Vorauseilender Gehorsam bei SourceForge?
Das große Plattform für die Entwicklung Freier Software, SourceForge, sperrt seit einigen Tagen Nutzer mit IP-Adressen aus Syrien, Kuba, Iran, Nordkorea und dem Sudan aus. SourceForge rechtfertigt den Schritt damit, dass diese Länder auf der »Schurkenstaat-Liste« der US-Regierung stehen und man sich an US-Gesetze halten müsse.
Netzpolitik.org weist darauf hin, dass US-Außenministerin Clinton die Freiheit des Internet beschwört. Das liest sich so:
EN: We stand for a single internet where all of humanity has equal access to knowledge and ideas. And we recognize that the world’s information infrastructure will become what we and others make of it.
DE: Wir stehen für ein einziges Internet, mit dem die ganze Menschheit gleichen Zugriff auf Wissen und Ideen hat. Und wir erkennen, dass die Informationsinfrastruktur der Welt das werden wird, was wir und andere aus ihr machen.
Oder ist der zweite Satz doch als versteckte Drohung zu lesen?
SourceForge hat keinen Grund voreilig und untertänig vermeintliche Wünsche der US-Administration zu erfüllen. SourceForge verstößt damit explizit gegen Grundregeln der Freien Software: Nutzung der Software zu jedem Zweck — und durch alle, die es wollen.
Ja, das hat natürlich hohen Bullshitfaktor. Was mich aber schon wundert: Wieso kommt das erst jetzt hoch? SF gibt es seit Ewigkeiten und diese Gesetze noch länger. Da steckt doch irgendein politisches Kalkül dahinter. Nur von wem und welches?
Ich vermute mal, dass da im Hintergrund irgendwelche Strippen gezogen werden, denn es gibt keinen unmittelbaren Grund, warum SF gerade jetzt die Blockierung aufbaut. Vielleicht bekommt SF demnächst einen dicken Auftrag von der NASA (die sich ja in FS engagieren). SF hätte auch warten können, bis ihnen tatsächlich erhebliche Konsequenzen angedroht worden wären. Dann hätten sie sich auch der Solidarität der Community sicher sein können. Besonders kriecherisch finde ich den letzten Satz in dem SF-Blog-Post: »However, until either the designated governments alter the practices that got them on the sanctions list, or the US government’s policies change, the situation must remain as it is.« — Sollen doch die betroffenen Länder ihre Politik ändern, denn alle wissen: die US-Politik wird es wohl kaum tun.
Besonders ungut finde ich den Kollektivverdacht, der damit ausgesprochen wird. Niemand würde ja behaupten, alle Internet-Nutzer dieser Länder seien Terroristen. [Ich beziehe mich auf Terrorismus als mögliche Rechtfertigung, mir ist klar, dass es noch andere Gründe für dieses US-Gesetz gibt.] Also sperrt man vielen unzweifelhaft harmlosen Nutzern den Zugang, um einige vermeintliche Gefährder zu treffen. Man verallgemeinert einfach die Gefährdergruppe mit einem Merkmal, hier: der Herkunft (es könnte aber ebensogut ein andres sein, Hautfarbe oder Religion, das Grundprinzip ist dasselbe). Mit dieser Denkweise sind in der Vergangenheit so ziemlich alle Unterdrückungsmaßnahmen legitimiert worden …
Und das muss man mit der politischen Dimension zusammendenken: Kuba ist eindeutig kein Land, in dem Terroristen ausgebildet werden o.ä., das wissen auch die SourceForger. Es ist einfach ein Land, das die USA nicht mögen. – Ein schlimmer Präzedenzfall, wenn SourceForge damit durchkommt.
SourceForge hat auf die Proteste reagiert und seine Policy geändert: Zufünfig können die Projekte selbst entscheiden, wen sie aussperren bzw. wieder zulassen. Default ist allerdings die Sperrung, die von den Projekt-Admins explizit wieder aufgehoben werden muss. Das habe ich dann mal getan. Ohnehin bezieht das ganze Gezappel nur auf Verschlüsselung. Die anzuklickende Option lautet: »This project does NOT incorporate, access, call upon, or otherwise use encryption of any kind, including, but not limited to, open source algorithms and/or calls to encryption in the operating system or underlying platform.«