im Kapitalismus wichtige Funktionen fehlen, ist es dennoch Geld. Preise sind nicht gleich Geld, sondern der numerische Ausdruck des Werts/Gelds. Dass es in einem Modell mit Kostenrechnung (via Opportunitätskosten) eine Wert-/Preisbasis braucht, liegt auf der Hand, dass nur so „nunmal … eine … komplexere Allokation funktionieren“ kann, würde ich allerdings bestreiten.
(2) Tausch/Waren/Wert: Von Waren ist explizit die Rede (S. 126, 128 etc.). Gibt es Waren, gibt es Wert. Muss es auch, denn es gibt auch Preise, die den Wert ausdrücken und mit denen die Buchhaltung betrieben wird. Vom Lohn kaufen die Arbeiter:innen Konsummittel – das ist Tausch, was sonst. Ähnlich wie im Realsozialismus.
(3) Lohnarbeit: S. 42, 43, 51, 57, usw. usf.
(4) Privateigentum an Produktionsmittel: Ein Lesefehler? Ich schreibe von „Privateigentum an Konsummitteln“.
(5) Moralisches Sollensmodell: S. 39-45, 87, 122. Das sind drei Artikel, da stehen immer die „Werte“ am Anfang, das nenne ich „moralisches Sollensmodell“. Du bestreitest das auch gar nicht, sondern antwortest mit „Institutionen“. Ja, so würde ich auch herangehen: materialistisch. Dass die Menschen in einer wie auch immer gestalteten emanzipatorischen (gerne commonistischen) Gesellschaft zu dumm sein sollen, einzuschätzen, was „richtiges“ Verhalten sei, wenn man ihnen das nicht vorher moralisch beibiegt, würde ich deutlich bestreiten. Mit schüttelt es ein wenig, weil das wieder leider dem Realsozialismus sehr ähnlich ist, wo den Leuten nichts zugetraut wurde, sondern sie erstmal eine sozialistische Moral anerzogen bekommen sollten.
(6) Arbeitszwang: Da bringst du kein prinzipielles Gegenargument. Auch Albert eiert auf S. 42 beim BGE rum und legt sich letztlich auf eine „gerechte Entlohnung als Norm“ fest. Muss er auch, denn ohne ein gewisses Zwangselement geht das Modell nicht auf. Hahnel rechtfertigt auf S. 230-237 explizit, dass es dieses Element geben muss, weil anders gesellschaftliche Notwendigkeiten (Unspassige Arbeit, Ökologie) nicht erledigt werden würden. Nur nennen es beide nicht Zwang, klingt auch nicht gut, ist es aber im Kern.
(7) Entlohnung knechtender Arbeit: Du bestätigst nur, was ich auch aussage. Damit gilt meine Argumentation der Folgen (Schattenmärkte etc.).
(8) Zentrale Koordination: Du schreibst „Das IFB aggregiert nur Angebot und Nachfrage“ – zu Zwecken der gesellschaftlichen Koordination, wozu sonst? Dabei geht es nicht um „politischen Einfluss“, sondern schlicht um die ökonomische Kohärenz, ob im gesellschaftlichen Produktionsapparat alles aufgeht. Nur das IFB hat die aggregierten Informationen dazu. Ja, das könntest du im Prinzip einem Algorithmus übergeben (so passiert es ja auch in einigen Modellen).
(9) Anpassungsmöglichkeiten: Danke für die erneute Erklärung. Siehe (8): Weil zumindest größere Änderungen die gesamtgesellschaftliche Koordination betrifft (Ressourcen- und Produktflüsse müssen neu justiert werden), ist das nach meiner Einschätzung schwer bis gar nicht möglich, weil faktisch eine Neuplanung nötig ist. Kleinere Änderungen, die über Puffer abgewickelt werden können, sind sicher drin.
