Jevons’ Paradoxon
[Artikel aus Oya 24/2014, Lizenz CC by-sa]
von Johannes Heimrath
Auch »Otto Normalverbraucher« versucht zunehmend, sein Geld ökologisch vernünftig auszugeben. Er kauft zum Beispiel ein energieeffizientes Auto, das viel weniger Sprit verbraucht als das alte. Eine gute Tat, meint er. Doch der Rebound-Effekt frisst den Einspareffekt wieder auf.
Entgegen den Beteuerungen der sich immer verzweifelter grünwaschenden Industrie führt ein sinkender Kraftstoffverbrauch des einzelnen Automobils nicht dazu, dass der Gesamtverbrauch an Schwundstoffen – wie die sogenannten Rohstoffe besser genannt werden sollten – abnimmt: Man gibt das »gesparte« Geld für mehr Reisekilometer aus, was den Einspareffekt zunichte macht und »direkter Rebound-Effekt« (»Bumerangeffekt«) genannt wird, oder man leistet sich ein anderes Konsumgut, das den »indirekten Rebound-Effekt« nährt: Das an der Tankstelle eingesparte Geld finanziert nun andere Branchen, sorgt dort für Produktionssteigerungen und somit für steigenden Verbrauch anderer Schwundstoffe. Das geschieht auch mit allen noch so »ökologisch« getrimmten Produkten, sobald ihre Massenherstellung für sinkende Stückpreise sorgt oder – wie bei der regenerativen Energieerzeugung – neue begleitende Infrastruktur erfordert. Einschlägige Studien haben alle mit »Peaks« zu tun: Peak Oil, Peak Phosphorus, Peak Copper, Peak Everything – mit dem Zur-Neige-Gehen praktisch aller Lebensquellen.
Dieser Zyklus aus steigender Kaufkraft, wachsender Nachfrage, technischer Verbesserung und ressourcen»sparender« Produktivitätssteigerung führt zwar nach klassischer Wirtschaftsdogmatik zu steigendem Wohlstand bei immer besserer Umweltbilanz. Doch sind heute weitere Rebound-Effekte bekannt, die dies als globalen Irrtum entlarven. So wird etwa die Psychologie noch immer unterschätzt: Wer ein bisher als schädlich eingestuftes Konsumgut in einer neuen, unproblematischen Variante erwirbt, beruhigt damit sein Gewissen und ist paradoxerweise bereit, sich Sünden in anderen Bereichen zu verzeihen. Die wachsende Weltbevölkerung – vor allem in den ehemals in die Armut hineinkolonisierten Ländern – tut mit ihren steigenden Komfortansprüchen ein Übriges dazu.
Der Rebound-Effekt ist nichts Neues
Bereits 1865 fiel dem englischen Mathematiker William Stanley Jevons auf, dass die Effizienzsteigerung der Dampfmaschine zwar pro Leistungseinheit immer weniger Kohle nötig machte, dadurch aber immer mehr Maschinen preisgünstiger gebaut werden konnten und somit der Kohleverbrauch insgesamt anstieg – was wiederum effektivere Fördermethoden und sinkende Energiepreise zur Folge hatte. Mehr Profit führte zu höheren Löhnen – die die industrielle Konjunktur antrieben. Die Zahl der Arbeitsplätze und die Einkommen stiegen, was immer mehr Menschen vom Land in die Städte lockte. Das löste einen ressourcenzehrenden Bauboom aus, führte zur bodenvernichtenden Industrialisierung der Landwirtschaft und bewirkte den Verbrauch von noch mehr Kohle – heute Öl und Gas –, mehr Schwundstoffen – damals Eisenerz, heute das ganze Periodensystem der Elemente – und mehr Natur: bis heute.
