Kritische Auseinandersetzung mit Frithjof Bergmann

Was schon länger fällig war, hole ich jetzt nach: Auf der heutigen Veranstaltung im Stadtteilzentrum Bassena in Wien, bei dem der dritte große Anlauf zur Auseinandersetzung mit neuen selbstorganisierten Arbeitsprozessen im Kontext mit New Work – Ideen erfolgt, halte ich zur Einführung und zur Einstimmung folgendes Referat:

Was heißt „Neue Arbeit“? – eine kritische Auseinandersetzung mit Frithjof Bergmann

1. Ich möchte heute versuchen, eine Gratwanderung zu machen. Eine Gratwanderung insofern, als ich das Konzept von Frithjof Bergmann, das sich „Neue Arbeit Neue Kultur“ nennt, nicht nur für grundsätzlich sinnvoll halte, sondern auch selbst seit meiner ersten Begegnung mit Frithjof im Jahr 2004 immer wieder versucht habe, es unter die Leute zu bringen und zu realisieren. Auf der anderen Seite steht die Erfahrung, dass sich dieses Konzept nicht  durchgesetzt hat …. Wir haben zwei große Anläufe in Wien unternommen, mit Diskussionsveranstaltungen und Workshops, an denen Frithjof immer wieder teilgenommen hat, und es war die Erfahrung, dass er auf der einen Seite mit traumwandlerischer Sicherheit einen ganz sensiblen Nerv getroffen und gleichzeitig etwas zum Schwingen und Tanzen gebracht hat. Das große gesellschaftliche Tabuthema, die heilige Kuh der „Beschäftigung“, die Arbeitsreligion, mit der auf das Abschmelzen der existenzsichernden Lohnarbeit reagiert wurde, das greift er an, und zwar nicht irgendwie, sondern frontal, gekonnt. Und er zeigt zugleich, dass die Arbeit längst die Seiten gewechselt hat, dass vieles von dem, was wir als Arbeit betrachten, längst in die Haushalte gewandert ist und uns gerade durch die Produkte der Industrie ständig mehr Spielraum verfügbar wird, ohne dass uns das bewusst wird und ohne, dass es wirklich fruchtbar gemacht werden könnte.

2. Damit füllt er Säle, damit erntet er Begeisterung. Auch hier in Wien. Hunderte Menschen sind durch dieses Begeisterungserlebnis durchgegangen, haben zunächst auch herzlich mitgelacht und mitgedacht beim Nachweis, dass in Wirklichkeit schon längst niemand mehr an die Beschäftigung und die Arbeitsplätze glaubt, die angeblich ständig durch jede Menge Entlassungen gesichert werden müssen. Und viel Zustimmung erntet Frithjof, wenn er dagegen hält: Arbeitslosigkeit ist kein temporäres Phänomen, sondern eine universelle Tendenz. Die Lohnarbeit ist am Ende, weil die Maschinen viele Dinge effizienter und vor allem billiger tun können – und zwar auch im berühmten Dienstleistungssektor.  Die mikroelektronische Revolution, die Automatisierung der Fabriken und der Banken, der globale Produktionskampf, das alles hat die Kalkulation der normalen Menschen auf ein Einkommen durch Arbeit auf den Kopf gestellt. Es entspricht offensichtlich voll und ganz der persönlichen Erfahrung vieler Menschen, was Frithjof im Unterschied zu den verlogenen Predigten der sogenannten Experten über Arbeit und Beschäftigung zu sagen hat: Hier wird sich von selbst nichts mehr verbessern, hier kann es nur weiter bergab gehen.

3. Und so ist es auch: Die unbarmherzigen Rituale mit denen Arbeitslose traktiert werden, um „vermittelbar“ zu werden, gleichen immer mehr religiösen Veranstaltungen, in denen irrationaler Glaube und grundlose Hoffnung durch Bewerbungsgespräche und Selbstbewusstseinstrainings beschworen werden, während gleichzeitig die allgemeinen Zukunftsbilder immer düsterer werden. Man soll sich selbst und seine Motivation finden, ohne dass man im Arbeitsprozess selbst noch eine bestimmende Rolle zu spielen oder auch nur ein klares Lebensbild oder Angebot vor Augen hätte. Freiheit als bloße Auswahl zwischen fremdbestimmten Alternativen – das ist keine Freiheit. Die Erlebnisse von Konkurrenz und Mobbing am Arbeitsplatz machen krank, kränken oft viel mehr als die Monotonie und das Tempo der Arbeit selbst. Jederzeit auswechselbar zu sein, eine lästige Größe in der betriebswirtschaftlichen Kalkulation zu sein, sich anonymen und undurchschaubaren Prozessen anpassen und unterordnen zu müssen und dafür auch noch miserabel bezahlt zu werden; die „milde Krankheit Arbeit“ ist genauso unerträglich wie die erzwungene Stillegung von Können und Aktivität auf der anderen Seite. Und es ist nicht abzusehen, wie beides durch ein wenig Umverteilung besser werden sollte, außer dass der Streit und die Sorge um Geld noch weiter angefacht wird.

