Arbeit
Die Wiener Streifzüge erscheinen diesmal mit dem Schwerpunkt ARBEIT. Ja, Arbeit durchgestrichen, also gegen die Arbeit. Da konnte ich nicht zurückstehen und habe meiner Kolumne Immaterial World auch den Titel Arbeit gegeben, nicht durchgestrichen, deswegen aber lange noch nicht »für Arbeit«. Sondern ein Versuch einer differenzierten Darstellung.
Arbeit
Wenn alle gegen die Arbeit reden, soll hier für die Arbeit das Wort ergriffen werden. Nein, falsch, die Arbeit kann nicht belobigt werden, denn in einer abstrakten Redeweise kann man nicht für oder gegen die Arbeit sprechen bzw. schreiben. Wir kommen also auch hier nicht um die Mühe des Begriffs herum, die kolumnengemäß kurz ausfallen muss.
Ausgangspunkt ist die schlichte Tatsache, dass Menschen ihre Lebensbedingungen nicht einfach vorfinden, sondern aktiv herstellen. Das Herstellen bezieht sich auf alle Lebensbedingungen, also nicht nur auf die materiellen, sondern auch auf die sozialen. Der Aspekt der Herstellung der materiellen Lebensbedingungen wird traditionell mit dem Begriff der „Arbeit“ verbunden. Mit dieser terminologischen Abstraktion wird jedoch ein bedeutender Teil der produktiven menschlichen Lebenstätigkeiten abgeschnitten und in ein unsichtbares Reich verbannt. Versuche, diese Tätigkeiten durch Einbeziehung in das „Arbeits-Reich“ – als Beziehungsarbeit, Hausarbeit, affektive Arbeit etc. – wieder sichtbar zu machen, sind weitgehend gescheitert. Die Gründe dafür sind in der Theoriebildung zu finden.
Überlegungen von Karl Marx und sich auf ihn beziehende Ansätze lassen sich in drei Phasen einteilen. Zunächst war Arbeit für Marx identisch mit Entfremdung, mit einer Umkehrung von Mittel und Zweck: Anstatt das „produktive Leben“, das „Gattungsleben“ (Ökonomisch-philosophische Manuskripte, 516) als Selbstzweck zu verwirklichen, gerät Arbeit bloß zum Mittel für einen fremden Zweck und ist nur „Diener des Lohns“ (ebd., 520). Alle Tätigkeit des Gattungslebens ist Produktion, Schöpfung der Lebensbedingungen, während entfremdete Arbeit als Ursache des Privateigentums bestimmt wird.
Mit der „Kritik der politischen Ökonomie“ unterscheidet Marx in der nächsten Phase dann Gattungs- und Formbestimmung: Die nützliche Arbeit ist „eine von allen Gesellschaftsformen unabhängige Existenzbedingung des Menschen, ewige Naturnotwendigkeit, um den Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur, also das menschliche Leben zu vermitteln“ (Kapital I, 57); die gesellschaftliche Form warenproduzierender Arbeit zeigt sich als Verhältnis von konkreter „besonderer zweckbestimmter“ und abstrakter „gleicher menschlicher“ Arbeit (ebd., 61). Diese Fassung wirft bis heute diskutierte Probleme auf, nur zwei seien genannt.
Erstens: Die überhistorische Fassung von „nützlicher Arbeit“ und der historisch-spezifische Formaspekt der „konkreten Arbeit“ (die als solche keine eigenständige Existenz hat) werden in eins gesetzt. Marx tut dies selbst, indem er „konkreter nützlicher Arbeit“ (ebd.) die ewige Fähigkeit zuschreibt, „Bildnerin von Gebrauchswerten“ (ebd., 57) zu sein. Dies hat viele Interpretationen dazu verleitet, die „konkrete Arbeit“ nicht als unselbständiges Moment der warenproduzierenden Arbeit anzusehen, sondern als verselbständigte, neutrale Entität, die es von der Lohnform zu befreien gelte. Dabei rückt aus dem Blick, dass die besondere Zweckbestimmung der konkreten Arbeit die Realisierung des Tauschwerts ist, was auch die sinnlich-konkrete Gestalt der Waren bestimmt.
Zweitens: Zwar unterscheidet Marx – wie unvollkommen auch immer – Gattungs- und Formbestimmung, doch indem er dies mit der „Abstraktion der Kategorie ‚Arbeit‘, ‚Arbeit überhaupt‘, Arbeit sans phrase“ (Grundrisse, 38) tut, geraten all jede Tätigkeiten des „Gattungslebens“ aus dem Blick, die er vorher noch ganz allgemein als „produktives Leben“ gefasst hat. Marx weiß, dass es die „Verhältnisse (sind), die diese einfache Abstraktion erzeugen“, mit der der „Ausgangspunkt der modernen Ökonomie erst praktisch wahr“ (ebd.) geworden ist, befestigt damit aber theoretisch die reale Abspaltung und Entwichtigung der Sphäre der Nicht-Arbeit.
Als dritte Phase kann die wertkritische Rekonstruktion des Marxschen Ansatzes gelten, insbesondere durch Moishe Postone (Zeit, Arbeit und gesellschaftliche Herrschaft). Er unterscheidet eindeutig überhistorische Gattungsbestimmung und historisch-spezifische Form der Arbeit. Erstere meint die produktiven Tätigkeiten im allgemeinen Sinne, die in nichtkapitalistischen Gesellschaften „ihre Bedeutung aus den gesellschaftlichen Beziehungen (erlangen), in deren Kontext sie stehen“ (ebd., 233). Im Gegensatz dazu stellt die kapitalistische Arbeit selbst die gesellschaftliche Vermittlung her und verleiht dieser ihre uniforme Bedeutung („was sich rechnet, das zählt“). Beide Aspekte überlagern sich im Kapitalismus, wobei die formspezifische Arbeit dominant ist.
Doch auch Postone rutscht entgegen erklärter Absicht am Ende wieder in eine universalisierende Redeweise von der „Arbeit“, wenn er die Gattungsdimension benennt. Dadurch entsteht der Eindruck einer Aufteilung in eine „gute konkrete“ Arbeit an der Gattung und eine „schlechte abstrakte“ Arbeit am Kapital. So kann er als Alternative zur gesellschaftlichen Vermittlung durch warenförmige Arbeit nur eine intensivierte „politische öffentliche Sphäre“ (ebd., 543) denken.
Wie der junge Marx wusste, ist das „produktive Leben“ insgesamt als Quelle der Schöpfung der gesellschaftlichen Lebensbedingungen zu begreifen. Während die Abstraktion „Arbeit“ immer eine „Nicht-Arbeit“ von sich abstößt und damit implizit behauptet, nur „Arbeit“ würde die Lebensbedingungen herstellen, schließt der Begriff der produktiven Lebenstätigkeit alle gesellschaftlichen Tätigkeiten ein, die die Voraussetzungen menschlich-gesellschaftlichen Lebens schaffen.
Nun könnte man einwenden, dass genau diese transhistorisch-allgemein verstandene produktive Lebenstätigkeit gemeint sei, wenn man von „Arbeit“ schlechthin rede. Das wäre denkbar, allerdings nur dann, wenn man „Arbeit als produktive Lebenstätigkeit“ von „warenproduzierender Arbeit“ unterscheidet und dabei nicht in den Fehler verfällt, eine Dimension der doppelt bestimmten Arbeit mit einer transhistorischen Bestimmung zu verwechseln.
Da scheint es mir doch einfacher, begrifflich „produktive Lebenstätigkeit“ von „Arbeit“ abzuheben und deutlich zu machen, dass Emanzipation voraussetzt, dass die Sphärenspaltung in Arbeit und Nicht-Arbeit aufgehoben wird. Dies wären Verhältnisse, in denen individuelle, besondere Menschen ihre Besonderheit als gesellschaftlich Allgemeines so zur Geltung bringen, dass dies nicht auf Kosten anderer geht, sondern alle anderen einschließt.
Zunächst Stefan Dank für die begriffliche Differenzierung. Ich sehe allerdings überhaupt keinen theoretischen Fortschritt von Marx zu Postone. Für mich viel relevanter ist das leider nie veröffentlichte Buch „Infarkt der Arbeit in der informatisierten Welt“ eines Freundes in Erlangen, dessen Thesen ich kurz zu referieren versuche:
Man muss Marx Biene-Baumeister Beispiel ernst nehmen und radikalisieren. Arbeit ist eine menschliche Tätigkeit, deren Charakteristik die bewusste Konstatierung der Differenz zwischen einem antizipierten Zustand und dem Istzustand ist, sowie die bewusst geleitete Aufhebung dieser Differenz. (Ähnliche Gedanken entwickelte Klaus Haase in seiner ebenso unveröffentlichten genialen Diplomarbeit „Der emanzipatorische Gehalt der Marxschen Theorie“)
In diesem Sinn ist das Wesen der Arbeit gerade nicht die Verausgabung von Nerv, Hirn, Lebensenergie, körperlicher Anstrengung, sondern die Automation, die Wirkmächtigkeit im Sinn unserer Zwecke die wir in unserer Lebenswelt implementieren. Daher ist jener Satz, jenes mantra aus dem „Infarkt“ immer wieder zu zitieren: „Arbeit ist jene menschliche Tätigkeit, die ihre eigene Verringerung zum Ziel hat“. Das ist präziser als all das Gelabere von „produktiver Tätigkeit“ das ich schon nicht mehr hören kann, weil es inhaltlich unbestimmt bleibt.
Dass das Kapital die geistigen und stofflichen Potenzen der Arbeit trennt ist ebenso wahr wie der Umstand, dass es sich zuletzt von der Arbeit insgesamt trennt; in dem Maße wie das Kriterium der Wertbildung im unmittelbaren Produktionsprozess auf eine unbedeutende Fußnote zusammenschnurrt, erfindet das Kapital Outsourcing, Lizensierung, Selbstbedienung, um letztlich den Wert zur spekulativen Fiktion zu machen (Finanzsystem – Aufblähung) und wenn das nicht mehr hilft zu direkten Formen der Herrschaft zurückzukehren (Neofeudalismus).
Ob ihm das gelingt, das hängt vom Selbstbewusstsein der gesellschaftlichen Arbeit, die sich durch die kapitalistische Phase hindurch zu einer globalen Potenz emporgearbeitet und zugleich in eine verrückte Übervergesellschaftung getrieben wurde ab. Die Entsorgung des Arbeitsbegriffes ist dabei nicht hilfreich.
Kleine Anmerkung: das Schuldverhältnis das sich aus der spekulativen Aufblähung ergibt ist übrigens der Kern des neuen Feudalismus. Im diesen Sinn ist Dmitry Kleiners Idee einer „Partei der Schuldner“ gar nicht so blöd.
Da ich weit und breit keinen Personenverbandsstaat sehe und auch keine Tendenzen zu einer Refeudalisierung egal welcher gesellschaftlichen Sphären ausmachen kann, hätte ich gerne eine Erklärung für den Begriff „Neofeudalismus“. Am Besten mit einer ideengeschichtlichen Skizze, wann und von wem diese Idee unter welchen Einflüssen entwickelt wurde.
Grüße, Buchfreund
Um dem Ausdruck „Neofeudalismus“ oder „Medienfeudalismus“ etwas näher zu kommen, sehen wir zunächst nochmal hin, worauf
der Reichtum und wirtschaftliche Macht sich heute gründen:
Klassisch kapitalistisch ist es der (juristische) Eigentumsbegriff, der die Aneignung von Mehrwert unter Schutz nimmt. Kapitalistisches Eigentum ist aber nur dann von Wert, wenn es den Konsum seiner Produkte erzwingen kann. Das geschieht (scheinbar) bislang über ihren Gebrauchswert.
Die innere Logik der Kapitalvermehrung mindert diesen Gebrauchswert und sie mindert den Wert des automatisierten Prozesses selbst und stetig durch seine Perfektionierung bis hin zur impliziten Vergesellschaftung; (die nicht aufzuhalten ist, weil der Anteil Information an der Perfektionierung der Automation immer maßgeblicher wird und letztlich nicht geschützt werden kann – dahinter steht das hier in Keimform und in Oekonux lang und breit verhandelte technische Argument: Automation macht physische Produkte langfristig zum Allgemeingut).
Das Dilemma der Automation: sie führt kapitalabhängige Macht zur Blüte und zur Auflösung. Auf der Basis kapitalistischer Produktionsweise wäre das Spiel der Pokerrunde bald am Ende!
Um das Spiel zu retten, muß potentiell autonome Arbeitskraft „unsichtbar“ wiederangebunden werden und daran gehindert werden, sich selbst zu versorgen und am Kapital vorbei eine eigene Ökonomie zu installieren.
Dabei nimmt der Faktor Information nun die zentrale Rolle ein, die Medien haben dabei einen Status wie Grund und Boden. Der Begriff eines „Medienfeudalismus“ drängt sich geradezu auf.
Noch nie was von Patenten, Lizenzen etc. als zentralem Geschäftsmittel gehört? Das sind nur die Spitzen eines Eisberges struktureller Mechanismen, durch die kapitalunabhängige Produktion unterbunden wird.
Meines Wissens gibt es allerdings noch keine veröffentlichte systematische Untersuchung dieser Mechanismen.
Diese Debatten um Arbeit hin oder her erscheinen mir aus dem Geiste von Engels‘ „Der Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ und verwandten Gedankengängen geboren zu sein: Arbeit wird als ein Grundbedürfnis des Menschen aufgefaßt, das ihm leider im Kapitalismus wegen Entfremdung usw. VERWEHRT wird, da er auf abstrakte Arbeit verpflichtet wird.
Dagegen ist zu halten, daß die Arbeitswelt eben genauso beschissen ausschaut wie ihre Produkte, die WAREN: Weder haben die tatsächlichen Produzenten eine Verfügungsgewalt darüber, WAS sie herstellen, noch über die fertigen Produkte. Und ihren Konsum können sie nur so abwickeln, daß sie andere damit bereichern.
Wenn man hier weiterdenkt, landet man bei unserer Eigentumsordnung und der sie absichernden Gewalt und nicht bei Herumspintisieren um irgendeinen Arbeitsbegriff, der weiter oder enger gefaßt gehört.
Oder hab ich bei der vielen gelehrten Zitiererei irgendetwas falsch verstanden?
@Franz #1:
Das klingt interessant, auch wenn es mir doch etwas einseitig vorkommt – Automation finde ich zwar sehr wichtig, aber andererseits fehlt mir da der Aspekt des Arbeitens (produktiv Tätigseins) als Spiel, der für die Hackerethik zweifellos eine große Rolle spielt, und die Befriedigung, die man daraus ziehen kann, etwas für andere Nützliches gemacht zu haben (und deren Anerkennung zu erfahren). Trotzdem würden mich die von dir genannten Texte interessieren – gibt es sie wenigstens in digitaler Form, so dass sie vielleicht online gestellt werden könnten?
„Trotzdem würden mich die von dir genannten Texte interessieren – gibt es sie wenigstens in digitaler Form, so dass sie vielleicht online gestellt werden könnten?“
Ich befürchte, daß die Antwort Nein sein wird. Denn wenn die Sachen schon für jedermann nachlesbar vorhanden wären, hätte es ja genügt, die links zu posten.
Es gibt einfach Menschen die sich weigern was Unfertiges zu publizieren. Manche glauben dass sie sich mit „release early“ eher eine Fülle von Missverständnissen einhandeln als Unterstützung. Alleine der entstehende Diskussionsbedarf ist ja ungeheuer groß.
