Von kopierbaren Dingen, offenen Produktionsstätten und berührbaren Bits

Das Projekt »Tangible Bit« (»berührbares Bit«) will für materielle Produkte möglich machen, was für Freie Software schon geht: jede/r soll sie sich problemlos besorgen können, jede/r soll sich an ihrer Weiterentwicklung und Verbesserung beteiligen können, und jede/r soll sie an andere weitergeben und mit anderen teilen können

Wenn ich (z.B. bei einem Freund) eine Software sehe, die mich interessiert, kann ich sie ganz einfach selber installieren – entweder er kopiert sie mir oder ich besorge mir eine Kopie auf der Homepage der Software. Unter freien Betriebssystemen wie Linux und BSD geht es noch einfacher: dort gibt es sogenannte Repositories (Verzeichnisse) der verfügbaren Software. Dort muss ich nur den Namen des Softwareprogramms eingeben und auf Knopfdruck beginnt mein Computer mit der Installation desselben. Oft bestehen noch »Abhängigkeiten« zwischen Programmen: um eine Software B nutzen zu können, muss ich zunächst ein anderes Programm A installieren. Unter Windows habe ich mich darum selber zu kümmern – unter Linux nicht, da erledigt das Repository das automatisch.

Freie Software erlaubt mir noch mehr: ich kann sie nicht nur frei verwenden, sondern auch verändern, erweitern und besser an meine eigenen Bedürfnisse anpassen (sofern ich mich damit auskenne). Und ich kann sie an andere weitergeben, sowohl in originaler als auch in verbesserter Form.

Wie soll das Ganze nun für materielle Objekte funktionieren? Objekte können doch nicht einfach heruntergeladen und »installiert« werden, sie müssen erst einmal produziert werden. Keine Sorge: das Tangible-Bit-Projekt will keine Wundermaschinen bauen, die materielle Dinge ebenso unkompliziert kopieren wie Computer Informationen – es geht hier nicht um Fabber (oder höchstens am Rande – siehe Exkurs).

Statt auf Wundermaschinen setzt »Tangible Bit« (nennen wir es kurz »TBit«) vielmehr auf die Kombination von Freiem Design mit dezentralen, idealerweise als Commons gestalteten Produktionsstätten und Materialsammlungen. Das Gegenstück zur Softwareinstallation könnte etwa so aussehen: Ich entdecke bei einer Freundin ein Objekt, das ich in gleicher oder ähnlicher Form auch gebrauchen könnte – sei es ihr Bücherregal, ihr Essgeschirr oder ihr MP3-Player. Ich frage sie nach dem Namen des Objekts und gebe diesen auf der TBit-Website oder in einer auf meinem Rechner installierten Verzeichnis-Software ein. Daraufhin erhalte ich detaillierte Baupläne und Prozessbeschreibungen, die verraten, welche Eigenschaften das gewünschte Objekt hat, aus welchen Materialien und Komponenten es besteht, wie man es herstellen, verwenden und im Bedarfsfall reparieren kann.

Die Prozessbeschreibungen enthalten zudem eine Auflistung der Maschinen und Werkzeuge, die nötig sind, um das Objekt herzustellen. Damit muss ich mich kaum beschäftigen, denn das tut mein Computer: es spuckt mir zum Beispiel eine Liste der Produktionsstätten in meiner Nachbarschaft aus, die über die nötige Ausstattung verfügen. Ich suche mir, etwa anhand von Preis, Sympathie und räumlicher Nähe jene aus, die mir geeignet erscheinen. Dort kann ich mir mein Wunschobjekt anfertigen lassen (oder ich schicke per Internet eine Bestellung ab und erhalte es einige Tage später per Post).

Freies Design und dezentrale, offene Produktionsstätten

Der erste Baustein des Projekts – wie anderer Projekte der »commonsbasierten Peer-Produktion« – ist Freies Design. Immer mehr Wissen wird im Internet mit anderen geteilt und gemeinsam weiterentwickelt und verbessert. Neben Freier Software, Freien Texten wie der Wikipedia und Freien Musik- oder Filmprojekten gibt es inzwischen auch Projekte, die gemeinsam materielle Produkte entwerfen und dabei Konstruktionspläne, Materiallisten und Objektbeschreibungen öffentlich zur Verfügung stellen und als Gemeingut teilen. Dies wird Open-Source-Hardware oder Freies Design genannt (mehr zu Freiem Design im Artikel »Commons-Netzwerke« im Januar-2009-Schwerpunkt der Contraste – das hier vorgestellte Projekt knüpft in mehrerer Hinsicht an dort diskutierte Entwicklungen und Konzepte an.)

Bei Freien Designs kann man wie bei Freier Software und anderen Freien Projekten darauf bauen, dass die Offenheit zu großer Vielfalt führt, da jede/r mitmachen und eigene Anpassungen oder Erweiterungen beitragen kann. Dies erhöht die Chancen, dass eine dem eigenen Geschmack oder Bedürfnissen entsprechende Variante bereits von anderen erstellt und hochgeladen wurde. So können gerade auch Spezialbedürfnisse abgedeckt werden, für die kein »Markt« vorhanden ist und die von kommerziellen Anbietern daher normalerweise ignoriert werden.

