Commons in einer Systematik von Gütern
Wenn die »Commons« (Gemeingüter) ein neues Paradigma politischer Theorie werden sollen, dann muss der Begriff klarer bestimmt werden. Ein Ansatz ist, ihn in Relation zu anderen Gütern zu verorten. Vor längerer Zeit hatte ich schon mal einen Versuch einer Systematik von Gütern unternommen (siehe diese Abbildung). Die Darstellung blieb jedoch vor allem beim Punkt des »Eigentums« unklar, da Commons nicht mit »Gemeineigentum« gleich gesetzt werden können. Ferner ist das Besondere bei den Commons gerade, dass sie stets als soziale Beziehung zu verstehen sind. Genau genommen gilt das jedoch für alle Güter, denn die fallen ja nicht vom Himmel, sondern werden — sozial — hergestellt. Erst im Vergleich zur »Sozialität« der Nicht-Commons, wird die Besonderheit der Gemeingüter deutlich.
Kurz und gut: Ich habe einen neuen Anlauf unternommen. Hier ist das Ergebnis.
Wie ist die Abbildung zu lesen?
Jedes Gut kann durch vier Dimensionen gekennzeichnet werden. Mit der Beschaffenheit und Nutzungsweise stehen links die beiden Dimensionen, die eng mit der Physis des Guts verbunden sind. Rechts dagegen befinden sich die Form-Dimensionen, die die Frage beantworten, welche soziale und rechtliche Form Güter annehmen können, wenn sie produziert werden. Im Folgenden werden die Dimensionen und ihre Aspekte genauer vorgestellt.
Beschaffenheit
Die Beschaffenheit beschreibt die sinnliche Gegenständlichkeit des Guts. Es gibt stoffliche und nicht-stoffliche Güter[1].
Stoffliche Güter haben eine physische Gestalt, sie können verbraucht oder vernichtet werden. Zweck und physische Beschaffenheit sind miteinander verbunden, stoffliche Güter erfüllen ihren Zweck nur mit ihrer Physis. Löst sich die Physis auf, geht auch der Zweck verloren.
Nicht-stoffliche Güter sind hingegen von einer bestimmten physischen Gestalt entkoppelt. Hierunter fallen sowohl Dienstleistungen, bei denen Produktion und Konsumtion zusammenfallen, wie auch konservierbare nicht-stoffliche Güter. Eine Dienstleistung mündet zwar häufig in einem stofflichen Resultat (Haarschnitt, Konzepttext etc.), sie selbst ist jedoch mit dem Produkt abgeschlossen, d.h. konsumiert worden. Das Resultat fällt nun in eine stoffliche Gut-Kategorie.
Konservierbare nicht-stoffliche Güter benötigen einen physischen Träger. Bei nicht-digitalen (»analogen«) Gütern kann die Verbindung des Guts zu einer bestimmten stofflichen Beschaffenheit des Trägers noch eng sein (etwa das analoge Musikstück auf dem Tonband oder der Schallplatte), während digitale Güter vom Trägermedium weitgehend unabhängig sind (etwa das digitale Musikstück auf einem beliebigen Digitalmedium).
Nutzung
Die Nutzung hat die zwei Unterdimensionen der Ausschließbarkeit und Rivalität. Damit werden die Aspekte des Zugriffs und der gleichzeitigen Nutzbarkeit erfasst. Dieses Schema wird in der Regel von der klassischen Ökonomietheorie als alleiniges Charakteristikum von Gütern verwendet, das aber — wie hier deutlich werden sollte — viel zu kurz greift.
Ein Gut ist in der Nutzung dann exklusiv (ausschließbar), wenn der Zugriff auf das Gut unterbunden werden kann. Es ist in der Nutzung inklusiv (nicht ausschließbar), wenn der Zugriff potenziell allen möglich ist. Ein Gut ist in der Nutzung rival (=rivalisierend), wenn die Nutzung durch den Einen die Nutzung für andere einschränkt oder verhindert. Nicht-rival ist es, wenn ihre Nutzung keine Nutzungseinschränkung für andere zur Folge hat.
