Marx Darstellungslogik (III): Formkritik und genetische Darstellung
Für Heinrich ist der Ausschluss des GW als Verbindung für den Tausch „Strategie“, „wie die Tauschgleichung analysiert werden soll, ob man den Motiven der Handelnden Priorität einräumt […] oder ob man zuerst die Formen untersucht, innerhalb deren überhaupt Handlungen stattfinden und sich Motive bilden“ verrät den methodischen Blick (Heinrich 2016, S. 68). Im ersten Kapitel wird nicht nur von Kapital und Geld abstrahiert, sondern ebenfalls von den Menschen, es geht nur um die „gesellschaftliche Beziehung der Arbeitsprodukte zueinander“, es zeigt sich dann, dass die handelnden Menschen die „Hervorbringen des allgemeinen Äquivalents nur [unbewusst] vollstrecken, was die Analyse der ihnen unbewussten Strukturen ergeben hat“ (Wolf 2008, S. 45f). Damit wird auch davon abstrahiert, dass es schlussendlich nur die Menschen sein können welche das allgemeine Äquivalent und den Tausch durch ihre Handlungen herstellen können.
Mit diesem Vorgehen versucht Marx wirkmächtige Elemente einer Gesellschaft zu finden, die nicht erscheinen, wir können weder Wert, noch Kapital (noch Gesellschaft) empirisch erleben, aber doch prägen sie unsere Leben und Handlungen. Wert und seine vollendete Form das Kapital sind jedoch nicht nur Abstraktionen, sondern Realabstraktionen, „reale Allgemeinheiten“ (Heinrich (2006), Wissenschaft vom Wert, S. 155 zit. nach Kim 2017, S. 100). „Der Wert ist immaterielle, aber objektiv“ (Harvey und Frings 2011, S. 44). Althusser betont, dass diese Realabstraktionen nicht äußerlich gedacht werden dürfen, „die Struktur ist ihren Wirkungen immanent, sie ist eine ihren Wirkungen immanente Ursache im Sinne Spinozas; ihre ganze Existenz besteht in ihren Wirkungen, und außerhalb ihrer Wirkungen ist sie als spezifische Verbindung ihrer Elemente ein Nichts“ (Althusser und Balibar 1972, S. 254).
Für Hegel ist Bewegung der „daseiende Widersrpuch selbst“, mit dem Widerspruchsbegriff werden die Prozesse gleichsam strukturiert. „Leben ist keine pure Veränderung bzw. Bewegung, sondern eine Einheit, die sich verändert. Als bloße Veränderung wäre das Leben nicht – dann würde es den Widerspruch nicht ‚aushalten‘. Das Lebendige ist eine Identität, die sich in ihren Widersprüchen erhält“ (Eichler 2015, S. 105). Eicher sieht eine Analogie in Hegels Grund als der „aufgelöste Widerspruch“ und Marx „Pendant“ dem Formbegriff. Marx stellt fest, „die Entwicklung der Ware hebt diese Widersprüche nicht auf, schafft aber die Form, worin sie sich bewegen können“ (MEW 23, S. 118). Der Widerspruch, dass ein Körper „beständig in einen andren fällt und ebenso beständig von ihm wegflieht“ wird gelöst in der Ellipse als „eine Bewegungsform, worin dieser Widerspruch sich ebensosehr verwirklicht als löst“ (MEW 23, S. 119), aber nicht aufgehoben wird, der Widerspruch bleibt bestehen. Marx versucht wie Hegel „mit seinem Widerspruchsbegriff Prozesse begrifflich fassen“ (Eichler 2015, S. 109). Die Planetenbahn ist die vorausgesetzte Totalität die durch die Analyse ihrer Grundmomente verstanden wird, für Marx ist der Gegenstand die kapitalistische Produktionsweise. In der Darstellung wird der Übergang von einer Kategorie zur nächsten in den Mängeln der Bewegung und damit in den Mängeln der Form gefunden, der existierende Widerspruch verlangt nach einer anderen Form, die Widersprüche der einfachen Wertform verlangt nach dem Geld als Bewegungsform.
