Marx Darstellungslogik (II): Ressentiment gegen die Zirkulation
Eichler stellt fest: „Man kann generell konstatieren, dass in Marx‘ Werk ein Spannungsverhältnis zwischen der Bedeutung der Produktions- und der Bedeutung der Zirkulationssphäre existiert“ (Eichler 2015, S. 177). Obwohl wir Marx schon aus den Grundrissen dadurch kennen, dass er den Vorrang der Produktion vor Konsumtion, Distribution und Austausch feststellt, und immer und immer wieder die Produktion als das Bestimmende bezeichnet (Wo würden sonst so Begriff wie Produktionsweise herkommen?), sehe ich selbst bei den allgemeinen Begründungen weshalb Produktion vorranging ist eine falsche Vereindeutigung:
Im vorletzten Kapitel des dritten Bandes unterscheidet Marx implizit zwischen Verteilungsverhältnissen des Produkts, welche der Produktion nachgeordnet sind und Verteilungsverhältnissen welche durch die ursprüngliche Akkumulation hergestellt werden. Diese zweiten Verteilungsverhältnisse „geben den Produktionsbedingungen selbst und ihren Repräsentanten eine spezifische gesellschaftliche Qualität. Sie bestimmen den ganzen Charakter und die ganze Bewegung der Produktion“ (MEW 25, S. 887). Nun könnte man wieder vorschnell argumentieren und behaupten hier ginge es nur um die Verteilung der Produktionsmittel. Dies wäre auch schon eine entscheidende Verschiebung gegenüber der Bedeutung der Produktion, aber „Verteilung der Produktionsmittel“ ist ein schillernder Begriff, denn Produktionsmittel waren vor dem Kapitalismus häufig nicht in der unangefochtenen Hand einer Person. Es ist in der Wirtschaftsgeschichte Standard zu betonen, dass ausschließliche Verfügungsrechte über bspw. Land und damit Privateigentum in vielen Ländern, ein Produkt der Moderne sind, für den Feudalismus kann Verfügung besser als ein ‚Bündel an Rechten‘ definiert werden (vgl. Overton 1992).[1] Obwohl der Großteil des Landes de jure Grundherr*innen gehörten, durften diese de facto nicht einfach darüber verfügen – die juristische Verteilung des Landes wurde darum auch aus marxistischer Seite zu Recht in Frage gestellt und Marx behauptete ja gar, dass die Bäuer*innen über ihre Produktionsmittel verfügten. Egal ob dies nun der historischen Realität entspricht, ‚Verteilung der Produktionsmittel‘ ist beileibe kein simpler Begriff und es stellt sich die Frage ob neben der Verteilungsform (Eigentumsform) der Produktionsmittel nicht auch die Zugangsform (Besitzform) nicht mindestens so wichtig ist.[2]
Tausch ist den Waren vorausgesetzt und hat ein totalitätsstiftende und –erhaltende Bedeutung, aber Zirkulation kann weder Wertgröße noch Mehrwert erklären, dies kann nur die Produktion (genaueres im nächsten Abschnitt). Hieraus würde sich auch erklären, weshalb Marx in den Grundrissen von „zwei Abschnitten“ spricht, „den ersten Abschnitt, von der Produktion überhaupt, und in den ersten Abschnitt des zweiten Abschnitts, vom Tauschwert überhaupt“ wobei „das Kapitel von der Produktion endet objektiv mit dem Produkt als Resultat; das von der Zirkulation beginnt mit der Ware“ (MEW 42: 240). Im Paragraph davor stellt er fest, dass das Kapital 1. Den Produktionsprozess, 2. Die Zirkultion und 3. Das „Kapital als bestimmte Einheit von beiden“ voraussetzt. Es liegt hier tatsächlich nahe mit Eichler hier von zwei möglichen Anfängen zu sprechen und „zwei relativ-unabhängige Entfaltungsprozesse“ „die sich jeweils auf einfache Kategorien zurückführen lassen und die ihre Einheit im Wertbegriff finden“ (Eichler 2015, S. 179). „Ausgehend von der Produktion wird in zunehmender Konkretion die Frage nach der Wertsubstanz beantwortet, während die Wertformen ausgehend von der Zirkulationssphäre entwickelt werden“ (ebd.). In der kapitalistischen Produktion nimmt die Arbeit die Form der Lohnarbeit an, in der kapitalistischen Zirkulation die Arbeitsprodukte die Formen von Waren, während der Wert die beiden Sphären, in seiner entfalteten Form als Kapital, integriert. Für Eichler gibt es zwei Gründe warum Marx mit der Zirkulation beginnt: „“Zum einen stellt sich […] nur in der Zirkulation die gemeinsame Identität der Wertformen her. Insofern kann Marx die Fragen nach dem ökonomischen Gesamtzusammenhang nicht über die Kategorien der Produktionssphäre beantworten“ (ebd.) und zweitens lassen sich die Fetischformen so besser analysieren. Auch Reichelt sieht eine Unterscheidung der Analyse zwischen Zirkulation und Produktion und stellt fest, dass für die Verkehrsform die Arbeit „keine ökonomische Bedeutung“ hat, erst für die Bestimmung des Profits stellt sich die Frage woher der Reichtum stammt (Reichelt 2008, S. 206).
