Garantiertes Grundeinkommen in Zypern?
Wenn neoliberale Präsidenten ein Grundeinkommen einführen wollen — wie kann das nur aussehen? Richtig: bedingungsvoll und bedürftigkeitsabhängig. Zyperns Präsident Anastasiades hat ein »garantiertes Grundeinkommen« für alle Bürger*innen ab Juni 2014 angekündigt. Übrigens in Absprache mit der Troika (PDF). Das Grundeinkommen solle ein »würdiges Leben unabhängig von Alter, Klasse oder beruflicher Situation« sicher stellen.
Diese Probleme sind mir spontan aufgestoßen:
- Bedingung Arbeit: Eine zugewiesene Arbeit muss akzeptiert werden, sonst gibt’s nicht. Es handelt sich also um eines der üblichen Workfare-Programme, wie es auch hierzulande für Hartz-4 typisch ist. Manche nennen es auch Zwangsarbeit.
- Nur für Bedürftige: Das Grundeinkommen solle es erst nach Bedürftigkeitsprüfung geben, nur wer arm genug ist, erhält es. Selbst Grundeinkommensbefürworter befürchten hier Einstiegshürden mit Armutsfalle.
- Sozialrationalisierung: Das Grundeinkommen soll die bisherigen Zuschuss-Systeme ablösen. Vielfachprüfungen auf den jeweiligen Feldern (Wohnen, Strom, Lebensmittel, Kinder, Arbeitslosigkeit etc.) werden abgeschafft — ein Rationalisierungsprogramm des Restsozialstaats angepriesen als Bürokratieabbau.
- Armutshöhe: Es ist derzeit nur Spekulation, aber angesichts des ökonomischen Zusammenbruchs von Zypern und der drastisch gesunkenen Steuereinnahmen ist alles andere als ein Grundeinkommen auf Armutslevel reines Wunschdenken.
Kurz: Daran gibt es nichts gut zu finden. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass die Meldung noch keine große Werbe-Runde Pro Grundeinkommen gemacht hat. Wer darin einen ersten Schritt zum einem Bedingungslosen Grundeinkommen zu sehen vermag, ist komplett naiv. Leider hat sich meine schon länger gehegte Befürchtung bestätigt, dass das Grundeinkommen, wenn es denn kommt, dann genau so aussieht wie jetzt in Zypern geplant.
Hi Stefan
Danke für den interessanten Text, wusste von der Initiative in Zypern nichts. Warum aber wird sie als eine Initiative pro Grundeinkommen interpretiert, sie entspricht ja offenbar in keiner Weise dem, was unter einem Grundeinkommen im Rahmen von BIEN etc. verstanden wird?
(Auch im Englischen nicht, wie ich dem Titel des verlinkten Artikels entnehme, es ist eben schon ein Unterschied zwischen dem von BIEN etc. erhofften Basic Income und einem wie in Zypern angedachten Minimum Income, auch wenn dieses „Guaranteed“ sein soll, was ja augenscheinlich bloße Rhetorik ist.)
Von dieser Frage abgesehen: Das Grundeinkommen drückt im guten Fall soziale Kämpfe aus, die den Zwang der Waren- und Geldform praktisch zurückdrängen, durch direkte Aneignung von Ressourcen, Unterminierung der Lohnarbeit, Aufweichung staatlicher Form.
Das ist Thema eines Artikels, den ich für einen von einer Grundeinkommensgruppe in Aschaffenburg geplanten Sammelband verfasst habe, der bei Unrast 2014 erscheinen soll.
Ich beziehe mich in dieser dort zu veröffentlichenden Argumentation vor allem auf die historischen Erfahrungen der Autonomia in Italien in den 1970er Jahren, die ja eine große Bewegung des Commoning durch Revolte bezeichnete (die Autonomia sensu lato interpretiert, also mitsamt ihres chronologischen Vorlaufs und synchronischen Vorhofs). Es ist eben kein Zufall, dass in diesem vielfältigen Bewegungskomplex, der vom bewaffneten Kampf bis zum radikalen Feminismus reichte, mit Jugendbewegungen, breiter Anti-Arbeitsbewegung und diversen ökologisch fokussierten Strängen dazwischen, die Forderung nach einem Grundeinkommen erstmals die Bühne betritt außerhalb gelehrter Abhandlungen. Und es ist dann auch nicht verwunderlich, dass der Forderung selbst keine besondere Bedeutung zukam in der sozialen Auseinandersetzung damals, auch wenn sie sich in Texten der Akteure findet. Sie drückte nämlich nur aus, in der widersprüchlichen Form des Geldes, was die Leute ohnehin praktizierten – und letzteres war das viel wichtigere.
Fortschritte in den Bewegungen hätten vermutlich auch den Stellenwert dieser Forderung verändert, vielleicht stärker betont, vielleicht ganz im Gegenteil weiter abgeschwächt – immerhin war ein bedeutender und für die Forderung nach dem Grundeinkommen wichtiges Topos ja die Ablehnung des Bezahlzwangs überhaupt.
Das Grundeinkommen als Modell gedacht, wird niemals umgesetzt werden, das sehe ich auch so – allerdings illustriert das nicht Zypern, wie ich finde, sondern der noch viel einfachere Umstand, dass es das Grundeinkommen nirgendwo gibt und auch keine politische Kraft, die es ernsthaft voranzutreiben vermag; bislang jedenfalls. Denn dies gelänge eben nicht durch diese Forderung, sondern durch radikale soziale Praxen.
Um diese Sichtweise in eine Formel zusammenzuziehen: Das Grundeinkommen drückt im guten Fall einen bestimmten Stand der sozialen Kämpfe gegen die Waren- und Geldform aus (einen frühen Stand, wie ich meine). Es handelt sich dabei also nicht um ein zu erreichendes Ziel, sondern um einen Ausdruck von Kräfteverhältnissen, eine Übersetzung des „Wir wollen alles“ (der historischen Autonomia) in einen diese Verhältnisse in Betracht ziehenden Begriff.
Wer nun meint, dann könnte man auf das Grundeinkommen als Forderung doch auch gut verzichten, überspitzt mich etwas, hat aber wohl nicht ganz Unrecht oder jedenfalls einige Argumente auf ihrer oder seiner Seite. Alles weitere in besagtem Artikel…
LG Andreas