Ein Softwarekonzept für ununterbrochenes Commoning – Beitrag und individueller Vorteil, […]

Im Zentrum dieses Teils steht die Kopplung von Geben und Nehmen bzw. – im eigentumsfreien Raum – die Kopplung von Beitrag und individuellem Vorteil. Erfahrungsgemäß wird dieses Moment der Software am stärksten kritisiert, denn eine unfaire Kopplung von Beitrag und individuellem Vorteil kann wiederum Momente des Leistungszwangs und der Konkurrenz hervorbringen, wie wir sie aus dem kapitalistischen System kennen und die wir im Commoning nicht haben wollen. Die Frage ist also: Wie kann Fairness im softwarevermittelten Commoning hergestellt werden?

Ich bin so frei hier Silke Helfrich und David Bollier aus ihrem Buch Frei, Fair, Lebendig länger zu zitieren. Der Abschnitt ist dem Muster Gegenseitigkeit behutsam ausüben entnommen: „Worauf es bei Commons letztlich ankommt, ist ein Gefühl der Fairness. Das verlangt nicht notwendigerweise, allen genau gleiche Anteile zukommen zu lassen und auch keinen »Äquivalententausch in Geldwerten«, wohl aber sicherzustellen, dass alle Bedürfnisse aufgenommen wurden und auch strukturell benachteiligte Personen in würdevoller Weise das bekommen, was sie benötigen. Ein selbstbewusstes, gütiges Commons-Umfeld ist also eines, in dem die Beteiligten gut damit leben können, wenn sie im Laufe der Zeit in den Genuss eines ungefähr ausgeglichenen (aber nicht absolut gleichen) Verhältnisses von Geben und Nehmen kommen. Die Entscheidung, »nicht genau auszurechnen«, wer wem etwas schuldet, ist die Praxis der behutsam ausgeübten Gegenseitigkeit. Sie ist nicht selten eine Angelegenheit der sozialen Weisheit und Toleranz. Auf strikte, direkte Gegenseitigkeit zu bestehen und damit immer wieder eine Welt zu erzeugen, in der Menschen vor allem als Schuldner oder Gläubigerinnen gesehen werden, kann Neid, soziale Spannungen und polarisierende Eifersucht schüren. Wenn aber Trittbrettfahrerinnen und Trittbrettfahrern erlaubt wird, sich um ihren fairen Beitrag zum Gemeinsamen zu drücken, führt dies ebenfalls zu Ressentiments und zu abnehmender Toleranz. […] In einem Commons muss also sichergestellt sein, dass Geben und Nehmen im Laufe der Zeit in einem grob ausgewogenen Verhältnis stehen, ohne auf eine zu überprüfende strikte Gegenseitigkeit zu bestehen und ohne Beiträge zu erzwingen.“ (S.103) Und weiter zum Thema auch Meretz und Sutterlütti in Kapitalismus aufheben: „Fairness ist zudem nicht verallgemeinerbar, sondern basiert auf empfundener Gerechtigkeit und interpersonalen Beziehungen. Fairness ist eine interpersonale Empfindung und benötigt ein konkretes Gegenüber.“ (S.229)

Die Kopplung zwischen → Beitrag und individuellem Vorteil geschieht über die Transformationsvariable, kurz: Trava. Die Schwierigkeit war es, für die transpersonale Vermittlungsform der Software eine Funktion zu finden, welche eine Regelung der Trava-Verteilung auf interpersonaler Ebene erlaubt, um somit Fairness auf transpersonaler Ebene herzustellen. Diese Funktion und die Möglichkeit der bewussten Regelsetzung wird im Kapitel → Der Umverteilungsprozess beschrieben. Ähnlich wie Geld ist die Trava dabei eine rein quantitative Größe, unterscheidet sich dabei aber sowohl durch ihre Einbettung in der entsprechenden Gesellschaftsstruktur als auch in der Anwendung erheblich von diesem. Auf das → Verhältnis zwischen Geld und Trava wird in einem gesonderten Kapitel eingegangen.

