Einladende Kooperation
Commonismus als gesamtgesellschaftliche Alternative. Eine Replik auf die Thesen von Meinhard Creydt
Erschienen in: junge Welt, 29.01.2025
Von Stefan Meretz und Simon Sutterlütti

Am 28. November 2024 veröffentlichte Meinhard Creydt in der jungen Welt den Essay »Keine Alternative« zu Commons und Commonismus. Der Text beginnt vielversprechend damit, dass Commons die Elementarform des Commonismus sein können, so wie die Ware die Elementarform des Kapitalismus ist. Doch die Betonung liegt hier auf »können«, im Gegensatz zum Kapitalismus gibt es kein ausgeformtes System des Commonismus. Folglich auch keine Elementarform Commons, denn nur in der vollen Ausfaltung stellen sich die entsprechenden Verhältnisse von Element und System ein. Vor einem Commonismus haben die Commons bestenfalls Keimformcharakter, tragen also zwar die Möglichkeit der Verallgemeinerung in sich, bewegen sich jedoch unter realkapitalistischen Bedingungen in einer ihnen feindlichen Umwelt. Das berücksichtigt der Autor nicht, er schließt umstandslos von widerspruchsvollen Real-Commons auf den potentiellen Commonismus.
Im folgenden sollen einige Aspekte der – heterogenen – commonistischen Theorieentwicklung skizziert werden.¹ Beginnen wir bei den Commons im Commonismus, einer Gesellschaft jenseits von Geld, Markt und Staat. Alles kann Commons sein, Creydt hat die Bestimmungen korrekt benannt: Es geht um Ressourcen, auf die sich Menschen beziehen und sich dabei selbst organisieren. Ressourcen sind dabei sehr breit zu denken. Im Grunde sind es alle Voraussetzungen und Produkte, die wir für unsere Bedürfnisbefriedigung brauchen (Wasser, Computer, Kindergärten, Tofu etc.). Entsprechend vielfältig ist der Bezug auf diese Ressourcen: herstellen, pflegen, nutzen etc. Auch die Art der Selbstorganisation ist folglich nicht uniform, sondern richtet sich nach den Anforderungen der Sache und den Bedürfnissen der Beteiligten: Sie wird ausgehandelt. So können wir uns Betriebe in Regie der Arbeiterinnen und Arbeiter genauso vorstellen wie die Sorge für Kinder durch Erzieherkollektive oder die Renaturierung eines Flusses durch Anlieger – überall ist Commoning möglich. Commons und Commonismus betonen somit Ebenen, die der Marxismus und die traditionelle Arbeiterbewegung tendenziell vernachlässigt haben: Lokalität, Dezentralität und Organisation von unten, aber nicht auf Kosten der Allgemeinheit (auch wenn das in der Commons-Bewegung vorkommt), sondern um einer neuen Allgemeinheit und Gesellschaftlichkeit willen.
An der Basis ist die Sache klar, wenn sich die Menschen interpersonal direkt abstimmen können. Wie sieht es aber mit arbeitsteiligen Produktionsketten aus? Schließlich brauchen die drei genannten Beispiele von Commons Geräte, Maschinen und Vorprodukte, damit sie tätig werden können. Hier haben wir es mit transpersonalen Beziehungen von unter Umständen sehr vielen Menschen zu tun, die einander nicht mehr kennen und dennoch indirekt kooperieren. Das geht nicht mehr ohne gesellschaftliche Planung. Doch wie soll Planung funktionieren, wenn es kein Geld, keinen Markt und keinen Staat gibt?
Verteilte Planung
Planung beruht auf der gedanklichen Vorwegnahme der Produktion. Alle Aspekte können vorab in Beziehung gesetzt und optimiert werden. Auch gesamtgesellschaftliche Ziele – etwa CO2-Reduktion, Biodiversitätserhalt, Zeiteffizienz – werden integriert. Das kann kapitalistische Planung nicht. Kapitalunternehmen planen durchaus, genauso wie die Regierungen der Nationalstaaten, doch alle Akteure sind auf sich zurückgeworfen und verfolgen nur ihre bornierten Interessen. Deswegen kommen internationale Abkommen so schwer zustande und werden dann häufig nicht eingehalten. Nur gesellschaftliche Planung kann uns aus den vielfältigen Krisen heraushelfen. Doch welche Planung?² Fünf Aspekte commonistischer Planung sollen kurz vorgestellt werden.
