Von Solidarischer Imkerei, Betriebsbesetzungen und Transformation
Was wir aus der Praxis einer Solidarischen Imkerei und den Versuchen von Betriebsbesetzungen in Krisenzeiten über Transformationsstrategien lernen können.
Eigentlich sollte dieser Text lediglich eine Praxisreflexion unserer mehrjährigen Versuche werden, eine Imkerei solidarisch d.h. commonistisch zu organisieren. Im Schreiben knüpften die Herausforderungen, die uns dabei begegneten, dann aber an die allgemeineren Debatten rund um die Transformationen hin zu einer commonistischen Gesellschaft an, die wir im Umfeld des Keimform-Blogs und des Commons-Instituts führen. In diesem Sinne ist dieser Text aus meiner Perspektive ein gutes Beispiel dafür, wie die Reflexion der eigenen Commons-Praxis und die Abstrahierung bzw. Verallgemeinerung der dabei auftretenden Herausforderungen für eine allgemeinere Transformation-Theorie erkenntnisleitend sein können. Aber beginnen wir von vorn.
Solidarische Imkerei
Im Jahr 2016 haben ein Kollege und ich mit dem Aufbau einer Solidarischen Imkerei begonnen. Unter dem Namen „Beehive Collective“ sollte eine feste Gruppe von Menschen möglichst tauschlogikfrei und commonistisch mit Honig versorgt werden. Mit dem folgenden Konzept warben wir um Unterstützer*innen:
- Frühjahrsblüte mit Raps und Kirsche aus der Region Witzenhausen in Nordhessen
- Frühjahrsblüte mit Akazie / Robinie von Renaturierungsflächen in Sachsen-Anhalt
- Frühjahrsblüte mit Himbeerblüte vom Bio-Betrieb im östlichsten Zipfel NRWs
- Sommerblüte mit Sonnenblume, Buchweizen und Kornblume vom Bio-Betrieb in Thüringen
- Sommerblüte mit Edelkastanie aus dem kleinen Maronen-Wäldchen im Harz
Nutzung bereits bestehender Infrastruktur und Kooperationsbemühungen
Wie ihr schon aus dem Konzept heraus lesen könnt, haben wir mit der Solidarischen Imkerei versucht, uns in bereits bestehende Projekte Solidarischer Landwirtschaft einzuklinken. Da wir in der Region kein Projekt hatten, das aus dem eigenen Unterstützer*Innen-Kreis 350 Mitglieder für uns mobilisieren konnte, haben wir mehrere kleinere Projekte Solidarischer Landwirtschaft in der Region angesprochen und für unsere Sache geworben.
Die Idee dabei war es, keine parallele Infra- und Organisationstruktur aufzubauen, wo diese grundsätzlich schon vorhanden ist. Idealerweise hätten wir uns gewünscht, in den BieterInnen-Runden mit entsprechenden Ergänzungen in den Formularen direkt einbezogen zu werden. Die UnterstützerInnen der einzelnen SoLaWis hätten einfach ein Kreuz für die Mitgliedschaft bei uns, bzw. bei „Ich will Honig“, setzen und den entsprechenden monetären Beitrag in einer separaten Spalte vermerken können.
Zu einer so weitreichenden Kooperation ist es allerdings vor allem aus Mangel an zeitlichen Ressourcen in den jeweiligen SoLaWi-Projekten nicht gekommen. Vielmehr haben wir schließlich doch unsere eigenen Verträge bei den Infoveranstaltungen und Bieter*Innen-Runden verteilt und diese dann separat eingesammelt oder zugeschickt bekommen.
Da allerdings nicht annähernd jedes Mitglied einer Gemüse-SoLaWi auch an Honig interessiert ist, haben wir auf diesem Wege lediglich 70 Mitglieder werben können. Daraus resultierten die klassischen Probleme, die Projekte bei einer „Teilumstellung“ auf commonistisches Wirtschaften haben. Kosten sind nicht gedeckt; Produkte müssen kapitalistisch verwertet werden; die Verteilung der Erntemengen an Commoners vs. Nicht-Commoners läuft nach mehr oder weniger willkürlichen Kriterien ab; usw.