WICHTIGE ANMERKUNG: Bis zum Abschluss nach sieben oder acht Teilen ist die Textreihe im Wandel und wird besonders seit Mai 2020 vollständig neu erarbeitet und strukturiert. Dieser Text ist nicht länger aktuell!

Die neuesten Versionen der Texte finden sich als pdf/odt immer auf https://marcusmeindel.wordpress.com/ bzw. online im Discourse-Forum. Hier finden sich auch Einführungen zum Thema. Wenn du Interesse an einer Beteiligung am Projekt hast, kannst dich dort gerne auch vorstellen und einbringen.

 

Beteiligung und individueller Vorteil

Die direkteste Kopplung von Beteiligung und individuellem Vorteil ist schlicht, sich in solche Commoning-Prozesse einzubringen, die zur eigenen Bedürfnisbefriedigung führen. Falls allerdings die eigenen Interessen und Fähigkeiten nicht in genau diese Prozesse integriert werden können, braucht es eine andere Möglichkeit, dass die eigene Beteiligung – die eigens aufgebrachte Anstrengung zur generellen Bedürfnisbefriedigung – auch Anerkennung findet. Die Beteiligung soll damit tendenziell vorteilhaft zur Befriedigung der eigenen Bedürfnisse sein, damit auch eine zunehmende Unabhängigkeit von Geld bewirken und so – als gesamtgesellschaftliche Auswirkung – die destruktive Verwertungsmaschinerie der kapitalistischen Produktionsweise bremsen (→Vorwissen).

Der Ausgleich zwischen Bedürfnisbefriedigung und Tätigkeit geschieht über die Transformationsvariable (Trava), die Fairness wird hergestellt über den Umverteilungsprozess. Die Trava ist dabei eine Zahl und damit eine rein quantitative Größe. Sie bewegt sich im Re-Produktionsprozess, indem sie Personen zur Verfügung steht, welche damit ihren Bedürfnissen ein Gewicht zuschreiben, wodurch sich die Trava dem Aufwand nach auf die zur Bedürfnisbefriedigung notwendigen Tätigkeiten verteilt (→Tätigkeitsgewichtung). Die Tätigkeiten haben damit ein bestimmtes Gewicht, das nach erfolgreichem Abschluss der Tätigkeit über den Umweg des Umverteilungsprozesses zu einem Teil direkt der Person zur Verfügung gestellt wird, welche sich der Tätigkeit angenommen hat. Die Person selbst kann die Trava wiederum nutzen, um die eigenen Bedürfnisse höher zu gewichten und damit anderen Personen einen größeren Anreiz zu geben, sich den eigenen Tätigkeiten anzunehmen. Über die Trava wird also keine Bedürfnisbefriedigung garantiert, aber diese wird wahrscheinlicher gemacht. Ihren Namen erhielt die Transformationsvariable dabei durch ihre Funktion, die gesellschaftliche Transformation zu unterstützen, das heißt, aus der Geldabhängigkeit herauszuführen, indem sie – einem Lohn ähnlich – einen Zusammenhang zwischen Leistung und Bedürfnisbefriedigung herstellt, dabei aber – im Unterschied zur Vermittlung über Geld – eine Struktur der unbegrenzten Kooperation hervorbringt und in dieser Bewegung selbst an Wichtigkeit verliert (→Verhältnis von Geld und Trava ).

 
 

Der Umverteilungsprozess

Bei der Trava-Übertragung ohne Umverteilungsprozess wird eine problematische Leistungsgerechtigkeit hergestellt. An dieser Stelle wird daher der Umverteilungsprozess über folgende Schritte ergründet: (1) Warum die Trava-Vermittlung alleine problematisch ist. (2) Wer in der Umverteilung einbezogen wird. (3) Aus welchen Teilen der Umverteilungsprozess besteht. (4) Welche Aufgaben eine Umverteilungsrunde hat. (5) Welche Konsequenzen der Umverteilungsprozess für die Software hat. (6) Was unsere Aufgabe in Entwicklung und Konzeption ganz allgemein ist.

