Produktive Arbeit auf dem Prüfstand
In dem Artikel Wert und produktive Arbeit hatte ich versucht darzulegen, warum gemäß Marx’ Konzeption nicht alle vom Kapital bezahlte und für den Verwertungsprozess notwendige Arbeit auch als produktiv anzusehen ist. Das hat allerdings nur bedingt geklappt, wie die Diskussion gezeigt hat.
Der Abwechslung halber möchte ich für diesen Artikel daher die Gegenposition einnehmen und erklären, warum es doch sinnvoller sein dürfte, auf diese Unterscheidung zu verzichten. Demzufolge wäre alle für den Verwertungsprozess notwendige Arbeit auch produktiv – eine Position, die schon einige Kommentatoren vertreten haben. Ich freue mich über Feedback darüber, welche Argumentationslinie die überzeugendere ist!
Im vorigen Artikel hatte ich für die Unterscheidung von produktiver und unproduktiver Arbeit auf die Gebrauchswertebene verwiesen. Arbeit, die für die Herstellung eines bestimmten Gebrauchswerts „eigentlich“ nicht nötig ist, sondern nur aufgrund der Eigentümlichkeiten der kapitalistischen Produktionsweise anfällt (z.B. Verkauf oder Lohnbuchhaltung) ist demzufolge nicht produktiv. Das ist allerdings insofern problematisch, als man dann immer eine fiktive „Ideal-“ oder „Alternativgesellschaft“ dem Kapitalismus gegenüber stellen muss. Doch warum sollte es für die Analyse des Kapitalismus alternative Gesellschaften als Gedankenmodelle brauchen? Oder anders gesagt: Warum sollte es die Kapitalistinnen bei ihrer Jagd nach Geldvermehrung jucken, wie eine andere Gesellschaft eventuell verfasst sein könnte?
Ein weiterer Teil meiner Argumentation bezog sich auf die Menge der Gebrauchswerte, die sich die Kapitalisten vom erwirtschafteten Mehrwert kaufen können. Eine Zunahme der gesellschaftsformabhängigen Arbeiten (z.B. Werbung) kann dazu führen, dass die Arbeiterinnen bei stofflich gleichbleibendem Lebensstandard mehr Zeit für die Reproduktion der von ihnen selbst konsumierten Güter aufwenden müssen. Die Mehrarbeit, die in Form von Mehrwert/Profit an die Kapitalisten geht, schrumpft dadurch.
Problematisch an dieser Argumentation ist allerdings, dass auch andere Effekte zu einer sinkenden Ausbeutungs- und Profitrate führen können. Um beim Beispiel „Fischfang“ aus meinem vorigen Artikel zu bleiben: Auch eine Überfischung der Meere könnte dazu führen, dass sieben Stunden nötig sind, um so viel Fisch zu fangen wie zuvor in sechs. Nimmt man dann an (wie ich in dem Artikel), dass die Arbeiter weiterhin stofflich so viel Fisch bekommen wie bisher, würde die Profitrate ebenfalls sinken. Trotzdem leisten die Fischerinnen natürlich weiterhin eindeutig produktive Arbeit.
Was ist der Wert?
Gehen wir einen Schritt zurück: Was ist eigentlich Wert, und was ist das Geld als seine Maßeinheit? Der Wert einer Ware drückt laut Marx die durchschnittliche Arbeitszeit aus, die für die Herstellung gleichartiger Waren gesellschaftlich notwendig ist. Nicht auf den Herstellungsaufwand des einzelnen Artefakts, sondern auf den Durchschnitt kommt es dabei an.
Wert repräsentiert also Arbeitszeit, wenn auch gesellschaftlich vermittelt durch den Mechanismus der Konkurrenz, der dafür sorgt, dass gleichartige Waren im Normalfall auch zu ähnlichen Preisen verkauft werden. Und Geld repräsentiert eine bestimmte Menge Wert, gegen die es eingetauscht werden kann. Geld stellt also ein Anrecht auf die (Arbeits-)Zeit anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse dar – über je mehr Geld man verfügt, desto mehr Arbeitszeit anderer kann man sich aneignen.
Normalerweise sorgt die Konkurrenz der Warenproduzenten dafür, dass die Austauschverhältnisse ungefähr äquivalent sind – ich kann mir die Ergebnisse der Arbeitszeit anderer aneignen, aber sie eignen sich im Gegenzug die Ergebnisse von ebenso viel meiner Arbeitszeit an. Anders sieht es bei Lohnarbeit aus, wenn eine Firma Menschen nicht ihre Arbeitsergebnisse abkauft, sondern sie vielmehr „anstellt“ und direkt für sich arbeiten lässt. Die Firma muss ihren Angestellten zwar einen Lohn zahlen, der sie befähigt, ihre Arbeitskraft zu reproduzieren, d.h. morgen wieder zur Arbeit zu kommen und auch Kinder in die Welt zu setzen und zu ernähren. Der Wert der Waren, die sich die Arbeiterinnen von ihrem Lohn kaufen können, wird dabei aber regelmäßig unter dem Wert liegen, den sie für die Firma produzieren. Das muss auch so sein, denn ohne diese Differenz würde die Firma keinen Profit machen, aber der Profit bzw. die Hoffnung darauf ist die Triebkraft der kapitalistischen Produktion und der einzige Grund, warum die Firma überhaupt Angestellte einstellt.
(Für eine etwas ausführlichere Darstellung siehe den vorigen Artikel.)
Die Differenz zwischen dem Lohn und dem Wert der von den Angestellten produzierten Waren ist der Mehrwert bzw. Profit. Dieser landet bei den Kapitalgebern, kurz Kapitalisten genannt. Die Angestellten einer Firma arbeiten vielleicht 40 Stunden pro Woche, die Produktion der Waren, die sie sich von ihrem Wochenlohn kaufen können, erfordert jedoch nur 30 Stunden. Der Mehrwert beträgt dann zehn Stunden pro Angestellter und Woche, d.h. zwei Stunden pro Tag.
Dieser Mehrwert landet bei den Kapitalisten, die ihn ihrerseits in Waren umtauschen können, entweder für ihren privaten Konsum oder zur Akkumulation, d.h. zur Ausweitung der Produktion. Ziel aller kapitalistischen Produktion ist die Aneignung von Mehrwert, also von Anspruch auf die Arbeitszeit anderer Menschen.
Kapital ist alles Geld, was zur Akkumulation eingesetzt wird, also vermehrt werden soll. Sobald ich Geld in eine Firma investiere, wird es zu Kapital.
Produktiv vs. unproduktiv neu betrachtet
Auf Basis dieser Begriffsklärung können wir uns nun der von Marx vorgenommenen Unterscheidung zwischen produktiver und unproduktiver Arbeit zuwenden. Produktiv im Marx’schen Sinne ist nur Arbeit, die zur Kapitalvermehrung beiträgt. Was ich zuvor sagte, gilt also nach wie vor:
Arbeit, bei der kein Kapital verwertet wird, scheidet also als produktive aus. Das betrifft alle Arbeit für den Eigenbedarf, die eigene Familie oder Freunde ebenso wie ehrenamtliche Aktivitäten und private Hausangestellte.
Auch die Angestellten von Organisationen, die nicht gewinnorientiert arbeiten, also nicht Geld in mehr Geld verwandeln, sind aus diesem Grund nicht produktiv – Staatsangestellte ebenso wie Mitarbeiter in zwischenstaatlichen Organisationen und im Non-Profit-Sektor.
Was aber ist mit Menschen, die zwar bei Privatunternehmen angestellt sind, aber nicht zum Gebrauchswert der hergestellten Waren beitragen, wie etwa Verkäuferinnen, Wachschützer und Werbefachleute? Deren Arbeit hatte ich – in Anlehnung an Marx – für unproduktiv erklärt aufgrund der Tatsache, dass sie „den gesellschaftlichen Reichtum nicht vermehren“, also keinen Gebrauchswert schaffen.
Gemäß der obigen Analyse kann der Wert zwar dafür genutzt werden, sich Gebrauchswerte anzueignen, aber unmittelbar stellt er etwas anderes dar: Anspruch auf die Arbeitszeit anderer Menschen. Für diese Umverteilung von Arbeitszeit sind im Grunde jedoch nur zwei Faktoren interessant: die Anzahl der Angestellten, die von kapitalistischen Unternehmen beschäftigt werden, und die Mehrwertmenge, die pro Angestellter im Schnitt anfällt. Was genau sie tun – ob sie Gebrauchswerte herstellen, verkaufen, bewachen oder bewerben – ist hingegen gleichgültig, sofern ihre Arbeit nur gesellschaftlich nötig ist, d.h. solange die Konkurrenz nicht unter Einsatz von weniger Arbeit die gleichen Ergebnisse erzielen kann.
Nehmen wir (wie im vorigen Artikel) wieder eine Fischerei als Beispiel: Entspricht der Tageslohn jedes Fischers sechs Stunden Arbeit, während er acht Stunden arbeitet, dann landet der Anspruch auf die Ergebnisse von zwei Stunden Arbeit pro Tag und Angestelltem bei der Eigentümerin der Fischerei. Je mehr Angestellte sie beschäftigt, desto mehr Arbeitszeit anderer kann sie sich aneignen – vorausgesetzt natürlich, dass der gefangene Fisch auch verkauft werden kann und dass die Fischerei (mindestens) ebenso effizient arbeitet wie die Konkurrenz.
Nun braucht aber eine große Fischerei, will sie effizient arbeiten, neben den unmittelbaren Fischfängern auch noch anderes Personal. Sie muss sich um den Verkauf kümmern und dafür entweder selbst Verkäufer beschäftigen (Direktvertrieb) oder aber diese Aufgabe an andere, darauf spezialisierte Unternehmen auslagern (Groß- und Einzelhandel), denen sie dafür einen Teil des Gewinns abtreten muss.
Gemäß der Marx’schen Argumentation ist das Verkaufen nicht produktiv, da die Ware ja schon vorher existiert, sie wechselt lediglich den Besitzer. Andererseits ist unter kapitalistischen Verhältnissen das Verkaufen ein absolut notwendiger Bestandteil der Warenproduktion. Es ist notwendig, um den Kapitalverwertungsprozess G – W – G’ (Geld wird zu verkaufbarer Ware wird zu mehr Geld) abzuschließen. Scheitert der Verkauf, scheitert auch die Kapitalvermehrung. Bedenkt man dies, ist die Argumentation, dass die Ware ja schon vor dem Verkauf existiert, falsch bzw. irrelevant. Denn die noch nicht verkaufte Ware verdankt ihre Existenz bloß dem geplanten Verkauf – dieser mag zwar scheitern, ist aber immer Teil der Kalkulation! Die Arbeit der Verkäuferinnen ist daher unter kapitalistischen Umständen genauso notwendig wie die der direkten Produzentinnen (ob Fischer oder Fabrikarbeiter), somit ist sie auch als genauso wertbildend anzusehen.
Dasselbe gilt für die Arbeit etwa der Lohnbuchhaltung, die bei Marx ebenfalls nicht als wertproduktiv gilt, da sie nur Wertbeträge hin- und herschiebt, aber selbst keine Waren erzeugt. Doch basiert der Verwertungsprozess generell auf dem Verkauf von Waren, wozu auch die besondere Ware Arbeitskraft gehört. Ohne Lohn würden die Arbeiterinnen im Kapitalismus keinen Finger krumm machen, weshalb die Warenproduktion auch ein gewisses Maß an Lohnbuchhaltung erfordert. Die Vorstellung, dass diese unnötig ist, basiert wiederum auf dem Vergleich mit einer anderen (z.B. kommunistischen) Gesellschaft, wo Geld und Lohn vielleicht überflüssig wären. Doch ist nicht einzusehen, warum denkbare andere Gesellschaften für die Analyse des Kapitalismus in irgendeiner Weise relevant sein sollten – diese muss vielmehr voll und ganz von den spezifisch kapitalistischen Umständen ausgehen.
Oder etwa die Werbung, die es Unternehmen ermöglichen kann, größere Stückzahlen abzusetzen und damit vielleicht, aufgrund von Skaleneffekten, den Produktionsaufwand jedes Einzelstücks zu verringern. Wechseln wir das Beispiel und nehmen etwa an, dass in die Produktion eines Bettes je zweieinhalb Stunden Arbeit fließen (entweder direkt als „lebendige Arbeit“ oder indirekt als anteiliger Herstellungsaufwand für Produktionsmittel und Vorprodukte – beides wird hier zusammengezählt). Ein Unternehmen wie Ikea, das viel in Werbung investiert, kann deshalb sehr große Stückzahlen absetzen und sich somit effizientere Großtechnik leisten, mittels derer vielleicht nur noch zwei Stunden Arbeit pro Bett nötig sind. Dazu kommt aber noch die Arbeit der Werber (Kreative, Plakatedrucker und -kleber, Flyerverteiler etc.), die umgerechnet pro Bett vielleicht 15 Minuten beträgt.