Arbeitsstile sind verschieden, für manche ist Diskussion eben störend.
Das ist hier in dem einem Fall eindeutig der Fall. Aber das soll nicht bedeuten dass das Zeug absolut unzugänglich wäre. Vor allem für die, von deren Interesse man sich Synergieeffekte erhofft.
Im anderen muss ich mal nachfragen, ob der betreffende Autor sein Werk nicht eher als eine Jugendsünde empfindet.
@ Franz Nahrada. Danke für die Erläuterung des Begriffs. Ich habe dabei in eine völlig andere Richtung gedacht. Entweder eben an das Zunehmen persönlicher statt sachlich-bürokratischer Herrschaft oder aber an die „Refeudalisierung der Öffentlichkeit“ (Habermas), die aber auf das Verhältnis von Öffentlichem und Privatem zielt. Dann meint Medienfeudalismus also die zentrale Bedeutung von Informationen als Produktionsmittel.
Das ist richtig. Aber der Ausdruck „Produktionsmittel“ ist eben in diesem Zusammenhang ein Euphemismus.
Wer sich auf die genaue Analyse des Verhältnisses der Kapitalwirtschaft zur „Informationsgesellschaft“ einlässt, dem stehen die Haare zu Berge ob der Irrationalität und regelrechten Bösartigkeit die sich da offenbart und als „Sachzwang“ daherkommt.
Hier ausnahmsweise ein Link zu einer sehr knappen Zusammenfassung der Kritik einiger gängiger Topoi:
http://kulturkritik.net/kultur/information/index.html „Thesen zur Informationsgesellschaft“
Darin wird auch erklärt, warum es absoluter Unsinn und eigentlich komplett ideologisch ist vom Ende der Arbeit zu reden.
Und warum der Gebrauch den die Wirtschaft von Information macht eben sehr viel mit den alten feudalen Praktiken zu tun hat, durch das LEHEN von Grund und Boden Herrschaft auszuüben.
@Franz: Ich kann deine Emphase nicht nachvollziehen und habe ein wenig den Eindruck, du hast den Artikel nur nach Keywords überflogen; Postone z.B. kritisiere ich deutlich. Anyway, zu deiner zentralen Kritik:
Du vergleichst hier Äpfel und Birnen. Wenn du von »Arbeit« im engeren Sinne sprichst, dann ist das eben schon jeder vom Leben abgezogene und der gesellschaftlichen Form unterworfene Teil, der — da stimme ich dem Sigor zu — seine eigene Verringerung zum Ziel hat. Da arbeitet der Kapitalismus auch kontinuierlich dran. Das ist aber nicht alles!
Wenn ich mit Bezug auf den jungen Marx von der produktiven Lebenstätigkeit rede, dann versuche ich gegen die hartnäckige Weigerung der Arbeitsfans zu allererst mal klar zu machen, dass alle menschliche Lebenstätigkeit ihre eigenen Voraussetzungen herstellt. Würde man diese Lebenstätigkeit, die ich als genuin produktiv behaupte, nur auf jeden minoritären Bereich der so genannten »Arbeit« beziehen, die sich selbst abschafft, dann versteht man nix bzw. nur soviel, wie die abgespaltene Sondertätigkeits- und Gedankenform der »Arbeit« zulässt.
Ich lese gerade »Die Entstehung des Patriarchats« von Gerda Lerner, da kann man en detail nachvollziehen wie historisch über einen langen Prozess die produktive Lebenstätigkeit v.a. von Frauen entwichtigt, unterdrückt, formiert, ent- und umgewertet usw. wurde (ohne das Lerner einen Begriff von Abspaltung hätte, sie arbeitet sich noch an Engels ab, ist halt aus den 1980ern).
Die Rede vom Ende der Arbeit ist also tatsächlich ideologisch, weil sie die Arbeitsideologie reproduziert, aber nur destruktiv denken kann, eben als »Ende«. Stattdessen spreche ich von Aufhebung, und zwar von beidem: der Arbeit und der Abspaltung als gesellschaftlich-spezifischen Formen der Herstellung der Lebensbedingungen.
Die emanzipatorische Frage lautet also: Wie wollen wir unsere Lebensbedingungen herstellen? Und nicht: Wie wollen wir arbeiten?
Hallo Stefan,
Zu: „Arbeit der vom Leben abgezogenen und der gesellschaftlichen Form unterworfen“: Ich behaupte gerade dass es eine Logik der Arbeit gibt, die eigentlich auch eine Strukturlogik des Denkens ist: Einen Unterschied kontaktieren zwischen einem Bild, einem Plan, einer Vorstellung auf der einen Seite und einem realen Mangel auf der anderen Seite. Gleichzeitig darauf hinarbeiten dass die Realität mit ihrem Bild identisch wird. Das ist sozusagen die Urform des tätigen Willens. Wenn sich dieser Wille in der Welt betätigt, landet er zuletzt bei der Automation.
Dieser Arbeitslogik wird der Kapitalismus in keiner Form gerecht, er hat sich die Arbeit unterworfen zum Zweck der Aufhäufung der Resultate toter Arbeit. In dem von mir zitierten Link heißt es:
und ein wenig später:
Die innere Logik der Arbeit bedeutet also keine Verringerung der Arbeit, sondern lediglich die Ausdehnung des Bereiches in dem wir bewusst Realität gestalten. Diese Ausdehnung potenziert auch die Notwendigkeiten immer neu und komplexer an der Optimierung von Prozessen zu arbeiten.
Wenn Du so willst, hat der Kapitalismus eine ungeheure Entwicklung der Arbeit in Gang gesetzt als der Fähigkeit den angeeigneten Naturprozess zu gestalten – und zugleich entsteht ein immenenter und sich durch die Informationstechnologie verstärkender Gegensatz zwischen seiner beschränkten Logik und den immanenten Erfordernissen des gesellschaftlichen Lebensprozesses, der wesentlich durch die Zunahme von Kulturleistungen bestimmt ist.
Eine Zeitlang konnte es so aussehen dass das Kapital die Organisation der Arbeit erfolgreich ins Werk setzen konnte, doch heute betreibt es im Grunde deren Desorganisation. Wir bleiben in jedem Moment hinter unseren kulturellen Möglichkeiten zurück, weil das Kapital einen Abwehrkampf gegen gesellschaftliche Produktivität führt, der nur den absurden Erscheinungen des späten Feudalismus vergleichbar ist.
Du willst betonen, dass „alle menschliche Lebenstätigkeit ihre Voraussetzungen aktiv herstellt“. Das ist wirklich ein Streit um des Kaisers Bart, wenn wir da aneinandergeraten. Wenn man nach der Party aufräumt, dann kann das selbst noch ein Aufräumfest werden, geschenkt. Aber auch hier widerspreche ich entschieden wenn Du das als einen Automatismus („alle…) bezeichnest.
Es hieße auch den Respekt vor dem was traditionellerweise Sache der Frauen war zu unterminieren wenn man unterstellte, das Reproduzieren ginge ohne Denken ab. Vielleicht sind uns in diesem Sinn „geschickte“ Frauen vielleicht einen Schritt voraus, wenn sie Dinge „automatisch“ machen, was aber sehr wohl eine Sache des Lernens und der Einübung ist, der Perfektion wie das Klavierspielen. Ich will hier nicht der Geschlechterdifferenz das Wort reden, ganz im Gegenteil kann ich mich des Eindrucks nicht erwehren dass der kulturelle Anteil in der Reproduktionstätigkeit (wenn Du so willst, das „organisiert Arbeits-förmige“ und bewusst „Kultivierte“) selbst und gerade von den WertabspaltungstheoretikerInnen nicht voll herausgearbeitet wird. Aber da freu ich mich durchaus wenn ich eines Besseren belehrt werde.
Im übrigen sind wir dann also am Schluss beieinander. Die Frage „wie wollen wir arbeiten?“ muss einfach nur in ihrer vollen radikalen Schärfe genommen werden. Darauf will ich hinaus.
Es gäbe auch einen emanipatorischen Kern der Despektierlichkeit zu entbergen, die sich aufdrängt, wenn der „Haushaltsarbeit“ und der „Kindererziehungsarbeit“ das Arbeitsetikett aufgedrängt wird.
Zunächst ist jener menschliche Bereich, in dem über Ziele verhandelt und deren Bildung Gegenstand ist, sicher keine Arbeit. Die Griechen haben einen brauchbare Unterschied zwischen poiesis und praxis gemacht, und praxis war für sie das wahrhaft freie Tun von Menschen die sich ganz dem Austausch von Gedanken widmen konnten weil die Arbeit von Sklaven getan wurde. Man kann einen Menschen nicht „bearbeiten“, weil es eigentlich immer um das Wahrnehmen von Wollen und Wünschen geht, die ihren Zweck in sich tragen.
Der zweite Aspekt ist die tatsächliche Beschränkung auf das individuelle Arbeiten, das der sozusagen in die Küche verwiesenen Frau zugemutet wird. das auch durch noch so elaborierte Haushaltstechnik nicht unbedingt rationeller wird. Der eigentliche Skandal der Abspaltung besteht darin, dass in einem Bereich, nämlich im männlichen, die Techniken der Vergesellschaftung treibhausmäßig entwickelt werden, während im anderen die Zumutungen steigender Komplexität an einer Person hängen bleiben. Da würd ich auch ausbrechen wollen.
@Franz
Das halte ich für einen patriarchalen Mythos.
D.h. du teilst die Aussage. Wenn dem aber so ist, warum spaltest du dann einen kleinen Teil als »Arbeit« ab? Vielleicht, weil du die Aussage doch nicht teilst:
Was meinst du? Welche Bedingungen werden nicht von uns hergestellt? Selbst die Luft, die wir atmen, wurde von uns »hergestellt«. Mir fällt nur sehr wenig ein, was nicht von uns gemacht wurde und wird.
Die Radikalität besteht tatsächlich darin, sich klarzumachen, dass wir (nahezu) alles, was wir zum Leben brauchen, auch herstellen. Dazu nutzen wir Naturstoffe, das ist klar, aber diese formen wir um und nutzen sie nicht unmittelbar. Das ist aber nicht alles: Wir nutzen uns selbst, unsere sozialen Beziehungen, unsere Vermittlungsformen, Institutionen usw., die wir ebenfalls herstellen — also all das, was gewöhnlich nicht als Produktion, sondern als Reproduktion angesehen oder gar nicht gesehen wird. Dieses alles nun soll »Arbeit« sein?
Ich finde es nachvollziehbar, aber falsch, einfach alles Abgespaltene zur »Arbeit« zu erklären und damit begrifflich einer völlig anderen Rationalität (u.a. der Automatisierung) zu unterwerfen. Sorge für Kinder oder Unterstützungsbedürftige kannst du nicht nach dieser Logik organisieren, und wenn doch (da kennt der Kapitalismus nichts), dann kommen menschenunwürdige Verhältnisse heraus — das wissen wir doch.
Wenn wir aber verstehen, dass wir es sind, die wir uns selbst und unsere Bedingungen schaffen, dann können wir uns auch vorstellen, dass wir in einer freien Gesellschaft von Fall zu Fall und möglicherweise auch ändernd entscheiden, wie wir bestimmte Tätigkeiten — für die wir uns entschieden haben, dass wir sie brauchen — vollziehen. Da können wir dann entscheiden, ob wir sie mit Aufwand automatisieren und minimieren oder mit Aufwand verfeinern und maximieren, weil es der Tätigkeit uns entspricht und gefällt. Beides, also alles, ist produktive Lebenstätigkeit, beides, also alles, schöpft die Bedingungen unserer Existenz. Das muss jenseits des Schleiers der Sphärenspaltung in »Arbeit« und »Nicht-Arbeit« sichtbar gemacht werden.
Wie du auf »Reproduzieren ginge ohne Denken« kommst, verstehe ich nicht. Auch, was du mit dem »kulturelle(n) Anteil in der Reproduktionstätigkeit« oder mit dem »organisiert Arbeits-förmige(n)« meinst und offenbar Frauen zuschreibst, ist mir unklar. Die Spaltung besteht auch zwischen Tätigkeit und Kultur, die so erscheint, wenn Arbeit per se nicht Kultur sein kann (es sei denn verrückterweise als »Kulturarbeit«). Produktive Lebenstätigkeit ist jedoch identisch mit kultureller Lebenstätigkeit, nur in der fremden Form kann sie das nicht zur Geltung bringen. Auch die Spaltung in Produktion und Reproduktion ist ein Artefakt der Form.
Wie du dann begründest, dass
sei, erschließt mir auch nicht. Im Kapitalismus ist’s jedenfalls so.
Ich nicht. Ich finde die Frage »wie sollen wir leben« viel radikaler.
uff das wird noch eine lange Debatte.
Vielleicht fange ich damit an dass ich die Voraussetzung nicht teile, dass wir in unserer Lebenstätigkeit so mir nix dir nix die Voraussetzungen unseres Lebens herstellen. Verzeih mir meine Schärfe, aber das ist ungefähr so prinzipienhaft – idealistisch gedacht wie umgekehrt die Ökologen den Menschen als einen einzigen Störfaktor aus dem Reproduktionsprozess der Natur ausfindig gemacht haben weil er angeblich alles Lebensgrundlagenhafte nur zerstört. Irre ich mich oder hast Du wirklich den Gedanken einfach nur umgedreht? Die Luft die wir atmen stellen „wir“ sicher nicht her, ohne Bäume und sonstige Pflanzen bis hin zu den lieben Algen würde sich da absolut schieben – und wir haben viel zu spät angefangen mit denen zunächst mal in der Theorie eine „Arbeitsgemeinschaft“ in Erwägung zu ziehen ;-).
Wenn die Arbeitsdefinition von mir einen Sinn hat, dann den dass wir durch diese Phase bewusster Gestaltung unserer Lebenstätigkeit durch müssen, damit wir uns dann in der Folge auch darauf „verlassen“ können dass dem so ist wie Du sagst. (ich erinnere an das wunderbare Referat von Herbert Hrachovec auf der Oekonux – Konferenz).
Näheres später.
Ich verweise zwischendurch zum Verhältnis Arbeit und Kultur auf die Ausführungen von Wolfram Pfreundschuh:
http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=arbeit
„Es geht also darum, dass etwas nur darin zu Ende geführt wird, dass man es wirklich zustande bringt, dass Arbeit in ihrem Aufwand zur Nebensache wird, damit sich der Mensch seiner Sache bewust sein kann, die er als Versachlichung seiner Lebenstätigkeit erkennt…… Die Befriedigung der Bedürfnisse für sich selbst ist also nicht der Zweck der Arbeit, sondern ihr Verlauf in der Geschichte der Selbsterzeugung des Menschen, in der Bildungsgeschichte der Menschheit. Produktion und Konsumtion haben ein und denselben Zweck, in welchem die Menschen sich gesellschaftlich verhalten, nicht als einzelne Individuen, von denen das eine produziert, was das andere braucht – oder umgekehrt. Es geht bei der Arbeit immer um einen Bildungsakt, gleich, welcher Aufwand hierfür nötig ist, um Sinnbildung, um menschliche Kultur, die nicht von ihren Momenten und dem Akt ihrer Entstehung unterschieden ist.“
Bitte diesen Artikel doch mal lesen, weil darin auch ganz klar gegen die Position von Robert Kurz argumentiert wird, der hier sich und viele andere Menschen auf eine falsche Fährte gebracht hat, so brilliant und richtig er auch anderswo argumentieren mag.
@Franz: Es ist gut, wenn wir grundsätzlicher werden.