(10) Produktionsketten: Dazu habe ich schlicht keine Aussagen gefunden. Der Planungsprozess durch die Arbeiter:innenräte findet sektoral oder branchenbezogen und nicht entlang der Produktionsketten statt. So habe ich es verstanden. Also Stahl-lokal => Stahl-regional => Stahl-kontinental => Stahl-global. So funktioniert die Stahlplanung, aber nicht die Produktionskettenplanung. Da reicht es nicht aus, „dass die Arbeiter_innenräte natürlich wissen müssen, welchen Input (Produktionsfaktoren) sie benötigen, um einen gewissen Output zur Verfügung zu stellen“. Sie müssen wissen oder vertrauen, dass die ganze Kette upstream kohärent funktioniert (wofür m.E. das IFB sorgen muss, was du bestreitest), damit ihr Input auch produktionssynchron (dann, wenn es gebraucht wird) kommt. Sie auf eine Datenbank zu verweisen, ist eine Idee, aber heißt letztlich nur, dass jeder einzelne Betrieb sich informationell um die ganze Kette kümmern muss – unmöglich. Ich verweise zu dieser Problematik auf einen Artikel von Max Grünberg, der in der neuen PROKLA erschienen ist und dabei (zurecht) auch den Commonismus kritisiert (wir haben das zuerst auch unterschätzt). Das ist ein Knackpunkt aller nicht-zentralen Modelle.
(11) Care-Abspaltung: Ja, darauf beziehe ich mich. Genau das schreibe ich aber auch.
„Falschaussagen“ hört sich gewaltig an, und ich war erst erschrocken, dass ich mich da so vertan haben sollte. Tatsächlich sehe ich keine falschen Aussagen, sondern unterschiedliche Interpretationen und sogar viele zustimmende Erläuterungen. Am Ende ist es mir auch egal, ob du den Lohn (aus meiner Sicht beschönigend) als „Konsumanteil“ oder „Entschädigung“ bezeichnest (könnte man beim kapitalistischen Lohn genau so tun), um zu vermeiden, vom Geld zu reden. Dann nenne es „Geldfunktion“ oder wie Ökonom:innen es tun „unit of account“. Die UoA ist da, muss da sein, weil du sonst nicht uniform rechnen kannst. Wir sollten viel lieber darüber streiten, ob nur so eine gesellschaftliche Koordination gehen kann: Das ist „nunmal“ eben nicht so – meiner Meinung nach.
Update: Ich meinte keine meiner Aussagen spöttisch, sondern ernst. Und Opportunitätskosten gibt es nicht in jeder Ökonomie, sondern nur in jenen, die mit UoAs rechnen. Das ist für mich „kapitalistische Denke“ (aber kein Kapitalismus). Gleichwohl gibt es unterschiedliche Opportunitäten, Dinge so oder so zu machen, was immer Implikationen hat, was man stattdessen nicht mehr machen kann. Tatsächlich beobachte ich mit Sorge, wie schnell Modelle mit antikapitalistischen Anspruch mit kapitalistischen Kategorien operieren.
@ Stefan Merez: Vielen Dank für deine schnelle Rückmeldung!
Ich beziehe mich hier vor allem auf die ausführlichere Literatur zu Partizipatorischer Ökonomie: ‚Democratic Economic Planning‘ (Hahnel, 2022), Anarchist Accounting (Sandström, 2021) und ‚No Bosses‘ (Albert, 2022).
Wie ich schon habe anklingen lassen, liegen hier m.E. neben unmittelbaren Fehlannahmen verschiedenste Begriffsverwirrungen aufgrund unterschiedlicher theoretischer Traditionen vor, die die gleichen Begriffe semantisch anders besetzen – woraus wiederum Fehlannahmen resultieren.
2. Tausch/Waren/Wert:
Um einmal direkt Marx zu Wort kommen zu lassen: „Die Waren sind unmittelbar Produkte vereinzelter unabhängiger Privatarbeiten, die sich durch ihre Entäußerung im Prozeß des Privataustausches als allgemeine gesellschaftliche Arbeit bestätigen müssen“ (MEW 13, S. 67)
In einer PE findet keine Privatproduktion und kein Tausch auf einem Markt statt, sondern die Produktion wie auch die geschaffenen Güter sind unmittelbar vergeselleschaftet qua Planungsprozess. Entsprechend gibt es auch keinen ‚Wert‘, da sich dieser nur im Tausch realisiert und damit auch keine ‚Waren‘. Kein Arbeiter_innenrat tauscht seine Produkte gegen einen Warenwert (den diese Produkte auch gar nicht besitzen können s.u.) ein. Wenn also im Kontext von PE von ‚Waren‘ gesprochen wird, ist dies im marxistischen Sinne unzutreffend.
