Einige Thesen zur P2P-Gesellschaft
Weil Benni jetzt begonnen hat, auf Marcin Jakubowskis Arbeit hinzuweisen, der tatsächlich ein volles technologisches Programm für die Entwicklung einer P2P-Produktion auf materiellem Gebiet erstellt hat und auch in die Tat umsetzt, veröffentliche ich einige ins Unreine gedachte Gedanken, die anlässlich eines Briefwechsels mit Stefan Merten entstanden sind. Dies auch, weil meine relativ liberale Einstellung zu verschiedenen Dimensionen des „Herausarbeitens“ aus der bürgerlichen Gesellschaft zu dem Missverständnis geführt hat, ich meinte mit etwas Lokalwährung und Sozialem Unternehmertum wäre alles in Butter (siehe Bergmann-Kritik). Es geht mir im wesentlichen um die Frage, was sind die Kernstrukturen und „Konstruktionsprinzipien“ einer anderen Gesellschaft, wie wir sie von den Mustern der freien Softwareentwicklung her denken können.
- Eine Gesellschaft, in der wir in der materiellen Produktion auf ein ähnlich differenziertes Verfahrens- und Prozessschema kommen wie es in lebendigen Prozessen schon vorliegt (die übrigens ganz und gar „automatisch“ oder eben gar nicht nicht funktionieren), emanzipiert sich zunehmend von der Arbeitszeit als Maßstab der Teilhabe am Reichtum. Das Leben selbst ist der „produktive Akt“, um den es geht, die Muße und die Bildung aller ist das wahre Maß des Reichtums. Der Ausschluss auch nur einiger von den Quellen der Inspiration und des Lernens wäre ein unerträglicher Skandal, wenngleich er durch die realen Begrenzungen der Produktion und des Reichtums vorkommen mag.
- Wesentlich für das Zustandekommen der Produktion und des Reichtums sind die Qualität der Konstruktion und die Kompatibilität der Produkte — soll heißen: Es ist ziemlich egal, ob die Leute direkt an der materiellen Produktion beteiligt sind, wenn gewährleistet ist, dass das insgesamt alle menschlichen Aktivitäten friktionsfrei funktionieren und die einfache und erweiterte Reproduktion der Gesellschaft in Abstimmung mit dem planetaren Reproduktionsprozess rauskommt. Darauf, und nicht auf die Erfüllung irgendwelcher Gerechtigkeitsvorstellungen, haben sich unsere Bemühungen zu richten. Und damit sowohl auf die Kompetenz als auch auf die Kreativität der Mitmachenden, und zwar von Anfang an.
- Automation ist unbeschränkt lohnend, die Arbeit an der Automatisierung eines Prozesses hat ein nahezu unendlich großes Resultat: einmal entdeckt funktioniert ein gut designter Prozess unter geeigneten Rahmenbedingungen ewig. Das impliziert aber, dass je mehr Prozesse automatisiert sind, der Zugang zu und die Kompatibilität untereinander der Prozesse zum wichtigsten Problem wird und nicht die Mühen der Produktion selbst. Einerseits wird es einfacher, andererseits komplizierter…. Da Gesellschaft nicht kybernetisch ist, aber in kybernetischen Modellen gedacht werden muss, entsteht laufend und immer wieder jede Menge Anpassungsbedarf. (StefanMn fügt hinzu: Wobei dieser letztlich aus dem Chaos der Natur, aber immer mehr auch aus der Dynamik menschlicher Kultur erwächst.)