Ein gewisses marxsches Ressentiment gegenüber der Zirkulation ist kaum zu übersehen, er scheint immer wieder die Bedeutung der Produktion gegenüber der Zirkulation betonen zu müssen. So schreibt er „die Sphäre der Zirkulation oder des Warenaustausches […] war in der Tat ein wahres Eden der angebornen Menschenrechte. Was allein hier herrscht, ist Freiheit, Gleichheit, Eigentum und Bentham“ (MEW 23, S. 189) und Eichler schließt sich an und schreibt „die Zwänge, denen Arbeitende und Kapitalisten ausgesetzt sind, werden erst durch die Einbeziehung der Produktionssphäre sichtbar“ (Eichler 2015, S. 180). Man fragt sich ob die Verselbständigung der Verhältnisse gegenüber den Menschen, die Produktion um der Produktion willen, der Verwertungszwang nicht schon gute Ansätze zur Kritik des Kapitalismus sind … Würde sich die Frage stellen, weshalb Marx die Zirkulationssphäre gegenüber der Produktionssphäre ständig abwertet, so könnte dies durchaus mit seinen politischen Aspirationen zusammenhängen. Marx erwartete noch immer meist von der Entwicklung der Produktivkräfte den ‚revolutionären Kick‘. Historisch geschult, können wir aber wohl relativ unangefochten feststellen, dass schon für den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus nicht die Produktivkräfte verantwortlich waren (nur ein Bsp. unter vielen Wood 2015), dieser Übergang war weit eher eine Revolution der Beziehung der Menschen. Würde dies auch für weitere Übergänge gelten so wäre eine kommunistische Transformationstheorie wohl auf eine Analyse von Beziehungen und Verhältnissen angewiesen (Adamczak 2017, Habermann 2015, Sutterlütti/Meretz 2018 u.v.a.).
Tücken der Konkurrenz
„Die Unterscheidung zwischen ‚Kapital im allgemeinen‘ und ‚Konkurrenz der Kapitalien‘ bildet schließlich ein Hindernis der Darstellung“ (Kim 2017, S. 156). Marx unterscheidet mit den Grundrissen zwischen ‚Kapital im allgemeinen‘ und ‚Konkurrenz der Kapitalien‘. Nach Kim geht er sogar weiter und unterscheidet mit Hegel zwischen Allgemeinen, Besondern und Einzelnen. Im „Kapital im allgemeinen“ wird das soziale Verhältnis Kapital als Einheit gedacht, es wird aus dem Geld entwickelt und die Beziehung von Kapital und Arbeit thematisiert, bei der Besonderheit oder Besonderung des Kapitals geht es um Umlauf des Kapitals, Akkumulation, Konkurrenz und Konzentration, schlussendlich bei dem Kapital in seiner Einzelheit wird Kapital in seine verschiedenen konkreten Formen wie Zins, Kredit, Aktienkapital etc. untersucht (Kim 2017, S. 141). Weshalb war es Marx so wichtig die Konkurrenz der Kapitalien nicht von Anfang an mit zu analysieren, sondern für einen späteren analytischen Schritt zu reservieren?
