Flehen um den Staat

In dem Systemwandel-Video der Taz sagt die Klimagerechtigkeitsaktivistin Ruth Kron einen Satz den ich in letzter Zeit leider viel zu häufig gehört habe: „Wenn wir für den Systemwandel unendlich viel Zeit haben, dann würde ich sagen: Der Systemwandel muss von unten passieren, es muss ein emanzipatorischer Prozess sein. Die Zeit haben wir leider nicht“.[1] Ulrike Herrmann zieht konsequent den darin immer implizierten Gedanken: „Das erfordert […] dass der Staat diesen Umstieg plant.“ Und dann übertreibt sie etwas, wenn sie eins draufsetzt und sagt „Und zwar in jedem einzelnen Schritt“. Das ist doch krass. Absage an Emanzipation, hoffende Hingabe an den Staat. Und ich glaube die Hoffnung liegt beim Staat falsch. In den letzten Texten kritisierte ich staatssozialistischen Ideen (nur grundlegend nicht anhand einzelner Modelle, das kommt noch irgendwann ), nun möchte ich mich mit der häufigsten liberalen Staatsphantasie auseinandersetzen: Marktwirtschaft mit öko-sozialer Weltinstitution.

Langsam wird’s ne Artikelreihe:
1. Kritik des demokratischen Staatssozialismus
2. Warum ein staatlicher Sozialismus wahrscheinlich nicht ökologisch wird…
3. Kritik der globalen öko-sozialen Marktwirtschaft (dieser Artikel)

Auf keimform.de hat ja Benni schon einen „Weltstaat light“ vorgestellt und ich kenne diese Hoffnung auch. Gerade als ich letztes Jahr nach eindringliche Zurede von Annette und Benni die Klimakrise (wieder) ernst nahm, dachte ich „Scheiße, dann vielleicht doch staatssozialistische Übergangsgesellschaft“. Auch hat Durchsetzung von oben in einer Gesellschaft die aus ihrer Eigenlogik quasi „von unten“ (aber eben kein demokratisches Unten, sondern eine sachliche Herrschaft) Wachstumszwang erzeugt und den Subjekten Konsum als Kompensation für die Zumutungen verspricht seine systemische Berechtigung. Aber nur wenn man nur in dem System denkt. Nur scheint es mir, dass viele Vertreterinnen dieses Konzept sich mit ihren eigenen Wünschen und seinen Konsequenzen nicht wirklich auseinandersetzen, sondern diese Ideen sich von wabernder Hoffnung einer demokratischen, aber enorm starken Weltinstitution leiten lassen. Aber Vision reicht hier bei Weitem nicht. Erteilt man eine Absage an Emanzipation, muss man schon gute Gründe dafür haben. Und zumindest irgendwann mal überlegt haben wie eine global regulierte öko-soziale Marktwirtschaft oder halt gleich Ökostaatssozialismus funktionieren soll. Da freue ich mich immer über Öko-Staatssozialistinnen wie C. Zeller oder B. Kern die ihr Konzept wenigstens ernst nehmen und zur Diskussion stellen. Die häufig fehlende Bestimmung des Konzepts hat wohl mit dem üblichen Bilderverbot zu tun und die Antwort ist auch die übliche: Über Utopie reden ist notwendig. 

Einige Commonist*innen haben letzte Woche über diese Idee diskutiert und ich will nun ein paar Ideen dazu vorstellen. Davor sei noch eine kurze Bemerkung erlaubt: Ich glaube viele diskutierte Konzepte wie Gemeinwohlökonomie, Green New Deal, Marktsozialismus oder öko-soziale Marktwirtschaft klingen sehr unterschiedlich, aber gehören eigentlich zu einem Paradigma. Sie liegen alle zwischen den Polen von Markt und Staat, Marktwirtschaft und Staatswirtschaft, Kapitalismus und Staatssozialismus. Man kann sogar versuchen die Modelle in dem Kontinuum zwischen Markt und Staat einzuordnen, wie ich wie üblich dilettantisch versucht habe. An den Polen liegt die liberale Marktwirtschaft und (demokratischer) Staatssozialismus. Ich glaube aber, dass Kontinuum ist selbst schon falsch, es gibt Kipppunkte und Brüche, aber darauf kommen wir im Laufe des Textes inhaltlich. 