- Stoffströme im Raum zu optimieren, geht über die kühnsten Leistungen kapitalistischer Logistik weit hinaus. Ein beständiger Wettstreit und wechselseitige Herausforderung zwischen dem verschwenderischen Luxus des Lebens und der steuernden Logik der Versorgung ist die Folge, und es ist niemals ein für allemal abgemacht, was gerade geht oder nicht. Es ist wahrscheinlich gerade dieses Wechselverhältnis, das uns zu Höchstleistungen anspornen könnte: Das, was Du Dir an Bedürfnissen leistest, das versuche auch einmal möglich zu machen! — Das ist, wenn man so will, der „moralische“ Impetus eines „Kommunismus von unten“. Die Revolte findet nicht gegen die Produktion statt, sondern in ihr und durch sie. Wenn einige im Orbit wohnen wollen, dann müssen sie es eben möglich machen. Anderen genügen ihre Dörfer und Städte am Boden, und das was beide Seiten eint, ist der Versuch die Sache so zu gestalten, dass man sich erstens wenig stört aber zweitens möglichst viel voneinander hat.
- Eine P2P- oder GPL-Gesellschaft ist nichts anderes als „freie Assoziation der Produzenten“, also dieser Kommunismus von unten, der auf freiwilliger Kooperation und immer gewaltigeren Kreislaufschlüssen zwischen einander direkt unterstützenden Produktionssparten basiert. Der Evolutionsprozess dieser Kreisläufe ist ebensowenig vorherzusagen, wie die Evolution des Lebens, aber es liegt in der Natur der Sache, dass er sich in ganz verschiedenen Größenordnungen vollzieht. Kleinproduktion und Großproduktion bedingen einander.
- Damit ist auch schon gesagt, dass es im wesentlichen auf die Möglichkeit des „Herausarbeitens“ und der „kooperativen Hyperzyklen“ ankommt. Die Systemfrage stellt sich erst dann, wenn sie sich stellt, nicht wenn wir sie stellen.
„Kommunismus von unten“ gefällt mir. „Kommunismus von oben“ wäre ja auch eine absurde Veranstaltung. Eigentlich bizarr das mal die halbe Welt dran glaubte.
Hi, spannender Text. Hochachtung. An diesen Kernstrukturen, Konstruktionsprinzipien aber auch Werten (sic!) einer commons based society will ich gern mitbauen. Ich merke nur immer wieder, dass ich in diesem Diskussionszusammenhang gebildeter, weißer Männer (das ist in keiner Weise persönlich gemeint, sondern soll nur die unterschiedlichen Welten schlagwortartig verdeutlichen)- vielleicht ganz falsch bin. Ich komme einfach mit diesem Blick auf die Welt, der die realen Lebensbedingungen und Leistungen eines Großteils der Menschheit und die existierenden Machtstrukturen vielfach ausblendet, nicht zurecht.
Beispiel:
„… die Muße und die Bildung aller ist das wahre Maß des Reichtums.“ Ja sicher. Wir werden aber nicht umhin kommen, auch über „das banale Maß“ des Reichtums noch zu reden.
Was mir noch auffiel:
In Punkt 2 steht:
„Es ist ziemlich egal, ob die Leute direkt an der materiellen Produktion beteiligt sind, wenn gewährleistet ist, dass das insgesamt alle menschlichen Aktivitäten friktionsfrei funktionieren und die einfache und erweiterte Reproduktion der Gesellschaft in Abstimmung mit dem planetaren Reproduktionsprozess rauskommt. Darauf, und nicht auf die Erfüllung irgendwelcher Gerechtigkeitsvorstellungen,“ käme es an. Das klingt interessant, aber wichtig wäre eben mal darzustellen, wie dieses „friktionsfreie Funktionieren“ bei weitgehendem Verzicht auf Gerechtigkeitsvorstellungen in Gang kommen soll. Indem man sich in Ruhe lässt und nur tut, was den anderen nicht schadet? Heute denken Nanotechforscher auch, sie täten der Menschheit Gutes und wissen nicht von wem diese TEchnologie morgen wie eingesetzt wird.
Dann folgt Punkt 3.