(1) Planung so nahe an der Produktion wie möglich. Eine wichtige Erkenntnis realsozialistischer Praxis war, dass die Entfremdung mit der Entfernung der Planung von der Produktion zunahm. In der DDR wurde zwar in den 1960ern mit einer »Planung von unten« direkt zwischen den Betrieben experimentiert, doch schnell bildete sich ein Betriebsegoismus heraus. Ab 1971 wurde das »Neue Ökonomische System« dann durch die »Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik« ersetzt. Nicht nur hatten wir es bei den Wirtschaftsreformen von 1962 bis 1970 mit einer Form lohnarbeitsbasierter und damit kapitalistischer Planung zu tun, es fehlte auch an mittleren Planungsebenen. Commonistische Planung basiert auf polyzentralen Strukturen. Der Großteil der Planung läuft betriebsnah, manches kommunal, regional oder sektoral, und einiges zentral. Die Planung ist also nicht per se dezentral, sondern verteilt und umfasst je nach Thema mehr oder weniger große Bereiche.
(2) Planung von Meta-Commons für andere Commons. Kleine Betriebe können selbst planen. Doch mit zunehmender Betriebsgröße wächst die innerbetriebliche Aufgabenteilung. Planung wird zur Spezialaufgabe und kann nun auch ausgelagert werden. Mehrere Betriebe oder genauer, betriebsübergreifende Abschnitte einer Produktionskette, können sich zu Föderationen zusammenschließen und die Planung an Meta-Commons delegieren. Das kennt man heute von Planungsbüros, die eine komplexe Aufgabe stemmen (Brückenbau etc.).
(3) Planung mit sachlichen Größen (»in natura«), nicht mit Wertgrößen. Sachgrößen spiegeln die sinnlichen Bedürfnisse wider (»Gebrauchswert«), während Wertgrößen sie eliminieren und abstrakte Einheiten (»Wert«) an ihre Stelle setzen. Werden diese Wertgrößen dann noch zum Selbstzweck, wie der Profit im Kapitalismus, kommen all jene Bedürfnisse unter die Räder, die sich nicht rechnen oder nur Kosten darstellen: die ökologische Umwelt, Sorgetätigkeiten, Arbeitsbedingungen, Klima etc. Diese Frage »in natura versus einheitliche Rechengröße« findet sich in der Planungsdebatte immer wieder. Cockshott/Cottrell, aber auch Laibman und Hahnel/Albert argumentieren für eine Einheitsgröße für die Optimierung, andere wie Vettese/Pendergrass und wir dagegen.
(4) Planung auf Basis digitaler Vernetzung. Um die Komplexität der In-natura-Planung zu bewältigen, braucht es Computer und Netzwerke. Zwei Aufgaben sind zu lösen. Erstens braucht jede planende Einheit Einsicht in die gesamte Produktionskette, um ihre Planung darauf abzustimmen. Mit Tools zu Lebenszyklusanalysen (engl. LCA) ist das heute schon möglich. Zweitens sind Protokolle zur strukturierten Koordination entlang der Produktionsketten erforderlich. Denn nur wenn alle beteiligten Produzenten ihren Beitrag zusichern, kann die arbeitsteilige Produktion laufen. Auch für solche Protokolle gibt es Vorbilder (etwa Activity Pub). Hier ist noch Entwicklungsarbeit zu leisten, denn nicht weniger als der Ersatz von anonymen Marktbeziehungen und Top-down-Planbefehlen ist zu erreichen.
(5) Planung mit Beratschlagung. Produktion und Planung betreffen die Menschen vor Ort und die mehr als menschliche Welt (»Natur«). Die real oder potentiell Betroffenen oder Stakeholder sind Teil der Planung. In einem deliberativen Prozess (Deliberation ist gleich Beratschlagung) werden ihre Bedürfnisse mit einbezogen. Beratschlagungen sind auch nötig, wenn Konflikte auftreten. In Konfliktschleifen können die Betroffenen mit Unterstützung von Beratungs-Commons neue Lösungen erarbeiten, die die Bedürfnisse aller so gut es geht einbeziehen.
