Warum versagt der „ideelle Gesamtkapitalist“?
[Voriger Teil: Wie die drohende Heißzeit mit den Kapitalmärkten zusammenhängt]
Wenn also die Firmen im Kapitalismus nicht das Richtige und Notwendige tun können, warum sorgen dann nicht die Staaten dafür, dass das passiert? Friedrich Engels hat den modernen Staat als „ideelle[n] Gesamtkapitalist“ bezeichnet, dessen primäre Aufgabe es sei, „die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten“ (MEW 19, 222). Der Staat ist keiner einzelnen Firma verpflichtet, und sei sie auch noch so groß, sondern sein Hauptanliegen ist es, den kapitalistischen Verwertungsprozess am Laufen zu halten – und wenn Konzerne dies behindern, etwa indem sie Monopole bilden oder illegale Absprachen treffen, um so die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen oder Innovationen zu verhindern, dann kann er einschreiten, um dies zu verhindern.
Nun ist es völlig klar, dass die Erderhitzung „die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise“ ganz massiv gefährdet. Wo Menschen nicht mehr leben können, sind auch keine Profite mehr möglich; Überflutungen gefährden Logistikketten; Dürren erschweren Produktionsprozesse, die auf Wasser angewiesen sind. Ganzen Industrien droht durch die Erhitzung eine massive Schrumpfung – etwa der Fischerei, von der weltweit mehr als eine halbe Milliarde Menschen abhängig sind (Quelle), oder dem internationalen Tourismus durch Pandemien (wie wir gerade sehen), deren Risiko mit der Erhitzung weiter steigt. Generell brauchen kapitalistische Firmen Planungssicherheit und stabile Bedingungen, um investieren zu können – und die Erderhitzung sorgt dafür, dass die Bedingungen überall auf der Welt immer unsicherer und fragiler werden werden.
Warum also machen die Staaten nicht ihren Job und sorgen dafür, dass die Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise auch in Zukunft gesichert sind? Warum bleibt es im Wesentlichen bei vagen die mittelfristige Zukunft betreffenden Absichtserklärungen – x Prozent Emissionen runter bis zum Jahre y – während sich gleichzeitig in der Gegenwart praktisch nichts ändert, wie Greta Thunberg zurecht feststellt? Warum versagt der ideelle Gesamtkapitalist an dieser Stelle so vollkommen?
Anfang 2009, während der globalen Wirtschaftskrise, hat Michael Heinrich festgestellt, dass der Staat als ideeller Gesamtkapitalist manchmal schlicht überfordert ist: „Damit es ‚unserer Wirtschaft‘ gut gehe, versucht er sein Bestes, weiß aber nicht recht wie. […] Was man auch macht, es könnte das Falsche sein– diese Angst ist den regierenden Politikern deutlich anzumerken“ (Heinrich 2009). Im Falle der Erderhitzung scheidet Unsicherheit über den richtigen Kurs allerdings als Ursache für zu zögerliches oder ganz ausbleibendes Handeln aus. Was notwendig wäre, ist schon lange bekannt – im Wesentlichen seit mindestens 30 Jahren (1992 wurde die Klimarahmenkonvention der UN verabschiedet). Warum passiert trotzdem nichts außer Symbolpolitik, Absichtserklärungen und völlig unzureichenden halbherzigen Schritten?
Das Versagen dürfte darin begründet liegen, dass der ideelle Gesamtkapitalist, trotz dieser Bezeichnung, natürlich keine Idealfigur ist, die beliebig weit in die Zukunft blickt und der die „allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise“ in 30, 60 oder 100 Jahren genauso wichtig sind wie die heutigen. Stattdessen wird Politik von Politiker:innen gemacht, und der Zeithorizont in der Politik ist (ähnlich wie in kapitalistischen Unternehmen) extrem kurz: Er reicht in erster Linie bis zur nächsten Wiederwahl. Diese muss gesichert werden, danach kann man weitersehen. Dementsprechend gilt die Sorge des real existierenden ideellen Gesamtkapitalisten zuerst dem Hier und Heute: Wenn die Wirtschaft „brummt“, ist es gut, jede Störung ist hingegen ein Risiko und eher zu vermeiden.
