Commons: Strategische Perspektive oder Rettung des Kapitalismus?
BUKO-Seminar, 12.-14.2.2010 in Kassel
In den vergangenen Jahren erlebt das Konzept der Commons (Gemeingüter, Allmende, Das Gemeinsame, …) eine Renaissance. Von der Global Marshall Plan Foundation bis hin zum Weltsozialforum wird in der Wiederentdeckung, Erhaltung und Weiterentwicklung der Commons die Möglichkeit gesehen, die Welt gerechter zu gestalten und die ökologische und ökonomische Krise zu überwinden. Zuletzt wurde sogar ein halber Wirtschaftsnobelpreis für die Commonsforschung an Elinor Ostrom vergeben. Gleichzeitig werden die Commons im Krisenprozess selbst massiv angegriffen (Klimakrise, Privatisierung, Überfischung, Überwachung und Zensur, …).
Eine weitere wichtige Eigenschaft des Commonsdiskurses ist seine Anschlussfähigkeit an so ziemlich jede Debatte, von Kommunist_innen und Anarchist_innen bis hin zu Liberalen und Konservativen findet jeder etwas da drin. Doch wohin führt uns dies? In einen Kapitalismus 3.0 (Peter Barnes) oder in die radikale Transformation kapitalistischer Verhältnisse? In dem Seminar wollen wir uns gemeinsam einen Überblick über die Debatten verschaffen, strategische Potentiale erkennen und Beispiele der konkreten Praxis kennen lernen. Teil des Seminars werden zwei Open Spaces sein, d.h. Phasen, in denen alle Interessierten Diskussionsthemen vorschlagen oder anbieten können.
Tagungsort: Villa Locomuna, Kassel, Anmeldungen bis zum 31.1.2010 an mail ÄT buko.info. Der Teilnehmer_innenbeitrag beträgt 20 Euro — eine Teilnahme soll aber am Geld nicht scheitern. Schlafsäcke und Isomatten bitte mitbringen. Wir werden bei dem Seminar voraussichtlich teilweise selber kochen.
Das Seminar wird veranstaltet von der Bundeskoordination Internationalismus (BUKO) in Kooperation mit der Rosa-Luxemburg-Stiftung. [via]
Das ist eine essentiell wichtige Frage. Hab mich schon für die Teilnahme angemeldet!
Ich hab mir in letzter Zeit einige Gedanken darüber gemacht. Das wichtigste ist, denke ich, dass klar sein muss, das „Gemeingüter“ nicht die Lösung aller Probleme sind, sondern nur ein neues Argument, vielleicht sogar ein neues „Paradigma“? für die Diskussion, bei gleicher machtpolitischer Ausgangslage.
Massimo de Angelis ( http://www.commoner.org.uk/blog/?p=227 )weist darauf hin, dass wir auch bei der Diskussion um commons nicht die herrschenden Machtverhältnisse aus den Augen verlieren dürfen. Und dass commons nicht, wie oft behauptet, jenseits, d.h. unabhängig von Markt und Staat existieren können, sondern, dass Markt und Staat Teil der Organisation von commons sind und auch sein müssen.
Ich führe einige Überlegungen an, ohne Anspruch auf Vollständigkeit und ohne eine fertige Meinung dazu, sondern als Diskussionsanstöße:
1. Zu Machtverhältnissen
Wenn wir z.B. das Klima oder das Wasser als Gemeingüter setzen, dann sind diejenigen, die die Regeln aushandeln und ihre Einhaltung kontrollieren und sanktionieren müssen, die Staaten, bzw. die Regierungen der Staaten. Das ist zwar eine Art neues „Paradigma“ für Verhandlungen, an den bestehenden Machtverhältnissen hat sich dadurch noch nichts geändert. Das gleiche gilt für Ressourcen, wo wohl auch Unternehmen unter den Nutzern sind, also auch diese mitgestalten müssten an den Regeln. Und schließlich auf regionaler oder nationaler Ebene, wo zwar BürgerInnen die NutzerInnen, also die zuständige community sind, geht es darum, was wir denn als Gemeingüter durchsetzen können und zu welchen Regeln.
2. Peter Linebaugh ( http://magnacartamanifesto.blogspot.com/ ) weist darauf hin, dass commons eine Voraussetzung sind, damit Menschen ihre Freiheits- oder BürgerInnenrechte in Anspruch nehmen können. Also sehr ähnlich wie Marshall mit den sozialen Rechten. Soziale Rechte sind allerdings individuelle Rechte. Einzelpersonen erhalten einen Rechtsanspruch auf bestimmte finanzielle oder Sachleistungen, die sie hauptsächlich als KonsumentInnen funktionsfähig erhalten, die daher und auf Grund der individuellen Rechtsform mit dem kapitalistischen System gut kompatibel sind. Außerdem ist es in der Realität oft so, dass, wer soziale Rechte in Anspruch nimmt, von den bürgerlichen Rechten ausgeschlossen wird, also gegen Marshalls Intention. Z.B. wer Arbeitslosengeld bezieht, kann seine Arbeit und seinen Wohnort nicht mehr frei wählen. Wer Sozialhilfe bekommt, darf, zumindest in Österreich, gar nichts besitzen, eine Eigentumswohnung wird abgezogen, Auto nur wenn man es zur Ausübung der Arbeit braucht, eine Pensions- oder Lebensversicherung muss aufgebraucht werden, d.h. man muss sich zuerst absolut arm machen, also sein Recht auf Eigentum aufgeben.