Den zweiten Baustein bilden dezentrale Produktionsanlagen und Materialsammlungen. Dieser Baustein basiert auf einer Entwicklung, die mit der Ausweitung der Peer-Produktion zusammenhängt: Produktionstechniken werden im Zuge der technologischen Entwicklung günstiger und zugänglicher – heute können Hobbyist/innen mit günstig erworbenen oder selbstgebauten Maschinen produzieren, wofür noch vor wenigen Jahrzehnten eine kapital- und personalintensive Fabrik nötig gewesen wäre.

Fab Lab in Norwegen

Hier sind die Fab Labs von Interesse, die in den letzten Jahren in vielen Ländern (leider noch nicht in Deutschland) entstanden sind. Fab Labs sind offene Werkstätten, die über ein reichhaltiges Sortiment an additiven und v.a. subtraktiven Produktionsmaschinen verfügen (siehe Exkurs zu Produktionstechniken), die sie öffentlich zugänglich machen. Anspruch der Fab Labs ist, »beinahe alles« produzieren zu können. Das ist etwas ambitioniert, doch allerhand nützliche Dinge (z.B. Mobiliar u.a. Holzgegenstände, Kleidung, Platinen u.a. Computerzubehör) lassen sich bereits herstellen. Die Fab Labs sind aus einer Initiative des US-amerikanischen MIT hervorgegangen. Heute gibt es mehrere Dutzend davon, in Nord- und Südamerika, Afghanistan, Indien, Afrika und Europa (u.a. in Holland, Spanien und Island) – Smári McCarthy, der Gründer und Maintainer des TBit-Projekts, hat das isländische Fab Lab aufgebaut.

Fab Lab in Island

Ziel der Fab Labs ist nicht nur, nützliche Dinge zu produzieren, sondern auch einer Community von Nutzer/innen Räume für gegenseitige Unterstützung und den Austausch von Wissen zu öffnen. Die Charta der Labs legt Spielregeln für die Community fest: man darf alles produzieren, was niemandem schadet (also z.B. keine Waffen); man soll dokumentieren, was man tut, und das gesammelte Wissen an andere weitergeben; man soll stets vorsichtig sein, das Lab in gutem Zustand hinterlassen, und einen Beitrag zur Wartung und Pflege der Ausstattung leisten.

Die größte Beschränkung der Fab Labs (die auch mit der Industrienähe des MIT zusammenhängen könnte) ist, dass die verwendeten Werkzeuge proprietär sind – sie müssen bei bestimmten Herstellern eingekauft werden, ihr Design ist nicht offen gelegt, und niemand kann bzw. darf sie einfach nachbauen und verändern. Ein Anliegen von Tangible Bit und von Teilen der Fab-Lab-Community ist es, diese Beschränkung zu überwinden und die »produktive Rekursion« zu erreichen: ein Netzwerk Freier Produktionsstätten, deren Ausstattung zu 100% Freies Design ist und in den zusammenarbeitenden Werkstätten selbst reproduziert werden kann. Dies würde es ermöglichen, weitere Werkstätten aufzubauen, ohne die benötigte Ausstattung kaufen zu müssen.

Dadurch würde sich die Abhängigkeit vom Markt spürbar reduzieren, auch wenn damit selbstredend noch nicht alle Probleme gelöst sind. Offen bleibt insbesondere die Frage, wer die benötigten natürlichen Ressourcen kontrolliert: muss man sie kaufen oder werden sie als Gemeingüter geteilt (und auf welche Weise)? Spätestens hier wird es immens politisch…

Solange noch Kosten für Miete und Materialien anfallen, stellt sich die Frage nach deren Finanzierung. Denkbar sind hier etwa individuelle Abrechnung anhand der verbrauchten Materialien, vereinsartige Strukturen, wo jede/r (ggf. in Abhängigkeit von Vermögen oder Einkommen) einen Beitrag leistet, oder regelmäßige Spendenaufrufe wie bei der Wikipedia. Zu klären ist ebenfalls, wer sich worum kümmert und wie die notwendigen Tätigkeiten aufgeteilt werden – ob dies spontan funktioniert (wie bei Freier Software) oder ob es dafür Modelle expliziter Vereinbarungen braucht, wie ich sie in meinem Buch Beitragen statt tauschen (AG SPAK Bücher, 2008, http://peerconomy.org/) diskutiere.

Auch wenn wir noch am Anfang stehen, zeichnen sich Elemente einer postkapitalistischen, auf Kooperation und Gemeingütern basierenden Produktionsweise bereits ab. Freies Design, gemeinschaftlich betriebene Produktionsstätten und deren Vernetzung können hier wichtige Bausteine sein. Auf der Website des vorgestellten Projekts (http://tangiblebit.com/) ist derzeit noch nicht viel zu sehen, aber Hilfe ist herzlich willkommen. Wer mitmachen will, wende sich am besten an mich oder (auf Englisch) an Smári McCarthy (smari ät anarchism.is).

