Werkzeugkasten
[Repost aus dem Magazin prager frühling zum Schwerpunktthema der Commons]
Kämpfe um Commons in der Praxis
Kämpfe um Commons finden auch in Deutschland im großen Rahmen statt. Drei Beispiele, die Hunderttausende betreffen.
Energiedemokratie
Praxisbeispiele in der einschlägigen Literatur zu Commons beziehen sich oft auf Gemeingüter, die von sehr kleinen, lokal eng begrenzten Gemeinschaften genutzt werden. Der Gesetzentwurf des Berliner Energietischs, über den die Berlinerinnen und Berliner im November 2013 abstimmten, enthielt hingegen Vorschläge für Demokratisierung bei der Bereitstellung der Grundversorgung einer Millionenstadt.
Im Verwaltungsrat des zu gründenden Stadtwerks sollten nicht nur sieben ArbeitnehmerInnenvertreterInnen, sondern auch sechs direkt gewählte Mitglieder sitzen. Als Vorbild nennt Sprecher Stefan Taschner die Stadtwerke von Sacramento, SMUD. Diese hatten bereits in den 1980er Jahren nach einer Volksabstimmung das stadteigene Atomkraftwerk Rancho Seco stillgelegt und entwickelten sich seither zu einem Vorreiter ökologischer Energiewirtschaft. Zum ökologischen Aspekt, kommt auch ein demokratischer. Die Mitglieder des „Board of Directors“ des SMUD werden direkt gewählt, wobei jedes Mitglied einen Stadtbezirk vertritt.
Neben der Repräsentation durch direkte gewählte Verwaltungsratsmitglieder, sah der Gesetzentwurf des Berliner Energietischs ein Initiativrecht von BürgerInnen gegenüber dem Verwaltungsrat vor. Jährliche Versammlungen sollten der Erörterung der Angelegenheiten der jeweiligen Anstalten dienen.
In Berlin sprach sich im vergangenen Jahr die überwältigende Mehrheit für den Gesetzentwurf des Berliner Energietischs aus, das Mindestquorum wurde aber um 0,9 Prozentpunkte knapp verfehlt. Nach dem Scheitern des Volksentscheids hat die mediale Aufmerksamkeit für die Forderungen des Berliner Energietischs nachgelassen. Seine Forderungen bleiben jedoch aktuell. Der Senat hat schließlich beschlossen nun doch mit einer Tochtergesellschaft der Wasserwerke in die Produktion erneuerbarer Energie einzusteigen.
Die Rechtsgrundlage, das Berliner Betriebe-Gesetz, lässt zwar einen Beirat zu. Dieser hat jedoch lediglich beratende Funktion und kann nur vom senatsdominierten Aufsichtsrat eingesetzt werden.
(Mehr zu den Plänen des Energietischs in unserem Interview mit Stefan Taschner)
ÖPNV für alle
Das wäre schön: Einfach so, ohne Kleingeld und lästige Fahrschein-Automaten in Bus und Bahn einsteigen, motorisierten Individualverkehr reduzieren, Klima schonen und Unfälle vermeiden; niemand muss mehr schwarzfahren oder gar deshalb in den Knast. All das ist möglich mit fahrscheinlosem öffentlichem Personennahverkehr. Der ist nicht umsonst, aber überaus preiswert: für die Gesellschaft/Volkswirtschaft ist es viel günstiger, Autoverkehr zu vermeiden und statt dessen Fuß- Fahrrad- und öffentlichen Verkehr zu fördern. Und Modelle für solidarische Finanzierung liegen auf dem Tisch[1]. Über 60 Städte mit freiem öffentlichen Personennahverkehr gibt es weltweit [2]. Unter dem Motto „liberté, egalité, graduité“ haben 18 Regionen in Frankreich kostenlosen ÖPNV eingeführt, den vor allem die Unternehmen per Nahverkehrsabgabe bezahlen. Die Erfolgsgeschichte von Semestertickets, freie Nutzung der „Öffis“ im Tourismus (via Kurtaxe) oder bei Festivals zeigt: diese Utopie ist machbar.
Hier zu Lande sind eine Reihe Initiativen entstanden – angestoßen von LINKEN oder Piraten, Sozial- und Antiprivatisierungsbündnissen, Klima- oder Asyl-Aktiven. Das Netzwerk Solidarische Mobilität hat dazu einiges zusammengestellt.[3] Zur Fachtagung der Bundestagsfraktion der LINKEn im Juni 2014 sind über 80 Interessierte gekommen – „Cross-Over-Publikum“ aus der ganzen Republik.
Der Nulltarif im ÖPNV lässt sich als Vergesellschaftung öffentlicher Infrastruktur darstellen. Er erleichtert die Teilhabe. Er ist, wie die Beispiele belgischen Hasselt und im estnischen Tallinn zeigen, ökologisch und ökonomisch sinnvoll. (Wie man einen fahrscheinlosen ÖPNV konkret einführt, hat Sabine Leidig am Beispiel von Bremen exemplarisch ausgearbeitet.)
Das Tempelhofer Feld – Boden für alle
355 Hektar leerer Raum mitten in der Stadt. Lande- und Startbahn sowie ein Flughafengebäude aus vergangenen Zeiten. Ansonsten nichts außer Wiese, Büschen und einem weitem Horizont.
Von den Berliner_innen wurde diese Fläche nach dem Ende der Flughafennutzung schnell in Beschlag genommen. Es ist der städtische Raum für die raumgreifenden Dinge. Kitesurfing, Rennradeln, Modellfliegen, Marathonlaufen werden hier betrieben. Urbane Gärtner_innen legten Beete an und züchteten Gemüse, Obst und Blumen. Gegrillt wird selbstverständlich und auch gechillt. Annett Gröschner hat das Tempelhofer Feld als Möglichkeitsraum, als „Probierzimmer“ der Berliner_innen beschrieben. Was würdest du machen, wenn du Platz im Überfluss hast? Für jemanden in der Uckermark eine alltägliche, vielleicht quälend langweilige Frage, für jemanden aus Neukölln eine sehr besondere.
In einer sich verdichtenden Innenstadt wird die pure Fläche zum unschätzbaren Gemeingut. Das Tempelhofer Feld ist die Möglichkeit des Luftholens für alle im hektischen Alltag. Auch im wörtlichen Sinne: es trägt als Kaltluftentstehungsgebiet dazu bei, das Klima erträglich zu halten.
Die Bewegung für ein Freihalten des Feldes wurde aus den unterschiedlichsten Richtungen getragen – grundsätzlichen stadtpolitischen, aber auch ökologischen und lokalen Beweggründen. Und so erlaubte der erfolgreich volksabgestimmte Gesetzentwurf des Bündnisses „THF 100“ gerade die Nutzungen des Feldes, die es zum Gemeingut deklarierten. Die Tätigkeiten der Vielen sollten möglich sein. Grundlegende und vor allem dauerhafte Veränderungen durch wenige jedoch nicht. Insbesondere wurden Neubauten und sonstige Privatisierungsschritte ausgeschlossen. Ebenso soll es keine Einzäunungen geben, die den Raum verknappen könnten. Regeln, die dort gelten, könnten Vorbild für andere Güter werden. 739 124 Berliner_innen gefällt das.
Verweise
[1] Ganz aktuell dazu die Studie des DIfU (Deutsches Institut für Urbanistik): „Finanzierung des ÖPNV durch Beiträge“
[2] Eine Übersicht gibt es unter freepublictransports.com wo 68 Städte aufgeführt sind.
[3] Verschiedene Initiativen auf Solimob.de.