4. Aber Bergmann verfällt nicht in die übliche Larmoyanz gewerkschaftlicher Vertretungsrhetorik von den geknechteten Lohnabhängigen oder sozialarbeiterischer Beteuerung, dass es eben nichts anderes gibt. Er zeigt, dass zu diesem prekären Benutzungsverhältnis Verhältnis zwei Seiten gehören, dass die Anpassungsleistung eine fundamental freiwillige ist, die mit nichts besser beschrieben werden kann als mit Hegels Redewendung von der „Armut der Begierde„: ein Wille, der sich seinen Inhalt von außen vorgeben lässt, weil er gar nicht über die Mittel verfügt sich zu realisieren. In einprägsamen Bildern beschreibt Frithjof diese allgemeine Armut, wie in dem vom Erstarren der kanadischen Indianer, die auf das Postflugzeug mit den Sozialversicherungsschecks warten, zu „Stümpfen im Schnee“. Das Kapitel über die Armut der Begierde mündet in dem Satz: „Wenn überhaupt irgendetwas eine Flamme in ihnen entzünden kann, dann ist es ihre verschwommene Wahrnehmung, dass es irgendwo doch noch etwas gibt, das sie tatsächlich wollen.

5. Man spürt: Diese Bilder sind nicht ganz von der Hand zu weisen, die fundamentale Passivität und das Desinteresse sind tatsächlich anerzogene Grundkonstanten einer industriellen Gesellschaft, die auch in ihrer sozialistischen Variante Kreativität und Selbstverwirklichung als etwas behandelte, das nur wenigen vorbehalten ist, störend und gefährlich ist. Frithjof Bergmanns epochaler Vorschlag ist, dass die stillgelegte Arbeitskraft radikal aufhören muss sich als einerseits als schuldig und minderwertig, andererseits als Betreuungs- und Versorgungsfall zu betrachten. Sie muss sich bei Strafe des Unterganges auf die Hinterbeine stellen, selbst etwas unternehmen und die eigenen Zeit- und Wissenspotentiale autonom aktivieren – und kann dies auch angesichts der zunehmend intelligenter, kleiner und verfügbarer werdenden Produktionsmittel. Aus seinen Schriften und Vorträgen kommt uns eine Verheissung von Freiheit entgegen, die wir in der Realität längst verloren oder nie gehabt haben – und die doch angeblich unser höchstes Gut sein soll. Wir ahnen freilich schon lange, dass der Übergang von der sozialstaatlichen Betreuung zum Terror gegen die Überflüssigen und Unnützen fließend ist und unvermeidlich wieder Schreie laut werden, das Arbeitsvolk irgendwann in staatlichen Dienst zu nehmen und nicht einfach endlos durchzufüttern. Hier zuvorzukommen und in einem „Tanz von Ying und Yang“ die Potentiale menschlicher Emanzipation zu suchen, die in der (Wieder)Erfindung des verschütteten Selbst auf der subjektiven, im Strukturwandel der Technologie auf der objektiven Seite liegen, das ist eine wichtige und richtige Idee und ein bleibendes Verdienst von Frithjof.