„Das impliziert aber, dass je mehr Prozesse automatisiert sind, der Zugang zu und die Kompatibilität untereinander der Prozesse zum wichtigsten Problem wird und nicht die Mühen der Produktion selbst.“
So ist es. Und womit, wenn nicht mit -den von Euch oft inkriminierten- Gerechtigkeitsfragen, kann man das Zugangsproblem dann wieder einfangen? Vielleicht verstehe ich es ja nicht.
Ausblenden der Machtverhältnisse würde ich auch einer solchen Maxime unterstellen: „Das, was Du Dir an Bedürfnissen leistest, das versuche auch einmal möglich zu machen! Uff! Was heißt das denn im Umkehrschluss? Was Du nicht (selber) möglich machst, darauf hast Du keinen Anspruch anzumelden?
Wenn wir so denken, werden tatsächlich die einen irgendwann im Orbit wohnen und die anderen noch immer das Land mit dem der Harke bearbeiten. Und das begründen wir dann mit der Maxime: Die Orbitler täten den Bauern auf der Erde ja nicht weh. Ich weiß nicht, ich fühl mich mit so einer Zukunftsvision nicht wohl. Sie ist mir -again- zu ungerecht.
Mit dem gleichen Argument begründen jene, die am commons schlechthin -dem menschlichen Erbgut- rummanipulieren und es als Ersatzteillager nutzen, die Neueinteilung der Welt in genrich und genpoor.
Ne, Du bist hier ganz richtig. Irgendjemand muß uns das ja sagen.
Zunächst mal: Danke Silke, ich schließe mich Benni hier an – glaube aber dass wir nicht so weit voneinder weg liegen. Das zu zeigen, dafür möchte ich mir aber noch ein wenig Zeit nehmen.
Ich werde noch sehr lange hier mitlesen müssen, bis ich auch mitreden kann. Im Gegensatz zu allen Beteiligten gehöre ich nicht zur „Menge“ der „Gebildeten“ (mindestens nicht in dem Sinne, dass ich auf diesem sprachlichen Niveau mitdiskutieren kann). Von dem her möchte ich auch noch für die Gruppe der weissen, nicht-gebildeten Männer sprechen …
Dein Interview, Franz, war für mich in einer Sprache, mit welcher man auch einen etwas grösseren Kreis mitnehmen konnte … ansonsten gibt das (wieder) eine Kopfgeburt Einzelner.
Aber sehr, sehr gerne würde ich die Diskussion aus meiner Sicht und Lage aufgreifen. Und hoffentlich bereichern.
Danke Reto, ich trag den Verweis auf das Interview nach und auf eine ähnliche Wortmeldung im P2P Blog
Ergänzend:
Zu Punkt 2:
Ich denke nicht, daß menschliche Aktivitäten „friktionsfrei funktionieren“, wenn man sie nicht koordiniert. Viele Aktivitäten haben a) Voraussetzungen in anderen Prozessen und wirken sich b) auf diese aus. Ich finde in diesem Zusammenhang die Idee einer offenen Planung und Entscheidung nach materieller Betroffenheit aus der Parecon recht brauchbar.
Zu Punkt 3:
Automatisation muss nicht immer zwingend die beste Strategie sein. Unter dem Aspekt dass erst einmal langfristig aufrechthaltbare Energieformen entwickelt werden müssen, kann es sich als sinvoller erweisen an manchen Stellen auf energieintensive Prozesse zu verzichten, bis eine langfristig tragbare Perspektive der Energiegewinnung für diesen Prozess erreicht ist.
Zu Punkt 4:
Stoffströme optimieren heißt m.E. sie bedürfnisgerecht und rational zu koordinieren. Sich durch Konkurrenz und wiedersprüchliche Interessenzu Höchstleistungen zu treiben halte ich für äußerst schädlich.
Zu Punkt 5:
Eine freie Assoziation hat nichts mit der Evolution gemein. Sie folgt nicht dem dummen blinden Zufall wie die E., sondern ist das Ergebnis der Betätigung menschlichen Willens, Verstandes und einem kollektiven Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses in dem das Interesse der Einzelnen im allgemeingültigen gut aufgehoben sein soll.