Von »mir nix dir nix« kann keine Rede sein und war auch nicht: »Dazu nutzen wir Naturstoffe, das ist klar, aber diese formen wir um und nutzen sie nicht unmittelbar«, schrieb ich. Das ist doch eindeutig?
Du irrst dich, und ich würde den formulierten Gedanken als materialistische Grundlage in Übereinstimmung mit Marx ansehen. Noch einmal das obige Selbstzitat ausgeweitet: Stoffwechsel mit der (äußeren) Natur betreiben auch Tiere. Nur Tiere nutzen die Natur unvermittelt als bloß so Gegebenes (geringe Ausnahmen), sie finden die Naturbedingungen bloß vor. Menschen hingegen nutzen die Naturbedingungen als Ausgangsvoraussetzung für die Herstellung ihrer Lebensbedingungen. Marx schreibt:
Die eigene Tat, das eigene Herstellen, vermittelt den Stoffwechsel mit der Natur. Das nennt Marx »Arbeit«. Das ist im Kontext des »Kapitals« auch völlig ok, weil er auf Wert, Mehrwert, Kapital usw. hinaus will. Er beschäftigt sich nicht mit der Nicht-Arbeit, das ist nicht sein Thema.
W. Pfreundschuh sieht genau das nicht. Erst universalisiert er in die Richtung »Alles ist Arbeit«:
Dann formiert er die universalisierte Arbeit:
Das ist Unfug, sondern wie schon Postone sehr eingehend gezeigt hat, ist der instrumentelle oder wirtschaftliche Charakter keine universelle, sondern eine formbestimmte Eigentschaft der so gefassten Arbeit. Das schrieb ich schon: »Sorge für Kinder oder Unterstützungsbedürftige kannst du nicht nach dieser Logik organisieren«, es ist keine instrumentelle oder wirtschaftliche Tätigkeit.
Aber W.P. widerspricht auch sich selbst:
Also was jetzt: universelles Prinzip oder doch nur Lohnarbeit? Tatsächlich ist es so: Er denkt Arbeit von der bürgerlichen Arbeit her und universalisiert diese historische-spezifische und damit verlängliche Form zur allgemein-menschlichen. Das ist meine Kritik.
Im übrigen ist mir Wurscht, was Robert Kurz dazu sagt. Wenn er das an W.P. kritisiert, würde ich ihm zustimmen.
Zum versöhnlichen Abschluss:
Dazu brauchst du keine Arbeitsdefinition, sondern wie du schreibst — und dem kann ich voll zustimmen — geht es um die Gestaltung unser Lebenstätigkeit in einer Weise, dass wir uns darauf stabil verlassen und auf den gesellschaftlichen Prozess vertrauen können.
Was Stefan Meretz in seinem Artikel zusammenzieht, besteht aus Behauptungen, die eigentlich vor allem methodisch zu diskutieren wären, weil sie nicht dem Gegenstand Arbeitsbegriff, sondern lediglich der Rezeption eines verfremdeten Marxtextes zu entnehmen sind. Wenn Arbeit auf die „Herstellung der materiellen Lebensbedingungen“ reduziert wird, kann man natürlich sagen, dass es sich um eine Abstraktion handelt; nicht um eine Abstraktion des Begriffs, sondern eine des Interpreten, die dann auch von „kritischen Interpreten“ immer nur verlängert wird, je mehr man solcher Auffassung die Auffassung vorwirft. Es ist schlicht falsch, wenn dem Marx eine Entzweiung, also eine Inkonsistenz, unterstellt wird, wenn er in den „Frühschriften“ von entfremdeter Arbeit spricht und angeblich Arbeit überhaupt meinen soll (obwohl er ständig schreibt „unter der Bedingung des Privateigentums“) und erst seit der „Kritik der politischen Ökonomie“ dann „Gattungs- und Formbestimmung“ unterscheiden würde. Es ist auch die Behauptung falsch „nützliche Arbeit“ wäre im Kapital im Verhältnis zu „abstrakter Arbeit“ gefasst; sie macht deren Inhalt aus, ist also Moment derselben. Weil von vielen die „konkrete Arbeit“ nicht als unselbständiges Moment der warenproduzierenden Arbeit“ angesehen würde. wäre aus dem Blick geraten, dass „die besondere Zweckbestimmung der konkreten Arbeit die Realisierung des Tauschwerts ist, was auch die sinnlich-konkrete Gestalt der Waren bestimmt.“
Was nu? Bestimmt der Tauschwert die „sinnlich-konkrete Gestalt der Waren“ oder ist das isolierte Dasein der Nützlichkeit, der Gebrauchswert, selbst schon die Form, welche den Tausch nötig hat und also den Tauschwert schon in sich birgt, Ausdruck der Arbeitsteilung ist? (siehe http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=arbeitsteilung)
In seinen Arbeiten zur Kritik der politischen Ökonomie (1857) differenziert Marx ausführlich die in den Pariser Manuskripten schon dargestellte entfremdete Arbeit als entäußerte Lebensform, die zur Trennung von Bedürfnis und Arbeit, zur Arbeitsteilung wird. Siehe http://kulturkritik.net/mew.php?mew=13,622
Er erklärt auch in den zur selben Zeit bearbeiteten Grundrissen den Grund, warum diese Entfremdung, und nicht die natürliche Einheit von Bedürfnis und Arbeit Gegenstand wissenschaftlicher Arbeit sein muss:
„Nicht die Einheit der lebendigen und tätigen Menschen mit den natürlichen und unorganischen Bedingungen ihres Stoffwechsels mit der Natur, und daher ihre Aneignung der Natur – bedarf der Erklärung oder ist Resultat eines historischen Prozesses, sondern die Trennung zwischen diesen unorganischen Bedingungen menschlichen Daseins und diesem tätigen Dasein.“ (Karl Marx, „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“, Moskau 1939, Reprint Europa-Verlag Wien 1972, S. 389)
In seiner Einlassung auf meinen Text entdeckt Stefan einen Widerspruch, wenn ich Arbeit einleitend als Aufwendung von Kraft und Zeit beschreibe, so als ob ich nicht Arbeit beschreibe, wie sie auch physikalisch zu verstehen ist, sondern das Universum, weil demnach „alles Arbeit“ sei. Und wenn ich dann schreibe, dass Arbeit wegen ihrer Natur von den Menschen immer wirtschaftlich betrieben wird (das macht ihre Gesellschaftlichkeit aus), sei dies einfach „Unfug“. Woher nimmt der das? Und dann würde ich mir widersprechen, wenn ich Arbeit genauer als Lohnarbeit in das Zentrum der bürgerlichen Gesellschaft stelle, weil sie dann eben nicht „universelles Prinzip“ sei, wie ich das angeblich zuvor gesehen hätt. So ein Blödsinn!! Ist Lohnarbeit keine Arbeit mehr? Oder ist Arbeit selbst universell Kapital bildend? Ach so, diese tollen Gebrauchswerte entstehen ja eigentlich ohne Arbeit, sondern durch „Beiträge“ (z.B. im „Commonismus“). Nein wie lieb! Das ist frühes Christentum und ideell auch noch spätes: Ein jeder trage des anderen Last.
Es ist wohl kein Zufall, dass die “Arbeits”-Diskussion hier stoppt. Es ist nicht mehr klar – jedenfalls mir nicht – , worum es überhaupt geht.
Nicht wirklich ausdiskutiert ist – genau das ist aber für unsere Frage nach Wegen aus dem Kapitalismus wichtig –, ob in der kapitalistischen Warenproduktion der Gebrauchswert von der Wertform, in der er entsteht, unlöslich “infiziert” ist. Wenn das so ist, so bedeutete es u.a., dass die Gebrauchswerte (Produktionsmittel eingeschlossen) nicht von den sich assoziierenden freien Individuen für ihre Produktion “als Menschen” (nicht Lohnarbeiter) übernommen werden und zur materiellen Grundlage einer neuen Gesellschaft dienen könnten.
Es bedeutete weiter, dass eben nicht die konkrete Arbeit oder einfach menschliche Arbeit übrig bliebe, wenn sozusagen deren abstrakter Charakter “abgeworfen” würde.
Ich denke, Wolfram versperrt sich der Dimension des überfälligen Bruches mit der bisherigen Arbeitsform bzw. mit Arbeit überhaupt, ohne den eine Aufhebung des Kapitalismus weder zu denken noch zu bewerkstelligen ist.
Was bitte hat die soziale Form, in der sich frei assoziierende Individuen etwa freie Software herstellen, Nützliches zum eigenen und allgemeinen Gebrauch, mit all den bisher bekannten Formen der Schaffung menschlicher Lebensbedingungen zu tun? Keine Not, keine äußere Zweckmäßigkeit treibt die Akteure dazu. Ist es wirklich Blödsinn, darüber nachzudenken, ob eine solche Form von freier gesellschaftlicher Tätigkeit die ganze Gesellschaft tragen kann – eine neue Gesellschaft, die mit derartiger Tätigkeit erst geschaffen wird und auch nur in den ihr gemäßen Kategorien zu begreifen ist? Wenn das etwas mit frühem Christentum zu tun hat, wie Wolfram meint, dann höchstens dies: Eine so begründete Gesellschaftlichkeit wäre tatsächlich ein „Reich … nicht von dieser Welt“ – so Jesu gegenüber Pilatus, der in seinen den römischem (und dem heute noch herrschenden) Reich angemessenen Kategorien nichts versteht (Johannes 18/36).
Der Unterschied zwischen der Arbeit im bisherigen Reich der Notwendigkeit und der schöpferischen Tätigkeit der dann freien Individuen im heute möglich werdenden Reich der Freiheit erscheint mir so grundlegend, dass es Sinn macht, das letztere auch nicht Arbeit zu nennen. Ich denke, eine solche Sicht verdient mehr als Hohn.
In unserer Diskussion ist offenkundig Marx ein gemeinsamer Referenzpunkt. Manche unserer Differenzen resultiert m.E. auch daraus, dass dieser selbst verschiedene Bezugspunkte seiner Arbeits-/Tätigkeits-Bestimmungen hat. Auch ich hinterfrage Stefans Phaseneinteilung hinsichtlich des marxschen Verständnisses von Arbeit. Stefans ersten beiden Phasen sind wohl weniger verschiedenen zeitlich aufeinander folgenden Lebens-/Forschungsfortschritten von Marx zuordenbar, sondern Ausdruck jeweils verschiedener Fragestellungen, die Marx nie als endgültig geklärt ablegt, sondern immer wieder neu aufgreift. Der Gegenstand aller ökonomisch-philosophischen Schriften ist ein umfassenderer als etwa der des Kapitals, in dem es fast ausschließlich um die innere Logik der kapitalistischen Produktionsweise ging und nicht wie in den Pariser Manuskripten und eben in den Grundrissen (die auch als ökonomisch-philosophische Schrift zu lesen ist) um deren Entstehung, Entfaltung und Aufhebung (die innere kapitalistische Entwicklungslogik als Moment dieses übergreifenden Prozesses).
Auf diese nicht identischen Gegenstände bezogen gibt es auch unterschiedliche Bestimmungen von Arbeit/Tätigkeit.
Auch wir sollten uns jeweils fragen, unter welchem Gesichtspunkt wir Arbeit bestimmen, unter dem der Erfassung der Arbeit in der bisherigen Geschichte oder dem ihrer Aufhebung in der sogenannten eigentlich menschlichen Geschichte.
Vor diesem Hintergrund würde ich gern die Diskussion fortführen über Marx’ unterschiedlichen Bestimmungen der sogenannten Reiche der Notwendigkeit bzw. der Freiheit, wie sie in den von Wolftram angeführten Artikel zur Arbeit zitiert wurden (http://kulturkritik.net/begriffe/index.php?b=arbeit):
a) “Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. … Die Freiheit in diesem Gebiet [der Produktion – UW] kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur am würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.” MEW 25/828.
b) “Gesetzt, wir hätten als Menschen produziert: jeder von uns hätte in seiner Produktion sich selbst und den andern doppelt bejaht. Ich hätte
erstens in meiner Produktion meine Individualität, ihre Eigentümlichkeit vergegenständlicht und daher sowohl während der Tätigkeit eine individuelle Lebensäußerung genossen …
Zweitens in deinem Genuß oder deinem Gebrauch meines Produkts hätte ich unmittelbar den Genuß, sowohl des Bewußtseins, in meiner Arbeit ein menschliches Bedürfnis befriedigt, also das menschliche Wesen vergegenständlicht, und daher dem Bedürfnis eines andern menschlichen Wesens seinen entsprechenden Gegenstand verschafft zu haben,
drittens für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eigenen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen,
viertens in meiner individuellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben.“
Also: „Meine Arbeit wäre freie Lebensäußerung, daher Genuß des Lebens. […] In der Arbeit wäre […] die Eigentümlichkeit meiner Individualität, weil mein individuelles Leben bejaht. Die Arbeit wäre wahres tätiges Eigentum.“ MEW 40/462
Hier – unter den genannten Bedingungen eines im Reich der Freiheit aufgehobenen Kapitalismus‘ – hier erfolgt das Herstellen nützlicher Dinge selbst als “menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt“. „Produktion“, hier das Herstellen nützlicher Dinge in einer Art der Tätigkeit, die selbst Bedürfnis, ist also in dieses „wahre Reich der Freiheit” ein- und nicht wie unter a) ausgeschlossen. Produktion in „…“ gesetzt, weil es u.a. in dieser Gesellschaft die Trennung von Produktion und Konsumtion nicht mehr gibt.
Ich denke, nur mit dieser 2. Bestimmung kommt die Aufhebung der Arbeit samt ihrer kapitalistischen Form überhaupt erst in den Blick. Dies logisch zu entwickeln ist eine der zentralen Aufgaben des Nachdenkens über Wege aus dem Kapitalismus. Der positive Bezug auf entsprechende sich längst entwickelnde Keimformen freier Tätigkeiten ist hierfür sehr hilfreich oder gar unverzichtbar.
Ja richtig, es geht um das, was die „Dimension des überfälligen Bruches mit der bisherigen Arbeitsform bzw. mit Arbeit überhaupt [ausmacht], ohne den eine Aufhebung des Kapitalismus weder zu denken noch zu bewerkstelligen ist.“ Wenn es auch nicht ein Bruch als solcher, also ein inhaltlicher Abbruch der bisherigen Geschichte sein kann, so ist mit der Fragestellung immerhin die Diskussion assoziiert, was die Gebrauchswerte als gesellschaftliche Produktform sind: Entstehen sie erst durch die Wertform „oder“ sind sie die historische Form von Arbeitsprodukten, die als Inhalt des gesellschaftlichen Reichtums anzusehen sind, wie es Marx öfter ausdrücklich formuliert. Falsch ist nur das „Oder“.
Der Gebrauchswert selbst ist Inhalt und Form und als Form doppelt, eben auch formbestimmt. Die Besonderheit und Allgemeinheit des Gebrauchs ist durch die Wertform in gegensätzliche Pole gespalten und entspricht einer Trennung von Individuum und Gesellschaft, wie sie durch im Geldbesittz verwirklicht und in der Kapitalbildung fortbestimmt wird. Hier erscheint sie als Trennung von Freizeit und Arbeitszeit, von „freier Tätigkeit“ versus „Reich der Notwendigkeit“. Es wäre absurd, dies zu verewigen, indem man die Trennung zugunsten eines „freien Individuums“ entscheiden will, das dem „freien Menschen“ gleichzustellen sei, und nichts anderes als Freizeit genießt.