Fab Lab in Norwegen

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Kleiner Exkurs zu Produktionstechniken

Ein Großteil der materiellen Produktionstechniken lässt sich in drei Gruppen einteilen: additive und subtraktive Verfahren sowie Urformverfahren.

Additive Verfahren sind ein neuer und bisweilen gehypter Ansatz. Diese oft als »Fabber« oder »3D-Drucker« bezeichneten Maschinen produzieren Objekte, indem sie das in flüssige oder Pulverform gebrachte Material Schicht für Schicht auftragen. Die einzelnen Schichten werden dabei ähnlich wie bei einem Tintenstrahldrucker quasi »ausgedruckt«; durch das Übereinanderlegen vieler Schichten entsteht ein dreidimensionaler Gegenstand. Fabber eignen sich v.a. für die Verarbeitung von Plastik oder Metall, doch einige Verfahren können auch mit anderen Materialien wie Keramik oder Glas umgehen.

Additive haben gegenüber subtraktiven Verfahren den Vorteil, dass kein bzw. wenig Abfall anfällt; sie haben den Nachteil, relativ langsam zu sein und weniger Materialien verarbeiten zu können. Es gibt zwei Freie Fabber-Projekte – RepRap und Fab@Home) – die sich bislang im Entwicklungsstadium befinden und noch keine ernsthaften Anwendungen ermöglichen; bei kommerziellen additiven Maschinen (die ab ca. 10–50.000 € zu haben sind) sieht es anderes aus, diese werden etwa im Flugzeugbau oder in der Zahntechnik bereits regelmäßig eingesetzt.

Für subtraktive Verfahren wird ein Materialblock benötigt, der größer ist als das zu erzeugende Objekt. Die nicht benötigten Teile des Materials werden dann (z.B. durch Absägen oder Wegfräsen) entfernt, bis die gewünschte Form übrig bleibt (z.B. ein Tischbein oder ein metallisches Werkzeug). Subtraktive Verfahren sind besonders für die Bearbeitung fester Stoffe wie Holz und Metall geeignet. Moderne subtraktive Maschinen werden nicht mehr manuell bedient, sondern per Computer gesteuert – sie werden oft CNC-Maschinen (computerkontrollierte Maschinen) genannt (auch wenn streng genommen auch Fabber u.a. computergesteuerte Maschinen CNC-Maschinen sind). Im Internet gibt es zahlreiche frei dokumentierte und kostengünstige CNC-Maschinen (z.B. PMinMO), die anders als RepRap & Co. auch für ernsthafte Anwendungen geeignet sind.

Urformverfahren benötigen eine Form, in oder auf die das erhitzte Material gegossen oder gepresst wird; nach dem Erkalten behält das Material die vorgegebene Form. Ein wichtiges Urformverfahren ist das Spritzgießen, bei dem geschmolzenes Plastik unter hohem Druck in eine Metallform gepresst wird – ein Großteil aller Plastikprodukte entsteht auf diese Weise.

Anders als additive und subtraktive Verfahren sind Urformverfahren weniger für die »On-demand-Produktion« geeignet, bei der auf Wunsch ein (ggf. individuell angepasstes) Einzelstück erstellt wird. Da zunächst eine Form hergestellt werden muss, lohnt sich die Produktion erst bei größeren Stückzahlen. Aber auch hier wirkt der technische Fortschritt: während das Spritzgießen früher als teure High-End-Technologie galt, die erst ab fünfstelligen Stückzahlen rentabel war, kann es sich heute Dank günstiger Produktionsmaschinen und Formen schon ab Dutzenden oder Hunderten von Exemplaren lohnen. Im Internet tauchen bereits frei dokumentierte professionelle Spritzgießmaschinen zum Selberbauen auf (z.B. in »Max’s Little Robot Shop«).

Hier ergibt sich eine interessante Parallele zur Produktion Freier Software: bei Software fällt praktisch der gesamte Aufwand für das einmalige Programmieren der Software an, die dann in beliebig vielen Kopien verbreitet werden kann, ohne dass dadurch nennenswerte Zusatzkosten entstehen. Ganz ähnlich sieht es beim Spritzgießen aus, wo das einmalige Anfertigen der Produktionsmaschinen und der Formen aufwendig ist, der Material- und Arbeitsaufwand für das Anfertigen eines einzelnen Exemplars in dem hochautomatisierten Prozess dagegen minimal bleibt. Dies könnte bei materieller Produktion ermöglichen, was bei Freier Software selbstverständlich ist: Leute tun sich zusammen, um etwas zu produzieren, und teilen die Ergebnisse ihres Tuns (Exemplare des erstellten Produkts) mit allen weiteren Interessent/innen, ohne von diesen eine Gegenleistung einfordern zu müssen.

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