Wiederaneignung des Gemeinsamen im Kommunismus
[Translation of »Reclaim the common in communism« by Michael Hardt]
Kapitalismus und Sozialismus zeigen die Welt als privates oder öffentliches Eigentum. Die gemeinsame immaterielle Schöpfung bietet eine Aternative.
Die Finanzkrise, die im Herbst 2008 erplodierte, hat die vorherrschenden Sichten auf Kapitalismus und Sozialismus umgeordnet. Bis vor Kurzem wurde jede Kritik neoliberaler Strategien der Deregulation, Privatisierung und Abbau von Wohlfahrtstrukturen — geschweige denn des Kapitals selbst — in den dominanten Medien als aberwitzig ausgegeben. Im Frühjahr 2009 jedoch verkündete Newsweek auf der Titelseite, nur teilweise ironisch: »Wir sind nun alle Sozialisten«. Die Herrschaft des Kapital stand plötzlich offen in Frage, von links bis rechts, zumindest für einige Zeit schien eine gewisse Form sozialistischer oder Keynsianistischer Staatsregulation und -Verwaltung unvermeidlich.
Wir müssen uns jedoch außerhalb dieser Alternative umsehen. Zu oft schien es so, als ob unsere einzige Wahl die zwischen Kapitalismus oder Sozialismus ist, zwischen der Herrschaft des Privateigentums und der des öffentlichen Eigentums, so dass das einzge Heilmittel für die Krankheiten der Staatskontrolle die Privatisierung und für die Krankheiten des Kapitals die Verstaatlichung, die Staatsregulation, ist. Wir müssen eine andere Alternative untersuchen: weder das Privateigentum des Kapitalismus, noch das öffentliche Eigentum des Sozialismus, sondern das Gemeinsame des Kommunismus.
Viele zentrale Konzepte unseres politischen Vokabulars, einschließlich Kommunismus wie auch Demokratie und Freiheit, wurden so korrumpiert, dass sie weitgehend unbrauchbar sind. In der üblichen Verwendung bedeutet Kommunismus tatsächlich inzwischen sein Gegenteil, nämlich die totale Kontrolle des ökonomischen und sozialen Lebens. Sicherlich könnten wir diese Begriffe aufgeben und neue einführen, aber wir würden auch die lange Geschichte der Kämpfe, Träume und Sehnsüchte zurücklassen, die damit verbunden sind. Ich denke, es ist besser um diese Konzepte selbst zu kampfen, um sie wiederherzustellen oder ihre Bedeutung zu erneuern.
Einer der Gründe, warum die kommunistischen Hypothesen der vorherigen Epochen nicht länger gültig sind, ist die Veränderung der Zusammensetzung des Kapitals — sowohl hinsichtlich der Bedingungen wie auch der Produkte der kapitalistischen Produktion. Wie produzieren die Menschen innerhalb und außerhalb des Arbeitsplatzes? Was produzieren sie und unter welchen Bedingungen? Wie ist die produktive Kooperation organisiert? Und wie ist die Teilung von Arbeit und Macht beschaffen, die die Menschen entlang von Gender- und ethnischen Linien und in lokale, regionale und globale Kontexte trennt?
Seit Mitte des 19. Jahrhunderts hat die große Industrie die hegemoniale Postion innerhalb der Gesellschaft inne — nicht in dem Sinne, dass die meisten Menschen in Fabriken arbeiten (tatsächlich tat dies nur ein kleiner Prozentsatz, auch in den dominierenden Ländern), sondern eher darin, dass die Eigenschaften der Industrie zunehmend auf die anderen ökonomischen Sektoren und letztlich die Gesellschaft selbst ausgedehnt wurden. Heute jedoch ist klar, dass die Industrie eine solche hegemoniale Position nicht mehr inne hat. Das bedeutet nicht, dass heute weniger Menschen in Fabriken arbeiten als vor 10 oder 20 oder 50 Jahren — obwohl sich ihre Orte zur anderen Seite der globalen Teilungen von Arbeit und Macht verschoben haben. Noch einmal: Die Behauptung ist nicht primär eine quantitative, sondern eine qualitalitive. Die Industrie stülpt nicht länger den anderen Sektoren der Ökonomie und allgemein den sozialen Verhältnissen ihre Eigenschaften über. Das scheint mir eine relativ unstrittige Feststellung zu sein.