Im Kapitalismus erscheinen zwar Freiheit und Notwendigkeit als getrennte Wesenheiten, weil sie das Leben der Menschen selbst der Form nach bestimmen, es in Freizeit und Arbeitszeit zerteilen. Aber Freiheit ist aufgehobene Notwendigkeit, geht also inhaltlich aus ihr hervor, ständig und immer wieder. Das ist Aufhebung im Hegelschen Sinne und das war wohl gemeint, wo Marx von der „ewigen Notwendigkeit der Arbeit“ schreibt, von der „ewigen Naturbedingung des menschlichen Lebens und daher unabhängig von jeder Form dieses Lebens“ (MEW 23,198).
Die „Erfassung der Arbeit in der bisherigen Geschichte oder dem ihrer Aufhebung in der sogenannten eigentlich menschlichen Geschichte“ (Uli) ist deshalb nur im Begriff der Formbestimmung auflösbar, welche aus einem doppelten Inhalt der Form ergeht, die Naturalform und zugleich durch einen abstrakten Inhalt bestimmte Form ist. Den Wert gibt es nicht ohne Gebrauchswert und den Gebrauchswert auch nicht ohne Wert. Aber er stellt dennoch die Naturalform des gesellschaftlichen Reichtums dar. Dem entspricht alles, worauf sich Marx bezieht. Auch was Gesellschaft und Individuum betrifft. Jeder Inhalt ist einzeln wie allgemein ununterschieden, Gebrauchswert also auch Inhalt des Reichtums jedweder Art, selbst wenn er im Geld aufgelöst erscheint, aber eben nur indem es durch ihn Bestand hat. Wesemtzich lässt sich Individumm und Gesellschaft nicht voneinander Trennen, auch wenn beides in selbständiger Form erscheint, solange diese durch die Wertform vermittelt ist.
Im genannten Marx-Zitat (MEW 40/462) wird gerade die Identität von Individuum und Gesellschaft durch die Arbeit herausgekehrt, wenn ich durch meine Produktion „den anderen doppelt bejahe“, wenn ich „für dich der Mittler zwischen dir und der Gattung gewesen zu sein, also von dir selbst als eine Ergänzung deines eigenen Wesens und als ein notwendiger Teil deiner selbst gewußt und empfunden zu werden, also sowohl in deinem Denken wie in deiner Liebe mich bestätigt zu wissen, viertens in meiner individuellen Lebensäußerung unmittelbar deine Lebensäußerung geschaffen zu haben, also in meiner individuellen Tätigkeit unmittelbar mein wahres Wesen, mein menschliches, mein Gemeinwesen bestätigt und verwirklicht zu haben.“ Man kann doch darin leicht sehen, dass die Bejahung meiner Individualität nur als Bejahung meiner als anderer, als Gattungswesen, nicht als durch seine einzelne Tätigkeit schon freies Individuum hervorgeht.
Richtig ist, dass es um die Aufhebung der „Trennung von Produktion und Konsumtion“ gehen muss. Diese mündet aber notwendig auch in eine gesellschaftliche Form der Arbeit, in welcher Tätigkeit und Genuss nicht gegeneinander stehen, um rein nützlich zu bleiben, sondern tatsächlich auch eine Form haben müssen, die gesellschaftlich ist. Und das ist nach meiner Auffassung der Kern des Problems, das hier auseinandergesetzt werden muss. Es geht also nicht um die Herstellung einer wie auch immer gearteten Freiheit, sondern um die Emanzipation aus der Formbestimmung bürgerlicher Lebensverhältnisse.
Siehe hierzu auch „Ergänzen statt Ausbeuten! Auf dem Weg in eine internationale Kommunalwirtschaft“ (http://kulturkritik.net/index_allgem.php?code=pfrwol101)
Hallo Wolfram, ich habe Deinen Text durchgearbeitet. Ergänzen statt Ausbeuten! Auf dem Weg in eine internationale Kommunalwirtschaft. http://kulturkritik.net/oekonomie/ergaenzen/text_ergaenzen.html 9.9.2011.
Sehr zu empfehlen ist der erste Teil. Gestützt auf Marx‘ Kritiken der politischen Ökonomie stellt Wolfram Zusammenhänge zwischen den derzeitigen Finanzkrisen und der inneren Logik der kapitalistischen Warenproduktion her und zwar bezogen auf das heute erreichte Niveau dieser Produktionsweise. Er verweist auf eine sich im Anwachsen des sogenannten fiktiven Kapitals zeigende Loslösung des Geldes von seiner tatsächlichen Wertquelle, der in der Produktion als Lohnarbeit verausgabten menschlichen Arbeitskraft. Das Aufblähen dieser Finanzblase wurde in den letzten Jahrzehnten immer mehr zur unverzichtbaren Voraussetzung dafür, dass die kapitalistische Produktion überhaupt noch recht und schlecht läuft. Zugleich belegt er, dass eine dauerhafte Trennung dieser Bereiche nicht möglich ist. Nicht nur von Regierungen sondern sogar von manchem Wertkritiker wird – entgegen der marxsche Wert- und Preistheorie – das Gegenteil angenommen so als könnte es ewig so weiter laufen: immer wertloseres Geld und damit die Aussicht auf immer wertloseren Profit halten die kapitalistische Produktion und damit die bürgerliche Gesellschaft am Leben.
Das gewaltsame Vereinen dieser beiden Sphären war die bisherige Funktion von kapitalistischen Wirtschafts- und Finanzkrisen. Periodische gewaltsame partielle Wert- bzw. Kapitalvernichtungen waren eine Voraussetzung dafür, dass auf höherer Produktivitätsstufe ein neuer Konjunkturzyklus beginnen konnte. Abgesehen von der Weltwirtschaftskrise ab 1929 mit der Folge von Depression, Faschismus und Weltkrieg funktionierte das seitdem und solange wie die kapitalistische Produktionsweise sich auch ohne außergewöhnliche und nunmehr dauerhafte Staatseingriffe durch alle Krisen hindurch auf ihrer eigenen Basis dynamisch entwickeln und so die bürgerlicher Gesellschaft trotz ihrer Widersprüche zusammenhalten und tragen konnte. Warum die kapitalistische Produktionsweise gerade auf dem heutigen Entwicklungsniveau diese Fähigkeit verliert, damit die zyklischen Krisen ihre Funktion als Triebkraft weiterer wirtschaftlicher Dynamik verlieren und somit die Warenproduktion überhaupt zur „miserablen Grundlage“ (Marx) der Gesellschaft wird, das entwickelt Wolfram nicht näher. Darin liegt schon ein Problem, das sich im weiteren Text immer mehr verschärft indem auf ahistorische Weise der Kapitalismus schließlich überhaupt nur noch als ein „Unding“ dargestellt wird. Wolfram Kapitalismuskritik bekommt, sobald er nach Alternativen fragt, einen moralisierenden, denunziatorischen Charakter gewinnt. Das hat Konsequenzen für seine Zukunftsideen.
Mit Wolframs anfänglichem Referieren von Marx aber kann man dies gut weiterdenken: Wir erleben in den letzten Jahrzehnten das Hinausschieben einer längst anstehenden großen Krise durch staatliche Interventionen. Diese verhinderten vorläufig die Rückbindung des anlagesuchenden Geldes an dessen tatsächliche Verwertungsmöglichkeit. Damit wurde die sonst längst fällige zyklische partielle Kapitalvernichtung samt damit verbundener sozialer Abstürze vieler Menschen und noch tieferer Spaltungen der Gesellschaft hinausgeschoben. Extreme Staatsverschuldung sicherten da, wo die reale erweitere Wertschöpfung über die kapitalistische Produktion dies nicht mehr hergab, das Verwerten des so zum fiktiv Kapitals werdenden Geldes im Finanzsektor bzw. es wurden damit solche Produktionen ermöglicht, die nur Dank staatlicher Subventionen noch „profitabel“ waren. Nachdem sich im Jahre 2008/09 kurz der Abgrund der fälligen Kapitalvernichtung auftat (4 Billionen $ Wertpapiere1), erfolgt seitdem eine neue Runde der Krisen- bzw. Katastrophenverhinderung durch durch die Aufhäufung eben der Krisengründe – durch den Aufbau eines noch gewaltigeren Berges fiktiven Kapitals. Damit die globalisierte kapitalistische Warenproduktion, die auf dem High-tech-Niveau offenkundig ihre eigene Grundlage, die Wertschöpfung durch Lohnarbeit, auffrisst, weiterhin stattfinden und den darauf gegründeten Zusammenhalt der bürgerlichen Gesellschaft vorläufig sichert, ist es inzwischen unvermeidbar geworden, dass buchstäblich alle kapitalistischen Metropolenstaaten samt ihrer internationalen Finanzinstitutionen sich selbst verpfänden, damit alle ihre Bürger und die der ganzen Welt. Hinter dieser letzten Auffang-“Front“ allerdings gibt es im Sinne einer sich selbst tragenden kapitalistischen Produktionsweise keine handlungsfähigen Subjekte mehr. Das heißt, wenn dieses wirre Netz leerer Verpfändungen einer zukünftig angeblich gewaltig anwachsenden Wertproduktionen und entsprechender Steuereinnahmen reißt, brechen alle mit immer wertloserem Geld errichteten Dämme. Wenn das geschieht – und mit Wolfram, jedenfalls sofern er Marx hier folgt, ist zu verstehen, dass dies unweigerlich geschehen wird – , ist es nicht mehr denkbar, dass sich die kapitalistische Produktionsweise auf eine einigermaßen zivilisationsverträgliche Weise wieder fangen wird. Die Ahnungen, die sich mit jedem neuen Krisenschub verstärken, sind völlig berechtigt: das System selbst und die gesamte damit verbundene Zivilisation steckt in einer existentiellen Krise.
Wolfram stellt nun die Frage nach der Alternative. Dabei schlägt er allerdings einen Weg ein, der nach dem ersten Teil des Textes überrascht.
Er stellt zunächst fest, dass mit der heutigen Automation, Kommunikation und hochentwickelten Infrastruktur bereits alles Notwendige dafür existiert, dass durch Gemeinden, Landkreise, Bezirke, Regionen und Länder die kommunalen Lebenszusammenhänge gesichert werden könnten. Es gelte nur die „private Rechtsformationen des Verschuldungskapitals“ abzuschaffen. Von der Kritik der Warenproduktion, die seit Beginn der bürgerlichen Epoche notwendig eine kapitalistische ist, ist hier nicht mehr die Rede. Offenkundig setzt er diese eben mit der genannten Rechtsform gleich. Ihr kapitalistischer Charakter wäre dann mit einer Rechtsänderung auch aufhebbar. Erforderlich und möglich sei eine Subsistenzindustrie auf der Ebene ursprünglichster Lebenszusammenhänge, der Kommunen. Die Produktion sei hauptsächlich kommunalwirtschaftlich zu organisieren.
Wolframs Kritik am Kapitalismus konzentriert sich immer mehr darauf, dass dieser nicht wirtschaftlich sei. „Wirtschaftlich“ bzw. „produktiv“ sowie „Politik“ sind für ihn überhistorische und positiv besetzte Kategorien. Das „Wollen der ökonomischen Verhältnisse“ sei überhaupt eine Eigenschaft der Politik, der Kapitalismus dagegen von vornherein ein „wirtschaftliches Unding“ und ein „produktiver Unsinn“. Das liege an der Trennung von Politik und Wirtschaft. Da alle Mittel für eine menschliche Geschichte vorhanden seien und nur die heutigen sozusagen widernatürlichen Zwecke des Wirtschaftens der so verstandenen natürlichen Wirtschaftlichkeit und Produktivität entgegenstünden, gehe es nur darum, das kapitalistische Unding politisch und wirtschaftlich „umzudrehen“. Durch eine „ökonomische Politik“ müsse wieder ein Ganzes hergestellt werden.
Diese Politik könne die Synergie zwischen den verschiedenen, heute noch getrennten Bereichen herstellen. „Synergie“, dies im zweiten Teil des Textes eine zentrale Kategorie, ist die naturwüchsige „und von daher organische Grundform des Wachstums … eine substanzielle Wirkung des Lebens überhaupt, das schon in den einfachsten Zellen seine Entfaltung erstrebt“.
Was geht hier vor? Sobald Wolfram sich um konkretere Darstellung einer Alternative zum Kapitalismus bemüht, vergisst er nicht nur die marxsche Wert- und Geldtheorie. Er schmeißt die gesamte marxsche Methode der Gesellschaftsanalyse über Bord, ersetzt soziale Formanalysen durch biologische bzw. technizistische Analogien.
Es will ein eigentlich natürlich, also immer schon Gegebenes vom angeblich äußerlichen Falschen, vom Kapitalistischen befreien. Sobald er nach Alternativen fragt, bleibt er am Äußerlichen, an Erscheinungen, getrennt vom tatsächlichen gesellschaftlichen Zusammenhang, hängen. Seine anfänglichen Marx-Anleihen hinsichtlich der Kapitalismusanalyse sind vergessen. So sei die „Emanzipation des Menschen aus der Macht der Natur … immer nur so weit gediehen, wie es die rechtlichen Bedingungen zugelassen haben.“ Diese sind „bestimmt durch die politischen Herrschaftsverhältnisse über die Arbeit und ihre Wirtschaftlichkeit … Es gibt keinen anderen Grund, warum die arbeitenden Menschen ihre Erzeugnisse als Macht gegen sich erfahren mussten.“
So die Zusammenhänge zwischen etwa bürgerlichen Rechtsformen und kapitalistischer Produktionsweise verdrehend ist nach Wolfram das eigentlich zu lösende Problem dies: Ein unnatürliches Recht sei zu überwinden, das durch eine auf Unwirtschaftlichkeit, auf Vermehrung von Geld, gerichtete Politik abgesichert wird. Dagegen helfe eben eine wirtschaftliche Politik, die anstelle einer Geldwirtschaft eine Vertragswirtschaft setzt.
Und wo ist der soziale Raum, der solches nahelegt und in dem diese Wirtschaft entstehen kann? Es ist die Kommune. Von dort aus bis hoch zu einer Weltgemeinschaft, der Kommune der Kommunen sozusagen, solle dann eine konkrete Demokratie das jeweils Allgemeine zur Geltung bringen. Delegierte werden das richten.
Politik selbst stellt Wolfram nicht infrage. Wie demokratisch sie auch gedacht ist – es werden auch in Form seiner „wirtschaftlichen Politik“ Menschen über Menschen herrschen. Davon abgesehen, dass Vertragstreue gegebenenfalls mit Gewalt zu erzwingen ist, nach welchen Maßstäben soll diese Politik die Leistungen der Menschen bewerten?
„Jeder arbeitet für den anderen oder auch direkt für das ganze Verhältnis so, wie es im Vorhinein der Produktion auch konkret entweder einzelnen oder allgemein ausgehandelt wird.“ Das Ausmaß der Arbeit für das einzelne Individuum wird dadurch bestimmt, dass „auch seine Bedürfnisse durch den anderen oder durch das Ganze entsprechend befriedigt werden.“ Gibst Du mir, geb‘ ich Dir. Äquivalenzverhältnisse – allerdings im Vorherein durch die „ökonomische Politik“ festgelegte. So war es auch in der geplanten real-“sozialistischen“ Warenproduktion gedacht. Das Ergebnis ist bekannt: Bestimmer wie Bestimmte wurden zu Getriebenen der Zwänge eben jener Warenproduktion. Der „Sozialismus“ kam seinem angeblich kommunistischem Ziel keinen Schritt näher. Wer entscheidet bei Wolfram darüber was berechtigte Bedürfnisse sind, welche Leistung der anderen entspricht, welche Güter oder richtiger Waren einander entsprechen? Es soll ja gerecht zugehen. Und vor allem: Welches ist das Maß, nach dem der Austausch geregelt wird? Was den Arbeiter betrifft: der „Verbrauch von … Lebenskraft und Lebenszeit“.