Demnach ist es eine Verkehrung, wenn „von Waren […] explizit die Rede“ ist, deduktiv darauf zu schließen, dass es doch auch „Wert“ und damit „Tausch“ geben müsse. Umgekehrt wird vielmehr ein Schuh draus: Wenn man der marxschen Theorie folgt, gibt es aufgrund dessen, dass es in einer Partizipatorischen Ökonomie keine marktvermittelte Privatproduktion gibt auch keine ‚Waren‘ und somit keinen ‚Wert‘ (sondern lediglich Gebrauchswerte).
1. Geld und Preis:
„Da alle andren Waren nur besondre Äquivalente des Geldes, das Geld ihr allgemeines Äquivalent, verhalten sie sich als besondre Waren zum Geld als der allgemeinen Ware.“ (MEW 23, S. 104) In einer PE kann der Konsumbon/das Zahlungsmittel, welches den Anspruch auf einen bestimmten Anteil des gesellschaftlichen Reichtums darstellt, nicht übertragen werden, ist also nicht handelbar und damit – folgt man Marx -, würde ich schlussfolgern: Kein Tausch, keine allgemeine Ware, kein Geld.
„Geld als Wertmaß ist notwendige Erscheinungsform des immanenten Wertmaßes der Waren, der Arbeitszeit.“ (MEW 23, S. 109) Kurz gefasst lässt sich sagen, dass es in einer PE keine (Tausch-)Werte/Waren gibt und damit auch kein allgemeines Wertäquivalent (Geld) – so man denn analytisch von der marxschen Theorie ausgeht. Die Produktpreise in einer partizipatorischen Ökonomie reflektieren hingegen die Sozialen Kosten (inkl. Opportunitätskosten), welche die Produktion eines bestimmten Gutes mit sich bringen: „Wenn eine produktive Ressource knapp ist, sollten wir sie so nutzen, dass sie den größten Nutzen für die Gesellschaft bringt, anstatt sie auf eine Weise zu nutzen, die weniger Nutzen bringt.“ (Hahnel, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 65 Fn. 2) Opportunitätskosten quantifizieren also entgangene Alternativen zur Nutzung vorhandener Ressourcen, was einen wichtigen Maßstab darstellt, um knappe Ressourcen sinnvoll zu allozieren und damit nachhaltig/effizient (soll heißen nicht verschwenderisch) zu wirtschaften. Hahnel zu Sozialen Kosten: „Die sozialen Kosten der Produktion eines Produkts sind die Gesamtkosten, die der Gesellschaft durch die Produktion des Produkts entstehen. Dazu gehören nicht nur die Opportunitätskosten für die Nutzung der knappen Arbeitskräfte, natürlichen Ressourcen und Investittionsgüter, die für die Produktion notwendig sind, sondern auch alle ‚externen Kosten‘, wie z.B. Schäden durch Schadstoffe, die bei der Produktion entstehen.“ (Hahnel, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 65 Fn. 3)
3. Lohnarbeit:
Bei den von Dir angegebenen Seitenangaben ist kein einziges Mal von ‚Lohnarbeit‘ die Rede, sondern von „Entlohnung“, womit schlicht die Kompensation für geleistete gesellschaftlich nützliche Arbeit als individueller Konsumanteil gemeint ist. Meines Dafürhaltens bedient sich Albert strenggenommen einer irreführenden Terminologie (oder es hakt and er Übersetzung). Hahnel verwendet den Begriff („wages“) in ‚Democratic Economic Planning‘ im Kontext von PE nur einmal und dort, um herauszustellen, dass in PE eben nicht ein Lohn (wie in einer kapitalistischen Ökonomie bei Anstellung) ausgehandelt wird, sondern sich das Konsumrecht gemäß der erbrachten ’sacrifices’/Anstrengungen bemisst (vgl. Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 118) (mit Ausnahmen für Alte/Kinder/Arbeitsunfähige, und – aber das ist wie gesagt nicht festgelegt, sondern unterliegt der demokratischen Willensbildung in einer zukünftigen PE – ggf. auch Arbeitsunwillige – Stichwort BGE (vgl. Albert/Shaner, anarchistische Gesellschaftsentwürfe, S. 42).
