Elinor Ostrom vs. Karl Marx
Retten die „Commons“ die Welt oder müssen sie selber gerettet werden? Eine Kritik zur Idee der ökologischen Allmenden
von Nikolaus Weihe und Conrad Kunze
Dieser Artikel war ursprünglich für die Veröffentlichung im Studentischen Soziologiemagazin gedacht, das ihn jedoch als „zu ideologisch“ ablehnte.
Elinor Ostrom erhielt im Jahr 2009 den Wirtschaftsnobelpreis für ihr empirisches und theoretisches Werk zu Allmenden, sprich Gemeingütern, im Englischen commons genannt. Wer im Kapital Band II nachschlägt, findet einige Gedanken von Marx zu den „enclosures“. Dass Marx das Gegenteil von Ostrom schreibt ist dabei keine Überraschung, bietet aber einen Standpunkt, von dem sich argumentieren lässt.
Noch immer sind die „commons“ en vogue als Antwort auf die ökologische und wirtschaftliche Krise der Gegenwart. Doch was sind eigentlich Allmenden? Üblicherweise zählen dazu ökologische Güter wie Fischbestände, Wälder und Weideland, aber auch nicht lokalisierbare Ressourcen wie die Ozonschicht, die genetischen Vielfalt der Biosphäre, open source Software, die Internetinfrastruktur und andere Güter, die weder zum privaten noch staatlichen Besitz gehören. Als Aspekt des Gemeingutes kann auch ein stabiles globales Klima gelten, dessen Gefährdung indirekt schon Aristoteles ansprach: „das Gut, das den meisten zugänglich ist, genießt die geringste Pflege.“ (Aristoteles 350) Eine Denkfigur, der sich die meisten gegenwärtigen Ökonomen anschließen und folglich die Privatisierung als Allheilmittel empfehlen. Dem widersprechen nicht nur Autoren wie Ostrom. Auch in der Praxis, wie etwa an der open-source Bewegung beobachtbar, lassen sich erfolgreiche Gegenbeispiele finden. Im zweiten Band des Kapitals findet der geneigte Leser einige Seiten über Gemeingüter, worin Marx sowohl deren vollständiges Verschwinden als auch sich daran verschärfende Klassenwidersprüche zwischen Besitzern und Besitzlosen in blumigen Szenen am Beispiel englischer Schafweiden beschreibt. Ostrom hingegen bewirbt die Wiederentdeckung der Allmenden als alternative Besitz- und Organisationsformen um Bewässerungssysteme, Wasserreservoirs, Wälder, Fischbestände und Böden vor der Zerstörung durch eben jene historischen Prozesse fortschreitender Privatisierung zu retten. Herrschaft, Akkumulation und Kapitalverwertungslogik sind nur einige Elemente, die in Ostroms Werk fehlen, dabei liegt hier eigentlich der Hase im Pfeffer.
Marx über die „commons“
Dass Gemeineigentum in Privateigentum und manchmal auch in Staatseigentum überführt wird ist keine Neuheit, sondern eine Grundtendenz des Kapitalismus. Eine der zentralen Grundlagen menschlicher Produktion und Reproduktion ist der Ackerboden, welcher den feudalen und klerikalen Nutzungsrechten entzogen wurde, um ihn zunehmend dem Markt als privatrechtlich handelbare Ware verfügbar zu machen. Damit wird auch der Boden dem Zugriff liquiden Kapitals zugänglich gemacht, auf seiner rastlosen Suche nach gesteigerten Renditen, also höheren Erträgen. Was allgemein Effizienzsteigerung genannt wird, bedeutet bekanntermaßen Effizienz im Sinne der erzielten Marktpreise bzw. optimierter Gewinne. Wenn die Schafwolle einer englischen Weide also mehr bringt als die Landwirtschaft auf derselben Fläche, bedeutet das eine “sinnvolle“ Gewinnsteigerung und wenn Überweidung mehr bringt als ökologisch langfristig tragbare Beweidung, ist das ebenfalls eine -wenn auch kurzfristige- Effizienz- und Gewinnsteigerung. Wie stark eine Fläche über-nutzt wird ist freilich abhängig vom temporären Erwartungshorizont des investierten Kapitals. Je kürzer der Bewirtschaftungszeitraum ist, je schneller also Renditen ausgezahlt werden sollen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit ökologischer, da es dann ökonomisch „rationaler“ ist, einen Wald für einen einmaligen Profit abzuholzen statt nur soviel Holz zu schlagen wie langfristig nachwächst. Die gleiche Frage stellt sich in der Landwirtschaft, der Wassernutzung und globaler auch beim klimatischen Gleichgewicht, dessen Schutz laut Sternreport (Stern 2006) langfristig wesentlich billiger kommt als die Kosten seiner Zerstörung. Bekannterweise setzt die ökonomische Logik derzeit in zu hohem Maße auf kurzfristige Ausbeutung und ignoriert die langfristigen Schäden und Kosten ohne die kleinste Sorgenfalte.
Derart destruktive Tendenzen analysierte Marx auch anhand des englischen Bodens, der einmal zur Ware geworden, sprich „kommodifiziert“, dem Gesetz der Kapitalverwertung unterliegt. Dies schließt kurzfristige Effektivitätssteigerung zwecks Profitsteigerung ein und muss dies sogar, denn so wie sich die Arbeitskraft verkaufen muss, um existenzieller Not zu entgehen, so muss sich das Kapital in immer neuen Anlageformen reproduzieren, um seinem inflations- und zinsbedingten Verfall zu entgehen. Wenn die Bedingungen hierfür nicht gut genug sind, schafft sich das Kapital ein günstigeres Umfeld. Was Marx an einigen historischen Beispielen ausmalt: Bauernvertreibung in England -weil Schafzucht weniger arbeitsintensiv ist als Ackerbau-, Enteignung der Kirche – damit ihr Land ver-marktlicht werden kann und Bestrafung der arbeitsunwilligen zu Vagabunden gewordenen Bauern. Heute hieße dies: Hartz IV. Statt Land werden freilich auch weniger greifbare Güter kommodifiziert1 wie etwa Bildung und Gene, wobei die Vertreibung durchaus wieder die Bauern trifft, nämlich jene die weiterhin nicht-gen-manipuliert anbauen wollen.2 Freilich ging mit der Enteignung und Vermarktlichung des Bodens auch eine Globalisierung von Abhängigkeitsverhältnissen einher. Die Abhängigkeitsketten wurden sozial und geographisch immer länger. Zuvor nicht-lohnabhängige englische Bauern arbeiteten in Manufakturen, die Schafwolle von Schafen, die auf ihrem zuvor privatisierten Land grasten, zu Kleidung verarbeiten, die in anderen Teilen der Welt gegen Nahrung getauscht wird. Dafür erhielten die Arbeiter bekannterweise gerade genug um ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, sprich zu überleben. Hierin liegt für sie die Verschlechterung: statt Eigentümer ihrer Produktionsmittel und erarbeiteten Mehrwerte zu sein, erhalten sie nur noch das Notwendige zum Leben. Respektive zu heute: das, was ihre politische Vertretung in Form von Gewerkschaften und Parteien und Berufsverbänden für sie noch zu erkämpfen vermag. Im Gegensatz zu Marx wissen wir heute, dass auch der real existierende Sozialismus nicht ohne Enteignung des Bodens, Mechanisierung, Landflucht und Effizienzsteigerung auskam, und sonst wohl viel früher gescheitert wäre.