Es liegt ein langer Weg vor uns, aber wir lernen dazu.
Hallo Silke, leider nur in der mir derzeit möglichen Kürze:
Ich denke dass es nicht verkehrt ist sich darüber Rechenschaft abzulegen, was uns denn wirklich motivieren könnte, die realen Lebensbedingungen zu verbessern und die existierenden Machtstrukturen zu überwinden. Es ist genau dies, was uns hier im Keimformdenken zusammenbringt. Wenn Du so willst, geht es hier um generatives Potential. Ein ganz wichtiger Punkt daran ist, dass wir keine Welt wollen, die von einem Geschlechtsstandpunkt dominiert wird, weder männlich noch weiblich: weil sich hier Polaritäten darüber verständigt haben, dass sie ohne einander nicht auskommen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Männer verbissen und ohne Rücksicht auf die Realität Ziele anpeilen und darüber die (restliche) Welt vergessen, während Frauen es besser schaffen, Kräfte in Balance zu halten. Das halte ich trotz Judith Butler für kein rein gesellschaftliches oder gar sprachliches Konstrukt, eher für zwei notwendige und für das Funktionieren lebendiger Strukturen unabdingbare „Prinzipien“, „Muster“, die sehr stark an biologische Geschlechter angekoppelt sind. In diesem Sinn ist es tatsächlich so dass sich Diskurse bilden die einander nicht verstehen oder einander fremd sind. Aber es gibt zumindest die Absicht, diese Fremdheit aufzuheben, eine freundliche Einladung, trotz allem einmal dem Zieldiskurs freien lauf zu lassen, ohne dass er schon wieder von der Einseitigkeit einer Geschlechterposition selbst desavouiert wird. Deswegen freut man(n) sich wenn man(n) nicht unter sich bleibt!
Weiß nicht was Du unter Gerechtigkeit verstehst, ich habe mit diesem Wort extreme Schwierigkeiten, weil es vielleicht immer den Gegensatz zwischen Menschen und die pure Sehnsucht nach einer Gleichverteilung des Schadens mit sich rumschleppt. Viel lieber als über Gerechtigkeit denke ich über Synergien nach. Das Beispiel mit der Nanoforschung hinkt, weil ja die Erforschung von allem und jedem als Geschäfts- und Gewaltmittel den Ausgangspunkt der modernen Naturwissenschaft bildet. Dabei mag schon manches sein was manchen Menschen medizinisch das Leben retten kann, doch im Endeffekt sind menschliche Bedürfnisse und Prozesse sowieso prinzipiell unverhandelt, und in diesem Chaos kann der Einzelne gar nicht rationell agieren. Es gibt nur verschiedene Grade an Skrupellosigkeit. Also vielleicht dies als grundsätzliches „Ja“, wenn Du mit Gerechtigkeit zunächst mal einen Prozess der Kommunikation und des Verhandelns meinst, so wie das indianische Medizinrad das Paradigma vorgibt, wo eben auch die Position der Gefahren und der Möglichkeiten zu Wort kommen muss, und zwar nicht nur der aktuellen, sondern auch der nächsten sieben Generationen.
Ich vertraue darauf dass die orbitler nicht einfach automatisch Zugang zu Ressourcen kriegen, den heute Staat und Geld der Raumfahrt verschaffen. Umgekehrt sind viele Menschen von der Raumfahrt fasziniert. Was in einer freien Gesellschaft rauskommen würde weiß ich nicht – vielleicht ein fairer Deal? Wenn Du das meinst, dann bin ich voll auf Deiner Seite.
Wie gesagt, das ist vielleicht die extremste Form eines unverhandelten Zustandes.