Was sorgt nun aber dafür, dass Planung und Produktion funktionieren, wenn die »unsichtbare Hand des Marktes«, die eine Peitsche hält, nicht mehr wirkt? Wenn Geld als Vermittlungs- und damit Zwangsmedium wegfällt, bleibt nurmehr die einladende Kooperation, denn allein kann ein Betrieb nichts erreichen. Nur wer Kooperation maximiert, setzt die eigenen Ziele um. Und Kooperation klappt nur, wenn die Bedürfnisse beider Seiten inkludiert sind. Damit bildet sich eine Logik der Inklusion aus. Die Dienstleistung der planenden Meta-Commons auf den verschiedenen Ebenen besteht darin, die Kooperationsorientierung in verbindliche Vereinbarungen, also Pläne, umzusetzen. Die volle Informationstransparenz (statt Betriebsgeheimnissen wie heute) sorgt dafür, dass sich niemand Vorteile auf Kosten von anderen ermogeln kann.
Produktive Bedürfnisse
Viele Ansätze einer solidarischen Gesellschaft akzeptieren das Theorem des Homo oeconomicus, des nutzenmaximierenden isolierten Individuums, und schließen daraus, dass man die Menschen zur Arbeit zwingen muss, da sich sonst alle in die Hängematte legen und auf die anderen verlassen. Um einen Arbeitszwang in einer mehr oder weniger netten Form käme man folglich nicht herum. Diese Ansätze verkennen die Macht der materiellen Nahelegung. Haben Menschen keine Verfügung über Produktionsmittel und sind zugleich aber auf Geld angewiesen, sind sie gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Lebensgestaltung ist dann nur im privaten Bereich in Form von Konsum möglich. Das deckt jedoch nur die Hälfte der menschlichen Bedürfnisse ab, nämlich die sinnlich-vitalen. Die andere Hälfte, die produktiven Bedürfnisse, liegt brach oder kann sich in der Zwangsjacke der entfremdeten Arbeit nicht wirklich entfalten. Produktive Bedürfnisse spiegeln unseren Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe und tätiger Sorge und Vorsorge. Daraus ist ein radikaler Schluss zu ziehen: Nicht nur Arbeit, sondern alle Tätigkeiten, die gesellschaftlich notwendig sind, müssen freiwillig sein.
Commonismus stellt somit eine Alternative zu Marktwirtschaft und Realsozialismus dar, die eine gemeinsame Grundlage teilen: Lohnarbeit, oder harscher ausgedrückt: Arbeitszwang. Indem der Commonismus diese Grundlage klassisch kommunistisch überwindet, überwindet er auch, was der Ruin des Realsozialismus war: eine sozialistische Gesellschaft auf kapitalistischer Grundlage – Eigentum, Warenproduktion, Lohnarbeit, Geld, Staat bei Suspendierung der Marktkonkurrenz – aufzubauen. Trotz aller Ideologie herrschte im Realsozialismus leider am Ende der Tauschwert, nicht der Gebrauchswert, den Arbeitern und Arbeiterinnen ging es um den Lohn und nur sekundär um vernünftige Produktion, den Betrieben um Planerfüllung und nur sekundär um den Gebrauchswert ihrer Produkte.
Doch werden dann alle notwendigen Tätigkeiten getan? Wichtig ist: Freiwilligkeit steht nicht gegen Notwendigkeit. Im Gegenteil, erst wenn die Tätigkeiten nicht mehr erzwungen werden, können wir Notwendigkeiten in voller Verantwortung übernehmen. Sind die sinnlich-vitalen Bedürfnisse von allen Menschen garantiert abgedeckt, weil die lebenswichtigen Produkte für alle frei zugänglich sind, kann uns niemand zwingen, eine Tätigkeit zu tun, die wir nicht tun wollen. Wir können uns frei entscheiden, die Verantwortung für Kinder zu übernehmen und die damit verbundenen Anstrengungen auf uns zu nehmen. Wir können uns frei entscheiden, unangenehme Arbeiten durch Maschinen zu ersetzen – oder eben nicht, wenn anderes aus unserer Sicht Vorrang hat. Wenn wir selbst kollektiv über die Mittel verfügen, ändert sich das Verhältnis zu den angenehmen wie unangenehmen oder anstrengenden Tätigkeiten komplett. Und es ändert sich das Konzept von Freiheit: Es ist nicht das isolierte autonome (meistens männliche) Individuum, das scheinbar frei ist, weil es sich von allen Abhängigkeiten unabhängig wähnt, sondern es ist das in vielfältige Beziehungen eingebettete Individuum, das um die realen Abhängigkeiten des Lebens weiß und darin einen eigenen Platz findet. Wenn wir (re)produzieren, tun wir das immer für andere, so wie andere es für uns tun.