Es handelt sich also um kein exklusives Charakteristikum des Kapitalismus. Was beide Systeme unterscheidet ist eher die Verteilung des gewonnenen Surplus. Obwohl die Bevölkerungsgruppen, deren Land enteignet wird noch nie besonders davon profitierten, fallen Produktion und der Genuss des erzielten Mehrwerts in Zeiten beschleunigter Globalisierung doch noch weiter auseinander als in Marx‘ englischem Beispiel. So werden Bauern in Usbekistan oder West Afrika enteignet oder unter Druck gesetzt, ihr Land zu veräußern, damit dieses dann ökonomisch höchst gewinnträchtig (und ökologisch meist katastrophal) zur Baumwollproduktion für den Weltmarkt genutzt werden kann. Die Kleidung kommt aber erst nach zehn Jahren mit der Kleiderspende zurück, an Bauern, die weder ihre Baumwolle in den Städten selber verarbeitet haben noch einen finanziellen Gewinn aus der Baumwollproduktion erhalten konnten. Dieser fließt vielmehr an die Kapitalgeber zurück, die ihn, dem Zirkulationszwang des Kapitals folgend (Simmel 1900: 240ff.), wieder anderswo reinvestieren, nämlich da, wo noch fruchtbare Böden übrig sind. Die ausgelaugten Baumwollfelder überlassen sie nun gerne wieder den enteigneten Bauern, der Allgemeinheit oder dem Staat. Im Laufe des letzten Jahrhunderts sind im Zuge der industriellen Modernisierung auch die letzten großen materiellen Gemeingüter vermarktlicht worden. Böden in aller Welt wurden ihren ‚ursprünglichen‘ Verhältnissen entrissen. Das geschieht noch heute mit dem Ejido-Land in Mexiko, den Gebieten der Aborigines, der Tuareg, der Kleinbauern in Russland und in China. Überall wird Gemeingut in marktwirtschaftlichen Privatbesitz überführt.
Was in England begann, endet anscheinend im Amazonas, im mexikanischen Bergland, im Niger, in der australischen Wüste, freilich nicht für Schafwolle, sondern für die letzten Erze und Öl- und Uranvorkommen. Doch es zeigt sich noch eine andere Kehrseite technologieintensiver Effektivitäts- und Effzienzsteigerung von der Marx noch nichts ahnte: die Senken3 sind voll. Laut Meadows (Meadows/Meadows/Randers 2006) werden die verschiedene Grenzen des Ökosystems Erde überstrapaziert sein bevor die Ressourcen erschöpft sind, das heißt Bevölkerungs- und Wirtschaftswachstum werden nicht nur durch einen Mangel an „seltenen Erden“ und Rohstoffen, sondern an Trinkwasser und fruchtbarem Boden gebremst. Plötzlich ist die Menschheit genötigt, Gemeindeland wahrzunehmen, wo zuvor “open access”, terra nullius, oder sogar überhaupt kein Gut oder Objekt, das der Aufmerksamkeit wert ist, vermutet wurde: die chemische Zusammensetzung der Atmosphäre, die Versauerung der Meere oder die Artenvielfalt nehmen wir erst ex negativo als Gut war, wenn es verschwindet, als eben die Freiheit von sauren Meeren, CO2 angereicherter Luft, Feinstaub, radioaktiver Strahlung, chemischen Giften usw. Die Erkenntnis der (nicht intendierten) Schädlichkeit einer neuen Technologie folgt dieser meist in einem zeitlichen Abstand, der keine vollständige Regeneration mehr erlaubt.4 (Sieferle 1982)
Beide Phänomene zusammengenommen, die Entdeckung neuer gemeinschaftlicher Güter, dort wo ewiger Überfluss zu herrschen schien und die wissenschaftliche Erklärung des sozial-ökologisch-sozialen Rückkopplungsprozesses, in dessen Verlauf die Expropriateure selber ökologisch expropriiert werden, hat zum Aufstieg der Allmende-Theorie geführt, die wir Dank Ostrom im neuen Kleide vor uns haben. Doch wer von Allmende spricht, soll von Akkumulation und Enteignung nicht schweigen! Marx meinte, dass die kapitalistische Produktionsweise, die auf die Enteignung von Gemeingütern gründet, schließlich einen so hohen Grad der Akkumulation (und damit verbunden Ungleichheit) und Zentralisierung erreicht, dass sie sowohl der Mehrheit die Motivation nimmt, die Verhältnisse länger zu dulden als auch dass sie “unverträglich werden mit ihrer kapitalistischen Hülle” und dem Fortschritt der Produktionsverhältnisse zur Fessel (Marx 1867: 791). Das ist, abgesehen von dem bekannten 80 jährigen Intermezzo, nicht eingetreten. Zur Fessel ist vielmehr der Nationalstaat geworden, und der wird zunehmend entmachtet, ohne dass die Verkehrsform des Kapitalismus bisher darunter leidet. Zur zu engen Hülle aber wird nicht die kapitalistische Produktionsform sondern die Erde selber. Da sich die Enge aber immer als Enge für einige und zwar für die Ärmsten und Machtlosesten einstellt, kann sie vom Produktionssystem so weit ignoriert und integriert werden. Ressourcenknappheit und sich verschlechternde Lebensbedingungen werden durch ungleiche Verteilung von ökologischen in soziale Probleme weitergegeben, und erzeugen wiederum einen neuen Markt, zum Beispiel für sauberes Trinkwasser, Bio-Lebensmittel, frische Luft, ein Grundstück am Rand von Hamburg, das nicht von steigendem Wasserpegeln betroffen ist uns so weiter. “Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.” (Marx 1867: 790) In gewisse Weise hat Marx also auch dies vorhergesehen. Der Satz müsste heute jedoch anders enden, nämlich: sie erzeugt die Negation der zu ihrer Reproduktion notwendigen Naturprozesse. (Vgl. O´Connor 1996) Diese Negation deutet sich heute nicht alleine in der sozialen Verarmung an – die freilich auch global outgesourct wird- und der Entstehung ineffizienter Monopole, sondern in der Negation ihrer stofflichen, biologischen Grundlage, indem die zu expropriierenden Bodenschätze, die fruchtbaren Böden (gespiegelt dazu: die Senken) so knapp werden, dass eine Steigerung der Produktion immer schwieriger zu erreichen ist.