Beispiele: Das Brötchen ist im Konsum exklusiv und rival. Ich kann solange vom Verzehr ausgeschlossen werden, bis ich es kaufe. Und wenn ich es verzehre, kann das niemand anderes mehr tun. Die Nutzung des Ohmschen Gesetzes ist hingegen weder rival, noch kann ich davon ausgeschlossen werden. Bezahl-Fernsehen erscheint ohne Decoder nur als Rauschen auf dem Bildschirm, seine Nutzung ist also exklusiv, jedoch nicht rival — empfange ich das Programm, so beeinträchtigt das den Empfang durch andere nicht. Eine öffentliche Straße hingegen ist grundsätzlich für alle da, ihre Nutzung ist jedoch rival, was im Stau besonders offensichtlich ist.
Soziale Form
Die soziale Form beschreibt die Art der Produktion und ihre Auswirkung auf die »Sozialität« des Guts. Hier sind drei soziale Formen zu unterscheiden: Ware, Subsistenz und Commons.
Warenform erhält ein Gut dann, wenn es in verallgemeinerter Weise für den Tausch (Verkauf) auf Märkten hergestellt wird. Getauscht werden muss, denn im Kapitalismus wird getrennt voneinander, privat produziert. Tauschmaß ist der Wert, die gesellschaftlich durchschnittliche abstrakte Arbeit, die zur Herstellung der Ware erforderlich ist. Tauschmedium ist das Geld. Nutzenmaß ist der Gebrauchswert als »andere Seite« des Werts. Das Waresein von Gütern ist also eine soziale Form, es ist der indirekte, über den Tausch vermittelte Weg, wie Güter allgemeine, gesellschaftliche Geltung erlangen. Voraussetzung sind Knappheit der und Exklusion vom Zugriff auf die Ware, da es sonst nicht zum Tausch kommt.
Subsistenzform behält ein Gut dann, wenn es nicht verallgemeinert für Andere, sondern nur zum eigenen Nutzen oder dem Nutzen personaler Anderer (Familie, Bekannte etc.) hergestellt wird. Hier wird nicht oder nur in Ausnahmefällen getauscht, sondern weitergegeben, genommen und gegeben — nach welcher unmittelbar-sozialen Regel auch immer. Eine Übergangsform zur Warenform ist etwa Barter, der unmittelbare, nicht geldvermittelte Tausch von Gütern (was hier aber nicht weiter diskutiert werden soll).
Commonsform erhält ein Gut dann, wenn es für allgemeine Andere produziert oder erhalten, das Gut aber nicht getauscht wird und die Nutzung in der Regel an feste soziale Nutzungsregeln gebunden ist. Für allgemeine Andere wird es insofern produziert oder erhalten, als es nicht personal-bestimmte Andere sein müssen (wie bei der Subsistenzform), aber auch nicht ausschließlich abstrakte Andere, zu denen es sonst keine Beziehung gibt (wie bei der Warenform), sondern konkrete Gemeinschaften, in denen die Nutzungsregeln und damit die Pflege der Commons verabredet werden.
Peter Linebaugh bringt das Bindungsverhältnis von Gut und sozialer Aktivität zur Re-/Produktion des Guts auf die Formel: »There are no commons without commoning.« Die Größe der Gemeinschaft ist damit nicht festgelegt. Sie hängt wesentlich auch von der re-/produzierten Ressource ab. Die Re-/Produktion eines lokalen Waldstücks wird vermutlich von einer lokalen Gemeinschaft übernommen, während die Erhaltung eines verträglichen Weltklimas sicherlich der Konstitution einer globalen Gemeinschaft bedarf. Dabei kann der Staat an die Stelle der Gemeinschaft treten und treuhänderisch die Re-/Produktion der Ressource übernehmen. Dies ist aber nicht die einzig mögliche Form.
Ebenso wie die Größe der Gemeinschaft sind auch die Regeln von den je konkreten Bedingungen der Ressource abhängig. Für ein bedrohtes Waldstück werden sicherlich restriktivere Nutzungsregeln vereinbart als für eine Ressource, die nahezu aufwandslos kopiert werden kann. Für Freie Software etwa kann bedenkenlos ein Open-Access-Regime festlegt werden, also eine soziale Nutzungsregel, die explizit niemanden ausschließt. Gerade in der Verhinderung der wahllosen »Plünderung« einer Verbrauchsressource werden die Bedürfnisse der allgemeinen Anderen, die sie gerade nicht nutzen, integriert. Die Gemeinschaft ist immer nur Beauftragte, die — weil sie eng mit der Ressource verbunden ist — diese so produzieren und reproduzieren kann, dass sie allgemein nützlich bleibt. Es ist ihr »Auftrag«, die Ressource verbessert an nachfolgende Generationen weiterzugeben.