Commons von vor zehn Jahren
Meinhard Creydt geht, wie gesagt, implizit von heute bestehenden Commons aus, also nicht von commonistischen Verhältnissen, wie wir sie skizziert haben. Commons, wie sie heute möglich sind, gleichen eher alternativen Inseln im Meer des Kapitalismus. Elinor Ostrom hat die interessante Frage gestellt, warum historische Commons überhaupt überleben konnten. Schließlich war der Prozess der sogenannten ursprünglichen Akkumulation ein sehr gewaltvoller, in dem die Menschen von ihren Subsistenzmitteln getrennt und die vorher allgemein zugänglichen Ressourcen eingehegt wurden (»enclosure of the commons«). Mehr noch: Garrett Hardin, auf den sich bis heute immer noch viele beziehen, hat behauptet, dass Commons untergehen müssen, weil die Beteiligten stets danach streben, allein ihren individuellen Vorteil zu maximieren – der Homo oeconomicus lässt grüßen. Als Ausweg bliebe nur Privatisierung oder Staatsregulation. Ostrom konnte zeigen, dass das empirisch nicht stimmt, und formulierte acht Bedingungen, unter denen Commons in einer feindlichen Umgebung überleben können. So verdienstvoll diese empirische Arbeit war (sie bekam dafür den Wirtschaftsnobelpreis), so wenig konnte sich Ostrom eine commonistische Verallgemeinerung vorstellen. Ihre theoretischen Grundlagen bewegen sich völlig im Rahmen neoklassischer Ökonomietheorie. Was sie immerhin zeigen konnte, war der bornierte ideologische Gehalt der Neoklassik, die nur in der Dichotomie »Privat versus Staat« denken kann – und sich für den Markt mit isolierten Privatakteuren ausspricht.
Creydt hat gut nachgezeichnet, wie die Insel-Commons zum Trittbrettfahren und zum Ausschluss neigen. Privat- und Staatseigentum sind unterschiedliche Formen des Ausschlusses, ebenso das von Creydt genannte »gemeinsame Eigentum«. Er irrt aber, wenn er annimmt, Commons würden automatisch eine Form des Kollektiveigentums annehmen. Commons können mit allen Eigentumsformen existieren. Die von Creydt erwähnte »Freie Software« ist zum Beispiel – das mag viele verwundern – Privateigentum. Doch ihre Nutzungslizenz erlaubt die freie Nutzung, Veränderung und Verbreitung der Software. Es ist ein Hack: Eine rechtliche Ausschlussform, das Privateigentum in Form des Urheberrechts, wird genutzt, um den Nichtausschluss zu regeln. Solange es Commons also gelingt, die Exklusionslogik des Kapitalismus durch eigene und von außen anerkannte Regeln auszuhebeln, kann sich die Selbstorganisation der Commons entfalten. Enthalten diese eigenen Regeln jedoch keinen Selbstschutz gegen Schließung, kann es zu Entwicklungen kommen, wie Creydt sie am Beispiel der »Berggemeinde« beschreibt. Solange alle neuen Bergarbeiter in die Genossenschaft aufgenommen wurden, konnte sich die Berggemeinde als Commons behaupten. Als sie dieses Prinzip für neue Arbeiter aufgab und diese nur noch als Lohnarbeiter anstellte, begann der Zersetzungsprozess.
So läuft es unter kapitalistischen Bedingungen, unter denen Commons permanent von einer Wiedervermarktlichung bedroht sind. Kluge Commons schützen sich selbst vorm Eindringen kapitalistischer Logik. Ein weiteres Beispiel wäre das Mietshäusersyndikat. Auch hier sorgt eine spezielle rechtliche Konstruktion dafür, dass die Häuser des Syndikats dauerhaft dem Markt als Spekulationsobjekt entzogen bleiben. Dabei geht es dort immer noch um Geld: Häuser werden gekauft, Sanierung wird finanziert und Mieten müssen gezahlt werden.