Wenn die Nettoproduktion aber zurückgeht, so verliert der Kapitalismus eine entscheidende Legitimationsgrundlage: Vermehrung des materiellen Wohlstands. Es wird dann nur noch Gewinnsteigerungen durch Umverteilung, aber eben keinen netto Quantitätszuwachs mehr geben. Die somit systemisch produzierten Widersprüche werden als ökologische Kosten an die gesamte Menschheit weitergegeben. Gleichzeitig, und wohl auch nur dadurch, können weiterhin Profite für die Minderheit der gut situierten Kapitalbesitzer produziert werden, um den Preis der Enteignung der letzten Kollektivguter/Gemeinschaftsguter: der Atmosphäre, des klimatischen Gleichgewichts, der Küstenstreifen, nicht-toxischer Landstriche und der Artenvielfalt. Der Kapitalismus kann gar nicht anders, als diese neu entstehenden Märkte wieder zu einem Feld der Geldverwertung und Profitmaximierung zu machen. Es liegt nicht im Interesse der Profit/Markt-Konstellation, demokratisch verwaltete Allgemeingüter zu schaffen, weil ohne Knappheit gar kein Gut vorliegt, wo Trinkwasser kostenlos ist, kann keines verkauft werden. Ohne knappes Gut kann kein Kapital verwertet werden. Daher ist die leise vorgetragene Forderung Ostroms, nach gemeinschaftlich demokratischer Verwaltung/Kontrolle des Privateigentums richtig, um die ökologischen Allgemeingüter zu retten, oder sogar wieder herzustellen und doch ist sie in diesem Akkumulationsregime unmöglich. Indirekt scheint das auch bei Ostrom angedeutet, denn die von ihr angeführten Allmende-Erfolgsgeschichten sind nur erfolgreich in der Vermeidung ihrer Übernutzung durch Beschränkung der Mittel ihrer Nutzung (zum Beispiels nicht-motorisierte Fischerboote) und der askriptiven Beschränkung ihrer Nutzer. So werden die Rechte am mexikanischen Ejidoland an die ältesten Söhne vererbt. Die von ihr beschriebenen Mechanismen waren aber insbesondere da möglich, wo noch nie eine Marktform vorgeherrscht hat.
Die von Ostrom beschriebenen Kollektivgüter wurden noch nie quantifiziert, in-wertgesetzt und ver-geldlicht. Diese vormodernen Allmenden sind zwar ein kultureller Schatz an Ideen, aber nicht unbedingt direkt übertragbar auf die drängenden globalen Allmendedilemmata. Das weiß auch Ostrom, wenn sie schreibt, dass die von EU und Kyotoprotokoll stets beworbenen Quantitätsbeschränkungen, als marktförmige Lösungen ungeeignet sind, wie sich an zu hohen Fischfangquoten und ineffizientem CO2 Handel regelmäßig zeigt (Ostrom 2005). So war auch die große Erfolgsgeschichte der internationalen Umweltpolitik, das schnelle und weltweite FCKW Verbot der 80er Jahre, gerade kein Ergebnis von Quotenregelungen, sondern einer gezielten politische Beschränkung der Produktion. Vielleicht lassen sich also doch einige Erkenntnisse aus Ostroms Fallstudien auf globale Ebene verallgemeinern. Dann gäbe es zwei Lösungen für globale Umwelt-Allmenden. Zum einen könnte die Logik der Kapitalverwertung gebrochen werden, indem die zulässigen Mittel beschränkt werden (nur noch kleine Fangschiffe, restriktive Erdölextraktion) oder aber wichtige Güter wie Land werden dem Markt entzogen und in ein Allmendebesitzrecht überführt. Das klappt allerdings kaum bei unteilbaren Gütern wie Luft und Ozeanen. Ein weiteres Problem ökologischer Gemeingüter ist das ihrer gerechten Verteilung, das sich um so dringlicher stellt als ihrer andauernden Zerstörung kein Einhalt geboten wird. Bei zunehmender Verknappung führt die Verteilung über den Markt zum Ausschluss immer größerer Gruppen der Bevölkerung, insofern sich der Ausschluss aus bezahlter Arbeit und die daran gekoppelte Teilhabe an Dienstleistungen weiter fortsetzt.
So wie es dem Kapitalismus in seiner historischen Genese gelungen ist, kurzfristige Enteignung der geschaffenen Werte immer weiter auszuschließen, bis zur höchsten Stufe, dem „possessiven Individualismus“, so müsste es einem nachhaltigen Wirtschaftsregime gelingen, darüber hinaus die kurzfristige Ausbeutung von Ressourcen und Menschen auszuschließen.5 Als der Kapitalismus noch ein zartes Pflänzchen war, in Genua, Venedig und Florenz des Spätmittelalters und im Holland der Reformation mussten die angehäuften Kapitalia ständig gegen Enteignung durch den Feudaladel verteidigt werden. Der systemische Druck gegen ein ökologisch und sozial nachhaltiges Wirtschaftssystem erscheint heute nicht weniger stark.6 Ein grundlegender Wandel wird daher nicht ohne Weiteres im großen Maßstab und erst recht nicht innerhalb der etablierten Machtstrukturen entstehen. Eine ökologische Wende muss daher auch lokal realisierbar sein, sie muss kleinteilig funktionieren und sich dort als Alternative gegenüber dem herrschenden Verwertungsregime beweisen. Ostrom hat deshalb ganz Recht wenn sie betont, dass nachhaltig bewirtschaftete ökologische Gemeingüter auf lokaler Ebene ein wichtige Rolle spielen. Mit Marx ist ihr entgegenzuhalten, dass das gegenwärtige Verkehrssystem durch die rastlose Suche nach kurzfristigen Gewinnen, die auch aus den verbliebenen nicht monetarisierten Gütern gepresst werden, angetrieben und nicht durch ökologische oder soziale Vernunft gelenkt wird. Eine Lösung der globalen Allmende-Dilemmata ist deshalb nur möglich in Verbindung mit einem Systemwandel.
Literatur
Aristoteles, Politik, Buch II, Athen 350 vor Christus
Marx, Karl, Das Kapital, London 1876 [Berlin 1973]
Meadows, Donella/Meadows, Dennis/Randers, Jørgen, Die neuen Grenzen des Wachstums, Reinbeck 1998
O´Connor, J., The Second contradiction of Capitalism, In: The greening of Marxism, New York 1996
Ostrom, Elinor, Understanding Institutional Diversity, New Jersey 2005
Sieferle, Rolf Peter, der unterirdische Wald, München 1982
Simmel, Georg, die Philosophie des Geldes, Leipzig 1900 [Frankfurt am Main 1989]
Stern, Niclas, Stern Review on the Economics of Climate Change, London 2006
Ich verstehe diesen Satz nicht:
Also gemäß traditioneller Marxsicht basiert der Kapitalismus auf permanenter kurzfristiger Einteignung, die dort »Ausbeutung« genannt wird. Das ist bekanntlich der Wert-Anteil, der über der zur Reproduktion der Arbeitskraft erforderlichen Größe liegt (=Mehrwert).