Mehr Widerspruch kommt auf, wenn man eine andere Form der Produktion als Nachfolger der Industrie als Dominante vorschlägt. Toni Negri und ich argumentieren, dass sich die immaterielle oder biopolitische Produktion in diese hegemoniale Position hinein entwickelt — die Produktion von Ideen, Informationen, Bildern, Wissen, Code, Sprachen, sozialen Beziehungen, Affekten und dergleichen. Das bestimmt die Berufe durch die Ökonomie hindurch, von den Spitzen bis nach unten, von Beschäftigten im Gesundheitswesen, Flugbegleitern und Ausbildern bis zu Software-Entwicklern, und von Fastfood- und Callcenter-Arbeitern bis zu Designern und Werbefachleuten. Die meisten Formen dieser Produktion sind sicherlich nicht neu, aber die Kohärenz zwischen ihnen ist vielleicht eher wahrnehmbar und, noch wichtiger, ihre Eigenschaften werden tendenziell über die anderen Sektoren der Ökonomie und über die Gesellschaft als Ganzer ausgedehnt. Die Industrie wurde informationalisiert: Wissen, Code und Bilder werden durch alle traditionellen Sektoren der Produktion hindurch immer wichtiger, und die Produktion von Affekten und Zuwendung wird im Verwertungsprozess zunehmend entscheidend.
Marx beobachtete parallel zum Aufstieg zur Dominanz der industriellen Produktion einen Kampf zwischen zwei Formen des Eigentums: immobiles Eigentum (wie Land) und bewegliches Eigentum (wie materielle Waren). Mit dem Aufstieg der biopolitischen Ökonomie verläuft der Kampf heute zwischen dem materiellen Eigentum und dem immateriellen Eigentum. Oder um es anders auszudrücken: Während Marx aich auf die Mobilität des Eigentums konzentrierte, geht es heute um Knappheit und Reproduzierbarkeit, so dass der Kampf zwischen exklusivem und geteiltem Eigentum verläuft. Nehmen wir zum Beispiel die Debatten über Patente, Coppyrights, indigenes Wissen, genetischen Code und die Information im Keimplasma der Saaten. Genauso wie Marx sah, dass Beweglichkeit notwendigerweise über Unbeweglichkeit triumphierte, so sehen wir heute den immateriellen Triumpf über das Materielle, das Reproduzierbare über das Unreproduzierbare und das Geteilte über das Exklusive.
Die entstehende Dominanz der Eigentumsform ist signifikant, teilweise, weil es den zentralen Konflikt zwischen dem Gemeinamen und dem Eigentum als solchem zeigt und zu ihm zurückkehrt. Ideen, Bilder, Wissen, Code, Sprachen und auch Affekte können privatisiert und als Eigentum kontrolliert werden, aber es ist viel schwieriger das Eigentum zu überwachen, da es so einfach geteilt und reproduziert werden kann. Es gibt einen konstanten Druck dieser Güter den Grenzen des Eigentum zu entkommen und zum Gemeinsamen zu werden. Wenn du eine Idee hast, dann reduziert das Teilen die Nützlichkeit für dich nicht, sondern meist erhöht es sie. Tatsächlich müssen Ideen, Bilder und Affelte Gemeinsames sein und geteilt werden, damit sie ihre maximale Produktivität entfalten. Wenn sie privatisiert werden, dann reduziert sich ihre Produktivität dramatisch — und, so möchte ich hinzufügen, die Umwandlung des Gemeinsamen in öffentliches Eigentum, das der staatlichen Kontrolle und Verwaltung unterworfen ist, reduziert die Produktivität in ähnlicher Weise. Eigentum wird zu einer Fessel der kapitalistischen Produktionsweise. Hier liegt ein sich entfaltender Widerspruch innerhalb des Kapitals: Je mehr das Gemeinsame als Eigentum eingesperrt wird, umso stärker reduziert sich seine Produktivität, und dennoch untergräbt das Gemeinsame die Eigentumsverhältnisse.