Im ersten Band stellt Marx fest, dass die „immanenten Gesetze der kapitalistischen Produktion […] sich als Zwangsgesetze der Konkurrenz geltend machen“, jedoch die „wissenschaftliche Analyse der Konkurrenz ist nur möglich, sobald die innere Natur des Kapitals begriffen ist, ganz wie die scheinbare Bewegung der Himmelskörper nur dem verständlich, der ihre wirkliche, aber sinnlich nicht wahrnehmbare Bewegung kennt“ (MEW 23:, S. 335). Im dritten Band geht Marx im vorvorletzten Kapitel mit langen Rechnungen noch länger auf den „Schein der Konkurrenz“ ein. Es geht v.a. darum, dass Konkurrenz nicht die Preise bestimmt, die Konkurrenz „erhöht oder erniedrigt, aber sie schafft nicht das Niveau, welches eintritt, sobald die Ausgleichung stattgefunden“ (MEW 25, S. 872). Es ist wohl v.a. ein Verfahren, dass er bei klassischen Ökonomen beobachtet hat, die versuchen den Preis und Wert der Ware, seine variablen Teil, aber damit auch wieder seinen konstanten Teil, Arbeitslohn, Rente und Profit über Konkurrenz zu erklären. Für Marx bilden nicht Arbeitslohn, Rente und Profit den Warenwert, sondern umgekehrt bildet der Warenwert sie. Die Ökonomen verstanden dies nicht, die Konkurrenz „muß es auf sich nehmen, alle Begriffslosigkeit der Ökonomen zu erklären, während die Ökonomen umgekehrt die Konkurrenz zu erklären hätten“ (MEW 25, S. 873). „Was aber die Konkurrenz nicht zeigt, das ist die Wertbestimmung die die Bewegung der Produktion beherrscht; das sind die Werte, die hinter den Produktionspreisen stehn und sie in letzter Instanz bestimmen“ (MEW 25, S. 219). Konkurrenz erzeugt Durchschnittsprofitrate, Steigen und Fallen der Produktionspreise, Schwankungen der Marktpriese um Durchschnittspreis und „all dieser Erscheinungen scheinen ebensosehr der Bestimmung des Werts durch die Arbeitszeit, wie der aus unbezahlter Mehrarbeit bestehender Natur des Mehrwerts zu widersprechen. Es erscheint also in der Konkurrenz alles verkehrt“ (ebd.).
Die Konkurrenz ist wichtig für den Warenpreis, aber von hier aus glauben die Ökonomen, dass die Konkurrenz den tatsächlichen Warenwert bestimmt. Marx versucht die Konkurrenz bei der anfänglichen Analyse, für Kim des „Kapitals im allgemeinen“, auszulassen, und sie nur für Erklärung bestimmter Phänomene einzubeziehen. „Mit dem Begriff vom ‚Kapital im allgemeinen‘ überwindet Marx den ‚Individualismus‘ der klassischen politischen Ökonomie, welche die Konkurrenz der Individuen als einen entscheidenden Grund der ökonomischen Phänomene betrachtet“ (Kim 2017, S. 153). Jedoch ist die Konkurrenz für die Erklärung einiger ökonomischer Phänomene von entscheidender Bedeutung. Kim schreibt „Austausch und Konkurrenz sind konstruktive Elemente zur Entstehung der ‚tiefen gesellschaftlichen Form'“ (ebd.). Er sieht einen logisch widersprüchlichen Plan bei Marx, wenn dieser die Konkurrenz weglassen will, aber schon Extramehrwert, Durchschnittsprofit, Zins etc. erklärt welche die Konkurrenz voraussetzen. Aber auch die kapitalistische Grundkategorien von Wert, Wertsubstanzt, Wertgröße können für Kim „ohne Austausch und Konkurrenz – nicht erklärt werden“ (Kim 2017, S. 154). „Die Unterscheidung zwischen ‚Kapital im allgemeinen‘ und ‚Konkurrenz der Kapitalien‘ verhindert, den notwendigen Zusammenhang zwischen der ‚tiefen gesellschaftlichen Form‘ und ihrer ‚oberflächlichen Erscheinungsform‘ darzustellen“ (Kim 2017, S. 156).