Dieser Artikel wurde abgelehnt, weil er die schlechte Nachricht falsch verpackt herüberbringt?
Im übrigen sehe ich sonst keinen wirklich Gegensatz zwischen Ostrom und Marx. Mit Ostroms Kategorien kannst du schlicht den Gesamtzusammenhang nicht denken. Das ist einfach nicht ihr Thema. Marx geht darüber hinaus, weil ihn der systemische Gesamtzusammenhang interessiert, aber das hast du ja auch geschrieben.
Zur Ablehnung im Soziologiemagazin:
Der Text hat neben formalen Mängeln, wie dem Fehlen eindeutiger Textbelege, vordergründig analytische Schwächen, weil selbst theoretische Ansätze von Marx nur ungenügend soziologisch betrachtet wurden.
Es wird nicht deutlich, welche kritischen Wechselwirkungen zwischen Ökonomie und Gesellschaft bestehen und inwiefern sich der Kapitalismus auf soziale Verhältnisse auswirken kann. Die Methode der marxistischen Dialektik wurde leider nicht angewendet. Vielmehr wird ein Gegenmodell einer alternativen Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsordnung idealisiert, welches jedoch eher ein politikwissenschaftliches Modell darstellt. Daher war unser Vorschlag an die Autoren, den Text auch im politikwissenschaftlichen Umfeld anzusiedeln, was auf keimform.de scheinbar gelang.
Nebenbei stünde es Nikolaus Weihe und Conrad Kunze im Sinne des marxistischen Paradigmas zukünftig gut, wenn inhaltliche Kritik nicht gleich denunziert, sondern sich gerade dieser mit soziologischem Werkzeug gestellt werden würde.
Lieber Conrad,
erlaube mir bitte ein paar kurze Anmerkungen zu Deinem anregenden Text.
Elinor Ostrom würde nie etwas als „alternativlos“ beschreiben. Im Gegenteil. Sie sagt in der Regel, dass viele Arrangements – auch staatliche oder private – unter günstigen Bedingungen gut funktionieren KÖNNEN und sie hat den Beweis angetreten, dass die oft übersehenen Allmendarrangements in der Regel recht gut funktionieren. Das ist etwas Anderes als „alternativlos“.
Zu behaupten, dass die Kategorie „Herrschaft“ in ihrem Werk fehlt, scheint mir falsch. Ostrom kritisiert ganz explizit, wenn andere über die Interessen der Commoners bestimmen. Es macht sie regelrecht „fuchsig“. Immer und immer wieder. Da darf man nicht den Wortscanner nehmen und schauen, ob sie das Wort „Herrschaft“ benutzt… .
Insofern ist diese Gegenüberstellung etwas hingebogen. Ich glaube auch nicht, dass Ostrom den Gesamtzusammenhang nicht denkt. Wenn sie noch 40 Jahre Zeit hätte würde sie versuchenb, diesen aus der Empirie abgeleitet aufzubauen.
Was mir auch auffällt ist, dass Du die „commons“ entweder mit „Dingen“ oder mit „Gemeineigentum“ gleichzusetzen scheinst. Es gibt aber viele Commons, die in sehr unterschiedlichen kreativen Verschränkungen von Privateigentum und kollektiven Nutzungsformen gelingen und noch viel mehr, die überhaupt nicht mit Eigentumsrechten belegt sind.
Sie sind also nicht über die Form zu fassen.
Es sind viele interessante Passagen und Formulierungen in Deinem Text, auch zutreffende Bezüge zur heutigen Situation, aber gerade war ich in Bayern und wenn ich da so rumlaufe und dann den Satz lese:
„Dafür erhielten die Arbeiter bekannterweise gerade genug um ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, sprich zu überleben. Hierin liegt für sie die Verschlechterung: statt Eigentümer ihrer Produktionsmittel und erarbeiteten Mehrwerte zu sein, erhalten sie nur noch das Notwendige zum Leben.“, dann kann ich verstehen, dass sich viele dieser Marxschen Analyse nicht so recht anschließen wollen. Die Verhältnisse sind komplexer, zumindest wenn man sie von Mitteleuropa aus anschaut.
Was Du ja dankenswerterweise nicht tust. Das ist das Wohltuende an dem Text.
Wer von Allmende spricht schweigt nicht von „Akkumulation und Enteignung“ – das ist gar nicht möglich. Wer von der Allmende spricht, redet eigentlich andauernd von „enclosure“ (was mehr ist als privatisierung und auch komplexer als Akkumulation“ und er/sie redet andauernd von „Aneignung“ – also wiederstreitenden Interessen: So sehr ich auch gucke, ich sehe diesen angeblich blinden Fleck der Allmendforschung nicht (lies mal die Commonsliteratur zu Landfragen, da wird sogar die Zuweisung von Boden – rechts wie links ein Klassiker der Entwicklungspolitik“ an Kleinbauern kritisch hinterfragt).
Was ich weiterhin nicht verstehe: Du kritisierst die „Selbstbeschränkung der Mittel“ auf die sich Ostroms Beispiele beziehen als unzureichend und argumentierst dann gegen Cap (eine eben solche selbstbestimmte Quantitätsbeschränkung und alles andere als marktförmig). Im Kyotoprotokoll ist der Trade an den Cap gebunden (also ein Instrument des Marktes an eine ordnungspolitische Vorgabe) – Wo ist da das Problem? Ostrom hat nichts gegen Cap and Trade, auch nichts gegen ITQ (die theoretisch derselben Logik folgen) sie sagt nur, dass wir uns darauf nicht verlassen können und hat damit völlig recht. Nochmal: Cap in Verbindung mit Quote SIND gezielte Quantitätsbeschränkungen. Insofern läuft hier Deine Argumentation ins Leere. Quote ohne Cap oder Trade ohne Cap sind natürlich Unsinn.
Du sagst es ja dann selbst:
„Vielleicht lassen sich also doch einige Erkenntnisse aus Ostroms Fallstudien auf globale Ebene verallgemeinern. Dann gäbe es zwei Lösungen für globale Umwelt-Allmenden. Zum einen könnte die Logik der Kapitalverwertung gebrochen werden, indem die zulässigen Mittel beschränkt werden (nur noch kleine Fangschiffe, restriktive Erdölextraktion)“
Richtig.
„oder aber wichtige Güter wie Land werden dem Markt entzogen und in ein Allmendebesitzrecht überführt.“
Hier sagst Du selbst, das es schwierig ist, dies für große, unteilbare Güter zu denken. Aber mir scheint ein anderer Punkt noch viel wichtiger, nämlich der, dass die Besitzform allein nie ein Garant für nachhaltige Nutzung ist.