4. Privateigentum an Konsummitteln/Produktionsmitteln:
Da du davon gesprochen hast, dass es Kapital(-akkumulation) in einer PE geben würde, bin ich davon ausgegangen, dass du damit auch unterstellst, dass es private/betriebseigene Produktionmittel geben müsse. Oder um es umzukehren: Da es in PE keine Marktkonkurrenz, keinen Tauschhandel und kein Privateigentum an Produktionsmitteln (sondern eben nur vergesellschaftete Commons) gibt, existiert auch kein Kapital (als sich selbst verwertender Wert). Wie schon angeklungen: Wenn Vertreter_innen von PE in Bezug auf PE von ‚Kapital‘ sprechen, meinen sie nur einen Produktionsfaktor (Gebäude, Maschinen, Anlagen, Werkzeuge etc.), keinen Prozess (wie es sich bei ‚Kapital als sich selbst verwertendem Wert‘ darstellt).
Bei der durchaus korrekten Behauptung, in einer partizipatorischen Ökonomie gebe es auch „Privateigentum an Konsummitteln“ kann ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen, warum du das so selektiv hervorhebst. Ja, ich könnte mir in einer PE von meinem Konsumanteil ein Handy kaufen und das würde dann mir gehören (ich hätte also ausschließliches/privates Nutzungsrecht). Ich kann aber auch in meinem Nachbarschaftsrat – oder dem übergeordneten Stadtteilrat – beantragen, dass wir uns gemeinsam einen Spielplatz anlegen. Wenn das vom betreffenden Rat (der Repräsentation aller Mitglieder) genehmigt würde, hätten wir ein kollektives Gut, wofür alle Mitglieder des entsprechenden Rates das Nutzungsrecht innehätten usw. Gesundheitsvorsorge und Bildung stünden (unentgeltlich) für alle zur freien Nutzung zur Verfügung (und wären damit gleichsam ein öffentliches Gut auf der höchsten Räteebene). Es ist vielmehr so, dass kollektiver Konsum deurlich einfacher implementiert werden könnte als in einer Marktwirtschaft.
5. Moralisches Sollensmodell:
Hier liegt m.E. eine eklatante Fehlannahme vor. Die Werte, die formuliert werden dienen als Richtschnur, um einmal Transparenz über die Prämissen zu schaffen und zugleich dazu passende Institutionen zu begründen, die gewährleisten, dass eine zukünftige Gesellschaft nicht strukturell widersprüchlich ist, sondern aus sich selbst heraus Solidarität, Vielfalt, ökonomische Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Selbstverwaltung und Wirtschaftsdemokratie befördert. Wo liegt dabei das Problem? Hast Du nicht selbst mit Simon Sutterlütti im Buch ‚Kapitalismus aufheben‘ derlei Explizierung als wichtiges Kriterium einer ‚kategorischen Utopie‘ richtiger Weise gefordert?: Demnach treffe viele heutige utopische Konzepte ein „gemeinsames Problem: Sie beruhen auf bestimmten Vorstellungen und Theorien über Menschen und die Gesellschaft – und bestimmten Kritiken an der bestehenden Gesellschaft. Auf Basis dieser Theorien und Kritiken kommen sie zu ihren Moralregeln oder zur [sic!] ihrer Idee einer algorithmischen Arbeitsteilung mittels Computern o.ä. Weder Theorien noch Kritiken sind offen benannt, sie bleiben implizit. […] Viele theoretische Vorannahmen bleiben im Dunkeln, unklar und unhinterfragbar. […] Wir behaupten, dass alle Utopien eine theoretische und kritische Fundierung haben. Jede Utopie entsteht innerhalb einer bestimmten Weltvorstellung. Sie leben von einem bestimmten kategorialen Rahmen. Mit der kategorialen Utopie fordern wir eine offene Benennung und Prüfung dieses Rahmens und seines Zusammenhangs mit der Utopie ein.“ (Sutterlütti/Meretz, Kapitalismus aufheben, S. 108)
6. Arbeitszwang:
In der Tat sehen es Hahnel und Albert als Anmaßung an, festzulegen, dass eine künftige Gesellschaft ihren Mitgliedern ein BGE auszahlen müsse und formulieren daher einen Grundmodus, falls sich herausstellt, dass gewisse notwendige Arbeiten nicht erledigt werden, da Anreize fehlen. Falls dem nicht so sein sollte, wäre die Option für ein BGE sowie die Maxime ‚Jeder nach seinen Bedürfnissen‘ aber problemlos implementiertbar, auch wenn man da m.E. zu Recht skeptisch sein kann (in der Zukunft kann sich das sicherlich ändern, eine essenziellen Widerspruch zu PE stellt ein BGE sowie die Maxime ‚Jeder nach seinen Bedürfnissen‘ jedoch m.E nicht dar – zumindest nicht mehr als in anderen postkapitalistischen Alternativkonzepten).