Versuchen wir uns dem Formbegriff noch einmal von anderer Seite zu näheren. Marx begreift die Wertform äquivalent mit der „Entwicklung des Tauschwerts“ (MEW 19, S. 358). Wir wissen auch, „daß der Tauschwert nur eine ‚Erscheinungsform‘, selbständige Darstellungsweise des in der Ware enthaltnen Werts ist“ (MEW 19, S. 369). Noch eine weitere Bestimmung sei hier hinzugezogen: die „‘Ware‘ ist einerseits Gebrauchswert und andrerseits ‚Wert‘, nicht Tauschwert, da die bloße Erscheinungsform nicht ihr eigner Inhalt ist“ (ebd.). Ich muss zugeben ich bin konfundiert, so versuche ich es wie Marx mit Beispielen aus der Natur: Der konkrete Baum vor meinem Fenster prozessiert seine Widersprüche in der Baumform, sie begreift was gleich bleibt, trotz all der Unterschiede und Bewegung. Die Baumform ist nur eine Erscheinungsform der Pflanzenform, welche eine Lebensform ist. Diese Formen sind jedoch nicht notwendig aufeinander bezogen, sie sind nicht Teil einer Totalität, sondern voneinander getrennt. Die Baumform ist also keine Erscheinungsform der Pflanzenform, sondern eine Unterart der Pflanze. Die Pflanzenform ist keine Realabstraktion, sie wirkt nicht (vgl. Althusser), sie ist nichts Reales das erscheint, sondern eine Gedankenabstraktion. Der Tauschwert ist eine Erscheinungsform des Werts, weil sie in der realen, wirkenden Totalität des Kapitals aufeinander verwiesen sind. Die Ware ist nun nicht TW und GW, weil ihr TW erst in Bezug auf andere Waren erscheint – erscheinen kann aber nur etwas, was vorher schon existiert, es ist der Wert der vorher existiert, der im Austausch als „selbständige Darstellungsweise“ Tauschwert erscheint.
Für Backhaus ist nun das entscheidende: „Die dialektische Methode kann sich nicht darauf beschränken, die Erscheinungsform nur auf das Wesen zurückzuführen: sie muß darüber hinaus auch zeigen, warum das Wesen gerade diese oder jene Erscheinungsform annimmt“ (Backhaus 2011, S. 44). „Der eigentliche Sinn der ‚Kritik der ökonomischen Kategorien‘ besteht darin, die sozialen Bedingungen aufzuzeigen, welche die Existenz der Wertform notwendig machen“ (Backhaus 2011, S. 51), dadurch aber gleichzeitig offenzulegen, welche sozialen Bedingungen verändert werden müssten, damit Wert und Kapital nicht mehr entstehen müssen. Die Warenform verweist „auf Wesentliches, auf Inhaltliches, dass sich in dieser Form ausdrückt und erscheint“ (Neupert 2013, S. 21). Wie verhalten sich Erscheinungsform und Form zueinander? Die Erscheinungsform (bspw. Tauschwert) ist ja keine Form welche erlaubt die Widersprüche dessen was erscheint (Wert) zu prozessieren. Sie ist nur der reale, konkrete Ausdruck in welchem diese Widersprüche auftreten und prozessieren. Die Widersprüche des Wertes bewegen sich in der Geld- und Kapitalform, aber erscheinen im Tauschwert? Eine tatsächliche begriffliche Durchdringung des Formbegriffes kann ich hier nicht leisten.