Zu mmh:
Grundsätzlich hast Du recht und rennst bei mir offene Türen ein. Parecon sagt: wer von einer Entscheidung betroffen ist soll an ihr mitwirken. Mein Verdacht ist allerdings, dass die Parecon einer künstlich hochskalierten Vergesellschaftung auf den Leim geht. Das ist lebensweltlich schlicht nicht machbar unter gegenwärtigen Bedingungen, in vielen Fällen bleibt mir nur die Hoffnung, dass die Maintainer es richtig machen. Hier ist schon viel von den Defiziten der freien Software zu lernen, die erst langsam draufkommt, dass der Maintainer nicht den allwissenden user unterstellen darf.
Automation muss nicht energieintensiv sein. Sie ist im Gegensatz zur Industrialisierung klein, miniaturisiert, dezentral. Die Natur ist die perfekte Automation, und wir können von ihr massiv viel lernen, wie sich Prozesse „füttern“ lassen.
Der Punkt bezog sich auf verschiedene Kulturen, Bedürfnissysteme etc. – Ich glaube dass wir Diversität eher als hohen Wert denn als Hindernis in unsere Grundkonzeption aufnehmen müssen.
Die Evolution folgt m.E. nicht einfach dem blinden Zufall, sondern in Myriaden von Zufälligkeiten setzen sich „Muster“ durch, die in sich quasi allgemeingültige „Erkenntnisse“ tragen. Natürlich folgt der menschliche Erkenntnisprozess anderen Gesetzmäßigkeiten, dies hindert aber nicht dass er oft zu denselben Resultaten gelangt. Wenn wir heute nicht konsensual entscheiden können was die „bessere“ Lösung ist, dann ist Vertrauen auf evolutionäre Diversität – also ein wirklich GEMEINSAMES Interesse an der Verschiedenheit und damit ein strukturell friedvoller Ansatz – die beste Lösung.
Franz; ich will nur schnell zum ersten Punkt was sagen, muss heute noch was abgeben:
„Wenn Du so willst, geht es hier um generatives Potential. Ein ganz wichtiger Punkt daran ist, dass wir keine Welt wollen, die von einem Geschlechtsstandpunkt dominiert wird, weder männlich noch weiblich: weil sich hier Polaritäten darüber verständigt haben, dass sie ohne einander nicht auskommen.“
Ja, selbstverständlich. Ich bin ohnehin Anhängerin der Idee der Geschlechterdemokratie, die Du hier treffend formuliert hast, wie ich finde.
Was ich hier offenbar klarstellen muss, auch für Reto: Ich bin real doch Teil dieser Machtwelt, die ich als „männlich, weiß, gebildet“ bezeichnet habe. Bin nur -zufällig- weiblich und verfüge -das sehe ich ähnlich wie Franz- über andere (nicht konstruierte sondern „angeborene“ Sic!) „Sensiblitäten“ bzw. Erfahrungen (lange im Süden gelebt).
Ihr seid also für mich nicht in diesem Sinne „die Anderen“. Ich sagte doch: DAS WAR NICHT PERSÖNLICH GEMEINT.
„trotz allem einmal dem Zieldiskurs freien lauf zu lassen, ohne dass er schon wieder von der Einseitigkeit einer Geschlechterposition selbst desavouiert wird.“
Wirklich interessant, wie Ihr das lest. Ihr wisst doch, dass ich die meisten „desavouierten Merkmale“ mit Euch teile. Ich kann in meiner Anmerkung keine „Einseitigkeit von Geschlechterpositionen erkennen.“ Mir ging es eher um die Machtfrage. (Übrigens, Reto, fühl mich hier und anderswo auch ziemlich ungebildet – der Punkt ist aber, stimmt objektiv nicht. Wir haben einfach Zugang zu den entscheidenen kulturellen Ressourcen.)
Zu den anderen Sachen später.
Seufz, großes Fass: WAS IST GERECHTIGKEIT? (Derzeit frage ich mich gerade, was Gemeinwohl ist, blogge ich demnächst mal was dazu.)