7. Entlohnung knechtender Arbeit:
Hier habe ich meines Dafürhaltens ziemlich deutlich der Behauptung widersprochen „knechtende Arbeit“ würde besser kompensiert als „qualifizierte Arbeit“. Gemäß der Balanced-Job-Complexes (ausgeglichene Arbeitsbündel) würde es so etwas wie monopolisierte „qualifizierte Arbeit“ und „knechtende Arbeit“ überhaupt nicht mehr geben – bzw. diese Disparität auf ein Geringstmaß reduziert werden. Für die Fälle in denen es tatsächlich Unterschiede hinsichtlich der gestätigten Anstrengung/der erbrachten Opfer für eine gesellschaftlich erwünschte Arbeit gibt – bspw. weil ich unter sonst gleichen Bedingungen (Intensität etc.) durchschnittlich länger gearbeitet habe oder weil das Job-Balancing sektoral nicht vollkommen aufgeht und ich eine durchschnittlich mühsamere Arbeit verrichte – ja, dann bekomme ich eine höhere Kompensation als es der jeweilige Durchschnitt festlegen würde. Warum soll ich für erfüllendere Arbeit, nur weil sie „qualitiziert“ ist, mehr bekommen, als für weniger erfüllende Arbeit?
8. Zentrale Koordination:
„Nur das IFB hat die aggregierten Informationen dazu.“ Ich sehe nicht, inwiefern das nicht transparent vonstatten gehen sollte und wo sich da das ‚zentrale‘ in der Koordination verstecken soll. Es bestehen keine nachvollziehbaren Anreize, die Planung zu manipulieren und des Weiteren verfügt das Unterstützungsbüro über „keinerlei Ermessensspielraum“ (Hahnel, Alternativen zum Kapitalismus, S. 200) um politische Macht auszuüben. (Vgl. Albert, Parecon, S. 262-265; Vgl. Sandström, Anarchist Accounting, S. 20, S. 24, S. 29; Vgl. Hahnel, Democratic Economic Planning, S. 157f., S. 187f.)
9. Anpassungsmöglichkeiten: Sandström meint zu größeren Nachjustierungen des Plans folgendes: „In cases where this [– die gegenseitige Verrechnung der Deviation auf den Räte-Ebenen –, A.D.] is not possible and when big unforeseen events occur that demand adjustments in production, necessary adjustments need to be negotiated by representatives from affected consumer and worker federations. Some adjustments in the plan may need only small changes in the capacity utilisation in the production units in one industry, while other adjustments could be more far reaching and affect more workplaces and require a redistribution of resources between industries.“ (Sandström, Anarchist Accounting, S. 24)
10. Produktionsketten: Die Arbeiterinnenföderationen haben die Aufgabe die ihnen angehörigen Arbeiterinnenräte über potenzielle Probleme in der Produktionskette zu informieren (damit könnte bspw. eine eigener Arbeiterinnenrat, beauftragt durch die jeweilige Arbeiterinnenföderation, befasst sein). Das IFB hat da nichts mitzureden, sondern liefert nur Daten hinsichtlich der Veränderung von Preissignalen: „„The IFB is an actor with no decision-making power. Its main task is to update the indicative prices for all categories of capital, resources, labour, goods, and services, and for emissions of different categories of pollutants before each new iteration during the annual planning procedure and also during the year in cases when the annual plan must be updated. The updates of the indicative prices are based on the excess supply or demand that emerges through the actors’ proposals for production and consumption and can, for the most part, be performed by mathematical algorithms. By analysing historical data and statistics, the IFB can estimate how actors will respond to price changes for different products, i.e. different products price elasticity. “ (Sandström, Anarchist Accounting, S. 24)
11. Nochmal Opportunitätskosten:
Opportunitätskosten (Alternativkosten) gibt es in jeder Ökonomie, nämlich in allen Fällen, in dem man sich entscheiden muss, ob produktive Ressourcen für dieses oder jenes Gut aufgewendet werden – also man entgangenen Nutzen hat. Die Frage ist nur ob sie erhoben/dargestellt werden.
