Peer-Economy: Noch eine offene Frage.
Vor einiger Zeit führten wir hier eine interessante Diskussion über offene Fragen der Peer-Economy. Dabei ist ein Punkt noch nicht zur Sprache gekommen, der mir damals als nicht so wichtig erschien, den ich aber inzwischen als ein zentrales Problem betrachte.
Christian geht davon aus, dass bei der Versteigerung der Aufgaben unattraktive Aufgaben höher und attraktive Aufgaben niedriger bewertet werden. Sein Lieblingsbeispiel sind dabei die Aufgaben „Müll entsorgen“ und „Programmieren“. Ich übernehme dieses Beispiel, weil genau an diesem Beispiel das Problem sehr gut demonstriert werden kann. Ich gehe ausserdem – genau wie Christian – davon aus, dass „Programmieren“ für die meisten Menschen attraktiver ist als „Müll entsorgen“. Allerdings glaube ich nicht, dass daraus direkt folgt, dass „Programmieren“ ein niedrigeres Gewicht in der Aufgabenversteigerung erhalten würde. Warum nicht? Fürs Programmieren braucht man sehr viel mehr Vorwissen und Ausbildung als zur Müllentsorgung. Das heisst nur ein geringer Prozentsatz der Bevölkerung kann bei Programmieraufgaben überhaupt mitsteigern. Bei der Müllentsorgung kann aber im Prinzip fast jeder mitmachen. Also wird das Gewicht des Programmierens lange nicht so viel sinken wie es könnte. Das ist ein ganz ähnlicher Mechanismus weswegen ja auch heute schon Programmieren meist besser bezahlt ist als Müllentsorgen.
Um dieses Problem zu beheben müssten Ausbildungszeiten in irgendeiner Form mit in die Versteigerung eingehen. Wie genau könnte das passieren?
Vielleicht nicht Ausbildungszeiten sondern eher „Erfahrung“.
So wie ich das Konzept verstanden habe, sind Ausbildungszeiten Zeiten ohne oder mit geringer Beitragspflicht. Die kann halt jede/r machen, wie sie/er das für die eigene Entwicklung braucht (man könnte jetzt fragen, was geschieht, wenn alle immer in Ausbildung sind…). Insofern ist die Ausbildung von der Tätigkeit später getrennt und wirkt sich nicht auf das Gewicht bei der Aufgabenversteigerung aus. Das ist nur dann der Fall, wenn es zu wenig Menschen mit einer nachgefragten Qualifikation gibt. Aber das ist ja generell Teil des Nachfrage-Angebot-Mechanismus der Versteigerung.
Dazu kommt, dass es unerheblich ist, wie viele Menschen eine Tätigkeit machen können, sondern es ist wichtig, wie viele eine Tätigkeit machen wollen (was das Können natürlich einschließt). Müllentsorgen könnten vielleicht viele machen (was ich im übrigen bezweifele, aber das ist hier jetzt nicht wichtig), aber wollen tun es eventuell nicht viele. Also ist es folgerichtig, dass diese Tätigkeit hoch bewertet wird.
Kurz: Ich sehe das Problem nicht.
@Thomas: Nenn es wie Du willst, das ändert ja nix am Problem.
@Stefan: Das Problem ist, dass ich befürchte, dass unter Peer-Economy-Bedingungen diejenigen die jetzt schon privilegiert sind, weil sie sich eine gute Ausbildung leisten können auch dann weiterhin privilegiert sein werden. Wer etwas kann, was nachgefragt ist, was aber nicht viele andere können, muß kürzer arbeiten, hat also mehr Zeit (also auch zur Fortbildung) und bleibt in dieser Lage. Diejenigen, die nix können was nachgefragt ist, müssen länger arbeiten, haben weniger Zeit und bleiben auch in dieser Lage. Das sehe ich sehr wohl als Problem. Diesem Zirkel könnte man nur entkommen durch eine Erweiterung des PE-Konzepts. Z.B. durch ein bedingungsloses Grundauskommen oder zumindestens garantierte Bildungszeiten (zB. zwei Monate pro Jahr ansparbar plus beliebig viel bis zum 25. Geburtstag oder so).
@benni: Wie Stefan schon schrieb, ist das in dem Konzept ja schon vorgesehen. Ich gehe davon aus, dass Bildungs- und Lernzeiten als Beiträge gelten, wer also z.B. studiert muss parallel dazu nicht noch auf andere Weise beitragen.
