Mit Commons anders sehen

Die Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) hat einen interessanten Text zum »Zwischenstand der Diskussion« über die Commons veröffentlicht. Dieser Text versteht sich nicht als Positionierung des BUKO, sondern als Zusamenfassung der bisherigen Diskussion (u.a. vom letzten BUKO-Kongress, vgl. dazu auch meinen Beitrag).

Hier nun der BUKO-Diskussionsbeitrag zu den Commons.

Mit Commons anders sehen. Zum Zwischenstand der Diskussion

Commons sind in den letzten zwei Jahren nicht nur beim Nobelpreiskomitee, sondern auch in der linken Diskussion angekommen. In Deutschland haben mehrere linke Zeitschriften den Commons eine Ausgabe gewidmet, altbekannte Organisationsstrukturen, Projekte und Ansätze alternativen Lebens – Hausprojekte, Kommunen, Kinderläden, selbstverwaltete Betriebe oder Community-Gärten – werden nicht nur unter Commons-Gesichtspunkten neu in die Diskussion gebracht, sondern scheinen auch in den letzten Jahren wieder verstärkt praktisch in Angriff genommen zu werden. Die Diskussion um die Commons ist beileibe noch nicht zu Ende geführt. Einige Konturen von Commons als theoretischem Bezugspunkt und Grenzen und Potenziale des Begriffs als emanzipatorischen Orientierungspunkt beginnen sich aber abzuzeichnen. Auch die BUKO hat sich im Jahr 2010 im Rahmen eines Seminar und ihres Jahreskongresses mit dem Thema befasst. Der folgende, von einer Einzelperson aus der BUKO geschriebene Text versucht den Stand der Diskussion – ohne den Anspruch auf Vollständigkeit und ohne dass damit eine Positionierung der BUKO beabsichtigt wäre – zusammenzufassen.

Relativ klar scheint zunächst, dass das Entscheidende, Definierende an Commons aus linker Sicht zwei Aspekte sind: einerseits das Commoning, also die organisatorischen und sozialen Strukturen und Prozesse, die eine Nutzung von Gütern und Wissen als Commons ermöglichen, andererseits die Möglichkeit, dass Commons von einer großen Anzahl von Menschen nach nicht marktförmigen Regeln genutzt werden und insoweit kapitalistische Ausschlüsse entlang von Haben/Nicht-Haben vermieden werden können.

Ob Commons aus emanzipatorischer Sicht als normativer oder deskriptiver Begriff verwendet werden sollte, ist dabei nicht immer klar. Aus der Tatsache, dass sich auch Institutionen wie die Weltbank positiv auf den Begriff beziehen und den unten noch zu diskutierenden Grenzen der Commons, werden unterschiedliche Schlussfolgerungen gezogen. Während einige den Commons-Begriff so definieren wollen, dass bestimmte, nicht emanzipatorische Praktiken schon begrifflich nicht erfasst sind, sind andere der Ansicht, dass aus linker Sicht zusätzlich Anforderungen an die Organisation in Commons-Form gestellt werden sollten, um sich positiv darauf beziehen zu können.

Umstritten ist auch, inwieweit Commons das Potenzial haben, Herrschaftsstrukturen in einem breiteren gesellschaftlichen Maßstab zu verändern. Ein wiederkehrender Aspekt der Diskussionen ist dabei der räumlich und gegenständlich begrenzte Charakter von Commons. Nimmt man die eingangs erwähnte Definition ernst – keine Commons ohne dahinter stehende soziale Praxis – gibt es bisher kaum globale Commons, Commons in der digitalen oder Wissenssphäre ausgenommen.