Eine globale öko-soziale Marktwirtschaft

Ich will mich gar nicht mit den nationalstaatlichen Versuchen einer öko-sozialen Marktwirtschaft aufhalten. Die kritischeren Denkerinnen wissen selbst, dass das nichts wird. Eine tiefgreifende Regulierung der Marktwirtschaft – also bspw. hohe CO2-Steuer, ausreichend hohes bedingungsloses Grundeinkommen, Nord-Süd Umverteilung – kann es nur global geben. Wahrscheinlich muss nicht gleich die ganze Welt mitmachen, wenn sich die USA, China und die EU dazu durchringen können wird es vielleicht schon reichen. Dann hätten wir ein neues öko-imperialistisches Projekt (natürlich ganz im guten Willen), dass der restlichen Welt die öko-soziale Regulierung nahelegt/auferlegt/aufzwingt – im Namen der Klimagerechtigkeit müssten diese Regulierungen in einigen Ländern natürlich schwächer ausfallen. 

Okay, inhaltlich kann ich über die Form der Regulierung nicht viel sagen, da gibt es Tausende Menschen die es besser wissen, aber irgendetwas Richtung Einpreisung von Umweltfolgeschäden also CO2-Steuer, „echte Preise“, etc. Mich interessiert als braver Soziologe die gesellschaftliche Form, die solch ein Inhalt annehmen müsste. Zwei politische Modelle stehen vor dem inneren Auge: Entweder eine relativ dezentrale, politische Institution auf Basis von Absprachen (UN-Variante) oder eine relativ zentrale Institution (Weltstaat-Variante). Weltstaat klingt für die einen nach einer endlich zu sich gekommenen Menschheit, für die anderen nach autoritären Phantasien. Lassen wir die Frage mal kurz außen vor und fragen: Zu was müsste solch eine Institution fähig sein? 

Staat gegen Markt: Macht, Effizienz & Staatssozialismus

Klar ist: Sie braucht viel viel (viel, viel, viel) Macht, sprich Durchsetzungseffizienz sprich Durchsetzungsgewalt. Ihre größten Gegnerinnen? Zuerst mal ein Großteil des Kapitals das in Charaktermaske mit Wirtschaftslobbys, Bestechung, demokratische Einflussnahme, etc. alles dagegen tun wird – wiederum keineswegs weil sie böse sind oder nicht an den Klimawandel glauben, sondern weil sie gute Gründe dafür haben und schon jetzt gebärden sie sich effizient als Verteidigerinnen der Lohnarbeiterinnen gegen die bösen Klimaleute. Und die Lobbys sind stark, wie unglaublich ist es denn, dass sie es in den USA geschafft haben, dass ca 70% der konservativen Republikaner glauben, dass Klimawandel nicht menschengemacht ist (für Klima-Lobbyismus gab die fossile Energiebranche auch zehnmal soviel Geld aus wie Erneuerbare-Energie-Unternehmen und Umweltschutzorganisation zusammen) (vgl. Wiki). Dann gibt es noch Lohnabhängige die wirklich etwas zu verlieren haben und Organisationen in Politik und Zivilgesellschaft die aus verschiedensten Gründe dagegen sind. 

Nehmen wir an es hat (wie durch ein Wunder) geklappt: wir haben eine öko-soziale Weltinstitution. Das Problem ist, dass der Widerstand aus der Wirtschaft nicht nur für den Übergang gilt, sondern von der Marktwirtschaft wieder und wieder produziert wird. Unternehmen haben gute Gründe green-washing zu betreiben, Realverschmutzung zu verstecken, etc. etc. Die Systemlogik arbeitet gegen ökologische und soziale Politik. Das bedeutet der (national-beauftragte oder globale) Staat muss immer genauer werden, er muss genauer überwachen, tiefer eingreifen, nachforschen und stärker regulieren, um die eigene Politik auch wirklich umsetzen zu können. Der ökologische Staat muss sein wie ein Bohrer, der sich immer tiefer in Wirtschaft und Gesellschaft hineingräbt. Bis er die letzten Schmutz-Maulwürfe so verschreckt hat, dass sie kaum was anzurichten wagen. Und diese Struktur gilt es aufrechtzuerhalten und ständig gegen neue Maulwurfsgänge zu verbessern. 