Vielleicht wird’s da irgendwelche Obergrenzen geben, falls sie sich als nötig erweisen sollten (wer länger als 20 Jahre studiert, bekommt weiteres Studieren nicht mehr als Beitrag anerkannt), doch denke ich, dass sich die Gesellschaft leisten kann und wohl auch leisten wird, in dieser Hinsicht großzügig zu sein, so dass solche denkbaren Begrenzungen im Normalfall keine Rolle spielen werden.
Hi, mal abgesehen davon, dass ich (wie wohl die meisten Menschen!) lieber Müll runterbringe als zu programmieren (bezeichnendes Beispiel übrigens, frau weiß sofort, in welche Schublade sie Euch stecken muss ;-)) und dass ich glaube, dass die Welt nicht immer logisch ist (also nicht immer wenn a und b gegeben sind, c folgt) finde ich, dass Bennis Problem nicht gelöst ist.
Wenn Ausbildung als Beitrag anerkannt wird (was ich ja grundsätzlich sinnvoll finde), perpetuiert sich doch die von Benni problematisierte Privilegierungssituation der gut Ausgebildeten und senkt damit die potentielle Zahl derer, die beim Ersteigern von Programmieraufgaben überhaupt mitmachen können (ich bin ja ohnehin außen vor 🙂 …mit dem vorausgesagten Effekt.
Oder hab ich etwas grundsätzlich falsch verstanden?
Habe heute gerade einen Text bearbeiten müssen, in dem das Grundeinkommen als Voraussetzung für Commons Based Economy thematisiert wird. Ich finde dann immer den Zusatz „bedingungslos“ falsch, da Allmendmanagement grundsätzlich an eine Menge Bedingungen geknüpft ist. Aber ich neige auch zu der Auffassung, dass sozusagen der Sockel über steuer-/ spenden- oder wie-auch-immer-finanzierte Grundeinkommen gelegt werden muss, um ein paar Dinge, die den Kitt der Gesellschaft ausmachen, abzusichern.
@Silke & Benni: Warum wird eine Privilegierungssituation perpetuiert, wenn Ausbildung als Beitrag anerkannt wird? Das kann doch jede/r jederzeit nutzen. Aus meiner Sicht wirkt der Peerconomy-Mechanismus gerade antiprivilegierend.
Ich hätte eher Sorgen, dass irgendwann alle so qualifiziert sind, dass niemand mehr unbeliebte Tätigkeiten machen will (mal abgesehen davon, dass [un]qualifiziert und [un]beliebt nicht notwendig parallel gehen) — egal wie hoch die Quoten sind.
@Stefan: Ich seh das Problem inzwischen eigentlich auch nicht mehr so sehr.
Andererseits ist ja das Prinzip bei PE ja eigentlich, dass gerade keine Annahmen darüber gemacht werden sollen, wie sich Menschen verhalten. Wenn Christian jetzt aber sagt:
dann ist das ja eine Verletzung dieses Prinzips. Aber davon gibt es eine ganze Reihe bei PE – was wohl auch nicht zu vermeiden ist.
@Silke: Jede Gesellschaft hat bestimmte Rechte, die ihren Mitgliedern bedingungslos eingeräumt werden. Bei uns sind das die Menschenrechte. Für mich gehört dazu dass Recht zu gesellschaftlicher Teilhabe selbstverständilch dazu. Denn erst auf dieser Basis kann sich eine Peer-Economy entfalten. Den Text würde ich also auch gerne mal lesen.
Ansonsten interessant, dass Du mein „Müll entsorgen“ zu „Müll runterbringen“ verharmlost. Ich dachte eher an die Leute mit den großen stinkenden Wagen, die dreimal die Woche hier in der Straße langfahren – die sind übrigens ausnahmslos männlich 😉
Ein Fall wäre vielleicht doch noch eine kurze Betrachtung wert: was passiert, wenn es für eine Qualifikation mehr Nachfrage als tatsächlich verfügbares Angebot gibt, also nicht nur Leute, die nicht willens, sondern überhaupt in der Lage sind. Überbieten sich dann die Projekte mit immer höheren Gewichtungen? Wird, was zukünftige Ausbildungen angeht, vielleicht sogar ein ‚Schweinezyklus‘ angestossen?
Oder kann und soll man angesichts der höheren Effektivität der Produktionsweise davon ausgehen, dass es immer genug ‚Potential‘ geben wird, schon allein auch weil neben der für Produktion aufgewendeten Zeit immer auch genügend Zeit für ‚parallele‘ weitere Qualifikationen zur Verfügung stehen wird? Und die Menschen das auch annehmen und sich nicht so leicht auf ein Berufsbild festlegen lassen (müssen), sich also auch zumindest etwas von dem Marxschen ‚heute Tischler morgen Fischer‘ verwirklichen wird, vielleicht sogar ‚balanced work complexes‘ alá Parecon quasi ‚von selbst‘ und auf freiwilliger Basis?
