Tücken der Belohnung

Das ist ein Teil von dem nächsten Buch zu Utopie und ich wollte es mal mit euch diskutieren: In Utopie-Diskussionen erlebe ich häufig Menschen, die der Idee einer arbeitslosen Gesellschaft gegenüber sehr aufgeschlossen sind, aber nicht so wirklich glauben, dass sie funktioniert. Häufig höre ich dann: “Naja, ich kann mir zwar vorstellen, dass viele Aufgaben freiwillig gemacht werden, aber nicht alle. Und für die, die dann übrig bleiben können wir ja dann Leute belohnen“. Diese Aussage ist eher kritisch unterstützend als abstrakt negierend gemeint. Das Ziel wird geteilt und man versucht Lösungen für Probleme zu finden. Eigentlich total gut, genau solch ein gemeinsames Weiterdenken wünschen sich Commonist*innen. Ich befürchte nur, dieser Lösungsvorschlag wird uns nicht weiterhelfen.

Stellen wir uns vor: Für einige Aufgaben Bergbau, Kanalreinigung, Pflege und einigen Fabriken finden sich kaum Verantwortliche. Die utopische Gesellschaft besinnt sich auf einige Ideen aus der kapitalistischen Zeit und beginnt diese Aufgaben zu belohnen. Aber mit was eigentlich? Nun, wahrscheinlich mit einigen Mitteln, die sonst niemanden zur Verfügung stehen, also von mir aus Wohnungen in guter Lage, besonders moderne Computer, weißgottwas. Oder aber diese Arbeiter*innen werden bei Entscheidungsverfahren über knappe Mittel wie Häuser am See, Yachten, medizinisch aufwändige Operationen etc. begünstigt. Die Verteilung nach Bedürfnissen wird um eine Verteilung über Leistung – sagen wir mal – erweitert. Die offene Verfügung von Gleichrangigen wird also für einige Mittel beendet. Sie werden in Richtung Eigentum geschoben, manche Menschen haben mehr Anspruch auf sie qua ihrer Aufgaben und Leistungen. Ich glaub dies hat schwerwiegende Konsequenzen:

Erstens werden diese Aufgabenbereiche neu organisiert. Und zwar nach den Richtlinien einer Arbeitskooperation: Anreize, Kontrolle, Leistungseffizienz. Die Arbeiter*innen werden für die Arbeit belohnt, haben also eine viel geringere Motivation und trotzdem gilt es aus ihrer Zeit möglichst viel Mittel/Kapital zu schlagen. So stellt sich der gute alte Intressengegensatz von ‚Kapital und Arbeit‘: Die Führungsebene wünscht sich möglichst viel Effizienz, dann brauchen sie weniger Leute und damit weniger Belohnungseigentum, die Arbeiter*innen schöne, entspannte, sogar etwas faule Verhältnisse, weil sie ja meist gar nicht wirklich an der Re/Produktion selbst interessiert sind.

Zweitens wird die Motivation der Re/Produzent*innen sinken, welche die Quasi-Eigentumsmittel herstellen. Sie entscheiden ja nicht mehr selbst und gemeinsam mit ihren Kooperationspartner*innen darüber wer diese Mittel bekommt. Sie werde nicht mehr nach Bedürfnissen zur Verfügung gestellt, sondern nach Leistung. Fraglich wer Bock hat freiwillig Eigentum herzustellen. Das gilt für die Yachtkonstrukteur*innen ebenso wie für die Ärzt*innen, die so eine*n „Leistungspatient*in“ bevorzugen sollen. Wird nicht einfach dafür Leute zu finden. Das kann dazu führen, dass die Leute, die Eigentum herstellen, auch wieder belohnt werden müssen – and so on and so on. Die Arbeitskooperation und mit ihr das Eigentum würde sich immer weiter ausweiten.

Drittens erlaubt diese Einführung von Quasi-Eigentum die Entstehung einer Tauschsphäre, eines Marktes. Haben manche Leute einfacheren oder exklusiven Zugang zu Dingen, könnte sie beginnen sich mit diesem Eigentum die Arbeitsleistung anderer zu ertauschen. „Ich geb‘ dir meinen tollen neuen HDD-Fernseher, dafür machst du mir 2mal die Woche für das nächste Jahr den Garten“. Oder: „Du darfst mein Ferienhaus am See/meine Yacht/etc. mal für zwei Wochen benutzen, dafür putzt du meine Toilette“. Eine Arbeits-/Belohnungskooperation entsteht. Unter Umständen weitet sich dieser „Tausch-Schwarzmarkt“ nicht weiter aus, da die meisten Mittel noch offen zur Verfügung gestellt werden. Aber Menschen haben gute Gründe für die „Leistungsträger*innen“ was zu tun und ihnen Gefallen bspw. bei der Verteilung von rationierten Mittel zu erweisen. Die Belohnungskooperation könnte also auch hier wachsen.

Viertens finden es sicherlich viele Menschen ungerecht. „Warum nur die Kanalarbeiter*innen? Unsere Aufgaben sind auch schwer und anstrengend! Wir wollen auch belohnt werden!“ Menschen die früher ihre Tätigkeit gemacht haben, weil sie Bock darauf hatten und sie wichtig fanden, hätten eine Nahelegung und damit gute Gründe ihre Aufgaben zu bestreiken: Wir machen das nur noch, wenn wir belohnt werden. Deshalb vermute ich: Die Belohnungskooperation wird sich v.a. durch diese Dynamik „Das-ist-doch-nicht-gerecht“ ausweiten und ihr Gleichgewicht erst finden, wenn ein Großteil der Aufgaben wieder belohnt werden. Und zwar v.a. jene Aufgaben die für allgemeine Andere gemacht werden, also nicht für Beziehungspartner*innen, Freund*innen, Nachbar*innen oder Kinder. Die Belohnung wird wieder die transpersonalen Beziehung ergreifen und die interpersonalen Beziehungen in Ruhe lassen, weil die werden sowieso gemacht und können auch nicht wirklich quantifizierend belohnt werden. Kennen wir das nicht irgendwoher?

Ja genau. Die Aufgaben in den interpersonalen Nahumfelder bleiben unbelohnt/unbezahlt und werden als private Normalität abgespalten. Das kennen wir aus den sozialistischen und kapitalistischen Arbeitsgesellschaften. Meine Vermutung: Die Einführung von Belohnungskooperation landet wieder beim guten alten Abspaltungsgleichgewicht, in welcher nur noch einige private Aufgaben freiwillig gemacht werden. Menschen die lieber mehr Zeit für die Belohnung haben wollen, werden auch versuchen die privaten Reproaufgaben zu transpersonalisieren und sie damit bezahlbar/belohnbar zu machen. Bspw. werden in Deutschland alte Menschen häufig von unterprivilegierten Frauen aus Rumänien oder Ukraine gepflegt. Hier wurde private Sorgetätigkeit, in bezahlte Sorgearbeit verwandelt.

Ich glaube es wurde deutlich, ich halte nicht so viel von der Lösung. Vielleicht mag es sehr gute Checks and Balances Systeme, welche eine Ausweitung der Belohnung und damit von Arbeit und Eigentum verhindert. Aber: I doubt it. Die Einführung von Belohnung für manche Aufgaben kippt zunehmend in eine Arbeitsgesellschaft. Die freie Gesellschaft schafft sich selbst ab. Eine weit bessere Lösung wäre die unbeliebten Aufgaben anders zu gestalten oder auf freiwilliger Basis rotieren zu lassen. Belohnung und Arbeit bleibt der Feind.

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