Neoliberalismus wurde definiert durch den Kampf des privaten Eigentums nicht nur gegen das öffentliche Eigentum, sondern auch und vielleicht noch wichtiger als Kampf gegen das Gemeinsame. Zwei Arten des Gemeinsamen wurden Objekt neoliberaler Kapital-Strategien. Auf der einen Seite benennt das Gemeinsame die Erde und alle mit ihr verbundenen Ressourcen: das Land, die Wälder, das Wasser, die Luft, Mineralien und so weiter. Auf der anderen Seite bezieht sich das Gemeinsame, wie ich bereits sagte, auf die Ergebnisse menschlicher Arbeit und Kreativität wie Ideen, Sprache, Affekte und so weiter. Ein Hauptfeld der Privatisierung wurden die Rohstoffindustrien, die transnationalen Konzernen den Zugriff auf Diamanten in Sierra Leone oder Öl in Uganda oder Lithiumvorräte und Wasserrechte in Bolivien bietet. Viele Autor_innen, einschließlich David Harvey and Naomi Klein, beschrieben dies in Begriffen, die die neue Bedeutung der ursprünglichen Akkumulation oder Akkumulation durch Enteignung hervorhebt.
Die neoliberalen Strategien für die Privatisierung des »künstlichen« Gemeinsamen sind viel komplexer und widersprüchlicher. Je mehr das Gemeinsame Eigentumsverhältnissen unterworfen ist, wie ich sagte, desto weniger produktiv ist es; und dennoch erfordert der kapitalistische Verwertungsprozess private Akkumulation. In vielen Bereichen gehen die kapitalistischen Strategien der Privatisierung des Gemeinsamen durch Mechanismen wie Patente und Copyrights weiter (oft mit Schwierigkeiten), trotz der Widersprüche. Die Musikindustrie und die Computerindustrie sind voll von Beispielen. Dies ist auch bei der sogenannten Biopiraterie der Fall, also Prozessen, mit denen transnationale Konzerne das Gemeinsame in der Form indigenen Wissens oder genetischer Informationen von Pflanzen, Tieren und Menschen enteignen — gewöhnlich durch die Nutzung von Patenten. Traditionelles Wissen über den Einsatz von Erdsamen als natürliches Pestizid, zum Beispiel, oder die Heil-Eigenschaften einer bestimmten Pflanze werden durch die Konzerne mittels Patentierung in privates Eigentum umgewandelt. (Piraterie ist eigentlich eine Fehlbezeichnung für solche Aktivitäten. Piraten haben eine viel noblere Berufung: Sie stehlen Eigentum. Die Konzerne stehlen stattdessen das Gemeinsame und verwandeln es in Eigentum.)
Die Entwicklung des Kapitals ist eindeutig als solches nicht gut, und die tendenzielle Dominanz der immateriellen oder biopolitischen Produktion bringt eine Reihe von neuen und heftigen Formen der Ausbeutung und Kontrolle mit sich. Aber wir sollten aiuch wahrnehmen, wie die biopolitische Produktion — besonders die Weisen, wie sie Grenzen kapitalistischer Verhältnisse überschreitet und sich fortwährend auf das Gemeinsame bezieht — der Arbeit ein größeres Maß an Autonomie einräumt und Werkzeuge oder Waffen bietet, die in einem Projekt der Befreiung angewendet werden können.
Dieser Begriff des Gemeinsamen kann uns helfen zu verstehen, was Kommunismus bedeutet — oder was er bedeuten könnte. Marx argumentiert in seinen frühen Schriften gegen jede Konzeption des Kommunismus, die die Abschaffung des Privateigentums nur enthält, um die Güter zum Eigentum einer Gemeinschaft zu machen. Stattdessen ist Kommunismus richtig verstanden nicht nur die Abschaffung des Privateigentums, sondern des Eigentums als solchem. Es ist allerdings schwierig für uns, sich unsere Welt und uns selbst außerhalb von Eigentumsverhältnissen vorzustellen. »Privateigentum hat uns so dumm und einseitig gemacht«, schreibt er, »dass ein Objekt nur dann unseres ist, wenn wir es haben«. Was würde es bedeuten, dass etwas unseres ist, wenn wir es nicht besitzen? Was würde es bedeuten, uns selbst und unsere Welt nicht als Eigentum zu betrachten? Hat Privateigentum uns so verdummt, dass wir das nicht sehen können? Marx versucht den Kommunismus — eher unbeholfen und romantisch — in Begriffen der Erzeugung einer neuen Art des Sehens, eines neues Hörens, eines neuen Denkens, eines neuen Liebens zu fassen, kurz, der Produktion einer neuen Humanität.