Aber eigentlich ist es ganz einfach – Beispiel Ozeane: nur noch kleine Fangschiffe, weg mit der Grundschleppnetzfischerei, Weg mit den Subventionenn für die Hochseefischereiflotten usw.) – aber dass es nicht klappt, hat weniger mit den Quoten, als vielmehr mit Macht zu tun. Und das weiss auch Ostrom. Dafür muss sie gar nicht Marx zu Rate ziehen.
Ein Letztes noch zum angeblichen Ende des Quantitätszuwachses: Der Kapitalismus hat noch jede Menge nicht kommodifizierter Dinge zur Verfügung. Jedes Element auf Nanoebene und 67 % der Biomasse, von den Bodenschätzen des Mondes und der unendlichen Kreativität der Menschen mal ganz zu schweigen. So gesehen, könnte man auf die Idee kommen, er sei erst am Anfang…
Herzlichst
Silke
@ Benjamin Köhler:
„Vielmehr wird ein Gegenmodell einer alternativen Gesellschafts- bzw. Wirtschaftsordnung idealisiert, welches jedoch eher ein politikwissenschaftliches Modell darstellt. “
Eh, wo? In welchem Text findet diese „Idealisierung“ statt?
@ alle: bitte entschuldigt meine Interpunktion. Ich wünschte, es gäbe bei Keimform eine Korrekturfunktion für Kommentare!
Eine Idealisierung erkenne ich in einem „ökologisch und sozial nachhaltigem Wirtschaftssystem“, auf das die Arbeit als Gegenentwurf zum Kapitalismus zugespitzt wird. Das ist eine politische Diskussion.
Soziologisch hingegen sind die Machtstrukturen interessant. Foucault hilft in der Fassung von Macht weiter, da er von Machtbeziehungen ausgeht, die zwischen allen „Dingen“ liegt: „Nicht weil sie alles umfasst, sondern weil sie von überall kommt, ist die Macht überall“ (1). Der Kapitalismus könnte dabei starre, institutionalisierte Machtbeziehungen widerspiegeln, die dann als Herrschaftsregime gelten und denen innovative soziale Praktiken entgegen gestellt werden müssten.
Daher kann ein grundlegender Wandel im Anschluss an Ostrom durchaus in den bestehenden Machtverhältnissen stattfinden. Beispiele finden sich in der ökologischen Wirtschaftsweise der Erneuerbaren Energien, die gerade dezentrale, lokale und kleinteilige Praktiken entwickeln. Emanzipatives Handeln und soziale Teilhabe zeigen sich hier in Beteiligungen der Einwohner_innen in Kommunen, in konstanten Energiepreise, in Arbeitsplätze oder auch in regionalen Synergieeffekten. Ehemals perspektivlose und „überflüssige“ Dörfer besitzen nun lebendige „Bürgersolarvereine“ oder „Genossenschaftswindmühle“.
Ob hingegen das Warten auf systemische Antworten oder gar Masterpläne lohnt, möchte ich bezweifeln. Dies gilt gerade für die „Länder des Südens“, die aktiv ihre lokalen und kontextspezifischen Praktiken in den Vordergrund rücken müssten. Und um mit Karl Marx weiter politisch zu bleiben: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt aber darauf an, sie zu verändern.“ (2)
(1) Foucault, Michel (1976): Sexualität und Wahrheit. In: Der Wille zum Wissen. Frankfurt/ Main
(2)Marx, Karl (1845): Thesen über Feuerbach. In: (1969)Marx-Engels Werke. Bd. 3. Berlin
@Benjamin Köhler: Ich habe den Verdacht, dass du hier eine Deutungshoheit reklamierst für das, was als »soziologisch« gelten darf und was als fachfremde »Politik« gilt, um recht willkürlich Ausschlüsse zu rechtfertigen.
Die Frage, ob »systemische Antworten oder gar Masterpläne« erwartet oder erstritten werden, ob sie theoretisch diskutabel, sinnvoll, machbar etc. sind, lässt sich nur klären, wenn man die Diskussion erst einmal zulässt. Ich kann die Ablehnung der Veröffentlichung nur als Ausschluss einer bestimmten Denkrichtung verstehen und sonst gar nicht. Statt systemischem Zusammenhangsdenken ein Absaufen im klein-klein, alles so schön lokal hier und kontextspezifisch.
Und wenn schon Marx zitieren, dann bitte korrekt. Erst Engels hat das kontrafaktische »aber« eingefügt, was durchaus der Lesart im traditionellen ML entsprach (Praxis statt Theorie), der du zu folgen scheinst. Tatsächlich schrieb Marx in der 11. Feuerbachthese: »Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kömmt drauf an, sie zu verändern.« (steht auf S. 7 deiner Quelle, auf S. 535 die Engelssche Modifikation).
Ohne »aber«, ohne Praxis-Theorie-Gegensatz und nicht als politische, sondern als philosophische Aussage.
Nochmal zur Frage der Veröffentlichung: Ich gehe immer mit meinen Autorinnen und Autoren ins Gespräch. Sowas wie „formale Mängel wie das Fehlen eindeutiger Textbelege“ – kann man dann nicht mehr als Vorwand nutzen. Man kann die Autoren einfach bitten, sie einzufügen und fertig.
Und weiterhin gibt es konkrete Anregungen zur Bearbeitung/ Erweiterung/ Optimierung des Textes. Das klappt immer recht gut und es entsteht in der Regel ein für beide Seiten (Herausgeber und Autor_in) gewinnbringendes Ergebnis. Aber es erfordert Arbeit. Kommunikationsarbeit.
Was mich zudem etwas irritiert ist dieses „Politikwissenschaft hier“ – „Sozialwissenschaft dort“. Da bin ich wirklich froh, dass bei den Commons interdisziplinärer gedacht wird, denn das Einkapseln hat bekanntlich dazu geführt, dass der Überblick verloren geht. Mir scheint das eine Strategie des vorigen Jahrhunderts.
Liebe KommentatorInnen,
ich möchte kurz auf die Kritiken eingehen, und freue mich, dass es überhaupt welche gibt. Deshalb bin ich ganz froh, dass der Artikel hier und nicht im Soziologiemagazin erschienen ist. Die Rechtschreibfehler bitte ich zu entschuldigen, da ist etwas mit der Versionsgeschichte des Textes schiefgegangen.
also
Stephan schrieb, er versteht den folgenden Satz nicht:
“So wie es dem Kapitalismus in seiner historischen Genese gelungen ist, kurzfristige Enteignung der geschaffenen Werte immer weiter auszuschließen, bis zur höchsten Stufe, dem „possessiven Individualismus“, so müsste es einem nachhaltigen Wirtschaftsregime gelingen, darüber hinaus die kurzfristige Ausbeutung von Ressourcen und Menschen auszuschließen.”
