Kolumne Immaterial World: Review

Streifzuege 66[Kolumne Immaterial World in der Wiener Zeitschrift Streifzüge]

Im Jahr 2004 fragte mich die Redaktion der Streifzüge, ob ich eine regelmäßige Kolumne schreiben würde, und ich sagte zu. In 12 Jahren schrieb ich 35 Kolumnen, und es hat mir Freude bereitet. Eine anstehende Kolumne war immer wieder Anlass, entweder aktuelle Themen aufzugreifen oder über die Dinge zu schreiben, die mich ohnehin gerade beschäftigten.

Doch warum Immaterial World? Das frage ich mich inzwischen auch. Zu Beginn verbarg sich dahinter die Idee, über Themen aus der digitalen Welt zu schreiben. Darunter fielen Themen wie Copyright, Wissensallmende, Wikipedia, freie Projekte, Informationsgüter, ACTA, Kopierschutz, Kulturflatrate und Shareconomy. Doch zunehmend mehr beschäftigte ich mich in den Kolumnen mit grundlegenden Begriffen und Konzepten wie Knappheit, Logik, Allgemeines, Information, Gesellschaft, Kritische Psychologie, Kategorien, Arbeit, Commons, Demonetarisierung, Selbstentfaltung, Konkurrenz/Kooperation, Stigmergie, Gründen/Interessen, Motivation, Utopie, Körper und Erziehung. Hier konnte ich meinem Hang zum Grundsätzlichen nachgehen.

Eingebettet waren viele Texte in einen positiven Bezug zum Konzept der Commons als Keimform einer freien Gesellschaft nach dem Kapitalismus. Dies kulminierte im Schwerpunktthema „Keimformen“ in der Frühlingsausgabe 2014, in der sich zahlreiche Autor_innen – auch kritisch – mit der „Keimform-Theorie“ auseinandersetzten. So weit ich zurückdenken kann, blieb dies der einzige Schwerpunkt, der sich explizit mit der gesellschaftlichen Transformation auseinandersetzte, denn einen Schwerpunkt „Transformation“ gab es nie.

Nur weil Transformation drauf steht, muss sie nicht drin stecken. Insgesamt erfüllen die Streifzüge ihren selbst gesetzten Anspruch, Lust auf Debatten gesellschaftlicher Transformation zu wecken, nach meiner Wahrnehmung nicht. Zu sehr verbleiben viele Texte im Modus der „radikalen Kritik“, deren Notwendigkeit unbenommen ist. Doch was was bedeutet Radikalität?

Radikalität wird oftmals mit einem rundum alles ablehnenden Gestus verwechselt. Doch in einer Gesellschaft des Spektakels – des spektakulären Gestus – wendet sich so manche radikale Geste leicht in Affirmation, und sei es als Guerilla-Marketing. Dabei ist die Wertkritik, der sich die Streifzüge verbunden fühlen, wie keine andere Theorie in der Lage, tatsächlich die Wurzeln der kapitalistischen Vergesellschaftung offenzulegen. Doch die einfache Negation, die bloße Kritik und Ablehnung eines „so nicht“, ist nur die halbe Miete. Transformation bedeutet Aufhebung, also doppelte oder dialektische Negation, die nur eine Position, ein „sondern so“ sein kann.

Doch hier liegt uns das Bilderverbot im Magen, es wirkt trotz gegenteiliger Bekundungen auch in den Streifzügen fort. Und ja: Position ist schwer und wer sie wagt, betritt vermintes Terrain, kann sie doch nicht als bloßes Wunschbild erfolgen, sondern muss sich kategorial begründen. Kategorien adressieren die mittlere Strukturebene zwischen konkretistischem Auspinseln und abstrakten Globalaussagen. Sie sind dabei nicht nur analytischer, sondern in ihren strukturellen Aussagen immer auch ontischer Natur: „So ist es“. Seinsaussagen geraten jedoch schnell in den Verdacht der Ontologisierung, also der unzulässigen Umdeutung von historisch Spezifischem in überhistorisch Allgemeines.

Die Unterscheidungsnotwendigkeit aber auch -fähigkeit zwischen allgemein Ontischem und begrenzt Spezifischem motiviert meine Vorliebe für Kategorien. In vielen Texten wage ich die Aussage: So ist es. Und ernte dafür immer wieder Kritik, aber das ist gut so. Denn mir geht es um kategoriales Denken, um eine grundsätzliche Debatte über den aufgehobenen Kapitalismus, den Commonismus, „worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist“ – eine großartige kategoriale Position (die positiv-inklusive Reziprozität), die Marx und Engels da notierten. Der Commonismus ist kategorial erschließbar, aber das ist nicht trivial und braucht die Anstrengung des Begriffs.

Erst von hier aus könnte sich Radikalität als das erweisen, was sie sein kann: fundamentale, die bloße einfache Negation überschreitende aufhebende Kritik. Erst mit einem Begriff eines Aufgehobenen kann die Kritik des Aufzuhebenden ihr kategoriales Fundament bekommen. Erst am Ende ist der Anfang begründet – ein basaler Hegelscher Gedanke, um den Marx noch wußte.

Kritik wie Transformation ist kein Massenthema, kein Magazinthema. Der Slogan „magazinierte Transformationslust“ ist eine Anrufung, tatsächlich aber ein Widerspruch in sich (und sprachlich ein Ungetüm). Lust ist etwas unmittelbares, Transformationsdenken etwas sehr vermitteltes. Erst in einer transformatorischen Praxis kann sich Lust entfalten. Nur bei sehr wenigen Menschen ist das denkende Erschließen der Transformation selbst schon die transformatorische Praxis, die hin und wieder lustvoll sein kann. Das ist eher eine Sache von Theorie-Nerds.

Die Streifzüge können daher nicht erfolgreich sein, misst man Erfolg an der Zahl der Leser_innen. Erfolg haben die Streifzüge, wenn sie es schaffen, Denkformen in die Welt setzen, die andere nicht gedacht bekommen, aber denken müssen, um zu verstehen. Ein sehr mittelbarer Effekt, aber ein eminent wichtiger.

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