Marx sucht hier nach dem Gemeinsamen, oder wahrlich einer Form der biopolitischen Produktion in den Händen des Gemeinsamen. Der offene Zugang und das Teilen, das die Nutzung des Gemeinsamen charakterisiert, sind außerhalb der und feindlich gegen Eigentumsverhältnisse. Wir wurden so verdummt, dass wir die Welt nur als privat oder öffentlich wahrnehmen können. Kommunismus sollte nicht nur durch die Abschaffung des Eigentums definiert werden, sondern auch durch die Affirmation des Gemeinsamen — die Bejahung offener und autonomer Produktion von Subjektivität, sozialer Verhältnisse und Formen des Lebens; die selbstbestimmte Schaffung einer neuen Humanität. In zugespitzten Worten: Was Privateigentum für den Kapitalismus und was Staatseigentum für den Sozialismus ist, ist das Gemeinsame für den Kommunismus.
* Dies ist eine bearbeitete Version eines Essays von Michael Hardt in The Idea of Communism, herausgegeben von Verso Books.
[Übersetzung Stefan Meretz, Fehler sind mein Fehler]
Ich lese gerade „Common Wealth“ von Hardt und Negri und bin ganz angetan davon. Es ist mir schon mehrmals passiert, dass ich an irgendeiner Stelle „weiterführende“ Anmerkungen notiert hatte und eine halbe bis zwei Seiten später haben die beiden dann auch genau das geschrieben. Vieles von unseren Überlegungen läuft sehr parallel. Dass sie das Ganze mit anderen Worten belegen („Biopolitik“ und so) ist gewöhnungsbedürftig, hat aber seine Berechtigung aus einer schon längeren Sprachpraxis in dieser Szene. Im bin im Moment den beiden gegenüber sehr viel aufgeschlossener als in der „Empire“-Zeit (bewerte die Übereinstimmungen und neuen Impulse durch sie höher, als ich mich zu Kritik bemüßigt fühle).
Beste Grüße
von Annette
Geht mir ähnlich, Annette. Ich habe den Eindruck, dass es eine deutliche Weiterentwicklung nach »Empire« gegeben hat, und der Begriff des »Common« ist dafür zentral. Was ich nicht einschätzen kann, ist, ob im Englischen »Common« und »Commons« sich so deutlich unterscheiden wie etwa »Gemeinsames« und »Gemeingüter« im Deutschen. Weiss das jemand?
StefanMz: nein, ich denke, der Unterschied zwischen „common“ und „commons“ ist gering. „Commons“ ist ja einfach der Plural, „common“ der Singular (heute selten gebraucht) sowie das dazugehörige Adjektiv.
@Christian: Das mit dem Singular und Plural ist mir nicht klar, da auch »Commons« im Singular verwendet wird: »There is no commons without commoning« (Peter Linebaugh)
Die Singularform (common) wird noch gelegentlich gebraucht, aber die Pluralform (commons) ist inzwischen sehr viel verbreiteter und wird mit einem Verb im Singular oder Plural gebraucht, siehe dictionary: commons. Früher war der Singular „common“ im Sinne von „Allmende“ gebräuchlicher, siehe das Gedicht über The Goose and the Common.
@Stefan, ich denke, beim „Gemeinsamen“ sollte nicht nur an die originären „Commons“ (oder das Common) gedacht werden, ich denke schon, dass es da noch mal einen Unterschied gibt, ob wir über das uns Gemeinsame im weiteren Sinne nachdenken (auch in Bezug auf mein Umzingeln des Begriffs des „Allgemeinen“…) oder eben über die eher spezifischeren Fragen des Commonings/der Commons…
@Annette: Deswegen fragte ich nach den möglichen unterschiedlichen Bedeutungsräumen der Worte »common« und »commons«, aber wie Christian meint, gibt’s die nicht. Ich bin aber dafür, einen solchen Unterschied einzuführen: »common« mehr in Richtung eines Gemeinsamen, das die begrenzte Gemeinschaftlichkeit in Richtung eines gesellschaftlich Allgemeinen überschreitet, und »commons« im Sinne einer konkreten Praxis, eines »commoning« rund um eine »common pool resource«, eine gemeinschaftlich genutzte Ressource.
Denn was Michael Hardt hier tut, ist die Suche nach der Überschreitung des bloß Gemeinschaftlichen in Richtung des Gesellschaftlichen. Allerdings ist die Bestimmung des Inhalts des »Gemeinsamen« als biopolitische Produktion noch ziemlich schwammig. Da finde ich die commons-basierte Peer-Produktion wesentlich genauer.