Wird der Beobachtungszeitraum lang genug gewählt, so zeigt sich: Jevons’ fatales Paradoxon gilt in jedem Bereich der Wirtschaft. Wäre es anders, so würden wir heute alle unsere Konsumgüter und die dafür erfundenen Maschinen so gut wie ohne Schwundstoffeinsatz praktisch kostenlos in unbegrenzter Menge herstellen, und die Versorgung aller Menschen in der Planetin mit Nahrung, Kleidung und Behausung wäre im Überfluss verwirklicht. Dazu zitiert der Nachhaltigkeitsforscher Tilman Santarius in einer Studie, die zur Lektüre dringend angeraten sei, den Sachverständigenrat für Umweltfragen in Deutschland so: »Insgesamt deuten die verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse darauf hin, dass der langfristige gesamtwirtschaftliche Rebound-Effekt regelmäßig über 50 % liegt und auch Werte von über 100 % erreicht, das heißt die erzielten Einsparungen zur Hälfte bis vollständig ausgleichen könnte.«
Doch wie alles, was wahr ist, wird auch Jevons’ Paradoxon von denen, die es nicht wahrhaben wollen, bestritten. So wird beispielsweise behauptet, die USA und Europa hätten jüngst ihren Energieverbrauch stabilisiert. – Doch sie haben ihre Rebound-Belastungen nur ausgelagert: Rechnen wir die Konsumgüter hinzu, die China und Indien ausschließlich für den Westen herstellen, so geraten die Ökobilanzen von USA und EU um rund 18 Prozent ins Minus.
Den Rebound-Effekt zu kompensieren, erscheint kaum möglich: Allein um den weltweiten CO2-Ausstoß auf heutigem Niveau zu halten, müssten die CO2-Emissionen im selben Tempo sinken, wie die globale Wirtschaft wächst, nämlich um 2,2 Prozent im Jahr (2012). Das gleicht einer Energieeinsparung von jährlich rund 320 Gigawatt. Anders gesagt: Die globale Energiewirtschaft müsste jeden Tag ein durchschnittliches Kernkraftwerk ein für allemal vom Netz nehmen! Die Fakten sehen anders aus: Im Jahr 2012 ist der globale Energieverbrauch trotz aller Effizienzsteigerungen um 1,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen (Zehnjahresdurchschnitt: 2,6 Prozent), und der CO2-Eintrag in die Atmosphäre steigerte sich gegenüber 2011 um 1,9 Prozent.
Der letzte Absatz ist nicht ganz nachvollziehbar. „Kernkraftwerke“ werden ja gerade als Maßnahme zur Senkung der CO2 Emissionen verkauft.
Zitat: „die Versorgung aller Menschen in der Planetin“
Habe ich etwas verpasst? Vielleicht den Dernier Cri beim aktuellen Genderalala? Leben wir als Menschen jetzt nicht mehr auf diesem Planeten, sondern stattdessen „in der Planetin“?
@Franz: Die AKWs dienten nur zur Illustration der täglich einzusparenden Energiemenge. Mich würde aber trotzdem auch interessieren, wie AKWs in Bezug auf ihre CO2-Bilanz tatsächlich dastehen, wenn alle Prozess-Schritte (Bau, Rückbau, Urangewinnung, Entsorgung, Betrieb etc.) eingerechnet würden. Kennt jemand Zahlen?
@Mensch_in: Das mit dem „in“ kann ich erklären. Zur Erde gehört auch ihre Atmosphäre. Wenn man die einbezieht, leben wir am Grund des Luftozeans, also „in“ der Erde. Warum „der Planet“ weiblich ist, weiß ich nicht, vielleicht, weil „die“ Erde weiblich ist?
@ Mensch_in: Ich finde den Ausdruck „Planetin“ einen erfrischenden Blickrichtungswechsel. Im Grunde kann der Umgang der Menschheit mit der Erde analog zu den patriarchalen Gewaltverhältnissen betrachtet werden (ich meine damit nicht unbedingt den individuellen Umgang miteinander). Generell finde ich, dass wir die Artikelregeln nicht immer so eng sehen müssen (z.b. der/die/das Joghurt wird regional sehr unterschiedlich gehandhabt)
Plötzlich von „Planetin“ zu sprechen halte ich für eine Verwechslung von grammatischem und sozialen Geschlecht. Nicht alles, was ein Geschlecht hat, muss auch gegendert werden..
Und „Erde“ als Raumbegriff schließt üblicherweise die Atmosphäre nicht mit ein. Der Mensch, der AUF der Erde (als Ansammlung fester Materie) lebt, steht zudem in einem wechselseitigen Verhältnis zu selbiger, weshalb ich höchstens ein „MIT der Erde leben“ noch gelten lassen würde.
Generell betrachte ich solche Wortklauberei eher als Hemmnis für die eigentlichen Diskussionen.
@Ryan:
Die „Erde“ als Planetin aber schon 😉