Die Marxinterpret*innen sind keineswegs einer Meinung, wie sehr Marx die Unterscheidung zwischen ‚Kapital im allgemeinen‘ und im Besonderen durchhält. Für Wygodski 1976 bleibt Marx im Kapital beim ‚Kapital im allgemeinen‘, Rosdolsky 1977 glaubt, dass im dritten Band auf die Unterscheidung verzichtet wird, für ein stärkeres Verzichten argumentieren auch Krätke 2007 und Bidet 2007 (Kim 2017, S. 158). Heinrich behauptet, dass „Kapital im allgemeinen“ taucht „nach 1863 weder in den verschiedenen Manuskripten zum Kapital noch im Briefwechsel auf, so daß man bezweifeln kann, daß das hinter dem Begriff „Kapital im Allgemeinen“ stehende methodische Konzept auch noch für das Kapital […]relevant ist“ (Heinrich 1999, S. 193), Moseley 1995 und Kim 2017 halten dagegen. Ich fühle mich nicht in der Lage hier eine qualifizierte Meinung abzugeben, aber ein inhaltlicher Punkt sei mir erlaubt, der mich schon seit meinen frühesten Studien des Kapitals ärgerte:
Subjektivistischer oder Strukturalistischer Übergang von Geld zu Kapital
Wenn ich selbst erklären will, weshalb im Kapitalismus ein Verwertungszwang für die einzelnen Unternehmen existiert argumentiere ich dies immer über Konkurrenz. Marx geht, wohl verbunden mit seiner Sorge um die verkehrende Denkweise der Konkurrenz, einen anderen Weg. Er argumentiert im Kapital: „Dieser Widerspruch zwischen der quantitativen Schranke und qualitativen Schrankenlosigkeit treibt den Schatzbildner stet zurück zur Sisyphusarbeit der Akkumulation“ (MEW 23, S. 147). Eichler weist noch auf zwei andere Übergänge hin: Wenn Geld nur außerhalb der Zirkulation festgehalten wird, dient es zu gar nichts, der Eintritt in die Zirkulation ist jedoch nur sinnvoll, wenn es sich vermehrt, zweitens Geld verliert getrennt von der Zirkulation (und Produktion) tendenziell an Wert und will sich aber erhalten (Eichler 2015, S. 173). Wir wollen uns noch einmal einem der anderen Marxinterpreten zuwenden und ihn etwas länger zu Wort kommen lassen: Heinrich argumentiert, dass das Geld in der einfachen Zirkulation nur „begrenzt die Selbständigkeit und Unvergänglichkeit des Wertes [erhalten kann]: Wird das Geld als Schatz der Zirkulation entzogen, so wird es letztlich zu einem nutzlosen Gegenstand. Wird es aber in die Zirkulation geworfen, d.h. werden Waren damit gekauft, dann geht die selbständige Wertgestalt verloren […] Soll Geld tatsächlich selbständiger und dauerhafter Ausdruck des Werts sein, dann darf es nicht getrennt von der Zirkulation existieren, sondern muss in sie eingehen – aber ohne dass dabei der Wert seine Selbständigkeit und Dauerhaftigkeit verliert“, dies führt zu der Bewegung G-W-G, aber „diese Bewegung […] bringt keinen Vorteil. Ein Vorteil liefert erst diese Bewegung G-W-G'“ (Heinrich 2004, S. 81f).
Man fragt sich wirklich was in die Marx und die Marxist*innen gefahren ist. Wenn sie immer betonen, dass der Wert, und damit auch das Geld ein soziales Verhältnis ist, warum soll dieses auf einmal auf seinen „Vorteil“ (Heinrich) bedacht sein? Woher mag dieses Streben herabgestiegen sein? Hier wird tatsächlich eine Struktur zu einem Subjekt gemacht, mit Zielen die sich nicht aus den sozialen Verhältnisse welche die Struktur erzeugen ergeben. Eichlers zweiter Übergang deckt sich mit Heinrichs Erklärung und auch bei dem dritten Übergang stellt sich die Frage warum es das Geld stören sollte, wenn es weniger Wert wird. Einzig der erste Übergang, von Marx selbst gewählt, macht Strukturen nicht einfach zu Subjekten, bei ihm stellt sich eine ganz andere Problematik: Er argumentiert den Übergang mit der individuellen Gier. Ein Bill Gates stellt also weiter fest, dass sein Geld ihm noch immer nicht erlaubt alles zu kaufen, was es gibt und da dies ja das qualitative Versprechen des Geldes ist treibt ihn der Gedanke zurück an die „Sysiphusarbeit der Akkumulation“. Marx scheint hier sein eigenen Anspruch aus der Einleitung vergessen zu haben und doch „den einzelnen verantwortlich [zu] machen für Verhältnisse“ (MEW 23, S. 12). Besonders frappierend wird die entweder subjektivistische oder strukturalistische Bestimmung des Übergangs von Geld zu Kapital dadurch, dass eine Lösung in der Theorie angelegt und enthalten ist: die Konkurrenz zwingt die Produzent*innen Profit zu machen, Geld zu vermehren, um im Kampf um Marktposition, Kostenreduktion, Produktinnovation, Vermarktung zu bestehen.[3]
Meine Einschätzung ist, dass Marx in der Bewertung der Konkurrenz undifferenziert vorgeht. Aus der wichtigen Sorge und Kritik heraus, dass die Konkurrenz, und damit Angebot und Nachfrage, zur Erklärung von Warenwerten missbraucht wird, versucht er die Konkurrenz aus der Analyse soweit wie möglich zu verbannen, anstatt ihr einen differenzierten Platz zuzuweisen. Marx weiß doch selbst, die Konkurrenz ist „die Beziehung des Kapitals auf sich selbst als ein andres Kapital, d.h. das reelle Verhalten des Kapitals“ (MEW 42, S. 550). Und selbst wenn er sie schon nur dann aufgreift, wenn er sie unbedingt braucht, dann hätte er sie ja auch wirklich aufgreifen können um den entscheidenden Schritt zwischen einfacher und erweiterter Warenproduktion nicht strukturalistisch oder subjektivistisch zu verkürzen, sondern als Verhältnis zu denken.