@franz:
punkt 2:
a) könntest du das mit der künstlich hochskalierten vergesellschaftung noch mal genauer ausführen.
b) zur dranhängenden problematik maintainer etc.: um das zu klären und wohl auch a zu einem gewissen teil, muss m.e. der horizont geklärt werden. geht es hier darum, was schon im bestehenden machbar ist, so steht man vorm von dir umrissenen problem, dass eben (als resultat der verhältnisse) zugang, zeit und recourcenverteilung eine parecon verunmöglichen. spricht man vor dem horizont eines erst zu erkämpfenden zustands, wo die commons verallgemeinert und die tyrannei des privaten niedergerungen ist, sehe ich keine (prinzipiellen) hindernisse für eine faire partizipation.
punkt 3
völlig einverstanden … 🙂
punkt 4
ich denke es ist wichtig, den unterschied von konkurenz und diversität zu betonen. wiedersprüchliche interessen fasse ich hier als zwei/mehrere wollen das selbe, ihre interessen sind aber so organisiert, dass des einen schaden des anderen nutzen ist. wollen verschiedene leute verschiedenes ist das m.e. etwas völlig anderes.
bei punkt 5 bin ich mir nicht so sicher ob ich die evolution so sehen würde. kommt mir ein bisschen teleologisch vor. wenn wir nicht entscheiden können, was die bessere lösung ist, reicht vielleicht unser bisheriges wissen nicht aus ums zu klären. dann entsteht vielleicht wirklich eine „evolutionäre diversität“, bei nur der könnte aber auch einfach ein schwachsinn der jetzt funktioniert rauskommen und nicht das, was längerfristig am sinvollsten ist. um das zu beurteilen müssten wir unseren verstand anstrengen, ich glaube nicht das wir irgend einen automatismus der geschichte oder der evolution auf unserer seite haben. wäre ja schön, aber ich sehe leider keinen hinweis darauf.
Hallo:
ad Punkt 2: „Künstlich hochskalierte Vergesellschaftung“ ist nicht erst dann zu diagnostizieren, wenn ein Joghurtbecher 5000 Meilen durch Europa unterwegs ist, sondern schon dann, wenn es praktisch unmöglich geworden ist, Dinge des tagtäglichen Gebrauches überhaupt noch zu reparieren. In nahezu jedem Gebrauchsgegenstand den wir heute verwenden steckt ein Design, das es unmöglich macht, ohne die Inanspruchnahme weiterer Dienstleistungen diesen Gegenstand angemessen zu verwenden, bei Beschädigung wieder gebrauchsfähig zu machen, eigenständig zu verwerten, umzuwandeln etc. Das geht über die berühmte „Sollbruchstelle“ weit hinaus: das gesamte technische Design ist darauf angelegt, den Eigenarbeitsraum systematisch zu verengen. Meine Behauptung ist, dass sich diese Verengung als bewusste und gewollte Reaktion auf die erweiterten Potentiale des Prosuming ergeben hat – als Generalprävention gegen das schleichende Überflüssigwerden großer Teile des industriellen Kapitals in diesem Prozess. Aber selbst die Linke war nicht in der Lage, die Alternativen der Technikgestaltung zu erfassen und zu zeigen wie strukturelle Bösartigkeit dazu geführt hat, dass wir im Alltag nur mehr mit – mitunter auch hochwertigem – Ramsch umgeben sind.