Die Konkurrenz muss jetzt mitziehen und ähnlich effizient werden, sofern sie nicht auf der Strecke bleiben will. Die gesellschaftlich nötige Arbeit (= der Wert) ist also pro Bett von 2,5 Stunden auf 2,25 Stunden gefallen. Oder sollte der Wert eines Bettes noch weiter gefallen sein, auf nur 2 Stunden, da die Werbearbeit nicht wertbildend ist? Das ist nicht plausibel, da die Konkurrenz, um denselben Skaleneffekt zu erzielen, ja ebenfalls Werbung machen muss. Auch diese Arbeit ist also gesellschaftlich notwendig, denn ohne sie geht es im Kapitalismus nicht.
Alle Kapitalangestellten produzieren Mehrwert (außer sie sind zu teuer)
Diese Überlegung, dass alle für den Kapitalverwertungsprozess notwendigen Arbeiten auch wertproduktiv sind, also Wert und (unter normalen Umständen) Mehrwert produzieren, kann man auch anhand der Ergebnisse des Arbeitsprozesses durchspielen. Oben hatte ich gesagt, dass Geld (oder abstrakter: Wert) ein Anrecht auf die (Arbeits-)Zeit anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse darstellt.
Vorgerechnet hatte ich das im letzten Artikel schon anhand der Arbeit eindeutig „produktiver“ Arbeiterinnen wie etwa Fischerinnen. Diese arbeiten etwa 40 Stunden pro Woche (acht pro Arbeitstag), doch von ihrem Wochenlohn können sie sich im Durchschnitt nur Waren kaufen, deren Herstellungsaufwand (= Wert) 30 Stunden (sechs pro Arbeitstag) beträgt. Jeder Fischer produziert pro Woche also zehn Stunden Mehrwert, der bei der Eigentümerin der Fischerei landet. Geht man (wiederum wie im letzten Artikel) davon aus, dass der Ertrag einer Stunde Arbeit im Schnitt für 10 Euro verkauft wird, kann man das Ganze auch in Geld umrechnen: Der in 40 Arbeitsstunden hergestellte Fisch wird für 400 € verkauft, wovon 300 € als Lohn an den Fischer gehen und 100 € als Gewinn bei der Kapitalistin verbleiben. Je mehr Fischer sie für sich arbeiten lässt, desto reicher wird die Kapitalistin also – immer vorausgesetzt, dass sie die produzierte Ware auch verkaufen kann.
Wie ist es nun mit den Verkäufern? Auch diese erhalten ja ihren Lohn. Sagen wir, sie werden so gut bezahlt wie die Fischer, ebenfalls 300 € pro Woche. Geht man nun davon aus, dass alle für die Produktion einer Ware notwendigen Arbeiten wertproduktiv sind, heißt das, dass die Verkäufer ebenfalls 400 € Wert pro Woche produzieren, sprich auch sie erzeugen 100 € Mehrwert für die Kapitalisten.
Von ihren 300 € Wochenlohn können sich die verschiedenen Lohnarbeiterinnen jeweils Waren im Wert von 30 Arbeitsstunden kaufen – wobei diese 30 Arbeitsstunden alle gesellschaftliche notwendigen Tätigkeiten umfassen, neben der direkten Herstellung also auch den Verkauf, Lohnbuchhaltung, Werbung etc. Ist dem so, dann werden die Kapitalisten aufgrund jeder zusätzlich eingestellten Lohnarbeiterin reicher, weil jede Mehrwert produziert. Jede arbeitet pro Woche zehn Stunden länger, als zur Reproduktion ihrer eigenen Lebensweise unter kapitalistischen Umständen nötig wäre. Diese zehn Stunden landen als Geld – als Anspruch auf die Arbeitszeit anderer Menschen – bei den Kapitalisten.
Vorausgesetzt wird dabei lediglich, dass die Lohnarbeiter (auf welche Weise auch immer) ihren Teil zur Produktion von Waren leisten, die sich als verkaufbar erweisen. Und dass das Unternehmen auf dem Stand der Technik produziert und sich keine (oder nur wenige) Ineffizienzen leistet. Verkauft ein Supermarkt mit 40 Verkäuferinnen etwa nur so viele Waren wie andere mit 20, dann ist die halbe Arbeitszeit der Verkäuferinnen gesellschaftlich unnötig gewesen. Sie haben also jeweils nur Wert im Umfang von 20 Stunden pro Woche produziert, weniger als die 30 Arbeitsstunden, deren Wert sie als Lohn erhalten haben (sofern sie so gut bezahlt werden wie alle anderen auch). Ihre Arbeit war für die verantwortlichen Kapitalisten ein Verlustgeschäft.
Generell müssen die Kapitalistinnen also bei der Ausweitung der Produktion auf die Verkaufbarkeit der hergestellten Waren achten und darauf, dass sie niemand für unnötige Arbeit bezahlen. In vielen Fällen wird das heißen, dass zusätzliche Arbeitskräfte aller relevanten Berufe angeheuert werden müssen – mehr Fischerinnen, Buchhalter, Werberinnen etc. In anderen Fällen können Skaleneffekte dazu führen, dass in bestimmten Bereichen Arbeit eingespart und in anderen ausgeweitet wird. Aber wenn die Verhältnisse passen, also die zusätzlich eingestellten Arbeitskräfte auch zur Produktion weiterer verkaufbarer Waren führen, sind diese Arbeitskräfte generell als wertproduktiv anzusehen, ganz egal woraus ihr konkreter Beitrag zum Produktions- und Verwertungsprozess besteht.
Die Marx’sche Unterscheidung, wonach bestimmte für den Verwertungsprozess eindeutig notwendige Tätigkeiten dennoch nicht wertproduktiv sind, hat sich somit als Irrtum erwiesen.
Zur Vermeidung von Missverständnissen
Gemäß dieser Argumentation sind alle zum erfolgreichen Verwertungsprozess nötigen Arbeiten als produktiv anzusehen, ganz gleich ob sie unmittelbar zur Entstehung von Gebrauchswerten beitragen oder nicht. Die Angestellten eines Supermarktes produzieren zwar keine Gebrauchswerte, sondern veräußern diese bloß. Mittelbar tragen sie unter kapitalistischen Verhältnissen aber auch zur Entstehung dieser Gebrauchswerte bei, denn ohne die Möglichkeit der Veräußerung würde die Produktion gar nicht erst anlaufen. Nicht mehr plausibel erscheint mir deshalb auch die in meiner ursprünglichen Artikelreihe geäußerte Argumentation, dass der „Händewechsel“, in dem Ware und im Gegenzug Geld die Eigentümerinnen wechseln, als unproduktiv aufzufassen sei.
Gebrauchswertmäßig stimmt es natürlich, dass beim „Händewechsel“ nur vorhandene Gebrauchswerte getauscht, aber keine neuen erschaffen werden. Doch wertmäßig ist zumindest ein einmaliger Händewechsel notwendiger Bestandteil des Verwertungsprozesses und von diesem nicht zu trennen. Es gibt eine ganze Reihe von Aktivitäten, die für die dauerhafte Durchführung des Produktions- und Verwertungsprozesses nötig sind, aber nicht unmittelbar zur Herstellung der zu verkaufenden Ware beitragen: die regelmäßige Reinigung der Fabrik, der Transport der Ware von der Fabrik zur Verkaufsstätte oder direkt zum Kunden, der Verkauf im Laden oder Online-Shop.
Nach meiner früheren Argumentation hatte ich Reinigung und Transport als produktiv angesehen (weil sie unabhängig von Verwertungsprozess auch für den physischen Produktionsprozess nötig sind), den Verkauf jedoch nicht (weil er nur den „Händewechsel“ vollzieht bzw. nur für den Verwertungsprozess nötig, also Kapitalismus-spezifisch ist). In dieser Unterscheidung schimmert aber wieder der Vergleich mit einer nichtkapitalistischen Alternativgesellschaft durch. Verzichtet man auf einen solchen gedanklichen Vergleich, scheint mir der postulierte Sonderstatus des „Händewechsels“ nicht mehr plausibel, da Verwertungsprozess und physischer Produktionsprozess im Kapitalismus nun mal zusammenfallen und der eine ohne den anderen nicht zu haben ist.
Das bedeutet natürlich nicht, dass man mehr Wert schaffen kann, indem man die Ware fünfmal weiterverkauft, also zusätzliche Händewechsel einführt. Genauso wenig, wie man mehr Wert schaffen kann, indem man die Waren dreimal um die Welt schickt statt sie auf direktem Wege von der Produktionsstätte zum Zielort zu befördern. Für diese Arbeiten gilt vielmehr dasselbe wie für alle anderen: Wertproduktiv sind sie nur, soweit sie gesellschaftlich nötig sind. Alle aufgrund versehentlicher oder auch beabsichtigter Ineffizienzen darüber hinaus geleistete Arbeit schafft nur zusätzliche Kosten, aber keinen zusätzlichen Wert.
Ganz unabdingbar ist aber zumindest ein einmaliger Händewechsel, vom Produzenten zum Kunden, denn dieser ist in der Bewegung G – W – G’ direkt erkennbar. In vielen Fällen gibt es heute stattdessen zwei oder drei Händewechsel, bevor die Waren beim Endkunden, für den sie tatsächlich einen Gebrauchswert darstellt, angekommen ist – weil noch Einzelhandel und ggf. Großhandel dazwischen geschaltet sind. Hier gilt, was im Kapitalismus generell gilt: Produktiv ist die anfallende Arbeit nur im gesellschaftlich notwendigen Umfang, d.h. nur solange die Konkurrenz nicht mit weniger Arbeit dieselben Resultate erzielen kann.
Groß- und Einzelhandel werden sich also nur unter zwei Umständen gegen das Alternativmodell des Direktvertriebs (bloß einmaliger Händewechsel) durchsetzen: Wenn sie entweder die für den Warenverkauf notwendige Arbeit unterm Strich reduzieren oder den Gebrauchswert erhöhen. Und zum Gebrauchswert gehört auch, dass die Ware dort ist, wo die Kundin sie gebrauchen kann, oder jedenfalls in gut erreichbarer Nähe.
Das dürfte der wichtigste Vorteil des Einzelhandels gewesen sein: Für praktisch jede Firma dürfte es sehr viel günstiger sein, alle Supermärkte eines Landes zu beliefern, als ein vergleichbar dichtes Netz an eigenen Verkaufsstellen aufzubauen. Letzteres würde viel unnötige Arbeit erfordern, weil die eigenen Verkaufsstellen sehr viel weniger Kundenverkehr erreichen würden als die Supermärkte (die ja noch viele andere Waren verkaufen) und sich die Verkäuferinnen deshalb relativ oft nur langweilen würden. Während die Alternative, auf ein dichtes Netz an Verkaufsstellen zu verzichten und nur ein Factory-Outlet oder einige wenige Verkaufsstellen in Großstädten zu betreiben, zwar die Kosten senken würde, jedoch auch den Gebrauchswert der angebotenen Waren.
Durch den Internethandel hat sich das allerdings geändert, wodurch der traditionelle Einzel- und Großhandel zunehmend unter Druck gerät, weil er nicht mehr die kostengünstigste (= arbeitssparendste) Variante ist, die Ware auf komfortable Weise an die Kundin zu bringen.
Auch Werbung ist nur insofern produktiv, als sie gesellschaftlich nötig ist. Oben hatte ich argumentiert, dass sie dazu führen kann, dass das werbende Unternehmen mehr Produkte verkauft und aufgrund von Skaleneffekten die pro Einzelstück aufzuwendende Arbeit insgesamt sinkt – und zwar auch dann, wenn man die Werbearbeit mitrechnet. In diesem Fall ist Werbung ein Mittel zur Produktivkraftsteigerung.
Schwieriger wird es für das Unternehmen, wenn es keine Skaleneffekte gibt, die Werbearbeit das Produkt also verteuert (oder, bei gleichbleibendem Preis, den Profit reduziert). Hat die Kundin die Wahl zwischen zwei ihr als gleichwertig erscheinenden Produkten, wird sie im Regelfall wohl das billigere nehmen, nicht das besser beworbene. In diesem Falle wäre die Werbung also nur rausgeschmissenes Geld und hätte keinen Wert gebildet.
