Die Ideologie der »Tragik der Gemeingüter«

Was ist Ideologie? Darauf kann man differenziert antworten oder schlicht feststellen: Ideologie ist, wenn Unsinn durch penetrante Wiederholung den Anschein einer »Erklärung« bekommt. Genau das geschieht mit der Erzählung der tragedy of the commons, zu deutsch: Tragik der Allmende (Unbekannt? Weiter unten gibt’s eine Erklärung). Die Ideologie-Tragödie wird nun abermals von der Süddeutschen Zeitung aufgeführt:

Wenn nüchterne Akademiker theatralische Metaphern verwenden, sollte man hellhörig werden.

Wenn Artikel so anfangen, folgt die »Tragödie« postwendend.

So zum Beispiel bei dem Begriff „tragedy of the commons“, zu Deutsch etwa „Die Tragödie der Gemeinschaftsgüter“. So nennen Ökonomen ein Phänomen, das sich am Beispiel einer Erbschaft erklären lässt:

Ein Vater hinterlässt seinen fünf Kindern ein Vermögen von 50.000 Euro. Im besten Fall bekommt jedes der Nachkommen ein Fünftel davon und steht danach in der Verantwortung, sein Erbteil vernünftig und maßvoll zu verwalten.

Doch was passiert, wenn die Hinterlassenschaft auf einem Gemeinschaftskonto deponiert wird und jeder Erbe – zum Beispiel per Kreditkarte – Zugriff auf das Guthaben bekommt? Es braucht nicht viel Phantasie, um sich den grausamen Wettlauf vorzustellen, bei dem die Erben alles daran setzen, möglichst viel des Vermögens zu verpulvern, bevor es der Rest der Verwandtschaft tut.

Geht es platter? Das angebliche »Phänomen« existiert gar nicht, denn in Wahrheit ist es bloß ein Gedankenspiel von Garrett Hardin (siehe unten). Es ist eine fiktive Geschichte, die aus Simplifizierungsgründen erfunden wurde und die, weil sie zu simpel konstruiert ist, in die Hose geht. Der Autor setzt nun noch einen drauf und erfindet eine neue Geschichte, um die ursprünglich erfundene Veranschaulichung zu veranschaulichen. Um Erklären geht’s dabei ohnehin nicht mehr.

In welcher Welt lebt einer, dem ohne »viel Phantasie« — also genauso gedankenlos wie die ursprüngliche Geschichte für ein Realphänomen zu halten — nur einfällt, dass sich fünf Erben einen »grausamen Wettlauf« liefern werden, sobald alle Zugriff auf das Erbe haben? Richtig, in der Welt des Krieges in der Ökonomie. Und der Krieg der Ökonomie muss auch in der Familie stattfinden. Das bornierte, isolierte, vor sich hin nutzenmaximierende Individuum kann nicht anders, denn von einem homo economicus erwartet man das: jeder gegen jeden.

Aber jede dumme Geschichte hat ein Kern an Wahrheit, so auch diese. So setzen sich tatsächlich in der Ökonomie jene Spezies eher durch, die dem Unmenschenbild entsprechen. Wer im Konkurrenzkampf »grausam« agiert, hat Vorteile, allzu Menschliches rechnet sich eben nicht. Die implizite Wendung jedoch, dass Menschen eben so sind, von Natur aus gewissermaßen, das ist Ideologie. Warum auch sollten die fünf Erben miteinander reden und sich verständigen? Weil das in der Seifenoper im Vorabendprogramm auch nicht klappt?

Mit Ideologie werden die realen Verhältnisse auf den Kopf gestellt. In Wahrheit wäre diese hübsche Marktwirtschaft, also der ordinäre Kapitalismus, schon längst an sich selbst zerbrochen, wäre die Ökonomie nur von Oeconomicus-Menschen bevölkert und wäre die ganze Gesellschaft nur nach der Logik des sich-rechnen-müssens organisiert. Das ist glücklicherweise nicht so. Es sind die Commons und familären Sozialbeziehungen, die gerade nicht nach dem Muster der Ökonomie strukturiert sind und daher den ganzen Laden zusammenhalten können. Der Kapitalismus braucht die Commons als Auffangnetze, damit er seine Logik rücksichtslos gegen Mensch und Natur durchsetzen kann. Er braucht die Commons, um immer wieder neue Bereiche in die Verwertungslogik ziehen zu können. Und er erzeugt auch immer wieder Commons, wenn die Verwertungsmaschine nicht verwertbare Teile wieder ausspeit.

Und nun erzählt uns die »Süddeutsche«, das sei schon ganz richtig so, denn es liege in der menschlichen Natur, letztlich. Aber nicht nur das: Der Artikel verbindet sein Unmenschenbild mit den zukünftigen »grausamen« Verteilungskriegen, die wir uns mit »nicht viel Phantasie« ausmalen können. Wie soll man das nennen — ideologische Kriegsvorbereitung?

Auch hier wieder steht die Wahrheit auf dem Kopf. Die Ressourcen-Verschleuderung hat nichts mit dem Commons zu tun, sondern im Gegenteil mit der Zerstörung von Commons. Sie hat mit dem Zwangswachstum zu tun, das in den Kapitalismus eingebaut ist. Stattdessen wir behauptet:

Die Klimakonferenzen der letzten Jahre haben gezeigt, dass auch hier die Mechanismen der Gemeinschaftsgüter-Tragödie einsetzen

Das ist schlicht falsch. Die Klimakonferenzen haben gezeigt, dass die Atmosphäre wie ein Niemandsland behandelt wird und die Staaten unfähig sind, auf globaler Ebene das Niemandsland »Atmosphäre« in ein Commons zu verwandeln. Denn Commons sind nur dann Commons, wenn es klare Regeln für die Nutzung und Bewahrung der zugrunde liegenden Ressourcen gibt.

Die »Tragik der Allmende«

Die Geschichte wurde 1968 von Garrett Hardin zu Illustrationszwecken erfunden und geht so: Hirten versauen die gemeinsam genutzte Allmende-Weide, weil jeder Einzel-Hirte seinen Ertrag zu maximieren trachtet und mehr und mehr Vieh auf die Weide treibt. Ergo: »Commons« müssen kaputt gehen. Also muss ein Privat- oder Staatsregime her, um die Nutzung zu regeln, so dass die Weide erhalten bleibt. Anders geht’s nicht, Punkt.

Tatsächlich kommunizieren die Hirten miteinander und verabreden die gemeinsame und dauerhafte Nutzung. Elinor Ostrom hat das für zig andere Commons empirisch bestätigt und dafür einen Nobelpreis bekommen. Hardins Tragik ist eine »Tragik des Niemandslands«, also einer Ressource, bei der es keine Absprachen und Nutzungsregeln gibt wie es die Commons gerade auszeichnet.

Eine notwendig eintretende »Tragik der Allmende« ist also Quatsch. Sicher gibt es Fälle, wo Allmende-Ressourcen zerstört werden, aber dies sind Fälle, in denen sich die Personen aufgrund restriktiver Bedingungen so verhalten wie sie die Ökonomietheorie konzipiert: Als isoliert entfremdete nutzenmaximierende Einzelwesen, als homo oeconomicus. Die Geschichte von der notwendigen »Tragik der Allmende« hat sich gleichsam als allgemeine Wahrheit in der traditionellen Ökonomietheorie eingebrannt. Sie wurde und wird als Rechtfertigung für Privatisierungen herangezogen.

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