Ismus oder Nicht-Ismus – das ist hier die Frage!

Wohin wollen wir gehen, und dürfen wir das benennen?

Nicht nur im Commons-Institut wird die Frage eifrig diskutiert, ob „auf eine bestimmte Art handeln, vorgehen“ (Wikipedia) einen „Ismus“ (so die Übersetzung aus dem Griechischen) verdient, oder ob es besser wäre, das zu vermeiden. Was ist eure Meinung? Hier kommt meine 🙂

Laut Wikipedia gibt es Ismen als neutrale Begriffe („Organismus“), als Geisteshaltung/Lebenseinstellung („Pessimismus“), als Diskriminierung („Sexismus“), als Herabsetzung („Dilettantismus“), als Dogmata („Islamismus“) und als Umbrüche in Kultur („Dadaismus“) und Gesellschaft („Kommunismus“). Diese breite Benutzungsweise erzeugt bei mir in diesen sehr unterschiedlichen Kontexten sehr unterschiedliche Gefühle und Assoziationen. Meine Vermutung ist, dass es vielen so geht.

Eine weitere Vermutung ist, dass die ausgelösten Gefühle/Assoziationen bei den meisten Ismen doch sehr ähnlich sind, nur bei einem Bereich nicht, nämlich bei der Frage, ob wir gesellschaftliche Umbrüche mit einem Ismus benennen oder nicht. Mehr noch: Es geht eigentlich nur um die Bezeichnung eines erwünschten zukünftigen Umbruchs. Sollen, dürfen, wollen wir den erwünschten Umbruch in eine, hm, ja, da wird es schon schwer: Commonsgesellschaft oder Inklusionsgesellschaft oder oder oder, nun Commonismus nennen oder nicht [vgl. die Kommentare hier]?

Meine Meinung: Ja, das sollten wir tun. Ich mache es, aber ich respektiere, wenn es andere nicht machen wollen (was auch sonst) und der Meinung sind, wir sollten es nicht tun. Mein Grund ist recht schlicht: Das, was wir wollen oder mindestens: worüber wir sprechen wollen, braucht einen Namen, weil das die Verständigung vereinfacht. Ich gehe allerdings noch weiter, und das hat mit meiner Beschäftigung mit der Hegelschen Philosophie zu tun. Es geht mir nicht nur um einen Namen um der sprachlichen Vereinfachung willen, sondern es geht mir um einen Begriff. Mit einem Begriff ist der Anspruch verbunden, den inneren Zusammenhang der (widersprüchlichen) Momenten des Gegenstands zu kapieren. Etwas auf den Begriff zu bringen, heißt, den Gegenstand, um den es geht, zu durchdringen – zu begreifen – und dafür schließlich auch ein Wort zu finden, das das Durchdrungene – das Begriffene – ausdrücken kann. Gut ist es dabei, wenn die Worthülle dann wesentliche Momente aufgreifen kann (bei Commonismus also etwa Commons).

All das geht nicht ohne Wahrheitsmöglichkeit, braucht also eine grundsätzliche Überzeugung, dass die Welt erkennbar ist: Es ist möglich, die Wahrheit zu erkennen. Ob wir die Wahrheit tatsächlich erkannt haben, ist dabei eine andere Frage. Sicherheitshalber gehe ich gerne davon aus, dass ich auch bei sehr stabilen Überzeugungen die Wahrheit mindestens noch nicht vollständig erkannt habe. Und ganz im Hintergrund liegt auch noch ein Irrtumsvorbehalt, komplett falsch zu liegen – was mir in meinem Leben schon so manches neue Erkennen – inklusive Abschied von vorher für Wahrgehaltenem – ermöglicht hat. Der polare Gegenpart der Wahrheitsfähigkeit ist der Relativismus, also die Überzeugung, das alle Erkenntnis standortgebunden und relativ sei: „Ich denke das und du das, und beides ist gleich gültig“. Interessanterweise wird oft die eigene Festigkeit dieser Überzeugung aus dem Relativismus ausgeschlossen (alles ist relativ, nur meine eigene Meinung nicht, dass dem so ist – ein perfomativer Selbstwiderspruch).