ad punkt4: Diversität bedeutet nicht Konkurrenz, aber um diese begriffliche Ungleichung wahr zu machen bedarf es einer Fülle von Voraussetzungen. Bildlich gesprochen: Wenn sich das Leben einer Stadt auf einem Hauptplatz abspielt, werden Kirche und Moschee versuchen jeweills um die Höhe des Turms zu konkurrieren. Wenn es hingegen 30 piazzas gibt, dann bedeutet lokale Dominanz einer Kultur keineswegs dass sie in grundsätzlicher Konkurrenz zueinander stehen. Also bedarf es eines sehr grundsätzlichen Designs, um tatsächlich kooperative Diversität zu ermöglichen. Kleinräumige Abgrenzung verschafft den Kulturen Wachstumsräume nach innen. Christopher Alexander hat das „Mosaik der Subkulturen“ genannt: „Die Großstadt muss aus einer großen Zahl verschiedener Subkulturen bestehen, jede von ihnen stark artikuliert, mit ihren eigen scharf umrissenen Werten und scharf von den anderen unterschieden. Obwohl aber diese Subkulturen deutlich, unterschieden und getrennt sein sollen, dürfen sie doch nicht abgeschlossen sein; sie müssen untereinander leicht zugänglich sein, sodass eine Person durchaus von einer zur anderen ziehen und sich einrichten kann, wo es ihr am besten passt.“ (Christopher Alexander) – Ich denke mir dieser Gedanke ist verallgemeinerbar und zieht eine Fülle von Folgerungen nach sich, die der heutigen Stadtentwicklung und Gesellschaftspolitik diametral entgegenlaufen. Das gemeinsame Interesse an Diversität verfahrenstechnisch und sachlich zu begründen schafft (fast) noch niemand, stattdessen haben Theorien vom Clash of Cultures Hochkonjunktur.
ad punkt5.
Ich habe geschrieben „Der Evolutionsprozess dieser Kreisläufe ist ebensowenig vorherzusagen, wie die Evolution des Lebens“, also rennst Du bei mir offene Türen ein mit der Anmerkung: „ich glaube nicht das wir irgend einen automatismus der geschichte oder der evolution auf unserer seite haben. wäre ja schön, aber ich sehe leider keinen hinweis darauf.. Schön und gut. Aber Evolution ist auch ein Labor mit hohem Aussagewert, wenn Du the Game of Life spielst, dann kriegst Du nachhaltige Muster.
Ganz Deiner Meinung dass wir kaum genau wissen wo es hingeht, deswegen ist die evolutionäre Diversität auch in kultureller Hinsicht nochmal interessant. Wir können aber einiges aussagen bezüglich des „Schwachsinns der gegenwärtig funktioniert“, vor allem auch dass er nur bedingt evolutionäre Diversität ermöglicht. Wenn wir allgemeinen Wissensaustausch mit evolutionärer Diversität kombinieren hätten wir sowas wie eine „vorausschauende Evolution“. Es gäbe keine Zentrale, aber viele Bereiche des Konsenses.
hallo franz,
also bei punkten 4 und 5 keine einwände meinerseits.
zu punkt 2:
in welcher weise würde eine transparente partizipative (regional-)wirtschaft (parecon), denn der künstlich hochskalierten vergesellschafttung auf den leim gehen? ich dachte sie sei als gegenmittel/entwurf gedacht.
Das mag sein, ich habe nur eine vage Vorstellung von Parecon aus einem Vortrag von Michael Albert und einem (sehr unbefriedigenden) persönlichen Gespräch mit ihm. Mich hat das Konzept nicht vom Stuhl geschmissen. Ich sehe wenig Thematisierung der strukturellen Verzerrungen in den Produktionsbeziehungen, stattdessen der Versuch dem Status Quo ein Ideal der gerechten Verteilung von Arbeit gegenüberzustellen. Kompetenz und Qualität wird systematisch niedriger bewertet als ausgeglichene Zeit- und Mühewaltungsbudgets. Arbeit jeder Qualität wird quasi zwangsverteilt als sei ihre Beschaffenheit eine natürlich gegebene Beschränkung.
Ich wünschte mir, wir (also die Parecon Leute und die von mir vage vertretene Gegenposition) wären schon in der Lage darüber öffentlich einen anständigen Streit auszutragen. Das würde uns wirklich weiterbringen. Aber die Gegenposition muss erst noch ein wenig genauer formuliert werden.