Bei den Commons lassen sich Produktion und Reproduktion schwer von einander trennen. Ihre Herstellung dient gleichzeitig ihrer Erhaltung. Gerade die Nutzungsregeln sorgen bei Verbauchsressourcen dafür, dass sich die Ressource regenerieren kann, oder bei kopierbaren Digitalgütern dafür, dass die soziale Gemeinschaft, die die Ressource produziert und pflegt, erhalten bleibt. Was hingegen unterschieden werden muss, ist die Gemeinressource als solcher, und Gütern, die auf Grundlage der Gemeinressource produziert werden. Produzierte Güter können im Unterschied zur Gemeinressource Warenform annehmen, wenn sie auf dem Markt verkauft werden. Ziel der sozial verabredeten Nutzungsregeln der Gemeinschaft ist es, die Ressourcennutzung zu limitieren und zu verhindern, dass die Ressource übernutzt und schließlich zerstört wird.
Die »Freiheit« der Plünderung und Ausbeutung, die vielfach unter dem Regime der getrennten, privaten Produktion von Gütern als Waren auftritt, findet also an der Freiheit der Anderen, die betroffene Ressource dauerhaft nutzen zu wollen, ihre Schranke. Gleichwohl gibt es keine »Garantie«, dass es nicht doch zur Zerstörung von Commons kommen kann. Die Geschichte des Kapitalismus ist nicht zuletzt auch eine Geschichte der oft auch gewalttätigen Zerstörung und Privatisierung der Commons.
Rechtsform
Die Rechtsform zeigt die möglichen rechtlichen Kodifizierungen, denen ein Gut unterliegen kann: Privateigentum, Kollektiveigentum und freie Güter. Rechtliche Festschreibungen sind notwendige soziale Regeln, denen unter den Bedingungen der gesellschaftlichen Vermittlung in Form von Partialinteressen die Rolle des regulierenden Rahmens zukommen. Sobald Allgemeininteressen Teil der Re-/Produktionweise selbst sind, können allgemeine Rechtsformen zugunsten konkret-sozial vereinbarter Regeln zurücktreten, wie dies etwa bei den Commons der Fall ist.
Privateigentum ist eine Rechtsform, die die exklusive Verfügung eines Eigentümer in Bezug auf eine Sache definiert. Das Eigentum abstrahiert sowohl von der Beschaffenheit der Sache wie dem konkreten Besitz. Privateigentum kann Handelsgut sein, es kann verkauft oder verwertet werden.
Kollektiveigentum (auch Gemeineigentum) ist kollektives Privateigentum. Alle Bestimmungen des Privateigentums gelten mithin auch hier. Die Formen des Kollektiveigentums sind sehr vielfältig. Beispiele: Aktiengesellschaft, Aufzugsanlage einer Hauseigentümergemeinschaft, Volkseigener Betrieb (VEB).
Freie Güter (auch Niemandsland) sind juristisch oder sozial ungeregelte Güter im freien Zugriff. Die Häufig zitierte »Tragik der Allmende« ist eine Tragik des Niemandslands, das aufgrund der fehlenden Nutzungsregeln übernutzt und zerstört wird. Solche Niemandsländer bestehen auch heute noch, etwa weitgehend noch in der Hochsee.
Zusammenfassung
Fokus der vorgelegten Gütersystematik sind die Gemeingüter, die hier als dritte soziale Form neben Waren und Subsistenzgütern bestimmt werden. Vor dem Hintergrund unser prägenden allgemeinen Erfahrung im Umgang mit Waren, die soweit geht, dass manche die Warenform für eine gleichsam natürliche Güterform halten, mutet die vorgelegte Kennzeichnung als maßgebliche soziale Form, die durch die Geschichte hindurch existiert, als verwegen an.
