Von Solidarischer Imkerei, Betriebsbesetzungen und Transformation

Was wir aus der Praxis einer Solidarischen Imkerei und den Versuchen von Betriebsbesetzungen in Krisenzeiten über Transformationsstrategien lernen können.

Eigentlich sollte dieser Text lediglich eine Praxisreflexion unserer mehrjährigen Versuche werden, eine Imkerei solidarisch d.h. commonistisch zu organisieren. Im Schreiben knüpften die Herausforderungen, die uns dabei begegneten, dann aber an die allgemeineren Debatten rund um die Transformationen hin zu einer commonistischen Gesellschaft an, die wir im Umfeld des Keimform-Blogs und des Commons-Instituts führen. In diesem Sinne ist dieser Text aus meiner Perspektive ein gutes Beispiel dafür, wie die Reflexion der eigenen Commons-Praxis und die Abstrahierung bzw. Verallgemeinerung der dabei auftretenden Herausforderungen für eine allgemeinere Transformation-Theorie erkenntnisleitend sein können. Aber beginnen wir von vorn.


Solidarische Imkerei

Im Jahr 2016 haben ein Kollege und ich mit dem Aufbau einer Solidarischen Imkerei begonnen. Unter dem Namen „Beehive Collective“ sollte eine feste Gruppe von Menschen möglichst tauschlogikfrei und commonistisch mit Honig versorgt werden. Mit dem folgenden Konzept warben wir um Unterstützer*innen:

Die Idee
 
Das Beehive Collective aus Witzenhausen möchte mit euch entsprechend dem Modell der Solidarischen Landwirtschaft (http://www.solidarische-landwirtschaft.org/) eine der ersten Solidarischen Imkereien auf den Weg bringen. Die grundsätzliche Idee dabei ist, dass eine feste Gruppe von Menschen die Kosten für das Betreiben unserer Imkerei übernimmt und dafür allen ein Anteil der Jahresernte an Honig zur Verfügung gestellt wird. Die Imkerei und der Honig Unsere Imkerei umfasst zurzeit 35-50 Wirtschaftsvölker. Wir wirtschaften in unserer Imkerei unkontrolliert ökologisch. Das heißt wir betreiben unsere Imkerei nach Bio-Richtlinien, sind aber nicht zertifiziert. Davon kann sich jede*r bei einem Besuch überzeugen. Eine Besonderheit, die über die Ökostandards hinaus geht, ist es, dass wir perspektivisch versuchen wollen, unsere Bienen ausschließlich auf Honig zu überwintern und keinen Zucker (auch keinen „ökologischen“) als Futter zuzukaufen. Das ist uns zurzeit, als Imkerei im Aufbau, noch nicht möglich. Mit einer starken Gemeinschaft wie einer zukünftigen Solidarischen Imkerei im Rücken würde dies realistischer werden. Wir sind eine kleine Wanderimkerei und reisen mit unseren Bienen bevorzugt zu ökologisch bewirtschafteten Flächen und Betrieben. Wir versuchen unseren Wanderradius möglichst klein zu halten und nicht durch die ganze Republik zu fahren. Aktuell sind all unsere Standplätze in max. 1,5 Autostunden von Witzenhausen aus zu erreichen. Über das Jahr hinweg können wir euch eine bunte Mischung an Honigsorten zur Verfügung stellen. Wenn alles perfekt läuft, können wir die folgenden Honige anbieten:
  • Frühjahrsblüte mit Raps und Kirsche aus der Region Witzenhausen in Nordhessen
  • Frühjahrsblüte mit Akazie / Robinie von Renaturierungsflächen in Sachsen-Anhalt
  • Frühjahrsblüte mit Himbeerblüte vom Bio-Betrieb im östlichsten Zipfel NRWs
  • Sommerblüte mit Sonnenblume, Buchweizen und Kornblume vom Bio-Betrieb in Thüringen
  • Sommerblüte mit Edelkastanie aus dem kleinen Maronen-Wäldchen im Harz
Euer Anteil an den Honigernte
 
