Lieber Oskar Lafontaine,
beim letzten Programmkonvent der LINKEN sagten Sie dieses:
Wer die Eigentumsfrage nicht stellt, wird die ökologische Frage nicht lösen können. Das ist unsere Sonderstellung hier als Partei Die Linke. Und wir werden ja mittlerweile, liebe Freundinnen und Freunde, aus der Wissenschaft unterstützt. Der letzte Nobelpreis [für Wirtschaft 2009] , und ich empfehle allen, daran anzuknüpfen, ist an eine Wissenschaftlerin verliehen worden, Elinor Ostrom, die erforscht hat, daß Gemeinschaftseigentum ökologischer verwaltet wird als Privateigentum. Ja, selbst wenn das in der klassischen Wissenschaft erforscht wird, da sind wir, Die Linke, doch gehalten, darauf hinzuweisen: Gemeinschaftseigentum ist viel, viel eher in der Lage, zu umweltgerechtem Verhalten zu führen als Privateigentum.
Prima. Nur ist es so, dass Elinor Ostrom nicht »Gemeinschaftseigentum« erforscht, sondern »Commons«, zu deutsch »Gemeingüter«. Das ist ein Unterschied, den verstehen sollte, wer Gemeingüter für sich als Argument in Anspruch nehmen möchte. Allerdings, zugestanden, hat auch das Nobelkomitee in der Begründung vom »gemeinschaftlichen Eigentum« gesprochen. Auch hier rutschten die Begriffe durcheinander.
Eigentum und Besitz werden oft verwechselt bzw. gleichgesetzt (wie jüngst auch bei der Urheberrechtsdiskussion in der LINKEN). Tatsächlich hat Elinor Ostrom die sozialen Formen (»Governance«) bei der Nutzung von gemeinschaftlichem Besitz erforscht. Ein solcher Gemeinschaftsbesitz ist auf Basis verschiedener Eigentumsformen realisierbar, also sowohl auf der Grundlage von privaten wie kollektiven Eigentumsformen. Denn das ist der entscheidende Unterschied: Besitz bezeichnet immer ein konkretes Nutzungsverhältnis (von Personen und Gut), während Eigentum ein abstraktes Rechtsverhältnis beschreibt.
So kommt Elinor Ostrom auch zu der zugespitzten Aussage, dass sich die Gemeingüter (Commons) »jenseits von Staat und Markt« — so der Untertitel ihres Buches »Die Verfassung der Allmende« — bewegen müssen, wollen sie erfolgreich sein. Für die Eigentumsfrage bedeutet das, dass sie in neuer Weise gestellt werden muss, nämlich jenseits der Dichotomie von Markt und Staat.
Das hier nur skizzenhaft dargestellte Problem liegt tatsächlich nicht so ohne weiteres auf der Hand. Aber ich komme gerne mal vorbei und stelle es im Detail dar 🙂
Den Satz, in dem „Dichtomie“ vorkommt, verstehe ich nicht, obwohl ich das bei der Wikipedia nachgeschaut habe. Könntest du den betreffenden Teil noch mal verständlich formulieren?
Ok, hier nochmal ohne »Dichotomie«: Für die Eigentumsfrage bedeutet das, dass sie in neuer Weise gestellt werden muss, nämlich jenseits der Entgegensetzung von Markt und Staat.
Macht es das verständlicher oder ist es unabhängig von den Worten inhaltlich schwer verständlich?
Bedenklich finde ich allerdings vor allem, dass Lafontaine sagt:
Abgesehen davon, dass man dann nicht mehr so recht versteht, warum seine Partei grundsätzliche Probleme mit Hartz IV haben sollte, wenn sie das so sieht, täte er gut daran, mal bei Marx nachzulesen, was der über das „Umschlagen der Eigentumsgesetze“ zu sagen hat (Kapital I, Kap. 22):
Das bloße Stellen der Eigentumsfrage reicht eben nicht, wenn man nicht zugleich die Frage nach der Produktionsweise stellt.