Die Auslieferung des Honigs an die Mitglieder lief hingegen problemlos. So zum Beispiel über die Gemüse-Liefertouren und Abholräume der kooperierende SoLaWis.
Problem der Skalierung – In der Solidarischen Imkerei…
Was wir hier in einem recht kleinen, interpersonalen Projekt des Commoning (d.h. Commoning zwischen Menschen, die sich physisch kennen / begegnen) bereits sehen, ist ein grundsätzliches Problem, welches in Commonsverbünden (mehr zu Commonsverbünden siehe Artikel „Commonsverbünden“ und „Commonsverbünde als Transformationsmodell„) auftreten kann: Das Problem der Skalierung.
Um eine Produktion komplett commonistisch zu organisieren, müssen idealerweise alle erzeugten Produkte in Commons-Strukturen fließen und die Produktion auch von diese Strukturen getragen werden. In unserem Projekt konnten wir nur einen Teil der Produkte über diese Commons-Verbünde (d.h. SoLaWi-Kooperationspartner) verteilen; unser Projekt wurde daher auch nur zum Teil commonistisch getragen. Dies führte dazu, dass wir einen wesentlichen Teil unserer Produkte wieder zu Markte tragen mussten – mit all der problematischen Logik, die damit in das Projekt kam. Nun wäre dieses Problem durchaus lösbar gewesen: Wir hätten überregional nach weiteren Kooperations-Commons suchen (Honig lässt sich gut lagern und transportieren) oder uns größeren SoLaWis anschließen können (https://solawi-genossenschaften.net/).
Diese Möglichkeiten haben andere Projekte nicht unbedingt; so z.B. große Betriebe, die durch die Belegschaft besetzt werden. Womit wir zum zweiten Thema kommen:
… und bei Betriebsbesetzungen.
Bei der Commonifizierung von Produktionsstätten (z.B. durch Betriebsbesetzungen) etwa, die in globale Lieferketten eingebunden sind, stellt sich die Frage der Skalierung auf zwei Ebenen. Weder können Vorprodukte aus commonistischen Netzwerken bezogen werden noch ist es ad-hoc realistisch, die oft in großen Mengen anfallenden Verarbeitungsprodukte entweder an commonistische Projekte zur Weiterverarbeitung oder im Falle von Endprodukten in ausreichendem Umfang an Endnutzer*Innen weiter zu geben.
Ein Beispiel: Es ist es sowohl unwahrscheinlich, dass eine angeeignete Waschmaschinen-Fabrik commonistische Zulieferer findet, als auch, dass die große Zahl an produzierten Waschmaschinen in Commonsverbünde vermittelt werden kann. Dies wäre aber nötig, um das Außenverhältnis des Projektes nicht-kapitalistisch zu gestalten und das „Einsickern“ einer entsprechenden Verwertungslogik zu verhindern.
Dass diese Transformation des Außenverhältnisses entscheidend ist, hat das Scheitern der Kollektivbetriebe in den 70er / 80er Jahren gezeigt. Über die interne, hierarchiearme Selbstorganisation bei gleichzeitiger Beibehaltung der kapitalistischen Vermittlung nach außen haben die selbstorganisierten Betriebe vielmehr die Organisationsformen im Kapitalismus transformiert und modernisiert (siehe Artikel „Schleicht sich Commoning in die Marktlogik?“).
Bezüglich Betriebsbesetzung kann dieses Problem ebenfalls gezeigt werden. Ein aktuelles Seminar von der Rosa Luxemburg Stiftung zu diesem Thema legt die Schwierigkeiten offen („Jetzt übernehmen wir!“). Entweder sind die funktionierenden, besetzten Betriebe in der Urproduktion angesiedelt (so z.B. die Besetzung einer südfranzösischen Teefabrik) und eine Vermittlung in Commonsverbünde ist, wie bei unserer Imkerei, theoretisch denkbar, wenn auch auf Grund der großen Produktionsmengen oft schwer realisierbar. Oder aber (bei Produktionsstätten mit globaler Einbettung) es wird die ursprüngliche Produktion eingestellt und die Belegschaft überlegt sich, welches Produkt sie stattdessen produzieren kann und landet dann letztendlich wieder bei der Urproduktion. So z.B. bei Vio.Me in Griechenland, die statt Industrieprodukten auf die handwerkliche Herstellung von Reinigungsmitteln umschwenkten, die dann wiederum in halbwegs solidarischen Netzwerken in ganze Europa vermarktet werden konnten.