Anders sieht es aus, wenn es der Firma gelingt, durch Werbung den „gefühlten Gebrauchswert“ ihres Produkts zu steigern – so konkurrieren im Kapitalismus billige No-Name-Produkte gegen teurere, aber nicht unbedingt hochwertigere Markenartikel. Die Hersteller der letzteren setzen auf Werbung, um ihr Produkt als qualitativ besser, verlässlicher, cooler oder sexyer als Konkurrenzprodukte erscheinen zu lassen. Objektiv messbar mag da nichts dran sein, doch der „gefühlte Gebrauchswert“ wird gesteigert, weshalb die Kundschaft höhere Preise akzeptiert. Werbung ist also unter zwei Bedingungen wertproduktiv: Wenn sie dank Skaleneffekten den Herstellungsaufwand senkt, oder wenn sie den gefühlten Gebrauchswert erhöht.
Auch die bloße Kenntnis eines Namens kann unbewusst zum „gefühlten Gebrauchswert“ beitragen – hat die Kundin die Wahl zwischen zwei gleich teuren und ihr als gleich gut erscheinenden Produkten, wird sie sich vermutlich für dasjenige entscheiden, dessen Markennamen sie kennt. Dies dürfte damit zusammenhängen, dass Bekanntheit unbewusst als Zeichen für Verlässlichkeit interpretiert wird. Ein Produkt, dessen Namen man schon einmal gehört hat, ohne damit Schlechtes zu assoziieren, wird einem als vertrauenerweckender und tendenziell besser erscheinen als eins, das einem völlig unbekannt ist.
Das kann für Unternehmen zu einem Werbezwang führen: Macht Unternehmen A Werbung, muss Konkurrenzunternehmen B entweder den Preis senken oder ebenfalls Werbung machen, um nicht den Anschluss zu verlieren. Machen beide Werbung, können beide vielleicht ihren Marktanteil halten – unterm Strich hat sich also nichts verändert, außer dass nun beide Geld für Werbung ausgeben müssen. Ist diese objektiv unnötige, aber unter kapitalistischen Umständen trotzdem erforderliche Werbearbeit wertbildend oder vielmehr nur „Abzug vom Mehrwert“?
Ich würde sagen, dass auch sie wertbildend ist. Früher oder später werden beide Unternehmen ihre Preise erhöhen, um die eigenen Gewinne wieder der gesellschaftlich üblichen Profitrate anzupassen – andernfalls drohte der Abgang der Kapitalgeber (z.B. Aktionäre), die ihr Geld dann lieber in profitablere Firmen stecken würden. Dies deutet darauf hin, dass der Wert der Produkte gestiegen ist, was (aufgrund von Konkurrenzmechanismen allerdings erst mit Verzögerung) auch zu steigenden Preisen führt. Zugleich ist durch die Werbung aber auch der „gefühlte Gebrauchswert“ der Produkte gestiegen, weil sie den Kunden nun bekannt sind.
Ein drittes Unternehmen könnte hingegen auf eine andere Strategie setzen – es könnte auf Werbung verzichten und No-Name-Produkte zum ursprünglichen Preis, also nun billiger als die Konkurrenz, auf den Markt werfen. Aufgrund des Preisvorteils kann auch diese Strategie erfolgreich sein. Dank des Werbeverzichts haben seine Produkte einen geringeren Wert, aber auch einen geringeren „gefühlten Gebrauchswert“ als die der „bekannten“ Konkurrenz.
Fazit
Sollte diese Analyse stimmen, dann dürfte sich auch die Krisis/Exit-Argumentation einer „schrumpfenden Wertmasse“, der ich im Artikel Geht dem Kapitalismus die Arbeit aus? zumindest relativ zur Entwicklung der Weltbevölkerung zugestimmt hatte, als unhaltbar erweisen. Denn für sie ist die vermeintliche Unproduktivität bestimmter kapitalistisch organisierter Sektoren wie Handel, Werbung und Finanzdienstleistungen essenziell. Geht man aber davon aus, dass alle Kapitalangestellten, egal aus welcher Branche, im Regelfall auch Mehrwert erwirtschaften (nur vorausgesetzt, dass die sie beschäftigende Firma effizient und erfolgreich produziert), kann von einem „Ende der Arbeit“ bzw. auch nur einem Schrumpfen der wertproduktiven Arbeitsmenge wohl keine Rede sein.
Meinungen?
(Ich danke Martin Siefkes und Holger Weiß für ihr Feedback zu einem Entwurf dieses Artikels.)
So gefällt mir das! Nicht verwunderlich, denn du führst das aus, was ich schon in meinem oben schließlich auch verlinkten Kommentar angedeutet habe.
Zu deinem Fazit: Die Krisis/Exit-Argumentation der schrumpfenden Wertmasse würde ich nicht so schnell ad acta legen. Die verstehe ich nämlich so, dass die Produktivitätssteigerungen immer mehr Menschen beim Herstellen von Gütern überflüssig machen. Weil aber nur menschliche Arbeit Wert erzeugt, sinkt die Gesamtwertmasse, wenn weniger Arbeit zur Produktion derselben Warenmenge eingesetzt wird. Das lässt sich kompensieren, wenn die freigesetzten Arbeitskräfte in den Produktionsabläufen neuartiger Gebrauchswerte Einsatz finden. Nur ist das nicht der Fall, weil nicht einfach wahllos Zeug produziert werden kann – es muss sich ja auch verkaufen / seinen Wert realisieren. Dass das nicht in ausreichendem Maß stattfindet, darin besteht die Krise: eine Unterkonsumtionskrise.
Krisis-/Exit-Autoren können das wahrscheinlich pointierter formulieren, aber ich hoffe, ich habs im Grunde so richtig gesagt. (Obwohl ich gerade bei Wikipedia lesen darf, dass die Unterkonsumtionstheorie umstritten ist, weil sie bzgl. der Krisenlösbarkeit im Gegensatz zum Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate steht, aber da dürfen sich Betroffene gerne selbst zu äußern.)
Ich will an dieser Stelle nun aber lieber versuchen, einen anderen Gedanken zu entwickeln. Obwohl du nämlich ankündigst, dich mit Geld auseinanderzusetzen, habe ich dieses Thema vermisst. Leider, denn der Geldtheorie gilt mein Hauptinteresse.
Du schreibst: „Produktiv im Marxschen Sinne ist nur Arbeit, die zur Kapitalvermehrung beiträgt.“ Und „Kapital ist alles Geld, was zur Akkumulation eingesetzt wird, also vermehrt werden soll.“ Ich will nicht auf das Arbeiten eingehen, vielmehr auf das Kapital bzw. Geld.
Das Geld, das die Arbeiterin als Lohn erhält, setzt sie vermutlich nicht als Kapital ein, um also mehr Geld damit zu machen, sondern für den Konsum. In erster Linie für die Reproduktion ihrer Arbeitskraft. Mittags kauft sie einen Nudelsalat und isst alles auf. Damit hat sie Wert vernichtet, schließlich repräsentierte der Salat die zu seiner Herstellung verausgabten Menge an Arbeit.
Der Fall ist ein anderer, wenn sie das Geld investiert, es also zu Kapital macht. Ich gehe der Übersichtlichkeit halber davon aus, dass die Arbeiterin ihren ganzen Lohn für den Konsum nutzt. Anders ist das beim Kapitalisten, der den Salat hat herstellen lassen. Sagen wir, er verkauft täglich Salat für 500€, davon behält er 50€ Mehrwert bzw. Profit. 450€ sind Lohn- und Materialkosten, das ist Geld, das größtenteils in den Konsum geht, also nicht zu Kapital wird. Allein die 50€ bleiben kein Geld, sondern werden Kapital, weil er es investiert und nicht für seinen privaten Konsum nutzt.
Die Frage, die man stellen müsste, ist also nicht: Welche Arbeit ist (un)produktiv? Sondern: Wann wird Wert vernichtet, weil Geld in den Konsum geht und nicht als Kapital der Wertverwertung dient?
Ich bin mir bei diesem Gedanken nocht sehr unsicher und warte jetzt zunächst auf Widerspruch, bevor ich mehr dazu sage.
@Christian:
„Gemäß der obigen Analyse kann der Wert zwar dafür genutzt werden, sich
Gebrauchswerte anzueignen, aber unmittelbar stellt er etwas anderes dar:
Anspruch auf die Arbeitszeit anderer Menschen. Für diese Umverteilung
von Arbeitszeit sind im Grunde jedoch nur zwei Faktoren interessant: die
Anzahl der Angestellten, die von kapitalistischen Unternehmen
beschäftigt werden, und die Mehrwertmenge, die pro Angestellter im
Schnitt anfällt. Was genau sie tun – ob sie Gebrauchswerte herstellen,
verkaufen, bewachen oder bewerben – ist hingegen gleichgültig, sofern
ihre Arbeit nur gesellschaftlich nötig ist, d.h. solange die Konkurrenz nicht unter Einsatz von weniger Arbeit die gleichen Ergebnisse erzielen kann.“
Ich vermute, dass bei dir zwei Argumentationen zur Mehrwetbildung (Wertwachstum) vermischt sind, die so nicht zur Aufklärung kommen: Die Argumentation mit produktiver Arbeit, die aus unbezahlter Arbeit aneeignet wird, und die mit einer Mehrwertrealisation, welche die Umlaufgeschwindigkeit des Kapitals betrifft. Erstre bezieht sich auf Band 1 des Marx’schen Kapitals, letzre auf Band 2. Marx selbst hat das Thema bei der Transportarbeit gut erläutert:
„Was … die Transportindustrie verkauft, ist die Ortsveränderung selbst. Der hervorgebrachte Nutzeffekt ist untrennbar verbunden mit dem Transportprozeß, d.h. dem Produktionsprozeß der Transportindustrie. Menschen und Ware reisen mit dein Transportmittel, und sein Reisen, seine örtliche Bewegung, ist eben der durch es bewirkte Produktionsprozeß. Der Nutzeffekt ist nur konsumierbar während des Produktionsprozesses; er existiert nicht als ein von diesem Prozeß
verschiednes Gebrauchsding, das erst nach seiner Produktion als
Handelsartikel fungiert, als Ware zirkuliert. Der Tauschwert dieses
Nutzeffekts ist aber bestimmt, wie der jeder andern Ware, durch den Wert
der in ihm verbrauchten Produktionselemente (Arbeitskraft und
Produktionsmittel) plus dem Mehrwert, den die Meharbeit der in der
Transportindustrie beschäftigten Arbeiter geschaffen hat. Auch in
Beziehung auf seine Konsumtion verhält sich dieser Nutzeffekt ganz wie
andre Waren. Wird er individuell konsumiert, so verschwindet sein Wert
mit der Konsumtion; wird er produktiv konsumiert, so daß er selbst ein
Produktionsstadium der im Transport befindlichen Ware, so wird sein Wert
als Zuschußwert auf die Ware selbst übertragen.“ (Marx-Engels-Werke Bd.24, S. 60 bis 61)
Dienstleistungen sind Arbeiten innerhalb der Geldverhältnisse selbst. Ihr Geldbesitz kann sich nur im Quantum unterscheiden und hat den Zweck des Kaufens und Verkaufens daher nur in der Steigerung des Geldwerts, damit letztlich in der Bildung von Mehrwert
Die Tätigkeit in diesem Verhältnis erzeugt also keine existenzielle
Ware, sondern nur Waren, die in ihrer Produktion selbst schon
verschwinden, Dienstleistungen, die lediglich Bedingung der
Warenproduktion sind und daher als konstantes Kapital in die Produkte eingehen, die aber die Umlaufzeit des Kapitals, die Zeit zwischen seiner Erzeugung und seiner Realisation beschleunigen, und somit Mehrwert erzeugen, der sich aus dem Markt dadurch ergibt, dass er die realisierbare Produktionszeit verkürzt.
Schließlich verselbständigt sich durch beide Kapitalverhältnisse erst das Kapital zum Finanzkapital und realisiert sich als Geldrente (siehe auch Grundrente) jenseits aller materiellen Beziehungen. Das hat schließlich mit der Globalisierung eine Kapitalmacht entwickelt, welche die Realökonomie samt ihrer staatlichen Institutionen sich unterworfen hatte. Davon müssen wir heute ausgehen.