Jetzt ist Wolfram eigentlich genau wieder bei dem, wogegen er eine Alternative konstruieren wollte, bei der Lohnarbeit und der Warenproduktion, also bei Verhältnissen, die der anfängliche Kronzeuge Marx kritisierte und zwar als Politische Ökonomie. Jetzt sei es aber die gute, die nun wirklich demokratisch zustande gekommene Politik, die „ökonomische Politik“, die alles vernünftig regelt. Sie beherrscht in Wolframs Vorstellung offenkundig auch ihre Grundlage, die Wert-Ökonomie. Sie hebelt deren innere Logiken aus etwa durch eine „politische Preisbildung“ und durch „Schwundgeld“.
Nach dem, was Wolfram anfangs an Einsichten in die kapitalistische Produktionsweise offenbart, hatte ich angenommen, er bekommt tatsächlich eine Alternative durch Aufhebung der kapitalistischen Warenproduktion in den Blick. Nach seiner Marx-Rezeption, so wäre zu erwarten, weiß er, dass es innerhalb einer Waren-Produktion auf hohem Niveau gerade der gerechte Austausch ist – eben der äquivalente Austausch gemäß des „Verbrauchs von … Lebenskraft und Lebenszeit“ –, der zu den Spaltungen der Menschen in arm und reich und in Klassen führt. Marx hat die Ausbeutung gerade unter der Voraussetzung dieses gerechten Austausches erklärt und zwar indem er die Quelle von Wert und Mehrwert innerhalb der kapitalistischen Produktion aufdeckt, begreift, was zwischen G und G‘ tatsächlich passiert. Wolfram dagegen bewegt sich aber hier nur noch in den Kategorien der Zirkulation und versucht mit diesen eine angeblich ausbeutungsfreie Welt zu basteln. Die soziale Qualität der Produktion selbst, der tatsächliche Prozess der kapitalistischen Ausbeutung, ist ihm hier kein Thema mehr. Das ist schon eine große Kunst für jemanden, der die „Kritiken der Politischen Ökonomie“ hoch und runter zitiert, auch die „Grundrisse“, in denen Marx sich ausdrücklich mit jenem damals noch originellem Denker auseinandersetzte, dessen Irrtümer Wolfram hier wieder aufwärmt – mit Proudhon. „Für einige Zeit“, so Marx, konnte Proudhons „unvollkommne Erkenntnis der moralischen Gesetze … dem gesellschaftlichen Fortschritt genügen“2. (MEW 2/27) Doch wir haben nicht mehr 1844, als er dies einen noch „historisch gerechtfertigten Standpunkt“ nannte.3 (MEW 2/33)
Wolfram will eine Reichtumsproduktion, die „nicht dem Geld dient“, nicht „der abstrakten Gesellschaftlichkeit“ sondern die „selbst schon die konkrete Gesellschaft ist.“ Prima. Doch in seiner Umkehrung der politischen Ökonomie in eine ökonomische Politik braucht er einen Maßstab für die Arbeit, die die Menschen zu leisten haben, um ihren Selbsterhalt sicherzustellen. Und der wird – was sonst – auch bei nach ihm in der „der hierfür nötige Aufwand in Lebenszeit“ bemessen. „Wert der Ware Arbeitskraft“ würde Marx dazu exakter sagen. „Auf diesen Selbsterhalt bezogen sind alle Menschen gleichgestellt“ – so Wolfram über seine alternative Gesellschaft. Also – alle Menschen sollen Lohnarbeiter sein. Aber genau das ist eben politische Ökonomie, nicht anderes. Schnöder Kapitalismus. „Aber in ihrer gesellschaftlichen Beziehung sollen“ sich die Menschen über diese Gleichschaltung „hinaus auch besondern können.“ Dies damit die Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklung nicht verloren ginge. Tolle Alternative.
Wolfram will die „gesellschaftliche Macht der abstrakten Arbeit“ über die Produzenten aufheben, aber genau diese rekonstruiert er in seinem Zukunftsentwurf. Nichts anderes ist eine Produktionstätigkeit, wie Wolfram sie in verballhornten Wertkategorien beschreibt. Er will eine freie Gesellschaft, hält es aber offenkundig für ausgeschlossen, dass das Bedürfnis sich assoziierender Menschen nach schöpferischer Tätigkeit eine ganze Gesellschaft auch materiell tragen kann. Er fragt nicht wirklich nach den Voraussetzungen für eine solche neue Produktions- und Lebenswesie. Er braucht für seine Zukunftsvorstellung den stummen Zwang der Ökonomie gegenüber dem Einzelnen, den Zwang zur Lohnarbeit. In seiner Illusion erhalte dieser Zwang durch seine ökonomische Politik in der kommunalen Wirtschaft sozusagen ein menschliches Antlitz. Doch die Teilhabe der einzelnen Produzenten an den Produkten gesellschaftlicher Produktion nach dem Maß der von ihnen in Lohnarbeit jeweils verausgabten Arbeitszeit – solcherart Vermittlung der gesellschaftlichen Beziehungen über die Wertkategorien – das ist eben genau dies: „gesellschaftliche Macht der abstrakten Arbeit“ über die Produzenten, die „ökonomische Politik“ eingeschlossen.
Wolfram macht die Kommune mit ihrer angeblich überschaubaren Substistenzwirtschaft stark. Dies offenkundig, weil man sich hier leicht einbilden kann, dass etwa das Maß an Arbeitszeit einverständlich ausgehandelt werden könnte. Ich ignoriere hier mal, dass wir nicht in einer vormodernen bornierten Wirtschaft mit Selbstversorgung bzw. engbegrenzten Kreisläufen leben und auch nicht zu einer solchen zurückkehren können bzw. wollen.
Wie denkt er sich auf dieser Grundlage das Funktionieren der Weltwirtschaft? Das Mehrprodukt der Subsistenzwirtschaft – also offenkundig das, was für den reinen Selbsterhalt der Gemeindemitglieder nicht gebraucht wird – das geht in den überregionalen, internationalen Austausch ein. Auch dies werde auf immer höherer Ebene politisch geregelt. Das geschieht natürlich demokratisch und gerecht, das heißt gemäß dem in den Produktion enthaltenen Arbeitszeit und materiellen Ressourcen, also – dem Wert gemäß. Und der – in (politischen) Preisen ausgedrückt – soll von vornherein festgelegt sein? Im internationalem Austausch zwischen Produzenten, von denen die einen produktiver als die anderen arbeiten, in deren Produkten, richtiger Waren, jeweils mehr oder weniger Arbeitszeit geronnen ist? Wie stellt sich hier dann die Äquivalenz im Austausch her? Welche Bürokratie soll hier im „Vorhinein“ regeln, was der richtige Wert/Preis ist? Das Ganze läuft auf nichts anderes hinaus als auf eben die Herrschaft der abstrakten Arbeit über die Produzenten – normaler Kapitalismus samt seiner extremen Reichtumsunterschiede, Krisen und Katastrophen.
Warum sich mit solchen Konstruktionen beschäftigen? Weil dies in der Suche nach tatsächlichen Wegen aus dem Kapitalismus sehr verbreitete Irrtümer sind. Ich will verstehen, warum es auch heute noch, da tatsächlich die Möglichkeiten für die Konstitution einer freien Gesellschaft gegeben sind, viele kapitalismuskritische Menschen immer wieder in eine solche proudhonistische, lasalleanischer Denkweise oder in die des Silvio Gesell, des Schwundgeldes usw. hineingeraten. Ich will wissen was fehlt, damit solche Denkblokaden überschritten werden können.
Eine entscheidende Schwierigkeit ist, sich eine Produktionsweise vorzustellen zu können, die tatsächlich auf den „stummen Zwang der Ökonomie“ verzichten kann, also auf Lohnarbeit überhaupt, auf Warenproduktion überhaupt, auf äquivalenten Austausch, damit auf Vergesellschaftung über den Wert, damit auf Politik, also auf Herrschaft von Menschen über Menschen bedeutet. Es ist nicht hinreichend, wenn einzelne Momente der Kritik der Politischen Ökonomie zutreffend erfasst werden. Sobald ernsthaft die Frage nach der Alternative gestellt wird, also nach einer noch nicht vorhandenen neuen Form der Vergesellschaftung, gewinnt die Frage nach dem sozialen Bezug des Suchenden offenkundig entscheidende Bedeutung. Es geht um den Bezug sowohl zu den tatsächliche mit der spätkapitalistsichen Produktionsweise entstehenden Voraussetzungen für deren Aufhebung also auch zu tatsächlichen oder nur erhofften sozialen Räumen, innerhalb derer sich das Neue wenigstens keimförmig zeigt.
Marx sah einen inneren notwendigen Zusammenhang zwischen dem Denken Proudhons und seinem sozialen Bezug auf noch unentwickelte kapitalistische Verhältnisse. „Alles in allem geht Herr Proudhon nicht über das Ideal des Kleinbürgers hinaus.“ (MEW 4/157)4 Bei Marx selbst – so sehe ich das heute – war es gerade sein Bezug auf die Kämpfe des Proletariats als dem angeblich revolutionärem Subjekt war, der ihn zu Bestimmungen der sogenannten Übergangsgesellschaft drängte, die sich proudhonscher Kategorien bedienen. Die sogenannte erste Phase des Kommunismus bedarf nach Marx – dies im Gegensatz zu seinen Kritiken der Politischen Ökonomie und seiner Proudhon-Kritik – auch noch der Wertkategorien und des darauf gegründeten Rechts, dies allerdings nun „politisch verkehrt“ wie Wolfram sagen würde durch die „ökonomische Politik“ der Diktatur des Proletariats.
In der heutigen spätkapitalistischen Gesellschaft wird nicht nur die auf die Verwertung von Wert gegründete Produktionsweise zur „miserablen Grundlage“. Diese vernichtet nicht nur im Maße gerade ihrer Produktivitätssteigerung ihre eigene Wertgrundlage, von den natürlichen Ressourcen ganz zu schweigen, und bedarf schon deshalb für ihre Selbstbewegung immer gewaltigerer, immer windiger werdender staatlicher Krücken. Sie hat zugleich solche menschliche Fähigkeiten hervorgebracht, die sich auf eine neue menschliche Weise zur Geltung bringen und immer schwerer in den Dienst an einem äußerlichen Zweck – der Verwertung von Wert – zu pressen sind. Vor allem existieren nunmehr bereits solche sozialen Zusammenhänge, auf die bezogen tatsächlich eine Gesellschaft denkbar wird, deren Zusammenhang nicht über Wert, Politik, Ideologie vermittelt wird. Es sind die sozialen Formen, in denen in freier, nicht wertförmiger, also von keinem ökonomischen Zwang getriebenen Tätigkeit etwa Open-source-Produkte entstehen. In Bezug auf solche Wirklichkeiten von sich assoziierenden Individuen wird eine Produktionsweise denkbar, in der die Reichtumsproduktion nicht mehr nach dem Maß des verausgabten Arbeitsaufwandes und der dementsprechenden Realisierung von Wert (und Mehrwert) erfolgt und auch nicht mehr der Vermittlung und Absicherung durch irgendeine Politik bedarf.
Wolfram, versuch doch bitte einmal, Dich wenigstens hypothetisch auf diese Sicht einzulassen. Dann wird sicher auch deutlich, warum, wenn ich von den materiellen Bedingungen sich frei assoziierender Individuen spreche, also von nützlichen Dingen, Lebensmitteln im weitesten Sinne, ich nicht nur NICHT von WAREN, damit von Tauschwerten sprechen kann, sondern auch NICHT von Gebrauchs-WERTEN. Die wirklich schöpferisch tätigen Menschen können die ihnen und aller Welt nützlichen und frei verfügbaren Dinge nicht auf der Grundlage der von der kapitalistischen Produktionsweise entwickelten Produktionsmittel herstellen. Deren Gebrauch reproduziert unvermeidbar die sozialen Bedingungen ihrer Entstehung, führt nicht aus der Lohnarbeit heraus, sondern zwingt in diese hinein. Auch das ist vom Real-„Sozialismus“ zu lernen.
Die Produkte freier schöpferischer Tätigkeit nicht zu verstehen als Gebrauchswerte, befreit von deren Wertbeziehung.
Die sich frei assoziierenden Individuen sind auch nicht zu bestimmen als Lohnarbeiter, von „ökonomischer Politik“ oder sonstwas befreit von ihrer kapitalistischen Genese, von der Ausbeutung.
Vergesellschaftung über Wertkategorien, über äquivalenten Austausch, über Politik/Staat und Ideologie haben hier überhaupt kein Medium. Die Konstitution des sogenannten Reiches der Freiheit ist von vornherein in all dieser Hinsicht – Produzenten, Produkte, Produktionsverhältnisse – eine Neuschöpfung oder sie wird nicht stattfinden. Es kann keine sogenannte Übergangsgesellschaft geben, die sich der Produkte und der Mittel der alten Vergesellschaftung bedienen kann.
Unter dieser Voraussetzung des totalen Bruches mit den Formen der bisherigen Geschichte und ihrer Produkte ist dann auch der Übergang vom Reich der Notwendigkeit zu dem der Freiheit zu denken. Damit ist auch der Zusammenhang zwischen beiden zu erfassen, der Prozess des Entstehens von Voraussetzungen für den Übergang von der menschlichen Vor- zur eigentlichen menschlichen Geschichte. Es sind so auch die Formen des Übergang zum letzteren zu antizipieren, Keimzellen dessen. Hier ist der Weg dann tatsächlich auch schon das Ziel.
Hallo Ulli,
Du hast da ja sehr ausführlich die Schnittstellen und Gegensätze unserer Diskussion dargestellt, wenngleich nach meiner Auffassung vieles davon nicht diskutiert, sondern nur unterstellt ist – vor allem die Behauptung, dass ich im Fortgang meines Textes mit der Marx’schen Analyse breche. Ich denke, dass ich gerade seine Beschreibung der „miserablen Grundlagen“ der Warenproduktion fortsetze und die entsprechenden Konsequenzen ziehe – gerade eben im Sinne der Marx’schen Auffassung von Arbeit und Wirtschaft. Diesbezüglich schreibt er z.B. in den Grundrissen:
„Die wirkliche Ökonomie – Ersparung – besteht in Ersparung von Arbeitszeit; … diese Ersparung ist aber identisch mit Entwicklung der Produktivkraft. Also keineswegs Entsagen vom Genuss, sondern Entwickeln von … Fähigkeiten zur Produktion und daher sowohl der Fähigkeiten, wie der Mittel des Genusses. Die Fähigkeit des Genusses ist Bedingung für die Entwicklung der Fähigkeit zur Produktion…
Die Ersparung von Arbeitszeit gleich Vermehren der freien Zeit, d.h. Zeit für die volle Entwicklung des Individuums… Die freie Zeit – die sowohl Mußezeit als Zeit für höhere Tätigkeit ist – hat ihren Besitzer natürlich in ein anderes Subjekt verwandelt und als dies andere Subjekt tritt er dann auch in den unmittelbaren Produktionsprozess.“ (Reprint der Moskauer Ausgabe von 1939 vom Europa-Verlag Wien 1972, S. 599)
Hier geht es nicht um eine reine Entgegensetzung von Kapitalismus und Kommunismus, sondern um die „wirkliche Bewegung“, in welcher der Kapitalismus seiner miserablen Form, der Ware als Elementarform des gesellschaftlichen Reichtums entwachsen muss, weil er durch die Entwicklung der Produktivkraft selbst die Keimform einer anderen Gesellschaftsform ist. Marx beschreibt eine verkehrte Gesellschaft. Und die kann eben auch nur verkehrt sein, weil sie eine Verkehrung vollzieht, die Verkehrung eines menschlichen Lebensverhältnisses betreibt, also einem gesellschaftlichen Verhältnis entspricht, dessen Inhalt eine verkehrte Form hat, ein „Unding“, anachronistisch ist.