Genetische Darstellung und Entfetischisierung
Für Kim verwendet Marx, obwohl Marx selbst das glaubt, keine dialektische Methode sondern eine genetische, die er „selbständig“ (Kim 2017, S. 171) entwickelt hat.[1] Es ist nun nicht mehr der Raum auf diese Behauptungen einzugehen, aber Kim weist auf ein anderes interessantes Moment hin: Die genetische Methode ist eine Methode der Entfetischisierung, beim Übergang von Wert zu Geld, oder Geld zu Kapital geht es
„nicht um den dialektischen Übergang von einer einfacheren zur komplexeren Kategorie – d.h. vom Abstrakten zum Konkreten […] [sondern] um die inneren Darstellung des Zusammenhangs zwischen ‚innerem Zusammenhang‘ und ‚den ihn verschleiernden Erscheinungsformen‘. Bei der Darstellung der Entwicklung von der einfachen Wertform zur Geldform wird Folgendes enthüllt: In der Geldform wird verschleiert, dass das Geld ein Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse der warenproduzierenden Arbeiten ist. Bei der Darstellung der Verwandlung des Geldes in Kapital wird Folgendes deutlich: In der eigentümlichen Form des Kapitals G – W – G‘, wird verschleiert, dass der Mehrwert ein Resultat der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft ist“ (Kim 2017, S. 164f)
Marx beginnt also bei der „einfachen ökonomischen Form“ der Ware und der „ersten ökonomischen Totalität“ der Warenzirkulation um zu zeigen, dass alle weiteren Formen wie Wert, Geld, Kapital, aber auch Kampf um den Arbeitstag, Durchschnittsprofitrate, Krise hieraus resultieren. Marx entfetischisiert Schritt für Schritt jede Form und jedes Phänomen, und weil die erste Formierung, des Arbeitprodukts als Ware, nichts notwendiges ist, sondern historische Tat, zeigt sich die Historizität aller weiteren Formen. Für Wolf verdeutlicht Marx in seinem Vorgehen so die menschliche Grundlage aller Formen: Marx zeigt „warum und auf welche Weise die Menschen in ihrem Handeln von der unentwickelten durch Gebrauchswert und Wert bestimmten Struktur aus die entwickeltere durch Preis und Geld bestimmte Struktur schaffen“ (Wolf 2008, S. 22). Dies weist den Zusammenhang von Struktur und Handlung auf, denn indem sich die Menschen innerhalb der Struktur handelnd auf die Ware als Ware beziehen, schaffen sie Strukturen von Geld, Kapital und Konkurrenz. Diese entfetischisierende Darstellungsform zeigt sich auch an der zunehmenden Bedeutung des Fetischkapitels, während der Fetischcharakter in der ersten Kapitalausgabe nur als vierte Eigentümlichkeit der Ware verhandelt wird, in der deutschen Ausgabe nur als Unter-Unter-Unter-Kapitel auftritt, ist er in der von Marx präferierten französischen Ausgabe das vierte Unterkapitel (Kim 2017, 170f).
Schluss
Ich habe mit und durch dieses Essay einige für mich brennende Fragen der marxschen Darstellungsweise durchdrungen oder zumindest differenziert. Zum eine, habe ich nun für mich endlich verstanden, weshalb Marx mit der Ware beginnt. Dank der Trennung von ‚Kapital im allgemeinen‘ und ‚Konkurrenz der Kapitalien‘ und der marxschen scharfen Kritik an der Konkurrenz zu Erklärung der Warenwerte konnte ich Marx Vermeidung der Konkurrenz verstehen, ich muss jedoch feststellen, dass diese Vermeidung für mich eher von einem undifferenzierten Vorgehen zeugt und den grundlegenden Übergang von Geld zu Kapital für Marx verunmöglicht. Mit der Durchdringung des Formbegriffs habe ich erst begonnen, doch die marxsche Methode als fortschreitende Entfetischisierung zu lesen finde ich überzeugend. Es bleibt für mich: die marxsche Methode hat eine beeindruckende Eleganz und ich hoffe in Zukunft noch ihre weiteren Elemente von Wesen und Erscheinung, und die Bewegung vom Abstrakten zum Konkreten in ihrem tatsächlichen Platz zu verstehen.
Literaturverzeichnis
Marx, Karl (1969ff): Marx-Engels Werke. Berlin: Dietz.
Wolf, Dieter (2008): Zur
Methode in Marx’ „Kapital“ unter besonderer Berücksichtigung ihres
logisch-systematischen Charakters. Zum Methodenstreit zwischen Wolfgang Fritz
Haug und Michael Heinrich. In: Wissenschaftliche
Mitteilungen 6, S. 7–187.
[1] Diese zeichnet sich dadurch aus, dass alle vorherigen Darstellungsweisen ‚Vom Abstrakten zum Konkreten‘, ‚Von Wesen zur Erscheinung‘, ‚Kapital als strukturelle homogen zum Hegelschen Geist‘ überschritten werden, auch wenn sie noch teilweise in der Darstellung vorhanden sind und diese deshalb ambivalent ist.
“ konnte ich Marx
Vermeidung der Konkurrenz verstehen, ich muss jedoch feststellen, dass diese
Vermeidung für mich eher von einem undifferenzierten Vorgehen zeugt und den
grundlegenden Übergang von Geld zu Kapital für Marx verunmöglicht.“
Du weißt, dass wir hier einen Dissens haben. Der Übergang war für Marx sehr wohl möglich, aber anders, als Du ihn lesen willst, siehe https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/08/18/geld-und-kapital-i/ und https://philosophenstuebchen.wordpress.com/2011/08/19/geld-und-kapital-ii/.