Dieser Einbezug der Konkurrenz wäre durchaus machbar, wenn
Marx ihr eine klare Stelle zuweisen würde. Tatsächlich glaube ich nicht, dass
es möglich ist die „innere Natur des Kapitals“ ohne die Konkurrenz zu
erklären, wohl aber ist es entscheidend die Darstellung der Ware in der
Wertform und des Wertes in der Geldform und damit die grundsätzliche Bestimmung
des Wertes über die Arbeit ohne die Konkurrenz zu entwickeln. Bis zur „inneren Natur
des Geldes“ mag dies möglich sein, aber scheinbar bleibt Marx dann tatsächlich
(vermeintlichen?) Hegelschen Kategorien verhaftet und versucht aus den
Begriffen alles weitere zu entwickeln, anstatt auf die konkreten Verhältnisse
zu blicken. Er bemerkt selbst, dass dies nicht möglich ist und greift deshalb
auf subjektivistische Hilfskonstruktionen zurück oder macht die Strukturen zu
handelnden Subjekten mit eigenen über ihre Verhältnisse hinausgehenden
Intentionen, statt dem eigenen Anspruch treu zu bleiben, Dynamiken aus den
Verhältnis von Struktur und Handlung zu verstehen, wo die Struktur des
Austausches den Produzierenden die Form der Konkurrenz als ihre dominante
Beziehungsweise aufzwingt und somit ihnen Kapitalbildung abverlangt. Es wäre
hier also tatsächlich nötig wie beim 2. Kapitel auf die tatsächlich Handelnden
innerhalb der Strukturen zu kommen und den Übergang nicht zu versuchen über
deren Köpfe hinweg zu entwickeln. „Die innere Natur des Kapitals ist die
rational rekonstruierte, ‚entwickelte‘, auf den Begriff gebrachte Konkurrenz“
(Eichler 2015, S. 187).
[1] Das römische Reiche und wohl auch andere Epochen mögen hierbei spannende Ausnahmen sein.
[2] Tatsächlich würde ich vor dem Hintergrund agrargeschichtlicher Studien im frühneuzeitlichen England (Overton 1992, Whittle 2000, Dimmock 2015, Allen 1998) darauf verweisen, dass die Veränderung der Landverteilungsverhältnisse sich sicherlich durch eine Durchsetzung an ausschließlichen Verfügungsrechten, also Eigentumsrechten, beschreiben ließe, jedoch vielleicht von noch entscheidenderer Bedeutung war, dass die de facto Verteilung des Landes nach Besitzmöglichkeiten immer marktförmiger wurde. Ein zunehmendes grundherrschaftliches Privateigentum an Land hätte keine größeren Veränderung in der englischen Agrargesellschaft hervorgebracht, wenn diese nicht die Pachten zunehmend an Marktpreisen orientiert hätten und somit Subsistenzbäuerinnen den Zugang zu Land verloren, wobei es hier falsch wäre nur auf die Aktion der Grundeigentümer hinzuweisen, auch der Landmarkt unter den Bäuer*innen selbst führte zu einer steigenden Kommodifizierung des Landes (vgl. Whittle 2000, Hoyle 1990, Shaw-Taylor 2012). Es war also die Form welche die Besitzrechte verteilte (von Lord-Tenant Beziehung zu Markt) deutlicher als die Form welche die Eigentumsrechte verteilte (von Boundle of rights zu Privateigentum), welche hier ausschlaggebend war, auch wenn die beiden Entwicklungen sich sicherlich gegenseitig stützten.