Hmmm… der Begriff Common (nicht: Commons) hat bei Hardt/Negri von Buch zu Buch eine wachsende Rolle gespielt. Ich habe nochmal den zweiten Band – die Multitude – angesehen. In Empire war er eher noch peripher, in der „Multitude“ wird der Begriff „common“ (bei ihnen verstanden als das Gemeinsame, das Kommune) auf S.11 eingeführt und findet sich sodann fast auf jeder Seite. Sie lehnen den Begriff „Commons“ ab, denn dies sei ein rückwärtsgewandter deskriptiv-historischer und kein philosophischer Begriff (11). Das ist also keine Frage von Plural / Singular. Der Begriff Common dagegen biete die Lösung eines politischen Grundproblems: das Gemeinsame ist das Dritte, „das es erlaubt, miteinander in Beziehung zu treten und gemeinsam zu handeln.“ (11) Es bezeichnet, was Singularitäten in Multitude verwandelt.
Und das, was für sie „Common“ ist, das Gemeinsame, ist nun – naja, irgendwo immer und überall und und und….und das letzte Buch geht nun in diesem sehr weitreichenden deskriptiven und ziemlich beliebigen Verständnis völlig auf. Nochmal die „Multitude“: „Das Gemeinsame steht am Anfang und am Ende der immateriellen Produktion, taucht als ihre Voraussetzung wie als ihr Ergebnis auf. Unser gemeinsames Wissen ist die Grundlage jeder neuen Wissensproduktion; die sprachliche Gemeinschaft ist die Basis jeder sprachlichen innovation; jede affektive Produktion (/) gründet sich auf existierende affektive Beziehungen; und unser gemeinsamer gesellschaftlicher Vorstellungshaushalt ermöglicht es, neue Vorstellungen zu entwickeln. Diese Erzeugnisse entstehen aus dem Gemeinsamen und dienen umgekehrt als Grundlage für neue Gemeinsamkeiten. Das Gemeinsame steht aber nicht nur am Anfang und am Ende der Produktion, sondern auch in der Mitte, denn die Produktionsprozesse selbst sind gemeinsame, sind kooperativ und kommunikativ.“ (169). „Sobald wir die Singularität anerkennen, entsteht allmählich das Gemeinsame. Singularitäten kommunizieren, und sie sind dazu in der Lage, weil ihnen etwas gemeinsam ist. Gemeinsam sind uns Körper mit zwei Augen, zehn Fingern und zehn Zehen; gemeinsam leben wir auf dieser Erde; gemeinsam sind uns die kapitalistische Produktions- und Ausbeutungsweise; gemeinsam sind uns Träume von einer besseren Zukunft. Unsere Kommunikation und Kooperation beruhen zudem nicht nur auf dem Gemeinsamen, das bereits existiert, sondern bringen umgekehrt das Gemeinsame auch hervor. Was uns gemeinsam ist, schaffen und erschaffen wir jeden Tag aufs Neue.“ (149) und „Sprachen, Redeformen, Gesten, Methoden der Konfliktlösung, Arten des Liebens und der überwiegende Teil der Lebenspraktiken“ (212); und (pragmatisch) Gewohnheiten, welche unser soziales Wesen kommunizieren also z.B. sprechen, was auf Sprache beruht, solche Gemeinsamkeit erstellt und im Dialog geschieht… Die Produktion des Gemeinsamen (und nicht von Profit, R.R.) steht heute tendenziell im Zentrum jeder Form von gesellschaftlicher Produktion“ usw. Die bekannten Formbestimmungen spielen hier keine Rolle, allerorten ist das Gemeinsame schon da. Recht überschwänglich, finde ich.
@Rainer: Wenn das wirklich so ist, dass sich »Singularitäten« erst vermittelt eines »Common« in eine »Multitude« verwandeln, dann hört sich das nicht sehr verschieden an von einer isolierten Warenmonade, die sich über den Tausch (das Gemeinsame) mit anderen verbindet, sozialisiert. Da steht der gesellschaftliche Mensch (philosophisch) auf dem Kopf.
Dass es ein Gemeinsames gibt, ist nicht die Frage, sondern ob es erst hinzu treten muss, damit Individuen eine Gesellschaft bilden (in meinen Worten), anstatt davon auszugehen, dass die gesellschaftlichen Menschen und die menschliche Gesellschaft schon »da« sind und immer ihre Lebensbedingungen im umfassenden Sinne produzieren.