Der Diskurs ist i.d.R. deutlich weiter als die Praxis, wobei die Hauptsache ist, dass die Praxis sich kontinuierlich am Diskurs orientiert. Der Ansatz in Venezuela geht in eine ähnliche Richtung. Aus der Dissertation von Dario Azzellini:
@n0b0dy: Es ist schon ein wesentlicher Unterschied, ob man für Unternehmen oder für Commons sagt, die Eigentumsform sei nicht scheidend. Unternehmen müssen auf Verwertung von Kapital und Arbeitskraft ausgerichtet sein, egal ob sie sich sozialistisch, genossenschaftlich oder sozialirgendwas nennen. Ob die vielen SOLLs in Darios Formulierungen eintreffen, hängt unter anderen davon ab, ob die Verwertung gelingt.
Die Commons, die dieser Logik nicht folgen, sondern jenseits von Markt und Staat agieren, können also nicht als Argument oder Beleg dafür in Anspruch genommen werden.
@StefanMz: Klar, aber solange man sich in einem marktwirtschaftlichen Umfeld befindet wird eine gewisse Orientierung auf die Verwertung unvermeidbar sein. Meine These: Die Grundlage, damit die Produktionsmittel zu wirklichen Commons werden können, ist die kollektive Selbstverwaltung selbiger. Die Integration der Unternehmen, egal welcher formalen Eigentumsform, in die kommunale Rätestruktur also der erste Schritt dazu. Ist das geschafft, so wird es möglich Vermittlungsformen jenseits des Marktes zu finden.
Silke ist optimistisch
@Stefan „Besitz bezeichnet immer ein konkretes Nutzungsverhältnis (von Personen und Gut), während Eigentum ein abstraktes Rechtsverhältnis beschreibt.“
Damit definierst Du „Eigentum“ auf bestimmte Weise, diese Definition müssen andere aber nicht teilen. Auch wenn Du mit dem, was aus den marxistischen Traditionen zu dieser Kategorie gesagt wird (bzw. was Du davon kennst), nicht zufrieden bist, ist m.E. dort ein weiterer Horizont aufgespannt als diese übliche bürgerlicher Unterscheidung von Besitz und Eigentum.
Peter Römer, auf den sich Sabine Nuss übrigens bezieht, war da 1978 schon mal weiter. Der unterscheidet zwischen Eigentum als Produktions- und als Rechtsverhältnis (Römer 1978: 101). Als politökonomische Kategorie bezieht sich Eigentum auf die Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Mitteln der Reproduktion und erfasst auch den Prozess des Aneignens, als juristische Kategorie stellt sie den Ausschluss der Menschen von den von ihnen selbst produzierten Gütern und Produktionsmittel dar und erfasst nur die Beziehung des Habens (ebd.: 22).
Wie wir eventuell konstruktiv mit der Kategorie der „Aneignungsverhältnisse“ (etwas verändert nach „Eigentumsverhältnisse“, damit auch die Prozessualität ausgedrückt wird) umgehen könnten, haben wir noch gar nicht versucht. M.E. ist sie notwendig, um den gesamtgesellschaftlichen Kontext begrifflich zu erfassen.
@Annette: Ja, ich benutze Eigentum/Besitz auf eine bestimmte Weise (die andere nicht teilen mögen). Sie hat eine bestimmte Funktion, nämlich die Nichtunterscheidung bzw. Vermischung von Eigentum und Besitz im traditionellen marxistischen Diskurs zu kritisieren.
Die Unterscheidung von Eigentum und Besitz ist aber keineswegs eine bloß bürgerliche, sondern die ist wesentlich älter, und es gibt ja durchaus auch marxistische Debatten, die diese mit erfassen. Nicht der Regel findet dies jedoch nicht statt, sondern heraus kommt ein unerquicklicher Brei, der nichts mehr kapiert.
Peter Römer kenne ich nun tatsächlich nicht, aber die Fassung von Eigentum als Produktionsverhältnis ist mir durchaus vertraut (ebenso wie Unterscheidung von Realprozess der Privataneignung und seiner rechtlichen Kodifizierung). Zu Römer kann ich also nichts sagen, aber die Fassung von Privateigentum als Produktionsverhältnis führte in der Folge zu der fatalen Gleichsetzung mit dem Rechtsverhältnis und gerade zu dem, was ich kritisiere. Die Annahme wird nämlich schlicht umgedreht: Wenn das Rechtsverhältnis geändert (abgeschafft, aufgehoben etc.) wird, ändert sich auch das Produktionsverhältnis (verkürzt formuliert). Dass gerade dem nicht so ist, dass hier die gesellschaftliche Transformation geradezu auf dem Kopf steht, ist Kern meiner Kritik.