Ok, klar. Das fand ich auch immer einen ganz klaren Schwachpaunkt beim Konzept Parecon. Da wird tatsächlich völlig vom Inhalt der Tätigkeit abstrahiert und einfach nur das Verhältnis von Mühe und be- bzw. entlohnung in den Mittelpunkt gestellt. Obwohl ich die diesem Konzept zugrunde liegende Kritik der hierachischen Arbeitsteilung teile. Nämlich, dass es einige wenige gibt die inspirierende weitreichende und abstrahierte Tätigkeiten haben (Vorarbeiter, Ingenieure, Ärzte etc.) und die meisten anderen einer dummen Tätigkeit nachkommen müssen, die sie nur ermüdet, die sie einfach nur ertragen müssen und bei der sie verkümmern. Selbst wenn man dann eine Rätedemokratie o.ä. aufmacht, ändert das nichts. Da nur diejenigen mit einer sie ermächtigenden Tätigkeit und genügend (zeitlichem) Zugang zu Informationen den Überblick haben und in der Lage sind zu entscheiden. Es gibt also auch noch eine Bourgeoisie der Arbeiterklasse.
Nur sehe ich die Zukunft ermündender, angstrengender und sich wiederholender Tätigkeiten (wahrscheinlich wie du) eher in ihrer Automatisierung als in ihrer „gerechten“ Verteilung.
@mmh: Vor allem ist doch für jeden „ermüdend, anstregend, sich wiederholend“ was anderes. Klar manche Sachen mag fast niemand (Klo putzen). Aber bei den allermeisten Sachen gibt es doch große Unterschiede. Gerade wenn man die Arbeit selbstbestimmt machen kann, wird es sicherlich viele geben, die gerne Gartenarbeit machen oder am Bau arbeiten oder Autos reparieren oder …., alles arbeiten die heute schlecht bezahlt und schlecht angesehen sind, aber ja nur deswegen weil man verhältnismässig wenig Ausbildung für sie braucht. Man schaue sich nur mal an wie viele hochbezahlte Fachkräfte genau die selben Arbeiten in ihrer Freizeit gerne machen für die andere schlecht bezahlt werden, obwohl sie sie besser machen könnten.
Ich glaub das ist ein sehr wichtiger Hinweis. Da steckt ein gewaltiger Unterschied dahinter zwischen einem bürokratischen System, das wenn auch in bester Absicht aber doch den Menschen übergestülpt werden soll, und einer Alternative die doch zumindest denkbar sein sollte. Wir tun gut daran uns diese Alternative klar zu machen und ins öffentliche Bewusstsein zu tragen. Darum bemühen sich die obigen Thesen, das überhaupt ins Prinzipielle, Allgemeingültige formulieren zu können.
@benni: da hast du zu großen teilen recht. jedoch kommt man nicht darum herum die arbeit gründsätzlich abzuschaffen und die tätigkeit der leute muss von ihnen selbst organisiert werden. sobald du dabei einen hirarchisch strukturierten arbeitsprozess hast und sich das tätigkeitsfeld einengt wird es schwierig. autos reparieren oder am bau arbeiten kann spass machen wie viele andere tätigkeiten auch. worauf ich hinauswill ist, das die organisation der tätigkeit im rahmen der lohnarbeit (stichwort taylor, stichwort ford) sich nicht mit einer „freien assozition“ verträgt.
da pflichte ich franz bei: es ist m.e. auch eine wichtige aufgabe andere formen (zumindest in der theorie) zu entwickeln bzw. aufzugreifen oder aufzuzeigen. das ist nur möglich wenn wir uns auf eine konsequente, konsistente und klare kritik des bestehenden stützen können. sonst schleppen wir das nicht kritisierte in unsere ansätze und konzepte mit. siehe sog. „realsozialismus“ u.ä.