Mit dem bislang eher lokalen Charakter von Commons gehen dabei notwendigerweise Ausschlüsse einher. Dort, wo es keine Hausprojekte oder selbstverwalteten Betriebe gibt, muss, wer Commons praktizieren möchte, entweder neue Commons schaffen bzw. erkämpfen – ein praktisch nicht immer einfaches Unterfangen – oder Teil existierender Strukturen anderen Ortes werden. Commons hochzuhalten schließt nicht die Rechte oder Bedürfnisse derjenigen ein, die nicht in CommonsStrukturen organisiert sind, beinhaltet keine klare Forderung, deren Umsetzung allen zu Gute kommen würde. Commons, so die Kritik, beschränken sich auf Gemeinschaften und bieten keine herrschaftskritische Perspektive, wie eine Vergesellschaftung jenseits von Markt und Staat aussehen könnte (vgl. Stützle 2010).

Tatsächlich wird im Rahmen der Diskussion um Commons bisher wenig in kritischer Weise über den Staat und die Tatsache gesprochen, dass als Commons organisierte Projekte sich – zumindest in Deutschland – häufig staatlichen (bürgerlichen) Rechts bedienen, um den nötigen Freiraum und ihre dauerhafte Existenz zu sichern. Elinor Ostrom (1990, 90) benennt als eine Voraussetzung für stabile Commons, dass Regierungen den entsprechenden Gemeinschaften Freiraum lassen, sich selbst zu organisieren. Mit den Commons solche Strukturen als positiven Fluchtpunkt emanzipatorischer Anstrengungen zu wählen, die auf staatliche Duldung angewiesen sind, mag tatsächlich gewisse Zweifel an deren subversiven Potenzial wecken. Doch letztlich können wir als Linke niemals mehr tun, als verfügbare Strukturen so gut wie möglich für unsere Ziel zu nutzen – und soziale Orte, um Alternativen auszuprobieren brauchen wir allemal.

Problematisiert wird teilweise auch, ob eine Organisierung aller möglichen Lebensbereiche als „Commons“ nicht auch eine Überforderung von einzelnen darstellen würde, die sich in verschiedenste Prozesse und Strukturen einbringen müssten.

Leerstelle der Commons ist auch eine gewisse Blindheit gegenüber anderen Herrschaftsstrukturen als den ökonomischen. So werden beispielsweise Sexismus oder Rassismus nicht automatisch verschwinden, wenn wir uns und unsere Leben in Commons-Strukturen organisieren. Commons-Strukturen im digitalen Bereich – Wikipedia oder die Produktion freier Software – sind ein deutliches Beispiel dafür, dass Commoning nicht notwendigerweise auch Geschlechterverhältnisse verändert. Linke Projekte versuchen zwar zumeist ein anti-sexistisches, anti-rassistisches und auch sonst möglichst herrschaftsfreies Commoning zu praktizieren – notwendiger Bestandteil von Commons ist eine solche Praxis aber nicht. Feministische Aspekte der Diskussion um Commons sind – zumindest in der deutschen Diskussion – dementsprechend bisher wenig beleuchtet (vgl. aber Möser 2010). Commons können dabei aber durchaus für feministische Anliegen in Anschlag gebracht werden. So dürften beispielsweise Commons vor allem in Ländern des globalen Südens für Frauen materiell noch wichtiger sein als für Männer, da Frauen häufig noch weniger Zugang zu Privateigentum und Geld und damit zu Ressourcen haben, die bezahlt werden müssen, als Männer (Pati 2006, 22). Auch theoretisch lassen sich möglicherweise fruchtbare Verbindungen zwischen Commons und Feminismus herstellen: Nicht nur die Einhegung von Commons bzw. ihre fortgesetzte Existenz sind Voraussetzung kapitalistischer Warenproduktion, auch unbezahlte und stärker von Frauen geleistete Reproduktionsarbeit gehört zu deren häufig nicht ausgesprochenen Voraussetzungen.