Wir gehen davon aus, in jede Saison mit mindestens 30 Völkern zu starten, mit denen wir im Durchschnitt rund 1000 kg Honig produzieren können. Diesen Honig möchten wir an 350 Honiganteile verteilen. Das heißt im Durchschnitt kalkulieren wir mit einem 500g-Glas pro Anteil alle 2 Monate. Diese Menge schwankt natürlich je nach Witterung und Jahresverlauf und da wir die Ernte mit euch teilen, kann am Ende mehr oder weniger für euch drin sein. Ihr tragt die Chancen und das Risiko der Imkerei also mit. Grundsätzlich haben wir sehr konservativ gerechnet, d.h. wir gehen davon aus, dass eigentlich mehr Honig für euch dabei rausspringt. Versprechen können wir es allerdings nicht.
 
Das Budget und der Richtwert
 
Für das Betreiben unserer Imkerei benötigen wir pro Saison ein fixe Summe an Geld. In dieser Summe sind Betriebsmittel, Lohnkosten sowie weitere Kosten und Ausgaben enthalten. Bei einem Ziel von 350 Honiganteilen benötigen wir einen bestimmten Durchschnittsbeitrag pro Jahr und Anteil. Wir möchten euch die Entscheidung selbst überlassen, wie viel ihr für euren Anteil monatlich beitragen wollt oder könnt. Im Schnitt müssen wir allerdings bei diesem durchschnittlichen Beitrag raus kommen. Grundsätzlich ließe sich aus der gelieferten Honigmenge und eurem Beitrag ein „Preis“ pro Glas Honig errechnen. Ziel des Projektes ist es jedoch, von dieser Denkweise weg zu kommen. Denn unsere Betriebskosten wollen gedeckt sein. Unabhängig davon, ob es ein gutes oder ein schlechtes Jahr wird. Chancen und Risiko tragen wir also zusammen.
 
Die Verteilung des Honigs
 
Jedes Mitglied erhält im Frühjahr als „Vorschuss“ schonmal 3 x 500 g Honig aus der Ernte des letzten Jahres, da wir mit dem ersten Rapshonig erst im Mai rechnen und damit ihr trotzdem nicht mit leeren Händen da steht. Dieser Honig wird dann mit dem realen Ertrag der Völker verrechnet. Der Honig unserer und damit auch deiner Völker wird über das Jahr hinweg alle paar Monate in einem von dir gewählten Lieferraum deiner Solidarischen Landwirtschaft zur Verfügung gestellt.
 
Mitmachen!
 
Du kannst durch die Bieter*Innen-Runden deiner Solidarischen Landwirtschaft oder über das Online-Formular Mitglied werden und dich verbindlich anmelden. Dort kannst du auch festlegen, wie viele Anteile du haben möchtest und wie hoch dein finanzieller Beitrag dafür sein soll. Sobald die 350 Anteile erreicht sind, schließen wir die Anmeldung. Wir freuen uns auf euch! Die Beehive Collectivist@s
 

Nutzung bereits bestehender Infrastruktur und Kooperationsbemühungen

Wie ihr schon aus dem Konzept heraus lesen könnt, haben wir mit der Solidarischen Imkerei versucht, uns in bereits bestehende Projekte Solidarischer Landwirtschaft einzuklinken. Da wir in der Region kein Projekt hatten, das aus dem eigenen Unterstützer*Innen-Kreis 350 Mitglieder für uns mobilisieren konnte, haben wir mehrere kleinere Projekte Solidarischer Landwirtschaft in der Region angesprochen und für unsere Sache geworben.