All diese Konstrukte, von denen es noch viel mehr gibt, sind dazu da, Commons gegen die invasive, destruktive und exkludierende Logik des Kapitalismus zu verteidigen. Wie krass verändert wird sich die Situation im Commonismus darstellen, wo zentrale kapitalistische Institutionen schlicht nicht mehr vorhanden sind? Zuvorderst zu nennen sind hierbei zentrale Institutionen der Herrschaft: Geld, Markt und Staat. Wenn sie fehlen, kann sich die beschriebene Inklusions- und Kooperationslogik entfalten und stabilisieren.
Forschung
Das klingt nach einer schönen Utopie, aber kann das auch wirklich funktionieren? Das war die Frage des wissenschaftlichen Kooperationsprojekts »Die Gesellschaft nach dem Geld«, an dem sich vier Unis beteiligten und das von der Volkswagen-Stiftung finanziert wurde.³ In einem agentenbasierten Modell (ABM) entwickelte das Projekt Grundzüge einer commonistischen Gesellschaft und simulierte ihre Lebenszyklen im Computer. Besonderheit von ABM ist die Bottom-up-Modellierung. Dabei werden die einzelnen Akteure (»Agenten«) des Systems und ihre Interaktionen simuliert und deren emergentes (sich ergebendes) Verhalten beobachtet. Vorher ist also nicht klar, was herauskommt. Zwar verhalten sich die Agenten wie kleine Automaten, aber sie agieren nicht jedes Mal gleich, sondern ihre Aktionen unterliegen einer Zufallsverteilung. Was am Ende zählt, sind die statistischen Ergebnisse der Simulation.
Tatsächlich zeigten die Simulationen, dass eine commonistische Gesellschaft sich reproduzieren und alle ihre Mitglieder gut versorgen kann. Das ist vielleicht nicht so verwunderlich, aber immerhin steckten in der Theorie, auf deren Grundlage die Simulation erstellt wurde, keine groben Schnitzer. Interessant wurde es erst, als sogenannte Gruppenkulturen eingebaut wurden.⁴ Dabei unterschieden sich die Agenten hinsichtlich ihrer Grundorientierungen. Da gab es die eher ökologisch Kooperationsorientierten, die produktivistisch Outputorientierten, die egozentrisch Ausschlussorientierten und eine gemischte Zufallsgruppe. Unterm Strich zeigte sich, dass sich Kooperation durchsetzt, und zwar auch dann, wenn die weniger oder antikooperativen Gruppen von den kooperationsorientierten großzügig mitversorgt werden. So kommen wir zum bereits genannten Schluss: Wer Kooperation maximiert, setzt die eigenen Ziele effektiv um. In einer neuen Simulation soll untersucht werden, ob Degrowth, also die durchschnittliche Reduktion von Produktion und damit von Ressourcen- und Energieverbrauch, mit dem Commonismus in einer Weise so umgesetzt werden kann, dass niemand auf der Strecke bleibt. Dass das mit dem Kapitalismus nicht zu haben ist, dürfte vermutlich allen Lesern klar sein.
Transformation
Creydt schreibt: »Wer meint, auf der Ebene der Einzelteile – der Commons oder Genossenschaften – sei bereits im Vollbild präsent, was die Gesellschaft als Ganzes strukturieren soll, verwechselt die Gesellschaft mit der Gemeinschaft.« Dem ist ohne Abstriche zuzustimmen. Nach unserer Kenntnis behauptet das allerdings auch niemand. Was hier gleichwohl als spannende Frage aufgeworfen wird, ist die des Übergangs zum Commonismus, der Transformation. Braucht es dafür eine Übergangsgesellschaft, wie noch Karl Marx annahm und die Realsozialismus zu sein beanspruchte? Marx konnte nicht ahnen, dass die »Muttermale« der alten Gesellschaft in der harten Konkurrenz zum Kapitalismus eine derart große Schubwirkung in Richtung auf die volle Wiederherstellung der kapitalistischen Verhältnisse darstellen, wie wir es historisch erlebt haben. Zu ähnlich waren sich die Systeme, in deren Kampf der Kapitalismus obsiegte.