[3] „Die arbeits- und mehrwerttheoretischen Erklärung scheint rückblickend unvollkommen gegenüber der Konkretion: mußte auf früheren Stufen eine Vermehrung des Kapitals durch absoluten und relativen Mehrwert irrational aus der HAbsucht verstanden werden oder aus der kategorialen Möglichkeit der Akkumulation, dem potenziell unendlichen Charakter des Geldes, eben soweit wir noch nicht vom Ende des zu Erweisenden und zu Kritsierenden denken konnten, so erscheint jetzt die Stufe der Konkretion als der eigentliche Grund der Kapitalgebarung die Konkurrenz“ (Hartmann (1979), Die marxsche Theorie, S. 376f zit. nach Eichler 2015, S. 147
Ich finde die Überwindung der Fixierung auf die Zirkulation als „Ressentiment“ völlig falsch charakterisiert.
Er hat sachliche Argumente dafür, die Du von vornherein nie in ihrer Sachlichkeit ernst nimmst, sondern durch Deine Fixiertheit auf die Konkurrenz systematisch unterschätzt.
Warum? Weil Du „befürchtest“, die Orientierung auf die Bedeutung der Ausbeutung der Mehrarbeit würde automatisch zu dem von Dir und anderen abgelehnten „Arbeiterbewegungs-Klassenkampf-Marxismus“ hinsteuern?
Es mag ja sein, dass diese klassische Richtung die Bedeutung der Wert-Vergesellschaftung an sich unterschätzt hat. Aber nun in der Gegenrichtung die andere Komponente systematisch zu unterschätzen, verbessert die Analyse nicht so sehr.
„entweder subjektivistische oder strukturalistische Bestimmung des Übergangs von Geld zu Kapital“???
„Historisch geschult, können wir aber wohl relativ unangefochten feststellen, dass schon für den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus nicht die Produktivkräfte verantwortlich waren (nur ein Bsp. unter vielen Wood 2015), dieser Übergang war weit eher eine Revolution der Beziehung der Menschen. Würde dies auch für weitere Übergänge gelten so wäre eine kommunistische Transformationstheorie wohl auf eine Analyse von Beziehungen und Verhältnissen angewiesen (Adamczak 2017, Habermann 2015, Sutterlütti/Meretz 2018 u.v.a.).“
d.h. du identifizierst „Beziehungen“ hier mit der Zirkulation? Aber Produktionsbeziehungen sind doch auch Beziehungen?
@Simon:
Ähnlich wie Annette schon sagte: von „Ressentiment“ kann nicht die Rede sein — das wäre ein unbegründetes Vorurteil, während Marx ja Gründe nennt, warum man den Kapitalismus alleine aus der Zirkulationssphäre heraus nicht verstehen kann. Ein wesentlicher Punkt, auf den er hinweist, ist dass aus der Zirkulationssphäre heraus nicht ersichtlich ist, warum es überhaupt eine positive Profitrate gibt, d.h. warum die Bewegung G-W-G‘ im Durchschnitt funktioniert — rein zirkulationsmäßig betrachtet, stünde ja immer einem Gewinn auf der einen Seite ein ebenso großer Verlust auf der anderen Seite gegenüber, die durchschnittliche Profitrate wäre also 0.
Dann bleibt aber unklar, warum Geldbesitzer_innen ihr Geld in dieser Bewegung aufs Spiel setzen sollten, wenn sie im Schnitt doch nichts davon erwarten können. Erst wenn man das spezielle Verhältnis von Geldbesitzer_innen und (weitgehend) vermögenslosen Arbeitskraftverkäufer_innen einbezieht, wird klar, warum die Profitrate im Durchschnitt positiv ist — weil der Profit nämlich im Wesentlichen aus der „Ausbeutung“ (Fachbegriff, nicht wertend gemeint) der Arbeitskraftverkäufer_innen gezogen wird (Produktionssphäre) und nur gelegentlich und zufällig aus der Übervorteilung der anderen Geldbesitzer_innen (Zirkulationssphäre).
Du tust dich mit dieser Erkenntnis schwer und würdest den Kapitalismus am liebsten rein zirkulationsmäßig erklären, weshalb du dir ja auch Gedanken darüber machst, ob es nicht einen Kapitalismus ganz ohne die Asymmetrie zwischen Geldbesitzern/Kapitalist_innen und Arbeitskraftverkäufer_innen geben kann. Dass dem nicht so so ist, hat Marx aber eben schon gezeigt.
Zum „Schein der Konkurrenz“: Ich würde auch (wie Heinrich) davon ausgehen, dass Marx die strikte Trennung zwischen „Kapital im allgemeinen“ und „Konkurrenz der Kapitalien“ vor Abfassung des Kapitals hat fallen lassen — natürlich macht es keinen Sinn, z.B. Extramehrwert ohne Konkurrenz erklären zu wollen, und Marx versucht das auch nicht.