Die so netten wie naiven Vorstellungen von einer Peer-to-Peer-Ökonomie oder eines Commonismus gehen doch gerade daran vorbei, dass das Potenzial der Aufhebung des Kapitalismus in dem vorhandenen Material steckt, das er hervorgebracht hat. Das halte ich für ein Windei, das so freiwillig erscheinen darf, wie es gewaltsam wird, wenn es eben nicht gelingt, weil es letztlich nur moralisch begründet ist und nicht funktionieren kann.
Aus diesem Grund siehst Du das, was ich als Notwendigkeit des Aufwandes und seiner gesellschaftlichen (=politischen) Bezüglichkeit noch bedenken muss, als Bestimmungsmacht eines Zwangsverhältnisses. Das ist absurd. Aber da hört dann eben das wertkritische Denken auf, weil es sich davon frei dünkt.
Nicht ganz fair ist die durch entsprechenden Schnitt und Heraussonderung erreichte Sinnentstellung einiger Zitate, besonders wo sie den Naturbegriff, den ich mit Marx teile, betreffen. Die „Entfremdung des Menschen von seinem Gattungswesen“ ist in der ganzen Marx’schen Begrifflichkeit grundlegend, und dieses ist seine Natur, die Menschwerdung selbst. Ich teile auch nach wie vor diese Grundlage des historischen Materialismus, die impliziert, dass die menschliche Geschichte noch nicht menschliche Wirklichkeit erreicht hat – und gerade deshalb barbarisch wird, wenn dies nicht gelingt. Die Arbeitswerttheorie hat darin ihre Grundlage, dass die Produktion der menschlichen Natur folgt (ansonsten er zugrunde ginge) und deshalb im Wert mächtig gegen die Menschen wird, wenn das Produkt privat angeeignet werden kann, also der Rechtsform des Privateigentums (bzw. der Ware) gehorcht. Die Kritik der politischen Ökonomie ist nichts anderes als die Kritik dieser Rechtsform. Von daher gehen Deine Interpretationen meines Rechtsverständnisses an der Sache vorbei. Und so bleibt Dir natürlich auch verschlossen, warum eine ökonomische Politik nicht nur die Umkehrung, sondern die Aufhebung der Entzweiung von Ökonomie und Politik ist – die Aufhebung der Getrenntheit, die eben der Grund war, durch den Politik überhaupt zu einem frei und selbständig scheinenden „politischen Willen“ werden konnte. Politik ist nicht weg, nur weil gesellschaftlicher Bezug nicht mehr damit bezeichnet wird.
Du hälst lieber daran fest, dass es keine politische Beziehung von Bedürfnissen und Arbeit gibt, weil du Dir nicht vorstellen kannst, dass eine Auseinandersetzung hierüber und also eigentlich auch kein gesellschaftliches Eigentum möglich ist. Der Hintergrund ist ein individualistisches Verständnis von Sachbezogenheit, das zwangsläufig an allen gesellschaftlichen Formproblemen vorbeigehen muss, so diese überhaupt noch wahrgenommen werden. Ein jeder gibt und jeder nimmt, weil alle füreinander da sind, wie es in der Bibel steht. Natürlich: Im Commonismus ist das alles erstmal nur in Vorstellungen aufgelöst, die aus familiären Wahrnehmungen entnommen sind. Solange es nur sprachlich läuft, wie z.B. in den Communities des Internets, lässt sich dabei auch einiges arrangieren, was in Wirklichkeit nicht gehen kann. Aber auch da merkt man schon, das ganz freiwillig nicht alles funktionieren kann, dass es da auch Notwendigkeiten gibt, die erst so nach und nach bewusst werden, weil man sie ganz vergessen hatte. Man mag sich Rezepte austauschen; das Essen steht deshalb noch lang nicht auf dem Tisch.
Ganz daneben geht nach meiner Auffassung Deine Vorhaltung, ich würde die Marxsche Analyse nicht beibehalten, sondern eigentlich auf das Wertverhältnis zurückfallen. Du schreibst:
„Nach seiner [Wolframs] Marx-Rezeption, so wäre zu erwarten, weiß er, dass es innerhalb einer Waren-Produktion auf hohem Niveau gerade der gerechte Austausch ist – eben der äquivalente Austausch gemäß des „Verbrauchs von … Lebenskraft und Lebenszeit“ –, der zu den Spaltungen der Menschen in arm und reich und in Klassen führt. Marx hat die Ausbeutung gerade unter der Voraussetzung dieses gerechten Austausches erklärt und zwar indem er die Quelle von Wert und Mehrwert innerhalb der kapitalistischen Produktion aufdeckt, begreift, was zwischen G und G’ tatsächlich passiert. Wolfram dagegen bewegt sich aber hier nur noch in den Kategorien der Zirkulation und versucht mit diesen eine angeblich ausbeutungsfreie Welt zu basteln. Die soziale Qualität der Produktion selbst, der tatsächliche Prozess der kapitalistischen Ausbeutung, ist ihm hier kein Thema mehr.“
Was ist denn das für ein absurdes Wertverständnis? Es ist doch nicht der „Verbrauch von … Lebenskraft und Lebenszeit –, der zu den Spaltungen der Menschen in arm und reich und in Klassen führt“. Das Wertverhältnis von Arbeitskraft und Kapital stellt gerade die Lebenskraft und Lebenszeiten des einen unter die Macht des anderen, beruht also nicht auf einem Äquivalent, sondern auf dem Rechtsverhältnis der Warenform, die dann im Wertverhältnis auf dem Markt äquivalent getauscht wird – nicht Kraft gegen Kraft, sondern Besitz an Kraft gegen Besitz an Geld. Jeder erhält dort das Geld, das er privat verdient: Der eine den Lohn, mit dem er sein Leben reproduziert, der andere den Mehrwert, den er aus der Arbeit „herausgewirtschaftet“ hat und durch den er seine Macht vermehrt und sein Marktrisiko mindert. Deshalb bleibt der eine arm und wird der andere reich – und das hat Marx zur Ausbeutung geschrieben, die sich aus einem wertgerechten Austausch erklärt, der keine gerechte (im Sinne von richtige) Beziehung von Lebenszeit und Lebenskraft sein kann. Wert ist für Dich schon die reine Arbeitszeit. Das ist schlicht falsch. Wert hat als Begriffsgröße die auf dem Markt, also im Austausch realisierte gesellschaftlich durchschnittlich verausgabte Arbeitszeit zur Herstellung der Ware, wie sie sich zwischen Angebot und Nachfrage ergibt. Es ist die Wertform, die den Preis für das Produkt und für die Arbeitskraft regelt, nicht Zeit oder Stoff oder sonst was. Und die Wertform ist immer ein quantitatives Verhältnis von einer totalen Beziehung der Güter, wie sie im Tausch und also nicht für die Menschen ist. Lebenskraft und Lebenszeit der Menschen kommen hier gar nicht wirklich vor. Der Markt ist lediglich ihre verkehrte Verhältnisform, das Verhältnis losgelöster Zeitmengen abstrakter Arbeit.
Vielleicht hast Du ja einfach überlesen oder nicht mit bedacht, dass ich mich gegen marktförmige Beziehungen wende, indem ich sie aus der abstrakten Verhältnisform in eine bestimmte, in die Form von Vertragsverhältnissen bringen will. Solche Verhältnisse regeln politisch, was sonst der Wert regelt. Man kann hier nicht mehr von Lohnarbeit reden, weil nicht Geld das Maß setzt, sondern eine Übereinkunft zwischen Individuen und Kommunen. Nicht weil Kommunen überschaubar wären, macht die Beziehung auf sie notwendig, sondern weil sie die räumliche Form von Gesellschaft und also der Politik ins Verhältnis setzen, ohne die keine Produktbeziehung möglich ist, weil Arbeit sich eben nicht individuell und gesellschaftsunabhängig, also als bloße Einzelheit ohne Allgemeinheit, und nicht frei von Zeit und Raum ins Verhältnis setzen lässt, mag sie auch – wenn man von ihren Bedingungen absieht – so individuell und selbstschöpferisch – wie z.B. die Arbeit eines Programmierers vor seinem Rechner – erscheinen.
Du schreibst: „Es sind die sozialen Formen, in denen in freier, nicht wertförmiger, also von keinem ökonomischen Zwang getriebenen Tätigkeit etwa Open-source-Produkte entstehen. In Bezug auf solche Wirklichkeiten von sich assoziierenden Individuen wird eine Produktionsweise denkbar, in der die Reichtumsproduktion nicht mehr nach dem Maß des verausgabten Arbeitsaufwandes und der dementsprechenden Realisierung von Wert (und Mehrwert) erfolgt und auch nicht mehr der Vermittlung und Absicherung durch irgendeine Politik bedarf.“ Oh ja, mein Guter! Ich kenn das. Die große Werbeagentur Internet macht ökonomischen Zwang unsichtbar. Und der Erfolg begeistert den Open-Sourcer; nur die reale Beziehung fehlt. Deshalb einfach mal umgekehrt. Der Mangel schafft Verbindungen und „assoziiert“. Im Mangel an Sozialem ist alles in Beziehung und muss nicht erst bezogen werden. Wort gegen Wort, alles zur Information, der Wissensformation, die es zudem scheinbar gratis gibt. Für eine Zeitlang waren im Reich der Open-source-Produktion tatsächlich „alle Menschen Brüder und Schwestern“. Heut herrscht auch dort ein Machtkampf und Machtstrukturen bestimmen, was aus den Brüdern und Schwestern wird, die sich da um schöne Texte für Wikipedia oder um Datensammlungen fürs iPhone etc. bemühen. Bis heute ist es z.B. mehreren Leuten seit Jahren nicht gelungen, einen Web-Link zur http://www.kulturkritik.net im Artikel „Kulturkritik“ auf Wikipedia anzubringen, weil die das einfach nicht mögen (dass einiges an Text dort von mir stammt ist glücklicherweise in Vergessenheit geraten). Apple besitzt die Macht über alle App-Verteilungen usw. Besser wär, diese „sozialen Formen“ mal genauer aufs Korn zu nehmen und sich den Kapitalismus genauer vorzustellen, der damit möglich ist, als das zu bejubeln und zu behaupten, dass es sich hier schon um „freie, nicht wertförmiger, also von keinem ökonomischen Zwang getriebenen Tätigkeit“ handelt.
Dein Bezug zur Marx-Kritik an Proudhon geht ziemlich daneben, wie auch der zu Lasalle oder Gesell. Beides ist nur hergeholt und gewollt assoziiert, um schließlich ziemlich abfällig zu werden. Deshalb will ich mich zu den hieraus sprießenden Missinterpretationen nicht weiter einlassen, die nur noch verquer etwas von dem enthalten, was ich geschrieben habe und mit dem Du insgesamt nur „Denkblockaden“ assoziierst. Der Grund ist vielleicht einfach Deine „Denkblockade“ im Verständnis von „abstrakter Arbeit“. Völlig absurd, wenn Du mir vorhälst:
„Das Ganze läuft auf nichts anderes hinaus als auf eben die Herrschaft der abstrakten Arbeit über die Produzenten – normaler Kapitalismus samt seiner extremen Reichtumsunterschiede, Krisen und Katastrophen. Warum sich mit solchen Konstruktionen beschäftigen?“
Dann lieber einfach mal Schluss machen mit dem Kapitalismus, Tür zu und Ende? Ach so: Neu anfangen, Keimformen schaffen, alles nochmal. Du schreibst: „Unter der Voraussetzung des totalen Bruches mit den Formen der bisherigen Geschichte und ihrer Produkte ist dann auch der Übergang vom Reich der Notwendigkeit zu dem der Freiheit zu denken.“ Ja, wo willst Du dann das hernehmen und hintun, was alles so geworden ist? Reicht dazu vielleicht ein Sortiment von Computer und Käseplätzchen? Und was ist mit größeren Projekten, wie z.B. Bahn und Straße und Krankenhaus und Altersversorgung usw,? Wie sollen Zeiten und Räume aufeinander bezogen werden, ohne Plan und Form?
So einfach geht’s eben nicht. Aber sicher: Es gibt da noch viel zu diskutieren.
Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, möchte ich noch zweierlei anmerken: 1. Kommunismus versteht den kommunalen Menschen als Subjekt seiner Geschichte (wie z.B. in der Pariser Kommune) und der lebt nicht wie brave Eheleute in „Gütergemeinschaft“.2. Natur hat nichts mit Kosmos oder reiner Physiologie oder Esoterik zu tun, sondern meint das Wesen, wie es von seiner Geburt begründet und als solches auch zu begreifen ist. „Natur ist die Substanz des Lebens, lebendige Stofflichkeit, die allem Weseninne ist. Jedes Wesen ist nicht erst durch seine Natur natürlich; es ist nur als Natur wesentlich. Natur kommt von Geburt (Natus = die Geburt) und meint, was ein Wesen von seinem Grund her ist. Jedes Wesen ist so natürlich, wie es geboren ist: Die Pflanze auf dem Boden, wo ein Samen sich zu nähren versteht, das Tier in der Herde oder als Haustier im Stall oder Korb, wo seine Lebensbedingungen es wachsen lassen, der Mensch in seiner Gesellschaft und Kultur. Seine Natur steht daher nicht im Gegensatz zu seiner Kultur (wie allgemein behauptet), die der Nährboden seines Wesens ist, das nicht einfach reinen Naturstoff als bloße Nahrung nötig hat, sondern auch andere Menschen,Gesellschaft, wie sie ihrer Natur entsprechend auch geworden ist.“ (Kulturkritisches Lexikon, http://kulturkritik.net/lexex.php?lex=natur)
Ihr schreibt riesenlange mich verwirrende Abhandlungen über Arbeit und über Kultur. Damit klarer wird, wovon eigentlich jeweils die Rede ist, schlage ich folgende Definitionen vor (die sich zum Teil auch schon in öffentlichen Diskussionen niederzuschlagen beginnen)
Arbeit, Tätigkeit, Beschäftigung, Freizeit:
„Arbeit“ bedeutet fremdbestimmte Arbeit, bestimmt durch Vorgesetzte, Behörden, Vorschriften, eigene und fremde Zwänge, auch Kunden etc. Der Arbeitende kann Freude daran haben, hat sie aber meist nicht, weil ihm Sinn und Rahmenbedingungen fremd sind.
„Tätigkeit“ entsteht dagegen aus eigenem Antrieb. Sie macht Sinn für den Tätigen und bringt oft vollen Einsatz.
„Beschäftigung“ dient dazu, Menschen aufzubewahren, z.B. in einer Beschäftigungs-Maßnahme. (Was bedeutet dann wohl Vollbeschäftigung? !!)
„Freizeit“ ist nur das Gegenteil von „Arbeit“ im obigen Sinn. Freizeit kann sehr wohl mit intensiver Tätigkeit ausgefüllt sein; auch mit Beschäftigung. Dann ist Arbeit NichtFrei-Zeit oder Unfrei-Zeit.
