Zehn Thesen zur globalen Commons-Bewegung
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Die Internationale Commons Conference (ICC), die vom 31.10. bis 2.11.2010 in Berlin stattfand, spiegelt den Stand der globalen Commons-Bewegung wider. In zehn Thesen versuche ich diesen Stand aus meiner Sicht zu umreissen.
1. Die globale Commons-Bewegung existiert als Zusammenfügung der über den Erdball verteilten Bewegungen, die beginnen, sich ihres globalen und zusammenhängenden Charakters bewusst zu werden. Als eine globale Bewegung ist sie also derzeit eher eine Bewegung des Selbstbewusstwerdens als ein gemeinsamer Akteur.
2. Die Diversität der Commons-Bewegungen ist ihr konstitutives Merkmal. Sie unterscheiden sich entlang zahlreicher Dimensionen:
- Art der Ressourcen und Produkte:
– natürlich: Wasser, Atmosphäre, Fossilenergiestoffe, Erneuerbare Energien etc.
– hergestellt: Musik, Filme, Texte, Software, Designs, Hardware, Infrastrukturen etc. - Beschaffenheit der Ressourcen und Produkte:
– stofflich: Naturgüter, materielle Produkte, Digitalträger, Infrastrukturen
– nicht-stofflich: Wissen, Software, Kulturgüter - Kulturen des Umgangs mit Ressourcen und Produkten
– tradiert: indigene Erfahrungen und Praxen
– generiert: digital-basierte Kommunikation - Formen der Selbstorganisation (»governance«)
– unabhängig-autonom
– institutionenorientiert - Beziehung zu Markt und Staat
– Nähe und Verbindung zu Markt und/oder Staat
– Ferne und Unabhängigkeit von Markt und Staat
3. Die Diversität drückt sich in unterschiedlichen und teilweise gegensätzlichen Wahrnehmungen und Ansätzen aus:
- bewahrende vs. erzeugende Commons
- natürliche vs. digitale Commons
- unabhängige vs. marktorientierte vs. staatsorientierte Commons
- Markt/Staat modifizieren vs. Markt/Staat ersetzen
- Lokalgeld vs. kein Geld
- und andere mehr
4. Die unterschiedlichen bis gegensätzlichen Wahrnehmungen spiegeln den noch unentwickelten Reflexions- und Entwicklungsstand des Selbstbewusstwerdens wider. Es sind Unterschiede im Gleichen.
5. Was das Gleiche ist, dessen Unterschiede sichtbar sind, ist noch unklar und wird sich erst schrittweise in dem Maße zeigen, wie sich die Praxis der Commons entfaltet. Vorher gibt es keine Notwendigkeit reflexiv, theoretisch weiterzukommen. Voranschreitend wird gelernt. Die weiteren Thesen sind daher spekulativ, aber begründet.
6. Die Commons stehen objektiv in Opposition zum Kapitalismus, da sie eine andere Logik repräsentieren. Dort wo sie erfolgreich sind, kann sich Markt nicht entfalten. Dort wo sie ihre eigenen Angelegenheiten regeln, ist Staat nicht erforderlich.
7. Die Opposition zur kapitalistischen Logik wird zwar wahrgenommen, aber unterschiedlich gedeutet. Die Mehrheit deutet die Commons als Ergänzung zu Markt und Staat. Im Slogan »Commons jenseits von Markt und Staat« wird das »jenseits« also als »neben« interpretiert. Das ist eine gerechtfertigte Beschreibung des gegenwärtigen Entwicklungsstandes.
8. Gleichzeitig sind die Commons die Aufhebung des Kapitalismus. Die Commons besetzen nicht nur praktisch Felder, wo dann kein Markt mehr wachsen kann oder wo der Markt an den Rand der freien Bereiche getrieben wird, sondern sie setzen eine neue Art und Weise, die Lebensbedingungen gesellschaftlich herzustellen, also eine neue Produktionsweise in die Welt. Die neue Produktionsweise ist keine besondere eines der vorher genannten diversen Bereiche, sondern eine allgemeine.
9. Die Commons überschreiten den Kapitalismus in einem vierfachen Sinne: Beenden, Erfüllen, Bewahren, Erheben. Sie beenden die Exklusionslogik des Kapitalismus und setzen die Inklusion als soziales Prinzip an die Stelle. Sie erfüllen die Versprechen der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit. Sie bewahren sinnvolle Errungenschaften und Produkte. Sie erheben die menschlichen Bedürfnisse zum Maßstab der gesellschaftlichen Vermittlung und ihre Befriedigung zum Sinn des gesellschaftlichen Lebens.
10. Die Potenz der Commons, eine neue Form der gesellschaftlichen Produktion des Lebens zu sein, garantiert nicht, dass sie sich auch durchsetzt. Nichts kommt von selbst, es ist zu tun. Der Prozess der Bewusstwerdung hat erst begonnen. Aber er hat begonnen.
Schöne Thesen (vor allem die letzten fünf), vielen Dank dafür!
Was die Diversität (These 2) betrifft, scheint mir da allerdings eine Gefahr zu bestehen, dass dabei als harter Gegensatz erscheint, was tatsächlich eher fließende Übergänge sind. Die fließenden Übergänge sind dir bewusst, deshalb redest du von „zahlreichen Dimensionen“, aber andererseits stellt du anschließend fünf als Gegensatzpaare ausformulierte Dimensionen dar (z.B. natürlich / hergestellt, stofflich / nicht-stofflich) und ordnest diesen teils auch noch konkrete Beispiele zu – obwohl die Realität natürlich komplexer ist, z.B. sind „Erneuerbare Energien“ und „Wasser(versorgung)“ nicht einfach nur „natürlich“, sondern erfordern auch „hergestellte“ Anlagen, um nutzbar zu sein.