Ich bin grundsätzlich nicht der Meinung, dass „nur so eine gesellschaftliche Koordination gehen kann“, das wäre reiner Dogmatismus und davon würden sich mit Sicherheit auch alle genannten Vertreter_innen von PE distanzieren. Die Frage ist doch (um mit Erik Olin Wright zu sprechen) was im offenen Vergleich eine ‚wünschbarere‘, ‚gangbarere‘ und ‚erreichbarere‘ Alternative ist (vgl. Wright, Reale Utopien, S. 63-70). Für mein Befinden hat sich PE bisher sehr offen und mit starken Argumenten ihren Kritiken gestellt.
@Stefan Meretz Kleiner Nachtrag zu 5. Moralisches Sollensmodell:
Partizipatorische Ökonomie folgt mit ihrer Konkretisierung/Offenlegung der ihr zugrundeliegenden Prinzipien und Werte am Anfang ziemlich genau dem, was Erik Olin Wright als die Aufgaben einer „emanzipatorische Sozialwissenschaft“ konzeptionalisiert hat:
Wright zufolge hat eine emanzipatorische Sozialwissenschaft vier wesentliche Aufgaben
zu erfüllen, um Transformation nach klaren Kriterien, konsistent und kohärent, sowie Transparent denkbar, analysierbar und diskutierbar zu machen:
(1) die Spezifizierung der moralischen Prinzipien der Bewertung von gesellschaftlichen Institutionen
(2) die Nutzung dieser moralischen Prinzipien als Standards für die Diagnose und Kritik existierender Institutionen
(3) die Entwicklung eines Sets von lebensfähigen Alternativen als Antwort auf die Kritik
3.1 Wünschbarkeit: rekurriert nochmal auf den allerersten Punkt, also die Formulierung von abstrakten Werten und Prinzipien, die der künftigen Gesellschaft zugrunde liegen sollen.
3.2 Gangbarkeit
3.3 Erreichbarkeit
(4) die Ausarbeitung einer Transformationsstrategie zur Realisierung dieser Alternativen.
(Vgl. Wright, Durch Realutopien den Kapitalismus transformieren, S. 63)
Strukturen und Systeme legen nunmal gewisse Handlungslogiken und Rationalitäten nahe bzw. verstärken jene und schwächen andere. Ein Modell so zu entwerfen, dass gewünschte Prinzipien und Werte strukturell befördert werden, während unerwünschte Verhaltensweisen (Konkurrenz, Naturzerstörung, Exklusion, Autoritarismus etc.) gehemmt werden, hat m.E. nichts mit einem bevormundenden „vorher moralisch beibiegen“ zu tun.
Unterstellt man dem Konzept einer Partizipatorischen Ökonomie (das hier Wrights Vorschlag konzeptionell paradigmatisch erfüllt, die zugrundeliegenden Prinzipien und Werte offenzulegen und zu konkretisieren – Solidarität, Vielfalt, ökonomische Gerechtigkeit, ökologische Nachhaltigkeit, Selbstverwaltung und Wirtschaftsdemokratie – und hiervon ausgehend das Konzept mit den Institutionen und Strukturen zu modellieren) Nähe zum Realsozialismus (was ich für überaus abwegig halte) muss dieser Vorwurf automatisch auch an Wright selbst ergehen.