Commons, Gemeingüter, hat es immer gegeben. Ihre historische Rolle und Funktion hat sich jedoch dramatisch gewandelt. War sie früher allgemeine Grundlage jeder Lebenstätigkeit des Menschen, so ist sie mit dem Aufkommen von Klassengesellschaften in verschiedene Regimes der Ausbeutung einbezogen worden. Höhepunkt des Ausbeutungsverhältnisses gegenüber den allgemeinen menschlichen Lebensbedingungen ist sicherlich der Kapitalismus, der — getragen von einem abstrakten Freiheitsbegriff — nicht in der Lage ist, für das allgemeine Überleben der Gattung Mensch zu sorgen. Dies liegt daran, dass die Wahrnahme von Allgemeininteressen nicht Teil der Produktionsweise ist, sondern per Recht und Staat als zusätzliche Instanzen dem blinden Wirken der partialen Privatinteressen aufgeprägt werden soll. Insofern ist eine »Rückkehr« zu einer sozial-regulierten Produktionsweise notwendig, bei der die Allgemeininteressen Bestandteil der Produktionsweise selbst sind.
Mehr noch. Der Kapitalismus hat wesentliche Momente der Produktion des gesellschaftlichen Lebens abgespalten und in eine Sphäre der Reproduktion verbannt. Produktion als »Wirtschaft« und Reproduktion als »Privateben« wurden getrennt. Die strukturell blinde, erst im Nachhinein vermittelte Privatproduktion konnte nur deswegen expandieren, weil sie dies einerseits permanent auf Kosten der Subsistenz- und Commons-Produktion tat und andererseits auf eine komplementäre Subsistenz- und Commons-Produktion verweisen konnte, die die (physischen und psychischen) Folgen der »Wirtschaft« ausgleichen konnte und musste. Dass die getrennte Privatproduktion auch herausragende zivilisatorische Leistungen hervorgebracht hat, soll damit nicht bestritten werden. Die zivilisatorischen Potenzen der als borniert und entfremdet zu kennzeichnenden Produktionsweise sind mittlerweile allerdings gänzlich erschöpft, so dass die schon immer vorhandenen destruktiven Momente die Oberhand gewonnen haben.
Die Commons bieten die Potenz, die Ware als bestimmende soziale Form der Re-/Produktion der gesellschaftlichen Lebensbedingungen abzulösen. Eine solche Ablösung wird jedoch nur kommen, wenn sich in allen Bereichen des Lebens Gemeinschaften konstituieren, die sich »ihre« Commons zurückholen und in eine neue bedürfnisorientierte Logik der Re-/Produktion einbinden.
Anmerkung
[1] Ich verwende den Begriff »Stofflichkeit« und nicht »Materialität«, da ich letzteren als philosophische Kategorie verstehe. Mit dem Begriff der Materialität wird generell die Gegebenheitsweise des Guts mit all seinen Dimensionen erfasst. Statt »Systematik von Gütern« könnte es also auch »Materialität von Gütern« heißen. Der Begriff der Stofflichkeit zielt dagegen im engeren Sinne auf die physische Beschaffenheit ab.
Die dargestellte Systematik finde ich insgesamt sehr einleuchtend. Danke für diesen klaren und klärenden Artikel!
Das einzige, was mir nicht einleuchtet, ist warum du „Freie Güter“ generell mit „Niemandsland“ gleichsetzt und als ungeregelt beschreibst. Ist nicht Freie Software von der Rechtsform her auch ein Freies Gut, dessen Nutzung aber trotzdem in vielen Fällen geregelt ist (z.B. Copyleft)?
(„Autistisch“ würde ich übrigens nicht als Negativbezeichnung verwenden, aber das nur am Rande.)
Für Freie Software gilt das Urheberrecht, auf dessen Grundlage dann das Copyleft formuliert werden kann — klare Regeln also. Public Domain Software wäre ein Freies Gut, das es aber nur nach angloamerikanischen Recht gibt. Sie »gehört« dann niemandem mehr und wäre so etwas wie »Niemandsland«.
Mit dem Hinweis auf »autistisch« als Negativbezeichnung hast du recht: Ich habe das gestrichen und stattdessen ein »entfremdet« zu dem »borniert« gesetzt, womit die Referenz auf deinen Artikel auch besser passt.