Die Idee dabei war es, keine parallele Infra- und Organisationstruktur aufzubauen, wo diese grundsätzlich schon vorhanden ist. Idealerweise hätten wir uns gewünscht, in den BieterInnen-Runden mit entsprechenden Ergänzungen in den Formularen direkt einbezogen zu werden. Die UnterstützerInnen der einzelnen SoLaWis hätten einfach ein Kreuz für die Mitgliedschaft bei uns, bzw. bei „Ich will Honig“, setzen und den entsprechenden monetären Beitrag in einer separaten Spalte vermerken können.

Zu einer so weitreichenden Kooperation ist es allerdings vor allem aus Mangel an zeitlichen Ressourcen in den jeweiligen SoLaWi-Projekten nicht gekommen. Vielmehr haben wir schließlich doch unsere eigenen Verträge bei den Infoveranstaltungen und Bieter*Innen-Runden verteilt und diese dann separat eingesammelt oder zugeschickt bekommen.

Da allerdings nicht annähernd jedes Mitglied einer Gemüse-SoLaWi auch an Honig interessiert ist, haben wir auf diesem Wege lediglich 70 Mitglieder werben können. Daraus resultierten die klassischen Probleme, die Projekte bei einer „Teilumstellung“ auf commonistisches Wirtschaften haben. Kosten sind nicht gedeckt; Produkte müssen kapitalistisch verwertet werden; die Verteilung der Erntemengen an Commoners vs. Nicht-Commoners läuft nach mehr oder weniger willkürlichen Kriterien ab; usw.

Die Auslieferung des Honigs an die Mitglieder lief hingegen problemlos. So zum Beispiel über die Gemüse-Liefertouren und Abholräume der kooperierende SoLaWis.

Problem der Skalierung – In der Solidarischen Imkerei…

Was wir hier in einem recht kleinen, interpersonalen Projekt des Commoning (d.h. Commoning zwischen Menschen, die sich physisch kennen / begegnen) bereits sehen, ist ein grundsätzliches Problem, welches in Commonsverbünden (mehr zu Commonsverbünden siehe Artikel „Commonsverbünden“ und  „Commonsverbünde als Transformationsmodell„) auftreten kann: Das Problem der Skalierung.

Um eine Produktion komplett commonistisch zu organisieren, müssen idealerweise alle erzeugten Produkte in Commons-Strukturen fließen und die Produktion auch von diese Strukturen getragen werden. In unserem Projekt konnten wir nur einen Teil der Produkte über diese Commons-Verbünde (d.h. SoLaWi-Kooperationspartner) verteilen; unser Projekt wurde daher auch nur zum Teil commonistisch getragen. Dies führte dazu, dass wir einen wesentlichen Teil unserer Produkte wieder zu Markte tragen mussten – mit all der problematischen Logik, die damit in das Projekt kam. Nun wäre dieses Problem durchaus lösbar gewesen: Wir hätten überregional nach weiteren Kooperations-Commons suchen (Honig lässt sich gut lagern und transportieren) oder uns größeren SoLaWis anschließen können (https://solawi-genossenschaften.net/).

Diese Möglichkeiten haben andere Projekte nicht unbedingt; so z.B. große Betriebe, die durch die Belegschaft besetzt werden. Womit wir zum zweiten Thema kommen:

… und bei Betriebsbesetzungen.

Bei der Commonifizierung von Produktionsstätten (z.B. durch Betriebsbesetzungen) etwa, die in globale Lieferketten eingebunden sind, stellt sich die Frage der Skalierung auf zwei Ebenen. Weder können Vorprodukte aus commonistischen Netzwerken bezogen werden noch ist es ad-hoc realistisch, die oft in großen Mengen anfallenden Verarbeitungsprodukte entweder an commonistische Projekte zur Weiterverarbeitung oder im Falle von Endprodukten in ausreichendem Umfang an Endnutzer*Innen weiter zu geben.