Hmm. Wenn die Frage zu dämlich war oder als implizit beantwortet gelten darf (ich muss zugeben, vermutlich noch nicht alles zum Thema gelesen zu haben), hätte ich noch zwei weitere, die allerdings den Rahmen des Eingangsbeitrags verlassen. Sollte sich Resonanz ergeben, könnte man evt ja jeweils abteilen.
– Wie hat man sich den Umgang mit einmal entnommenen, höherwertigen bzw langlebigeren Güter vorzustellen, also das Pendant dessen, was hier und heute der ‚Gebrauchtmarkt‘ darstellt. Besteht hier ohne entsprechende Regelungen und Mechanismen nicht die Gefahr eines Schwarzmarktes?
– Welche bürgerlichen Rechtsformen böten sich für Projekte bzw Pools an? Ist überhaupt etwas anderes als ‚Verein‘ denkbar, da ja keine ‚Gewinnabsicht‘ vorliegt? Und würde das Vereinsrecht ausreichen?
Ich bitte vorsichtshalber um Verzeihung, sollte ich (erneut) Eulen nach Athen tragen. Danke.
@Benni: ich verzichte nicht auf Annahmen über das Verhalten von Menschen, sondern auf Annahmen über die Natur des Menschen – das ist ein Unterschied. Was das Verhalten betrifft, gehe ich davon aus, dass Menschen sich im Allgemeinen so verhalten, wie es in der jeweiligen Situation für sie Sinn macht. So auch hier – ein Erschweren oder gar Verhindern von Qualifikationsmöglichkeiten würde für die in einer Peer-Ökonomie lebenden Menschen keinen Sinn machen (sie würden sich ja ins eigene Fleisch schneiden), deshalb gehe ich aus, dass sie darauf verzichten.
@Peinhard: naja, deine erste Frage war ja die, die schon oben diskutiert und glaubich durchaus beantwortet wurde (vgl. z.B. StefanMz #2 & #6, ich #4). Im Übrigen lieferst du im zweiten Teil deines Kommentars #8 ja auch schon eine ganz gute Antwort – dass die enge Festlegung der Menschen auf ein bestimmtes „Berufsbild“ weitgehend entfallen wird, glaube ich nämlich auch (auch wenn ich nicht glaube, dass das extreme Formen annehmen wird, weil eben oft Zeiten zum Lernen und Erfahrungen sammeln nötig sind, und weil die Interessen von Menschen – das, was sie gerne tun – meist begrenzt sind).
Zu langlebigen Gütern: im Buch gehe ich davon aus, dass bei langlebigen Gütern (z.B. Häusern) der Produktionsaufwand zwischen den verschiedenen Nutzer/innen aufgeteilt wird. Von der Grundidee: wenn ein Haus 100 Jahre hält, tragen die Personen, die dort x Jahre leben, jeweils x % des Produktionsaufwands bei. Dementsprechend kann man auch die Rückgabe und Neuvergabe von anderen Gütern regeln. Selbst wenn die Weitergabe von Gütern qua direkter Absprache zwischen 2 Personen geregelt wird („ich gebe mir A, und du gibt’s mir dafür …“) sehe ich darin kein nennenswertes Problem, sofern nicht die Produktion neuer Güter ebenfalls auf marktförmige Weise geregelt wird. Und natürlich gibt’s immer die Möglichkeit, Güter zu verschenken.
Was das Vereinsrecht angelangt: keine Ahnung, das werden entsprechende Projekte selbst herausfinden und entscheiden müssen. Jedoch könnte ich mir vorstellen, dass es viele Projekte mit unterschiedlichen Rechtsformen (oder ganz ohne Rechtsform) geben wird (wie auch bei Freier Software) und dass die Kooperation zwischen diesen Projekte nicht über einen Verein, sondern über ein „Protokoll“ erfolgen wird – ein Set von Spielregeln, die Kooperation ermöglichen und koordinieren, ähnlich wie das Copyleft-Prinzip die Kooperation zwischen Freie-Software-Projekten regelt.
@Christian: Für eine gebildte Elite könnte es aber ja durchaus Sinn machen Bildung eben nicht allen zu Gute kommen zu lassen, weil dann ihre Privilegien in Gefahr wären. Das beobachten wir ja auch heute, zB. bei den ideologischen Grabenkämpfen ums Schulsystem.