So falsch finde ich das mit dem Gemeinsamen nicht, nur dass es nichts »Neues« ist, sondern konstitutiver Bestandteil aller Gesellschaften, und dass es folglich nicht hinzu treten muss, sondern schon immer da ist.
Eben das ist nicht bloß »heute«, sondern immer so. Deine Anmerkung mit dem Profit bezieht sich folglich auf eine andere Ebene, nämlich auf die Frage, nach welchen Imperativen diese (immer daseiende) Produktion des Gemeinsamen strukturiert ist. Es ist ja nicht so, dass alles Gemeinsame unmittelbar zwecks Profiterzielung hergestellt wird, noch nicht mal der größte Teil.
Für mich bleibt also die Frage, ob es eine neue Qualität der Unterordnung des nicht direkt zur Profiterzielung produzierten Gemeinsamen gibt, eine zunehmende Eroberung der noch nicht wertförmig strukturierten Bereiche des Lebens. Das würde ich klar bejahen, es ist Teil des neoliberalen Projekts, genau das zu erreichen.
Die Commons sind daher auch als Reaktion auf den Neoliberalismus zu verstehen, als Verteidigung gegen die zunehmende Subsumtion des Gemeinsamen (in Worten von Hardt/Negri). Ihr Besonderes ist jedoch, dass sie nicht nur »verteidigen«, sondern selbst konstituiv sind, weil sie eine andere Logik repräsentieren.
Soweit ich das „Gemeinsame“ (bei Hardt und Negri – aus dem dritten Buch Common Wealth) verstehe, meinen sie nicht das abstrakt-allgemein-Gesellschaftliche aller Gesellschaftsordnungen, sondern setzen ihn gezielt gegen universalistische „falsche Allgemeinheiten“.
Innerhalb des Gemeinsamen gibt es dann (auch von falschen identitären Vereinheitlichungen) befreiende und korrumpierende Formen (Familie, Unternehmen, Kapital, Nation).
Das Gemeinsame ist kein dritter Vermittler, sondern die „Grundlage“. Schon in gegenmodernen Widerstandskämpfen („Gegenmoderne“ steht für Widerstand, der als Opposition noch an die Moderne selbst gebunden ist – quasi in einem ewigen Hin- und Her der Kräfte; „Altermoderne“ ist das Weiterschreiten in Richtung Überschreiten, „quer dazu“ statt „nur dagegen“, den Exodus und das Neuschaffen beinhaltend) erwies sich das (nicht korrumpierte und nicht das Universelle) Gemeinsame als Ausgangsbasis für Widerstandskämpfe und erst recht wird das Gemeinsame absolut notwendig für den „Exodus“.
Das Besondere an der Formbestimmung des Gemeinsamen bei Hardt und Negri ist, dass sie es negativ absetzen gegen Spontaneität und auch Hegemonie und binden an „Koordination einer großen Vielzahl unterschiedlicher ökonomischer und sozialer Forderungen in horizontalen Netzwerke“.
Das klingt zwar zugegebenermaßen oft „überschwänglich“, aber es ist ein Herantasten an das, was praktisch (in der politisch aktiven Welt da draußen, bei uns wohl weniger) passiert, wofür es vielleicht niemals logisch eindeutige Begriffe geben wird, weil die Realität nicht so ist.
Es geht letzlich um „[…] die kollektive Produktion des Gemeinsamen als Intervention in bestehende Kräfteverhältnisse […], die darauf abzielt, de iherrschenden Machtverhältnisse zu unterminieren und die Kräfte in eine bestimmte Richtung umzulenken.“ (139)
Ich bin ja sehr dafür, zur Orientierung (Ausrichtung) sozialer Bewegung gedachte Begriffe in einem möglichst profanen Sinne zu nutzen und deren tiefere oder auch höhere Bedeutung aus dem jeweiligen Kontext heraus wachsen und gedeihen oder auch verblühen zu lassen.