6. Und doch liegt etwas seltsam Abstraktes in den Vorschlägen der Neuen Arbeit, ganz gerade so als ob sie sich selbst noch der Gesellschaft als alternatives Betreuungs- und Beschäftigungsprogramm für Arbeitslose anbieten würde. Frithjofs Stellung zu seinen eigenen Vorschlägen, was denn die Arbeitslosen tun sollen, ist zumindest ambivalent: Auf der einen Seite dienen rote Elektroautos, einfache Kühlschränke und Handies als Illustrationsbeispiele: Das könntet Ihr selber tun und produzieren. Auf der anderen Seite sind sie ernst gemeint, sollen wirklich umgesetzt werden, in Unternehmen der neuen Arbeit – dennoch motivieren und inspirieren diese Beispiele nicht allzuviele, sind zu sehr durchschaubar als Abziehbilder der ohnehin schon bestehenden Produkteflut. Dieser aufgesetzte Charakter ist auch den anderen konkreten Vorschlägen Frithjofs zueigen: Für uns Europäer muten vertikale Gärten seltsam an und wir haben oft gar nicht die Raumstruktur, um so etwas zu realisieren. Und das Dorf, das Frithjof vorschlägt, mit dem aufgeblasenen Betondom als Werkstätten- und Kulturzentrum, das verlagern wir im Geist und in der Realität nach Afrika. Es geht uns eigentlich nichts an, es ist ja auch nicht unser Dorf. (Wir wollen’s auch nicht so genau wissen, das weiß auch Frithjof. Alles was wir wirklich wissen müssen ist, dass dort der Erlöser geboren wird)

7. Bleibt nur die Hoffnung auf den alleinseligmachenden Erlöser, nein, das ist nicht Jesus, sondern – der Fabrikator. Die Universalmaschine mit der es dem Individuum möglich ist, alleine und ohne gesellschaftliche Vermittlung Reichtum an Gütern zu produzieren, die dann möglicherweise noch dazu langlebig, haltbar, nachhaltig, sinnvoll, aufregend, bunt und individuell sein sollen. Nicht, dass es nicht hunderte Beispiele gibt, dass sich viele Segmente gesellschaftlicher Produktion in Richtung dezentraler Automation bewegen, ist das Kritikable hier – sondern dass diese Beispiele als rein plakative Belege für das Kommen einer Erlösungsmaschine genommen werden, der uns jeden Gedanken über das aufwändige Gestalten von Produkt- und Stoffketten erspart und gesellschaftliche Produktion in die unmittelbare individuelle Disposition stellt. Wer dann entdeckt, dass der Einsatz von Fabrikatoren auf wenige und möglicherweise problematische Materialien beschränkt ist, dass sie langsam und immer noch teuer sind, der reagiert dann mit Enttäuschung.

8. Ich habe viele Gläubige erlebt in der Bewegung für Neue Arbeit – Menschen, die sich sehr begeistern ließen von der Aussicht auf Erlösung aus dem Jammertal der Arbeit, die sofort missionarischen Eifer entwickelten und selber in Arbeitsgruppen organisierten etc. Ich habe erlebt, dass diese Menschen bitter enttäuscht waren, dass sich die Vorschläge der neuen Arbeit als pseudopraktisch und ihre Heilserwartungen als zu jenseitig erwiesen. Einige haben der Neuen Arbeit die Treue gehalten, weil sie den Mythos aus irgendeinem Grund als nützlich empfanden – als Zutat in ihrer Arbeit als Arbeitslosenbetreuer etwa. Die meisten gehen der Neuen Arbeit aber verloren, weil sie das Gefühl kriegen, dass sie ihnen nicht hilft bei den Problemen der Lebensbewältigung. Viele davon reagieren heute mit Feindschaft und Verbitterung, aber das spielt noch keine Rolle, denn neues Publikum strömt ja immer noch in die Hörsäle.

9. In guten Momenten ist Frithjof das alles klar, das weiß ich aus persönlichen Gesprächen. Und ich weiß um die Tragik und kann sie nachvollziehen: dass einerseits mit Händen zu greifen ist, dass ein immer größerer Entfremdungsprozess zwischen Wirtschaft und Arbeit passiert, dass die Arbeit als zentrales Element der menschlichen Kulturbildung eine immer traurigere Rolle spielt, dass die im einzelnen „durchrationalisierte“ und effiziente Produktion in ihrem Zusammenhang zunehmend irrational und ineffektiv wird – auch und gerade in den sogenannten Dienstleistungssektoren. Dass die Chancen auf den Erwerb von Wissen, Kompetenz und Können sich andererseits mit den neuen Technologien der Information und Kommunikation verhundertfachen (Gegentendenz siehe unten). Dass eine Selbstorganisation der Arbeit also nicht nur ein Gebot der Stunde, sondern auch eine reale Möglichkeit darstellt. Andererseits sich aber Passivität und Depression sehr weit vorgefressen haben in die Massen, inklusive Tribalisierung, Brutalisierung und Realitätsflucht, auch und gerade durch Schnäppchenjagden in der Konsumwelt und virtuelle Heldentaten in Computerspielen . „Sie hören mir nur zu, wenn ich konkrete und appetitmachende Beispiele bringe“ sagt Frithjof, und er hat in gewissem Sinne auch recht. Viele können ihm aber gerade wegen der immer wiederkehrenden Topoi auch schon gar nicht mehr zuhören.