Daraus ziehen wir den Schluss, dass der Übergang nicht über eine eigene Zwischengesellschaft, sondern in einem widerspruchsvollen Prozess direkt auf commonistische Verhältnisse zielen muss. Indigo Drau und Jonna Klick haben sich in ihrem Buch »Alles für alle. Revolution als Commonisierung« ausführlich damit befasst. Sie entwickeln die Überlegung, dass nur in einem Dreiklang von Commons, sozialen Bewegungen und Basisorganisationen ein gesellschaftlicher Umbruch in Richtung einer solidarischen Gesellschaft zu schaffen ist. Dabei ergänzen sich die drei Momente jeweils mit ihren Stärken.
Commons können bereits im Hier und Jetzt keimformartig überdauernde Strukturen solidarischer Verbundenheit aufbauen. Die Stärke sozialer Bewegungen liegt in der konfrontativen Zuspitzung gesellschaftlicher Konflikte, um punktuell bestimmte Ziele zu erreichen. Und Basisorganisationen wie Nachbarschaftshilfen und auch gewerkschaftliche Betriebsgruppen können die unmittelbare Solidarität und Verbundenheit im Alltag ausbauen, um der Vereinzelung von links entgegenzuwirken. Das wird mit dem Druck, auf die fortschreitende Klimakatastrophe mit Anpassung zu reagieren, immer wichtiger. Preppen ist keine Sache der Rechten, die Dosenravioli horten und sich bewaffnen. Preppen kommt von »to prepare«, also sich solidarisch vorzubereiten auf krasse gesellschaftliche Effekte, die durch den Klimawandel induziert werden. Denn in zugespitzten gesellschaftlichen Konflikt- oder Notsituationen liegt auch immer ein Kairos-Moment, eine Gelegenheit für Veränderung in die richtige Richtung. Darauf wird es am Ende ankommen: Solidarität für alle, und das heißt Commons für alle, in einem Wort: Commonismus.
Anmerkungen
1 Zum Überblick: https://de.wikipedia.org/wiki/Commonismus
2 International hat sich das Netzwerk INDEP gebildet, in dem sehr vielfältige Ansätze der Planung diskutiert werden. Im deutschsprachigen Raum gibt es das Netzwerk Demokratische Wirtschaftsplanung. Die Seite www.demokratische-planung.de versucht eine Einführung in die Modelle, und die Zeitschriften Prokla und Luxemburg haben im vergangenen Jahr jeweils eine Ausgabe mit Schwerpunkt Planwirtschaft veröffentlicht.
4 https://doi.org/10.1007/s43253-023-00110-0
Stefan Meretz ist Ingenieur und Informatiker. Simon Sutterlütti ist Soziologe. Beide forschen seit längerem zur Theorie der Commons.
Wäre es vielleicht möglich, visuell darzustellen, was im Projekt »Die Gesellschaft nach dem Geld« genau gemacht wurde? Ich hätte gern ein Video davon, wie sich die „Agenten“, diese kleinen Automaten, in der Computersimulation bewegten, eine Computeranimation von der Computersimulation sozusagen.
Leider haben wir keine Animation der Agenten. Wobei man allerdings zuschauen kann, ist der Verlauf der Messwerte, die wir während der Simulation abgreifen, also so was wie die Anzahl der Agenten, die Zahl der Produkte, die Konsumtion, die Gruppengrößen, die Nachfrage, die Zufriedenheit, etc. Du kannst dir das als Screen mit 20 und mehr Diagrammen vorstellen, die permanent aktualisiert werden. Allerdings kann man sich das nur im Live-System anschauen.
Danke für euren Beitrag, lieber Stefan und Simon. Ich möchte speziell auf zwei eurer Sätze eingehen:
„Zuvorderst zu nennen sind hierbei zentrale Institutionen der Herrschaft: Geld, Markt und Staat. Wenn sie fehlen, kann sich die beschriebene Inklusions- und Kooperationslogik entfalten und stabilisieren.“ und „Daraus ziehen wir den Schluss, dass der Übergang nicht über eine eigene Zwischengesellschaft, sondern in einem widerspruchsvollen Prozess direkt auf commonistische Verhältnisse zielen muss.“
Wenn ich mich mit heutigen Ideen für eine postkapitalistische Gesellschaft beschäftige, muss ich manchmal an den Konflikt zwischen Lenin und Trotzki denken. Trotzki befürwortete den permanenten Kommunismus und lehnte Insellösungen ab. Das Problem mit den Insel- oder den oft aufgezählten Beispiellösungen ist, dass wir dem Wirtschaftswachstum hinterherrennen und es nicht einholen werden. Bildlich gesehen beträgt das jährliche Wirtschaftswachstum der gesamten Wirtschaftsleistung eines Landes wie Frankreich. Bis 2028 soll es um 25 Prozent wachsen. Uns läuft aber die Zeit davon, wir brauchen eine schnelle, globale Lösung.