Wenn man/frau sich ein wenig in die Geschichte des „Frühkapitalismus“ einliest, zum Beispiel bei Braudel, eröffnet sich ein interessanter Widerspruch zwischen dem Kapitalismus, den Max Weber als „stahlhartes Gehäuse“ bezeichnet und dem „zarten Pflänzchen“ des frühen Unternehmertums im 15./16. Jh. Sicher, die Unternehmungen in den Kolonien standen heutigen sweatshops in ihrer Brutalität in nichts nach. Dennoch saß das System K. noch lange nicht fest im Sattel. Die fortgesetzte Akkumulation hat nur funktioniert, weil die Städte und das Bürgertum stark genug waren, sich gegen eine Enteignung durch die Krone zu wehren. Und die hätte das durchaus gerne getan. Was, wenn die spanische Krone das calvinistische Holland vollständig erobert hätte? Wenn die englische Krone gegen die Lords gesiegt hätte? Es gab, wie auch Weber beschreibt, viele historische Situationen, in denen es gar nicht so gut aussah für den K., Braudel schafft es dabei sogar einiges an Sympathie zu entwickeln.
Wer hätte im 16. Jh. nach einem globalen (europaweiten) Akkumulationsregime gerufen? Welcher protestantische Unternehmer hat das Handtuch geworfen, angesichts beständiger Bedrohung durch die Krone. Die war lange Zeit noch fähig, den angehäuften Reichtum einfach zu enteignen. Der „possessive Individualismus“ unserer Tage (ich mache was ich will mit so vielen Gütern wie ich kaufen kann, und wirklich niemand hat ein Recht mir da reinzureden) ist sozusagen das Ende einer langen Entwicklung, in der die Tatsache, dass es überhaupt Privatbesitz gibt, der nicht identisch ist mit politischer/militärischer Macht, oft und lange in vielen kleinen Kämpfen gegen Feudaladel und Krone verteidigt werden musste.
In Analogie dazu, ist nicht zu erwarten, dass ein „alternatives“ im Sinne von nicht systemkonformes (und die Privatwirtschaft des Frühkapitalismus war für den Spätfeudalismus nicht-systemkonform!) Wirtschafts/Besitzregime heute ohne allerlei Widerstände überlebt. Es ist nicht zu erwarten, dass die gegenwärtigen Profiteure angesichts der lauter werdenden Kritik an diesem Verkehrssytem mehr als ein schlechtes Gewissen bekommen (wenn überhaupt).
Gäbe es (und, ja, das ist eine Utopie) ein Verkehrssystem, dass im Sinne Ostroms ohne ökologische Ausbeutung auskommt und im Sinne Marxens ohne soziale Ausbeutung, es hätte viele Feinde. Es müßte sich in einer feindlichen Umgebung als zäh und Lebensfähig erweisen, wie der Frühkapitalismus. Das heißt sich von der Idee zu verabschieden, die UNO, die EU, das IPCC etc. würden aus Vernunft einen globalen, gleichmäßigen, vernünftigen Systemwandel einleiten. Diese Vorstellung ist keine Utopie, sondern Ideologie, genauer gesagt, eine gut dosierte Schlaftablette (Vgl. Hermann Scheer in Le Monde Diplomatique 2010): Lehnt euch zurück, das IPCC rettet die Gemeingüter. Tut es nicht.
Ostrom hat meines besten Wissens nirgendwo explizit und ausführlich über das Problem geschrieben, wie globale Allmenden gegen herrschende Machtverhältnisse geschützt werden sollten. Das ist der Punkt an dem ihr Marx fehlt (sonst hätte sie allerdings wo wenig den Nobelpreis bekommen, wie dieser Artikel die Weihen des Soziologiemagazins).
Beide Konsequent zu Ende zu denken, Marx und Ostrom, heißt sich den Nischen zuzuwenden. Der K. konnte in Venedig, in Genua, in einigen Fleckchen Hollands des 13./14./15. Jhs. entstehen, wo er anscheinend geschützt genug war. Erst nachdem daraus eine recht stabiles soziale Praxis geworden war, konnte der Siegeszug um die Welt beginnen (siehe M.Weber). So weit die Parallele.
Heute sehen solche Nischen anders aus: Chiapas in Süd-Mexico, Fair-Trade, open-source software, urban gardening und Basisdemokratieexperimente.
noch eine Antwort zu Silke Helferich,
du hast ganz Recht, dass wir Ostrom hier sehr verkürzt wiedergeben (Marx auch, der konnte ja nicht ahnen, dass gerade die Bayern mal so wohlgenährt werden sollten..). Das schöne ihrer Theorie ist die optimistische Perspektive. Die eröffnet sie gerade indem sie alle Machtverhältnisse konsequent ausklammert. Sie deutet das, an bleibt meines besten Wissens auch dabei. Sonst hätte sie freilich keinen Blumentopf gewonnen in Akademia.
Die Tragedy of the Commons aus einer linken Perspektive weiterzudenken, meine ich, heißt deshalb, die Herrschaftskritik wieder zu berücksichtigen. Ob man das dann „Commonism“ nennen sollte, mal dahingestellt..
@Silke#5 & alle: Es gibt jetzt eine Korrektur-Funktion für Kommentare. Bis zu 30 Minuten nach dem ersten Speichern kann man den eigenen Kommentar noch ändern.
@Conrad:
Das sagt ja auch keine/r, jedenfalls nicht hier. Und auch Ostrom nicht, die redet ja immer davon, dass es viele unterschiedliche, lokale und ineinander verschachtelte („nested“) Lösungen gibt. Auch daran kann man einiges kritisieren, aber das von dir herbeigeredete Warten auf „big players“ als vermeintliche Problemlöser ist Commoners jedenfalls ganz fremd. Wie David Bollier sagte:
„The commons philosophy is that we don’t wait for governments or leaders or big business to solve our problems; we solve them ourselves, together.“
Da ist wieder die von Silke schon angesprochene Verwechslung von Gemeingütern (Commons) mit Gemeinressourcen. Es gibt keine Commons ohne Commoning, also die von dir angesprochenen „globalen Allmenden“ sind heute noch gar keine Gemeingüter, auch wenn es zweifellos besser wäre, wenn sie zu welchen würden. Dazu bedarf es aber eines gesellschaftlichen Wandels, den das IPCC, die UNO oder die EU in der Tat nicht herbeiführen können oder wollen.
Das wird hier unter dem Stichwort „Keimform-These“ diskutiert (mehr oder weniger zufälliger Link, es gibt wahrscheinlich bessere). Keimformen entstehen vielleicht in „Nischen“, sie müssen aber das Zeug haben, darüber hinauszuwachsen, sonst wären sie keine. Andere Nischen sind dagegen einfach nur Nischen, sie haben kein Keimform-Potenzial und können dem herrschenden System (heute: dem Kapitalismus) nicht gefährlich werden. So würde ich z.B. Fair-Trade einschätzen.