10. Dabei wäre die Welt voll mit Beispielen von Versuchen, sich in das postindustrielle Zeitalter vorzutasten. Aber diese Beispiele widersprechen in vielem der Botschaft von der sich wie ein Wirbelwind durchsetzenden, effizienten, konkurrenzfähigen, mühelosen Do it yourself-Produktion, das Frithjof mit seinen Klodeckeln auf Knopfdruck aus dem Produktionscafe erzeugt, die der Sehnsucht nach der reinen Selbstverwirklichung paßgenau entgegenkommt. Sie sind vielmehr verbunden mit großem persönlichen Einsatz, mit der Bereitschaft zu lernen und sich zu verändern, Kompetenz zu erwerben – auch und durchaus im Sinn der traditionellen Meisterschaft im Handwerk. Sie entstehen in Nischen, die oft nicht verallgemeinerbar sind, wie Ökodörfern oder anderen kreativen Millieus. Sie benötigen Netzwerke, die aufwändig zu organisieren sind und jeweils im Einzelfall ganz verschieden funktionieren. Solche Netzwerke der professionellen Amateure sind geboren im beständigen Kampf mit Industrien, die einerseits gerne die Gratisarbeit von afficionados als Marketinginstrument verwenden, andererseits deren Abhängigkeit von den eigenen Produkten und deren Zyklen nicht gerne in Frage stellen lassen. Sie sind nicht eindeutig zuordenbar und oft Welten auseinander. Im System wird immer mehr Arbeitskraft hinausgeschmissen und dann als „Verselbständigte“ wieder hereingeholt – weils billiger ist. Digitale Boheme und Cultural Industries bevölkern als Masse an auftragsheischenden Kleinstfirmen gentrifizierte Quartiere. Sie haben oberflächlich mit den Armen nichts zu tun und auch kein Interesse an ihnen, obwohl es ihnen so gut nicht geht. All dies ist eher eine „Multitude“ als eine einheitliche Bewegung, und dies müsste mit aller Ehrlichkeit zugegeben werden. Neue Arbeit wäre dann eher eine Vermittlungsarbeit zwischen diesen Welten als ein weiterer monolithischer Block.

Mit diesen 10 Thesen wäre eine erste Annäherung und zugleich notwendige Kritik an Frithjof Bergmann geleistet. Die Schlussfolgerung heißt: Lest ihn, hört ihn, aber glaubt nicht, dass er auf alle Fragen, die er aufwirft, auch eine Antwort parat hat. Die Antworten liegen weitgehend in Eurer eigenen Fähigkeit des Erkennens und Entdeckens und Eurer eigenen Phantasie.

Im Anhang noch fünf Thesen zur Diskussion.

ANHANG

11. Beispiele wie die freie Softwarebewegung, Wikipedia, OpenDesign, OpenSourceEcology etc. zeigen, dass sich reale gesellschaftliche Macht durch Addition und Multiplikation der Kompetenzen der unmittelbaren Produzenten herauszubilden vermag. Dass sich die Eigenarbeit in unbeschränkt großen Netzwerken des Informationsaustausches zu vernetzen imstande ist, ist die wichtigste Grundbedingung ihrer „Konkurrenzfähigkeit“ und nicht eine „natürliche Überlegenheit der Kleinproduktion“. Das Aufrechnen durchrationalisierter Fabriken mit perfekter Logistik gegen Werkstätten ohne Management-Overhead ist dabei ziemlich witzlos: Beide Seiten können vermutete Produktivitäts- und Effizienzvorteile für sich reklamieren. Die ernstzunehmendsten Erfolge erwachsen dort, wo Design und Denkarbeit global vergesellschaftet werden. Sträflicher Optimismus wäre es also, sich beim Entwurf „neuer Arbeit“ auf die isolierte Eigenarbeit zu verlassen. Dass die Neue Arbeit aber gerade keine Theorie der Zusammen – Arbeit und der gesellschaftlichen Organisation von Eigenarbeit vorlegt, sondern die Dualität von „Betrieben“ und „Unternehmen“ auf der einen Seite und monadischen Individuen auf der anderen Seite fortschleppt, macht ihren größten Mangel aus. Komplexe Netzstrukturen und Kommunikationsflüsse die gerade Verlässlichkeit und Autonomie fördern können, werden nicht thematisiert.