Nur: Auch die Konkurrenz muss erklärt werden — sie geht selbst aus den Produktionsverhältnissen hervor und kann nicht einfach als rein sachlich-stofflicher Fakt diesen vorausgesetzt werden. Dein Versuch, „immer über Konkurrenz“ zu argumentieren, kann deshalb nicht hinhauen, weil du da das zu Erklärende schon stillschweigend voraussetzt. Um ein anderes Beispiel zu bringen: Man könnte versuchen, die Tatsache, dass Marathonläufer_innen schnell rennen damit zu erklären, dass „die Konkurrenz der anderen Läufer_innen sie dazu zwingt“. Wer Marathonläufe kennt, mag das für einleuchtend halten — aber wer stattdessen ans Wandern gewöhnt ist, wird sich wundern, warum die Läufer_innen sich nicht alle in gemütlichem Tempo, unter ausführlicher Bewunderung der Landschaft und mit gelegentlichen gemeinsamen Pausen kollektiv ihrem Ziel zubewegen.
Die Erklärung „über Konkurrenz“ greift also noch nicht, stattdessen muss man weiter ausholen und z.B. sagen: „Beim Marathon gewinnt, wer als erstes ins Ziel kommt, und weil niemand vor den anderen starten darf und normalerweise alle gewinnen (oder jedenfalls möglichst gut abschneiden) wollen, rennen alle so schnell sie können, um möglichst vor den anderen Läufer_innen anzukommen (die deshalb ihre Konkurrent_innen sind).“ Du musst also von den Zielen der Beteiligten (bzw. vom Ziel „des Spiels“) reden, wenn du Marathon erklären willst, und dasselbe gilt für den Kapitalismus. Nur wenn du das tust, kannst du auch erklären, warum die Beteiligten überhaupt in Konkurrenz zueinander stehen — das ist nämlich nur dann der Fall, wenn sich ihre Ziele gegenseitig ausschließen. (Auch beim Wandern haben alle ein Ziel, aber da es nicht auf die Reihenfolge des Eintreffens ankommt, können alle ihr Ziel erreichen und stehen nicht in Konkurrenz zueinander.)
Beim Kapitalismus ist das typische Ziel eben, das eigene (bzw. eine_r anvertraute) Geld möglichst erfolgreich zu vermehren, d.h. mehr als nur die durchschnittliche Profitrate zu erwirtschaften. Das muss man verstehen (und erwähnen), sonst bleibt unklar, warum Firmen überhaupt in Konkurrenz zueinander stehen statt sich einfach den Markt untereinander aufzuteilen (oder die Produktion gleich einzustellen und ihr Geld unterm Kopfkissen zu lassen).
@Christian:
1. Ich weiß gar nicht warum soviele Menschen immer auf diese seltsame Idee kommen, dass wer Konkurrenz kritisiert nicht auch Ausbeutung kritisiert und mitdenkt. Ich bin Marxist und klar kommt der Mehrwert aus der Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, also aus der Produktion und nicht aus der Zirkulation. Die Ausbeutung geschieht aber unter Bedingungen von personalisierten Klassenverhältnissen (private Produktionsmitteleigner*innen) genauso wie bei bloßen strukturellen Klassenverhältnissen (bspw. Genossenschaften).
2. Bei dir Christian scheint es so, als würden die Leute nur in die Konkurrenz kommen, weil sie Geld vermehren wollen. Das ist eine subjektivistische Verkürzung. Natürlich gibt es Leute die versuchen aus Geld mehr Geld zu machen, weil das ist im Kapitalismus nahegelegt. Nur Konkurrenz entsteht einfach aus: Getrennter Privatproduktion – Notwendigkeit des Tausches – Konkurrenz. Jede Produzentin im Kapitalismus ist der Konkurrenz ausgeliefert, egal ob sie möglichst viel Geld machen will oder nicht.
@Annette: „Er hat sachliche Argumente dafür, die Du von vornherein nie in ihrer
Sachlichkeit ernst nimmst, sondern durch Deine Fixiertheit auf die
Konkurrenz systematisch unterschätzt“ – Das spannende an meine Recherche fand ich gerade herauszufinden warum Marx nicht über Konkurrenz argumentiert. Eben weil er Angst hat, dass die Leute dann glauben Preise nur über Angebot und Nachfrage erklären zu können. Wenn du glaubst ich nehme die Argumente nicht ernst, dann sag doch bitte konkret inhatlich was du damit meinst, so in abstrakte kann ich damit wirklich nicht viel anfangen.
