Commons-Diskurs: Inklusion

commons-jvmus-200Eine siebenteilige Serie mit Fragen an den Artikel Grundrisse einer freien Gesellschaft. Bisher erschienen: Freie Gesellschaft, Individuum und Gesellschaft, Konflikte, Abstimmungsprozesse.

5. Inklusion

Frage: Wie wird in einer Peer-Commons-Gesellschaft sichergestellt, dass tatsächlich alle Menschen mit ihren Bedürfnissen inkludiert werden? Menschen neigen nun einmal dazu, auf die Bedürfnisse von Menschen, mit denen sie persönliche Beziehungen haben, mehr Rücksicht zu nehmen als auf die Bedürfnisse von Fremden, mit denen sie wenig Kontakt haben. Wie wird sichergestellt, dass nicht bestimmte Personengruppen systematisch benachteiligt werden?

Ist in einer Peer-Commons-Gesellschaft die Erfüllung der Bedürfnisse eines Menschen daran gebunden, dass er in bestimmten Commons-Projekten integriert ist? Wenn ja, dann könnte dadurch innerhalb der Commons-Projekte ein sehr hoher sozialer Druck entstehen, weil für den Einzelnen hohe Kosten drohen, wenn er aus seinen angestammten Commons-Gemeinschaften austritt (z.B. durch Verlust der Grundsicherung seiner Bedürfnisse, wenn er nicht mehr assoziiert ist). Das wäre dann einfach nur eine andere Form von struktureller Gewalt, die Menschen dazu zwingt, Dinge zu tun, auf die sie eigentlich keine Lust haben.

Kann man aus den Commons-Zusammenhängen herausfallen? Droht einem dann ein Verlust der Grundsicherung? Oder gibt es noch so etwas wie einen Staat als Backup?

Antwort

Kann ich aus der Gesellschaft herausfallen? Nein, es sei denn ich sterbe. Das gilt auch für den Kapitalismus. Nur kann die Einbezogenheit sehr prekäre bis elendige Formen annehmen, in denen die Verfügung über die eigenen Lebensumstände fast nicht mehr besteht. Eine freie Gesellschaft basiert auf der Existenzsicherung für alle, denn es gibt kein Erpressungsverhältnis mehr: Ich muss mich nicht erst einem fremden Zweck oder einer machtvollen Person unterwerfen, um an die Mittel zu kommen, die ich für meine Bedürfnisbefriedigung brauche, sondern ich kann sie mir einfach nehmen. Keine Kopplung an eine Vorbedingung oder Gegenleistung. Die „Erfüllung der Bedürfnisse eines Menschen“ ist folglich nicht „daran gebunden, dass er in bestimmten Commons-Projekten integriert ist“, ja, nicht einmal, ob er oder sie sich an der Produktion beteiligt.

Kann ich aus Commons-Zusammenhängen herausfallen? Ja, das ist möglich und sollte auch in dem Sinne möglich sein, dass ich gehen kann – ohne meine Existenz in Frage zu stellen. Das Gehen-können ist ein Aspekt individueller Freiheit. Ob ich gehe, hängt nicht mehr von Zwangsumständen oder -maßnahmen ab, sondern von der subjektiv empfundenen Lebensqualität meiner Einbezogenheit in interpersonalen Zusammenhängen – seien dies Commons oder andere Gemeinschaften, Familien etc. Ich vermute, die Unterscheidung, ob etwas ein Commons ist oder nicht, wird in einer commonistischen Gesellschaft an Bedeutung verlieren. Ich kann überall eingebunden sein, das gesellschaftliche Netz ist die Basis. Ein „Backup“ im Sinne einer fremden Instanz außerhalb der Commons-Strukturen und -Institutionen als „Staat“ o.dgl. hat keine Funktion. Doch: „Kein Staat“ heißt nicht „ohne Institutionen“! Das wäre ein eigenes Thema 🙂