@Daniel:
„Die Krisis/Exit-Argumentation der schrumpfenden
Wertmasse würde ich nicht so schnell ad acta legen. Die verstehe ich
nämlich so, dass die Produktivitätssteigerungen immer mehr Menschen beim
Herstellen von Gütern überflüssig machen. Weil aber nur menschliche
Arbeit Wert erzeugt, sinkt die Gesamtwertmasse, wenn weniger Arbeit zur
Produktion derselben Warenmenge eingesetzt wird. Das lässt sich
kompensieren, wenn die freigesetzten Arbeitskräfte in den
Produktionsabläufen neuartiger Gebrauchswerte Einsatz finden. Nur ist
das nicht der Fall, weil nicht einfach wahllos Zeug produziert werden
kann – es muss sich ja auch verkaufen / seinen Wert realisieren. Dass
das nicht in ausreichendem Maß stattfindet, darin besteht die Krise:
eine Unterkonsumtionskrise.“
Ja, da hast du genau das formuliert, was die meisten National-Ökonomen auch sagen, besonders die Neoliberalen, die daraufhin das Tittytainment erfunden haben. Marx hatte das so beschrieben:
„Der letzte Grund aller wirklichen Krisen bleibt
immer die Armut und Konsumtionsbeschränkung der Massen gegenüber dem
Trieb der kapitalistischen Produktion, die Produktivkräfte so zu
entwickeln, als ob nur die absolute Konsumtionsfähigkeit der
Gesellschaft ihre Grenze bilde.“ (Karl Marx, MEW, Bd. 25, S. 501).
Und das ist dann wohl auch die Krise der Krisis gewesen, dass sie auf einen selbstregulierenden Wertschwund ihres „automatischen Subjekts“, dem Kapital gesetzt hatte und von daher sich ganz frei für fortschrittliches Sinnieren über „freie Tätigkeiten“ gefühlt hatte. Da waren dann natürlich die anderen die Dummen, die sich noch mit der gegenwärtigen Wirklichkeit zu befassen und den „Trieb der kapitalistischen Produktion“ als Macht gegen ihr Leben zu beantworten hatten.
@Daniel #1:
In der Tat waren deine Einwände für mich ein wesentlicher Denkanstoß, danke dafür!
Was aber zumindest theoretisch ausgeglichen werden kann, indem bessere oder weitere Gebrauchswerte produziert und verkauft werden. Wie ich am Anfang der Artikel zum Ausgehen der Arbeit schon bemerkt hatte, steht die Krisis-Argumentation logisch auf einem dünnen Fundament, und letztlich dürfte sich nur empirisch entscheiden lassen, wie viel da dran ist.
Nun hat mein Zahlenmaterial gezeigt, dass im untersuchten Zeitraum von knapp 30 Jahre die Zahl der von mir seinerzeit als produktiv eingestuften Arbeiterinnen um 18,6 % gestiegen ist, die aller Arbeiter um 37,2 %. Beides ist ein Zuwachs, kein Schrumpfen, aber die „produktiven“ sind immerhin deutlich langsamer als die Weltbevölkerung gewachsen, die um selben Zeitraum um 45,8 % zugelegte.
Nun weiß ich nicht, wie sich die Anzahl der produktiven Arbeiter gemäß meiner Neueinschätzung entwickelt hat, doch wenn alle Kapitalangestellten produktiv sind, dürfte deren Entwicklung ungefähr der aller Arbeiter entsprechen. Wenn sie nicht sogar noch stärker angestiegen ist, denn die Staatsquote ist ja durch Privatisierungen und „schlanken Staat“ tendenziell eher zurückgegangen. Das deutet darauf hin, dass die produktive Arbeit fast ebenso schnell gewachsen ist wie die Weltbevölkerung, was mit den von Krisis/Exit postulierten Schrumpfungstendenzen beim besten Willen nicht in Einklang zu bringen ist.
Was das Ende deines Kommentars betrifft, bist du auf Abwege geraten. Dass Konsumgüter konsumiert werden, ist ganz normal und für den Kapitalismus keineswegs ein Problem. Und die Arbeiterinnen werden im Normalfall in der Tat ihren ganzen Lohn konsumieren müssen, statt so viel sparen zu können, dass sie früher oder später selbst zu Kapitalisten werden.
Sollten darüber hinaus auch die Kapitalistinnen den gesamten Mehrwert „aufessen“, statt einen Teil zu akkumulieren (neu zu investieren), käme es auch noch nicht zu einer schrumpfenden Wertmasse, sondern lediglich zur „einfachen Reproduktion“, in der die Wirtschaft nicht mehr wächst. Marx beschreibt das im 21. Kapital von Kapital I. Realistisch ist dieses Szenario unter kapitalistischen Umständen nicht, aber eine Krise wäre es auch noch nicht. Krise entsteht vielmehr dann, wenn es Kapital gibt, das verwertet werden will, aber nicht verwertet werden kann (sprich dessen Eigner Anlagemöglichkeiten suchen, aber keine finden).
@Wolfram #2: Ich weiß nicht, worauf du mit diesem Kommentar hinauswillst.
@Christian#5: Ich wills nochmal versuchen. Es war ja um produktive Arbeit im Wertbildungsprozess (produktive Tätigkeit) einerseits und der Mehrwertbildung im Zirkulationsprozess des Kapitals (produktive Vermarktung und Transport, vor allem Dienstleitungsbereich) gegangen. Und Du kamst dabei zu dem Schluss:
„Die Marx’sche Unterscheidung, wonach bestimmte für den
Verwertungsprozess eindeutig notwendige Tätigkeiten dennoch nicht
wertproduktiv sind, hat sich somit als Irrtum erwiesen.“
Das hast Du aus zwei Überlegungen gezogen.
1. Einmal aus dem Verhältnis einer in Gebrauchswerten sich darstellenden Wertmasse zur Arbeit selbst,
2. die auf der anderen Seite durch die Äquivalenz der Geldwerte als jeweiliges Anrecht auf Arbeitszeit kompensiert werden könne.
Da spielt Dein Verständnis von Geld die entscheidende Rolle:
„Und Geld repräsentiert eine bestimmte Menge Wert, gegen die es
eingetauscht werden kann. Geld stellt also ein Anrecht auf die
(Arbeits-)Zeit anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse dar – über je
mehr Geld man verfügt, desto mehr Arbeitszeit anderer kann man sich
aneignen.
Normalerweise sorgt die Konkurrenz der Warenproduzenten dafür, dass
die Austauschverhältnisse ungefähr äquivalent sind – ich kann mir die
Ergebnisse der Arbeitszeit anderer aneignen, aber sie eignen sich im
Gegenzug die Ergebnisse von ebenso viel meiner Arbeitszeit an.“
Das finde ich sehr falsch und argumentiert mit einer monetären Logik so, als könne Geld im Verhältnis zur Arbeit „gerecht“ fungieren. Die Marxsche Argumentation geht immer von Geld als Lebensverhältnis aus, das die Käufer und Verkäufer in gegensinnige Positionen bringt, wovon nur die Käufer, also die Geldbesitzer, zum Subjekt des Verhältnisse werden und die organischen Verhältniss des Tauschs bestimmen, die Verkäufer zu ihrem Objekt machen, sich ihrer Natur bemächtigen – zunächst im Warentausch, aber auch als Gläubiger auf dem Finanzmarkt.
Schon von daher ist die Menge der durch Geld vermittelten Gebrauchswerte kein Argument, weil nur die Wertmasse der Tauschwerte, also die Preissummen gehandelter Waren – also nicht deren organische Substanzen – Werte bemessen und Preise darstellen können. Du vermengst das mit dem Wertgewinn durch Anpassung der Produktion an den Bedarf. Und das ist Unsinn, weil der Markt insgesamt diesen Einblick nicht hergibt. Er ist völlig anarchisch und was heute gebraucht wird, kann morgen schon Abfall sein, schon während seiner Erzeugung.
Marx hat die Mehrwertbildung aus Arbeit und die Mehrwertbildung in der Wertrealisation (Kapitalumlauf und Verkaufsbeschleunigung) klar unterschieden und als gegenläufige Quellen des Mehrwerts in Band 1 und Band 2 des Kapitals entwickelt. Der o.g. Vorwurf kann ihn nicht treffen, weil er genau dies differenziert hat (vergl. Beispiel Transportarbeit, bei der die Form und der Zeitpunkt der Wertrealisierung entscheidend ist).
Zwar stimme ich dir – wenn auch aus anderen Gründen – darin zu, dass die Krisis/Exit-Argumentation von einer „schrumpfenden Wertmasse“ desolat ist, aber deine Folgerungen bringen die Sache nicht weiter und gleiten leicht in den Monetarismus ab, der heut mit Heinrich en vogue ist. Weiter kommt man nur über die Darstellung von Arbeitszeit versus Zirkulationszeit, die schließlich zur Verselbständigung des Kapitals in der Geldrente führen (3. Band des Kapitals), weil das die Bedeutung der Eigentumstitel aufklärt, also die von der Produktion völlig abgelösten, aus keinem Arbeitsprozess herleitbaren und dennoch verpreisten Unwerte (Grundstücke, Wohnungen, Ressourcen, Lizenzen usw) als Wertträger ausmachen kann – der höchsten, weil „vollendeten Form des Kapitals“ (Marx). Darin schließt sich die politische Ökonomie ab und verlangt nach einer ökonomischen Politik: Subversion.
Christian:
Nein, für diese Arbeiten gilt eben nicht dasselbe. Vielmehr wäre hier ein Kriterium, um produktive und unproduktive Arbeit zu unterscheiden. Während eine zusätzliche Investition in Höhe von d in die Erweiterung der Warenproduktion tatsächlich mehr Gebrauchswerte und einen zusätzlichen Tauschwert in Höhe von d*(1+s‘) schafft (s‘ = Mehrwertrate), ist jede Ausdehnung unproduktiver Arbeit – der Name verrät es schon – nicht produktiv im Sinne von wertproduktiv. Wenn sich im Handel die Zahl der Zwischenhändler verdoppelt, verdoppelt sich eben nicht der Profit, der den Händlern zufällt, sondern er bleibt gleich, wird lediglich auf mehr Hände aufgeteilt. Der Profit des Handelskapitals ist nur ein Abzug vom Produktwert, den das Industriekapital schafft, den letzteres in Kauf nimmt, um seine Waren absetzen zu können. Durch mehr Händler wird niemals mehr Wert erzeugt, durch mehr Industriekapital hingegen schon. Die unproduktive Sphäre des Handels schmarotzt gewissermaßen an dem Wert, der vom industriellen Kapital geschaffen wird, und erzeugt selbst – insoweit sie die Funktion des Handels wahrnimmt – keinen Wert.
Zur Werbung möchte ich noch anmerken, was ich auch damals schon bemerkt habe: Kosten für Werbung bezahlen nicht nur Werbung. Sie bezahlen vielmehr die Medienprodukte anderer Kapitalisten. Ganze Redaktionen finanzieren sich durch Bereitstellung von Werbefläche, wobei die redaktionellen Inhalte der Köder sind, damit die werbehaltigen Produkte konsumiert werden.
@libertär:
Du rollst damit lediglich die Unterscheidung produktiv/unproduktiv aus dem ganz ursprünglichen Artikel von Christian noch mal auf. Und ich stimme dir zu, dass das bloße Herumschieben von Waren keinen Mehrwert erzeugt. Das Argument aus diesem Text lautet, dass der Handel in gewissem Maße notwendig zum Verkauf der Ware ist. Damit aber gehört der Handel in den Produktionsprozess, der nach meinem Verständnis erst mit der Wertrealisation aufhört, also erst nachdem die Ware verkauft ist. Das heißt nicht, dass der Handel grundsätzlich wertschöpfend ist. Aber: zu einem gewissen Anteil – nämlich wie es gesellschaftlich notwendig ist. (Und da versuchen die Produktionsbetriebe konkurrenzbedingt möglichst billig wegzukommen.)
@Christian #4:
Mir fällt gerade auf, dass es methodisch ja gar nicht darum geht, die Zahl der Arbeiter zu messen. Es sei denn, man könnte daraus direkt die gesamtgesellschaftliche Wertmasse ableiten. Die Krisis/Exit-Überlegung ist ja, dass die Wertmasse abnimmt. Das kann ja theoretisch auch bei einer steigenden Arbeiterzahl der Fall sein. Nur wie kommt man an den Wert… das alte Transformationsproblem.
@Wolfram #6:
Nein, überhaupt nicht. Aber Wert entsteht nun mal aus Arbeit, sofern diese für kapitalistische Unternehmen erfolgt und gesellschaftlich nötig ist. Den Rest erledigt die Konkurrenz, sofern es sie denn gibt (bei Monopolisten oder Quasi-Monopolisten sieht es wieder anders aus).
