Solidarische Landwirtschaft, Charity und unbezahlte Arbeit

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Nachdem ich in den letzten Jahren viel auf die Potentiale und Möglichkeiten von Solidarischer Landwirtschaft eingegangen bin1, möchte ich im Folgenden auf einige Zweifel hinweisen, die sich mir in letzter Zeit aufdrängten.

Solidarische Landwirtschaft“ als entpolitisierte Charity – Wohlstand und Reichtum der Mitglieder als limitierender Faktor

Um ihr Budget zu decken ist jede Solidarische Landwirtschaft darauf angewiesen in der alljährlichen Bieter*Innen-Runde genug Geld zusammen zu bekommen. Dieses Geld generiert sich aus den freiwilligen Beiträgen der Mitglieder.

Lebt man nun in einer Region (wie ich) die grundsätzlich „strukturschwach“ ist, also vom gesamtgesellschaftlichen Reichtum nicht viel abbekommt, dann schlägt sich dies auch oft in der Mitgliederstruktur nieder: Eine Solidarische Landwirtschaft in einer sehr wohlhabende Region kann sich einen höheren Durchschnittsbeitrag leisten, als andere, ärmere Regionen. Im Endeffekt heißt das für die strukturschwachen Regionen, dass selbst wenn alle Mitglieder an ihr Beitragslimit gehen, also so viel geben wie sie können, das Budget nicht gedeckt werden kann. Dies ist vor allem dann der Fall wenn die Gärtner*Innen und aktiven Mitglieder (s.u.) sich gute Löhne auszahlen und/oder in arbeitserleichternde Technik investieren wollen.

Zugespitzt heißt das: Projekte Solidarischer Landwirtschaft mit „armen“ Mitgliedern, können ihren Gärtner*Innen nur Hungerlöhne zahlen, nichts investieren und, das ist wichtig, auch keine oder kaum Mitglieder mittragen die wenig oder nichts beitragen können. Ganz anders als in einem Projekt mit „reichen“ Mitglieder; hier ermöglichen überdurchschnittlich hohe Beiträge wohlhabender Mitglieder, gute Löhne, Investitionsfreudigkeit und den Umstand das viele Menschen die wenig oder gar nichts finanziell beitragen können, trotzdem mitgetragen werden können.

Die Aufhebung der Tauschlogik; also das Menschen mit Produkten versorgt werden auch wenn sie nichts zum Projekt beitragen, hängt also von wohlhabenden Gönnern ab, die das Projekt monetär mit überdurchschnittlichen Beiträgen unterstützen.

Ist Solidarische Landwirtschaft also im gerade genannten Sinne nichts weiter als neoliberale „Charity“2, die Gönnern ermöglicht sich ein gutes Gewissen zu erkaufen? Und nimmt Solidarische Landwirtschaft, wie so manch zivilgesellschaftliche Projekte, den Staat aus der Pflicht eine Umverteilung des Wohlstand zu erzwingen? Denn in einer Solidarischen Landwirtschaft weiß niemand (anders als das Finanzamt) wie viel die einzelnen verdienen und ob sie nicht vielleicht doch mehr geben könnten weil sie im Geld schwimmen. Ebenso wenig wie dies transparent ist kann eine Solidarischen Landwirtschaft (anders als die Steuerfahndung) jemanden dazu zwingen dieses Geld auch in das Projekt abzuführen um anderen die Teilhabe zu ermöglichen. Offen bleibt also ob selbst dieser zweifelhafte „Charity“-Effekt in reicheren Gegenden tatsächlich eintritt. Schließlich kann es wie oben angedeutet auch sein, dass Menschen nur den „Durchschnitt“ zahlen obwohl sie mehr geben könnten; und das ganz klamm und heimlich.

In Frankreich beispielsweise gibt es vereinzelt AMAPs in denen die Einkommensverhältnisse offen gelegt werden. Dann wird nach einer festen Staffelung beigetragen. Das stellt sicher das diejenige die viel haben auch viel beitragen. Außerdem bekommen diese AMAPs staatliche Zuschüsse um Anteile für keine oder sehr geringe Beiträge an Familien und Einzelpersonen auszugeben die in einer finanziell schwierigen Situation sind.

Unbezahlte, ehrenamtliche Arbeit als Voraussetzung Solidarischer Landwirtschaft?

In den unterschiedlichen Projekten Solidarischer Landwirtschaft werden viele Aufgabe die nicht direkt das fachlich-landwirtschaftliche Tagesgeschäft angehen von den Mitgliedern übernommen. Oft heißt dies nicht-bezahlte, „ehrenamtliche“ Arbeit in größerem Umfang: Mitgliederversammlungen und Infoveranstaltungen organisieren; Buchhaltung und Steuererklärung erledigen; Verarbeiten, Haltbarmachen und Veredeln der überschüssigen Produkte; Öffentlichkeitsarbeit leisten; Kommunikationsstrukturen pflegen und so weiter.

Viele dieser Projekte stellen sich nach der euphorischen Anfangsphase und dem Aussteigen sehr aktiver Mitglieder aber die Frage wie diese Aufgaben auch langfristig abgedeckt werden können. In der Diskussion dieser Frage fallen dann schnell die unterschiedlichen Lebenssituationen der aktiven Mitglieder auf:

  • Die oben genannten wohlhabenden Mitglieder können ihr Engagement in der Solidarischen Landwirtschaft wirklich als Hobby und Ehrenamt betrachten und leben, weil sie einer Lohnarbeit oder Selbstständigkeit nachgehen die sie finanziell sehr gut absichert. Dies sichert ein gute Gewissen und vielleicht sogar moralische Autorität.
  • Andere aktive Mitglieder hingegen, steigen aber vielleicht relativ lautlos und mit schlechtem Gewissen aus dem Projekt aus, weil sie in ihrem eigentlichen Job schlecht bezahlt werden, prekär angestellt sind und für diese unbezahlte Arbeit in der Solidar ischen Landwirtschaft schlicht keine Zeit haben, weil sie alle Hände voll damit zu tun haben ihren Lebensunterhalt zu sichern.