Was bedeutet das nun für die Transformation?
- Der Aufbau von halbwegs commonistischer Strukturen ist bisher vor allem in der Urproduktion gelungen. SoLaWis oder die Vernetzung von anderen, eher handwerklichen, Produktionsbereichen in Commonsverbünden scheint denkbar und möglich. In unserer hoch arbeitsteiligen Gesellschaft ist aber die eigentliche Herausforderung zu zeigen, dass Commonismus auch in komplexen und globalen Produktionsketten funktioniert. Hier gibt es wenige bis keine Beispiele in der materiellen Produktion.
- Sowohl die Transformations-Strategie der Ausdehnung (Beispiel Solidarische Imkerei / Commonsverbünde) als auch die der Aneignung (Betriebsbesetzungen) müssten, um nicht in einer Art interpersonalen Subsistenz-Perspektive stehen zu bleiben, sowohl in einer hohen Geschwindigkeit bzw. Gleichzeitigkeit (viele Projekte müssen in kurzer und zur gleichen Zeit entstehen) und in einer ausreichenden Breite (entlang der gesamten Produktionkette) umgesetzt werden. Dies ist am ehesten der Fall, wenn die globale Ökonomie in eine existentielle Krise gerät.
- Commonistische Theorie hat gezeigt, dass ein entscheidender Moment der Transformation die Veränderung der Vermittlung ist. Mit der Aufhebung des Eigentums (durch kollektiven Besitz) und der hierarchiearmen, internen Organisation (in selbstorganisierten, kollektiven sozialen Prozessen) als Hebel der Transformation wurde historisch immer wieder experimentiert. Ohne aber einen gesellschaftlichen Dominanzwechsel in der Vermittlung zwischen den Menschen zu erwirken und damit die Tausch- und Verwertungslogik aufzuheben, bleiben diese Versuche in ihrer Wirkmächigkeit beschränkt und laufen permanent Gefahr, in den Kapitalismus integriert zu werden oder ihn gar zu modernisieren.
Nice. Cooler Text, hab ich gerne gelesen.
Was ist nun letztlich aus dem Honig geworden? Keine Transformation ohne Honig… 😉
Diese gleichzeitige Ausdehnung, wie Du in den letzten Punkten schreibst, commonistischer Produktionsweise und commonistischer Beziehungsweise (Vermittlung) ist eine entscheidende Stelle. Dass jedoch erst die Ökonomie dafür in die Krise geraten muss oder sie dadurch in die Krise gedrängt wird – ist mir nicht ganz klar. Denn 1.) die Klimakrise ist von breiten Schichten anerkannt und ob mit ökonomischer Krise oder nicht, ist klar, dass kapitalistische Ökonomie uns die Lebensgrundlage entzieht. Die Erkenntnis also, dass wir am eigenen Ast segen, auf dem wir sitzen – könnte das nicht auch commonistische Transformation befeuern? 2.) zum gesellschaftlichen Dominanzwechsel: Du verweist auf meinen Artikel mit dem Gedanken, dass Commoning den Kapitalismus modernisert. Das ist zwar richtig, jedoch – und das ist der entscheidende Punkt zur Trafo – diese Modernisierung spitzt die Widersprüche zu. Weil die Verantwortung für die Krise(n) zunehmend in den Händen der Arbeitenden selbst liegen (Selbstorga) – Und das, ob nun mittels moderner Arbeitsorga oder Betriebsbesetzungen! Auch wenn die Außenbeziehungen vorrangig warenförmig sind, sind RBA (Rückeroberte Betriebe unter Arbeiter*innenkontrolle) sehr eng vernetzt mit der lokalen Community und sozialen Bewegungen, was auch reine Verwertungslogik angreift.