Ein Beispiel: Es ist es sowohl unwahrscheinlich, dass eine angeeignete Waschmaschinen-Fabrik commonistische Zulieferer findet, als auch, dass die große Zahl an produzierten Waschmaschinen in Commonsverbünde vermittelt werden kann. Dies wäre aber nötig, um das Außenverhältnis des Projektes nicht-kapitalistisch zu gestalten und das „Einsickern“ einer entsprechenden Verwertungslogik zu verhindern.

Dass diese Transformation des Außenverhältnisses entscheidend ist, hat das Scheitern der Kollektivbetriebe in den 70er / 80er Jahren gezeigt. Über die interne, hierarchiearme Selbstorganisation bei gleichzeitiger Beibehaltung der kapitalistischen Vermittlung nach außen haben die selbstorganisierten Betriebe vielmehr die Organisationsformen im Kapitalismus transformiert und modernisiert (siehe Artikel „Schleicht sich Commoning in die Marktlogik?“).

Bezüglich Betriebsbesetzung kann dieses Problem ebenfalls gezeigt werden. Ein aktuelles Seminar von der Rosa Luxemburg Stiftung zu diesem Thema legt die Schwierigkeiten offen („Jetzt übernehmen wir!“). Entweder sind die funktionierenden, besetzten Betriebe in der Urproduktion angesiedelt (so z.B. die Besetzung einer südfranzösischen Teefabrik) und eine Vermittlung in Commonsverbünde ist, wie bei unserer Imkerei, theoretisch denkbar, wenn auch auf Grund der großen Produktionsmengen oft schwer realisierbar. Oder aber (bei Produktionsstätten mit globaler Einbettung) es wird die ursprüngliche Produktion eingestellt und die Belegschaft überlegt sich, welches Produkt sie stattdessen produzieren kann und landet dann letztendlich wieder bei der Urproduktion. So z.B. bei Vio.Me in Griechenland, die statt Industrieprodukten auf die handwerkliche Herstellung von Reinigungsmitteln umschwenkten, die dann wiederum in halbwegs solidarischen Netzwerken in ganze Europa vermarktet werden konnten.

Was bedeutet das nun für die Transformation?

  • Der Aufbau von halbwegs commonistischer Strukturen ist bisher vor allem in der Urproduktion gelungen. SoLaWis oder die Vernetzung von anderen, eher handwerklichen, Produktionsbereichen in Commonsverbünden scheint denkbar und möglich. In unserer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft ist aber die eigentliche Herausforderung zu zeigen, dass Commonismus auch in komplexen und globalen Produktionsketten funktioniert. Hier gibt es wenige bis keine Beispiele in der materiellen Produktion.
  • Sowohl die Transformations-Strategie der Ausdehnung (Beispiel Solidarische Imkerei / Commonsverbünde) als auch die der Aneignung (Betriebsbesetzungen) müssten, um nicht in einer Art interpersonalen Subsistenz-Perspektive stehen zu bleiben, sowohl in einer hohen Geschwindigkeit bzw. Gleichzeitigkeit (viele Projekte müssen in kurzer und zur gleichen Zeit entstehen) und in einer ausreichenden Breite (entlang der gesamten Produktionkette) umgesetzt werden. Dies ist am ehesten der Fall, wenn die globale Ökonomie in eine existentielle Krise gerät.
  • Commonistische Theorie hat gezeigt, dass ein entscheidender Moment der Transformation die Veränderung der Vermittlung ist. Mit der Aufhebung des Eigentums (durch kollektiven Besitz) und der hierarchiearmen, internen Organisation (in selbstorganisierten, kollektiven sozialen Prozessen) als Hebel der Transformation wurde historisch immer wieder experimentiert. Ohne aber einen gesellschaftlichen Dominanzwechsel in der Vermittlung zwischen den Menschen zu erwirken und damit die Tausch- und Verwertungslogik aufzuheben, bleiben diese Versuche in ihrer Wirkmächigkeit beschränkt und laufen permanent Gefahr, in den Kapitalismus integriert zu werden oder ihn gar zu modernisieren.

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