Du meinst also, Freie Software wäre einfach Privateigentum? Für einige Rechte aus dem Rechtebündel, das Eigentum an Software ausmacht, trifft das sicher zu (Recht als Autor/in benannt zu werden). Aber die wesentlichen Rechte – verwenden, verwerten, verbessern, verbreiten – über die normalerweise exklusiv die Privateigentümer/in verfügen darf, sind bei FS unwiderruflich an die Allgemeinheit abgetreten – in diesen Beziehungen ist FS kein Privateigentum mehr, sondern eher Kollektiveigentum, wobei das Kollektiv in diesem Fall die Allgemeinheit ist.
Ist Freie Software also eine Mischung aus Privat- und Kollektiveigentum?
Christian: ich sehe es so: Der Unterschied zwischen Privat- und Gemeineigentum ist graduelle, nicht substantiell. Der graduelle Unterschied besteht darin, dass Du bei Privateigentum nur einen, bei Gemeineigentum mehrere Eigentümer hast. Beides bleiben ausschließende Konzepte.
Das nur vorab.
Nun ist die entscheidende Frage; was macht der Privat- oder was machen die Gemeineigentümer mit seinem/ihrem Zeug? Im Falle der Freien Softwär: sie treten die Nutzungsrechte – geknüpft an Bedingungen – an die Allgemeinheit ab. Und das ist gut, aber es bleibt eben in der Verfügungsgewalt der Eigentümer, genau dies zu entscheiden. Also bleibt die Freie Software auch gewissermaßen „Privateigentum“, oder? Vergleichbare Fälle von begrüßenswerter Nutzung des PE gibt es auch bei Umweltgruppen, die z.B. Land aufkaufen, um den Bau einer Startbahn zu verhindern.
Es kommt zwar sehr darauf an, wem etwas gehört, aber noch viel mehr darauf, was der, dem es gehört mit dem, was ihm gehört macht.
@Christian: Das Konzept des »geistigen Eigentums« besteht gerade in dem Versuch, aus nicht-stofflichen Gütern Privateigentum zu machen. Stallman sagt dann: »Software should not have Owners«. Sollte. Und macht die GPL, die faktisch den Ausschlusscharakter von Privateigentum aufhebt. Genau darin besteht die Chance der Commons: Unabhängig von der rechtlichen Form inklusive soziale Handlungsweisen zu begründen.
Kollektiveigentum ist Freie Software dort, wo es mehrere Urheber gibt. Dass die Allgemeinheit das Gut (kollektiv) frei nutzen kann, ist keine Eigentumseigenschaft (mehr).
Oder noch mal anders: Freie Software ist Privat- oder Kollektiveigentum ihrer Urheber, aber in jedem Fall (potenziell) allgemeiner Menschheitsbesitz.
Btw: Bitte lest auch die Gegenargumentation zu diesem Text bei naturgetr.eu. Das ist der erste sachliche Versuch (den ich kenne), immanent gegen die Commons zu argumentieren.
Danke für die Blumen – ich versuche nicht, gegen den Commons-Gedanken zu argumentieren, schon gar nicht pauschal; ich bezweifle lediglich die Möglichkeit und Sinnhaftigkeit, diese Prinzipien auf materielle Güter und natürliche Ressourcen zu übertragen. Gerade bei Ideen, die gut klingen, sollte man mMn vorsichtig sein und alle Möglichkeiten und Folgen diskutieren, so auch bei der Idee, Commons derart auszuweiten.
Ich lasse mich aber gerne überzeugen und von meinen Befürchtungen abbringen.
Also ich habe einen ganz zentralen Einwand: Dieser Text versucht die Commons in eine Systematik von Gütern einzuordnen. Commons sind aber gar kein Gut! Deshalb lehne ich ja auch die Übersetzung „Gemeingut“ ab. Commons sind eine Beziehung zwischen einer Gemeinschaft und einem Gut/Ressource. Deswegen bleibe ich normalerweise entweder beim englischen „commons“ oder sage „Das Gemeinsame“. Was zwar etwas pathetisch klingt aber im deutschen immer noch die beste Übersetzung ist.
@Xiemeon: Der Commons-Gedanke ist kein neuer, sondern ein sehr alter, und er kommt gerade aus dem Bereich der stofflichen Güter und Ressourcen. Demgegenüber sind die kulturellen Commons eher eine sehr neue Erscheinung, die allerdings mit dazu beigetragen haben, sich die »alten Commons« unter neuen Fragestellungen nochmal anzusehen. Die Möglichkeiten und Folgen zu untersuchen, ist selbstredend auf jeden Fall sinnvoll. Ein Ergebnis dessen ist zum Beispiel das Buch »Wem gehört die Welt?«. Und nicht zuletzt in diesem Blog geht’s auch darum.
