Commons-Diskurs: Freie Gesellschaft

commons-jvmus-200Ein Diskussionskreis in Hamburg hat meinen Artikel Grundrisse einer freien Gesellschaft diskutiert und dazu Fragen formuliert. Ich veröffentliche die Fragen zusammen mit meinen Antworten in einer Serie von 7 Artikeln. Folgende Links werden nach Erscheinen der Artikel aktiv:

  1. Commons-Diskurs: Freie Gesellschaft
  2. Commons-Diskurs: Individuum und Gesellschaft
  3. Commons-Diskurs: Konflikte in der Peer-Commons-Gesellschaft
  4. Commons-Diskurs: Abstimmungsprozesse
  5. Commons-Diskurs: Inklusion
  6. Commons-Diskurs: Stigmergie
  7. Commons-Diskurs: Übergang

Fragen und Anmerkungen zum Artikel „Grundrisse einer freien Gesellschaft“

Im deinem Artikel werden Aspekte einer alternativen Gesellschaftsform beschrieben, die das bestehende kapitalistische System durch eine andere Produktions- und Verteilungsweise von innen heraus überwinden will. Neue, noch zu entwickelnde Gemeinschaften (Peers) – die freiwillig aus sich selbst heraus die gesellschaftlichen Bedürfnisse befriedigen – und eine kooperative Verteilung der natürlichen Ressourcen (Commons) sollen die herrschende Ökonomie des Marktes von Angebot und Nachfrage ersetzen.

Antwort

Vielen Dank für eure inspirierenden Fragen! Ich will mich sehr gerne damit auseinandersetzen, doch muss ich zum besseren gemeinsamen Verstehen einige Vorbemerkungen machen. Die erste betrifft den Diskurs, in dem wir uns bewegen. Aus meiner Sicht gibt es zwei Diskurse, die sorgsam unterschieden und nicht vermischt werden sollten.

Im Diskurs 1 geht es um die prinzipielle Möglichkeit einer freien Gesellschaft. Liegt es, auf einer kategorialen Ebene überlegt, überhaupt in der menschlichen Möglichkeit, eine Vergesellschaftung jenseits von Herrschaft zu haben? Wenn ja, wie ist das Verhältnis von Handlungen auf der Mikroebene und System-Emergenz auf der Makroebene beschaffen? Wäre eine solche Gesellschaft stabil?

Im Diskurs 2 geht es um die Transformation, also den Weg in eine freie Gesellschaft. Wie kann der Kapitalismus aufgehoben werden? Was ist mit den Machtinstanzen, die sich gegen eine Transformation stemmen könnten? Was ist mit Bewusstsein der Menschen?

Oft werden Argumente aus Diskurs 2 angebracht, um den Diskurs 1 außer Kraft zu setzen. Das sind etwa ontologisierende Annahmen, wie Menschen „an sich“ seien und warum sie „offensichtlich“ nicht in einer freien Gesellschaft „funktionieren“ würden. Etc. Beide Diskurse hängen eng zusammen, das ist klar, sollten aber im Gespräch zunächst unterschieden werden. Auch bei euren Fragen vermischen sie sich teilweise, und es fließen implizit Annahmen ein, wie Menschen „so sind“. Ich werde mir erlauben, die Diskurse sorgsam zu unterscheiden – um sie dann aus meiner Sicht angemessener beantworten zu können.

Ich bemühe mich, auf konkrete Fragen konkret zu antworten. Doch wir sprechen im Diskurs 1 über ein Terrain, das wir nicht kennen. Hier kann ich keine konkrete, „anschauliche“ Antwort geben, sondern bin darauf verwiesen, auf einer darüber liegenden kategorialen Ebene Grundlagen und ggf. basale Annahmen zu reflektieren oder überhaupt erst einmal die zugrunde liegende Frage zu klären. Um das Problem zu veranschaulichen, will ich ein anspruchsvolles und zentrales Beispiel bringen.

In jeder Gesellschaft geht es darum, durch Produktion Güter und Dienste zu erschaffen, die Bedürfnisse befriedigen. Um das Verhältnis von Bedürfnissen und Produktion angemessen diskutieren zu können, hilft uns ein Doppelbegriff: In der Ex-Post-Produktion wird zuerst produziert und dann vermittelt, also das Produzierte zu denen gebracht, die es nutzen; in der Ex-Ante-Produktion wird erst vermittelt und dann produziert, also erst geklärt, welche Bedürfnisse es gibt und wie diese mittels welcher Produktion befriedigt werden können. Wie das soziale Verhältnis beschaffen ist, ob so oder so rum, ob mit Vermittlung ex post (im Nachhinein) oder ex ante (im Vorhinein), hat erhebliche praktische wie theoretische Konsequenzen – was ich an anderen Orten ausgeführt habe.

Und jetzt kommt das Beispiel: Erst auf dieser Grundlage können wir die Frage, die etwa viele Geldkritiker*innen stellen, was denn das Geld in der Funktion der gesellschaftlichen Vermittlung ersetzen könne, als unangemessen erkennen. Denn an die Stelle des Geldes etwas anderes zu setzen (z.B. Kommunikation, Computer, Regionalgeld – egal), akzeptiert stillschweigend die vorausgesetzte Produktionsweise der Ex-Post-Produktion mit der von der Produktion getrennten, nachgeordneten Vermittlung über Tausch, Märkte etc. Erst mit der Kategorie der Ex-Post/Ante-Produktion können wir die wirkliche Qualität der Commons als oppositionelle soziale Form der Ware erkennen.

Und damit sind wir dann auch bei den Commons, zu denen einige klärende Bemerkungen notwendig sind.

Commons sind keine „natürlichen Ressourcen“. Es geht bei den Commons auch nicht wesentlich um eine „kooperative Verteilung“. Sondern Commons sind, kurz gesagt, eine neue soziale Form der Re-/Produktion unser Lebensbedingungen im umfassenden Sinne. Ressourcen (keineswegs nur natürliche) und Verteilung sind Aspekte einer solchen Produktionsweise, aber eben nur das: Aspekte. Der wesentliche Kern ist die soziale Organisation, das Commoning und die darauf gründende Ex-Ante-Produktion – im Unterschied zur Ex-Post-Produktion im Kapitalismus.

Schließlich sind eure Fragen sehr komplex und vielfältig. Zu einem Thema formuliert ihr oft mehrere Fragen, die sich teilweise mit Aussagen mischen, auf die wieder Fragen folgen usw. Ich erlaube mir in solchen Fällen, die mir wichtigsten Teilfragen herauszupicken und sie beantworten, während ich andere eher am Rande streife oder nur implizit mit anspreche. Wenn euch das unbefriedigt zurück lässt, könnt ihr gerne nachfragen (zum Beispiel in den Kommentaren).

1. Freie Gesellschaft

Frage: Was bedeutet „frei“ in der Überschrift? (Bitte um kurze Antwort)

Antwort

Frei hat eine Doppelbedeutung: Frei von Herrschaft und frei, die menschlichen Potenzen in je eigener individueller Weise gesellschaftlich zu entfalten.

14 Kommentare

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