 

1. Warum ist die direkte Trava-Übertragung problematisch?

1.1 Es entsteht eine gesellschaftliche Vermittlung durch eine Zahl/eine reine Quantität, wodurch ähnliche Problematiken wie in der Vermittlung durch Geld entstehen können: Ja und nein. Der Vergleich mit dem Geld liegt hier immer und notwendigerweise nahe, da es die wesentliche Form der gesellschaftlichen Vermittlung ist, welche heute unser Leben bestimmt und sich, ebenso wie die Trava, rein durch Zahlen darstellen lässt. Der entscheidende Unterschied von Geld und Trava ist allerdings, dass das eine in einer auf Ausschluss basierenden Konkurrenzstruktur eingebettet ist und das andere in einer auf Inklusion basierenden Kooperationsstruktur. Dieser Unterschied ist wesentlich und wird im letzten Kapitel dieses Textreihenteils, → Verhältnis von Geld und Trava, näher dargestellt.

1.2 Es entsteht ein Leistungsprinzip: Wer viel für die Bedürfnisbefriedigung anderer leistet, soll tendenziell auch viel von anderen zurückbekommen. In einer Gesellschaft mit dem Ideal der Freiwilligkeit ist das problematisch, allerdings kann diese Gesellschaft nicht entstehen, wenn nicht tatsächlich auch etwas geleistet wird. Die Trava dient hierbei als Motivation. Dass über die Trava Leistung gewürdigt werden kann, ist nicht das Problem, sondern der Grund für die Einführung der Trava. Das Problem beginnt erst, wenn die Wichtigkeit der Trava nicht mit einer Verbreitung dieser Form der Gesellschaftlichkeit zurückgehen würde. Der im Ausdehnungsdrang moderner Commons (Kapitel „Dominanzwechsel 1: Effizienz des Commonings) erarbeiteten Theorie nach allerdings, geht die Wichtigkeit der Transformationsvariablen (Trava) unbedingt mit der Ausbreitung des Commonings zurück. Da durch den Prozess des ununterbrochenen Commonings die Menge an ausschließlich zur direkten Bedürfnisbefriedigung bestimmten Mittel zunimmt, welche dem Bedarf einer Commons-Struktur auch zunehmend besser entsprechen, nimmt damit die Effizienz des Commonings an sich ebenfalls stetig zu. Das heißt, dass mit immer weniger Aufwand immer mehr Bedürfnisse befriedigt werden können – sprich, es auch immer leichter wird, die Bedürfnisse von denjenigen mit geringer Trava einzuschließen.

1.3 Es entsteht eine Ungleichheit zwischen denen, die mehr und denen, die weniger leisten können. Hierbei geht es nicht um die jeweiligen Lebensumstände, sondern die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit an sich. Das ist eines der Probleme, weswegen ein Umverteilungsprozess notwendig ist und die Übertragung der Trava nicht direkt zwischen der tätigen Person und der Person mit einem befriedigten Bedürfnis geschieht.

1.4 Es entsteht eine Ungleichheit zwischen Software-vermittelten und nicht-Software-vermittelten Tätigkeiten: Hierbei wird sich auf Tätigkeiten bezogen, welche sich dem Commoning zuordnen lassen, und tatsächlich ist das ein schwerwiegendes Problem. Ein Fehlschluss wäre der Gedanke, dass diejenigen, welche ihre Tätigkeiten nicht über die Software vermitteln, auch alle ihre Bedürfnisse im nicht-Software-vermittelten Raum erfüllen können bzw. hier einen entsprechenden Ausgleich durch etwa interpersonal vermittelte Anerkennung finden. Es ist möglich, dass in einigen Situationen eine Commons-vermittelte Bedürfnisbefriedigung nur über den Umweg der Softwarevermittlung möglich ist, weswegen der strukturelle Ausschluss von Personen, die ihre Tätigkeiten nicht über die Software vermitteln, problematisch ist. Der Umverteilungsprozess soll die Möglichkeit bieten, sich diesem Problem bewusst anzunehmen und es aufzulösen oder zumindest abzumildern.