@Benni: Commons sind nicht kein Gut und bloß Beziehung. Freie Software ist ein Common, ein Gemeingut, und eine soziale Beziehung, die Community. Das, wie mir dann aufgefallen ist, gilt aber für jede Art von Produkt. Deswegen habe ich den Terminus »Sozialität des Guts« verwendet, der zunächst komisch klingt, aber m.E. genau die Doppelbedeutung auf den Begriff bringt. Damit können wir den entscheidenden Punkt angemessen thematisieren: In welcher sozialen Form wollen wir unsere Lebensbedingungen herstellen? Und da ist die Commonsform neben der Warenform die alternativ mögliche.
Benni macht einen sehr guten Punkt und in der Tat ist die Übersetzung „Gemeingut“ unbefriedigend, aber das Ganze dann „Commons“ zu nennen, löst ja die hier aufgeworfenen Fragen nicht. Das ist „drumrum“ gemogelt. Das konzeptionelle Problem existiert nämlich im Englischen auch.
Es ist wichtig, und da sind wir uns ja einig, diese soziale Beziehung in den Mittelpunkt zu rücken und nicht das Ding an sich. Es geht – etwas antrophozentristisch gesagt – nicht um den Zustand des Wassers und der Atmosphäre, sondern um die Möglichkeit und Notwendigkeit, diese für uns langfristig verfügbar zu halten. Diesen zentralen Punkt müssen wir begrifflich fassen (und ich finde, wir sollten das in unserer Muttersprache tun) ….das ist weiterhin eine elende Sucherei.
Stefan widerum hat m.E. recht mit der Aussage, dass dieser Doppelcharakter der auch den Commons anhaftet, für jede Art von Produkt gilt. Man setzt sich ÜBER etwas in Beziehung (z.B. zur Aushandlung von Nutzungs- und Zugangsrechten zu Software oder Wasser). Genau deswegen wird ja in der Commonsforschung streng unterschieden zwischen dem Begriff der Common pool resources (cpr), der Benennung der Eigentumsebene (z.B. Kollektiveigentum oder Privateigentum an solchen Ressourcen) und der Idee der Commons/ Gemeingüter.
http://commonsblog.wordpress.com/2007/10/19/begriffliche-entwirrung/
Stefans Übersicht ist also sehr hilfreich um weg zu kommen von der klassischen Fokussierung auf die Charakteristika der Ressourcen/ Güter als solche und den Blick zu lenken auf die „soziale Form“ in der wir deren Verfügbarkeit reproduzieren. Und sie macht eine wichtige begriffliche Unterscheidung zwischen dem Gut (über das man sich in Beziehung setzt) – das prinzipiell zu allem werden kann, es kann verschwinden, für die Substistenz genutzt werden, ver“wart“ werden oder eben ein Commons.
Vielleicht wäre es noch deutlicher, wenn man in der Mitte setzt: Gut/Ressource und bei der Sozialen Form zumindest in Klammern ‚Gemeingut“ – woraus sich eben schnurstracks die Frage ergibt: Wie wird ein Gut/ ein Ding/ eine Ressource zum Gemeingut? Wie kommen wir dahin?
Hm, ich finde die Grafik unnötig unübersichtlich. Die Striche stellen einerseits Dimensionen einer Sache dar, andererseits wieder Auffächerungen, also Entweder-Oder-Gabelungen. Das ist unlogisch und nicht gleich nachvollziehbar. Mir fällt aber auf die Schnelle nichts Eleganteres ein.
Christine, wenn dir was eleganteres einfällt — gerne 🙂
@Stefan: „Doppelcharakter“ analog zum Welle-Teilchen-Dualismus in der Quantentheorie hat auch was. Nur schreibst Du ja hier die „Sozialität“ als Eigenschaft dem Gut zu. Das ist genau kein Doppelcharakter. Ich fürchte es ist kompliziert. Vorschlag:
Die Commons haben einen Dreifachcharakter als
1. Gut
2. Gemeinschaft
3. Beziehung zwischen Gut und Gemeinschaft
Je nachdem welche Brille wir aufsetzen sehen wir das eine oder das andere oder das Dritte.