3. Demgegenüber hat meiner Meinung nach das Paradigma „Gemeingüter“ einige Vorteile, es enthält nämlich zwei wichtige Elemente: a) alle NutzerInnen bestimmen mit – one person, one vote – also Demokratie innerhalb des Umganges mit Gütern und b) Mitgestaltung, d.h. nicht nur Entscheidung, sondern auch Verantwortung für und Teilhabe an der Durchführung. Menschen werden also nicht zu „Anspruchsberechtigten“ sondern zu „Entscheidungsberechtigten“ und „Handlungsmächtigen“. Das macht es aber z.B. auch für Neoliberale anschlussfähig. Dadurch werden aber auch nicht-kapitalistische Arbeitsformen (Arbeit für die Herstellung und Erhaltung von Commons) gesellschaftsfähig und – durch das Recht zur Nutzung – auch gewürdigt. Es hat sich klar gezeigt, dass „öffentliche Güter“ diesen Ansprüchen nicht gerecht werden können: Wenn ein Gebäude oder ein Grund im Besitz von Staat oder Gemeinde ist, bedeutet das noch lange nicht, dass BürgerInnen sie nach ihren Interessen nützen dürfen, im Gegenteil, sie müssen zusehen, wie mehr und mehr des öffentlichen Eigentums privatisiert wird, ohne wirklich Gegenmaßnahmen ergreifen zu können.
4. Damit aber das Konzept „Gemeingüter“ aufgehen kann, muss es, wie schon erwähnt, vom Gesetzgeber mindestens respektiert, besser noch, juristisch verankert werden. Schon in Liegestuhlbeispiel (http://commonsblog.wordpress.com/2009/08/15/was-haben-gemeinguter-und-die-liegestuhle-eines-kreuzfahrtschiffs-gemeinsam/#more-2680 )gilt: Wenn der Kapitän, der ja wohl auf so einem Schiff die Vorschriften erlassen kann, Liegestuhlnutzungsregeln erlassen würde, weil er z.B. sieht, dass es nicht mehr funktioniert, wäre es mit dem Gemeingut vorbei. Wenn die Nutzungsregeln so aussehen würden, dass nur die Reservierung von Liegestühlen verboten wäre, dann wäre zumindest die Chance auf Nutzung als Gemeingut gewahrt. Das trifft natürlich noch viel mehr auf die Allmende zu. Auch das finden wir bei Linebaugh – zur Magna Charta gehört die Charter of the forest – also, wie schon oben gesagt – zu den Freiheitsrechten die gesetzliche Garantie der Nutzung des Waldes. Und auch Ostrom zeigt, dass der öffentliche Gesetzgeber eine wichtige Rolle spielt, indem er die von den Nutzern entwickelten Regeln anerkennt oder ihnen sogar Gesetzesstatus gibt.
5. Aus Punkt 3 und 4 folgt, dass „commons“ das Potential für 4 explizit nicht-kapitalistische Elemente haben: Planung durch die NutzerInnen und nicht durch den Markt, Anerkennung nicht entfremdeter Arbeit, Herstellung von Gebrauchsgütern und ein nicht individualistisches Eigentumsrecht. Eine Privatisierung von commons bedeutet in aller Regel eine Überführung von nicht entfremdeter Arbeit in entfremdete Arbeit oder zumindest eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen für Erwerbsarbeit, d.h. eine Zunahme der Entfremdung, weil etwa die Wertorientierung wegfällt zugunsten von Effizienz (auch dazu Massimo de Angelis http://www.commoner.org.uk/blog/?p=224 ). Dieser enge Zusammenhang von Commons und Arbeit bedeutet aber im Gegenzug, dass eine Rückeroberung von Commons auch einen Rückgewinn an nicht entfremdeter Arbeit bedeutet und einen Rückgang der Abhängigkeit von Erwerbsarbeit und eine Überführung in ein neues Eigentumsverhältnis. Also viele Fliegen mit einer Klappe.
6. Daraus folgt aber noch nicht automatisch, dass dadurch alles besser würde. Selbst eine Überwindung des Kapitalismus (ich bin ja eher der Meinung, dass es um eine Grenzverschiebung geht), würde noch nicht heißen, dass nachher das Paradies kommt, oder wie Gramsci es gerne formuliert das „Reich der Freiheit“. Überwindung des Kapitalismus kann auch in Richtung Chaos und Barbarei gehen. Vieles hängt natürlich von den Regeln ab – wer sind die NutzerInnen und wie werden die Nicht-NutzerInnen ferngehalten. Das kann nach meritorischen Kriterien – die Reichen oder Fleißigen – , nach Abstammung – die mit bestimmten genetischen Merkmalen – , usw. erfolgen. Ausschluss kann auch mit Gewalt erfolgen, da gibt es unzählige Möglichkeiten, dieses Ding umzudeuten, eben weil es für viele Weltanschauungen anschlussfähig ist. Der Schlüssel liegt, denke ich, in der Kombination von Entscheidungsmacht, Eigentumsregeln und Nutzungsregeln. Daher eben meiner Meinung nach immer notwendig Machtverhältnisse mitzudenken und bestimmte Werte, wie Antirassismus, Antifaschismus, Feminismus, Ablehnung von Homophobie, usw. immer in die Grundnutzungsregeln einbauen.
@Brigitte: Du hast die Ambivalenz wunderbar beschrieben! Es bleibt uns eben doch nix erspart…