Die „Menge der durch Geld vermittelten Gebrauchswerte“ ist für mein Argument auch völlig irrelevant. Tatsächlich hat der Wert einen doppelten Charakter: einerseits entsteht er aus Arbeit, die in irgendeiner Weise zur Produktion von Gebrauchswerten beiträgt — wozu nach meiner neuen Einschätzung auch deren Veräußerung gehört. Aber andererseits stellt der Wert, bzw. das Geld als dessen Verkörperung, „ein Anrecht auf die (Arbeits-)Zeit anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse dar“ — hier geht es nicht zwingend um bereits existierende Gebrauchswerte. Vor allem wer reich ist, sein Geld also nicht sofort ausgeben muss, hat andere Möglichkeiten — das Vermögen der Reichen kann auch als Anspruch auf künftig zu leistende Arbeit bzw. künftig entstehende Gebrauchswerte fungieren.
@Daniel #8:
Ich würde sagen, dass die zum Zwecke der Kapitalverwertung geleistete Arbeit eine gute Annäherung darstellen müsste. Neben der Anzahl der produktiven Arbeiter_innen muss man also noch den durchschnittlichen Umfang der Arbeitszeit erfassen — das hatte ich für meinen ursprünglichen Artikel ja auch gemacht. Nicht erfasst hat man damit zwar das Verhältnis von gesellschaftlich notwendiger zu gesellschaftlich unnötiger Arbeit innerhalb der grundsätzlich produktiven Sektoren, doch würde ich denken, dass dieses Verhältnis in den letzten Jahrzehnten relativ konstant geblieben ist.
Jedenfalls fällt mir kein gutes Argument ein, warum der Verwertungsprozess in den letzten Jahrzehnten deutlich ineffizienter oder auch effizienter geworden sein sollte, und auch bei Krisis ist mir kein solches Argument begegnet.
@Christian #10
„Tatsächlich hat der Wert einen doppelten Charakter: einerseits entsteht er aus Arbeit, die in irgendeiner Weise zur Produktion von
Gebrauchswerten beiträgt — wozu nach meiner neuen Einschätzung auch
deren Veräußerung gehört. Aber andererseits stellt der Wert, bzw. das
Geld als dessen Verkörperung, „ein Anrecht auf die (Arbeits-)Zeit
anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse dar“ — hier geht es nicht
zwingend um bereits existierende Gebrauchswerte. Vor allem wer reich
ist, sein Geld also nicht sofort ausgeben muss, hat andere Möglichkeiten
— das Vermögen der Reichen kann auch als Anspruch auf künftig zu
leistende Arbeit bzw. künftig entstehende Gebrauchswerte fungieren.“
Es ist zwar richtig, dass die Geldbesitzer als Käufer gegenüber den VerkäuferInnen als Subjekte des Marktes auftreten und von daher die Nichtbesitzer als deren Objekte im Besitzverhältnis gezwungen sind etwas zu verkaufen, meist natürlich ihre Arbeitskraft. Doch was willst Du dabei aus einem „Anrecht auf die (Arbeits-)Zeit anderer Menschen bzw. auf deren Ergebnisse“ beziehen? Doch nur, dass Du schon aus dem einfachen Marktverhältnis heraus den Mehrwert unabhängig von eingetauschten Gebrauchsweren, also unabhängig von den Tauschwerten „erklärt“ haben und die Ausgangsfrage aufgelöst haben willst – eben so wie Du schreibst: „hier geht es nicht zwingend um bereits existierende Gebrauchswerte“.
Doch: Im Warentausch geht es darum und Wert ist da nichts anderes als das, was nützliche Arbeit als abstrakt menschliche Arbeit – und eben nicht als konkret reelle Arbeit(!) – im Tauschverhältnis darstellen kann.
Die Frage war doch nach der Herkunft des Mehrwerts und ist weit komplexer und nicht aus der Anschauung heraus so zu beantworten, wie Du sie gegenüber Daniel erläutert hast, als das „das Verhältnis von gesellschaftlich notwendiger zu gesellschaftlich unnötiger Arbeit innerhalb der grundsätzlich produktiven Sektoren, doch würde ich denken, dass dieses Verhältnis in den letzten Jahrzehnten relativ konstant geblieben ist.“
Dieses Verhältnis ist doch nichts anderes als das Verhältnis von unbezahlter zu bezahlter Arbeit, also die Mehrwertrate (m/v), die mit wachsender Produktivität der Arbeit (!) nicht wirklich in der Profitrate aufgehen kann, so dass die Profitrate tendenziell fallen muss – so zumindest hat das Marx abgeleitet und dem widerspricht Heinrich ebenso wie Du.
Es ist doch einfach logisch, dass unbezahlte Arbeit nur Produkte hervorbringen kann, die auf Dauer auch nicht bezahlt werden können, dass also für ihre Verwertbarkeit immer mehr produziert werden muss, weil mit wachsender Produktivität immer weniger menschliche Arbeit pro Produkt beteiligt, also ihre Ausbeutung verschärft werden muss, damit der Wert der Produktionsmittel auch immer schneller im Produkt verschwinden und den schwindenden Wert der Arbeitskraft erhalten und (über)kompensieren kann.
Für das Geldverhältnis stellt sich das als beschleunigter Investitionsbedarf in den Verschleiß von Technik und Natur dar, durch welchen die Wertmasse der Produktionsmittel bis zur Erschöpfung in der Verwertbarkeit von Arbeitskraft notwendig nachhinkt, zunehmend nicht merh realisierbares, also fiktives Kapital erzeugt und schließlich der Realökonomie entflieht und die Aktienmärkte aufbläht und zu den letztendlichen, den absoluten Kapitalverwertern aufbereitet.
Mit der Behauptung, dass das Verhältnis der Mehrwertrate „in den letzten Jahrzehnten relativ konstant geblieben ist“ wird die Kernaussage von Marx zerstört, der auch alle Erfahrung widerspricht: Die Ausbeutung der Natur und der Menschen, ihre weltweite Verarmung und Technologisierung ist extrem fortgeschritten, ihr Leben immer hektischer geworden, ihre Lebensarbeitszeit verlängert, ihre Unterwerfung unter den Weltmarkt und die daraus folgende Barbarei der Kriege total. Die Nationalstaaten sind in den Dienst des globalen Kapitals gestellt und das reflektiert sich in nationalistischen Bewegungen und Rassismus.
Das alles soll aus dem Erklärungszusammenhang des Kapitals, aus dem Potenzial menschlicher Emanzipation ausgeblendet, von der „Waffe der Kritik“ entfernt werden? Wozu die Mühe? Das wäre die eigentliche Frage bei diesem Diskurs.
Hat wie gesagt (und ich dachte auch eingestanden) mit Gesellshaftsformabhängigkeit der zusätzlich notwendig aufzubringenden Arbeitszeit nichts zu tun.
Der Wertzuwachs durch Notwendigkeit von Werbung erhöht (im idealen Durchschnitt) den Wert der Arbeitskraft und schmälert entsprechend den Mehrwert (was übrigens zeigt, dass die Mehrwertrate als Grundlage moraliscer Entrüstung nicht unbedingt viel taugt) dürfte aber auch die Effizienz steigern helfen (weniger Ausschuss hochwertiger Güter, weil die zu wenig bekannt sind) und somit auch den Wert der Ware Arbeitskraft schmälern (und damit die Mehrwertrate steigern). Werbung ist allerdings ein zusätzlicher Geschäftszweig der Warenwerte produziert und davon ausgehend Profite realisiert.
Eine Gesellschaftsordnung, die es den Menschen ermöglichte, gemeinsame Entscheidungen betreffend der sozialen bzw. ökologischen Voraussetzungen, Bedingungen, Zwecke, Nebenwirungen usw. der Produktion (bzw. des Konsums) zu treffen, (womöglich auch, unter welchen Voraussetuzungen Wettbewerbe ausgeschrieben werden oder nicht) könnte durchaus auf den Gedanken kommen, Ressourcen für „Werbung“ zu investieren, wenn es zum Beispiel darum ginge, alternative Produkte, Produktionsbedingungen usw. deren Auswahl den Einzelnen nicht vorgeschrieben werden soll wegen ihres besseren Nachhatigkeitsfaktors (oder ähnlichem) zu puschen – die also auch auf die Veränderung von Bedürfnissen zielen, nur halt nicht der privateigentümlichen Bereicherung wegen.
Nicht ganz, Geld repräsentiert die jeweiligen Tauschwerte der Waren (deren Preise) , die systematisch vom gesellschaftlichen Durchschnittswert abweichen. Durch die durch die Abweichungen bewirklichen Ausgleichsbewegungen stellt sich der Wert her – allerdings nicht willkrlich sonder entsprechend der für deren Gebrauchswert durchschnittlich zu verausgabenden Arbeitszeit.
Bitte nicht Mehrwert und Profit gleichsetzen. Ohne Mehrwert würden die Unternehmen nicht nur keinen Profit machen sondern überhaupt nicht produzioeren können, weil sie ihre Produktionsmittel nicht einmal erneuern könnten.
Das ist allerdings selbst ein Irrtum, geschuldet der Verallgemeinerung einer Momentaufnahme in der marxschen Entwicklung eines brauchbaren Verständnisses produktiver Arbeit im Kapitalismus.
Marx: Das Kapital, MEW Bd. 24, S. 60-61
Es scheint mir auch wichtig zu verstehen, dass Marx nicht plötzlich einen neuen „Begriff von produktiver Arbeit“ definiert sondern nachzeichnet, dass in der kapitalistischen Produktionsweise die Produktion von Mehrwert wesentlich ist und deshalb „eine Verengung erfährt“, nämlich eine Verengung auf die (Mehr-) Wertproduktion. Man kann Marx aber m.W. nicht unterstellen, dass Arbeit nun für ihn nicht mehr zugleich im überhistorischen Sinne Gebrauchswerte (für andere begehrte Gegen- und Zustände) produziert.
Denken wir z.B. über Möglichkeiten und Wege einer „(öko-) kommunistischen“ Transformation nach, so rücken naturgemäß die sozio-ökologisch bestimmten Effekte und Voraussetzungen des Produzierens in den Vordergrund. Auch dadurch würde nicht „ein neuer Produktivitätsbegiff“ geschaffen, sondern unter produktiv würde nur das diesem Kontext (bzw. der diesem Kontext zugrunde liegenden tatsächlichen gesellschaftlichen Notwendigkeit) Angemessene verstanden.
Dieses, wenn man so will „utopische“ (oder ahistorische) Verständnis von Produktivität die die Möglichkeiten einer „(öko-) kommunistischen“ Zweckbestimmung ideel vorwegnimmt, befreit wiederum nicht von der Notwendigkeit, die kapitalistische Bedeutung von „produktiver Arbeit“ zu verstehen und welche inneren Entwicklungstendenzen damit gegeben sind (Konzentrationsprozesse, tendenzialler Fall der Profitrate, Fetischcharakter der Ware usw.)
Hört sich interessant an.
#14
Der Mehrwert ist die nicht bezahlte Arbeitszeit. Also die Differenz zwischen dem bezahlten Produkt-Verkaufspreis und der bezahlten geistig/physischen Arbeitszeit.
Der Profit wiederum ist die Differenz zwischen erzieltem Mehrwert und den davon bezahlten Investitionen.
Oder liege ich da falsch? Ich sehe dass eher buchhalterisch….
@ J.Kramer #15
„Der Profit wiederum ist die Differenz zwischen erzieltem Mehrwert und den davon bezahlten Investitionen.
Oder liege ich da falsch? Ich sehe dass eher buchhalterisch….“
Ich sehe da ein Problem, weil sich der Mehrwert nicht als Differenz zu einem Preis festhalten lässt. Er bestimmt sich aus der Produktion, der Preis aus der Zirkulation der Produkte. Sie lassen sich nur idealiter beziehen, weil ihre Einheit nie wirklich existiert.
Aber in ihrer Bewegung treten sie eindeutig auf: Die bezahlte Arbeit bezahlt die Lebensmittel zu den Preisen, welche die Konkurrenz der Anbieter zulässt, und die unbezahlte Arbeit erweist sich im Wert der Mehrprodukte, wie sie darin aus dem durchschnittlichen Zeitverbrauch der Arbeitskraft ergeht. So ist aber auch der Wert der Arbeit bestimmend, der in nicht verkäufliche Ware der Mehrproduktion eingegangen ist. Er wird aber auf andere Weise in der Form von Lohnabzug (z.B. durch Miete, Gebühren u.dgl.) eingenommen und hat dort nichts mehr mit Produktionskosten zu tun.
Mehr zum Thema Kapitalismus überhaupt:
http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=kapitalismus
Die Preise „entstammen“ allerdings keineswegs der Zirkulation.