Benni, stimmt, aber es geht in dem Artikel doch nicht um den Charakter der Commons, sondern um die Einordnung in die Gütertheorie. Was Du vorschlägst müsste man sozusagen dem „Commonsfenster“ ganz rechts unterlegen. Oder?
@benni: Doch, »Sozialität des Guts« (oder »soziale Form des Guts«) soll gerade den Doppelcharakter beschreiben.
Dein aufgebohrtes Tripel gilt nicht nur für Commons, sondern für alle Güter. Für die Ware zum Beispiel:
Hm, interessant, daran sieht man, dass die Fassung von »Commons« nur auf eine Gemeinschaft bezogen unzureichend ist. Denn ich würde eine commons-basierte Produktionsweise nicht nur als gemeinschaftliche, sondern als gesellschaftliche begreifen. Das habe ich auch im Text versucht auszuführen.
Ich finde das Schema immer sinnvoller. Commons steht hier ja gerade nicht in der Mitte, sondern an der Dimension »soziale Form«. Es geht also hier nicht um die Dingeigenschaften, sondern um den dritten Punkt des Tripels. Die gängige Unterscheidung von Commons (als soziale Form) und Common Pool Resources (CPR, als Ressource, um die es geht) sehe ich ebenfalls anthalten, da »Gut« eben auch eine CPR sein kann. In die Erläuterung müsste noch ein Abschnitt rein, was mit »Gut« gemeint ist, das dann durch die vier Dimensionen genauer gekennzeichnet wird.
Grundsätzlich sehe ich auch keinen Unterschied, ob es um aktuell re/produzierte oder ererbte Güter/Ressourcen geht. Es ist immer eine Entscheidung, ob Güter/Ressourcen zu Waren oder zu Gemeingütern gemacht werden. Der Teufel steckt im Detail.
Was ich mich frage: Sind denn z.B. private Geschenke, ehrenamtliche Arbeit, Religion und Kultur in diesem Modell den „nichtstofflichen Gütern“ unterzuordnen? Wir haben in unserem Commons Index folgende Grundeinteilung:
Natürliche Commons (z.B. Meer oder Fluss)
Soziale Commons (z.B. Frieden und Sicherheit)
Private Commons (z.B. Geschenke, Religion, Kultur)
Damit können wir es vermeiden, überhaupt von Gütern und Dienstleistungen zu sprechen und haben auch keine Frage nach der Rechtsform, da uns als Gemeingüter nur solche Commons interessieren, die aus irgendeinem Grund kostenlos erreichbar sind, es also keinen Kauf- oder Übereignungsvertrag zu ihrer Nutzung bedarf. Wenn man so will: Commons sind Geschenke. Geschenke von der Welt an die Gemeinschaft, von der Gemeinschaft an den Einzelnen, vom Einzelnen an die Welt, die Gemeinschaft und seine Nachbarn.
M.E. sollte das ja gerade Commons von allen herkömmlichen Wirtschaftsgütern unterscheiden, denn die „alte“ Definition von Wirtschaft als Zusammenspiel von Rohstoffen, Arbeit und Kapital läßt ja stren genommen überhaupt keine Commons zu, d.h., Kapital und Arbeit müssen auf die Rohstoffe mit ihren Armeen zugreifen können, wenn sie diese benötigen. Die Erklärung der natürlichen Commons zu Gemeingütern ändert daran nichts. Sie schafft nur eine neue Ursache für einen bewaffneten Konflikt, in dem sie einen Verfügungsstreit hervorbringt.
@Alexander Dill: Das kann man natürlich machen, die Commons von allen anderen Gütern als Nicht-Güter abzuheben. Aber das halte ich für willkürlich und ist praktisch nicht durchzuhalten. Stattdessen sollten wir die verkürzte Sicht auf nur »Wirtschaft« (noch schlimmer: nur Rohstoffe, Arbeit, Kapital) zurückweisen und gerade mit den Commons klar machen, das es umfassend um die Herstellung unserer Lebensbedingungen geht und nicht nur um »Wirtschaft« (siehe Text).
Commons gänzlich kostenlos zu machen — da bin ich sehr dafür. Dies aber hier und heute als Abgrenzungskriterium zu verwenden, halte ich nicht für sinnvoll.