Das Problem einer nur direkten Trava-Übertragung, welches den Umverteilungsprozess notwendig macht, ist daher die Ungleichheit zwischen denen, die mehr und denen, die weniger leisten können und außerdem zwischen denen, die ihre Tätigkeiten über die Software vermitteln und denen, die das nicht tun. Selbstverständlich können Personen dabei auch von beiden Ungleichheiten betroffen sein.

 

2. Wer wird in der Verteilung einbezogen und wer nicht?

Die Software für ununterbrochenes Commoning ist kein vollständiges Gesellschaftssystem – es ist ein Werkzeug, um Commoning zu unterstützen bzw. komplexe Re-Produktionsprozesse nach Commons-Prinzipien zu ermöglichen. Und schauen wir zurück zu den acht Designprinzipien für langlebige Commons-Institutionen von Elinor Ostrom, dann gibt es dort „klar definierte Grenzen, wer oder was zu einem Commons gehört“ (1. Prinzip) und es gibt einen „Zusammenhang zwischen Aneignung und Bereitstellung“ (2. Prinzip) (Alle Prinzipien in Helfrich/Bollier, Fair, Frei, Lebendig, S. 317-318), aber keinen Ansatz davon, dass prinzipiell jede Person, die mit dieser Commons-Institution in irgendeiner Verbindung steht, dort allerdings nichts beiträgt, auch an den Resultaten der darin eingeschlossenen Tätigkeiten teilhaben kann. Wird ununterbrochenes Commoning als eine solche Commons-Institution betrachtet, dann wäre der Anspruch, dass die eigenen Bedürfnisse mit einbezogen werden sollen, wenn die eventuell eigenen Tätigkeiten diese Vermittlungsform auch nicht betreffen, ein neuer Anspruch. Da im ununterbrochenen Commoning allerdings mit den Grenzen traditioneller Commons gebrochen wird, kann es ein gerechtfertigter Anspruch sein. Im Gegensatz zu anderen Werkzeugen und Methoden Commoning zu betreiben jedenfalls, entsteht durch das ununterbrochene Commoning überhaupt die Möglichkeit auch die Bedürfnisse solcher Unbeteiligter einzubeziehen, die kein Teil eines festen, interpersonalen Zusammenhangs sind, deren Bedürfnisse also oft vergessen bzw. durch die Grenzen des interpersonalen Raums ignoriert werden.

Wer wird also in die Vermittlung einbezogen und wer nicht? Ganz einfach: Wir, die wir die Software konzipieren und entwickeln, haben das nicht zu entscheiden. Die Entscheidung muss bei den Beteiligten liegen und das damit nicht allgemein und alle betreffend, sondern die Entscheidung muss in den jeweiligen Situationen, Kontexten und Umgebungen immer wieder neu diskutiert und gesetzt werden können. Es sind die Beteiligten in einer bestimmten und damit auch abgegrenzten Umgebung, die darüber entscheiden, wer in die Verteilung mit einbezogen wird und wer nicht. Für sie muss es sich richtig anfühlen; sie müssen entscheiden, was tragbar ist und was nicht. Und sie müssen Personen in diesen Kreis einschließen können, die, unabhängig von der Softwarevermittlung, schließlich auf Augenhöhe an solchen Entscheidungen beteiligt sind und es muss möglich sein, Personen auszuschließen, welche (mehrfach) gegen festgelegte Regeln verstoßen (→Sanktionen). Und wenn die Beteiligten einer bestimmten lokalen Umgebung dann sagen: „Wir wollen, dass die gesamte durch Tätigkeit gewonnene Trava gleichmäßig und der entsprechenden Bedürftigkeit nach an all diejenigen verteilt wird, die einen Anspruch darauf erheben“, dann muss die Software diese Entscheidung unterstützen. Wenn sie sagen: „Es wird hier zu wenig getan, also müssen wir die Motivation dafür erhöhen, tätig zu werden“, dann muss diese Gruppe einstellen können, dass das gesamte Gewicht einer Tätigkeit auf bis zu alleinig diejenigen Personen übertragen wird, die sich diesen Tätigkeiten annehmen. Und wenn sie sagen, dass sie immer wieder aufs Neue zusammenkommen wollen, um die Trava den jeweiligen Bedürfnissen entsprechend bewusst zu verteilen, dann muss die Software das genauso ermöglichen.