@HHH #21„Die Preise „entstammen“ allerdings keineswegs der Zirkulation.“
Geht das nicht auch genauer? Ich hab es ja andernorts auch genauer ausgeführt:
„Der Preis oder die Geldform der Waren ist … eine
von ihrer handgreiflich reellen Körperform unterschiedene, also nur
ideelle oder vorgestellte Form. Der Wert von Eisen, Leinwand, Weizen
usw. existiert, obgleich unsichtbar, in diesen Dingen selbst; er wird
vorgestellt durch ihre Gleichheit mit Gold, eine Beziehung zum Gold,
die sozusagen nur in ihren Köpfen spukt.“ (Karl Marx, MEW 3, 110).
Der Preis einer Ware erscheint zunächst auf einem Preisschild zufällig, je nach Markt- und Selbsteinschätzung eines Anbieters – als ihr relativer Tauschwert, als Reflexion eines Tauschwerts, der an der Ware sich als ein Preisschild darstellt und dies nur kann, weil die Ware als Tauschwert auf dem Markt existiert und nur als dieser in Beziehung auf andere Ware ist.
„Die Ware ist Tauschwert, aber sie hat einen Preis.“ (Karl Marx, MEW 42, 121).
Der Tauschwert drückt schon da einen Wert aus, den er aber nicht für sich verwirklichen kann, weil die Ware als Produkt einen Wert
hat, der sich erst auf dem Warenmarkt, für den sie produziert wird,
realisieren kann. Dort wird in der Zirkulation der produzierten Waren
ihr quantitatives Dasein selbst zum Kriterium ihrer Realisation als
Werte. Sie können Preise haben, die sowohl unter ihrem Wert wie auch
darüber liegen. Aber letztlich ergibt sich der Preis als reelle
Wertgröße erst aus der Preissumme der im Tausch gehandelten Waren. Marx
erörtert dies an dem in Gold ideell ausgedrückten Wertquantum, das seine
reellen Preise in der Geldzirkulation erst finden kann, wenn sich alle
Preise darin als Summe wertadäquat erwiesen haben:
„Die Voraussetzung der Geldzirkulation ist die
Warenzirkulation, und zwar zirkuliert das Geld Waren, die Preise haben,
d.h. ideell schon bestimmten Goldquantitäten gleichgesetzt sind. In
der Preisbestimmung der Waren selbst ist die Wertgröße des als
Maßeinheit dienenden Goldquantums oder der Wert des Goldes als gegeben
vorausgesetzt. Unter dieser Voraussetzung also ist das für die
Zirkulation erheischte Quantum Gold zunächst bestimmt durch die
Gesamtsumme der zu realisierenden Warenpreise. Diese Gesamtsumme selbst
aber ist bestimmt 1. durch den Preisgrad, die relative Höhe oder
Niedrigkeit der in Gold geschätzten Tauschwerte der Waren und 2. durch
die Masse der zu bestimmten Preisen zirkulierenden Waren, also durch
die Masse der Käufe und Verkäufe zu gegebenen Preisen.“ (Karl Marx, MEW 13, 84).
@Wolfram #11:
Keineswegs! „Gesellschaftlich unnötige Arbeit“ ist ja gerade Arbeit, die nicht wertbildend ist, also weder m noch v.
Dass sich die Mehrwertrate in den letzten Jahrzehnten verändert hat, halte ich durchaus für plausibel. Das ist aber eine andere Frage, die mit diesem Artikel nichts zu tun hat.
HHH #14:
Zeit mal wieder Marx zu lesen? Ich empfehle das 21. Kapital von Kapital Band I, zur „einfachen Reproduktion“.
#15:
„Produktive Arbeit“, so wie Marx den Begriff verwendet und ich entsprechend hier ebenso, meint immer nur produktiv innerhalb des und für den Kapitalismus. Ich spreche deshalb auch gern von „wertproduktiv“, zur Abgrenzung von anderen Produktivitätsbegriffen wie z.B. „gebrauchswertproduktiv“ (Gebrauchswerte produzierend). Dass es in anderen Gesellschaften ein anderes Verständnis von Produktivität geben wird, versteht sich von selbst.
Fast richtig. Wie ich geschrieben hatte. Wenn Marx über die spezifische Bedeutung von produktiver Arbeit spricht, wie sie im Kapitalismus „verengt“ wird, (und darum geht es in der Tat im „Kapital“) ist warenwertproduktiv gemeint. Aber selbstverständlich hat er nicht behauptet, dass man produktive Arbeit nicht auch überhistorisch im Hinblick auf Gebrauchswerte im Allgemeinen als produtiv betrachten kann. Im Kapitalismus wird nicht aufgehört als Produkt menschlicher Arbeit Gebrauchswerte herzustellen, wie es in allen denkbaren menschlichen Gesellschaftsformen der Fall sein muss.
Worauf ich hinweisen wollte ist, dass Marx nicht mit starren Arbeits- oder Produktivitätsbegriffen für alle Zeiten und Lebenslagen operiert, sondern die Begriffe kontextbezogen benutzt. (Das gilt übrigens auch für den Gebrauch des Begriffs der „notwendigen Arbeit“ die als Gegenpol zum Mehrwert eine ganz andere Bedeutung hat als im Kontext der Bildung eines gesellschaftklichen Durchschnitts an Warentauschwert)
Innerhalb eines Commons ist produktive Arbeit auch Produktion eines Gebrauchswertes als Produkt, nur eben nicht tauschwertproduktiv.
Marx lesen ist immmer wieder gut, vor allem, wenn es gilt, den Unterschied zwischen „unbezahlter“ und möglicherweise „überflüssiger“ Arbeit zu erkennen.
Zum 21. Kapitel des Band I:
Sollte ich überlesen haben, dass Marx Profiit und Mehrwert gleichsetzt? Kann nicht sein.Dann wären das klassenspezifische Privateigentum an den Produktionsmittel ein Geschenk Gottes (oder des Teufels).
Möglichwerseise meinst du den „Mehrwert, den wir EINSTWEILEN nur
als Konsumtionsfonds des Kapitalisten betrachten…“MEW Bd. 23, S. 592
(Die Hervorhebung ist von mir)
Wir haben dann:
MEW Bd. 23, S. 593
Das ist das, was mit „bezahlter Arbeit“ gemeint ist.
Und der Mehrwert:
MEW Bd. 23, S. 596
„Das Kapital, der Wert, der die wertschöpfende Kraft aussaugt“ ist vor allem in den Produktionsmitteln (außerhalb des eigenen Körpers) vergegenständlicht. Der von den Kapitaleignern verfrühstückte „Fond“ an Lebens- bzw- Luxusgütern ist auch Teil des Mehrwerts, aber der geringere Teil.
Profit aber ist der Teil der produzierten Warentauschwerte, der für den Luxus- und Lebensmittel sowie dem über die „einfache Reproduktion“ hinaus gehenden Investitutionen verausgabt werden kann.
Ist jetzt ein wenig zu spät, die passenden Stellen bei Marx rauszusuchen. Vielleicht ein anderes Mal.
Gruß hh
@Christian #22:
„Keineswegs! „Gesellschaftlich unnötige Arbeit“ ist ja gerade Arbeit, die nicht wertbildend ist, also weder m noch v.“
Was soll das denn sein: „Gesellschaftlich unnötige Arbeit“? Der von Dir hier eingebrachte Begriff (den Marx wohl nicht verwendet haben wird) kann ja nur Privatarbeit für den Haushalt oder das Vergnügen usw. meinen, die keine gesellschaftliche Form eingeht, also nicht gegen Geld getauscht oder zum Gelderwerb (z.B. Arbeitskraft) gebildet wird. Wenn jemand im Internet diskutiert oder Briefmarken sammelt, mag das noch als „gesellschaftlich unnötige Arbeit“ durchgehen, die aber schon dann zu einer gesellschaftlich nützlichen Arbeit wird, wenn seine Sammlung auf irgendeinen Warenmarkt, und sei es nur ein Flohmarkt gerät oder wenn eine Diskussion politische Folgen hat. Selbst die Luxusgüter oder Events, die in den „schlechteren“ oder auch „besseren Sphären“ der Gesellschaft diversen Ergriffenheiten oder Erregungen – oft als reine Kulturgüter oder durch Prostitution – dienen, entsprechen keinen „gesellschaftlich unnötigen Arbeiten“ sobald sie für Geld erstanden werden. Selbst wenn sie nur als Kulturgut privat existieren (z.B. als Ehevertrag oder Kunstgegenstand) sind sie meist dadurch gesellschaftlich nützlich und damit eine Form der Tauschbarkeit, dass sie gesellschaftliche Infrastrukturen überhaupt in Gang halten, also in einer etwas weitergehenden Vermittlung den Warentausch befördern. Es gibt nur den Unterschied von reproduktiver, also notwendiger und produktiver, also Mehrwert bildender Arbeit, die beide in einer entsprechenden Wertform als Geld in Lohn und Kapital getauscht werden, und menschlich nützlich sein können oder auch nur der Kapitalvermehrung nützen.
Was Du mit einer Kategorie wie „Gesellschaftlich unnötige Arbeit“ in diesem Diskussionszusammenhang sagen willst ist mir daher unverständlich.
Christian meint mit „nicht notwendiger Arbeit“ möglicherweise durchaus Arbeit in einem Unternehmen für den Verkauf, wo diese ganz speziellen, persönlich hergestellten Produkte aber auf dem Markt keinen Erfolg hatten, weil Ausschuss, Teil wegen Überproduktion Ladenhüter, zu teuer, zu schlecht usw. Diese Arbeit geht aber, wie Wolfram bereits ausgeführt hatte, sehr wohl in die Wertbildung ein, die ja Bildung eines gesellschaftlichen Durschschnittswertes ist.
Da bei Christian stets Gedanken über eine geeignete „Kapitalismuskritik“ mitschwingt, aus der sich Argumente für eine (vom Verkaufen- und Kaufenmüssen) „befreite Gesellschaft“ ableiten lassen, vermute ich den Gedanken, dass in dieser „befreiten Gesellschaft“ diese „Realabstraktion“ von den INDIVIDUELL nicht erfolgreichen Arbeit aufhörte, und keine Arbeit (soweit das dann noch Arbeit genannt werden kann) umsonst geleistet würde, weil deren Ergebnisse nicht bezahlt werden könnte. Ob meine Vermutung zutrifft, müsste Christian sagen. Ich hielte so eine Sicht für verkürzt.
@HHH #26:
„Christian meint mit „nicht notwendiger Arbeit“ möglicherweise durchaus
Arbeit in einem Unternehmen für den Verkauf, wo diese ganz speziellen,
persönlich hergestellten Produkte aber auf dem Markt keinen Erfolg
hatten, weil Ausschuss, Teil wegen Überproduktion Ladenhüter, zu teuer,
zu schlecht usw.“
Wenn unnütze Arbeit mit „nicht notwendiger Arbeit“ gleichgesetzt wird, dann wird notwendige Arbeit mit nützlicher Arbeit, also reprodutive Arbeit, die nicht unbedingt in der Form von Gebrauchswerten existiert (z.B. Dienstleitungen, Verwaltung, Kinder aufziehen, Ausbildung usw.), mit Gebrauchswert bildender Arbeit verwechselt. Ladenhüter, zu teuere Waren, Überprodukte usw. haben in jedem Fall Arbeit verbraucht, die nur über das Gesamtkapital wertförmig ist, aber über dieses auch tatsächlich verkauft, vermietet oder versteuert wird (vergl. den Mietanteil am Gedamtprodukt oder die Geldrente). Und damit wäre auch die Reproduktion des (konstanten) Kapitals schon unmittelbar warenförmig, ohne dass die Arbeit hierzu im Produktverkauf durch adäquate Verpreisung realisiert werden müsste.
Das vermischt das Verhältnis von Kapital und Arbeit zu einer Kooperation, die ihren Klassencharakter bereits aufgegeben hat, bevor er am Verhältnis Arbeitskraft zu den Lebensmitteln als Produkte des Gesamtkapitals überhaupt wahrnehmbar wäre. Vielleicht erklärt sich hieraus das Problem, warum „alternative Ökonomie“ eine immer noch als „antikapitalistisch“ eingeschätzt wird. Da wird ja Gebrauchswertproduktion schon „von Haus aus“ als gesellschaftliche Produktion interpretiert. Doch gesellschaftlich wird Arbeit in der bürgerlichen Gesellschaft immer nur durch den Verkauf und Kauf von Waren. Und der ist in der „alternativen Ökonomie“ mit dem Einkauf und Verkauf schließlich bruchlos bewahrt. Auch wenn in einer Gesellschaft der Commons massenhaft Tauchroboter und 3D-Drucker eingesetzt und auch selbst erzeugt würden, so wäre die Arbeitsteilung (und damit die bürgerliche Gesellschaft) doch erst überwunden, wenn anstelle einer produktförmig politisch ausgerichteten Ökonomie eine ökonomische Politik das gesellschaftliche Bündnis bestimmt.