Kultur:
Kultur wird verwendet für Kunst; Pflege; Gesamtheit des vom Menschen Geschaffenen;
Zucht von Pflanzen, Tieren, Bakterien; soziale Organisationsformen, Umgangsformen und vieles mehr. Ich schlage vor, den Begriff einzuengen. Im Sinne: Wie verhält sich ein kultivierter Mensch? Kurz und platt: „Kultur ist, wie man miteinander umgeht.“ Oder mit Albert Schweitzer: „letztlich erstrebt die Kultur die geistige und sittliche Vollendung des Einzelnen„. Warum die Einengung? Für den Umgang miteinander gibt es im Deutschen kein passendes Wort. „ethisch hochstehende Umgangsformen“ kämen dem Sinn umständlich nahe, „Kultur“ ist knapper. Vielleicht hatte „Kultur“ schon einmal diese Bedeutung, und wurde dann für vieles andere zweckentfremdet.
War das ein wenig hilfreich?
@ Hinrich:leider überhaupt nicht hilfreich. Du kannst einen Streit um die Sache nicht durch eine willkürliche Festlegung (Definition) schlichten. Ich setze Dir einfach entgegen:
Arbeit, Tätigkeit, Beschäftigung, Freizeit:
“Arbeit” ist eine zielgerichtete Tätigkeit, die eigene oder Naturkräfte kontrolliert wirken lässt, um ein ansonsten nicht von selbst zustandekommendes Resultat zu erzielen. In ihrem inneren Kern ist Arbeit eine Gestaltung von Automatismen, die diesen Ausgangspunkt aufheben, eben konzeptive Arbeit. Man kann daher Paradox sagen: „Arbeit ist jene menschliche Tätigkeit, die ihre eigene Verringerung zum Ziel hat“. Die Gleichsetzung von Arbeit mit Lohnarbeit ist eine interessierte Ideologie, die leider von ganz rechts bis ganz links immer mehr Fans findet.
“Tätigkeit” ist eine leere Abstraktion, die wenig aussagt als dass ein Subjekt eben tätig ist. „Tätig“ ist Mensch bei Spiel, Sport, Spaß, Schinderei, Sex und vielem anderen.
“Beschäftigung” ist tatsächlich ein Begriff aus der Kommandowelt, der unterstellt dass Menschen nicht wüssten was sie tun sollen und daher eine äußere Direktive oder Anleitung bräuchten. Die Plausibilität bezieht ein solcher Begriff freilich aus einer Gesellschaft die den Menschen tatsächlich nicht die freie Verfolgung ihrer Zwecke erlaubt, sondern die Verfügung über Welt an die Verfügung an Geld bindet, was die ganze Welt schon längst dem Zweck der Geldvermehrung unterworfen hat. In Wahrheit geht es dabei niemals um Beschäftigung, sondern um Lohnarbeit.
“Freizeit” ist zumeist jene Zeit, die der Mensch benötigt um sich wieder halbwegs von der Lohnarbeit zu erholen und sich zumindest eine Zeitlang so zu fühlen als käme es auf einen an.
Zu Kultur kann Dir sicher der Wolfram mehr sagen.
Franz Nahrada (13.03.2012, 16:31 Uhr) schrieb: @ Hinrich:leider überhaupt nicht hilfreich. Du kannst einen Streit um die Sache nicht durch eine willkürliche Festlegung (Definition) schlichten. Ich setze Dir einfach entgegen: …….
@Franz Nahadra: Das war für mich Neuling kein erfreulicher Empfang hier auf keimform.de. Mein Verständnis: Wenn man über etwas (z.B. Arbeit) diskutiert, ist es sehr sinnvoll, die Begriffe vorher zu klären. Sei es auch nur für diese eine Diskussion. Diese Klärung habe ich in den vorhergehenden Beiträgen zu „Arbeit“ vermisst, nicht gefunden und deshalb einen Vorschlag gemacht. Sind Deine Definitionen Gesetz bei keimform.de? Wo hätte ich sie finden müssen?
(Dass jeder jeden Begriff auch anders definieren kann, ist eine Binsenweisheit, torpediert aber jede sachliche Diskussion, und durchzieht diesen Blog. Wenn man eine Definition, die man ablehnt, als Ideologie hinstellt, wem hilft das?)
Also mal anders rum: jede Definition behauptet die Identität von Begriff und Sache. Eine Definition ist niemals eine willkürliche Setzung. Meine Definitionen sind gerade kein Gesetz hier, ich wollte Dir nur demonstrieren wie ich mich mit Deinen Vorschlägen fühle.
Das hast Du jetzt am eigenen Leib verspürt. So geht also sinnvolle Diskussion und Klärung gerade nicht. Viel produktiver ist es zu sagen: warum sehen Menschen unter Arbeit sowas völlig verschiedenes? Und inwiefern lässt sich das selbst noch als ein Moment dieses Begriffes erklären?
@Hinrich: Der Artikel ist doch genau so ein versuch das zu definieren, wie Du ihn einforderst.@Franz: Eben deswegen müssen ja alle Definitionsversuche von „Arbeit“ scheitern. Siehe http://www.aymargeddon.de/laboratorium/index.php/Arbeit
@Benni: Offenbar ist aus der bloßen Wortdefinition von „Arbeit“ keine ersprießliche Diskussion zu führen. Vielleicht könnte man die aufgeführten Probleme damit genauer klären an gemeinhin anerkannten Quellen dieser Diskussion. Marx hatte unter anderem im „Kapital I“ im 5. Kapitel sich doch sehr klar dazu geäußert. Ich habe ein Kompendium begonnen, das inzwischen bis dahin reicht, und worin ich versucht habe, alle Argumente darzustellen, die Marx ins „Kapital“ einbringt, die ich auch an Ort und Stelle direkt unter dem Originaltext kommentiert habe.Zu erreichen ist dies unter:http://kulturkritik.net/kompendium/index.php?rub=daskapital1
Wolfram ich kann nur sagen: Dein Fleiß macht mir Freude! Wichtig ist auch dass Du gleich in der Einleitung benennst dass die bürgerliche Gesellschaft sich selbst eigentlich schon aufgehoben hat (Bretton Woods) – in eine Richtung die nicht weniger mies ist als das Ausgangsverhältnis. Was das alles für die kategoriale Ebene bedeutet ist mir freilich noch nicht ganz klar.
Hallo allerseits,
ich mache mal noch eine andere Dimension auf, die philosophische, da sich mir die Epistemik – die Konstruktionsregeln sozusagen – eures „Storytellings“ nicht wirklich erschließt.
„Herstellung ihrer (materiellen) Lebensbedingungen“ (mit Emphase auf dem ersten Wort – Zitat Stefan) kann ja wohl nur als dialektisches Spannungsverhältnis von Intendiertem und Kollateralem, also gewollten (noch dazu – von wem?) und ungewollten Effekten verstanden werden. Ich denke, Kants Diktum „Die Materie der Erkenntnis kann nicht gedichtet werden“ sollte epistemisch nicht hintergangen werden.
Nun scheint mir, mehr bei Stefan, weniger, aber dennoch deutlich auch bei Franz und Wolfgang, dass ihr in euren Storytellings zumindest die Möglichkeit, das Gewollte unmittelbar zur Tat werden zu lassen, nahe wähnt, allenfalls dieser blöde Kapitalismus mit seinen Entfremdungen steht uns noch auf den Füßen. Das zu begreifen seid ihr aufgebrochen, den Arbeitsbegriff zu schärfen, dessen vielfältige semantische Überlagerung euch zu erstaunen scheint und die ihr (mit dem Altmeister) mit Begriffen „Gattungs- und Formbestimmung“ fassen wollt, Warenform. Warum nicht Warenformformform? @Stefan: Gibt es eigentlich in deiner Logik – epistemische Frage – eine Form der Form, was als Begriffskonstruktor dann leicht zu iterieren wäre? Eine Formbestimmung des Universellen, in deren Verständnis das historisch Konkrete eine Form der Form darstellte, würde den Blick auf das „Universelle“ als etwas lang Andauerndes öffnen und im Storytelling den Begriff der Koevolution erlauben.
Auch scheint ihr vollkommen klar davon auszugehen („so der versöhnliche Abschluss“),
dass es hier um so was wie „Stabilität“ geht, „dann in der Folge“ die Bedingtheit von Verlässlichkeit (Automation) also offensichtlich nicht mehr thematisiert werden muss.
Anderenorts hatten Storytellings der hier vorgetragenen Art für mich ein „Gschmäckle von Schlaraffenland“ (Cockaigne). Ich möchte dem deshalb – in aller gebotenen Kürze – eine (notwendig ebenfalls sehr einseitige) eigene Story entgegenhalten, die geht wie folgt.
Epistemische Einleitung (Prolog im Himmel): Grundlage jeden Storytellings ist die Festlegung der zeitlichen Dimensionen. Ich mache sie an Maßeinheiten fest – im Weiteren MJ (MillionenJahre, für die geologische Dimension) und TJ (TausendJahre, für die biologische Dimension). Außerdem der Betrachterort – hier ein vollkommen externer, nicht eingreifender Betrachter.
Nun der rote Faden der Story, deren belletristische Ausschmückung ich eurer Phantasie überlassen: Der Beobachter bemerkt, dass sich auf einem der hoffnungsvollen Planeten am Rand der Galaxis offensichtlich eine Explosion (=plötzliches Ereignis) ereignet. Dass der Planet etwas empfindlich ist, war bekannt – so hatte ein kleiner Steinschlag vor 60 MJ zum fast momentanen Verschwinden (innerhalb eines „Wimpernschlags“ von 10 mMJ = Milli-MJ) dieser prachtvollen Dinos geführt. Das ist aber nicht zu vergleichen mit dem, was sich dort offensichtlich innerhalb der letzten 0.5 mMJ ereignet hat, der „Explosion“ eben. Zwar hatte sich da etwas in den letzten 10 mMJ angekündigt, das satte Grün des Planeten war zunehmen von fahlen gelben Flecken durchsetzt, was irgendwie mit den Aktivitäten einer der vielen Spezies zu tun hatte, aber dass es gleich so heftig werden würde …
Das interessiert unseren Beobachter natürlich sehr und er holt sein Zeitmikroskop heraus, Vergößerung 1:1000, um sich das genauer anzuschauen, was sich da in den letzten 10 TJ getan hat. Es sieht in der Tat so aus, als ob diese eine von den vielen Spezies mit dem Feuer gespielt und eine Lunte entzündet hat, die zur beobachteten Explosion führte – Explosion in der Tat, denn innerhalb der letzten 500 mTJ (=Milli-TJ) hat sich etwas von einem Fleck am Ostufer des nördlichen Atlantik rasend über den ganzen Globus verteilt. Besonders besorgniserregend die Explosion der Population der Spezies selbst in den letzten 100 mTJ, die Anzahl der Individuen hat sich in dem Zeitraum schlicht verzehnfacht und sie haben so gut wie alle Ressourcen auf dem Planeten kahlgefressen, womit sich auch ein paar der globalen Parameter verändert haben, allerdings nur im Promille-Bereich, nicht so schlimm wie damals bei dem Steinschlag …
Nur gut, dass sie (noch) keine Flügel haben wie die Heuschrecken und nicht von ihrem Planeten wegfliegen können, wenn alles leergefressen ist. So ist schlicht zu erwarten, dass die Population aus Futtermangel zusammenbrechen und sich wieder auf ein vernünftiges Maß reduzieren wird. Dann sehen wir weiter und begutachten den Schaden, den die Explosion angerichtet hat.
Doch nein, was ist das? Die Spezies scheint – im Gegensatz zum Bisherigen – eine flimmernde Sozial-Kultur-Struktur ausgebildet zu haben. Jedenfalls ordnet sich die Sozial-Kultur-Struktur etwa alle 50 mTJ um und passt sich der ebenfalls explodierenden Techno-Struktur des Planeten, die irgendwie auch was mit der Explosion der Spezies zu tun zu haben scheint, an … Spannend.
So weit also mal meine Story. @Franz und Wolfgang: Das alles kann man hier aber wohl nicht diskutieren, denn
Deiner Story entnehme ich nur dass sich alles aneinander anpasst. Was willst Du uns genau damit sagen, kannst Du mal die Kornschärfe Deines Blicks verfeinern?
Ja klar, und ich meine (mit H.-P. Dürr und dessen „Potsdamer Manifest“ – Learn to think in a new way), der Mensch täte gut daran, sich dieser wunderbaren Eigenschaft der uns umgebenden Welt intensiver zu versichern. „Try to feel the force.“
Ansonsten muss ich meine zentralen Thesen nicht dauernd wiederholen – die „Explosion“, und damit die neue Zeitrechnung, begann vor gut 0.5 mJM, der „Kapitalismus ist die pubertäre Phase der Freien Gesellschaft“ usw. Kannst du alles schon in meinen „Chemnitzer Thesen“ aus dem Jahr 2005 nachlesen. Damit will ich die Community hier aber nun wirklich nicht weiter stressen.
@HGG:
Ja. Und? Es geht darum, die kollateralen bzw. externen Effekte von vornherein zur Bedingung der Herstellung der Lebensbedingungen zu machen — anstatt sie wie in der Warenproduktion bloß im Nachhinein zu konstatieren.
Nein, der Sinn einer solchen Konstruktion erschließt sich mir nicht. Für sinnvoll halte ich, von der Form eines Inhalts auszugehen.
@Stefan: Dann habe ich dich komplett falsch verstanden. Ich war davon ausgegangen, dass deinem „Herstellen“ ein Moment bewusster Gestaltung innewohnt, aus dem heraus sich in der Wirkung des Tuns Intendiertes und nicht Intendiertes unterscheiden lassen. Das scheint in deiner Sprachregelung nicht der Fall zu sein (?). Ich würde so etwas allerdings als „Sich-Herstellen“ bezeichnen und fände es auch nicht spannend zu untersuchen, da sich Menschen in einem solchen Verhältnis zur Natur von anderen Lebewesen nicht unterscheiden.
Zur Frage 2 (wieder epistemisch gefragt): Kann Form – evtl. auf einer anderen Abstraktionsebene – Inhalt sein?
Hallo allerseits, ein weiterer Kommentar zur Debatte zwischen Uli und Wolfgang, den ich mit der Markierung des grundlegenden Dissenses mit Uli beginne:
Meine Anmerkungen können sich also allein auf einen Diskurs beziehen, welche Potenziale innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft noch existieren, ein Storytelling über Alternativen, Hinausgehen etc. ist mir auf der bestehenden diskursiven Grundlage wenigstens mit Uli nicht möglich. Ich expliziere das, um Missverständnissen vorzubeugen.