Hier sollte man denke ich sorgfältig formulieren, um nicht ungewollt das Denken in Dichotomien zu befördern, das bei Vertreter/innen der unterschiedlichen Formen von Commons weit verbreitet ist und das der Selbstwahrnehmung als diverse, aber eben doch zusammenhängende Bewegung entgegen steht. (Wie z.B. bei Brian Davey: Abundance of Food vs Abundance of Recipes, aber auch bei Michel Bauwens’ Reaktion darauf – beide sehen Fülle (abundance) als Merkmal nur der digitalen/immateriellen Welt, der die „real scarcity of the material world“, die reale Knappheit der materiellen Welt, entgegensteht.)
Ja, du hast recht. Eigentlich wollte ich mit den Thesen darauf hinaus, dass die Gegensätze nur als solche erscheinen, weil die kapitalistischen Verhältnisse sie als solche erzeugen.
Das gilt auch für These 3. Tatsächlich sind erzeugene Commons immer auch bewahrende, digitale immer auch natürliche — aber dann passen Markt und Staat nicht mehr dort hin. Ich hätte alles anders strukturieren müssen, und das habe ich dann sein lassen und mich für die Vorläufigkeit entschieden.
Der Kurzschlüsse immateriell=>Fülle und materiell=>Knappheit sind weit verbreitet, denn sie sind Teil des ökonomischen Dogmas. Der Einbruch in das Dogma geschieht aber über die immaterielle Seite, weil dort ziemlich offensichtlich Knappheit künstlich hergestellt wird. Bei der stofflichen Seite wird dem ideologischen Mem, dass Stoffliches naturbedingt immer knapp ist, ungebrochen gefolgt (gerade auch in der Linken). Solange man Commons nur als Hinzufügung zur normalen Ökonomie betrachtet, wird sich daran auch nichts ändern.
Hi Stefan, das mit der Dichotomisierung ist richtig, müssen wir ganz vorsichtig sein. Die ‚Fülle – Knappheits‘ Debatte wird da weiterhelfen, denke ich – wenn wir Verzola-Davey zusammenbringen (es steht auf meiner To-Do Liste, diese Diskussion auf Deutsch zusammenzufassen und einen Brückenversuch zu starten. Spätestens dann aber im nächsten Buch :-))
Ich glaube, dass es gelingen muss, die Diversität – die konstitutives Merkmal der Commons ist und bleiben wird -auch zum stabilisierenden Merkmal zu machen. Wie das in der Natur ja auch der Fall ist und das geht vermutlich nur über – sorry – Wertedebatten. Also zu fragen, was die Gesellschaft die wir wollen, kennzeichnen soll – was sie für den Einzelnen in seinen vielfältigen Beziehungen leisten soll und welchen Strukturierungsprinzipien sie selbst folgen muss, um dies zu leisten. Meiner Ansicht nach ist das das „Gleiche“ von dem Du sprichst.
Ich erinnere mich and die Frage von Johannes Heimrath bei der ICC: Was machen wir denn nun anders? Wirklich, wirklich anders? Ich habe ein paar der Antworten hier notiert. http://commonsblog.wordpress.com/page/2/
– kein Primat des Eigentums, – Fokus auf Gebrauch und Nutzung
– dezentralisieren und diversifizieren statt zentralisieren, anordnen und kontrollieren
– Kooperationsfördernde Sozialformen und Institutionen statt „The winner is, wer am besten konkurriert.“
aber da bedarf es noch eines viel klareren Identifikationsprozesses des „Gleichen in der Verschiedenheit“ – ich denke, das würde den Prozess des Selbstbewußtwerdens erheblich beschleunigen und beteilige mich gern daran, ein paar Gedanken zusammenzutragen – kann ich dann auf dem Weltsozialforum in Dakar mal vorstellen. (Anfang Februar 2011)
Wo solche Dinge im Zentrum stehen, können Commons gedeihen. An diesem Kern – dem Gleichen – können wir auch jetzt schon weiterdenken. Wie das dann systematisch in Strukturen, Sozialformen und Institutionen gegossen werden kann, die in die Gesellschaft hineinwirken und sie (und uns) verändern, das wird tatsächlich das „voranschreitende“ Lernen, das Studieren der Praxis erfordern. (Was funktioniert warum und warum nicht?) Und genau deshalb lohnt es auch immer wieder bei der IASC nachzulesen. Dazu haben die ja jede Menge Feldstudien gemacht und seit ein paar Jahren öffnen sie sich auch für den kulturellen Bereich.
Eins noch zum Slogan »Commons jenseits von Markt und Staat«, speziell zum Staat: „Neben“ klingt unverbunden. Das ist es aber gerade nicht. Es geht um eine andere Art der Verschränkung staatlicher Institutionen mit Räumen des Commoning, darin dem Staat konkrete Funktionen zuzuweisen, bzw. ihn darauf zu reduzieren:
– Streitschlichtung bei konfligierenden Nutzungsinteressen und überregionalen Ressourcensystemen
– Beteiligung an der Treuhänderschaft an überregionalen Ressourcensystemen
– „Enabler“ -also da Energie und Geld investieren, wo Commons im Entstehen sind, wo Selbstorganisation sich regt
– Zurückdränger – des Zugriffs von marktorientierten Interessen (momentan ist es eher umgekehrt.) Kleines aktuelles Beispiel aus Angermünde. http://www.moz.de/artikel-ansicht/dg/0/1/271844
Und schließlich:
Bei These 9 ist mir nicht klar, warum Du „Sie erfüllen die Versprechen der individuellen Entfaltung der Persönlichkeit.“ als Erfüllung eines Versprechens des Kapitalismus beschreibst. Hat er das wirklich jemals versprochen?