Es ist wohl eine Vermischung der warenwertproduktiven Bestimmung von „notwendiger Arbeit“ (und diese falsch, weil nicht aus der Perspektive des Gesamtkapitals sondern aus der eines einzelnen Vorgangs bestimmt) und der klassenspezifischen Bestimmung „notwendiger Arbeit“ (als für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendig aufzubringende Arbeit bzw. Arbeitszeit als Gegenpol zum Mehrwert).
Mit der Produktion von Dienstleitungen, Verwaltung, Kinder aufziehen Ausbildung usw. werden allerdings immer, wenigstens soweit erfolgreich, Gebrauchswerte produziert, auch wenn die Gebrauchswerte nicht in feste Warenkörper (als fixierte Orte des Begehrens) vergegenständlicht sind. Ob mit der Erarbeitung dieser Gebrauchswerte zugleich gesellschaftliche Durchschnittskaufkraft- bzw. Durchschnittsverkaufkraftwerte (Warenwerte) produziert werden, hängt davon ab, ob sie durch einen Kaufakt erworben werden müssen oder nicht.
Die für die Herstellung und dem Ersatz von Produktionsmitteln (außerhalb des eigenen Körpers bzw. der eigenen Verfügung) notwendige Arbeit ist im Kontext der Mehrwertanalyse Arbeit für den Mehrwert und der „notwendigen Arbeit“ entgegengesetzt.
@HHH #28
„Die für die Herstellung und dem Ersatz von Produktionsmitteln … notwendige Arbeit ist im Kontext der Mehrwertanalyse Arbeit für den Mehrwert und der „notwendigen Arbeit“ entgegengesetzt.“
Ich denke, dass die Mehrwert bildende Arbeit einfach nur unbezahlte Arbeit, also durch die Form ihrer Beziehung verausgabte Arbeit ist, – ganz gleich, wie nützlich oder unnütz sie für den Moment sein mag. Ob eine Arbeit notwendig ist oder nicht, das ist dagegen ein inhaltlicher Bezug auf den historisch gegebenen Lebensstandard, der nur mit Not unterschritten werden kann. Der „Ersatz von Produktionsmitteln“ geschieht gänzlich unabhängig hiervon durch die Wertrealisation in den Waren, die zu einem Teil den Verschleiß von Prdoktionsmittel finanziert, weil der „pro toto“ in ihre Erzeugnung eingeht – so jedenfalls die Theorie von Marx.
@Wolfram #25 / #27:
Ja, genau um diese Arbeit ging es mir in der Bemerkung — Arbeit, die zwar zum Zwecke der Kapitalvermehrung eingekauft wurde, aber dummerweise trotzdem nicht oder nur teilweise wertproduktiv war, weil die Verwertung ganz oder teilweise gescheitert ist (das Produkt hat sich als unverkäuflich erwiesen oder musste verramscht werden) oder weil die Produktion nicht gemäß dem aktuellen Stand der Technik erfolgte.
Daniel hatte eine Frage gestellt, die ich so verstanden habe, dass er auf genau diesen Punkt hinaus will — dass man der in z.B. einer bestimmten Fabrik geleisteten Arbeit ja nicht ansieht, ob sie wirklich wertproduktiv ist, weil sich das erst mit dem gelingenden Verkauf der Produkte herausstellen wird. Und dass Arbeiterinnen in einer Fabrik mit veralteter Technik vielleicht nur halb soviel Wert produzieren wie die in einer topmodernen Fabrik, obwohl sie genauso lange arbeiten.
Ich habe darauf geantwortet, dass es all das natürlich gibt, ich es aber bezüglich der Frage nach einem „Schrumpfen der Wertmasse“ à la Krisis für wenig relevant halte, weil ich keinen Grund dafür sehe, warum diese ungewollten Ineffizienzen in den letzten Jahrzehnten signifikant zugenommen haben sollten. Das ist alles.
@Wolfram 29
🙂
Ja an dem Punkt haben du und Christian natürlich recht. Tatsächlich ist Mehrwert lediglich der im Produktionsprozess über den Wert der Arbeitskraft neu hinzu gefügte gesellschaftliche Warentauschwert entsprechend der im kapitalsitischen Produktionsprozess verkonsumierten „unbezahlten Arbeitszeit“. Und der Wert der Produktionsmittel wird dabei auf den durchschnittlichen Warenwert der hergestellten Warne übertragen.
Meine Gedanken waren wohl bei dem Kapitel über die Ausbeutungsrate gewesen wo es um die Aufteilung der der beiden Teile (man könnte auch Klassen sagen) des Kapitals c und v geht.
MEW Bd. 23, S. 229
Hier übrigens zur „notwendigen Arbeit“:
MEW Bd. 23, S. 230-231
MEW Bd. 23, S. 231-232
Er führt dann aus , dass die Nationalökonomie den Mehrwert gern auf das gesamte eingesetzte Kapital (also nicht nur für v sondern auch für c investierte Kapital) bezieht und die „Mehrwertrate“ (in Wirklichkeit die Profitrate) dadurch hübsch klein erscheint.
Hier haben wir auch den Unterschied zwischen Profitrate und Mehrwertrate.
Was mir im Hinterkopf war, als ich darauf hinwies, dass ohne Mehrwert nicht nurkein zusätzliches Kapital akkumuliert werden könnte sondern auch die einfache Reproduktion nicht funktionierte war das:
MEW Bd. 23, S. 595-596
In einer E-Mail-Diskussion habe ich noch etwas zu der Frage geschrieben, ob Zirkulationsarbeiten (Verkauf u.ä.) nicht lediglich als „Abzug vom Mehrwert“ anzusehen sind statt selbst wertbildend zu sein. Zur Dokumentation veröffentliche ich hier meine Argumentation, warum ich den Unterschied zwischen „echt produktiver“ wertbildender Arbeit und bloßem „Abzug vom Mehrwert“ inzwischen nicht mehr einleuchtend finde:
Als „Abzug vom Mehrwert“ kann letztlich alles angesehen werden, was die Arbeiterin konsumiert — je höher der Wert (bzw. der im gesellschaftlichen Durchschnitt nötige Produktionsaufwand) der von den Arbeitern konsumierten Güter, desto geringer der relative Mehrwert. Deshalb erscheint es mir vernünftig, den im gesellschaftlichen Durchschnitt nötigen Produktionsaufwand dieser Waren als ihren Wert anzunehmen, statt willkürlich einen Teil der nötigen Arbeiten außen vor zu lassen.
Sprich wenn der im gesellschaftlichen Durchschnitt nötige Produktionsaufwand für die von den Arbeitern konsumierten Waren je 32 Stunden (pro Woche) beträgt (inkl. Werbung, Verkaufsarbeit etc.), würde ich auch ihren Wert auf 32 Stunden setzen. Bei 40 Stunden Wochenarbeitszeit ergibt sich ein relativer Mehrwert von 8/32, d.h. 25%.
Wenn man nun sagt, der „wirkliche Wert“ der von den Arbeitern konsumierten Waren betrage nur 30 Stunden und die anderen 2 Stunden (für Werbung, Verkaufsarbeit u.ä.) seien lediglich „Abzug vom Mehrwert“, was wäre dadurch geändert? Der relative Mehrwert, der real bei der Kapitalistin ankommt, auf jeden Fall nicht — er bliebe bei 25%.
Und natürlich ist es für den Kapitalisten schön, wenn sein relativer Mehrwert steigt, weil sich der durchschnittliche Produktionsaufwand auf z.B. 31 Stunden verringert. (Dann würde sein Mehrwert auf 9/31 = 29% steigen.) Aber wo ein Stündchen eingespart wird, ob in der Fabrik oder beim Verkauf, spielt für ihn überhaupt keine Rolle. Auch das scheint mir ein Indiz dafür, dass diese Unterscheidung willkürlich ist und aufgegeben werden muss.
Ich muss gestehen, dass ich den Verlauf nicht ganz verständlich finde, aber selbst zwischen den Diskussionsteilnehmern schien und scheint es Missverständnisse zu geben.
Um den ursprünglichen Zweck (die empirische Prüfung des Verhaltens der Wertmasse) noch mal in den Mittelpunkt zu bringen: Die Diskussion aller nachfolgenden Artikel schien mir immer um die Entwicklung theoretischer Kategorien bemüht, die für eine solche Überprüfung adäquat sind. Die Kommentare unter diesem Artikel behandeln für meinen Geschmack aber mehr marxsches Klein-Klein, statt einen Schritt zurückzutreten und das Ganze von weiter weg, also weniger detailreich, zu betrachten. (Oder ich verstehs nicht. Dann erklärt’s bitte verständlicher ;-))
Dazu kamen für mich zwei neue Krisis-Artikel, aus denen ich die Krisis-Position noch einmal klarer herauszulesen erhoffte. Vor allem in diesem fand ich im Abschnitt 6 eine Stelle, die bemerkenswert zu unserer Diskussion hier passt: Norbert Trenkle stuft die Realisation des Wertes als der Produktion nachgelagert ein, wenn er (im Zusammenhang mit der Erwartungshaltung bei der Bildung von fiktivem Kapital) schreibt: „Es spielt keine Rolle […], ob durch die Anwendung von Arbeitskraft tatsächlich Mehrwert geschaffen wird (wie etwa in der industriellen Produktion) oder der bereits produzierte Wert nur umverteilt oder realisiert wird (wie im Handel).“ Und er erklärt, „wie weltweit ein so breiter Dienstleistungssektor entstehen konnte, der großenteils keinen Mehrwert erzeugt und daher als Grundlage für die kapitalistische Verwertung vollkommen ungeeignet ist.“
Zumindest ich (und anscheinend auch Christian) sehe(n) das wohl anders. Aber das ist interessant.
Mehr will ich erst einmal nicht beitragen, da ich mich begrifflich ein wenig zurückgeworfen fühle und vom Verständnis her keinen festen Boden unter den Füßen spüre. Unter anderem liegts wohl daran, dass wir hier über den Wert sprechen, als wäre er eine fassbare Größe, obwohl schon Marx ihn ja gerade nicht an der greifbaren Oberfläche verortet. Und bei H.-G. Backhaus wurde ich dafür sensibilisiert, dass der Wert weder eine objektive noch eine subjektive Größe ist und quasi in ein Drittes gehört… drum versuche ich mir in dieser Debatte über den Umweg der Phänomenologie einen Reim zu machen.. Nunja.
Sagte er und blickte ratlos in die Runde.
Achso, zur Krisis-Position kann man grundsätzlich noch festhalten, dass die Autoren sich vor allem dem Finanzkapital zuwenden. Die Krise der Realwirtschaft wird gar nicht allzu stark thematisiert; nur mehr oder weniger stumm vorausgesetzt. Genau darin scheint mir aber der Dissenz zwischen den Überlegungen hier und der Krisis-Position zu liegen.
Die Gedanken zum fiktiven Kapital sind ja schlüssig; bloß müssen wir eine Ebene darunter ansetzen, wenn wir die Frage nach der Kategorie der Wertproduktivität stellen wollen.
@Daniel #34
„Die Gedanken zum fiktiven Kapital sind ja schlüssig; bloß müssen wir eine Ebene darunter ansetzen, wenn wir die Frage nach der Kategorie der Wertproduktivität stellen wollen.“
Vielleicht ist gerade dies das Missverständnis, dass zwischen der „Frage nach der Wertproduktivität“ und der Frage nach der erst seit der Globalisierung und der Entwicklungen in der EU (siehe Griechenland) die zum Brennpunkt gewordene „Rücksichtslosigkeit gegenüber den Arbeits- und Lebensbedingungen“ (Trenkle) der Menschen nicht unterschieden wird. Das zeigt sich doch allerorten weltweit in den gigantischen Staatsverschuldungen, die den gesellschaftlichen Niedergang der Realwirtschaft auf der einen Seite evoziieren und dem Aufblühen eines de facto uferlosen Schuldgeldsystems dienen.