Eine politische Bezugnahme auf Commons bietet also trotz möglicherweise begrenzter Reichweite auch Potenziale. Besonders wichtig ist dabei, dass die politische Bezugnahme auf Commons deutlich macht, dass „entgegen landläufiger Meinungen, Alternativen – im Plural – existieren und zwar überall“ (de Angelis 2003). In Zeiten immer wieder beschworener vermeintlicher Alternativlosigkeit kapitalistischer Gesellschaftsmodelle ist das ein wichtiger Mehrwert. Zudem sind Commons teilweise durchaus umkämpft und der Versuch, sie zu erhalten, trifft auf Repression. Dies ist vor allem der Fall, wenn Commons den Interessen mächtiger Akteure entgegenstehen, weil diese Commons privatisieren wollen, oder wenn soziale Bewegungen – wie beispielsweise die brasilianische Landlosenbewegung MST – darum kämpfen, dass Privateigentum zu Commons wird.

Commons ermöglichen auch eine Verbindung von Theorie und Praxis, die bei anderen linken politischen Schlagworte der letzten Jahre – beispielsweise „Aneignung“ oder „globale soziale Rechte“ – weniger nahe liegt. Commoning geschieht nämlich schon – und linke AktivistInnen sind daran häufig aktiv beteiligt. Der Commons-Diskurs bietet damit zumindest die Möglichkeit, unsere alltäglichen Praktiken in unterschiedlichen Feldern und Regionen der Welt miteinander in Beziehung zu setzen und im Rahmen einer strukturierten und kollektiven Reflexion der Praxis Erkenntnisse zu gewinnen, wie gesellschaftliche Produktion und Reproduktion in anderer Weise funktionieren kann als über den Markt. Auch in die andere Richtung kann die Verbindung zwischen Theorie und Praxis funktionieren: Eine Beteiligung an Commons ist auch für Menschen jenseits der linken „Szene“ niedrigschwellig möglich – z.B. in Nachbarschaftsgärten oder bei Wikipedia. Wenn es gelänge, diese Praxis als Gegenmodell mit politischer Relevanz zu thematisieren, ließe sich im besten Fall ein Bewusstsein für gesellschaftliche Veränderungspotenziale breiter verankern.

Möglicherweise ist eine politische Bezugnahme auf Commons nicht mehr als der Akt, sich (und anderen) eine Brille aufzusetzen. Eine Brille auf der Nase verändert gesellschaftliche Realitäten nicht unmittelbar, jedoch den eigenen Blick auf die Welt. Sie macht sichtbar, was vorher nicht zu sehen war. Eine Bezugnahme auf Commons lässt gesellschaftliche Strukturen, Optionen und Utopien erscheinen, die davor nicht sichtbar und damit auch nicht beschreib- oder umsetzbar waren. Eine Brille ist dabei in vielen Fällen mehr als nur nützlich: Ohne sie lebt es sich – je nach Sehschärfe – recht ungemütlich.

(Stand: Februar 2011)

Literatur:

De Angelis, Massimo, 2003: Reflections on alternatives, commons and communities or building a new world from the bottom up, in: The Commoner Nr. 6, Winter 2003, www.commoner.org.uk/deangelis06.doc

Möser, Cornelia, 2010: Reflexion des Ungedachten – Kritische Überlegungen zu commons, queer politics und antikapitalistischen Praxen, in: Analyse und Kritik Nr. 549, http://www.akweb.de/ak_s/ak549/39.htm

Ostrom, Elinor, 1990: Governing the Commons – Political Economy of Institutions and Decisions, Cambridge University Press, Cambridge u.a.

Pati, Anuradha, 2006: Development Paradigms, Feminist Perspectives and Commons A Theoretical Intersection, Vortrag bei der Eleventh Biennial Conference of the International Association for the Study of Common Property (IASCP), Bali, Indonesia, Juni 2006, http://www.indiana.edu/~iascp/bali/papers/Pati_Anuradha.pdf

Stützle, Ingo, 2010: Vor Veränderung kommt Verstehen. Die Commons liefern nur ein schräges Bild vom Kapitalismus, in: Analyse und Kritik Nr. 549, http://www.akweb.de/ak_s/ak549/44.htm

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