Das Durchdrungene, dem Anspruch nach Begriffene und dann auf den Begriff gebrachte, wirkt – entgegen dem eben Dargestellten (Unvollständigkeit, Irrtumsvorbehalt) – für viele dennoch sehr fest, ja, manchmal geradezu dogmatisch. Empört wird gefragt: „Commonismus – ja, glaubt ihr denn, alles schon zu wissen, was bildet ihr euch ein?“ Dahinter spüre ich eine Angst, dass mit dem Begriff der Inhalt bereits zementiert ist, so dass nur noch die Wahl bleibt: „Bekenne dich oder gehe fort“. Und fertig ist die Sekte. Das kann ich nachvollziehen. Ich kann es nachvollziehen, obwohl wir zu Beispiel in unserem Buch Kapitalismus aufheben fast gebetsmühlenartig davon sprechen, dass wir dazu einladen, mit uns zu denken, dass wir überhaupt erst ein grobes Gerüst vorgelegt haben, das es noch auszufüllen gilt, und auch, dass wir uns auch beim Gerüst noch irren können. Gleichzeitig sind wird der Meinung: Das, was wir da aufgeschrieben haben, ist gut und ziemlich systematisch begründet. Wer das Gesamte oder Teile anders sieht, ist herzlich eingeladen, dies darzulegen. Denn worum es uns in erster Linie geht, ist die Verwissenschaftlichung der Debatte um Utopie. Die brauchen wir, denn nur, wenn wir wissen, wohin wir wollen, können wir auch den Weg bestimmen und danach handeln (auch so eine ziemlich feste Position).

Woher kommt die Angst vor Festigkeit und Wahrheitsanspruch? Und warum ist der Relativismus so verbreitet? Dazu zwei Thesen.

Die Angst vor Festigkeit und Wahrheitsanspruch hat mit der historischen Niederlage der Arbeiter*innenbewegung zu tun. In wichtigen Teilen glaubte sie tatsächlich, die Wahrheit der Geschichte erkannt zu haben und danach zu handeln. Die darin liegende Dogmatik war gut begründet, sie gab Zuversicht, Vertrauen, Handlungsfähigkeit. Kulminationspunkt war dann der Zusammenbruch des Realsozialismus, der auch jene Strömungen mit den Abgrund riss, die sich kritisch zum Traditionsmarxismus stellten. Wie sich nach dem Zusammenbruch noch positiv – egal, ob affirmativ oder kritisch – auf das beziehen, was da mal Kommunismus genannt wurde (und manchmal immer noch wird)? Das geht ja gar nicht! Diese Niederlage hat Triumph und Depression ausgelöst, Triumph, dass der Kapitalismus das Ende der Geschichte sei, Depression, dass nun die Utopie weg ist und der Kapitalismus keine Grenzen mehr hat (denn das hat der Sozialismus immerhin gemacht: Grenzen gesetzt). Ein neuer Ismus klingt vor diesem Hintergrund a priori dogmatisch.

Der Relativismus hat mit dem Zerfall der Zukunftsfähigkeit des Kapitalismus, also seiner allgemeinen Krise, zu tun. Zugespitzt gesagt, ist das Vertrauen darin, dass der Kapitalismus als Weltanschauung und Praxis die Probleme der Menschheit begreifen und lösen kann, extrem gesunken. Da aber neue Alternativen fehlen und die alten Alternativen gescheitert sind (s.o.), scheint sich die Relativität, also Begrenztheit, jeglicher (erkenntnistheoretischer) Ansätze zu bestätigen. – Das ist eine sehr grobe Darstellung, die in der absoluten Form selten vorkommt. Relativistische Momente finden sich jedoch in vielen (Erkenntnis-) Theorien, etwa in postmodernen, poststrukturalistischen oder konstruktivistischen Ansätzen. Begriffliche Klarheit und systemisch-umfassende Erkenntnisansprüche sind dagegen eher mit der Hegellinie verbunden, die wiederum von vielen bereits in ihrem Anspruch zurückgewiesen werden.

Das alles und noch viel mehr … ist für mich mit Ismen verbunden. Bin gespannt auf eure Ergänzungen und eure Sichtweisen.

Postskriptum: Ich ernte unterschiedliche Reaktionen auf meine Verwendung des Begriffs Commonismus. Die meisten nehmen ihn neutral an, einige sind abgestoßen und einige freuen sich explizit. Für meinen Artikel in der Zeitschrift Neue Wege hatte ich ursprünglich „Commons-Gesellschaft“ in der Überschrift stehen, die Redaktion wollte dann aber lieber „Commonismus“ haben, weil es klarer sei.

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