 

3. Wie kann der Umverteilungsprozess aussehen, damit solche Entscheidungen ermöglicht werden?

Die Trava, welche aus dem Gewicht der abgeschlossenen Tätigkeit gewonnen wird, zerfällt hierfür in drei Teile variabler Größe.

3. 1 Individueller Vorteil: Ein Teil der Trava wird direkt der Person zugeschrieben, welche die Tätigkeit erfolgreich abgeschlossen hat.

3.2 Trava-Pool: Ein zweiter Teil der Trava wird einem lokalen Trava-Pool hinzugefügt und kann vor dort aus durch einen bewussten, interpersonalen Prozess aufgeteilt werden. Der hauptsächlich zu diesem Zweck entstehende interpersonale Zusammenhang wird folgend als „Umverteilungsrunde“ bezeichnet. Auch wenn Regelsetzungen sich davon unterscheiden können, wird die Teilnahme an solchen Umverteilungsrunden im weiteren Textverlauf als freiwillig, aber offen für alle im jeweiligen Gebiet ansässigen Personen angenommen. Die Entscheidungsberechtigung selbst kann dabei allerdings eingeschränkt sein (siehe den vorhergehenden Abschnitt 2.)

3.3 Automatische Verteilung an alle dafür Berechtigten: Ein Teil des Gewichtes einer abgeschlossenen Tätigkeit wird an alle dazu Berechtigten im lokalen Umfeld verteilt – gleichermaßen, aber gewichtet durch den Grad ihrer Bedürftigkeit. Wer berechtigt ist und wer nicht, genauso wie der Grad der Bedürftigkeit, kann über den interpersonalen Prozess der Umverteilungsrunden festgelegt werden.

Anmerkung: Es ist dabei sehr gut möglich, dass sich diese Dreiteilung während der Entwicklung oder Anwendung als problematisch herausstellt und bessere Lösungen gefunden werden. Es handelt sich hierbei nicht um feste Vorgaben. Verbesserungsvorschläge und Kritik sind weiterhin auch während der Ausarbeitung jederzeit willkommen.

 
 

4. Welche Aufgaben liegen bei einer Umverteilungsrunde?

Erster Zweck der Umverteilungsrunden ist eine direkte Wertschätzung fürsorglicher Tätigkeit zu erhalten (auch, nicht nur, in Form von Trava). Hierbei soll es nicht wesentlich sein, ob diese Tätigkeiten über die Software vermittelt wurden oder nicht. Während dabei über die Software vermittelte Tätigkeiten und die Summe ihres Gewichtes für alle sichtbar gemacht werden kann, müssen anders vermittelte Tätigkeiten erzählt oder andersartig durchsichtig gemacht werden. Der weitere Zweck ist schließlich die Feststellung der unterschiedlichen Bedürfnisse und Bedürftigkeiten, damit Möglichkeiten gefunden werden können, als Gemeinschaft diese zu berücksichtigen. Soweit es an dieser Stelle ersichtlich ist, hat eine Umverteilungsrunde im Bezug auf die Trava daher bis zu fünf Aufgaben:

4.1 Die Umverteilung der Trava im lokalen Trava-Pool an (1) individuelle Bedürfnisse von Personen in den Grenzen des Umverteilungsgebietes, (2) an Projekte (→Manuelle Konfiguration / Projektplanung) und (3) an andere Trava-Pools mit etwa einem höheren Anteil an von der Trava-Vermittlung benachteiligten Personen. Die Umverteilung erfolgt dabei nur durch die entscheidungsberechtigten, teilnehmenden Personen: Besondere Bedürfnisse sollen hierdurch auf zwischenmenschlicher Ebene wahrgenommen werden können. Besondere Anstrengungen sollen Resonanz erfahren und gewürdigt werden können. Gemeinsame Ziele und Projekte sollen diskutiert werden können. Es geht also um die Bearbeitung all der Momente, welche im transpersonal vermittelten Commoning nicht möglich sind.