@Uli: Ein zentraler Kritikpunkt von dir an Wolfgang ist
Das scheint ein konstitutives Moment deiner Überlegungen zu sein, denn du schreibst auch
Deshalb die Gegenfrage: Kannst du dir eine kapitalistische Produktionsweise vorstellen, in der es keine Lohnarbeit gibt? Hat Kapitalismus (noch) ein solches Entwicklungspotenzial in sich? Falls ja (es gibt viele faktische Hinweise darauf und eine politische Ökonomie gäbe es nach meinem Verständnis auch her), wäre für dich eine Modifikation obiger These in „Also – alle Menschen sollen Unternehmer sein“ denkbar? Wie gesagt, die Rahmen der Warenproduktion würden nicht verlassen, es wäre genauso schnöder, verdammenswerter Kapitalismus wie der heutige auch, die Debatte über die Transzendierung dieses Systems wäre nicht tangiert, es ist die pure Frage „Hat diese Gesellschaft noch eine solche Entwicklungspotenz?“
Ein zweiter Punkt, in dem ich Wolfgang schlicht argumentativ assistieren möchte, einem (auf keimform.de weit verbreiteten) spezifischen „Gschmäckle von Schlaraffenland“ nicht aufzusitzen:
Offensichtlich ist es für einen Außenstehenden schwierig, die komplexe sozio-technische Infrastruktur (einschließlich der damit in dieser Gesellschaft verbundenen Kosten) hinter dieser Produktionsform überhaupt zu sehen, in die allein IBM über 1 Mrd. Dollar pro Jahr reinsteckt. Die „Brötchenfrage“ ist also schon geklärt, bevor diese wunderbaren „freien, nicht wertförmigen, also
von keinem ökonomischen Zwang getriebenen Tätigkeiten“ überhaupt in euer Blickfeld geraten. Siehe auch http://www.oekonux.org/journal/list/archive/msg00983.html
@Wolfgang: Dein Argument
kann ich in keiner Weise nachvollziehen. Sind nicht „marktförmige Beziehungen“ geradezu die Urform von „Vertragsverhältnissen“?
@HGG#35:
Menschen stellen sich her, indem sie ihre Lebensbedingungen herstellen. Andere Lebewesen finden ihre Lebensbedingungen hingegen bloß vor. Das ist ein wesentlicher Unterschied.
Form ist Form eines Inhalts, ergo: nein. Aber ich finde diese Frage abstrakt, inhaltslos, quasi nur Form, also leer. Worum geht es dir?
Da empfehle ich dir mal einen Blick zum Beispiel auf http://www.waf-erfweiler.de/waldameiseoekosystem.html oder http://www.ameisenwiki.de .
Heißt das, dass du Wolfgangs Ansätze „… ist deshalb nur im Begriff der Formbestimmung auflösbar, welche aus einem doppelten Inhalt der Form ergeht, die Naturalform und zugleich durch einen abstrakten Inhalt bestimmte Form ist.“ oder „Der Gebrauchswert selbst ist Inhalt und Form und als Form doppelt, eben auch formbestimmt“ nicht denken kannst? Bzw. – wie denkst du sie?
Um die Epistemik, ich schrieb es bereits.
@HGG#36:„Sind nicht “marktförmige Beziehungen” geradezu die Urform von “Vertragsverhältnissen”?“
Vertragsverhältnisse kommen zwar auch in der Marktwirtschaft vor; umgekehrt sind sie nicht die Urform von diesen, weil Vertrag nur auf Verträglichkeit, nicht auf Formbestimmung, sondern auf Übereinkunft beruht. Übereinkommen geht aus bestimmten Verhältnissen und in deren Maß hervor und es ist deshalb nicht notwendig durch eine abstrakte Allgemeinheit, einer Durchschnittsgröße des Arbeitsaufwandes, einer Wertgröße bemessen. Er hat also kein anders bestimmtes Maß nötig hat als das, worauf man sich konkret, also in unmittelbarer Beziehung zur Sache und zwischen Bedürfnis und Aufwand einig sein muss, wenn die Beziehung gelingen soll. Dies sowohl einzeln wie auch in Gesellschaft, also als Grundübereinkunft der Reproduktion zum Beispiel oder der Entwicklung, Erfindung, Sonderleistung usw. Das macht die Freiheit im Notwendigen aus. Natürlich bleibt die Notwendigkeit dabei grundlegend, nicht aber die Formbestimmung eines Vertrags, sondern der Vertrag selbst. Alle Freiheit ist die Creation, wie das Notwendige gestaltet und entwickelt wird: Bildung von Reichtum.
Hallo Wolfram (und nicht Wolfgang, wie ich falsch schrieb)
Aber dieses Maß ist doch auch ein gesellschaftlich konstituiertes, kann es anders sein? Die Maßvorstellungen jeder der Parteien sind doch in einem mehr oder weniger gemeinsamen Praxisprozess entstanden, sonst wären sie doch nicht anschlussfähig und kein Maß der Einigung möglich, oder? Muss nicht eine Wertkategorie (wenn man sie nicht in das auf keimform.de übliche Prokrustesbett zwängt) an einer solchen Stelle bereits starten?
Hallo Hans-Gert,
ja richtig. Das Maß ist nicht individuell, sondern gesellschaftlich konstituiert, jedenfalls insofern es aus einem Verhältnis begründet sich ergibt. Von daher ist es nicht willkürlich, aber auch nicht zufällig, geht also über die reine Lust und Laune hinaus. Aber ein Maß kann durchaus auch ein Maß bleiben, bestimmtes Maß und auch Sollen und muss dennoch nicht Wert sein, das gemeinsame Dritte, das sich nur abstrakt ermitteln lässt, also getrennt von den wirklichen Beziehungen. Im Vertragsverhältnis, das ohne abstraktes Maß auskommt, werden die Produkte nicht für den Markt erzeugt, sondern für Menschen – nicht nur im einzelnen, sondern auch allgemein.
Das Problem ist zweifelsohne die Allgemeinheit, also etwas, worauf sich viele Menschen beziehen, wenn sie den Aufwand ihrer Tätigkeit auf die Befriedigung von Bedürfnissen beziehen. Aber da kommt man nicht drum rum, wenn man sicher sein will, dass allgemeinere Güter und Leistungen vorhanden sind, wo sie gebraucht werden, dass die Züge auch verkehren, die Brötchen und Computer auch da sind, wenn man sie braucht, ohne alles selber herstellen zu können.Und ein solches Maß muss auch allgemein verstanden, wahrscheinlich auch mehr oder weniger sicher in öffentlichem Gewahrsein sich befinden, als Maß des allgemeinen Guts ermittelt sein. Aber es muss nicht abstrakt, also getrennt von der Gesellschaft entstehen, die es benötigt.
Die bisherige Diskussion, so scheint mir, hat sich lediglich um dieses Problem rumgedrückt.
Hallo Wolfram,
Wie muss ich mir das vorstellen – einerseits „gesellschaftliches Verhältnis“, andererseits „abstrakt ermitteln“? Sitzt hier Marx nicht selbst dem diagnostizierten Fetisch auf und treibt schlichte Metaphysik, wo zu explizieren wäre, wie sich dieses gesellschaftliche Verhältnis in Kohärenzprozessen von Wertvorstellungen pratisch tätiger Produzenten nicht so sehr herstellt als vielmehr fortschreibt? Das „Kapital“ handelt ja nur von den spezifischen Wertformen der maschinellen Großindustrie – Anwendung standardisierter Arbeiten (die mitnichten „im Durchschnitt jeder gewöhnliche Mensch, ohne besondere Entwicklung, in seinem leiblichen Organismus besitzt“, a bisserl Kompetenz für was auch immer muss schon dabei sein) auf standardisierte Produkte; wenn Marx mit seiner Theorie den Anspruch erhebt, den ganzen Kapitalismus ökonomisch zu erfassen, dann müsste er auch was zu den „Einzelstücken“ sagen, die heute immer mehr und bedürfnisadäquat (und oft erst nach Auftragserteilung) produziert werden, sagen. Denn praktisch reicht die Wertform da ja wohl offensichtlich hin.
Also ist das, von dem du sagst, „kann durchaus auch ein Maß bleiben … und muss dennoch nicht Wert sein“ nicht ein Oxymoron?
Dass man da vollkommen ohne Metaphysik auskommt, habe ich mit meinen Überlegungen zu Wertformen und Petrinetzen, denke ich, weitgehend unter Beweis gestellt.
Es ist ja wohl ein Unterschied, ob jemand metaphysisch denkt oder ob er Erscheinungen, die zunächst metaphysisch wahrgenommen werden, analysiert, um den ihnen zugrunde liegenden Widerspruch darzustellen. Marx stellt eine Wirklichkeit dar, die in der Tat unwirklich begründet ist, Verhältnisse, die bestimmt und zugleich gleichgültig gegen ihre Bestimmtheit sind. Ohne diese Dialektik mit zu vollziehen, wird es nicht möglich sein, das „Kapital“ als Darstellung einer Dopplung von Produkt und Arbeit zu verstehen, den Gebrauchswert selbst als widersprüchliche Beziehung zu erkennen, die sich im Wert, schließlich der Wertform und so weiter fortbestimmt bis hin zum Finanzkapital.
Ich kann nicht nachvollziehen, was Du Marx vorhälst. Natürlich beschreibt er die Beziehung von „Einzelstücken“, eben als doppelte Beziehung in der Wertform. Und natürlich kann auch für bestimmte Bedürfnisse produziert werden, wenn das Produkt mit Geld, der abgehobenen Dopplung selbst bezahlt wird.
Ich sehe Deine Argumentation im Positivismus verfangen und nicht bereit, überhaupt dialektisches Denken anzuerkennen, wenn Du ihm selbst die Metaphysik vorwirfst, die es aufheben will. Da müsste – statt Marxens Kapital – erst mal die Methode selbst diskutiert werden.
@ Hans Gert:
Also zunächst mal ist die schöne bunte Warenwelt tatsächlich Industrieware, wo die abstrakte Arbeit in ihren 3 Bestimmungen (Arbeit für andere, gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, gesellschaftlich notwendig im Sinn des „findet Abnehmer“) realisiert ist. Wenn der Wert die dominante Form der gesellschaftlichen Produktion geworden ist dann verständigen sich auch alle Leute nicht nur in Qualitäten, sondern auch in Geldgrößen. Alles – egal ob Kunstwerk, Haus oder sonstwo – ist auf Wert bezogen, obwohl die von Dir erwähnten Fälle mit gutem Grund in die Sphäre der Luxusproduktion oder der Produktion von Produktionsmitteln gehören und zumeist OBERHALB der normalen Wertbestimmungen firmieren. Natürlich gibt es das auch, nur widerlegt das gerade nicht die Kerngestalt, als deren Anhängsel Luxusproduktion oder Kunst fungiert. Der ZWANG zum Äquivalententausch bleibt auch hier dominant.
@ Wolfram: nur eine Kleinigkeit: Mir gefällt die Rede von „der“ Wertform nicht, da folge ich lieber Mike Roth der erstmals die Wertformproblematik als „roten Faden“ durch die Entwicklung aller Formen (Geld, produktives Kapital, zirkulatives Kapital, Kapitalkreislauf, Revenueformen etc,) genommen hat. Recht eigentlich ist das erst die Auflösung des Wertformkapitels, dass der Wert notwendigerweise zu Geld, das Geld notwendigerweise zu Kapital wird – als Form des Wertes selber. Vielleicht hilft das auch die Metaphysikkeule abzuwehren, mit der der Wert so oft bedacht wird.
http://www.wertformanalyse.de/ und http://marx101.blogspot.com/
@Wolfram: Wer denkt abstrakt? Ich meine, Kleemanns Ausführungen ist da wenig hinzuzufügen. Menschen (auch ein Marx) können sich den praktischen Wirkungen des Fetischs nicht entziehen, schon allein deshalb nicht, weil andere Menschen so denkend handeln. Es sind also zwei paar Schuhe, über die Wirkung des Fetischs Geld (vortrefflich, was Marx betrifft) zu raisonnieren und die praktische Wirkung des Fetischs auf das eigene Handeln zu erkennen. Marx ist, den ersten Punkt betreffend, Proto-Psychoanalytiker, auch wenn er mit dem anderen Proto-Psychoanalytiker, „Sankt Max“, nie ins Reine kam und froh war, die vagen, durchaus umfänglichen Ansätze „der nagenden Kritik der Mäuse“ überantwortet zu haben. Dass also in Marxens Theoriebildung nach den praktischen Wirkungen des Fetischs auf jene Theoriebildung zu schauen ist, halte ich für epistemisch gesetzt, auch wenn man darüber streiten kann, ob der arrogante Marx (so viel habe ich über ihn schon gelesen) selbst an diesem Punkt seines Ichs dran war. Letzteres wäre hier aber weitgehend irrelevant.
Jede Philosophie beginnt mit Metaphysik, anders kann es gar nicht sein. Und endet (im besten Falle) mit der Dekonstruktion der Metaphysik im Erkennen der gesellschaftlichen Bedingtheit derselben. Aber nur um den Preis neuer eigener Metaphysik. Auch das halte ich als epistemisch gesetzt.
ist also schlicht die Frage, ob wir 150 Jahre später uns nicht auch mal einer solchen Dekonstruktion der Metaphysik des Altmeisters stellen sollten.
Gräbe ist doof, okay, da ist dann die Diskussion schon zu Ende, ehe sie überhaupt richtig begonnen hat.
@Franz:
Die Geldzeichen dort als „Kollateralschaden“ der „wahren Werttheorie“ halte ich mit Marx (der dafür wohl wesentlich drastischere Worte gewählt hätte) für Unfug, wenn auch weit verbreiteten. Du forderst selbst Wertformen im Plural, siehst das aber nur historisch. Wieso? Ist es wirklich ein Nacheinander von Wertformen oder könntest du auch ein Nebeneinander denken?
Muss der Schimmel gezwungen werden, weiß zu sein?
Historisch ist ein weitverbreitetes Missverständnis, die Wertformen existieren natürlich synchron und nebeneinander. Der kapitalistische Produktionsprozess z.B. ist ein beständiger Wertformwechsel.Was meinst Du mit Marx?
@HGG#38: Auch Ameisen finden ihre Lebensbedingungen nur vor, auch nestbauende Vögel, »Werkzeuge« nutzende Raben usw. Kriterium ist, ob es zu einer gegenständlichen Erfahrungskumulation kommt oder nicht. Ameisen etc. fangen jedes Mal mit den vorgefundenen Bedingungen vor Neuem an.
Wolframs Texte interpretierend mit dir diskutieren finde ich nicht sinnvoll. Wenn du Fragen an seine Doppelformen hast, frag ihn direkt.
Epistemik — ? Epistemologie — ?
@Stefan:
Lies doch einfach das, worauf ich verlinkt habe. Sie formen ihre Umwelt auf ähnliche Weise um wie es Menschen auch tun, kommunizieren dazu miteinander (vorwiegend über chemische Substanzen, die also neben der Syntax auch eine klare Semantik entwickeln) usw. Dass es dabei zu einer „gegenständlichen Erfahrungskumulation“ kommt, steht für mich außer Zweifel. Von jenen Mechanismen macht die Informatik ja auch ausreichend Gebrauch. Dass es einen Unterschied zu dem gibt, wie wir Menschen das machen, versteht sich. Das wäre genauer zu verstehen.
Das Wort epistemisch … bezieht sich auf einen Begriff in der Epistemologie (Erkenntnistheorie), zu unterscheiden von dem theoretisierenden epistemologisch. Quelle
@Franz:
„Also zunächst mal“ ist die Ware Vorprodukt, in 95% (oder mehr ?) aller Tauschvorgänge (B2B eben) in dieser Industriegesellschaft, bevor sie als „schöne bunte Ware“ vor dem Auge des Consumers reüssiert. Wolf Göhrings Tasse Kaffee ist da immer mal wieder eine Erinnerung wert.
Sie verständigen sich aber auch umgekehrt nicht nur in Geldgrößen, sondern auch in (quantifizierbaren) Qualitäten, im B2B-Bereich deutlich pingeliger als im B2C-Bereich. Sie reden nicht nur über den Wert, sondern auch über den Wert. Meine Vorstellungen über die Proportionen zwischen beiden Vorstellungswelten werde ich aber nicht vertiefen, da sie hier bekannterweise dissent sind.