Nichts dagegen, im Kommunismus einfach „das Gemeinsame“ zu sehen, d.h. als Herstellen gemeinsamer Ziele, Rücksichtnahmen, Verantwortlichkeiten usw. Oder weiter: am Grad realisierter Gemeinschaftlichkeit bei der Entwicklung und Etablierung solcherart „kommunistischer“ Formen der Zweckbestimmung, Mitverantwortlichkeit, Rücksichtnahmen usw. den Fortschritt der Kommunismusproduktion ablesen zu wollen. Und alles weitere aus dem jeweiligen Kontext, aus verschiedenen Entwicklungsbedingungen, sich womöglich ergebenden Dispositiven usw. zu entwickeln.
Damit ist man m.E. auch recht nahe an den Marx / Engels’schen Perspektiven, wonach Kommunismus, ein sich zunächst innerhalb der kapitalistischen Verhältnisse vollziehender Entwicklungsprozess ist, innerhalb dessen sich Dispositive weltgemeinschaftlicher Zweckbestimmungskompetenz (Verantwortlichkeit, Rücksichtnahmen usw.) herausbilden. So wäre Kommunismus also für die Zeit seines Heranreifens im Schoß der alten Gesellschaft als Übergang zur weltgemeinschaftlichen Zweckbestimmung usw. bestimmt.
Bleibt man dabei, im Sozialismus den Übergang zu kommunistischen Verhältnissen zu sehen, wären für diese Phase also beide Begriffe miteinander austauschbar.
Als Gesellschaftsformation, d.h. als eine weltgesellschaftliche Form der menschlichen Existenzsicherung und Bereicherung kann von Sozialismus m.E. geredet werden insofern die Herstellung (welt-) gemeinschaftlicher Zweckbestimmungskompetenz, Verantwortlichkeiten, Rücksichtnahmen usw. der weltweit vorherrschende gesellschaftliche Prozess ist.
Diese Zeilen zeigen, wie sehr der „realsozialistische“ Poltergeist noch in den Köpfen derer herumspuckt, die sich um die Formulierung kommunistischer Perspektiven bemühen. Wo man sich um keinen eigenen Maßstab bemüht, nach dem der Sozialismusgehalt dieser Gesellschaften in einer halbwegs wissenschaftlichen Weise bestimmt werden kann, zum Beispiel entsprechend dem, was an Übergang zu (etwa wie oben bestimmten) weltkommunistischen Vergesellschaftungsweisen tatsächlich realisiert bzw. auf den Weg ist, da brechen sich halt die ideologischen Zerrbilder Bahn, die die Apologeten des „realen Sozialismus“ (und die, die das für ihren Antikommunismus auszubeuten wussten) zeichneten.
Das ist einfach nicht wahr. Marx hatte explizit gegen diesen Unsinn argumentiert, privateigentümliche und gemeineigentümliche Aneignung (bzw. Kompetenz zur Vergabe von Nutzungsrechten) gleichzusetzen.
Die „Abschaffung“ oder vielmehr Überwindung von Vergesellschaftungsweisen , die auf freie Konkurrenz privateigentümlicher Aneignung und Veräußerung gründen zugunsten gemeineigentümlicher Formen der Bestimmung von Produktionszwecken -standards, -methoden,-orte usw. ist immer auch „Affirmation des Gemeinsamen“ oder besser gemeineigentümliches Aneignen bzw. gemeineigentümliches Bestimmen der Aneignungsregeln, -rechte usw.
Was „autonome Produktion von Subjektivität, sozialen Verhältnissen und Formen des Lebens“ sein soll wird mir wohl auch ewig ein Rätsel bleiben. Ebenso was ich mit unter einer „selbstbestimmten Schaffung einer neuen Humanität“ vorstellen soll. Für mich sagen solche Phrasen nichts aus.
Das schlägt dem tropfenden Bierfass den Boden aus. Wird am Marx/Engelschen Verständnis von Sozialismus als Übergangsgesellschaft zum kommunistischen Füreinander festgehalten, so kann Staatseigentum nur in so weit als „sozialistisch“ bestimmt werden, als deren konkrete Form und Funktion die Herstellung kommunistischer Vergesellschaftungsweisen tatsächlich befördert. Dass diese nicht als Ausgeburt einer von kapitalistischen Sündenpfuhl unbefleckten Empfängnis seitens eines heiligen Gemeinschaftsgeistes zur Welt kommen können sollte eigentlich klar sein.
Ebenso aber auch, dass Fortschritte in Richtung (welt-) kommunistscher Verhältnisse ohne nennenswerte Meinungs- Experimentier- und Wissenschaftsfreiheit unmöglich sind.