4.2 Die Regelung des Verhältnisses zwischen (1) individuellem Vorteil, (2) bewusster Umverteilung durch den Trava-Pool und (3) automatischer Verteilung an alle dafür Berechtigten. Wichtig hierbei ist, dass Regeländerungen in Übereinstimmung mit allen davon Betroffenen geschehen. Wird der Anteil des individuellen Vorteils bei der Trava-Gewinnung verändert, betrifft das auch alle Beteiligten im jeweiligen Gebiet, die nicht an Umverteilungsrunden teilnehmen (wollen bzw. können). Wird der Anteil der automatischen Verteilung geändert, betrifft das sogar nicht nur alle Beteiligten, sondern alle Berechtigten im Gebiet. Das heißt damit nicht, dass solche Entscheidungen nicht in Umverteilungsrunden getroffen werden können, aber alle davon Betroffenen müssen 1. in Kenntnis davon gesetzt werden, dass diese Verhältnisse zur Diskussion gestellt werden und 2. brauchen Betroffene auch die Möglichkeit, an solchen Entscheidungsfindungen mitzuwirken, wenn sie selbst an Umverteilungsrunden nicht teilnehmen. Es darf keine Instanz entstehen, die über den Köpfen von Betroffenen hinweg Entscheidungen trifft.

4.3 Feststellung des Bedürftigkeitsgrades. Während in der Umverteilungsrunde die Trava bewusst nach Bedürfnissen bzw. Bedürftigkeit aufgeteilt werden kann, geschieht die Übertragung der Trava sowohl für den individuellen Vorteil, wie auch bei der automatischen Umverteilung mit sofortiger Wirkung. Über die Einstellung des Bedürftigkeitsgrades kann dabei etwa der individuelle Vorteil eigener Tätigkeiten höher ausfallen, wenn die entsprechende Person körperlich oder geistig beeinträchtigt ist. Oder der Anteil bei der automatischen Verteilung kann höher sein, wenn jemand gerade dabei ist, Kinder zu erziehen und somit in der eigenen Handlungsfähigkeit eingeschränkt ist. Der Bedürftigkeitsgrad im Umverteilungsprozess ist damit etwas anderes als etwa der Grad einer Behinderung, welcher von einer allgemeingültigen Instanz festgestellt wird. Der Bedürftigkeitsgrad entsteht aus einem bewussten interpersonalen Prozess heraus und zeigt, wie die Personen im jeweiligen lokalen Umfeld mit individuellen Beeinträchtigungen umgehen. Er ist ein Faktor, welcher durch die Umverteilungsrunde bestimmt und einer Person zugeschrieben wird, wodurch der Re-Produktionsprozess in deren Richtung gelenkt wird.

4.4 Verifikation des Aufwandes von Tätigkeiten. Bisher nicht angesprochen ist die Möglichkeit von Umverteilungsrunden den Aufwand von Tätigkeitsmustern zu diskutieren und verifizieren, und damit eine Problematik abzumildern, welche im Kapitel →Aufwandsbestimmung noch näher diskutiert werden wird. Die Verantwortung über die Richtigkeit der Angabe wird hierbei auf das Kollektiv gehoben, welches zwar über die automatische Umverteilung immer noch einen jeweils eigenen individuellen Vorteil von der Höhe des Gewichts einer Tätigkeit hat, welche eine Person aus ihrem Gebiet durchführt, aber dieser Vorteil ist 1. wesentlich schwächer und 2. dem Verantwortungsgefühl der Gruppe unterworfen.