Dies ist glaub ich auch der Punkt wo der zentralistische Weltstaat vielversprechender ist, als die UN-Variante. Die UN-Variante baut immer auf der fragilen Zustimmung der Nationalstaaten auf und diese haben wiederum gute Gründe die Regulierungen nicht so hart durchzusetzen. Und besonders je mehr die Weltinstitution die Schrauben andreht, desto wahrscheinlicher, dass die Nationalstaaten sich wegducken. Das sehen wir ja alles heute schon. Also UN adé, Weltstaat juchee. Die steigende Regulierungsanforderung ist auch der Punkt wo ein Regulierungsmoloch auch gleich Staatsplanung machen könnte und somit die öko-soziale Marktwirtschaft in Ökostaatssozialismus kippt. Das halte ich sogar für ziemlich wahrscheinlich. Ich glaube sowieso, dass ein Weltstaat so enorm viel Macht hat gegenüber der Marktwirtschaft, dass es fraglich ist wie lange sie gegen ihn bestehen kann, da gerade die Standortkonkurrenz ihn nicht von tiefen Eingriffen abhält. Nur die Kapitalinteressen und die werden ihm früher oder später ein sehr lästiger Dorn im Auge. Er wird sich die Macht und Herrschaft verschaffen, die so auf dem Silbertablett vor ihm liegt. 

Zusammenfassende These: eine öko-soziale Weltinstiution bei Marktwirtschaft kämpft ständig mit der Systemlogik und muss immer tiefer und radikaler in Gesellschaft und Wirtschaft eingreifen. Sie wird sich konsequent wahrscheinlich zum Weltstaat zentralisieren um so die nationalstaatlichen Partialinteressen aus dem Weg zu räumen und wahrscheinlich sogar Marktkoordination durch Staatsplanung ersetzen. Dieser Staat wäre (auch wenn demokratisch gewählt) enorm stark, tiefgreifend und herrschaftsvoll. Und damit hoch anfällig für autoritäre Neuformierung, aber dazu gleich.

Staat gegen Ökologie

Bis jetzt haben wir so getan als würde der Staat den öko-sozialen Kurs halten. Schon dafür gibt es gute Gegenargumente. Der kapitalistische Staat (und nebenbei auch der sozialistische) gewinnt Handlungsmacht nur durch Wirtschaft und Wachstum. Also genau gegen das was er vorgehen muss. Mit jeder Steuerquelle die er verkleinert, eindämmt oder gar ganz zuschüttet, schneidet er sich ins eigene Fleisch. Wir haben es also mit einem Art gespaltene Staat zu tun, einem Staat mit einer Art dissoziativen Persönlichkeitsstörung. Der Staat ist kein Monolith, sondern ein Konglomerat vielerlei Institutionen und genau in ihnen wird sich diese Spaltung ausdrücken – so ähnlich wie im heutigen Staat: Wirtschaftsministerium, Innenministerium, usw. gegen Umweltministerium.

Green New Dealer sind nun sicherlich empört: „Die ökologische Transformation schafft doch ganz viele Arbeitsplätze, Technologiefelder und Wachstumspotential“ – Ach nein, Wachstum wollen wir ja nicht. Naja Wachstum in ressourcenschwachen Dienstleistungssektoren wie Massagen oder Musik. Stimmt, es gibt auch viel neue Aufgaben, aber soviel ich weiß (wiederum zu wenig) ist weniger produzieren angesagt – was in einer Gesellschaft ohne Arbeit nicht schlimm wäre, weil wir hier Resonanzfähigkeit zurückgewinnen und Resonanzbeziehungen aufbauen würden und höchstwahrscheinlich glücklicher leben, aber in einer Gesellschaft mit Lohnarbeit bedeutet das halt real Verzicht. Nicht so ein prickelndes demokratisches Programm. Auf jeden Fall wird ein guter Teil der gesellschaftlichen Innovations- und Menschenpower in die ökologische Transformation gehen und für den Staat weniger übrig bleiben. Das muss der mal verkraften. 