12. Die Emphase der Arbeit – von Frithjof selbst immer wieder zurückgenommen in die Dualität von Arbeit und Kultur, aber eben einer Kultur, die sich im wesentlichen als eine Kultur der neuen Arbeit versteht – bewirkt eine Abstraktheit im Lebensentwurf auch noch der Neuen Arbeit. „Anders Leben“ hat einen Inhalt und der liegt zwar nicht komplett „neben“ der Arbeit, aber auch nicht „in“ der Arbeit. Eine Perspektive, die der Arbeit per se einen Sinn zuspricht, muß fehlgehen: wenn Frithjof sagt: „Es ist möglich, die Arbeit so zu verändern, dass sie beides erreichen kann – sowohl eine unvergleichlich produktivere und zugleich unvergleichlich menschlichere Wirtschaft, als auch den Berggipfel einer wahrhaften Spiritualität“ und den Inhalt dieser Spiritualität darin bestimmt, dieses eine Leben so intensiv wie möglich zu leben (NANK 414 und 416), dann verzichtet er bewusst darauf dieses Leben  jenseits der Arbeit zu entdecken und material zu beschreiben. Emphatisch ließe sich dagegen halten, dass Arbeit immer das Reich des Notwendigen und nicht das Reich der Freiheit ist und dass der wahrhafte Sinn der Arbeit allemal darin besteht, ihre eigene Notwendigkeit zu verringern – außer sie hat einen meditativen oder kommunikativen Charakter (ist dann aber auch nicht Arbeit im engeren Sinne). Die neue Arbeit leidet an diesem Punkt an einer Armut der kulturellen Utopie, der Formen, die die Feier des Lebens selbst zum Inhalt haben und aus der Arbeit allemal erst ihren Sinn bekommt. Sonst würde sie sich vielleicht mehr an der Armseligkeit der Ziele stoßen, die sie in Aussicht stellt. Ein Beispiel ist die längst ins breite Bewusstsein getretene Absurdität des Automobils: Ein neues Auto zu produzieren, soll alles sein was wir wirklich wirklich wollen? Gibt es nicht viel reichere und spannendere und vielfältigere Formen der Mobilität? Und die Reihe läßt sich endlos fortsetzen. Nehmen wir das Wohnen: Unser gesamtes Leben ist in Schachteln eingepackt, die unsere Passivität voraussetzen. Raum ist die reale Gesellschaftlichkeit und muss vollkommen neu geschaffen und gestaltet werden. Dabei spielen auch die Ästhetik, die Wiederannäherung an die Natur und ökologische Gesichtspunkte eine Rolle – auch sie werden kaum thematisiert.

13. Doch vor all dem steht die reale Möglichkeit für eine große Anzahl von Menschen, tatsächlich dem von Frithjof beschriebenen ungeheuren Zwang der ökonomischen Versklavung in ihren vielfältigen Formen zu entfliehen. Die Frage ist ganz banal zu formulieren: Wo kriege ich meine Brötchen her? Die Neue Arbeit hat bis jetzt keine überzeugende Antwort auf diese Frage vorlegen können, außer dass es eine Brotbackmaschine gibt, die aber wiederum mit Mehl, Wasser, Strom, Zeit und Aufmerksamkeit gefüttert werden will – die auch nicht jeder aufbringt. Es gilt, als Ausgangspunkt die ärgerliche Grundtatsache zu akzeptieren, dass in dieser „Gesellschaft des maximalen Kaufens“ alles vom Geld abhängig ist. Ein gesellschaftstheoretisches Konzept, das wesentlich geprägt ist durch Selbst-Organisation und Selbst-Gestaltung, das Subsidiaritäts- und Solidaritätsprinzipien berücksichtigt und in das sich das Konzept der Neuen Arbeit mit Fragen des Grundeinkommens, regionaler Währungen, regionaler Bildungszentren und vieler anderer Bausteine und Muster einer neuen Gesellschaft synergetisch vermittelt – das ist ein weiteres Manko der neuen Arbeit, (noch) kein wirkliches Thema für sie. Grundeinkommen oder besser Grundauskommen – warum soll das automatisch zur Passivität führen?  Der Schluss ist vollkommen verkehrt: Unglaubliche Chancen der Aktivierung tun sich auf im Wechselspiel von gewonnenen Zeitpotentialen mit Technologie, Bildung und Innovation, um die „Gesellschaft des Kaufens“ allmählich zurückzudrängen. Hier und gerade hier, hätte ein „Mentoring“ anzusetzen, in einer Welt realer Chancen und Mittel.