Das heißt nicht, dass Politiker:innen die Zukunft egal ist: Sie würden schon gerne das Richtige tun (viele von ihnen zumindest), aber es gibt immer Dinge, die kurzfristig wichtiger sind und deshalb vorgehen. Und ein postfossil-nachhaltiger Umbau der Wirtschaft wäre zunächst auf jeden Fall mit Unsicherheiten und Kosten verbunden: Den eigenen Firmen würden Märkte wegbrechen und ob die stattdessen neu entstehenden Märkte ebenso gut im eigenen Land bespielt werden oder womöglich eher an die ausländische Konkurrenz gehen ist unsicher. Mit dem Wechsel von Featurephones zu Smartphones hat der zuvor führende Handyhersteller Nokia seine Marktmacht verloren – schlecht für Finnland, dem dadurch Steuereinnahmen und Arbeitsplätze verlorengingen.
Mit der Umstellung auf Elektromobilität droht der deutschen Autoindustrie dasselbe Schicksal. Die deutsche Politik kann das nicht verhindern – sie versucht es aber zumindest möglichst lange hinauszuzögern, indem sie sich für möglichst lange Restlaufzeiten von benzin- und dieselbetriebenen Autos sowie für absurde „Übergangstechnologien“ wie per E-Fuel betriebene Autos einsetzt. Dass sie dadurch die künftigen Lebensbedingungen auch im „Standort Deutschland“ massiv schädigt und schon heute gelegentlich Naturkatastrophen mit Hunderten von Toten produziert, wird als Kollateralschaden in Kauf genommen. Hauptsache die Steuereinnahmen und Arbeitsplätze sind bis zur nächsten Wiederwahl sicher!
Aber ist diese zynische Kalkulation überhaupt nötig – könnte nicht auch ein „grüner Kapitalismus“ für Arbeitsplätze und Steuereinnahmen sorgen? Wahrscheinlich könnte er das zumindest ein ganzes Stück weit, doch muss man auch hier wieder sagen: Die Politik ist keine unabhängige Schiedsrichterin, die unvoreingenommen und mit perfektem Wissen alle Optionen evaluiert und dann etwa die für „die Wirtschaft“ objektiv beste auswählt und fördert. Sie steht von allen Seiten unter Druck – alle versuchen, wie so weit es geht, sie in die jeweils gewünschte Richtung zu ziehen.
Und wenig überraschend haben die etablierten Branchen und Großkonzerne am meisten Lobbymacht und scheuen sich nicht, diese im (kurzfristigen) Interesse ihrer Aktionär:innen einzusetzen. Ob gezielte Desinformationskampagnen, das Schüren von Angst vor den ungewissen Konsequenzen möglicher Veränderungen oder das implizite Versprechen, dass Politiker:innen nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik immer noch ein lukratives Ruhekissen im Aufsichtsrat oder als Berater finden werden, wenn sie sich im Interesse des Konzerns verhalten haben – sie haben zahlreiche Hebel und keine Skrupel, sich ihrer zu bedienen. Neuere, kleinere und insbesondere auch dezentralere Branchen wie etwa erneuerbare Energieproduzent:innen haben kaum Möglichkeiten, dagegen anzukommen – von nichtkommerziellen Bewegungen wie Fridays for Future ganz zu schweigen. Sie haben die besseren Argumente, aber viel schlechtere Chancen, ihren Argumenten Gehör und Wirkungsmacht zu verschaffen.
Auch deshalb versagt der „ideelle Gesamtkapitalist“ an dieser Stelle, wo es mehr als an jeder anderen darauf ankäme, die Bedingungen aufrechtzuerhalten, unter denen sich nicht nur die kapitalistische Gesellschaft, sondern die menschliche Zivilisation insgesamt hat entwickeln und entfalten können. Das Versagen ist total, Beobachter:innen wie Greta Thunberg, Hans Joachim Schellnhuber (2015), Annette Schlemm und ich bleiben fassungslos zurück.