Ich spreche jetzt immer so von „dem Staat“ und seinen Willem. Überzeugte Demokratinnen werden sich wundern warum der Staat denn irgendwelche Eigenlogik hat wie Ansaugen von Ressourcen und Menschen hat, er ist doch nur unser Repräsentant. In einer Diskussion meinte jemand im Brustton der Überzeugung: „Was hast du denn gegen den Staat? Wir sind doch der Staat“. Ich würde mit einem guten Teil der Politikwissenschaft und der politischen Soziologie davon ausgehen, dass der Staat (wie jede Institution) eine Eigenlogik hat und nicht nur ein Werkzeug demokratischer Interessen ist. Seine Angestellten wollen ihre Jobs behalten, den Regierenden ist es nahegelegt Legitimität zu erzeugen und sich und den Staat als notwendig zu konstruieren, usw. Ganz abstrakt führt dies bei einem Staat zu einer Logik der Selbsterhaltung und die garantiert man am besten indem man viel Ressourcen auf sich zieht[2]. Und gerade gegen diese Grundlogik des Staates muss eine vernünftige ökologische Politik vorgehen, die Ressourcen werden woanders gebraucht. Dies ist nun sehr abstrakt formuliert. Konkret wird sich das im Staat als Kämpfe verschiedener Parteilinien und zwischen den verschiedenen Ressorts zeigen: zwischen dem Ministerium für Inneres, für Wirtschaft und für Umwelt. Oder die eine Partei verspricht staatliche Anstellung und Großprojekte, die anderen Konsummöglichkeiten, die dritten eine wirklich effiziente ökologische Politik. Und für Subjekte einer Loharbeitsgesellschaft ist die dritte Option nicht unbedingt die überzeugendste, auch ein Grund weshalb die ökologische Bewegung zu autoritären Phantasien neigt. Man könnte auch die Abschaffung der Lohnarbeit diskutieren. 

Staat gegen Demokratie

Nun, ich hab den Punkt schon in dem Beitrag zu Kritik des Staatssozialismus gemacht. Ein Staat ist an-sich schon nicht demokratisch, da er den Menschen erlaubt sich nur über eine Institution gegenseitig zu beherrschen, aber ein starker Staat hat mehr Ressourcen und Macht zur Verfügung als ein liberaler, nationalstaatlich-begrenzter Staat und kann sich deshalb einfacher autoritär gegenüber der Bevölkerung abschließen. Ein Weltstaat ist noch viel mächtiger und unabhängiger. Ich sprach in dem Beitrag auch von schleichender und plötzlicher Entdemokratisierung. 

Und einige Ökointeressierte wollen sich bei ihrem Modell eines starken Staates mit so Kinkerlitzchen wie Demokratie gar nicht aufhalten: lieber gleich eine vernünftige, ökologische Expertokratie – das ist die autoritäre Schattenseite eines hierarchischen Wissenschaftsverständnis. Hier wird Gesellschaft gleich entpolitisiert und zu einer technischen Aufgabe erklärt. Nun, leider – wahrscheinlich sollte man eher sagen glücklicherweise – ist Öko-Autoritarismus oder Öko-Diktatur keineswegs ein Garant für ökologische Politik. Man brauch da überzeugte Autoritäre vom Schlage des Marvel-Bösewichten Thanos, dessen Geschichte so deutlich zeigt was er alles Opfern muss um ein wirklich autoritärer Öko werden zu können. Und im Marveluniversum besteht dank Magie die Möglichkeit das ein einzelner autoritärer Öko ausreicht, dies gilt für menschliches Zusammenleben aber nicht. Öko-Autoritäre müssen gegen ihre eigene Machtbasis in Staat (Angestellte und Beschäftigte) und Gesellschaft (Lohnabhängige, Betriebe, etc.) arbeiten, wenn sie gegen Wachstum, ständiger materieller Konsumsteigerung und Produktion vorgehen. Da schaffen sie sich keine Freundinnen und müssen erst recht autoritär durchgreifen. Wahrscheinlich werden die ungeliebten Öko-Autoritären von anderen Autoritären bruchhaft als Putsch oder mit Massenbewegung als Revolution entfernt, oder durch eine schleichende Ent-Ökologisierung und Green-Washing entmachtet. 

Alles in Allem gute Aussichten für eine emanzipatorische Lösung des Problems. Hauptsache es wird über Utopie diskutiert 🙂


[1] Es ist auch eine komische Vorstellung, dass es mit dem Staat schneller gehen soll. Der Nationalstaat hat sowieso keine Chance was groß zu verändern. Damit geht es nur auf internationaler Ebene und die ist keineswegs schnell. Auf die Ideen kommt man vielleicht eher wenn „emanzipatorisch von unten“ nur als von-unten innerhalb des System. Wenn so was gemeint ist wie freiwilliges öko-fairtrade Konsumieren und ökologische Selbstverpflichtungen der Unternehmen. Darauf kann man bis zum Sanktnimmerleinstag warten, solche freiwillige Öko-Einschränkung von unten wird in der Marktwirtschaft effektiv verhindert.  

[2] Ich kenn diese These grob aus politischer Soziologie und Politikwissenschaft, aber sie müsste eig nochmal genauer überprüft und argumentiert werden, jemand Ideen wo man da was finden könnte?

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