@ Christian: genau, genau. Auf die globalen Akteure, die den Durchblick haben oder Ordnung schaffen wartet kein commoner.
@ Stefan: Danke! Gelobe künftig bessere Interpunktion.
@ Conrad: ich verstehe immer noch nicht was Du unter „konsequentem Ausblenden der Machtverhältnisse verstehst“ oder besser: wie Du das belegst. Sagen wir es so: Sie sieht die Machtverhältnisse halt immer nur im Subsystem, das mag zuwenig sein. Aber wenig ist es nicht.
Steffan: „sie haben kein Keimform-Potenzial und können dem herrschenden System (heute: dem Kapitalismus) nicht gefährlich werden. So würde ich z.B. Fair-Trade einschätzen.“
Was ist mit dem Chiapas Kaffee? Der sieht doch schon ganz schön gefährlich aus für das herrschende System, oder? Jedes Päckchen Störtebecker schickt ein paar Cent an die Aufständischen in Chipas. Ohne wirtschaftliche Basis hält sich auch deren Aufstand nicht lange.
Silke: Ich meine, in „The tragedy of the commons“ nur wenige Hinweise gefunden zu haben, warum es nun gerade dazu kommt, dass immer mehr Gemeingüter zerstört werden. O. beschreibt dies zwar deskriptiv und stellt auch auf mikorosziologischer Ebene viele Regeln auf, die ich sehr interssant finde soweit, aber was ihre fehlt ist eine umfassendere Analyse, welche Dynamiken, nennen wir sie „strukturelle Machtverhältnisse“ dafür sorgen, dass es, ohne NGO´s, Aufstände und politische Opposition von ganz alleine immer weniger Gemeingüter werden. Genau an der Stelle sollte Marx ins Spiel kommen, oder besser James Rice´ „green marxism“ (gibt es online).
Rice kritisiert O´Connors „second contradiction of Capitalism“, der die These aufstellte, der K. werde automatisch sein eigenes Grab schaufeln, indem er seine Ressourcenbasis aufbraucht. Rice meint vielmehr, und ich finde das überzeugend, dass die zukünftige Knappheit an allerlei ökologischen Gütern, einen neuen Markt für sie schaffen werde. Das Prinzip Markt, Ungleiche Verteilung und Monetarisierung wird durch die Zerrüttung der Öko-Allmenden nicht in Frage gestellt. Im Gegenteil, Nestle hat keine Interesse an kostenlosem Trinkwasser, sie verkauen dann keine Wasserflaschen. Der Markt, oder „die strutkurellen Machtverhältnisse“ wirken also auf Grund ihrer Eigenlogik gegen Allmenden, auch die ökologischen.
Die Frage stellt sich nun, welches Subjekt wo und wie dieser Logik entgegentreten könnte. An dieser Stelle, meine ich, endet Ostroms Diagnose, und hier beginnen die Interessengegensätze zwischen den vielen Nutzern und den wenigen Privatisierern. Ich denke, man muss fragen, wie daraus eine systematische Bewegung werden könnte. Eine Perspektive, wie dem Hunger des Marktes nach fortschreitender In-Wertsetzung (also Privatisierung und Übernutzung) von ökol. Gütern begegnet werden könnte, sollte auch eine Transformation von Machtverhältnissen berücksichtigen, wie bei Marx geschehen.
@Conrad: Christian war’s, der das mit dem Fair-Trade als Nicht-Keimform geschrieben hat. Aber da ich das teile, kann ich auch antworten: Nein, Chiapas-Kaffee ist nicht gefährlich für das herrschende System und der Aufstand dort ebenso nicht. Das wissen die Zapatistas aber auch. Der Aufstand trotzdem berechtigt so wie es überall berechtigt ist, eigene Lebens- und Entfaltungsansprüche zur Geltung zu bringen.
Die Keimform-Frage lautet: Gelingt es beim Zur-Geltung-Bringen der Lebens- und Entfaltungsansprüche solche Formen der Produktion in die Welt zu setzen, die die Produktionsweise des Kapitalismus ablösen kann? Ein Aufstand oder eine Revolution, die nur die alte Produktionsweise übernimmt, kann das nicht. Aber wie geschrieben: Das ist den Zapatistas grundsätzlich bewusst (weswegen sie das traditionelle Revolutionsmodell nicht verfolgen).
Eine Frage ist dabei die der Formen der sozialen Organisation. Als ein Rahmenkriterium kann man Marx und Engels zustimmen, die schrieben, dass »freie Entwicklung eines jeden die Bedigung für die freie Entwicklung aller ist« — und umgekehrt. Aber wie nun konkret? Wie fasst man die eine reziproke inklusive Dynamik sozialer Organisation? Hier kommt Ostrom ins Spiel, denn sie befasst sich genau damit: Wie funktioniert Selbstorganisation? Von einer völlig anderen Seite kommend liefert sie wichtige Anstöße. Und wie schon mal geschrieben: Das große Ganze im Sinne einer gesellschaftlichen Systemtheorie ist nicht ihr Ding. Sie würde so einen Ansatz vermutlich ablehnen, da sie (mit der herrschenden Politik) die Erfahrung gemacht hat, dass pauschale Antworten nicht funktionieren. Das teile ich nicht, aber ich kann ihre Sicht nachvollziehen.
Achso, wenn du ein Subjekt der Veränderungen suchst, dann guck doch mal in den Spiegel 😉
Ja, eine dialektische Sicht fehlt. Die ließe Bemühungen erkennen, Keimformen tatsächlicher oder – unter Umständen – möglicher Prozesse der Aufhebung des von Marx konstatierten Widerspruchs zwischen dem (welt-)gesellschaftlichen Charakter der Produktion und den privaten (oder auch national regulierten) Formen der Aneigung und den dabei wirkenden sich womöglich zu ändernden) Rechtfertigungsbeiehungen wahrzunehmen.
Ein Rekurs auf Marx wird eher Verwirrung stiften, wenn z.B. statt von der Entwicklung von Produktivkräften urplötzlich von die Entwicklung von Produktionsverhältnissen die Rede ist ohne das klar wird, worin die vielleicht bestehen könnten.
Später mehr. Zunächst nur dies:
Wie Stephan Mz verstehe auch ich den folgenden Satz nicht:
Ich verstehe zum Beispiel nicht, was ein „nachhaltiges Wirtschaftsregime“ sein soll und wieso das nur „kurzfristige Ausbeutung von Ressourcen und Menschen ausschließen“ soll und nicht grad auch lang andauernde. Ich verstehe auch die Kategorisierung „Ressourcen und Menschen“ nicht. Was beim Menschen ausgebeutet wird, sind natürlich dessen Ressourcen und was sonst noch an Ressourcen ausgebeutet wird, ist ansosten halt (wie „Menschen“) auch als Entitäten fassbares eigen wie Tieren und Pflanzen, Ökosystemen usw.