Private Geschenke sind keine Commons, weil privat, eben nicht common, allgemein. Ehrenamtliche Tätigkeiten sind — je nach Gut/Ressource, um die es geht — Commons und fallen dann hinsichtlich der Beschaffenheit in die Rubrik stofflich oder nicht-stofflich. Religion/Kultur beschäftigen sich sicherlich mit nicht-stofflichen Gütern (Denkformen, Musik, Literatur etc.).
Also im Sinne auch der anderen Diskussionsbeiträge: Nicht nur an die Tätigkeit denken, und nicht nur an die Ressource oder das Gut, sondern an beides und ihre Beziehungen zueinander.
Ich lese gerade den Stiglitz-Fitoussi-Report.
http://whatiseconomy.com/joomla/images/stories/stiglitz_report_14_09_2009.pdf Der läuft darauf hinaus, das GDP beizubehalten, Klimagutschriften dazu, Haushaltsgutschriften für Hausarbeit dazu. Ergebnis: Ein Land mit Atomenergie (Frankreich) und grossen Familien (Frankreich) erhöht sein BIP pro Kopf um 40% – und kann damit sein Kreditrating verbessern. Am Ende steht Frankreich bei den Commons am besten dar, weil sich alles auf Ballungsräume konzentriert, weil das Meer vor La France sauber ist (die entsprechend verschmutzenden Industrien sind längst in die Türkei und China ausgelagert), weil es die meisten Kleinwagen mit niedrigem Co2 Ausstoss hat, weil natürlich auch die Lebenszufriedenheit im grünen Bereich ist.
Nur, was hilft das Anderen? Bei Berechnungen der Commons habe ich die 65 IDA Länder im Auge, die weiteren 65 „Developing“ incl. z.B. Lettland und Rumänien, nicht nur Norwegen und die Schweiz. Deren Lebensbedingungen können in unserer Generation nie wieder von anderen Staaten getoppt werden, weil sie das Resultat einer ununterbrochenen, 200-jährigen Entwicklung sind, nicht von einem Masterplan von Umweltökonomen. Das heißt: frühestens in 140 Jahren kann z.B. Deutschland dort ankommen.
Stefan und alle: ich habe das hier produziert:
http://www.mindmeister.com/maps/show/30390910
In dem Punkt, dass es „nichts an sich Vorhandenes gibt“, sind wir uns nicht einig.
Die Ebene der Genese von Gemeinressourcen habe ich eingeführt – die kann man dann mit der „Verwarung“ verbinden und erklären, dass private Aneignung IMMER auch Aneignung von CPR ist. Und dass das ein Riesenproblem ist. Ich füge dann später noch ein paar Beispiele in die mindmap ein. Freilich ist sie jetzt nicht mehr so kurz und knackig aber Reduktion kommt nach der Visualisierung von Komplexität.
Kommentare willkommen.
Ein Problem habe ich übrigens auch mit der Trennung von „stofflich“ und „nicht-stofflich“. Gerade wenn man Ressourcen als nicht von uns getrennt betrachtet, wird ja offensichtlich, dass das Nichtstoffliche immer in das Stoffliche eingeschreiben ist. Der genetische Code in die Pflanze oder uns selbst, der Softwarecode nützt uns nur, wenn es Hardware gibt, die Ideen in Bücher oder auf Tonträger usw. Aber all dies gehört dann zum erklärenden Text, den Du – wenn wir das „perfekte Schema haben“, ja dann schreibst 🙂 , hihi
@silke: der link funktioniert nicht. auch nicht nachdem ich mich bei diesem komischen service angemeldet hab.
hmmm, ich musste das erst freigeben 🙂
versuch jetzt mal.Bin noch etwas ungeschickt in der Benutzung von mindmaster.
http://www.mindmeister.com/30390910/ding-ressource
@Silke: Danke für das Mindmap! Gib mir ein paar Tage, dann beschäftige ich mich damit ausführlich. Super Diskussion, wir kommen voran!
@ Stefan, na Hauptsache Du brauchst nich so lange wie ich für ein paar Crottorf Transkripte :-(((
@Silke#25: Meine Diskussion deines Mindmaps ist nun online. — Transkripte sind dagegen viel audwändiger!