Systemische Zusammenhänge sind keine Entschuldigung für persönliches Fehlverhalten
Abschließend möchte ich anmerken, dass diese Analyse der systematischen Zusammenhänge, die dazu führen, dass Konzerne und Politik das Ende des Holozäns und die Zerstörung der Lebensgrundlagen zahlloser Menschen aktiv herbeiführen und das Ende der menschlichen Zivilisation überhaupt zumindest fahrlässig riskieren, selbstverständlich nicht als Entschuldigung gedacht und zu verstehen ist. Die Beteiligung an zerstörerischen und mörderischen Strukturen kann nicht dadurch entschuldigt werden, dass sie eben Strukturen sind. Jeder Mensch hat immer eine Wahl, und sei es nur, nicht mitzumachen, wenn schlimme Dinge passieren.
Wahrscheinlich werden manche der Verantwortlichen, ob Manager:innen oder Politiker:innen, noch wegen Verbrechen gegen die Menschheit und die Erde angeklagt und verurteilt werden. Passiert das nicht mehr zu ihren Lebzeiten, wird zumindest die Nachwelt sie verdammen. Beides völlig zu Recht.
[Wird fortgesetzt.]
Literatur
Heinrich, Michael (08.01.2009). „Die Leiden des ideellen Gesamtkapitalisten.“ Jungle World 2009/02. https://jungle.world/artikel/2009/02/die-leiden-des-ideellen-gesamtkapitalisten.
Marx, Karl und Friedrich Engels (1956–2018). Werke. 44 Bände. Berlin: Dietz. Abgekürzt als MEW <Bandnummer>.
Schellnhuber, Hans Joachim (2015). Selbstverbrennung. Die fatale Dreiecksbeziehung zwischen Klima, Mensch und Kohlenstoff. München: C. Bertelsmann.
„Warum also machen die Staaten nicht ihren Job und sorgen dafür, dass die Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise auch in Zukunft gesichert sind? “
Weil DAS Kapital sich noch nie um nationale Grenzen scherte und seine Bedingungen überall auf der Welt sucht und noch lange Zeit findet – u.a. durch das Neuerschließen der Ressourcen in der Arktis usw..
Ansonsten tut ja die Politik genau das: Überall die Ansprüche von Menschen und zur Natur-Reproduktion zurückdrängen wo es nur geht, um dem Kapital Aneignungsmöglichkeiten zu schaffen.
„Beteiligung an zerstörerischen und mörderischen Strukturen kann nicht dadurch entschuldigt werden“ – Ja, wenn die Verantwortung nur so einfach ermittelbar wäre. Irgendwie ist es ja auch „das System“ bzw. die tägliche Reproduktion dessen durch uns alle, das irgendwie doch das Leben vieler Menschen einigermaßen sichert. Daran beteiligt man sich dann… und ist sich oft auch nicht sicher, wie sehr die eigene Beteiligung anderen schadet…
@Christian
Du schreibst:
Zumindest bezogen auf die Erneuerbaren Energien sehe ich das ebenfalls kritisch. „Grüner Strom“ ist schon heute günstiger in den Entstehungskosten, die Amortisationszeiten für PV- und WK-Anlagen fallen seit Jahren, d.h. es lässt sich schlecht Profit machen. Ein weiteres Problem ist aber auch hier die schlichte Tatsache, dass eine Umstellung zu sehr viel weniger Arbeitsplätze führen wird, als mit den herkömmlichen Industrien. Zum einen, weil die Technoligie effizienter ist (Wind und Sonne sind umsonst, aber auch die Anlagentechnik eines E-Generators bzw. Motors ist unkomplizierter, der Nutzungsgrad um Längen besser als bei Verbrennern, egal ob Kraftwerk oder KFZ) und zum anderen weil wir einfach immer effizienter Waren wie PV-Zellen und Windräder herstellen können. Und da wo weniger Arbeit (und Rohstoffe) verwertet werden, kann auch tendenziell weniger Profit erwirtschaftet werden.
Außerdem fehlt es ja noch immer an Infrastruktur (in den Zentren eher weniger, aber dafür in der Peripherie um so mehr). Der einzige Grund, warum Audi und Co ihr Portfolio umstellen ist der chinesische Markt. Niemand in weniger industrialisierten Regionen wird sich eine E-Auto kaufen, einfach weil es keine Option ist.