„Nachhaltiges Wirtschaftssystem“ empfinde ich als eine den Begriff fetischisierende Verballhornung von „Nachhaltigkeit“ wie das etwa auch immer wieder in der elenden Floskel „nachhaltige Politik“ zum Ausdruck kommt. Es gibt das Bemühen um eine nachhaltige, weil z.B. die ökologischen Reproduktionskosten berücksichtigende Entwicklung von Wohlstand, vielleicht auch nachhaltigen Wohlstand als Abküzung von „Wohlstand, der auch auf langer Sicht Bestand haben kann“. Aber ein nachhaltiges System?
Unter „possessivem Individualismus“ als höchste Stufe eines immer weitergehenden Ausschlusses der Enteignung „der geschaffenen Werte“ kann ich mir leider auch gar nichts vorstellen. Da gehts mir ein wenig wie dem Bauern beim berühmten Vortrag des Genossen Kosornovow über das Flugewesen. Aber das ließe sich vielleicht aufklären.
Gruß hh
Sylke Helfrich schrieb im Kommentar 3
Sehe es zwar auch so, dass die Probleme der andauernden Vorherrschaft kapitalistischer Aneignung keineswegs ausgeklammert sind. Aber diese Formulierung klingt ein wenig , als sei Aneignung per sé mit privater Aneignung gleichgesetzt (oder gemeineigentümliche Aneignung würde es nur geben können, wenn keine widerstreitenden Interessen im Spiel sind).
Die Perspektive, die eine Brücke zwischen Commons-Bewegung und Marx Weltkommunismus schlägt, ist m.E., die Verallgemeinerung der Möglichkeit, sich die Reproduktions- bzw. Bereicherungsmittel, d.h. die Kompetenzen zur hinreichenden Mitbestimmung deren Entwicklung und Anwendnung, individuell und zugleich gesellschaftlich (nämlich z.B. in einer weltgemeinschaftlich abgestimmten Weise) anzueignen.
Gruß hh
Bitte auch um Entschuldigung für die vielen Tippfehler an anderer Stelle. 30 Min Nacheditierbarkeit sind super. 24 Stunden wären aber noch besser.
Erläuterung zur Textstelle:“So wie es dem Kapitalismus in seiner historischen Genese gelungen ist, kurzfristige Enteignung der geschaffenen Werte immer weiter auszuschließen, bis zur höchsten Stufe, dem „possessiven Individualismus …“
Der Gedanke ist der „protestantischen Ethik“ von Max Weber entnommen. Dort wird der K. in seiner Frühphase als ein durchaus verletzliches soziales Gefüge porträtiert. Insbesondere, so Weber, sei der Frühkapitalismus vom übermächtigen Feudalismus bedroht gewesen. Im 16. Jahrhundert hätten die Feudalherren die von den Kapitalisten aufgehäuften Güter einfach enteignet. Das historische Ereignis war daher die damalige Ausnahme, die bis heute zur Regel und Normalität wurde: akkumulierte Reichtümer werden nicht wieder so einfach enteignet, weder vom Feudalherren noch von der Kirche, Stadt oder Allgemeinheit. Über den Tod hinaus (fehlende Erbschaftssteuer in Deutschland) wachsen die Besitztümer als Individualbesitz an. Selbst das leer-stehen-lassen von Wohnungen in überbevölkerten Städten ist kein legitimer Grund, das Recht auf Besitz einzuschränken. Viele weitere Beispiele lassen sich mühelos finden, in denen gegen alle Vernunft, gegen das Recht auf Stadt, auf Natur, Nahrung usw. der „possessive Individualismus“ verteidigt wird.
Als „possessiven Individualismus“ haben die Ethnologen Benda-Beckmann und Benda-Beckmann diese moderne und höchste Stufe des fetischisierten, individualisierten Besitzes genannt (vgl. das Buch „changing properties of property“). Sie weisen damit auf den oft vergessenen Umstand hin, dass es viele weitere Arten gab und gibt, Besitz und Eigentum zu arrangieren. Eigentum ist eine europäische Kategorie, und „possessiver Individualismus“ eine moderne oder postmoderne Form davon. Insofern ein lesenswertes Buch der beiden Ethnologen.
Wer den Gedanken vertiefen möchte, findet eine leicht verständliche Kritik mit Marx an Elinor Ostrom in David Harveys Aufsatz „Die Erschaffung der ubanen Allmende“. In: Harvey, Rebel Cities, 2012 und Deutsch: rebellische Städte, Suhrkamp 2013.
@Konrad Kunze
Der Begriff „Possessiver Individualismus“ geht also auf die Etnologen Franz und Keebet von Benda-Beckmann zurück. Deren Arbeiten sind gewiss spannnend. Danke für den Hinweis.
Den Begriff finde ich allerdings suboptimal. Er lässt keine Unterscheidung zwischen individuell und privat zu. Die Kategorie bzw. Kritik des bürgerlichen Privateigentums (an Produktionsmitten) verschwindet.
Marx Perspektive war ja die kommunistische Wiederherstellung des individuellen Eigentums im Rahmen gemeinschaftlicher Verfügung über die Entwicklung und den Einsatz (von heute aus betrachtet: im 21. Jahrhundert) geeigneter Mittel bzw. Formen der menschlichen Existenzsicherung und Bereicherung. (In frei assoziierten Hinsichten gemeinschaftliche, aber immer auch weltgemeinschaftliche Verfügung).
Gegenstand der Kritik ist offenbar die privateigentümliche Isoliertheit der Subjekte bürgerlicher Vergesellschaftungsweisen (Globalisierungsweisen), d.h. die „Enfremdung um den Philosophen verständlich zu bleiben“ (Marx/Engels in deren Kritik der Deutschen Ideologie), also die Tragik der privateigentümlichen Aneignung (und damit zB. Zerstörung von Allmendewiesen, allerdings auch feudalistischer Anmaßungen), die keine Kommunikation im Hinblick auf die Herstellung gemeinsamer Interessen, Ziele usw. verlangt.
Im Interesse einer besseren Wahnehmung historischer Möglichkeiten möchte ich übrigens empfehlen, Machtverhältnisse weniger abstrakt, d.h. im Hinblick auf das Wörtchen „Macht“ weniger begriffsfetischistisch / moraltheologisch usw. zu diskutieren. Zum Beispiel zur Diskussion zu stellen, inwieweit die UN oder das IPCC (historische) Momente der Entprivatiserung bzw. Entisolierung gesellschaftlicher Entscheidungsprozesse, d.h. mögliche Momente der Herstellung einer als solche handlungsfähigen Menschheit sein bzw. werden können. Und damit der Produktion von Machbarkeit rationaler Entscheidungen im Hinblick auf Ziele, Mittel und Wege eines sozial bzw. ökologisch nachhaltig guten Lebens aller!