Brockhaus aus-kooperiert
Das Literaturcafé sagt es sehr deutlich: »Wikipedia zerstört den gedruckten Brockhaus – 50 Mitarbeiter verlieren ihre Arbeitsplätze«. Gegen Wikipedia war kein Kraut gewachsen, auch nicht in der Qualität und schon gar nicht in der Quantität und Aktualität. Ein klassischer Fall von aus-kooperieren. Die verärgerten Reaktionen zeigen: Das darf nicht wahr sein, das Management ist schuld, normaler Medienwandel und so weiter.
Das ist Quatsch.
Es handelt sich um den beginnenden Untergang einer ganzen Medienindustrie. Untergang, und nicht bloß Wandel. Siehe Musikindustrie. Mediengüter im digitalen Zeitalter sind Universalgüter, wertlos und stets danach betrebt, frei zu sein. Frei wie in Freibier. Aber natürlich gibt es das Pfeifen im Walde. Das ist die Suche der ominösen neuen Geschäftsmodellen. Ja, die wird es geben, aber nicht, weil dort nur wertvolle Güter wieder ihre Inkarnation in klingender Münze erhalten, sondern im Untergang machen die einen Schnitt, die am schnellsten freigeben, die am schnellesten loslassen.
Das Literaturcafé liefert das passende Beispiel nur einen Klick weiter: »Paulo Coelho stellt Raubkopien der eigenen Werke ins Netz – und verkauft mehr Bücher«. Raubkopie als Marketingmittel, das ist so neu nicht. Coelho hat Erfolg damit, noch. Was ist, wenn das alle machen? Was ist, wenn die Print-On-Demand-Shops an der Ecke gleich das sinnliche Exemplar ausspucken?
Der Prozess ist nicht aufzuhalten. Das Verrückte daran ist die hartnäckige Verweigerungshaltung, das Ganze mal zehn oder zwanzig Jahre weiter zu denken. Sich mal zu überlegen, was sein wird, wenn das Kartenhaus zusammenklappt, dessen zarte Anfänge wir jetzt erleben. Sich klar zu machen, dass die Warengesellschaft auf ihrer eigenen Grundlage nicht mehr funktionieren kann, wenn die Güter nicht mehr Waren sein können. Und dabei geht es erstmal nur um Wissen- und Informationsgüter. Kann es ein Kapitalismus noch funktionieren, der seine Zukunftsoption (»Wissensgesellschaft«, »Informationsgesellschaft«) außer Dienst stellt, noch bevor sie richtig losgeht?
Digitale Güter sind solange Universalgüter, wie sie digital im Netz stehen.
Sie sind durch wenige Mausklicke veränderbar, entstellbar und -vor allen Dingen- auf Nimmerwiedersehen l ö s c h b a r.
Dazu noch die bekannte Tatsache, dass immer weniger Westliche -Werte-Bürger sich an Büchern (insbesondere guten) vergreifen
Da würde (neuzeitlich übertragen) die Vernichtung der Bibliothek von Alexandria und die Bücherverbrennungen heutzutage sehr viel unauffälliger über die Bühne gehen.
Haben Gorz und Chomsky schon vor längerer Zeit festgestellt.
Laut FAZ.NET wird es wohl doch noch eine weitere, dann zweiundzwanzigste, Brockhaus-Druckauflage geben. Und: Eine (deutlich) abgespeckte und verlagslektorierte Wikipedia-Version soll zum Preis von 19.95 € im September 2008 als Print-Lexikon erscheinen. Als Kooperationspartner hat sich Wikipedia dabei für den Bertelsmann-Konzern entschieden. Bertelsmann, dieser Name mag bei vielen vielerlei Assoziationen aufkommen lassen. Und was die _inner_kapitalistische Entwicklungsdynamik angeht – da kann mit dem Namen „Bertelsmann“ sicherlich eine ganz gehörige Portion „Neues im Alten“ verbunden werden …
http://www.faz.net/s/Rub475F682E3FC24868A8A5276D4FB916D7/Doc~E71F32504AFA449A78EAF1C238E917E0F~ATpl~Ecommon~Scontent.html?rss_aktuell