14. Ohne radikale Gesellschaftstheorie werden wir dabei nicht auskommen. Wir können nicht so tun, als wäre die Wirtschaft in der Lage, das Abschmelzen der Arbeitskraft als zentraler Quelle der Verwertung des Wertes ohne schwerwiegende Deformationen und Dysfunktionalitäten zu überstehen. Frithjof spricht von der „Krise hinter der Krise“, und doch wird selten thematisiert, was es bedeutet, wenn konkurrierende Kapitale in der Investition in physische Produktion keinerlei Wachstumschance mehr sehen. Der Finanz- und Spekulationsberg, der sich in den letzten Jahrzehnten aufgetürmt hat, um die Abrechnung gigantischer verfehlter Investitionen hinauszuschieben, ist nur eine Erscheinungsform einer amoklaufenden Wirtschaft. Ene andere ist die mit diesen Investitionen noch immer angeheizte aggressive Produktion selbst, die Ressourcen jenseits unserer Vorstellungskraft freisetzt, um völlig überflüssige Gegensätze und Inkompatibilitäten in die Welt zu setzen, die Kunden binden und in Abhängigkeiten von Produktzyklen bringen sollen. Dazu gehört auch die planmäßige Unbrauchbarmachung und Entwertung dessen, was noch gestern als der letzte Schrei angepriesen wurde. Oder die verbissene Arbeit an der Bezollung sogenannten geistigen Eigentums,u m von der Landwirtschaft über die industrielle Produktion bis hin zur Kultur jede andere Tätigkeit, jeden Gebrauch von natürlichem und gesellschaftlichem Reichtum schlicht und einfach verbieten zu können. Es verbietet sich von selbst, hier frisch und fröhlich zur Selbstentfaltung durch Arbeit aufzufordern, ohne nicht auch ständig die permanente latente und manifeste Bedrohung zu sehen, die dieser entgegensteht. Diese äußert sich nicht nur in Rechtsunsicherheit und juristischer Bedrohung, sondern auch in ganz banalen Fragen der operativen Gestaltung. Bildlich gesprochen steht hinter jedem neuen Schraubengewinde die Festlegung der Eigenarbeit auf vorgestanzte Abläufe. Kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen nicht nur die Materialien und Vorbedingungen einer wirklich aus sich heraus gestaltenden Arbeit dahinschwinden, sondern auch das Wissen über die Prozesse und Verfahren, die dazu notwendig sind. Diese Schraube wird immer weiter angezogen und Eigentätigkeit, so phantastisch auch die prozessorgesteuerten miniaturisierten Produktionsmittel sein mögen, hängt zunehmend am Tropf einer fremdbestimmenden Industrie. Was den meisten Leuten zumeist nur daran auffällt, was eben heute alles nicht mehr geht. Ganz elementare Grundlagen handwerklicher Souveränität müssen mühsam zurückgewonnen werden, ganze Bereiche von Technik gegen die Industrie neu erfunden werden. Dieser Prozess hat in ernsthafter Form eben erst begonnen, und er liegt ebenfalls unter dem Radar der Neuen Arbeit.

15. Resume: die Neue Arbeit ist ganz und gar unvermittelt, aber sie könnte vielleicht gerade deswegen eine ganz große Rolle als Vermittlungsbewegung spielen. Darüber bin ich mir in seltenen guten Momenten mit Frithjof einig. Aber wie sieht das aus? Das ist die offene Frage, für die ich nur einige Anhaltspunkte zusammentragen konnte.

Wien, am 15. Oktober 2008

Franz Nahrada

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