Um diesen Ungleichheiten gerecht zu werden macht es Sinn vor der jährlichen Hauptversammlung und der Bieter*Innenrunde3 die Bedürfnisse der aktiv-gestaltenden Mitglieder abzufragen:

  • Wer hat Lust welche Aufgaben in der Solidarischen Landwirtschaft zu übernehmen?
  • Welche laufenden und Materialkosten fallen in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern an?
  • Kann er*sie unbezahlt arbeiten und wenn nein, welche Aufwandsentschädigung oder gar welchen Lohn brauchen die Aktiven für ihre Tätigkeit?

Dieses Vorgehen macht sicherlich auch dann Sinn, wenn sich Projekte Solidarische Landwirtschaft zukünftig vernetzen und projekübergreifende Strukturen wie z.B. eine Verarbeitungsküche mit Verarbeitungs-Crew aufbauen. Dann müssten alle beteiligten Projekte die Kosten dieser Struktur anteilig der Nutzung aufteilen und tragen.

Insgesamt sollte dieses Vorgehen dazu dienen, nicht nur den Bedürfnissen und Fähigkeiten der Gärtner*Innen und der passiven Mitglieder gerecht zu werden4 sondern auch den unerlässlichen, aktiven Mitgliedern im Projekt die Möglichkeit zu geben diesen Bedarf einzufordern. Aber auch hier, wie beim erst genannten Problem der Finanzierung, muss darauf vertraut werden, dass Menschen die ihren Lebensunterhalt mit Leichtigkeit bestreiten nicht darauf bestehen trotzdem entlohnt zu werden „weil alle anderes es ja auch werden“. Leider fehlt schließlich auch hier die Transparenz zur finanziellen Situation der Einzelnen.

Idealerweise aber macht dann also das gut-situierte Steuerberater-Mitglied weiterhin kostenlos die Steuererklärung für die Solidarische Landwirtschaft und die passionierten aber prekären Köch*Innen die die Verarbeitung des überschüssigen Gemüsese übernehmen werden vom Projekt so entlohnt, dass sie sich nicht anderweitig, entfremdet verdingen müssen.

Da aber Geld, wie oben beschrieben, der oft limitierende Faktor in Solidarischen Landwirtschaften ist, könnte nun die Frage gestellt werden ob nicht einzelne Aktive auch mit einem Freianteil also in Naturalien (z.B. Gemüse) „entlohnt“ werden könnten. Zu dieser Idee gibt es zwei Aspekten:

  1. kann nur derjenige Anteil vom Lohn in Naturalien „gezahlt“ werden den die Person sonst auf dem Markt für diese Produkte ausgeben müsste; der Umfang dieser Möglichkeit ist also begrenzt.
  2. macht es keinen Unterschied ob eine Person angibt einen Lohn von 100 € / Monat für eine bestimmte Tätigkeit zu brauchen und dann für 100 € einen Anteil in der Solidarischen Landwirtschaft erwirbt oder das Gemüse direkt zur Verfügung gestellt bekommt.

Wichtig ist bei all diesen Überlegung und Optionen vor allem, dass die Bedürfnisse der Aktiven in Anbauplanung (Naturalien) und Budget (Lohnkosten) einbezogen werden und alles was über den Naturalien-Bedarf hinaus geht auch „bar ausgezahlt“ werden kann.

Weitere Gedankenfetzen zu Solidarische Landwirtschaft und Kapitalismus

Jenseits der zwei beschriebenen Dilemmata gibt es noch andere Stellen an denen die Verstricktheit von Solidarischer Landwirtschaft in den Kapitalismus deutlich wird und die hier als Gedankenfetzen erwähnt werden sollen:

  • Für die freiwilligen Beiträge der Mitglieder die das Budget decken muss jedes von ihnen selbst seine Arbeitskraft verkaufen
  • Um einen Betrieb am laufen zu halten greifen die Gärtner*Innen beim Kauf von Betriebsmitteln andauernd auf kapitalistische Vergesellschaftung zurück
  • Die Tauschlogik wird oft in nur in eine Richtung aufgebrochen: Wenn die oben genannten (problematischen) Voraussetzungen stimmen könne Menschen ohne beizutragen die Produkte beziehen; dass aber Leute mitmachen, die keine Erwartung haben für „ihren Beitrag“ auch „ihre Produkte“ zu bekommen ist selten. „Wenn kein Gemüse dann kein Geld“ könnte die die zugespitzte Losung der meisten Mitglieder lauten.

Perspektiven

Solidarische Landwirtschaft bleibt unbestritten ein unersetzliche soziales Experimentierfeld jenseits kapitalistische Vergesellschaftung. Letztendlich zeigen auch Begegnungen mit Landwirt*Innen und Gärtner*Innen immer wieder, dass der Wunsch nach dem freien Tätigsein in der Landwirtschaft ein Katalysator für die Verbreitung Solidarischer Landwirtschaft ist und bleibt der immer stärker werden wird.

 


 

1 Siehe dazu die Artikelsammlung unter https://keimform.de/author/jhc/

2 Charity: englisch für Wohltätigkeit

3 Zur Funktionsweise von Solidarischer Landwirtschaft grundsätzlich siehe: https://keimform.de/2012/commoning-konkret/

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