4.5 Verifikation von Beteiligten: Ebenfalls bisher nicht angesprochen ist die Problematik von Doppel- und Fakeaccounts bzw. die Möglichkeit, die Vermittlungsform zu manipulieren. Die Verifikation durch die Teilnehmenden von Umverteilungsrunden kann eine Möglichkeit sein, diese Problematik abzumildern. Im Kapitel →Verifikation und Vertrauensnetzwerk wird näher darauf eingegangen.

 

5. Konsequenzen des Umverteilungsprozesses für die Softwarestruktur

Die erst Konsequenz aus dem vorgestellten Prinzip bedeutet: Grenzen. Für einen Umverteilungsprozess mit lokalen Regelungen und einem lokalen Trava-Pool muss klar definiert sein, wen diese Regeln betreffen bzw. wer mit diesem Trava-Pool verbunden ist. Die nächste Konsequenz ist: Die Software muss – in durch die Umverteilungsrunde regelbaren Abständen – daran erinnern, solche Runden einzuberufen und alle davon Betroffenen Personen benachrichtigen. Die Trava-Aufteilung muss schließlich den Entscheidungen einer Umverteilungsrunde nach konfiguriert werden können und sämtliche Personen benachrichtigen, welche von Änderungen betroffen sind. Selbstverständlich braucht es schließlich auch Funktionen, um den Trava-Pool durch die Umverteilungsrunde verteilen zu können – sowohl an bestimmte Bedürfnisse einzelner Personen, an das Gewicht einzelner Personen, an Projekte und an andere Trava-Pools. Die Software muss besprochene und in den Umverteilungsrunden gesetzte Regelungen festhalten können, welche diese Verteilung betreffen.

Um Übersicht und einen eigenen Bezug zum jeweiligen Trava-Pool und den gesetzten Regeln bewahren zu können, erscheint es sinnvoll, dass die Personenzahl innerhalb gesetzter Grenzen begrenzt ist bzw. begrenzt werden kann. Eine Grenze kann dabei eine ganze Stadt einschließen, wenn nur wenige Personen in dieser Stadt über die Software miteinander in Beziehung treten. Falls die Personenzahl wachsen sollte, muss es möglich sein, ein Gebiet immer wieder in kleinere Segmente aufzuteilen. In solchen Prozessen müssen Regeln festgelegt werden können: Etwa, ob sich bei einer Aufteilung die durch Tätigkeit gewonnene Trava zukünftig gleichermaßen auf beide Pools verteilt und nur die Umverteilung eigenständig geregelt wird, oder die Trava-Pools regulär unabhängig voneinander gefüllt werden. Und nimmt die Anzahl der Teilnehmenden dagegen ab, müssen sich Gebiete wieder mit der Möglichkeit entsprechender Regelsetzungen vereinen lassen können.

 

Verhältnis zwischen Geld und Trava

Sowohl Geld als auch Trava sind Zahlengrößen, durch welche ein Richtung vorgegeben wird, wie einander oft unbekannte Personen miteinander interagieren. Beides miteinander gleichzusetzen liegt nahe, ist jedoch bei näherer Betrachtung weder haltbar noch konstruktiv. Folgend wird sich mit ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden näher auseinander gesetzt.

Gemeinsamkeiten: Sowohl Geld als auch Trava sind rein quantitative Größen, können also als Zahl angegeben werden. Beide verhelfen den Teilnehmenden der jeweiligen Gesellschaftlichkeit ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Über beide werden bestimmte Handlungsmöglichkeiten nahe gelegt, beide bestimmen eine gesellschaftliche Bewegungstendenz. Über beide kann eine Kalkulationsrationalität entstehen und beide treten als zweiter Charakter eines konkreten Phänomens auf: Das Geld als Wertcharakter von Dingen, die Trava als Gewichtscharakter von Tätigkeiten. Beides ist zum Teil eine Anerkennung von Leistung.