2. Es gilt Ausbeutung und Konkurrenz zu denken. Aber historisch (und heute immer wieder bpsw. die SDS-Vertreterin bei den Ökosozialisten) fokussiert der Marxismus zu schnell auf Ausbeutung und Eigentumsverhältnisse.
3. „„entweder subjektivistische oder strukturalistische Bestimmung des Übergangs von Geld zu Kapital“???“ – Ich argumentiere es warum ich diesen Übergang für verkürzt halte. Argumentier du doch bitte auch, warum du meine Analyse für falsch hältst.
@Benni: „d.h. du identifizierst „Beziehungen“ hier mit der Zirkulation? Aber Produktionsbeziehungen sind doch auch Beziehungen?“
Eigentlich nicht. Ich glaube aber tatsächlich, dass das revolutionäre des Kapitalismus weniger die neuen Eigentumsverhältnisse sind (das sind nämlich sehr ungerechte Klassenverhältnisse vorher und nachher), sondern die neuen Zirkulationsverhältnisse.
weniger die neuen Eigentumsverhältnisse sind (das sind nämlich sehr
ungerechte Klassenverhältnisse vorher und nachher), sondern die neuen
Zirkulationsverhältnisse.“
Guten Morgen, Ich schreib grad nen längeren Text wo ich Zirkulations- und Produktionsverhältnisse im Bezug setze. Und ja voll PV sind nicht gleich Eigentumsvehrältnisse, aber die Tendenz sehe ich häufig. Wenn Leute sagen „du vergisst die Produktionsverhältnisse“ meinen sie meisten die Klassenungleichgewichte.
Historisch würde ich vermuten (ich muss mir das empirisch noch genauer angucken), dass sich die doppelt freie Lohnarbeit eher durch eine Veränderung der Zirkulationsverhältnisse hervorgebracht wird, die dann auch die Eigentumsverhältnisse ändert …
@Simon #5:
Bei letzterem Satz gehe ich ohne Weiteres mit, aber das liegt ja daran, dass laut Definition („im Kapitalismus“) die anderen Produzenten großteils das Ziel der Gewinnmaximierung verfolgen und sich entsprechend verhalten. Dem kann sich die einzelne Produzentin nicht entziehen, auch wenn sie selbst andere Ziele verfolgen mag – keine Frage.
Der vorige Satz allerdings erschließt sich mir nicht: „Getrennte Privatproduktion – Notwendigkeit des Tausches – Konkurrenz“. Zunächst: Wieso und unter welchem Umständen produzieren Privatproduzenten überhaupt getrennt voneinander? Auch das kannst du wieder nicht stillschweigend voraussetzen, sondern musst es begründen. Meine Tendenz wäre ja, davon auszugehen, dass sie, wenn es ihnen NICHT um Profitmaximierung, sondern z.B. genossenschaftlich jeweils um Sicherung eines Einkommens geht, von dem sie gut leben können, dazu tendieren werden, sich zumindest lose zu koordinieren, damit sie alle dieses Ziel besser erreichen können. Damit hören sie aber – auch wenn die einzelnen Genossenschaften voneinander unabhängige Privatproduzenten sind – auf, im strengen Sinne getrennte Privatproduzenten zu sein. Ob überhaupt getrennte Privatproduktion vorliegt, ist also wiederum abhängig von den Zielen der Beteiligten, auch wenn dir das nicht gefällt.
Und dann: Warum folgt aus „Notwendigkeit des Tausches“ zwingend „Konkurrenz“? Das müsstest du wiederum begründen. Und wie definierst du überhaupt „Konkurrenz“, wenn nicht (wie ich oben) in Hinblick auf das gegenseitige Sich-am-Erreichen-der-jeweiligen-Ziele-Hindern? Du müsstest — wenn du von Zielen nicht sprechen willst — eine zielunabhängige Definition von Konkurrenz vorlegen. Aber wenn man z.B. in die Wikipedia schaut, führt die hier relevanteste Weiterleitung des Konkurrenz-Artikels auf Wettbewerb (Wirtschaft), wo es heißt:
Genossenschaften, auch wenn sie für den Markt produzieren, müssen sich aber nicht unbedingt gegenseitig am Erreichen ihrer Ziele hindern. Deshalb folgt aus der „Notwendigkeit des Tausches“ noch keine „Notwendigkeit von Konkurrenz“.