Darüber hinaus wären die Investitionskosten für einen gesamtgesellschaftlichen Umbau der Infrastruktur hin zu einer komplett CO2-freien Energiewirtschaft (Stromerzeugung, Heizen (!!!), Verkehr, Produktion, Landwirtschaft etc.) derartig gigantisch hoch, dass es aus betrieswirtschaftlicher Sicht schlicht „irre“ wäre, schlagartig komplett umzustellen. Das wird ein eher zäher Prozess werden und in Anbetracht des Zeitdrucks von 10-20 Jahren sehe ich nicht, dass wir es noch „rechtzeitig“ gesamtgesellschaftlich schaffen.
Kurzum: Ich sehe nicht die „Verwertungsmasse“ in den Erneuerbaren Technologien, auf jeden Fall nicht in dem Ausmaß wie zu Zeiten des fordistischen Booms. Eher wird es darauf hinauslaufen, dass jeder Staat danach trachtet es seinen Kapitalien zu ermöglichen, „Extraprofite“ einzustreichen. Ich traue höchstens den Chinesen den gesamtgesellschaftlichen Umbau zu, aber da sind mir die Entwicklungen auch noch immer zu zaghaft…
@Annette: Meinst du, der Gesamtkapitalist versagt als solcher gar nicht, weil Kapitalverwertung auch in einer vom Klimaumbruch verwüsteten Welt noch problemlos möglich sein wird? Das würde ich tatsächlich anders sehen. Sicher werden auch neue Verwertungsmöglichkeiten entstehen, aber ich glaube, unterm Strich werden durch die Klimakatastrophe sehr viel mehr Märkte zerstört und geschrumpft als neu entstehen.
Also mittel- und langfristig würde ich von einem Desaster nicht nur für die Menschen, sondern auch für die Kapitalverwertung ausgehen. Darauf gehe ich ja auch kurz in dem Absatz von „Nun ist es völlig klar, dass die Erderhitzung ‚die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise‘ ganz massiv gefährdet“ bis „und die Erderhitzung sorgt dafür, dass die Bedingungen überall auf der Welt immer unsicherer und fragiler werden werden“ ein.
Natürlich stimmt es, dass die meisten von uns mindestens hier im Globalen Norden auf die eine oder andere Weise ins fossil-naturzerstörerische System eingebunden und verstrickt sind – ich jedenfalls auch. Trotzdem würde ich da nochmal unterschieden zwischen Leuten, deren Entscheidungsbefugnisse weit über ihren eigenen Lebensbereich hinausgehen – das Management von Großkonzernen, Kanzler:innen und Minister:innen z.B. – und denen, die etwa bei Daimler am Fließband arbeiten, privat ein Benzinauto fahren oder mal ins Flugzeug steigen. Wenige sind ganz unschuldig, aber das Ausmaß an Verantwortung und damit Schuld variiert doch ganz beträchtlich.
@Lutz: Ja, in Bezug auf das Potenzial des „grünen Kapitalismus“ habe ich im vorigen Teil ja schon Bedenken angemeldet und daneben auf die Broschüre von Ulrich Brand hingewiesen. Trotzdem würde ich davon ausgehen, dass da definitiv mehr möglich wäre als gemacht wird – aber die Interessenlage ist halt so, dass sich auch das Mögliche nur in sehr kleinen Teilen durchsetzen kann.
Wenn man voraussetzt, dass die Kapitalakkumulationsinteressen des Kapitalisten selbst auch nur einen kurzfristigen Horizont haben (Hyman Minsky: „The long view [is] a luxury that only companies which are essentially owned by a single individual […] can afford.“), dann versagt der Staat in seiner Funktion als ideeller Gesamtkapitalist überhaupt nicht. Er tut genau das, was das Kapital zu seiner kurzfristigen Reproduktion benötigt.
