Thesen zum Informationskapitalismus (2)

„Wer den Kapitalismus nicht überwinden will hat ihn nicht verstanden.“ (Franz Schäfer)

Vor einiger Zeit habe ich ja hier mal meine Thesen zum Informationskapitalismus vorgestellt. Die Diskussion auf Open Theory verlief sehr rege, aber meiner Wahrnehmung nach zum großen Teil am Thema vorbei. Das liegt wohl vor allem daran, dass mir selbst garnicht so genau klar war, was eigentlich das Thema ist. Das will ich jetzt in diesem zweiten Teil der Thesen mal versuchen darzustellen. Diesmal zur Abwechslung mal nicht auf Open Theory sondern hier.

  1. Kapitalismus zu verstehen heißt, seine Innovationsdynamik zu verstehen.
  2. Marx hat das quantitativ beschrieben. Eine qualitative Beschreibung dieser Dynamik war ihm nicht möglich.
  3. Und zwar aus folgenden Gründen:
    1. Kategorial war es nicht möglich, weil eine qualitative Analyse von Innovation sich um den Gebrauchswert drehen muß. Dieser ist aber aus der ökonomischen Theorie notwendig „ausgesperrt“, weil diese Theorie ebenso notwendig quantitativ sein muß (sonst wäre sie ja nicht mehr ökonomisch). Das berühmte Maschinenfragment in den Grundrissen ist ebenso Ausdruck dieses Dilemmas, wie das spätere Ignorieren dieses Themas.
    2. Historisch war es nicht möglich, weil die Automatisierung in ihren heutigen Ausmaßen damals nicht vorstellbar war.

    Dass es im Maschinenfragment dennoch so aussieht, als sei es vorstellbar, ist Ausdruck der kategorialen Logik, die dahin führt, aber dann eben auch ihr Ende finden muß. Diese Schranke kann man erst überschreiten, wenn man in einer neuen historischen Situation ist.

  4. Später gab es den Versuch von Kondratjew und Schumpeter die Innovationsdynamik zu verstehen mit Hilfe der langen Wellen. Das ist, da in einem späteren Stadium des Kapitalismus angesiedelt, schon etwas ausgefeilter. Aber scheitern musste es aus den selben Gründen, nur mit mehr Aufwand. Dennoch kann man daraus lernen, dass sich die Innovationsdynamik des Kapitalismus in längeren Zeiträumen abspielt, als es noch bei Marx betrachtet wurde und dass es Phasen gibt, in denen bestimmte Innovationskomplexe bestimmend sind.
  5. Wenn es darum geht, die Analyse von Ökonomie und Innovation zu verbinden, stehen wir also vor dem Dilemma, die quantitative Seite mit der qualitativen Seite des Werts zu verbinden. Es geht also um die Quantifizierung des Gebrauchswerts. Was nichts anderes ist als die Quadratur des Kreises.
  6. Dennoch ist die Lage nicht aussichtslos, weil diese Quadratur des Kreises ja gerade ein Kernwiderspruch des Kapitalismus ist. Genau das ist ja sein alltägliches Geschäft. Also kann man diesen widersprüchlichen Prozeß auch beobachten und analysieren. Darin besteht ja gerade die Dialektik: Trotz Widerspruch das Denken nicht einzustellen.
  7. Hier kommen jetzt meine Thesen in ihrem ersten Teil zum Einsatz: Die Analyse von Moores Law als ökonomischem Gesetz ist genau der Versuch diesen Widerspruch zu denken.
  8. Dabei handelt es sich gerade nicht um Science Fiction, sondern um eine Analyse der Gegenwart. Mich hat das nämlich zu der Überzeugung gebracht, dass Moores Law schon jetzt die Innovationsdynamik des Kapitalismus verändert hat.
  9. Das spezifische am Informationskapitalismus ist also, dass er nach einer neuen Innovationslogik funktioniert, die es so in der Geschichte des Kapitalismus noch nicht gab. Diese neue Logik – obwohl qualitativ neu – lässt sich sozusagen als quantitativer Schatten an Moores Law beobachten. Eine verzerrte Form dieser Erkenntnis fand und findet sich auch in den Hypes um die „new economy“ und das kommerzielle „Web 2.0“. Anderson ist da wohl momentan mit „Long Tail“ und „Free“ die prominenteste Figur, die zumindestens ein bisschen weiter denkt als der Rest, auch wenn das natürlich weiterhin verzerrt bleibt durch die eingeschränkte systemimmanente Sicht des Geld verdienen wollens.
  10. Die Frage wie lange Moores Law noch gilt, ist also nicht die entscheidende. Schon jetzt ist klar: Es wird keine neue Kondratjew-Welle mehr geben. Es wird irgendetwas anderes statt dessen geben, nur was, ist notwendigerweise unklar. Das schließt ein Weiterexistieren des Kapitalismus mit einer bisher noch unbekannten neuen Innovationsdynamik ebensowenig aus, wie einen antizivilisatorischen Zusammenbruch oder einen emanzipativen Umbruch.
  11. Dennoch ist all das nicht egal, weil es den Rahmen für unser Handeln neu steckt. Denn es gilt eben: „Wer den Kapitalismus nicht überwinden will hat ihn nicht verstanden.“ Und ich meine, wir haben ihn in seiner aktuellen Dynamik viel weniger verstanden, als es mit all dem marxistischen Theoretisieren den Anschein hat.

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