Durch die freie Entnahme der Dinge und Leistungen, die ich brauche, ist die Befriedigung der sinnlich-vitalen Bedürfnisse sichergestellt, damit auch, „dass nicht bestimmte Personengruppen systematisch benachteiligt werden“. Das ist aber nur ein Aspekt der Bedürfnisse. Der andere Aspekt sind die produktiven Bedürfnisse, also die subjektive Notwendigkeit, gesellschaftlich über die Quellen der Befriedigung zu verfügen, so dass die allgemeine Vorsorge und damit auch meine Existenz sichergestellt ist. Nach den Erkenntnissen der Kritischen Psychologie ist es sogar so, dass die Befriedigungsqualität der sinnlich-vitalen vom Grad der Befriedigung der produktiven Bedürfnisse abhängig ist. Ein Individuum, das sinnlich-vital beeinträchtigt sind, weil es etwa Hunger leidet o.ä., „leidet es nicht nur isoliert ›Hunger‹ als spezielle Bedürfnis-Spannung, sondern es leidet darin und gleich elementar an seiner Ausgeliefertheit an eine Situation, in welcher es so weitgehend von der vorsorgenden Verfügung über seine eigenen Lebensbedingungen abgeschnitten ist, daß es ›hungern‹ muß“ (Holzkamp 1983, 246). Die bloße Befriedigung sinnlich-vitaler Bedürfnisse („Grundbedürfnisse“) reicht somit für ein menschenwürdiges Leben nicht aus.

Dieser Zusammenhang wird in der bürgerlichen Gesellschaft völlig zerrissen, ja erscheint sogar in in komplett verdrehter Weise etwa in der absurden Frage, ob denn die Menschen überhaupt noch etwas tun würden, wenn sie grundversorgt seien, oder nicht faul in der Hängematte abhingen. Faul in der Hängematte abzuhängen wäre jedoch nur dann eine wirklich befriedigende Lebensaktivität, wenn gleichzeitig die produktive Teilhabe an der gesellschaftlichen Herstellung der Lebensbedingungen möglich und meine zukünftige Versorgung somit sichergestellt ist. Im Bereich der Entfaltung der produktiven Bedürfnisse ist es aus meiner Sicht viel spannender (weil entscheidend) hinzuschauen, welche gesellschaftliche Teilhabe für je mich möglich ist.

Interpretiere ich eure Frage einmal im „produktiven“ Sinne (obwohl sie mir ursprünglich wie üblich auf die sinnlich-vitale Ebene abzuzielen scheint), dann ist für mich die folgende Aussage (erst recht) nicht nachvollziehbar: „Menschen neigen nun einmal dazu, auf die Bedürfnisse von Menschen, mit denen sie persönliche Beziehungen haben, mehr Rücksicht zu nehmen als auf die Bedürfnisse von Fremden, mit denen sie wenig Kontakt haben“. Mal gesehen vom ontologisierenden Charakter (den ihr sicher schnell selbst erkennen könnt), blendet die Frage völlig aus, dass gesellschaftlich-vorsorgende Produktion unter Bedingungen globaler Vergesellschaftung fast immer mit Menschen zu tun hat, die ich nicht kenne (sogenannten „Fremden“). Sie spiegelt die exklusionslogische Struktur der kapitalistischen Wirklichkeit wider, nach der ich mich auch produktiv nur durchsetzen kann, wenn dies auf Kosten von anderen geschieht, die ich geeigneter Weise dann als „Fremde“ abwerte, um den realen Ausschluss vor mir rechtfertigen zu können. Kurz: Ihr sprecht über den Kapitalismus, nicht aber über eine freie Gesellschaft mit einer allgemeinen Inklusionslogik, in der der Bezug auf andere positiv-reziprok strukturiert ist. Hier kann ich erkennen und emotional erleben, das ich nur bin, weil die anderen sind, dass ich meine produktiven Bedürfnisse nur befriedigen kann, weil dies andere ebenso können, dass wir einander brauchen und bedingen.

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