Die Negation der langfristigen Perspektive ist kein Versehen, kein Fehler, sondern systemisch angelegt. Der Investor, der Shareholder, der Politiker – sie alle möchten kurzfristige Erfolge erzielen, kurzfristige Rendite, kurzfristige Wahlerfolge, über Perioden von 1 bis maximal 5 Jahren. Eine strategische Planung über diesen Horizont hinaus ist, wenn sie überhaupt erfolgt, höchstens als Marketinginstrument zu verstehen, nicht aber als genuiner Wille die Zukunft dieser Welt zu gestalten.
Präziser wäre der Satz von Engels also, wenn man ihn um das Wörtchen „gegenwärtig“ oder „kurzfristig“ erweitern würde: „Und der moderne Staat ist wieder nur die Organisation, welche sich die bürgerliche Gesellschaft gibt, um die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise gegenwärtig/kurzfristig aufrechtzuerhalten gegen Übergriffe sowohl der Arbeiter wie der einzelnen Kapitalisten.“
Man könnte sogar noch weitergehen und argumentieren, dass der Staat in seiner Funktion als Gesamtkapitalist nur dann versagen würde, wenn er es zuließe, dass eine Mehrheit der Kapitalisten vorrangig langfristig statt kurzfristig plante, weil er dadurch einen Rückzug des Finanzkapitals von seinem nationalen Markt riskierte, wodurch sich die Bedingungen zur Reproduktion des produzierenden Kapitals verschlechterten.
Nein, der Kapitalismus ist nicht dysfunktional. Er funktioniert genau so wie er soll.
@Bastian: Also ob kurzfristig oder nicht, das ist ja gerade die Frage. Inhaltlich stimme ich dir ja zu – dass nicht nur die Kapitalist:innen, sondern auch die Politiker und staatlichen Akteur:innen in parlamentarisch-demokratischen Staaten nur einen (viel zu) kurzfristigen Horizont haben, ist ja gerade das Fazit des Artikels.
Engels selbst sagt zur Frage des Zeithorizonts nichts, und es ist eigentlich sehr naheliegend, dass der „ideelle Gesamtkapitalist“ einen besseren Job machen würde, wenn er „die allgemeinen äußern Bedingungen der kapitalistischen Produktionsweise“ auch in Hinblick auf die mittel- bis langfristige Zukunft aufrechterhalten würde. Was er aber halt nicht tut. Klar, den Kapitalist:innen heute ist das (im Großen und Ganzen) ganz recht, da es ja genau ihrer eigenen Perspektive entspricht, aber auch ihre Kinder und Enkel werden wahrscheinlich eher sauer sein, wenn die Kapitalverwertung aufgrund zunehmender Naturzerstörung und Unbewohnbarwerdung von immer größeren Regionen immer schwieriger und schließlich ganz unmöglich wird.
Die Aussage „der Kapitalismus … funktioniert genau so wie er soll“ macht nur dann Sinn, wenn man eine teleologische Perspektive verfolgt, wonach sich der Kapitalismus sein eigenes Grab schaufeln „soll“. Das macht er allerdings, nur leider ist es ein Massengrab.
@Christian Siefkes: Ja, so ist es. Der Kapitalismus schaufelt sich sein eigenes Grab. Er scheitert schlussendlich an seinen eigenen Widersprüchen, wie von Marx vorhergesagt, nur später und in einem anderen Kontext als von Marx erdacht.
Und ja, selbstverständlich ist der Kapitalismus dysfunktional, wenn man ihn an der Frage misst, ob menschliche Bedürfnisse hinreichend befriedigt und materielle Lebensgrundlagen hinreichend erhalten werden. Nur ist ihm diese Funktion nicht eingeschrieben. Die Zielfunktion des Kapitalismus ist die Kapitalakkumulation. Alles andere wird diesem Ziel untergeordnet. Dass trotzdem eine teilweise Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse stattfindet, zumindest für diejenigen, die ökonomisch privilegiert genug sind, um Zugang zum Versorgungsmarkt zu erhalten, ist ein Nebeneffekt, nicht aber der eigentliche Zweck des Kapitalismus („Die Unternehmung kann im Verfolg’ ihres Strebens nach Gewinn leider nicht verhindern, den Markt zu versorgen“ -Wilhelm Rieger).