In dem von dir zitierten Artikel von Norbert Trenkle geht es darum, zu „verstehen, wieso die Rücksichtslosigkeit gegenüber den Arbeits- und Lebensbedingungen und der sinnlich-stofflichen Welt in der Ära des fiktiven Kapitals eine neue, negative Qualität annimmt. War die Produktion des stofflichen Reichtums bis zum Ende des Fordismus zwar nur ein äußerliches Mittel für die Vermehrung des abstrakten Reichtums, so implizierte dies doch immerhin noch eine direkte, wenn auch instrumentelle Beziehung. Die Gütermarktwaren waren unentbehrlich als Repräsentanten vergangener abstrakter Arbeit und mithin von Wert und Mehrwert.“ (Trenkle)
Ich meine, dass gerade deshalb auch keine „empirische Prüfung des Verhaltens der Wertmasse“ quantitativ möglich ist, weil Wert nicht in einfach messbaren Größen auftritt, wie es die Anhänger des Monetarismus in einer inzwischen absurd gewordenen Intensität versuchen (eben als Beleg ihrer absurden Vorstellung nötig haben) und daher aus der Volkswirtschaft eine betriebswirtschaftliche Rechnung machen wollen. Sie scheitern schon notwendig an der langen Kette der Kreditversicherungen, die nach einigen Schätzungen über 90% der nominierten Wertmasse ausmachen.
Der Wert tritt immer nur in der Diskrepanz zwischen Arbeitsprozess und Zirkulationsprozess auf und erweist sich als prozessierender Widerspruch zwischen seinem Dasein im einzelnen Produkt als Preis und der gesamten zirkulierenden Wertmasse einer Produktion, deren Realisation prinzipiell nicht vollständig möglich ist (siehe Fall der Profitrate).
Ich auch :-).
Ist ja eine furchtbar physiokratische Sicht.
Der gesellschaftliche Durchschnittswarentauschwert ist natürlich nicht messbar. Messbar sind lediglich die aus Produktionskosten, Gewinnerwartung und Marktbeobachtung konstruierten Preise. Die Konkurrenz lässt sie um den Wert oszillieren und deren Auf und Ab bewirken zugleich auch seine Veränderungen. Bewirken, nicht verursachen. Die Ursachen von Wertveränderungen sind immer noch Produktivitätsveränderungen.
@HHH #27
„Die Ursachen von Wertveränderungen sind immer noch Produktivitätsveränderungen.“
.. und Beschleunigungen im Kapitalumlauf, also in der Realisierungszeit zwischen (im Grunde unfertiger) Produktion und verkaufbarem Endprodukt (siehe z.B. die darin begründete Produktivität der Transportwesens, wie oben zitiert).
Im Artikel von Trenkle geht es noch um was anderes: um die Wirkungen des natürlich für sich genommen unproduktiven fiktiven Kapitals. Weil das nicht beachtet wurde, war er hier falsch zitiert worden (warum wurde der Link entfernt?). Ausführlich heißt es dort:
„Es spielt übrigens keine Rolle, ob die induzierten realwirtschaftlichen
Aktivitäten im strengen Sinne wertproduktiv sind oder nicht, also ob
durch die Anwendung von Arbeitskraft tatsächlich Mehrwert geschaffen
wird (wie etwa in der industriellen Produktion) oder der bereits
produzierte Wert nur umverteilt oder realisiert wird (wie im Handel).
Denn da diese Unterscheidung in der gängigen, oberflächlichen
Wahrnehmung des wirtschaftlichen Kreislaufs gar nicht vorkommt, spielt
sie auch für die Erzeugung von Erwartungen keine Rolle. Entscheidend ist
allein, dass die vorweggenommenen Gewinnversprechen irgendeinen
Referenzpunkt in der Realwirtschaft haben. Daraus erklärt sich auch, wie
weltweit ein so breiter Dienstleistungssektor entstehen konnte, der
großenteils keinen Mehrwert erzeugt und daher als Grundlage für die
kapitalistische Verwertung vollkommen ungeeignet ist. Für die Produktion
von „Phantasien an den Märkten“, wie es im Börsenjargon so offenherzig
heißt, taugen jedoch die steigenden Werbeeinnahmen von Google und
Facebook jedoch genauso wenig wie die Fertigung von Elektroautos oder
Windkraftanlagen. Auch die massenhafte Kapitalisierung von Grund und
Boden sowie von Eigentumsrechten auf Wissen (in Form von Patenten und
Lizenzen) ist nur möglich durch den kontinuierlichen Zufluss von
fiktivem Kapital und stellt zugleich einen zentralen Referenzpunkt für
die Erwartung auf ständig sprudelnde Gewinne dar.“
Man kann auch sagen, dass Ausbeutung über die Zirkulation im Nachhinein der Produktion durch Lohnabzüge mittels Mieten und Gebühren möglich sind, solange alle an die Kapitalentwicklung glauben und Immobilien noch Mieten einbringen. Das aber bestreitet ja nicht, dass der Wert letztlich aus der Produktion entnommen wird.
Trenke argumentiert in der Tat physiokratisch. Die Aussage, dass „der Dienstleistungssektor größtenteils keinen Mehrwert produziert“ ist grotesk. Solange eine Dienstleistung (wie etwa Werbung) nicht nur vereinzelt eingesetzt wird sondern gesellschaftliche Notwendigkeit geworden ist, ist die hier zugesetzte durchschnittliche gesellschaftliche Arbeitszeit natürlich Bestandteil des Warenwertes.
Es scheint mit wichtig, die Mechanismen zu verstehen, die den gesellschaftlichen Durchschnittswarentauschwert tatsächlich konstruieren. Es muss zunächst einmal freie Konkurrenz unterstellt werden, um zu verstehen, wie und warum das Spiel von Angebot und Nachfrage stets diesen, aus den Produktionsbedingungen erwachsenen gesellschaftlichen Warenwert herstellen muss.
Was jetzt das Verständnis schwer macht:
Es wird auch durch (temporäre) Monopolisierung eines Gebrauchswertes, (z.B. einer Wohnung) also durch teilweise Fehlen dieses Ausgleichmechanismus des freien Marktes und damit der Wirkmächtgkeit der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit Tauschwerte produziert . Hier ist dann die Frage, ob das bezüglich des gesellschaftlichen Durchschnittswarentauschwertes eine rein kanibalistische Angelegenheit ist.
@HHH #39:
„Die Aussage, dass „der Dienstleistungssektor größtenteils keinen Mehrwert produziert“ ist grotesk.“
Was ist der Dienstleistungssektor größtenteils?
Das Bankenwesen!
Nunja, das Bankwesen 😉
„Das Kreditwesen beschleunigt daher die materielle Entwicklung der Produktivkräfte und die Herstellung des Weltmarkts, die als materielle Grundlagen der neuen Produktionsform bis auf einen gewissen Höhegrad herzustellen, die historische Aufgabe der kapitalistischen Produktionsweise ist.
Gleichzeitig beschleunigt der Kredit die gewaltsamen Ausbrüche dieses Widerspruchs, die Krisen, und damit die Elemente der Auflösung der alten Produktionsweise.Die dem Kreditsystem immanenten doppelseitigen
Charaktere: einerseits die Triebfeder der kapitalistischen Produktion,
Bereicherung durch Ausbeutung fremder Arbeit, zum reinsten und
kolossalsten Spiel- und Schwindelsystem zu entwickeln und die Zahl der
den gesellschaftlichen Reichtum ausbeutenden Wenigen immer mehr zu
beschränken; andrerseits aber die Übergangsform zu einer neuen
Produktionsweise zu bilden, – diese Doppelseitigkeit ist es, die den
Hauptverkündern des Kredits von Law bis Isaak Péreire ihren angenehmen
Mischcharakter von Schwindler und Prophet gibt.“
Marx: Das Kapital, MEW Bd. 25, S. 457
An diesem Zitat wird nur deutlich, was du unter der „Produktion von Mehrwert“ verstehst, wenn du es in dem hier entwickelten Zusammenhang gebrauchst.
@Daniel #33:
Also dass Norbert Trenkle meint, dass der „Dienstleistungssektor […] großenteils keinen Mehrwert erzeugt“, finde ich auch seltsam. Das passt nicht zu Marx‘ eigener Argumentation (Schulmeister-Beispiel) und wird von Trenkle, soweit ich das sehe, auch nirgendwo ernsthaft begründet.
Manchmal scheint mir bei der Krisis da der Wunsch Vater des Gedankens zu sein — wenn mehr und mehr Arbeit in Form von Dienstleistungen erbracht wird und man zeigen will, dass die insgesamt produzierte Wertmasse schrumpft, werden die Dienstleistungen dann eben für „großenteils“ unproduktiv erklärt. Sinnvoller wäre es ja wohl, die Sache andersherum aufzuziehen!
Was den Wert betrifft, würde ich sagen, dass er keine direkt messbare, sehr wohl aber eine fassbare Größe ist. Und auch eine abschätzbare, auch wenn solche Abschätzungen notgedrungen immer ungenau sein werden.
Auch im Rechnungswesen (also der Teil im kapitalistischen System, der „Wert“ bewertet und Zahlen daraus macht) wird nicht zwischen Dienstleistung und materiellem Ding unterschieden.
Wenn Kraus Maffei einen Pfarrer für eine Weihnachtspredigt bestellt, wird die darauf folgende Spende an die Kirche also in den Verkaufspreis der Mordinstrumente übernommen.
Eigentlich wird inzwischen alle menschliche Arbeit ver“wertet“. Was noch fehlt, wäre eine Buchhaltung für Familien. Die könnten dann ihre bisher informelle Erziehungs-Arbeit in echten Wert wandeln und den zukünftigen Arbeitgebern der Kids in Rechnung stellen.
@J. Kramer #44:
„Eigentlich wird inzwischen alle menschliche Arbeit ver“wertet“.“
Dann wäre ja alles nicht nötig, was die Krisen des Kapitals betrifft. Der Kapitalismus würde prima und ewig funktionieren können. Der Nachteil der Lohnabhängigkeit lässt sich dann ja auch in Kauf nehmen, weil der Vorteil der Wertsicherheit doch offensichtlich bliebe. Arbeit für Geld, – wo ist da dann das Problem, wenn Arbeit ihren Wert behält?
Aber gerade die Verwertung der Arbeit macht doch das Problem, wenn sie nicht produktiv genug ist, um das umlaufende Geld in Wert zu halten und besonders um die Kredite und das Fiktive Kapital zu finanzieren. Und da macht es einen Unterschied, ob ich Geld nur zähle und verrechne, oder ob es durch Wertbildung produktiv erhalten und vermehrt werden muss. Nur produktive Arbeit erzeugt das hierfür nötige Wertwachstum und dabei spielen Dienstleistungen nur innerhalb der organischen Wertproduktivität, also als Teil der Kapitalproduktion eine Rolle (Verkürzung der Produktbildung), die meisten dienen nur der Wertrealisierung (Verwaltung, Werbung usw.), nicht der Werterzeugung.
Unsinn, ich sprach explizit über Dienstleistungen wie etwa Werbung, insofern für alle Konkurrenten zur Notwendigkeit geworden. (Deshalb werden etwa die Rundfunkgebühren für die Privaten an der Ladenkasse mitgezahlt).
Arbeit hat Wert? Der Wert der Arbeitskräfte kann bekanntlich sinken und dennoch ihr Lebensstandard zunehmen. Aber selbst bei Steigerung des Konsumniveaus und sogar des Freizeitwerts (weil Lohnarbeit innerhalb kapitalistischer Konkurrenzverhältnisse einschließlich deren nationalstaatlichen Regulierung die Produktivkraftentwicklung antreibt), kann Lohnarbeit in vielerlei Hinsicht zum Problem werden – nämlich als Bedingung der Steigerung von Raubbau (bzw., was nur ein anderes Wort ist, des Mangels an Nachhaltigkeit) . Das wesentliche Problem von Lohnarbeit ist doch, dass die existenzielle Abhängigkeit vom Geschäftserfolg der Institutionen, die ihre Arbeitskraft für ihnen fremde Zwecke ausbeuten kein gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch rationales Nachhaltigkeitsmanagement erlaubt.
@ HHH #47
„Das wesentliche Problem von Lohnarbeit ist doch, dass die existenzielle
Abhängigkeit vom Geschäftserfolg der Institutionen, die ihre
Arbeitskraft für ihnen fremde Zwecke ausbeuten kein
gesamtgesellschaftlich bzw. ökologisch rationales
Nachhaltigkeitsmanagement erlaubt.“
Das wesentliche Problem der Lohnarbeit ist doch, dass ihre existenzielle Abhängigkeit von der Wertbildung ihrer Reproduktion die Produktion von Mehrwert erwirkt, dem sie unterworfen ist und der als Entfremdungsmacht über alle Verhältnisse – ganz gleich, ob ökologisch oder ökonomich – herrscht.
Ja so kann man es auch sagen.