Unterschiede: Während Kapital die Bewegung von Geld zu mehr Geld ist und durch die Arbeitskraft als Ware ermöglicht wird, scheint eine Bewegung von Trava zu mehr Trava nicht möglich zu sein. Die Verselbstständigung der Geldvermittlung – und damit ihr Auftreten als scheinbare Macht, der sich Menschen unterordnen müssen – kann in der Vermittlung über Trava nicht geschehen. Geld ist dabei eine allgemeine Verfügungsmacht: je mehr Geld eine Person hat, desto mehr Bedürfnisse kann sie sich befriedigen. Die Trava ist dagegen eine Nahelegung – je höher ein Bedürfnis gewichtet ist, desto wahrscheinlicher ist dessen Befriedigung. Geld repräsentiert dabei die Getrenntheit der Dinge durch privates Eigentum. Geld setzt die Dinge am Markt gleich und als Vermittlungsform des Marktes ist Geld das Konkurrenzprinzip per se. Trava dagegen steht außerhalb des Eigentumsprinzips. Über Trava werden Bedürfnisse gleichgesetzt und Trava unterstützt eine unbegrenzte Kooperation auf Augenhöhe zu deren Befriedigung. In Bezug auf Geld schreiben Helfrich und Bollier: „Wenn Sorgearbeit einer Kalkulationsrationalität unterworfen wird, verliert sie ihren (für-)sorgenden Charakter“ ( Frei Fair Lebendig , S.163). Die Kalkulationsrationalität im Bezug auf Trava dagegen fördert die Effizienz zur Befriedigung möglichst vieler Bedürfnisse und hierdurch verliert sich auch auf transpersonaler Ebene der (für-)sorgende Charakter nicht. Geld in seiner Bewegung als Kapital muss sich in sämtliche gesellschaftliche Sphären ausdehnen und ordnet sich in dieser Bewegung das menschliche Leben unter, macht ein menschliches Leben ohne Verfügung über Geld immer unmöglicher. Im Wert eines Dinges steckt dabei der Aufwand als gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit. Das Prinzip der Trava ist dagegen die Befreiung von Eigentum und damit der Befreiung von der Möglichkeit, Menschen von den Quellen ihrer Bedürfnisbefriedigung strukturell auszugrenzen. An einem durch den Prozess des Commonings gefertigten Produkt hängt keine Trava – welcher Aufwand zur Produktion notwendig war, ist ab seiner Fertigstellung nicht ablesbar und in seiner Verwendung nicht relevant. Die Trava ist eine Prozessvariable. Sie tritt im Prozess der Verfügbarmachung von Dingen auf, wenn tendenziell unbekannte Personen zur eigenen Bedürfnisbefriedigung tätig sind und verschwindet, wenn der Grund ihrer Tätigkeit nicht länger gegeben ist. Die Berechtigung über die Verwendung von Mitteln folgt einem sozialen Prozess, in welchem die Trava nicht involviert ist. Sie unterstützt das Commoning in seiner Ausdehnung, während sich ihre Wichtigkeit in dieser Bewegung verliert.

Bei allen Gemeinsamkeiten und Unterschieden, eine letzte Anmerkung: Trava unterstützt die Gewohnheit. Sie ist weitgehend verständlich für Menschen, für die Geld und Lohn normal ist. Die nicht aus einem Idealismus heraus Commoning betreiben, die nicht die gesellschaftlichen Strukturen verstehen, welche sich durch das ununterbrochene Commoning ergeben können, die schlicht zum eigenen Vorteil über die Software vermittelt tätig werden. Und am Ende des Tages geht es genau darum: Ein Werkzeug zu erschaffen, das keine theoretische Bildung voraussetzt und dessen Anwendung Selbstbestimmung ohne Rückgriff auf Geld fördert. Und mit welcher Intention es benutzt wird, spielt keine Rolle in der Ausdehnung seiner Logik, in der Erweiterung der allgemeinen Handlungsfähigkeit hierdurch und schließlich: In der Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise.

31 Kommentare

Einen Kommentar hinzufügen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Entdecke mehr von keimform.de

Jetzt abonnieren, um weiterzulesen und auf das gesamte Archiv zuzugreifen.

Weiterlesen