Ich versuche immer, eure theoretischen Spitzfindigkeiten nachzuvollziehen aber für mich als Ingenieur stellt sich die Situation relativ überschaubar dar. Heute möchte ich folgendermaßen argumentieren: Warum ist es überhaupt ein Teilgebiet der Wirtschaft, die öffentlichen Dienstleistungen zu finanzieren? Geht das nicht weit über die eigentliche Aufgabe als Waren- und Dienstleistungsversorger hinaus? Das heutige kapitalistische System benutzt jedoch diese Verknüpfung als Druckmittel. Wenn nämlich das Wachstum nachlässt, welches nicht nur unseren Wohlstand sichern soll sondern welches hauptsächlich der Kapitalakkumulation dient, also die Ungleichheit immer größer macht, dann sollen wir das spüren, indem automatisch auch die Sozialleistungen kleiner werden.
Diese eigentlich überflüssige und im Grunde genommen unlogische Funktion der Wirtschaft ermöglicht es aber, dass sie vom Finanzsystem unter Druck gesetzt werden kann. Die Lösung hierfür wäre, dem Finanzsystem keinen Angriffspunkt mehr innerhalb der Wirtschaft zu bieten, also das Geld aus der Wirtschaft zu entfernen.
Da das Geld nur auf dem Wege der bezahlten Arbeit in die Wirtschaft gelangt, könnten alle Beschäftigten weltweit an einem bestimmten Stichtag für die Zukunft auf ihren Lohn verzichten. Dieser Anlass könnte ein globaler Generalstreik sein und der Drau/Klick’sche Kairos sorgt dafür, dass die Menschen anstatt die Arbeit niederzulegen um der Wirtschaft zu schaden, einfach weiterarbeiten, aber ohne Lohn. Dadurch bekämen die Waren keinen finanziellen oder Tauschwert und könnten freilich im Gegenzug kostenlos entnommen werden, sodass überhaupt keine Löhne mehr erforderlich sind. Kein Mensch wäre mehr ausgeschlossen und mit einem Schlag wäre Care-Arbeit und überhaupt alle Arbeit in der Reproduktion und in der Zivilgesellschaft genau so viel Wert wie heute bezahlte Arbeit. Die Geschlechter-Ungerechtigkeit wäre somit beseitigt.
Das grundsätzliche Problem, welches ich aus dem Beitrag von Meinhard Creydt herauslese ist, dass es ihm schwerfällt den Unterschied zu realisieren zwischen Tausch: Jeder strebt (auf dem Markt) nach seinem eigenen Vorteil – und Schenken: jeder versucht, dem Anderen eine Freude zu machen. Dieser rapide Übergang vom Tausch zum Schenken würde das gesellschaftliche Glücksempfinden mit einem Schlag in die Höhe schnellen lassen, sodass wir uns keine Sorgen darüber machen müssten, dass es funktioniert.
Ist euch übrigens schon einmal aufgefallen, dass es für die Gesellschaft jenseits des Kapitalismus keinen Begriff gibt? Meist sind es Namen, die kaum aussprechbar sind oder die in irgend einer Weise Beziehungen zu Gesellschaftsordnungen suggerieren, die nicht wie geplant funktioniert haben oder schlimmer noch, die auf Diktaturen hinweisen. Wie sollen sich die Menschen auf so etwas freuen und bei dessen Verwirklichung mithelfen?
Ich würde hier gerne den Begriff „Benharmonia“ vorstellen, der eine Verbindung von gut und harmonisch ist. Ein Name für eine Gesellschaft, in der es „kein Geld, keinen Markt und keinen Staat gibt“, in der alle Ideen für unsere postkapitalistische Gesellschaft vereint sind.