»Big Society« — der kommende Hype?
So groß waren meine Kristallkugel-Fähigkeiten nicht, um vorherzusagen (Folie 23, Folie 39), was nun tatsächlich kommt: Die Nutzung der Commons, um den Sozialstaat abzuschaffen. »Big Society« nennt sich die »Idee«. Sie war Teil des Wahlpogramms der Tories und wurde vom neuen britischen Staatschef David Cameron als Handlungsleitlinie der Regierung vorgestellt.
Was ist dran an der »Big Society«, ist alles nur ein schlauer Coup der Rechten? Oder gibt es — eben weil dahinter Elemente der Commons-Ansatzes stecken — auch Chancen für die Commons? Dieser kleine Artikel wird keine erschöpfende Antwort geben, zu schwammig sind die bisherigen Infos. Aber ich sage mal mutig voraus: Es dauert nicht lange, dann wird die »Idee« auch auf dem Kontinent entdeckt — fehlt den hiesigen Regierungen doch eine echte »Leitidee«. Dann aber werden uns die Commons noch so richtig um die Ohren fliegen…
So sehen die Ziele von »Big Society« aus:
- Mehr Macht den Gemeinschaften/Gemeinden
- Ermutigung der Leute, eine aktive Rolle in ihrer Gemeinde zu übernehmen
- Übertragung von Macht von der Zentrale zu lokalen Regierungen
- Unterstützung von Kooperativen, Freiwilligenverbänden, Wohlfahrtsorganisationen und sozialen Unternehmen
- Veröffentlichung von Regierungsdaten
Zu diesem Zweck soll eine »Big Society Bank« gegründet werden, die Anschubfinanzierungen für Start-up-Initiativen bereitstellt. Vier Gemeinden wurden als Testfelder ausgewählt.
Zunächst sieht das Konzept nach einem »alternativen Kürzungsplan« aus, bei dem Freiwillige unbezahlt das machen sollen, was früher staatlich organisiert war (entsprechend protestieren die Gewerkschaften). Doch im Unterschied zur neoliberalen Tirade der Privatisierung-löst-alle-Probleme, sollen mit »Big Society« nicht weitere Funktionen an den Markt, sondern an die Menschen vor Ort übergeben werden — zumindest die Funktionen, die sich im Wortsinne nicht mehr »vermarkten« lassen. »Big Society« trifft in jedem Fall auf existierende Ansätze des DIY Britain und der unvermeidlichen Lokalgeld-Initiativen.
Interessant ist es, danach zu fragen, ob »Big Society« Funktionen des Marktes genauso übernehmen kann wie solche der Regierung. Dazu müssten sich existierende Basis-Bewegungen den Ansatz aneignen und mit eigenen Forderungen verbinden. Denn es liegt aus meiner Sicht auf der Hand: Ohne Ressourcen ist »Big Society« nur ein kommunitaristisches Entstaatlichungsprogramm. Die erste Forderung muss also sein: Her mit den Ressourcen, her mit den Gebäuden, den städtischen Flächen, dem Land, den Produktionsmitteln — und nicht nur Geld (das aber auch).
Diese Bewegung in Europa ist tatsächlich spannend. Aus ideengeschichtlicher Perspektive finde ich nachgerade amüsant, wie anarchistische oder syndikalistisch anmutende Gesellschaftsentwürfe aus entgegengesetzten Polen des politischen Spektrums entstehen. In Südamerika können wir in einigen Metropolen ähnliche Selbstverwaltungsprojekte beobachten, die allerdings ursprünglich aus linken Utopien der Arbeiterbewegung entstanden, während sich die Briten wohl auf Entwürfe der liberalen Tradition stützen. Gerade vor diesem Hintergrund verschiedener Genesen vergleichbarer Ideen scheint mir das Potential der Commons um so größer.
Das „her mit den Ressourcen“ ist tatsächlich wichtig. Ich war schon immer der Meinung, auch wenn wir sagen, dass Geld in Commons keine zentrale Rolle spielt, so ist es doch wichtig über den Commons die Umverteilungsdebatte nicht zu vergessen – es muss dann heißen, Umverteilung um Commons zu schaffen. Wobei man natürlich nicht nur Geld umverteilen kann. Denn ohne Umverteilung wird das wieder nur ein Wellness-Programm für die sogenannte Mittelschicht.
Ich glaub aber nach wie vor, dass die Frage Commons oder Kommunitarismus sich nicht nur an den Ressourcen entscheidet, sondern auch an den Regeln und den geteilten Werten. Sollen diese Bürgerprojekte nur das Funktionieren des Kapitalismus sicher stellen, indem sie seine Schäden reparieren und die Menschen dementsprechend sozialisieren, oder soll es ein Beruhigungs- und Ablenkungsprogramm für die durch Krise und Arbeitslosigkeit verunsicherte Bevölkerung sein, oder dürfen dort echte Alternativen zum Kapitalismus wachsen? Und so etwas kann man einerseits durch geschickte Moderationsprozesse steuern, da kommen dann vielfach „Pseudopartizipationsprojekte“ heraus, aber solche Prozesse enthalten natürlich andererseits immer auch die Chance, dass daraus wirklich etwas Emanzipatorisches entsteht. Wenn man BürgerInnen mitreden und vor allem auch mitgestalten lässt, kann man nie ganz kontrollieren was herauskommt.
Das erste Treffen der »Town Hall Tour« zur Einführung der »Big Society« hat am Stockport College (Greater Manchester) stattgefunden — und war aus Sicht der Regierung ein Flop. Die Leute haben die beauftragten Veranstalter genervt mit Fragen nach ihrer (Veranstalter) Bezahlung und gegen die Kürzungen protestiert. Die Stimmung sei echt »ugly« (hässlich, mies) gewesen, schreibt der Guardian. In Zukunft werde man die Treffen »nicht in diesem Format« (sprich: offen) durchführen, wo die Leute immer nur über die Kürzungen diskutieren wollten, so der Veranstalter.
Hehe, geht ja rasant bergab mit der Bürgerbeteiligung 😉
Was das Konzept selbst betrifft, habe ich mir schon seit längerem angewöhnt, nicht nur von „Commons“, sondern immer von „commonsbasierter Peer-Produktion“ zu sprechen. Die Commons haben so viele Anknüpfungspunkte, dass sie fast überall gut ankommen können (wie ja Benni schon betont hat), deshalb ist da die Gefahr einer Vereinnahmung von liberaler oder rechter Seite sehr real. Fügt man „Peer-Produktion“ hinzu, wird diese Gefahr deutlich geringer (weil „Peer“ = Gleichberechtigte, die nicht nur tun was man ihnen sagt; „Produktion“ = nicht nur Lückenbüßerei).
http://www.heise.de/tp/blogs/8/148700